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Rainbow

Gebrochenes Licht
von

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Wasserfarbene Erinnerungen

Zum ersten Mal, seit sie hier war, tat ihr Geist ihr den Gefallen und verdrängte all die Gedanken an diesen schrecklichen Ort in weite Ferne. Ließ sie treiben, zu schöneren Zeiten, zu anderen Orten, zu den Ereignissen lang vergangener Tage…
 

Es gab eine Welt, die genau auf der Grenze zwischen einem wärmeren Viertel des Weltraums und einem kühleren lag. Dieser Umstand verursachte, dass die Bewohner die eine Hälfte des Jahres nur die Sonne sahen und die andere nur den Regen. An den steten Wechsel dieser beiden Extreme waren sie so gewöhnt, dass es sie sehr beunruhigte, als in jenem Jahr, der erlösende Regen länger als sonst auf sich warten ließ.

Allmählich gingen die letzten Wasservorräte zur Neige und niemand konnte sich das Ausbleiben des Himmelselixiers erklären. Die Dürre wollte nicht enden und eine Frau, die bald ein Kind erwartete, wurde von Tag zu Tag schwächer. Zudem fürchtete sie um das Leben des Neugeborenen.

Doch dann, genau am Tag der Geburt, setzte der lang ersehnte Regen ein und überschüttete das Land mit all seiner Pracht und Hoffnung. Und das kleine Mädchen, das gesund zur Welt gekommen war, das Mädchen mit den Saphiraugen und dem regenblauen Haar, sie nannten sie „Aqua“ – das Wasser.
 

Seit alter Tradition wurde in ihrer Familie das Schlüsselschwert an den Nachfolger weitervererbt. Darum unterzog man sie an ihrem fünften Geburtstag der Zeremonie, in der die Fähigkeit, das magische Schwert zu führen, solange das Herz hell genug strahlte, ihr eigen wurde. Außerdem erhielt sie nach Vollendung ihres achten Lebensjahrs regelmäßig Kampftraining; während andere Mädchen ihres Alters mit Puppen spielten, wurde Aqua ein Holzschwert in die Hand gegeben, mit dem sie lernte, die Schwachpunkte eines Feindes zu treffen, während andere nur ihre guten Noten für die Schule im Kopf hatten, musste Aqua wissen, wie man drastischste Verletzungen verarztete, während andere ihren ersten Kuss bekamen, wurde Aqua von ihrem Schlüsselschwert – Regenfall – auserwählt.

Die Erwartungen ihrer Eltern waren hoch, vor allem da sie die einzige Nachfolgerin war. Ihre Mutter wurde nie wieder schwanger; dass Aqua lebte konnte mehr und mehr als ein Wunder bezeichnet werden. Doch wie ein Wunderkind war sie sich nie vorgekommen.

Sie mochte das Training, keine Frage. Sie genoss es, zu spüren, wie sich ihre Muskeln verselbstständigten, wie sie herumwirbelte, jede Bewegung fließend wie Wasser, das Surren, wenn ihr Schlüsselschwert durch die Luft schwirrte, der Klang, wenn sie es beschwor oder das Gefühl, es in der Hand zu halten… Sie liebte diese Momente. Aber sie hasste die Blicke, die ihr dabei zusahen. Das ständige Pochen in ihren Schläfen, vor Angst, nicht gut genug zu sein, die Erwartungen ihrer Eltern nicht zu erfüllen, ihrer Vorstellung von Perfektion nicht gerecht zu werden.

Nachdem das Schlüsselschwert sie erwählt hatte, wurde sie auch in die Geheimnisse eingeweiht, die ihre Familie allen anderen Bewohnern der Welt vorenthielt. Man erzählte ihr, dass neben dieser noch eine Großzahl von anderen Welten existierte. Und ihr, als Trägerin eines Schlüsselschwertes, war das Privileg gegeben, eines Tages durch die Pfade des Alls zu streifen und viele dieser fremden Welten vor jeglichem Unheil zu bewahren. Das waren ihre Aufgabe, ihr Glück und ihre Ehre.

Würdige es, Aqua. Enttäusche nicht die, denen diese Türen nicht offen stehen.

Sie musste schwören, dieses Wissen für sich zu behalten. Niemand in dieser oder anderen Welten durfte je davon erfahren. Aqua hatte es sich zu jener Zeit längst angewöhnt, keine Fragen zu stellen. Sie hatte gelernt: was ihre Eltern sagten, durfte nicht infrage gestellt werden. Also schwieg sie und gab weiterhin ihr Bestes.

Nur wenige Tage nach ihrem vierzehnten Geburtstag, dem Tag an dem das Schlüsselschwert zu ihr gekommen war, stand plötzlich ein fremder Mann vor ihrer Tür. Er stellte sich ihnen als Meister Eraqus vor. Ein Schlüsselschwertträger wie sie selbst, der jedoch nicht länger durch die Welten reiste, um die Bewohner vor Gefahren zu beschützen, sondern es sich zur Aufgabe gemacht hatte, junge Träger auszubilden. Ihre Eltern hatten viel von ihm gehört, sie bewunderten seine Fähigkeiten und Taten und natürlich konnte Aqua den Nachdruck in ihren Augen sehen, den unausgesprochenen Befehl.

Aber Eraqus bot nicht ihren Eltern an, sie in die Ausbildung zu nehmen, sondern ihr selbst. Sie erinnerte sich genau an diesen Tag. Wie er sich hinabgebeugt hatte, um mit ihr auf gleicher Augenhöhe zu sein. Die Sanftheit in seinem Blick und die Frage.

„Möchtest du, dass ich dich zur Meisterin ausbilde, Aqua?“

Eine Frage.

Nie hatte man sie gefragt. Das war ihr in jenem Moment klar geworden. Wo sollte denn Platz für eine Wahl bleiben, wenn es immer nur Aussagen gab? Dieser Mann hätte alles Mögliche sagen können. „Ich würde dich gern in die Ausbildung nehmen“ oder womöglich nur „Ich bilde dich zur Meisterin aus“. Aber er schenkte ihr dieses Gefühl, das ihre Eltern ihr in all den Jahren nie geschenkt hatten. Das Gefühl, eine Wahl zu haben. Selbst entscheiden zu können.

Und in den Jahren darauf sollte er ihr nie anders begegnen. Eraqus hatte sich immer auf ihre Augenhöhe begeben. Ganz gleich wie weit er über ihr stand.
 

Die Welt, in die er sie brachte, war mit ihrer kaum vergleichbar. Das „Land des Aufbruchs“, wie es nur genannt wurde, strahlte vor Leben, vor Abenteuern und vor Freiheit. Die reiche Vegetation, die Täler, Flüsse, Hügel – all das sollte Aqua in der darauf folgenden Zeit ihres Lebens ans Herz wachsen.

Eraqus gab ihr ein Zimmer im rechten Flügel des Schlosses, das eigens zur Unterkunft seiner Schüler und Besucher diente und ebenso ausreichend Platz für das Training bot. Er ließ Aqua allein, damit sie sich ungestört alles ansehen und ausruhen konnte.

Die wenigen Dinge, die sie mitgebracht hatte, waren schnell im Zimmer verteilt, dann streckte sie sich auf der weichen Matratze ihres neuen Bettes aus und schlief ein paar Stunden.

Und erwachte schließlich durch das Geräusch feiner Regentropfen, die gegen die Scheibe schlugen.

Der Regen hier ist anders, stellte sie verdutzt fest. Wenn in ihrer Heimat Regenzeit herrschte, stürmte es sozusagen Tag und Nacht. Entweder Wassermassen oder nur eine dicke dunkelgraue Wolkendecke. Selten war der Himmel so klar wie dieser hier, von dem nur ein zarter Schauer abfiel. Und ein seichtes Blau, wie die Wolken es hier annahmen, hatte sie auch nie zuvor gesehen; man hatte ihr nur erzählt, dass jenes „Regenblau“ am Tag ihrer Geburt zu sehen gewesen war, aber daran konnte sie sich leider nicht erinnern.

Wie ein kleines Kind sprang sie freudig vom Bett und lief zum Haupteingang hinaus in die klare Luft. Es schien zu schön, um wahr zu sein. Gleich einem Vogel, der jahrelang im Käfig gehalten wurde, streckte Aqua die Arme aus, ließ jede der gestutzten Federn im Wind tanzen, sog den Geruch des Schauers tief ein und ehe sie sich versah, lief sie tänzelnd über das Plateau vorm Schloss, Richtung Bergpfad. Eraqus hatte sie darauf hingewiesen, vorsichtig zu sein, da der gesamte Komplex auf einem hohen Berg erbaut worden war. Doch der Geschmack der Freiheit betäubte ihr die Sinne.

Die Arme noch immer ausgestreckt, flog sie förmlich den Weg entlang und entrann dabei nicht selten nur knapp einem Sturz in die Tiefe, aber das ängstigte sie nicht. Im Gegenteil, sie lachte über die Gefahr, lachte über sich selbst, wie ungeschickt sie sich anstellte. Was ihre Eltern wohl dazu gesagt hätten, wenn sie gesehen hätten, wie unvorsichtig sie sich benahm?

Bei dem Gedanken blieb sie abrupt stehen. Etwas wie Trotz brodelte in ihrem Inneren hoch, aber auch eine Schwermut, die ihre Schultern runterdrückte. Ihre Eltern… Die Schablone der Übertochter, die sie nachmalen hatte müssen, ohne zu verwackeln. Eine schräge Linie war nun mal nicht erwünscht. Wieso quälte sie der Gedanke immer noch? Sie war frei, endlich! Sie musste sich das Getue ihrer so genannten Familie nie mehr anhören.

Warum verblasste dann ihr Lächeln? Warum trottete sie, das Gesicht zum Boden, weiter?

Und da wusste sie es auf einmal.

Weil sie in den Augen ihrer Eltern nie gesehen hatte, dass ihre Bemühungen sich ausgezahlt hatten. Es hätte ein Blick gereicht, vielleicht der feste Druck einer Hand auf ihrer Schulter oder wenigstens die Worte: „Ich bin stolz auf dich, Aqua“.

Einmal nur.

Sie musste sich eingestehen, dass sie sich immer die Hoffnung auf eine Bestätigung bewahrt hatte. Auch jetzt noch. Es würde sie nicht loslassen. Niemals. Dieser Wunsch saß zu tief in ihrem Herzen, klammerte sich regelrecht an ihm fest.

Seufzend warf sie den Kopf zurück und ließ den kühlen Regen ihr Gesicht berühren. Und dann sah sie es zum ersten Mal.

Zart, transparent, wunderschön. Zwischen den schmalen Bergspitzen spannte sich eine runde Linie entlang. Wenn Aqua die Hand von sich streckte, war sie nicht dicker als ihr Zeigefinger und doch unbegreiflich auffallend. Sieben Farben konnte sie zählen, die gemeinsam einen weichen Bogen beschrieben. Oben angefangen bei rot, das sich in orange und dann gelb verwandelte. Obwohl die nächste Farbe grün war, schmolz sie ebenso nahtlos vom gelb ab, wurde dann hellblau, dunkelblau und schloss in violett.

„Was ist das?“, hauchte sie fasziniert und verengte die Augen. Von hier konnte sie es nicht so gut erkennen, aber vielleicht, wenn sie sich weiter oben befand…

Als sie geradeaus sah, um sich zu orientieren, blieb ihr kurz die Luft weg. Wie hatte ihr die Umgebung entgehen können? Sie war dem Hauptpfad gefolgt und damit direkt in diesen Garten, oder was auch immer es war, hineinspaziert. Wie verzaubert schritt sie über eine hübsch verzierte weiße Brücke, unter der ein Bach rauschte. Er wurde von einem Teich gespeist, der wiederum seinen Ursprung noch weiter oben hatte. Kleine Wasserfälle verbanden die einzelnen Abschnitte miteinander und auf der Oberfläche trieben kreisrunde Lotosblätter. Aqua gelang es kaum den Blick davon zu lösen und auch die Gerätschaften zu betrachten, die offenbar für das Training gedacht waren.

Als sie einen Pfad entdeckte, der scheinbar höher hinauf führte, entsann sie sich wieder dem Farbbogen, den sie gesehen hatte und folgte ihm erwartungsvoll.

Das erste, was sie sah, als sie den Gipfel erreichte, war das Schloss in der Ferne – sie hatte sich doch weiter davon entfernt, als angenommen. Das zweite war das runde Farbmuster, das sich nach wie vor am Himmel erstreckte. Und das dritte – sie wusste nicht wieso das letzte – war die Person, die genau in der Mitte des Platzes stand und die sie mit ihrem unangekündigten Auftreten wohl in ihrer Tätigkeit unterbrochen hatte. Bei der Tätigkeit handelte es sich um Trainieren und zwar mit einem Schwert, dessen Form ihr sehr gut bekannt war.

„Hallo“, rief sie nonchalant und lächelte dem Fremden entgegen. Es war ein Junge, der in ihrem Alter zu sein schien, auch wenn er mit dem ernsten Zug um den Mund einen viel älteren Eindruck machte.

Er erwiderte nichts, ließ nur sein Schlüsselschwert sinken und sah sie an. Zwar nicht feindselig, aber freundlich konnte man es auch nicht nennen. Aqua ließ sich nicht beirren und ging geradewegs auf ihn zu.

„Bist du auch ein Schüler von Meister Eraqus?“, fragte sie. Der Meister hatte auf dem Weg hierher irgendwas von einem zweiten Schüler erwähnt, aber sie war müde gewesen und aufgeregt, sodass nicht viel davon hängen geblieben war. Der Junge nickte und Aqua war nahe genug, um den dunkelblauen Ton zu erkennen von dem seine Augen waren. Das tiefbraune Haar stand wirr ab, er hatte es nur aus der Stirn gestrichen, damit seine Sicht unbeeinträchtigt blieb.

„Bist du immer so gesprächig?“ Sie legte den Kopf schief und zog eine Braue hoch. Da huschte eine Art halbes Grinsen über die Lippen des Jungen.

„Bist du immer so neugierig?“ Hm. Zugegeben, eine schöne Stimme hatte er – tief und warm, so ganz anders als es sein steinerner Blick vermuten ließ.

„Eigentlich nicht“, erwiderte sie grinsend. „Ich bin Aqua.“

„Terra“, stellte er sich knapp vor. Irgendwas an ihm erinnerte sie an den Meister. Nicht das Gesicht. Aber die Haltung, dieser Ausgleich von Mut und Sanftmut.

„Wie lange bist du schon in der Ausbildung?“ Sie wusste nicht, wieso sie ihm diese Fragen stellte. Vielleicht hatte sie es einfach satt, ihre Neugierde im Zaum zu halten, so wie bei allem, was ihre Eltern ihr erzählt hatten.

„Schon immer.“ Verwirrt sah sie zu ihm auf. Das war kein Scherz gewesen. „Der Meister hat mich gefunden und aufgezogen. Ich weiß nicht, wer meine Eltern waren oder ob sie noch leben.“

„Das tut mir leid“, schlüpfte es aus ihrem Mund, ehe sie etwas dagegen tun konnte. Aber Terra winkte nur ab, als sei das keine große Sache. Und da erkannte sie etwas von sich selbst in ihm wieder.

Stark sein. Nicht zeigen, dass man Angst hat, traurig ist oder dass es einen berührt. Augen geradeaus, Kinn hoch, nicht blinzeln. Den Schmerz ertragen.

Ihr wurde bewusst, wie unglaublich ernst ihr Körper es gemeint hatte, als die Worte „Tut mir leid“ entwischt waren.

„Ich nehme an, du bist das Mädchen, das der Meister erwähnt hat. Die neue Schülerin.“ Sie nickte und traf genau auf seinen direkten Blick.

„Hey“, meinte sie leise und schenkte ihm ein freches Lächeln. „Was hältst du von einem Kampf?“

Ihr spontaner Themawechsel schien ihn nicht zu überraschen. Aber als er diesmal lächelte, zeigte sich ein Hauch von Spott in seinen Mundwinkeln.

Er trat einen großen Schritt zurück und nahm Kampfhaltung an. Aqua tat es ihm gleich, beschwor ihr Schlüsselschwert und hob herausfordernd das Kinn.

„Aber untersteh dich, mich zu schonen, nur weil ich ein Mädchen bin!“ Für den Kommentar hatte er nur ein Grinsen übrig. Dann rannten sie, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, gleichzeitig los und schon trafen die Schwerter klirrend aufeinander.

Eine zeitlang war nur das Surren und Klingen zu hören und die schnellen Atemzüge der Kämpfenden. Noch immer rieselten vereinzelte Tropfen vom Himmel herab.

Der Junge, Terra, war gut. Sie hatte richtig mit der Vermutung gelegen, dass man ihn nicht unterschätzen sollte. Aber ihr wurde auch schnell klar, dass er nicht alles gab.

„Was soll das?“, knurrte sie, als die beiden Klingen wieder zusammenschlugen, sodass ihre Gesichter nur eine Armeslänge voneinander entfernt waren. „Du hältst dich zurück! Hör auf mit den Spielchen und zeig mir, was du drauf hast!“ Ihr barscher Tonfall schien ihn zu amüsieren.

„Ich wollte dir nur Zeit geben, warm zu werden.“ Konfus weitete sie die Augen. Richtig, bevor sie gekommen war, hatte er trainiert. Demnach war er bereits aufgewärmt. Sie schüttelte den Kopf – sie war es schlicht nicht gewohnt, dass man sich, wenn es ums Training ging, um sie sorgte.

Sie stießen sich wieder voneinander ab, blieben für wenige Sekunden stehen, dem jeweils anderen in die Augen sehend. Dann breitete sich gleichzeitig ein Lächelns auf ihrer beiden Lippen aus und sie stürzten erneut aufeinander zu. Jetzt hielt Terra sich keineswegs mehr zurück, aber Aqua war keine Anfängerin und wendiger als er, der mehr auf gezielte kraftvolle Schläge setzte. Sie wich geschickt aus und schlug einen Salto hinter ihn, sodass er ihren nächsten Hieb nur knapp parieren konnte.

„Du bist gar nicht mal schlecht!“, meinte er anerkennend zwischen zwei Attacken ihrerseits. Die Bedeutung seiner Worte schien durch ihr Verständnis direkt in die Muskeln zu fließen; schwungvoll wirbelte sie Regenfall herum und setzte mit noch mehr Elan nach. Sie hörte ihn einen Laut der Erschöpfung ausstoßen, was ihren Bewegungen zusätzlichen Antrieb verlieh.

Doch was dann geschah, würde sie nie wieder vergessen können.

In übermütigem Kampfrausch gefangen, holte sie weit aus und erkannte zu spät, dass Terra nicht vorhatte den Schlag zu blocken, sondern zur Seite auswich. Das schlüsselförmige Ende ihres Schwertes bohrte sich in die nasse Erde, Aqua strauchelte, verlor das Gleichgewicht und wäre rücklings im Matsch gelandet, hätte sich nicht in letzter Sekunde ein Arm unter ihre Taille geschoben und sie aufgefangen.

Noch bevor sich ihre übrigen Sinne einschalteten, nahm sie einen Duft wahr, der wie Wind über ihre Haut strich und die Härchen im Nacken aufwirbelte. Dieser Geruch nach frischer Erde, nach Wald und Sonnenlicht… Sie sog ihn unbewusst tief ein, bevor sie die Augen hob und genau auf seine traf, die kaum mehr als einen Hauch entfernt waren. Für kurze Zeit hatten nur drei Dinge Platz in ihrem Kopf, alles andere war unwichtig, unsichtbar, ausgelöscht. Der Duft, der von ihm ausging, die bodenlosen Tiefen seiner Augen und die Berührung, der Druck um ihre Taille, die Finger, die nur einmal flüchtig zuckten. Nur ein Zucken, wie ein Impuls, der unter ihre Haut bis zum Blut fühlbar schien.

Und dann war es vorbei.

Terra hob sie hoch, stellte sie wie eine Statue wieder auf die Beine und nahm ein paar Schritte Abstand. Aqua musste dem Drang widerstehen, ihre Hand auf die noch warme Stelle an ihrer Seite zu legen, wo seine Finger ihre Haut berührt hatten. Er räusperte sich.

„Ich denke, das war genug für einen Tag.“

…was? Sie schaute mit traumartig verhangener Sicht zu ihm auf. Dann fiel es ihr wieder ein; der Kampf, richtig! Sie erwartete, dass Terra noch irgendwas dazu sagen würde, immerhin hatte er streng genommen gewonnen. Doch er überraschte sie, indem er seinen Sieg nicht anpries, ja nicht mal ein Wort darüber verlor.

Endlich bröckelte auch der letzte Rest der Starre von ihr ab.

„Äh, ja, hast Recht“, erwiderte sie reichlich flapsig und zog Regenfall aus der Erde. Als sie wieder aufsah, fiel ihr Blick auf das Farbband am Himmel, das allmählich zu verblassen begann. „Weißt du, was das ist?“

„Ein Regenbogen“, antwortete Terra, ohne sie anzusehen. „Siehst du zum ersten Mal einen?“ Regenbogen… was für ein schönes Wort.

„Mhm“, machte sie unsicher. „Ich weiß nicht genau… Wie ist der entstanden?“ Terra streckte die Hand aus, die Hand mit der er sie noch vor wenigen Augenblicken berührt hatte, und ein paar feine Tropfen zersplitterten auf der Innenfläche.

„Das Sonnenlicht bricht sich in den Regentropfen. Das, was du siehst, ist die entstandene Reflektion.“

„Also ist der Regenbogen nur…“

„Ja, gebrochenes Licht. Im Prinzip schon.“ Er sah wieder zu ihr hinüber und lächelte sanft. „Das wolltest du doch sagen, oder, Aqua?“

Als er ihren Namen aussprach, verflüchtigte sich die Kontrolle über ihre Gesichtsmuskulatur vollständig und sie spürte den Druck seiner Hand nach, als hätte er ihn in ihre Haut geprägt.
 

Am Abend stand Aqua unter der Dusche, starrte auf ihre Hände, ohne sie anzusehen, während das heiße Wasser Schmutz, Schweiß und Spannung aus Haut und Haar schwemmte. Sie fuhr mit den Fingern über ihre linke Seite, fühlte noch einmal die Wärme von Terras Fingern. Sie war noch immer da.

Sie dachte darüber nach, dass das Wasser gerade sämtliche Spuren von ihr entfernte, berichtigte sich dann aber selbst. Den Duft konnte es nicht wegwaschen, die „Erinnerung“ konnte kein Wasser der Welt von ihrem Körper oder aus ihrem Herzen spülen.

Wie hätte sie da auch ahnen können, dass Terra den „Blitz“ ebenso wahrgenommen hatte. Dass auch er an diesem Abend auf seine Hände blickte und ihm der Duft von Regen und Tau und die glühenden Saphiraugen nicht mehr aus dem Kopf gingen.
 

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Hallo!

Ich hoffe, es hat euch gefallen bis hierhin. Vergangenheitsszenen können manchmal schon ziemlich schlauchen. Ich hab überlegt, was ich der Guten für eine Kindheitsgeschichte andichten kann. Sie ist so eine starke Person und ich maße mir mal an, zu behaupten, dass jemand, dessen Kindheit sehr glücklich war, nicht solche Stärke entwickeln kann, zumindest nicht schon in dem Alter. Mir gefiel die Idee mit der „Bilderbuchtochter“. Aqua ist immerhin eine vernünftige, sehr verantwortungsbewusste Frau – das könnte ein Nachklang dieser ständigen inneren Kontrolle sein.

Ich empfand es als zu klischeehaft, dass Aqua den Kampf für sich entscheiden würde. Denn ja, sie ist nun mal unterlegen, weil Terra schon viel länger in der Ausbildung von Eraqus ist.
 

Tausend Dank fürs Lesen! Über Kommentare wäre ich sehr erfreut!

Rainblue



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Escria
2011-11-17T19:24:52+00:00 17.11.2011 20:24
OMG.............
ich find dieses kapitel so unglaublich schön >//////< ich hab mir alles so gut vorstellen können
die idee mit aquas vergangenheit und warum sie so heißt wie sie heißt super! hach ich konnte so richtig schön träumen =//////=
und dann die szene mit aqua und terra zusammen gott ich hatte ein solches kopfkino >////<
gott ich könnte mir so richtig vorstellen.... ach nein.... das wäre zu dreist wenn ich das fragen würde...... XD... hm oder doch?............
...................................................
ob ich vll.............
argh ich kanns nicht schreiben, es wäre zu peinlich wenn ich das fragen würde XD

öhöm..... ~ deinen schreibstil... ich kanns nur immer wieder erwähnen... find ich wirklich genial! :3
Von:  alunabun
2011-09-12T15:58:50+00:00 12.09.2011 17:58
Eh ... ich war leicht überfordert! Dieser Szenenwechsel hat mich ein bisschen aus der Bahn geworfen. Zuerst war es ja eher düster und so und dann kam diese unglückliche Kindheit und dann diese kurze, ein bisschen kitschige Szene zwischen Aqua und Terra. Was soll ich dazu sagen? Zunächst einmal fand ich, dass die Idee mit Aquas Heimat ziemlich cool war! Und auch ihre Geburt, weshalb sie den Namen hat. Hat sehr gut gepasst.
Den Druck kann ich nur allzu gut nachvollziehen. Meine Eltern halten in der Schule auch sehr große Stücke von mir (bin ja auch nicht dumm), aber manchmal ist mir das zu viel Druck. Im Gegensatz zu Aquas Eltern, loben mich meine schon, das macht den Unterschied. Ich fand es auch ein bisschen hart von den Eltern, dass sie ihr ganzes Leben bestimmt haben. Aqua schien zwar auch irgendwo Spaß gehabt zu haben, aber wer sagt, dass sie nicht mal auch mit Püppchen spielen, gute Noten schreiben oder gar ihren ersten Kuss erleben wollte? Schien nicht möglich, weil sie ständig üben musste. Die Eltern waren auch nicht wirklich sanft zu ihr. Sie hätten ihr auch ein bisschen freundlicher erklären können, dass sie das Geheimnis mit den Welten für sich behalten soll.
Also ich, an ihrer Stelle, hätte mich auch gefreut, wenn ich da endlich weg gewesen wäre. Eraqus (?) ist mir dann auch gleich ein bisschen sympathischer geworden, als er die Kleine gefragt hat. Dennoch kann ich Aquas Kratzer am Ego voll gut verstehen, dass sie trotzdem ein Lob von ihren Eltern will oder ein liebevoller, stolzer Blick, selbst wenn sie nicht mehr bei ihnen ist. Das hat sie sich nämlich verdient!
Sehr putzig war auch, dass sie nicht wusste, was ein Regenbogen ist. Da kam mal richtig das Kind in ihr hervor, das sie nie hatte sein können, fand ich richtig toll! Die Begegnung mit Terra ... ja, also ... Terra hast du ganz gut rübergebracht, ich denke, in den meisten Fällen hätte er auch so reagiert. Diese knappen Antworten und so. Terra ist genial. Der Kampf erschien mir auch ganz gut, diese Szene, wo er sie auffängt und sie sich beide ineinader verlieben, hat mich, wie gesagt, etwas überfordert. Ich weiß nicht, bin ja nicht soooo der Romantik-Fan, es war schon leicht kitschig, fand ich. Es gibt Liebe auf den ersten Blick und so, aber mir persönlich ging es etwas zu schnell (ich glaub eh nicht an so einen Schmu wie Liebe auf den ersten Blick XD) und die zwei sind mir dafür noch etwas zu jung, 14 Jahre waren sie doch, oder? Nun ja. Aber ist schon in Ordnung, aus einer Jugendliebe kann ja wirkliche Liebe entstehen. Bin gespannt, was du so vorhast. Ich wusste ja, worauf ich mich einlasse, wenn ich diese FF lese, ich überlebe ein bisschen (?) Romatik schon!
Dein Schreibstil hat mir - wie immer - gefallen, weiter so.

LG
Mrs_Simple.
Von:  Xaris
2011-09-05T17:27:37+00:00 05.09.2011 19:27
Hallu <3

OMG! Der Anfang ist richtig genial! :D Erst fühlte ich mich wie im falschen Film, aber dann hats *Klick* gemacht und ich freue mich, dass du Aquas Kindheit beschreibst. <3
Eraqus (oder wie man den schreibt XD) mag ich in deiner Story sehr. <3 Im Game wurde er gegen Ende ein A... ._.
*o* Nun mag ich Terra dochn bisschen mehr! xD Hast du sehr gut geschrieben, die Szenen zwischen den beiden waren toll. <3


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