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Schuld - Bis du mir verzeihst...

RobertxJohnny
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo liebe Leser!
Nach langer Zeit geht es auch hier bei dieser Geschichte endlich weiter, denn ich habe vor, nach und nach nun alle meine Geschichten endlich abzuschließen. Nach diesem werden wohl noch zwei weitere Kapitel folgen, ehe die Geschichte komplett abgeschlossen ist.

Das Kapitel ist meiner Meinung nach etwas schwierig. Ich wollte nicht zu ausschweifend werden, dadurch habe ich viel gekürzt, was vielleicht nicht jedermanns Sache ist. Da ich das Ding jedoch endlich fertig bekommen möchte, war es mir wichtig, auch wirklich zu einem Punkt zu kommen, der ein Ende in Sicht kommen lässt.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und hoffe, dass ihr auch noch die Geduld für die letzten beiden Kapitel aufbringen werdet! :)
Liebe Grüße,
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Zusatz: Hindernisse

Zusatzkapitel: Hindernisse
 

Der Ort, zu dem Robert ihn brachte, war kein geringerer als die Eislaufhalle von Glasgow. Bei Gott, wann war er das letzte Mal Schlittschuh gelaufen? Es war schon länger her, damals hatte er noch ab und an Eishockey gespielt. Das war zur Anfangszeit der Majestics gewesen.

Robert besorgte ihnen beiden passende Schlittschuhe und wie zu erwarten war, war die Halle zwar gut gefüllt, allerdings nicht überlaufen. Viele Menschen feierten Weihnachten lieber mit ihren Familien zu Hause, als groß etwas zu unternehmen.

„Wie bist du ausgerechnet auf Schlittschuhlaufen gekommen?“, fragte Johnny, während er in seinen zweiten Schuh schlüpfte. „Na ja, es passt irgendwie zur Jahreszeit, oder?“, meinte Robert und zuckte mit den Schultern, während er sich an der Wand festhielt, um auf seinen Kufen nicht das Gleichgewicht zu verlieren, „Außerdem habe ich im Hinterkopf, dass eine gewisse Person eine bestimmte Vorliebe für jedwede Sportarten hat.“

Sein Gegenüber wirkte mit der Antwort zufrieden und nachdem sie ihre normalen Schuhe und ihre Wertsachen in einem Spindfach weggeschlossen hatten, machten sie sich auf den Weg zum Eis. Während Johnny vorauszueilen schien, hatte Robert so seine Schwierigkeiten, nicht zu stolpern. Als er an der Eisfläche ankam, war Johnny bereits ein paar Meter gelaufen, fuhr elegant eine Kurve und kam dann wieder zurück. „Was ist los?“, Johnny wirkte irritiert, als er Robert dabei zu sah, wie er zuerst den einen Fuß, dann den anderen auf das Eis setzte und sich dann fast panisch am Geländer festklammerte.

„Nur weil ich dich zum Eislaufen eingeladen habe, weil ich mir relativ sicher war, das es dir gefallen würde, heißt das nicht, dass ich darin sonderlich gut bin“, murmelte der Angesprochene, während er den Versuch unternahm, sich zu Johnny umzudrehen.

„Wie oft warst du schon auf dem Eis?“

„Um ehrlich zu sein... Das ist wohl mein erstes Mal.“

Johnny blickte ihn mit großen Augen an, ehe er laut loslachte und einen düsteren Blick seines Freundes erntete.

„Tut mir Leid, das ist zu komisch. Ich hätte nicht gedacht, dass es etwas gibt, das du nicht kannst.“

Robert fragte sich schlagartig, was für ein Bild Johnny wohl von ihm hatte.

„Aber Eislaufen ist doch gar nicht so schwer. Es funktioniert im Grunde genauso wie Inlineskaten.“

Genervt rollte Robert mit den Augen.

„Okay. Du bist noch nie Inliner gefahren? Um Gottes Willen, Robert! Was hast du nur in deiner Kindheit gemacht?“ „Gelesen. Das ist bei Weitem weniger gefährlich.“ „Dein Vater war immer so sicherheitsfanatisch, oder? Na ja, kein Wunder, dass du’s nicht kannst“, sein Blick wirkte fast mitleidig, „Wie wäre es, wenn ich deine Hand nehme und dich führe, bis du-...“

Ein Räuspern folgte und Robert wank beiläufig ab. „Schon in Ordnung ich bleibe erstmal hier und schaue, dass ich ein Gefühl für das Eis bekomme.“

„Wenn du am Geländer hängst, wirst du es nicht lernen.“

„Ich brauche einfach noch etwas Zeit.“

„Ah, ach so. Da spricht der Analytiker“, Johnny fuhr ein paar Kurven rückwärts und grinste, „Wenn du damit fertig bist, festzustellen, dass du kein Schlittschuhlaufen kannst, kannst du ja zu mir kommen, und dir von einem Profi zeigen lassen, wie es funktioniert.“

Mit diesen Worten war er verschwunden und Robert seufzte genervt, während er versuchte nicht hinzufallen. Ein paar Minuten teste Robert aus, wie er am besten stand, ehe er bei ein paar anderen Läufern guckte, wie sie sich vorwärtsbewegten. Johnny tauchte in seinem Blickfeld auf und Robert musste zugeben, dass seine Bewegungen wirklich sehr gekonnt wirkten. Als Johnny bemerkte, dass er ihn ansah, grinste er und Robert rollte mit den Augen. Dann konzentrierte er sich wieder darauf, dahinter zu kommen, wie zum Teufel man sich mit Schlittschuhen fortbewegte.

Stückchen um Stückchen kam er voran und er atmete erleichtert aus, als er feststellte, dass er das System allmählich verstanden hatte, wenngleich er sich immer noch ziemlich unsicher fühlte. Immerhin gelang es ihm inzwischen, eine kurze Strecke zu laufen, bevor er sich panisch an der Haltestange festklammerte. Er konnte Johnnys Grinsen ob dieser Szene förmlich auf sich ruhen fühlen. Aber gut, damit musste er wohl leben.

Nach einiger Zeit wagte er sich ein wenig weiter vom Rand weg und zu seiner Überraschung fiel ihm das Laufen nun wesentlich leichter. Vielleicht sah es nicht ganz so elegant und schwungvoll aus wie bei Johnny, aber immerhin. Stolz über seine Leistung blickte er sich um und hielt Ausschau nach seinem Freund, um ihm sein Können zu zeigen.

Während Robert die Zeit damit verbracht hatte, seine Eislauffähigkeiten auszubauen, war Johnny damit beschäftigt, durch die Halle zu laufen und seine Fähigkeiten auszutesten. Er war schon ewig nicht mehr auf dem Eis gewesen! Ab und zu blieb sein Blick an Robert hängen, dessen verkrampfter Anblick ihm ein Grinsen aufs Gesicht zauberte.

„Auf Beutefang?“

Dass die Person mit ihm sprach, realisierte Johnny erst, als sie sich in sein Sichtfeld schob. Erstaunt zog er seine Brauen nach oben, als er eine seiner ehemaligen Freundinnen erkannte. Das Mädchen war schlank, hatte wunderschöne grüne Augen und lange dunkelblonde Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte, trug einen knielangen, grauen Mantel, darunter eine schwarze Hose. Sie wirkte auf den ersten Blick fast ein wenig schüchtern, doch Johnny wusste, dass sie auch anders konnte.

„Tamara“, murmelte er erstaunt und erinnerte sich düster an die Ohrfeige, die er vor ein paar Monaten von ihr kassiert hatte, als er ihre Beziehung beendet hatte, „Schön dich zu sehen.“

„Ich glaube, das würde ich dir in der Tat abkaufen, wenn ich dir bei unserem letzten Treffen keine verpasst hätte.“

„Jaaa...“, er zögerte und hoffte, dass Robert mit seinen Übungsläufen genug beschäftig war, um nicht zu sehen, dass er gerade mit einer Frau sprach. Nicht, dass er die falsche Idee bekam. Er schüttelte den Kopf und seufzte innerlich. Nur, weil er mit jemanden sprach, würde niemand ihm unlautere Motive unterstellen.

„Wie geht es dir, Tammy? Bist du mit deinem Freund hier?“

Die junge Frau lächelte sanft. „Nein, ich bin mit ein paar meiner Freundinnen hier und wir verbringen hier einen kleinen Single-Nachmittag.“

Johnny nickte bestätigend und fühlte ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend. „Das heißt, du bist hier, um einen Kerl aufzureißen?“

Sie lachte. „Ja, das natürlich auch. Aber keine Sorge, von der verbotenen Frucht Johnny McGregor habe ich erst einmal genug.“

Nun, es beruhigte Johnny zumindest, dass er Tamara nicht ein weiteres Mal vor den Kopf stoßen musste. Er seufzte. „Hör zu, es tut mir Leid wegen damals.“

„Dass du mich ausgenutzt hast, oder dass du mich danach eiskalt abserviert hast?“

„Dass ich dich verletzt habe.“

Sein Gegenüber starrte ihn für einen kurzen Moment sprachlos an. „Du hast dich verändert, Johnny.“

Er brachte ein schwaches Lächeln zustande, obwohl es ihm sehr schwer fiel. In dem kurzen Gespräch fühlte er sich unangenehm berührt. Als er noch die ganzen Freundinnen gehabt hatte, war er in seinen Augen ein ziemliches Arschloch gewesen. Hatte er sich wirklich geändert oder war sein Wandel nur von kurzer Dauer? Sein Blick wanderte zu Robert, der eine ganze Strecke frei fuhr.

„Bist du mit jemandem hier?“, die Frage riss ihn aus den Gedanken und sein Blick wanderte zurück zu seiner Gesprächspartnerin, die sich gerade in die Richtung umdrehte, in die er sah, „Die kleine Blonde dahinten?“

Es war ihm klar, dass er es vermutlich bereuen würde, doch aus der Zeit ihrer Beziehung wusste er, dass Tammy die Art Person war, die nicht gleich alles an die Zeitungen verkaufte – ganz im Gegensatz zu einigen anderen Mädchen. Johnny seufzte und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht: „Ja, ich bin mit jemandem hier.“

Sie blickte ihn neugierig an und er zögerte einen kurzen Augenblick. Er hatte Tammy immer gemocht und sie hatte es wohl als eine von wenigen seiner Ex-Freundinnen in der Tat verdient, dass sie die Wahrheit erfuhr. „Ich bin mit Robert hier.“

Tamara drehte sich um und schien Robert zwischen den Leuten zu erkennen. „Deinem ehemaligen Teamkollegen, der jetzt dieses riesige Unternehmen leitet? Wow, ich dachte, ihr hättet euch total zerstritten, ich wusste nicht, dass ihr euch wieder vertragen habt. Das freut mich“, ihre Stimme klang ehrlich, doch Johnny wirkte ein wenig unruhig, was sie dazu brachte, die Stirn zu runzeln. „Was ist?“

„Ich bin mit ihm zusammen.“

Ihr Gesicht zeigte deutlich die Überraschung, als er mit der Nachricht herausplatzte. Er war froh, es endlich einmal jemandem gesagt zu haben. Auch wenn es vielleicht nicht sonderlich nett war, seine Ex mit solchen Tatsachen zu konfrontieren.

Moment. Du bist schwul?“, man sah ihr deutlich an, dass sie sich erst einmal sammeln musste. Er war sich nicht ganz sicher, ob das wirklich daran lag, dass er mit einem Kerl zusammen war, oder dass er gerade eine Beziehung zugegeben hatte.

„So würde ich das nicht sagen“, warf er ein, „Ich stehe eigentlich schon hauptsächlich auf Frauen.“

Sie blickte ihn skeptisch an und musterte ihn von oben bis unten, als suche sie irgendwo ein Zeichen dafür, dass er sie bezüglich der Robert-Sache anlog.

„Hör zu, ich weiß, das Ganze klingt seltsam und der einzige Grund, warum ich es dir erzähle, ist der, dass ich denke, dass du es verdient hast zu erfahren, warum ich damals Schluss gemacht habe.“ Neben den ganzen anderen Freundinnen, fügte er in Gedanken hinzu und sah Tammy ein wenig schuldbewusst an. Deren Blick wirkte immer noch äußerst misstrauisch, fast so, als wäre sie sich nicht sicher, ob er das Ganze nun ernst meinte, oder er sie schlicht und ergreifend verarschen wollte.

Er hob verteidigend die Hände hoch, fast so, als würde er sich ergeben. „Okay, vergiss es einfach ganz schnell wieder.“

„Dir ist schon bewusst, dass du gerade deiner Ex-Freundin wunderbares Material dafür geliefert hast, dich öffentlich bloß zu stellen?“

„Wieso solltest du das tun? Du bist eine wunderbare, liebenswerte Frau und ich denke, das Letzte, was du tun würdest, wäre jemanden mit Schlamm zu bewerfen. Vor allem, wenn er das alleine schon ganz gut hinbekommt.“

Sie stieß ein leises Lachen aus und fuhr sich durch die Haare. Johnny wurde zum ersten Mal bewusst, dass der einzige Grund, weshalb er so offen mit Tammy über die ganze Angelegenheit sprach, der war, dass er außer ihr niemanden kannte, den er in die Kategorie Freund einordnen würde. Obwohl er sie abserviert hatte und vielleicht nicht der beste Liebhaber gewesen war.

Er kannte viele Menschen, hatte Arbeitskollegen und Kunden, mit denen er häufig sprach. Aber einen wirklichen Freund hatte er nicht. Nicht mehr zumindest. Mit Enrico, Oliver und Robert hatte er sich damals eigentlich immer relativ gut verstanden, auch wenn sie mit Sicherheit nicht immer sonderlich freundlich miteinander umgesprungen waren. Die Erinnerungen schmerzten und er versuchte sich wieder Tammy zu widmen, die gequält aufseufzte. „Du machst es einem wirklich nicht einfach, dir die Hölle heiß zu machen, Johnny McGregor.“

Ein schiefes Lächeln war die Antwort, ehe Johnny sich räusperte und meinte: „Ich muss dann mal kurz zurück zu meinem Date. Ich glaube er fliegt gleich auf die Nase.“

„Tu’ dir keinen Zwang an.“

Mit einem Zögern streckte er ihr die Hand entgegen, die sie sanft ergriff.

„Es war schön dich mal wieder getroffen zu haben, Tammy. Es freut mich wirklich, dass es dir gut geht.“

Sie nickte freundlich und er ließ ihre Hand los. „Man sieht sich.“

„Und noch etwas“, grinste Johnny, als er sich in Richtung Robert aufmachte, „Der Typ dahinten mit den schwarzen Haaren hat schon die ganze Zeit ein Auge auf dich geworfen.“

Mit diesen Worten war er wieder verschwunden. Gerade rechtzeitig kam er bei seinem Freund an, um ihn von hinten unter den Armen zu packen und ihn so vor einem Sturz zu bewahren.

„Mein Held“, murmelte Robert und brachte ein schwaches Lächeln zustande, als er sich wieder aufrichtete. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als vergewisserte er sich, dass auch wirklich noch alles an ihm dran war, dann widmete er wieder seine volle Aufmerksamkeit seinem Gegenüber, der ihm mit erwartungsvoller Miene die Hand entgegenstreckte.

„Ich kann inzwischen auch ein ziemliches Stück ohne Hilfe laufen“, kommentierte Robert, was Johnny dazu veranlasste, die Augen zu verdrehen. „Das habe ich durchaus gesehen. Deshalb dachte ich, wir könnten jetzt ein Stückchen zusammen laufen.“
 

Als sie die Eislaufhalle wieder verließen, war es kurz nach sieben Uhr und Johnny schien bester Laune zu sein. Er war entspannt, strahlte übers ganze Gesicht und schien Roberts Hand gar nicht mehr loslassen zu wollen. Nachdem es bereits Abend war, beschlossen sie, gemeinsam essen zu gehen und Johnny stimmte, wenngleich ein wenig widerwillig, zu, dass Robert ihn ausnahmsweise zum Essen einladen durfte.

Im Restaurant angekommen wurden sie freundlich begrüßt, ehe man sie zu ihrem Tisch führte, den Robert allem Anschein nach schon vor einiger Zeit für sie reserviert hatte. Johnny überlegte, ob er deshalb wütend sein sollte, weil Robert ihn nicht zuvor gefragt hatte und er auch noch genau nach Roberts Pfeife getanzt war. Dann wiederum fragte er sich, ob das tatsächlich so schlimm war. Er war sich sicher, dass Robert die Reservierung auch hätte verfallen lassen, wenn Johnny es so gewollt hätte.

Er erkannte, dass genau dieses Denken dazu führte, dass er und Robert sich sooft stritten und bemühte sich darum, sein Temperament ein wenig zu zügeln. Es würde rein gar nichts bringen, wenn er jetzt explodierte oder beleidigt in der Ecke saß.

Vollkommen in seine Gedanken vertieft, hatte er Roberts skeptischen Blick nicht bemerkt, der geduldig auf ihm ruhte, als warte er darauf, dass Johnny irgendeine Reaktion zeigte. Als dieser aufsah und die Situation erfasste, war er dankbar, als der Kellner ihm die Karte vor die Nase schob, in die er sich vertiefen und somit einer möglichen Konfrontation entgehen konnte.

Einige Zeit herrschte Schweigen, ehe Robert meinte: „Und, hast du dich schon für etwas entschieden?“ Johnny sah auf und Roberts freundliches Lächeln ließ ihn beinahe dahinschmelzen. Er räusperte sich und seufzte gequält auf. „Nein, ich kann mich nicht entscheiden.“

„Wegen der Auswahl, oder wegen der Preise?“

Wegen der Preise, aber das musste er Robert ja nicht gleich auf die Nase binden. Er wollte kein Essen haben, das seinen eigenen finanziellen Rahmen sprengte, aber in diesem Restaurant war das kaum möglich. Was Robert sich dabei gedacht hatte, als er ausgerechnet dieses überteuerte Restaurant für den gemeinsamen Abend ausgewählt hatte, wusste er nicht. Aber Johnny wusste, dass er von dieser Wahl alles andere als begeistert war. Es war ihm unangenehm, Robert auf der Tasche zu liegen, aber er konnte das seinem Freund wohl kaum jetzt erklären, während sie hier gemeinsam den Abend genießen wollten. Zumal Robert das wahrscheinlich sowieso schon längst wusste. Es war zum Verzweifeln.

Schnell hatte er sich dazu entschlossen, ein möglichst günstiges Gericht zu wählen, auch wenn das bedeutete, dass er vielleicht etwas wählen würde, was nicht ganz seinen persönlichen Vorlieben entsprach.

Er spürte erneut Roberts Blick auf sich ruhen und versank noch tiefer in der Speisekarte, um einem möglichen Gespräch auszuweichen, zuckte jedoch zusammen, als ihn irgendetwas am Bein berührte. Robert grinste und Johnny starrte ihn entgeistert an. „Robert Jürgens, füßelst du gerade mit mir?!“

Es war nicht so, dass er prinzipiell etwas dagegen hatte, dass Robert es für notwendig erachtete seine Zuneigung auf diese Art und Weise zu zeigen. Ganz im Gegenteil. Aber der Rahmen, in dem sie sich befanden, war in Johnnys Augen alles andere als angemessen. Wenn irgendjemand in diesem Restaurant mitbekam, dass sie ein Paar waren und das dann womöglich an die Presse verkaufte, dann würde das einige rufschädigende Artikel zur Folge haben, die Roberts Ansehen und damit auch seiner Firma mit Sicherheit Schaden würden. Was dachte dieser Kerl sich nur dabei?!

Johnny musterte ihn mahnend und hoffte, dass er vielleicht von selbst zur Vernunft kommen würde, doch da hatte er seine Rechnung ohne Robert gemacht. Er wollte gerade den Mund öffnen, um Robert zu recht zu weisen, doch in diesem Augenblick kam der Kellner und nahm ihre Essensbestellungen auf. Robert besah ihn mit nachdenklichem Blick, grinste neckisch, ehe er auf ein Essen auf der Karte deutete, das er haben wollte. Der Schotte blickte ihn ob der Geheimnistuerei skeptisch an, doch Robert konterte lediglich, indem er sanft mit seinem Fuß sein Bein entlangfuhr. Der Kellner schien davon nichts zu bemerken (oder es sich zumindest nicht anmerken zu lassen) und Johnny murmelte ein wenig unruhig, dass er gerne ein Glas Wasser und das Menü des Tages hätte. Auch wenn das bedeutete, dass er sich mit Zucchini, Paprika und Pilzen herumschlagen musste. Und Schweinefleisch mochte er eigentlich auch nicht so gerne. Innerlich seufzte er gequält auf, dann erschauderte er, als er erneut Roberts liebevolle Berührungen an seinem Bein spürte.

Der Kellner entschuldigte sich und verschwand zu einem der Nebentische.

Robert streckte Johnny die Hand entgegen, der sie zögerlich ergriff, jedoch nicht, ohne sich vorher einmal umzusehen. „Mach dir nicht immer so viele Gedanken“, meinte er leise und strich sanft über seinen Handrücken, „Ich bin mir meiner Verantwortung durchaus bewusst und ich weiß, was ich tue. Ich liebe dich, das dürfen die Leute ruhig sehen.“ Er zögerte einen Augenblick. „Es sei denn du hast damit aus persönlichen Gründen ein Problem. Und ich meine jetzt bitte nichts nach dem Motto ‚Oh mein Gott, Robert versaut sich den Ruf und treibt damit seine Firma in den Ruin‘, denn das ist absoluter Unsinn.“

Ein wenig betreten blickte Johnny zur Seite, da genau das seine Sorge war, ehe er aufblickte und sich ein Lächeln abrang. Immerhin war es doch etwas Positives, dass Robert sagte, dass er ihn liebte und dass es ihm nichts ausmachte, mit ihm gesehen zu werden. Auch in der Eishalle hatte er keinerlei Anstalten unternommen, mögliche zweideutige Situation zu umgehen.

Es war alles so kompliziert geworden...

Johnny musste ein gequältes Seufzen unterdrücken. Ihm war plötzlich alles so verdammt unangenehm und er wollte Robert mit seinen Bedenken sicherlich nicht zur Last fallen... Wenn er etwas mehr Erfahrungen mit vernünftigen Beziehungen gehabt hätte, hätte er vermutlich besser mit der Situation umgehen können. Aber das hatte er nicht. Tatsächlich, war dieser klägliche Versuch einer Liebesbeziehung mit Robert das erste Mal, dass er so eine Angelegenheit ernst nahm.

Auf der anderen Seite war ihm auch bewusst, dass es böse enden könnte, wenn er nicht mit Robert über seine Sorgen sprach.

„Ich tu‘ mir damit echt schwer. Mit der Beziehungssache, meine ich“, gab Johnny zu und zögerte, „Die Sache ist mir wichtig und da ich bisher kaum Erfahrungen habe, bin ich einfach... unsicher.“

„Das ist auch in Ordnung“, meinte Robert mit sanfter Stimme und seine Augen wirkten aufrichtig, „Unsicherheiten gehören dazu, denn es gibt keine Anleitung für eine perfekte Beziehung. Ich liebe dich, das ist wichtig. Ich möchte, dass du mir vertraust, was meine Firma und meinen Ruf betrifft – mach dir darum bitte keine Gedanken.“

Diesmal umfasste Robert seine Hand mit beiden Händen und schloss sie sanft ein.

„Und ich möchte, dass du einfach ehrlich mit mir bist und du dir weniger Gedanken um die Leute machst, sondern einfach auf dein Herz hörst. Ich will keine Beziehung mit dir, die sich nach dem richtet, was die Leute von uns erwarten, sondern eine Beziehung, die ganz alleine uns gehört. Wenn dich aus dir selbst heraus etwas belastet oder du etwas nicht willst, dann sprich mit mir. Aber tu‘ bitte nichts was dir widerstrebt mir zuliebe – ich weiß am besten, was gut für mich ist. Genauso wie du der Einzige bist, der weiß was gut für dich ist. Die Beziehung wird nur funktionieren, wenn wir miteinander reden. Aber das bekommen wir hin, oder?“

Ob Robert wusste, wie beruhigend es war, ihm zuzuhören? Er konnte sich gut ausdrücken, hatte eine angenehme Stimme und Johnny konnte nicht verhindern, dass er sich von seiner Argumentation hinreißen ließ. Er glaubte durchaus, dass sie die Beziehung stemmen konnten – immerhin wollten sie es beide. Und Robert hatte Recht wenn er sagte, dass er mehr auf das hören sollte, was er selbst wollte und was ihm wichtig war, als auf das, was er vermutete, dass von ihm erwartet wurde. Zum ersten Mal, seit sie das Restaurant betreten hatten, fühlte sich Johnny etwas ruhiger und er lächelte sanft. Er sollte genießen, was er hatte und sich nicht darum Sorgen machen, was vielleicht sein könnte.

Sie verbrachten einen wundervollen Abend gemeinsam und als das Essen kam, konnte es sich Johnny nicht nehmen lassen, Roberts Angebot ihre Teller zu tauschen zuzustimmen. Der Typ hatte es sich tatsächlich herausgenommen sein Lieblingsessen zu bestellen. Hätte Johnny es durchaus als kränkend empfunden, wenn er den Kellner aufgefordert hätte, gleich die Bestellungen zu tauschen, so war die Nachfrage eine Sache, die ihn sehr schmeichelte.

Robert konnte mit ihm umgehen. Er schaffte es, dass er sich gut, dass er sich von ihm geliebt fühlte. Ein Gefühl, dass er in den letzten Jahren stark vermisst hatte. Robert war berechnend, aber auf eine Weise, die ihm immer noch den Freiraum zur Entscheidung ließ.

Natürlich gab es zwischen ihnen dennoch noch genügend Spannungen. Die Vergangenheit ließ sich nicht einfach leugnen – allerdings ließ sie sich auch nicht mehr ändern. Es war passiert. Trotz alldem wollte er Roberts Nähe. Und Johnny fühlte sich in dieser Beziehung einfach wohl.
 

Als sie um elf Uhr des sechsundzwanzigsten Dezembers am Haus der Familie von Roberts Schwester Sonja ankamen, war Johnny seine innere Unruhe deutlich anzusehen. Robert schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, denn ihm war Johnnys Angespanntheit bereits am Morgen aufgefallen. „Du musst nicht mitkommen, wenn es dir unangenehm ist“, meinte er mit sanfter Stimme, auch wenn ihm schon vor Johnnys Kopfschütteln klar gewesen war, dass er das Angebot einen Rückzieher zu machen ausschlagen würde. Robert beugte sich ein Stück nach vorne und küsste ihn auf die Wange, ehe er den Gurt löste und aus dem Auto stieg. Johnny folgte seinem Beispiel und nachdem sie die Geschenke von den Rücksitzen geholt hatten, schloss er seinen Wagen ab.

Johnny war schon einmal hier gewesen – nämlich als er den Versuch unternommen hatte, sich bei Robert wegen der Ohrfeige zu entschuldigen, die er ihm verpasst hatte. Und vermutlich auch wegen der unschönen Worte, die er ihm an den Kopf geworfen hatte. Zu dem Zeitpunkt war Robert nicht da gewesen, zumindest hatte ihm das Sonja erzählt. Er hatte damals nicht das Gefühl gehabt, dass Sonja gewusst hatte, mit wem sie gerade sprach. Und das war auch gut so gewesen, da seine Beziehung zu ihr seit jeher eher schwierig gewesen war.

Diesmal würde er sich aber offenbaren müssen und das bereitete ihm ein gewisses Unbehagen – auch wenn die Tatsache, dass Robert ihn mit zu seiner Familie schleppte, wirklich überaus positiv zu werten war. Zudem erwartete er ja auch, dass Robert ihn am Abend zu seinen Eltern begleiten würde.

Robert, der in der einen Hand die Tüte mit den Geschenken trug, streckte seinem Freund die andere entgegen. Johnny nahm sie geradezu dankbar an und klammerte sich förmlich daran fest. Als sie schließlich vor der Haustür zum Stehen kamen und Robert die Klingel betätigte, wurde Johnnys Griff fester.

„Es wird schon alles klappen“, murmelte Robert ihm leise zu, als auch schon die Tür aufgerissen wurde und Sonja mit einem fröhlichen Lächeln im Türrahmen stand. „Robert, es freut mich, dass du es geschafft hast.“

Sie umarmte ihren Bruder und ihre Augen sprühten vor Neugierde als sie Johnny sah, doch sie vergaß ihre Höflichkeit nicht und bat ihre beiden Gäste zunächst einmal in das Haus.

Sie streckte Johnny die Hand entgegen, die er zögerlich ergriff, schüttelte, dann jedoch recht schnell wieder losließ. „Hallo, ich bin Sonja, die-...“

„Ich weiß, wer du bist, Sonja“, der Schotte zögerte einen Augenblick, in dem Sonja ihrem Bruder einen fragenden Blick zuwarf, ehe sie ihr Gegenüber aufmerksam musterte. Johnny seufzte. „Ich bin’s – Johnny.“

Sonja starrte ihn schockiert an und sie schien ihn nun tatsächlich zu erkennen, dann sah sie zu ihrem Bruder. „Du hast Nerven!“, polterte sie, „Ausgerechnet Johnny McGregor hier anzuschleppen – was soll das?!“

Johnny verschränkte die Arme vor der Brust und blickte düster drein, Robert legte ihm sanft seine freie Hand auf die Schulter. „Du hast mich darum gebeten, dass ich dir meinen Freund vorstelle. Bitte sehr.“

Sonja warf Johnny einen giftigen Blick zu (was weitaus weniger schlimm war als der befürchtete Rauswurf), besann sich dann jedoch eines Besseren. Ob es daran lag, dass sie nicht wie eine Furie wirken wollte oder aber, weil ihr wieder eingefallen war, dass aktuell Weihnachten war, war wiederum eine andere Sache.

„Kommt doch erstmal rein, die Kinder werden sonst noch ungeduldig“, meinte sie bemüht ruhig und höflich, fügte jedoch leise und an Robert gewandt hinzu: „Und wir sprechen uns noch.“

Voller Freude begrüßten Roberts Neffen ihren Onkel und mit noch mehr Begeisterung stürzten sie sich auf die Geschenke. Johnny verstand sich auf Anhieb sehr gut mit Tobias und zum allgemeinen Erstaunen kam er genauso gut mit den Kindern klar und wurde sofort von den beiden in Beschlag genommen – was er bereitwillig über sich ergehen ließ.

Sonja zog sich in der Zwischenzeit in die Küche zum Kochen zurück. Robert bot ihr seine Hilfe an, wobei das vor allem den Grund hatte, dass er wusste, dass seine Schwester das dringende Bedürfnis hatte mit ihm zu reden.

„Jonathan McGregor“, murrte sie und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, „Bei all den Männern, die es auf diesem Planeten gibt – warum musste es ausgerechnet er sein?“

Robert sah sie freundlich an und setzte sich an den Küchentisch, um das Gemüse zu schneiden. „Weil er ein feiner Kerl ist.“

„Er ist vor allem eines“, sie schüttelte den Kopf und wirkte so, als fiele es ihr nach wie vor schwer die ganze Sache zu glauben, „ein Playboy. Das ist seine Masche – er gaukelt dir das große Glück vor und dann haut er ab und lässt dich im Regen stehen, wenn er genug von dir hat.“

Robert lächelte etwas schief. „Er hat mir schon gesagt, dass du seit der Sache mit deiner Freundin nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen bist.“

„Und ich werde noch viel schlechter auf ihn zu sprechen sein, wenn er mit dir durch ist“, schimpfte Sonja und setzte eine Pfanne auf, in die sie etwas Öl goss. Robert sah ihr einen Moment lang schweigend zu, ehe er mit ruhiger und ernster Stimme sprach: „Er hat sich verändert.“

„Nein, das hat er nicht. Das spielt er dir nur vor. Am Ende wird er dir das Herz herausreißen.“

„Mal' nicht gleich den Teufel an die Wand. Es läuft aktuell wirklich gut zwischen uns. Und dir wird ja wohl selbst aufgefallen sein, dass es in den letzten Wochen keine einzige negative Schlagzeile über Johnnys Privatleben gab“, er schob die kleingeschnittenen Karotten zur Seite und machte sich an die Paprika, „Außerdem muss ich mich nicht zuletzt bei dir bedanken. Hättest du mich nicht ermutigt, dann hätte ich mich wohl nicht auf die Sache eingelassen.“

„Hätte ich gewusst, dass es Johnny ist, der dir den Kopf verdreht, dann-...“

„Bitte, Sonja. Gib' ihm eine Chance. Ich weiß, du hattest schon immer deine Schwierigkeiten mit ihm, aber ich liebe ihn. Und ich fände es schön, wenn du das akzeptieren könntest.“

Ein Schnauben war die Reaktion und Sonja wendete die Fischfilets in der Pfanne. „Weiß du, als kleines Mädchen hatte ich meine Rivalitäten mit Johnny. Ich konnte ihn einfach nicht leiden, weil er so viel Aufmerksamkeit von dir bekommen hat – und noch dazu mehr als offensichtlich etwas von dir wollte. Eine Sache, mit der ich als Kind einfach nicht klar kam“, sie wandte sich um, sah ihn offen an, „Dass ich aktuell meine Schwierigkeiten mit ihm habe und ich stark daran zweifle, dass das zwischen euch jemals funktionieren wird, hat zwei Gründe: Zum einen wechselt er seine Beziehungen wie andere ihre Unterwäsche, zum anderen hat er dich schon mal sitzen gelassen.“

Robert schwieg, starrte ernst drein und schien für einen Moment unschlüssig, ehe er das Messer beiseite legte. „Hör zu, Sonja. Das damals war meine Schuld. Ich habe Johnny verletzt und dass er daraufhin nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, kann ich durchaus verstehen.“

„Hast du ihn wohl beim Schach nicht gewinnen lassen, sodass er eingeschnappt war?“, fragte Sonja sarkastisch und gab das geschnittene Gemüse zum Dünsten in einen Topf.

Robert zögerte wiederum. Er hatte in all den Jahren mit keiner Menschenseele über das, was damals zwischen ihnen passiert war, gesprochen und er wusste, dass es mit Sicherheit kein gutes Licht auf ihn selbst werfen würde. Wenn es jedoch dazu beitrug, dass Sonja Johnny akzeptierte, würde es sich vermutlich lohnen.

„Hör zu, ich habe aus gutem Grund bis heute mit niemandem darüber gesprochen. Ich wünschte, es wäre wirklich nur so eine lächerliche Banalität gewesen“, Sonjas Blick ruhte auf ihm und Robert sah ernst drein, während er sich ein Stückchen zurücklehnte, um bequemer zu sitzen.

„Dass Johnny damals in mich verknallt war, stimmt. Auch wenn ich das zu dem Zeitpunkt wirklich nicht wusste, wie ich zu meiner Verteidigung sagen muss. Wir hatten damals diese BBA-Feier, bei der ich zu viel getrunken hatte. Das Ende vom Lied war, dass ich Johnny verführt und mit ihm geschlafen habe – nur um ihm an nächsten Morgen einen Korb zu geben. Er hatte sich wirklich Hoffnungen gemacht“, es tat erstaunlich gut, endlich einmal mit einer außenstehenden Person darüber zu reden. Nicht, dass er sich erhoffte, dass Sonja ihm sagte, dass die Sache halb so schlimm war, aber die Angelegenheit in Worte zu fassen, hatte etwas Beruhigendes. Auch wenn er befürchtete, dass das Bild, das Sonja von ihm hatte, nun ziemlich getrübt war. Es herrschte Schweigen und sie blickten sich ernst an, alleine das Brutzeln des Mittagessens durchbrach die Stille, ehe Sonja seufzte.

„Er hätte nicht mit dir schlafen müssen“, meinte sie ruhig, „Oder hast du ihn dazu gezwungen?“

„Ich habe in ihm falsche Erwartungen geweckt. Es ist meine Schuld, was passiert und was aus ihm geworden ist“, murmelte Robert lahm, doch Sonja zuckte zu seiner Überraschung mit den Schultern. Als sie sprach klang ihre Stimme geradezu sanft: „Ja, ich denke du hast Mist gebaut – aber Johnny trifft genauso die Schuld. Er war naiv, dass er sich ohne jedwede Grundlage einer festen Beziehung von dir hat flachlegen lassen. Er hätte nicht mitmachen müssen. Und auch was das betrifft, was danach kam – es war seine Entscheidung, sich so zu verhalten. Er hätte jederzeit etwas an sich ändern und bewusst über das, was er da tut, nachdenken können. Im Endeffekt hat er im großen Stil genau das getan, was er an dir verurteilt hat.“

Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Vermutlich verstehe ich die Sache zwischen euch nun tatsächlich etwas besser. Aber ist es das, was du machst? Versuchst du dein Gewissen zu beruhigen, indem du dich jetzt von ihm ausnutzen lässt? Das macht die Sache nicht besser, sondern ist genau wieder das gleiche Problem.“

„Es ist nichts dergleichen, Sonja. Als ich sagte, dass ich ihn liebe, meinte ich es auch so. Er ist ein wunderbarer Mensch. Natürlich hat er Macken – die haben wir alle. Wir würden es nicht versuchen, wenn wir es nicht beide wirklich wollten. Wir haben die Sache im Griff, ja?“, er kam nicht umhin zu lächeln, „Und immerhin warst du doch diejenige, die mich in den letzten Monaten immer wieder zu der Beziehung ermutigt hat.“

Sonjas Blick verdüsterte sich. „Das war, bevor mir klar war, wie ungesund die ganze Sache ist.“

Wenn sie sich zurückerinnerte, waren das jedoch genau die Bedenken, die Robert ihr gegenüber geäußert hatte und die sie zerschlagen hatte. Sie seufzte.

„Solange ihr glücklich miteinander seid, ist es in Ordnung, denke ich. Aber wenn die Sache scheitert, komm ja nicht zu mir, um dich auszuheulen!“

Der restliche Besuch verlief ohne größere Vorkommnisse. Sie aßen gemeinsam zu Mittag und Sonja behandelte Johnny nun auch weniger grob und abweisend. Nachdem sie fertig gegessen hatten, verabschiedeten sie sich voneinander und Robert und Johnny verließen das Haus.

Als sie wieder im Auto saßen, beugte sich Robert vor und küsste Johnny, der ihn jedoch argwöhnisch musterte. „Was hast du Sonja erzählt? Dass ich im Sterben liege? Anders kann ich mir wirklich nicht erklären, dass sie nach dem Kochen plötzlich so nett zu mir war.“

„Wir haben uns einfach unterhalten. Hauptsächlich darüber, warum sie so ein Problem mit dir hat. Sie ist nach wie vor nicht glücklich über unsere Beziehung, glaube ich. Aber zumindest scheint sie sich damit abgefunden zu haben.“

„Wie tröstlich“, murmelte Johnny und steckte seinen Autoschlüssel in das Zündschloss, „Nur, damit du vorbereitet bist: dein Empfang bei meinen Eltern wird vermutlich sehr überschwänglich werden. Immerhin sind sie der festen Überzeugung, dass es dein Verdienst war, dass ich mich wieder bei ihnen blicken lasse.“

Und so war es tatsächlich. Im Gegensatz zu Sonja, die mit Johnnys Anwesenheit überrascht worden war, hatten sich Johnnys Eltern auf Robert einstellen können und die Tatsache, dass er Johnny dazu gebracht hatte, sie wieder mit ihnen zu versöhnen, rechneten sie ihm allem Anschein nach hoch an. Der Einzige, der etwas mürrisch dreinblickte, war William, Johnnys jüngerer Bruder. Auch wenn er sich an den Gesprächen beteiligte, musterte er Robert argwöhnisch, was dieser jedoch sehr geschickt überging.

Es wurde ein schöner Abend, das Abendessen war reichlich und ausgezeichnet und die Unterhaltungen sehr fröhlich. Als sie sich losreißen konnten, war es bereits sehr spät und Johnnys Eltern boten ihnen an, dass sie über Nacht bleiben konnten. Nach kurzer Überlegung stimmten sie dem auch zu.

Obwohl er an diesem Tag mehr als genug gegessen hatte, kam Johnny nicht umhin, sich in den frühen Morgenstunden noch einmal in Richtung Küche zu begeben. Vielleicht hatte ihn der Sex vor dem Schlafengehen ein wenig aufgekratzt, oder aber es war Williams Verhalten, das ihn nicht in Ruhe ließ. So oder so, war er vorsichtig und leise aus dem Bett gekrabbelt, um Robert nicht zu wecken, hatte sich etwas übergeworfen und sich auf den Weg zu einem kleinen Snack gemacht. In der Küche musste er jedoch feststellen, dass er nicht der Einzige mit diesem Plan gewesen war.

„Hey“, begrüßte er William, der im ersten Moment überrascht aufsah, dessen Blick sich jedoch dann wieder verdüsterte. Sein Bruder löffelte gerade einen Jogurt, er selbst griff nach einem Apfel und erinnerte sich unweigerlich daran zurück, dass sie als Teenager öfter einmal gemeinsam einen mitternächtlichen Snack zu sich genommen hatten. Es herrschte einige Zeit Schweigen und William musterte ihn aufmerksam.

„Du hast echt Nerven hier nach all der Zeit wieder aufzutauchen“, meinte er dann in vorwurfsvollem Tonfall, „Und dann lässt du dich noch ausgerechnet von Robert knallen? Mir scheint du lernst echt nicht aus deinen Fehlern.“

Da er nicht sicher wusste, wie er reagieren sollte, sah Johnny sein Gegenüber lediglich nachdenklich an, schwieg jedoch.

„Ich weiß ja nicht, ob du es vielleicht vergessen hast“, fuhr William aufgrund der fehlenden Reaktion fort, „Aber das letzte Mal hat dich der Kerl eiskalt abserviert und alles endete im Debakel. Meinst du, es macht mir Spaß, dir wieder dabei zuzusehen, wie du dich in die Scheiße reinreitest?“

„Es tut mir Leid“, Johnny sprach langsam und man hörte, dass es ihm ernst war, „Es tut mir Leid, was damals gelaufen ist. Ich war einfach mit allem überfordert.“

Sein Bruder besah ihn weiterhin mit düsterem Blick. „Du warst früher immer mein großes Vorbild, weißt du? Ich meine, bevor du alles hingeschmissen und mich im Stich gelassen hast. Alles wegen diesem Arschloch! Und jetzt schleppst du den Typen schon wieder an!“, Johnny war sich sicher, dass William gar nicht bewusst war, dass er ihn in seiner Wut fast anschrie und er überlegte, ob dadurch vielleicht seine Eltern oder Robert in ihrem Schlaf gestört würden. Dass William so gut über das, was bei der Feier zwischen ihm und Robert gelaufen war, Bescheid wusste, verwunderte ihn jedoch nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass William sich einen von Roberts Entschuldigungsbriefen unter den Nagel gerissen und ihn gelesen hatte, war sehr groß und er konnte es seinem Bruder nicht einmal verübeln. Vermutlich hätte er ähnlich gehandelt, wenn jemand aus seinem Umfeld plötzlich so durchgedreht wäre und sich penetrant geweigert hätte, mit irgendjemandem darüber zu sprechen.

„Was soll ich schon groß sagen? Was zwischen mir und Robert war, ist schwierig. Aber es ist so viel Zeit vergangen, vieles hat sich geändert. Ich kann deine Wut verstehen, aber ich liebe ihn. Er hat mir eine neue Perspektive eröffnet und ist auch der einzige Grund, dass ich jetzt wieder hier sitze.“

„Er ist auch der einzige Grund, warum du überhaupt abgehauen bist.“

Johnny schwieg, sah ihn müde an. Er kannte das Gespräch, er hatte es in den vergangenen Wochen oft genug immer wieder durchgespielt – mit sich selbst. Jedes Mal, wenn er sich gefragt hatte, ob die Beziehung mit Robert auch wirklich die richtige Entscheidung war.

„Ich liebe ihn“, wiederholte Johnny mit Nachdruck, „Er gibt mir das, was ich brauche. Ich habe mich die ganzen letzten Jahre wirklich mies gefühlt und habe versucht, mich dadurch auszugleichen, dass ich eine Beziehung nach der anderen hatte. Mit Robert ist es anders, er bedeutet mir wirklich viel. Wir haben uns beide verändert, aber das ist das Leben: alles verändert sich. Ich kann verstehen, dass du sauer auf mich bist, dass du sauer auf Robert bist und dass das Letzte, was du willst, eine Beziehung zwischen uns ist. Aber was passiert ist, ist passiert. Die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern und dem nachzutrauern hilft rein gar nichts. Wir können nur daraus lernen und sie akzeptieren. Im Endeffekt ist das Wichtige, was jetzt von Bedeutung für mich ist. Und ich brauche Robert. Du musst das nicht verstehen.“

William schüttelte den Kopf. „Nein, muss ich nicht.“

Auch wenn sein Bruder nach wie vor nicht sonderlich angetan von ihrer Beziehung war, so standen doch zumindest seine Eltern hinter ihnen, was Johnny eine gewisse Sicherheit bot. Niemand hatte je behauptet, dass die Sache zwischen ihnen einfach werden würde.
 

Die folgende Woche war wundervoll. Nach all den Monaten war es ein schönes Gefühl, sich wieder nahe zu sein und gemeinsam etwas zu unternehmen, sich überhaupt besser kennen zu lernen. Immerhin gab es immer noch viel zu viele Dinge über den jeweils anderen, die sie beide nicht wussten, beginnend bei Interessen und Hobbys. Wieder ein Punkt, bei dem Robert sich fragte, wie er jemanden lieben konnte, von dem er kaum etwas wusste.

Am Abend nutzten sie ihre Zeit zumeist dazu, ihre Schachfertigkeiten wieder aufzufrischen. Als Scherz hatte Johnny vorgeschlagen, Stripschach zu spielen, was ihnen beiden jedoch letzten Endes tatsächlich Freude bereitete. Robert half Johnny dabei, ein wenig an seiner Taktik zu feilen und tatsächlich gelang es ihm nun auch ab und an, seinen Freund Schachmatt zu setzen. Für Johnnys Geschmack nahm dieser das jedoch viel zu gelassen hin, was ihn zu der Vermutung brachte, dass Robert ihn absichtlich gewinnen ließ.

Silvester verbrachten sie gemeinsam in Johnnys Wohnung und das neue Jahr begann mit leidenschaftlichem Sex, der davon unterbrochen wurde, dass das Telefon mehrfach klingelte. Da Robert am Abend bereits wieder im Flieger nach Hause sitzen würde, ließen sie sich davon jedoch nicht beirren. Sie konnten die Neujahrsanrufer auch immer noch am Morgen zurückrufen. Oder zumindest, nachdem sie aufgestanden waren, denn sie verbrachten den gesamten Vormittag im Bett, wogegen Johnny wirklich nichts einzuwenden hatte. Er liebte es, wenn Robert ihn im Arm hielt und er sich gleichermaßen an ihn kuscheln konnte.

Umso schwerer fiel letzten Endes der Abschied. Die Tage waren viel zu schnell vergangen und wenn Johnny daran dachte, dass es wieder eine gefühlte Ewigkeit dauern würde, bis er Robert wieder berühren konnte, bekümmerte es ihn sehr. Und trotzdem freute er sich bereits darauf, wenn das Warten ein Ende haben würde. Insgeheim fragte er sich, wann es soweit sein würde, dass sie sich dauerhaft nah sein konnten und keine so große Distanz zwischen ihnen stand.

Mit einem Kuss und einer Umarmung verabschiedeten sie sich am Terminal voneinander und Johnny blickte seinem Freund noch eine ganze Weile hinterher, ehe er mit einem Seufzen das Gebäude verließ und sich zu seinem Auto aufmachte.

Nun, da Robert weg war, wollte er sich auch die Zeit nehmen, all die Neujahrsbenachrichtigungen und –anrufe zu beantworten und er sah seine Mailbox und die Anruferliste durch. An einer Telefonnummer blieb er jedoch hängen und irritiert runzelte er die Stirn. Melody hatte ihn angerufen.

Wann hatte er das Mädchen zuletzt gesehen? Das war im Juni gewesen, kurz nachdem Robert ihn gesund gepflegt und er gehofft hatte, ihn zu vergessen, wenn er nur wieder mit einer seiner Freundinnen ins Bett ging. Er hatte sich getäuscht und das Mädchen hatte seine Abweisung nicht sonderlich gut weggesteckt. Zahlreiche Anrufe und Nachrichten hatten ihm einiges an Zeit und Nerven gekostet, aber letzten Endes hatte er es doch geschafft, ihre Hoffnungen auf die Fortführung ihrer Beziehung im Keim zu ersticken. Zumindest hatte er das geglaubt. Er startete den Rückruf und hörte kurze Zeit später, wie das Gespräch angenommen wurde und Melodys Stimme meldete sich mit einem höflichen „Ja?“.

„Melody, ich habe dir doch gesagt, dass es vorbei ist!“, Johnnys Stimme klang vermutlich ein bisschen wütender, als es beabsichtigt gewesen war. Allerdings hatte er Sorge, dass ihr neuaufkeimendes Interesse an ihm seine Beziehung zu Robert gefährden würde. Kurze Zeit herrschte Schweigen.

„Ich wusste bisher nicht, wie ich es dir sagen sollte“, erklang zögerlich die Stimme in seinem Hörer und es folgten die Worte, die all sein Glück innerhalb eines Sekundenbruchteils zerstörten.

„Ich bin schwanger, Johnny. Und du bist der Vater.“



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