Montserrat Caballé
Kapitel 12 - Montserrat Caballé
Noémie Al-Sayf war stets beherrscht und leitete Vollzeit als Notarin ihre eigene französische Kanzlei. Bereits sehr jung hatte sie stets nur ein Ziel vor Augen gehabt und dieses auch nahezu erbarmungslos verfolgt: Perfektion. Für eine perfekte Bilanz ging sie über Leichen – das wussten ihre Kollegen, und das wussten auch ihre Kinder so wie ihr Mann Malo.
Noémie hatte schon immer versucht einem gewissen Standard anzugehören und sich in Frankreich bei den führenden Templer-Familie einzugliedern. Drei mal die Woche hatte sie Yoga mit Mme De Sable, 2 mal traf sie sich mit Mme Tréard zum Schwimmen. Sie hatte sogar dafür gesorgt, dass ihr Mann sich jeden Freitag mit General Rousseau auf ein Feierabendbier traf. Alles in allem leitete sie ein perfektes kleines Familienunternehmen.
Bis Malik gerade eben am Essenstisch all ihre kommenden Hoffnungen noch nähere Bindungen mit den De Sables zu knüpfen wie mit einem Fleischermesser durchtrennt hatte, als er nach langem Rumdrucksen schlussendlich zugab nicht mehr mit Robert zusammen zu sein. Dabei wollte Noémie doch eigentlich nur nachfragen ob Malik sich nicht aber dazu entscheiden würde zu Robert zu ziehen.
„Malik Al-Sayf, das bringst du sofort in Ordnung!“ Malik hätte sich am liebsten Ohropax tief in die Ohren gesteckt um dem schrillen Ausbruch seiner Mutter zu entkommen. Er wusste, dass es nicht einfach bei seinen Eltern werden würde aber die Explosion der Gefühle seiner Mutter war für den jungen Araber dann doch ein wenig zuviel des Guten gewesen. Zwischen mehreren „Weißt du eigentlich was du dir damit antust?!“ und einigen „Weißt du eigentlich was du uns damit antust?!“ und schlussendlich dann auch noch mehreren „Weißt du eigentlich was du mir damit antust?!“ schaffte der junge Araber es nicht sich seiner Mutter entgegenzustellen. Klar, er war zwar schon 26, aber Eltern blieben Eltern und seine Mutter hatte es ihm eigentlich noch nie wirklich einfach gemacht.
Seufzend lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und wartete ab – das war jedenfalls das Klügste was er momentan machen konnte. Noémie war außer sich vor Wut und stampfte vor dem Essenstisch auf und ab, räumte Schüsseln und Salatbestecke von A nach B und schimpfte zwischendurch unaufhörlich auf Malik ein. Sein Vater saß am gegenüberliegenden Ende des Tisches und seufzte tief auf, bedeutete Malik jedoch ruhig zu bleiben.
Malik drehte den Kopf weg und schaute fast schon trotzig auf den Teller vor ihm, Arme vor der Brust verschränkt. Normalerweise hatte er diesen Sonntag gar nicht zum Essen auftauchen wollen. Er stand ja fast tagtäglich in Telefonkontakt mit Beiden und eigentlich war er damals ganz froh gewesen der Kontrolle seiner Mutter zu entkommen, jedoch besaß Malik einen ausgesprochen ausgeprägten Sinn für Familie und dieser zog ihn immer wieder nach Hause zurück. Außerdem war Roger selber bei seiner Familie zum Essen und Malik wollte nicht alleine in der WG zurückbleiben. Des Weiteren mochte er seinen Vater, vor allem wegen der Bodenständigkeit und Ruhe die er ausstrahlte.
„Hörst du mir überhaupt zu?!“, Noémies Stimme war mittlerweile bei einer Tonart angekommen welche Montserrat Caballé noch Konkurrenz gemacht hätte. Malik blickte auf und verzog kurz gleichzeitig mit seinem Vater das Gesicht – wenn seine Mutter so weiterschreien und auch weiterhin so schrill bleiben würde, mussten beide mit einer schweren Mittelohrentzündung rechnen.
„'Tschuldigung. Was hast du gesagt, Mama?“, Malik versuchte unschuldig zu wirken, doch anstatt seine Mutter damit zu beschwichtigen, schien er sie nur noch mehr aufzuregen. Noémie knallte das Handtuch,welches sie gerade noch in der Hand hatte auf den Tisch und zischte: „Mit deinem Bruder Kadar haben wir nie solche Probleme gehabt!“
Malik zog scharf die Luft ein und verengte die Augen: „Ach sind wir wieder so weit,ja?!“
„Was meinst du?!“
„Du weißt genau was ich meine! Immer heißt es nur Kadar ist hier, Kadar ist da, ach Malik wusstest du schon? Kadar hat hier und dort.Hast du vergessen, dass du zwei Söhne hast?!“, Malik war von seinem Stuhl aufgesprungen und hatte mittlerweile ebenfalls die Hände auf die Tischplatte vor sich geknallt.
Noémie zog scharf die Luft ein, ehe sie bitter antwortete: „Nein Malik, leider hast du mir heute wieder einmal bewiesen, dass du es nicht schaffst dich bei uns Al-Sayfs zu integrieren. Du warst schon immer ein schwieriges Kind. Weißt du, dein Bruder Kadar-“
„Schweig!“, Malik bebte und betonte nun jedes einzelne Wort seines folgenden Satzes: „Ich sag es dir noch einmal klar und deutlich Mutter, damit auch du es in Zukunft verstehen wirst: Es interessiert mich absolut einen Scheißdreck was mein Bruder macht, wo er sich befindet, oder was er den ganzen Tag von sich gibt!“
„Unerhört!“, die Braunhaarige schrillte wieder auf, doch Malik hörte ihr bereits nicht mehr zu.
In seiner Wut knallte er nun ebenfalls die Serviette auf den Tisch und ging in schnellen Schritten hinüber ins Wohnzimmer zur Couch, wo sein Trenchcoat bereits auf ihn wartete. Noémie wollte gerade wieder ansetzen während Malik nach seinem Trenchcoat griff, als sich nun endlich Malo mit seiner ruhigen tiefen Stimme zu Wort meldete: „Noémie,Malik, es reicht.“
Eigentlich waren in der Familie Al-Sayf die Rollen eindeutig zugeteilt und Malo hat wahrlich nicht den Platz des Familienoberhauptes inne, dennoch stoppten Malik und selbst seine Mutter mitten in ihren Bewegungen und sahen beide den älteren Araber an. Malo räusperte sich kurz und blickte dann zu seinem Sohn: „Gehst du bitte in mein Arbeitszimmer? Ich komme gleich nach.“ Malik schnaubte, schnappte dann aber nach seinem Trenchcoat und begann im Gang die Treppen nach oben zu steigen ohne seine Mutter auch nur eines Blickes zu würdigen.
Er betrat das Arbeitszimmers seines Vaters und hörte noch die Stimmen seiner Eltern diskutieren bevor er die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Schnaubend warf er den Trenchcoat über einen der Sessel und marschierte schnurstracks zum Bücherregal am Ende des Raumes. Als Kind hatte er sich oft im Zimmer seines Vaters verschanzt wenn er sich wieder einmal von der Welt ungerecht behandelt gefühlt hat – meistens war es eigentlich nur seine Mutter gewesen welche Kadar wieder mal bevorzugt hatte.
Malik hatte nichts gegen seinen Bruder, ganz im Gegenteil. Die beiden hatten ein eher freundschaftliches und entspanntes Verhältnis, auch wenn sie sich in letzter Zeit nicht mehr so oft sahen. Wenn er so genau darüber nachdachte, könnte er sich eigentlich mal wieder bei seinem Bruder melden. Seufzend schüttelte der Araber leicht den Kopf um auf andere Gedanken zu kommen und machte sich auch sogleich daran die Buchrücken der verschiedenen Bücher seines Vaters abzulesen.
Er hatte sich früher – vor allem als er noch sehr jung war - wenn er wütend war oder einfach abschalten wollte öfters hierhin zurückgezogen und angefangen die Buchtitel der verschiedenen Bücher einzustudieren. Er wusste, dass sich die klassische Literatur genau neben der Zeitgenössischen befand, und er wusste ebenfalls, dass sich selbst Klassiker der Kinderliteratur wie Peter Pan neben solch bedeutenden Größen wie Harry Potter standen – und Malik hatte sie fast alle gelesen.
Malik schmunzelte leicht. Als Kind hatte er seinen Vater mal gefragt, warum er als Notar eigentlich keine Bücher über das Recht in seinem Arbeitszimmer hatte, aber Malo hatte ihm nur geantwortet, dass seine Mutter genügend Bücher über Recht und Ordnung ansammeln würde, dann bräuchten sie nicht auch noch eine zweite Bibliothek voller Rechtsbücher.
Seufzend blätterte Malik in einem weiteren Buch welches er gerade aus dem Regal genommen hatte und sah verblüfft auf verschiedene Zeichen und Buchstaben, als er auch schon hörte wie sich die Tür öffnete. Er blickte seinen Vater kurz an und stellte das Buch dann zurück ins Regal neben zwei weitere mit dem gleichen alten Ledereinband ohne jeglichen Buchrücken, bevor er sich zurück zu seinem Vater wandte und sich in den gepolsterten Sessel fallen ließ.
Malo ließ sich ihm gegenüber in den Bürostuhl fallen und seufzte tief auf.
Malo Al-Sayfs Stärke war eigentlich seine ruhige und gelassene Art mit welcher er es schaffte, eigentlich jeden auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. Obwohl er eigentlich nicht als das Familienoberhaupt galt in der Al-Sayf Familie – was wohl vor allem daran lag, dass auf Noémie nicht nur das Haus sondern auch die gemeinsame Kanzlei der beiden lief – strahlte er eine gewisse Präsenz aus, die einem sofort durch Mark und Bein fuhr.
Er schmunzelte leicht und Malik entspannte sich merklich, ließ seinen Blick auch von trotzig auf gespannt wechseln. „Du hast deiner Mutter ja einen starken Schrecken eingejagt-“, noch bevor Malik sich verteidigen konnte, winkte Malo ab und setzte weiter ruhig an: „-dennoch ist es völlig und allein deine Angelegenheit und ich werde mich natürlich auf keinen Fall dort einmischen.“ Malik schwieg und sah seinen Vater nachdenklich an, welcher ihn jedoch fast schon amüsiert beobachtete.
Malo räusperte sich noch einmal und wechselte dann gekonnt das Thema: „Wie ist denn dein neuer Job eigentlich?“ Malik musste unweigerlich bei der Gelassenheit seines Vaters Grinsen. Das bedeutete dann wohl, dass seine Mutter sich unten am abreagieren war und er zusammen mit seinem Vater wohl noch etwas länger darauf warten müsste, dass der Drache wieder mit dem Feuerspucken aufhören würde. Lächelnd lehnte der Araber sich leicht in die Polster zurück und begann daraufhin langsam zu erzählen.