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Die Seele der Zeit

Yu-Gi-Oh! Part 6
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, diesmal hat es etwas länger gedauert, dafür ist das Kapitel aber auch nicht so kurz, wie das vorige. Danke wieder einmal an Seelendieb und Rowanna für ihre Kommentare zum letzten Kapitel und viel Spaß mit diesem! Komplett anzeigen

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Am Abgrund - Teil IV

Der Boden bebte leicht, als Anubis die Straße hinab sprintete. Auf seinem Rücken trug er Marik und Samira, die gemeinsam vom Vorplatz Thebens entkommen waren. Erst, als die Bestie sicher war, einen gebührenden Abstand zwischen ihre Schützlinge und die feindliche Bedrohung gebracht zu haben, hielt sie an und ließ ihre Passagiere absteigen.

„Es wird nicht lange dauern, bis sie uns eingeholt haben“, stellte Mariks fest.

Eine Staubwolke an dem Ende des Weges, von welchem sie gekommen waren, kündigte die Soldaten ebenso an, wie der Lärm, den sie verursachten.

„Sollen sie. Kiarna kümmert sich darum!“, meinte Samira entschlossen und beschwor zur Verdeutlichung ihrer Worte das besagte Monster herauf, dessen Flammen angriffslustig loderten.

„Wir werden unsere Attacke gut koordinieren müssen. Wenn Anubis in eine Feuersbrunst deines Phönix hineingerät, ist es aus mit ihm“, gab Marik zu bedenken.

„Da hast du nicht Unrecht … dafür hat dein Ka den Vorteil, dass es sich in den engen Straßen freier bewegen kann als Kiarna. Aber das wird schon … sie kann ja fliegen“, entgegnete die Rothaarige.

„Weißt du was? Ich habe eine Idee. Machen wir es doch so: Deine Zwillingsseele kann die Soldaten vom Himmel aus ein Stück weiter vorne auf der Straße angreifen. Sollten irgendwelche Feinde trotzdem durchkommen, kann sich Anubis um sie kümmern. Dann kommen sich die beiden nicht in die Quere und wir kriegen den Weg effektiv frei“, schlug der Ältere schließlich vor.

„Und Kiarna kann von dort oben aus gleichzeitig die Umgebung um Auge behalten, falls irgendwelche Matschbirnen die Barrikaden überwinden, die wir in den Seitengassen errichtet haben. Guter Vorschlag“, stimmte Samira zu.

„Okay, dann machen wir es so.“

Für einen Moment lang herrschte schweigen.

„Du, ähm … wie heißt du nochmal?“

„Marik.“

„Ah ja, genau. Weißt heißt denn dieses ‚okay‘? Ich höre das ständig von euch, verstehe den Sinn aber nicht ganz.“

Der Ägypter sah sie einen Moment lang überrascht an, entschied dann aber, dass die Frage eigentlich ganz legitim war. „Nun, das Wort drückt Zustimmung oder Verständnis aus. Wenn ich beispielsweise einen Vorschlag mache, dann kannst du dem zustimmen, indem du ‚okay‘ sagst. Oder ich erzähle von irgendetwas und um mir zu zeigen, dass die meine Erklärungen nachvollziehen oder verstehen kannst, kannst du ‚okay‘ sagen.“

„Hm … okay“, entschied die Jüngere schließlich schulterzuckend und grinsend, ehe sie sich plötzlich auf die Knie sinken ließ, die Finger ineinander verschränkte und die Augen schloss.

Marik musterte sie verdutzt. „Sam, was machst du da?“

„Ich will noch kurz beten. Kann nicht schaden. Vielleicht rammt Seth sein Zepter dann in Caesians Hintern.“

Der angehängte Kommentar vermochte nicht ganz zu kaschieren, wie wichtig es der jungen Schattentänzerin war, noch ein Gebet an die Götter zu schicken. Kurz darauf war sie auch schon in tiefes Schweigen verfallen.

Der Ältere kam nicht umhin zu schmunzeln. Ob Samiras extrem extrovertierter Natur vergaß er manchmal, dass sie einem religiösen Clan angehörte. Clan …

Seine Gedanken wanderten unaufhaltsam zu seiner Familie, zu Odeon und Ishizu, die sich irgendwo im 21. Jahrhundert wahrscheinlich unglaubliche Sorgen um Mariks Verbleib machten. Energisch schüttelte er den Kopf. Er tat das hier nicht nur für den Pharao, sondern für all jene, die eine Zukunft haben sollten – und somit auch für seine Geschwister. Und er würde sie nicht enttäuschen. Ebenso wenig wie Ryou. Sie würden am Jahresende gemeinsam nach Ägypten fliegen, komme was wolle. Davon würde ihn niemand abhalten – und schon gar nicht Caesian.

Wenn ich nur daran denke, dass ich einmal genau so machtversessen gewesen bin, wie er es ist … aber diese Zeiten sind vorbei. Und seine werden es bald ebenso sein.

Als der Lärm, den die herannahenden Truppen verursachten, lauter wurde und das leichte Zittern unter ihnen ob der zahllosen Dutzend Füße, die sich näherten, zunahm, erhob sich die Schattentänzerin wieder.

„Na dann wollen wir mal“, sagte sie entschlossen und zog ihren Langdolch.

Auch Marik griff zur Sicherheit nach seinem Schwert, während sich Kiarna brüllend in die Lüfte erhob und sich Anubis zum Angriff bereit machte.

Lasst sie kommen. Wir sind bereit.
 

Joey und Duke hasteten die Straße hinab, während Rotauge ihnen in einigem Abstand folgte und immer wieder Attacken in Richtung ihrer Verfolger feuerte, um sie auf Abstand zu halten. Strike rannte derweil hinter ihnen her, um vom Boden aus für Deckung sorgen zu können, sollte es nötig sein.

„Weit kann es bis zur ersten Falle nicht mehr sein, oder?“, erkundigte sich der Schwarzhaarige bei seinem Mitstreiter.

„Nein. Bislang habe ich aber auch noch keine Markierungen gesehen, wir müssen also noch weiter“, erwiderte der Blonde.

„Schon klar … Bin mal gespannt, was wir hier aufgestellt haben, ich kann mich nämlich beim besten Willen nicht erinnern.“

„Geht mir nicht anders. Aber sieh mal da – da ist unser Zeichen.“

Tatsächlich befand sich an einer Hausecke, an der sie vorbeieilten, eine Vase mit einem Symbol, das darauf hindeutete, dass sie hier eine der beweglichen Speerfallen in den Seitengassen versteckt hatten.

„Das heißt wir müssen auf die Häuser hinauf, um die Seile zu kappen, während unsere Monster sie langsam näher heran lassen“, fasste Duke zusammen.

„Richtig. Rotauge, gibt uns Deckung, damit wir ungesehen in die Hütten verschwinden können!“, gab Joey auch umgehend den nötigen Befehl.

Sofort stach der schwarze Drache vom Himmel herab und baute sich hinter ihnen in der Gasse auf, um sie vor den Augen des Feindes abzuschirmen. Ein roter Feuerball folgte, der eine Lücke in die herannahenden Truppen riss. Die beiden Ka-Träger nutzten die Gelegenheit, um sich nach links und rechts aufzuteilen, damit sie auf das Dach zweier sich gegenüber liegender Behausungen steigen konnten. Dort waren die Seile angebracht, die zwei Gestelle in den Seitengassen gespannt hielten, die sie mit spitzen Holzpflöcken bestückt hatten. Sobald sie die Halterungen lösten, würden sich die beiden Teile der Falle ruckartig aufeinander zu bewegen und alles, was sich zwischen ihnen auf der Straße befand aufspießen. Die Idee behagte nach wie vor keinem von beiden. Die moralischen Vorstellungen ihrer Zeit waren nicht mit dem vereinbar, was sie im Begriff waren, zu tun. Doch sie wussten, dass sie es nicht zu vermeiden war und sie ihre Bedenken schleunigst verdrängen mussten. Hier in Ägypten, so viele Jahre vor dem Zeitalter, das sie kannten, waren die Spielregeln anders. Wenn sie nicht taten, was sie tun mussten, würden Menschen – Freunde – sterben.

Joey eilte schnellen Schrittes durch die verlassene Behausung und stieg eine schmale Leiter an einer Wand empor, nur um sich kurz darauf auf dem Flachdach wiederzufinden, wo er die gesuchte Vorrichtung direkt erblickte. Er zückte sein Messer, hockte sich neben die Halterung und wartete, während er Rotauge und Strike dabei beobachtete, wie sie dem Feind langsam erlaubten vorzurücken. Es würde nur noch wenige Sekunden dauern, dann …

„Joey, pass auf!“

Dukes Ruf riss ihn gerade noch rechtzeitig aus seiner Konzentration. Überrascht wandte er sich um – und rollte im letzten Moment beiseite, um einer Schwertklinge zu entgehen, die direkt auf seinen Kopf niedergesaust wäre. Drei Soldaten waren plötzlich auf dem Dach erschienen.

Scheiße, wo kommen die plötzlich her?

Kaum, da die Frage in seinen Gedanken verhallt war, fand er die Antwort durch einen Blick in die Seitengasse auf der anderen Seite des Hauses, die keine Falle barg. Die dort errichtete Barrikade war niedergerissen worden, etwa drei Dutzend Soldaten strömten nun auf den Hauptweg, wo sie die Ka-Bestien von beiden Seiten aus angingen. Rotauge war schließlich gezwungen, sich vom Boden abzustoßen und dabei Strike zu packen, um ihn ebenfalls aus dem Fadenkreuz der Soldaten zu schaffen.

„Dachtest wohl, ihr hättet leichtes Spiel mit uns, was?“

Die Stimme des Feindes ließ ihn die Augen wieder auf die Bedrohung vor sich richten. Die drei Krieger waren noch keine Untoten, also nach wie vor in der Lage, sich zu äußern.

„Ich wüsste nicht, wann sich das geändert hätte“, gab Joey schlagfertig zurück.

Dann waren der Worte genug gewechselt. Der erste Gegner stürmte heran, sein Schwert erhoben. Dem Blonden gelang es, unter dem Hieb wegzutauchen und seinem Opponenten einen kräftigen Hieb in die Magengegend zu verpassen, ehe er ihm das Knie ins Gesicht rammte und ihn so mit heftig blutender Nase zu Boden schickte. All die Jahre, die er vor allem damit zugebracht hatte, sich bei der erstbesten Gelegenheit zu prügeln, zahlten sich just in diesem Moment aus.

Kaum, da er sich des ersten Feindes entledigt hatte, kam der Zweite auf ihn zu, eine Axt schwingend. Joey fing den Schlag ab, indem er den Waffenarm des Anderen packte und zur Seite wegdrückte. Anschließend versenkte er eine Faust in der Wange seines Gegners, der daraufhin zur Seite taumelte und über den Rand des Hausdaches stürzte. Im gleichen Moment stürmte der letzte Soldat vor, ebenfalls mit einem Schwert bewaffnet. Der Blonde entging dem Angriff diesmal nicht unbeschadet. Als er ausweichen wollte, erwischte ihn die Klinge an der rechten Schulter und hinterließ einen glatten, jedoch im ersten Moment kräftig blutenden Schnitt. Scharf sog er die Luft ein, während er nach hinten sprang, um einem erneuten Schlag zu entgehen. Kaum, da er seine Balance wiedergefunden hatte, musste er jedoch feststellen, dass es nun er war, der drohte, vom Dach zu stürzen. Er suchte hektisch nach einem Ausweg, um wieder mehr Platz zwischen sich und den Abgrund zu bringen, fand ihn jedoch nicht. Egal wohin er sich bewegte, der Soldat hätte jedes Mal eine Gelegenheit, ihn aufzuspießen. Sein Gegner kam derweil grinsend auf ihn zu und legte ihm schließlich die Spitze seines Schwertes an die Brust.

„Na, bist du jetzt immer noch so vorlaut?“, fragte er gehässig.

Joeys Augen wanderten kurz zum Himmel, ehe sie sich wieder auf ihn richteten. Er grinste. „Klar. Ich habe ja auch allen Grund dazu.“

„Ach ja? Was für ein Grund soll das …?“

Weiter kam der Mann nicht, als sich plötzlich ein Schatten auf ihn herab senkte und sich mächtige Kiefer mit rasiermesserscharfen Zähnen um seinen Körper schlossen. Kaum, da Rotauge ihn zu fassen bekommen hatte, bewegte er den Kopf ruckartig hin und her, um dem Feind das Rückgrat zu brechen und ihn anschließend hinab in die Gasse zu schleudern, wo sein Leichnam einige Männer von den Füßen riss.

Ein Blick zu Duke verriet Joey, dass auch dieser angegriffen worden war, Strike kümmerte sich jedoch bereits um die Bedrohung. Kaum, da beide Blickkontakt hergestellt hatten, nickten sie sich zu, sprangen vor und lösten die Halterungen der versteckten Falle. Synchron schossen die beiden Gestelle auf die Straße hinaus und spießten mit einem ekelerregenden Laut mehrere Dutzend Männer zwischen sich auf. Gleichzeitig behinderte die neuentstandene Barriere das weitere Vorrücken der Soldaten auf der einen Seite der Konstruktion. Jene auf der verbliebenen Seite sahen sich derweil mit Rotauge und Strike konfrontiert, die ihre Anzahl in kürzester Zeit auf null brachten. Joey und Duke stiegen derweil von den Dächern herab und eilten voraus, um die nächste Falle vorzubereiten.
 

„Lass den Scheiß und komm zur Besinnung. Es ist absoluter Unsinn, den du da von dir gibst, das musst du doch merken!“

„Ich werde nicht weiter mit dir diskutieren. Verschwinde. Das ist meine allerletzte Warnung.“

Bakura ballte die Hände zu Fäusten. Was auch immer mit Keiro passiert war, es hatte ihn offensichtlich den Verstand gekostet. Er war vollkommen von dem überzeugt, was er da sagte und ließ sich unter keinen Umständen mehr davon abbringen. Aber was war geschehen? Was hatte ihn verändert? Was hatte ihn derartig beeinflusst, dass es sich in seinem Ka niederschlug? War es tatsächlich allein der Hass auf Risha, der sich so ins Unermessliche gesteigert hatte, dass er solche Früchte hervorbrachte?

Nein, das konnte nicht sein. Bakura wusste, welchen Formen einer Seele negative Emotionen hervor zu bringen vermochten. Er hatte es bei sich selbst beobachten können, aber auch bei seiner Base, deren Ka sich nach Reshams und Kipinos Tod gewandelt hatte. Es war ein Prozess, der in Schritten vorwärts ging, nicht in Sätzen. Obgleich Keiro eine Weile verschwunden war, hätte die Zeit nicht ausgereicht, um derartige Veränderungen an Shadara hervorzurufen. Es sei denn es hätte ein einschlägiges Ereignis gegeben. Und dieses musste mit der dunklen Energie in Verbindung stehen, die von seinem Bruder ausging. Schlagartig stieg ein Verdacht in ihm auf, der ihm Bauchschmerzen bereitete.

„Weißt du was, Keiro? Ich glaube du schleppst dieses Relikt bereits zu lange mit dir herum. Nimm es ab, es vernebelt offenbar deine Sinne“, wies er den Anderen schließlich an.

Er wusste nicht, ob es tatsächlich möglich war, doch eine andere Erklärung gab es nicht. Außerdem würde es sehr wohl ins Bild passen. Die Götter hatten ihre Kräfte gebändigt, die so mächtig waren, dass sie bei missbräuchlicher Anwendung erheblichen Schaden in dieser Sphäre anrichten konnten. Vielleicht hatten sie damit auch einen Teil ihrer dunklen Seite eingesperrt, der sich auf Menschen jedoch verheerend auswirken würde, kamen sie länger in Kontakt mit den Gegenständen.

„Du meinst das Amulett der Bastet?“, meinte Keiro. „Ich fürchte, ich muss dich enttäuschen …“, er löste den Schal von seinem Hals, unter welchem nur nackte Haut zum Vorschein kam, „… ich habe es nicht mehr.“

Zum einen war der König der Diebe froh, das Artefakt nicht zu erblicken. Hätte sich sein Bruder entschlossen, es in seinem Wahn gegen ihn zu richten, hätte er dem nichts Effektives entgegenzusetzen gehabt. Dafür tat sich nun eine andere Frage auf. Und je nachdem, wie die Antwort auf sie ausfiel, wäre es vielleicht gar besser gewesen, sich mit einem Relikt konfrontiert zu sehen.

„Was soll das heißen, du hast es nicht mehr? Wo ist es?“

Keiro zuckte mit den Schultern. „Caesian hat es.“

Die Worte wurden in einem Tonfall gesprochen, als sei dies selbstverständlich. Bakura hingegen biss sich beinahe die Zunge blutig. „Dieser Psychopath hat was?“, schrie er schon beinahe. „Wie konnte das passieren?“

„Ich habe es ihm gegeben.“

Der Grabräuber spürte, wie er vor Wut zu zittern begann. Das durfte nicht wahr sein. Was zum Geier war in Keiro gefahren?

„Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole – bist du jetzt vollkommen übergeschnappt? Du hast diesem Irren das Amulett einfach so überlassen?“

„So ist es. Ich hatte keine Verwendung dafür und habe im Gegenzug etwas bekommen, das ich brauchte. Eine Gelegenheit.“

„Ach, du hattest keine Verwendung dafür, ja? Wie bescheuert kannst du eigentlich noch sein? Du hast diesem Drecksack die Möglichkeit gegeben, seine Sammlung tödlicher Spielzeuge um noch eines zu erweitern, kapierst du das nicht? Welche Gelegenheit ist so wertvoll, dass man dafür die gesamte Sphäre in Gefahr bringt?“, brüllte der Grabräuber sein Gegenüber an.

„Sollte es das Schicksal wollen, werde ich auch ihn töten“, erwiderte Keiro ungerührt.

„Ihn töten? Du willst alleine vollbringen, was eine gottverdammte Armee nicht geschafft hat, samt einem Pharao, der drei Göttermonster kontrolliert? Du hast den Knall nicht gehört, oder? Du laberst davon, dass Risha bekloppt wäre, dabei bist es offensichtlich du, der nicht mehr alle …“

Er stoppte mitten im Satz, als es ihm dämmerte.

„Das war die Gelegenheit, habe ich Recht? Er hat sie dir ausgeliefert.“

Wieder dieses gleichgültige Schulterzucken. „Mir war von vorne herein bewusst, dass ich anderweitig nicht an sie herankommen würde, da Caesian euch bereits dicht auf den Fersen war. Und so, wie wir ihn bislang kennengelernt haben, wissen wir, dass er keine Gefangenen macht. Ich musste also sicherstellen, dass Caesian das Interesse an ihr verliert – und wie wäre das eher möglich gewesen, als ihm etwas anzubieten, das er noch mehr begehrt als Rache? Ich habe ihm das Relikt überlassen und mit ihm vereinbart, dass sie mir gehören würde, gleich was geschieht. Sollte sie in Theben anwesend sein, sollten seine Soldaten sie gefangen nehmen und an mich übergeben, statt sie zu töten. Das war der eigentliche Plan. Dann ist sie nach dem Tod dieses Trottels jedoch verschwunden. Also haben Caesian und ich unsere Abmachung angepasst – er hat sie ziehen lassen und mir überlassen, anstatt ihr seine Schergen hinterher zu schicken.“

Bakura schüttelte langsam den Kopf. „Du bist vollkommen bescheuert. Und feige noch dazu. Anstatt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, wirfst du dich vor einem Bastard in den Staub.“

„Was hätte ich sonst machen sollen? Solange sie an eurer Seite war, hatte ich keine Chance an sie heranzukommen, das war mir sofort bewusst. Selbst der Pharao hätte sie in Schutz genommen, hätte ich versucht, sie anzugreifen. Ich habe damit gerechnet, dass mir niemand Glauben schenken würde, ihr seid einfach zu verblendet und seht nicht, was ich sehe. Also brauchte ich Hilfe. Ob meine Würde darunter leiden würde, war mir einerlei – meine Aufgabe ist wichtiger als mein Selbstwertgefühl.“

„Frag dich mal, warum dir niemand glaubt – könnte daran liegen, dass du fanatischen Kram von dir gibst!“

„Ich werde nicht länger mit dir diskutieren. Ich habe schon genügend Zeit auf diese sinnlose Unterhaltung verschwendet und dir mehr als genug Chancen gegeben, zu gehen. Wenn du meinem Rat jetzt nicht nachkommst, werde ich Shadara nicht länger zurückhalten“, war die knappe, deutlich unterkühlte Antwort.

„Vergiss es. Wenn du glaubst, ich lasse dich mit deinem Aberglauben frei gewähren, hast du dich geschnitten“, gab Bakura zurück. „Ganz davon abgesehen, dass ich ein Relikt zu finden habe.“

Kaum waren die Worte über seine Lippen gekommen, erschien Diabound in einem gleißenden Blitz und baute sich vor ihm auf, ein Brüllen ausstoßend.

Mal sehen, ob er wirklich angreift. Er hat bis jetzt gezögert, etwas zu tun – er hat eindeutig Zweifel, schoss es dem Grabräuber durch den Kopf.

Seine Hoffnungen wurden jedoch ebenso schnell erstickt, wie sie aufgekommen waren. Keiro ließ das Haupt hängen, als er einmal tief durchatmete. „Wie du willst. Du magst mein Bruder sein, aber ich muss zu Ende bringen, was ich begonnen habe. Shadara – erledige ihn!“

Der schwarze Zerberus ließ sich nicht zweimal bitten. Sofort preschte die gewaltige Bestie vor und stürzte sich auf Diabound, dem es jedoch gelang, den Gegner mit Hilfe seines Schweifes von den Füßen zu reißen und in eine naheliegende Ansammlung von Hütten zu befördern. Das Raubtier kam jedoch zügig wieder auf die Beine und startete eine erneute Attacke, indem drei blaue Feuerbälle aus den Mäulern des Ungetüms schossen. Bakuras Ka vermochte, den ersten beiden zu entgehen, wurde jedoch von dem letzten in die Brust getroffen und zu Boden geschleudert. Shadara nutzte die Gelegenheit und sprang auf ihn zu, bereit, die zahlreichen scharfen Zähne in das Fleisch seines Opponenten zu rammen.
 

Keuchend erreichten Seto und Riell die Position, die sie sich selbst zugeteilt hatten. Mit schnellen Schritten waren die letzten Stufen genommen, die zum Eingang des Hauses hinaufführten, in welchem die Relikte der Götter verborgen waren. Ihre Aufgabe würde es sein, die Artefakte wenn nötig mit ihrem Leben zu beschützen.

In einiger Entfernung konnten sie bereits eine Front von Soldaten auf sich zukommen sehen. Hohe Staubschwaden, bestehend aus aufgewirbeltem Sand, lagen überall über der Stadt, ob des regen Treibens, das in den Straßen herrschte.

„Was auch immer geschieht, wir dürfen sie auf keinen Fall durchlassen“, schwor Seto den Schattentänzer noch einmal ein.

Der nickte zustimmend. „Gewiss. Würde Caesian auch noch die Gegenstände in die Hände bekommen, die wir haben, wäre es endgültig aus mit uns. Dann könnte ihn nichts mehr aufhalten.“

Die Horde Soldaten, die jene Straße herunterkam, die geradewegs auf sie zu führte, kam näher. Allmählich konnten sie das Klirren von Waffen und Rüstungen, das Geräusch zahlreicher Atemzüge und Schritte hören.

Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Anstatt den Weg fortzusetzen, drehte der feindliche Trupp plötzlich ab und bog in eine große Seitenstraße ein, woraufhin er in der Distanz aus ihrem Blickfeld verschwand. Riell kniff die Augen zusammen, um auf die Entfernung besser sehen zu können. „Was soll das denn?“

„Vielleicht wollen sie versuchen, von der Seite auf uns einzudringen. Aber daraus wird nichts, das dort ist der einzige Weg, der noch ungehindert hierher führt. Die Anderen haben wir blockiert“, erinnerte ihn Seto.

„Trotzdem. Es ergibt keinen Sinn. Egal von wo sie kommen, ihnen müsste klar sein, dass sie uns nicht aus dem Hinterhalt angreifen können. Nicht mit zwei Drachen an unserer Seite, die besser hören und riechen, als es jedes menschliche Wesen vermag.“

„Sie sind eben dumm. Caesian mag ein ernst zu nehmender Gegner sein, aber das“, meinte er mit Nicken in jene Richtung, wo die Soldaten abgebogen waren, „sind nichts weiter als Sklaven. Um ihr erbärmliches Leben zu behalten, tun sie alles, was er von ihnen verlangt. Das sagt genug über sie aus.“

Einen Moment lang standen sie schweigend nebeneinander, den Blick auf die breite Straße vor sich gerichtet, die kein einziger Krieger entlang kam. Dann erschien plötzlich und vollkommen unvermittelt Anwaar hinter Riell.

„Was hat das zu bedeuten?“, erkundigte sich der Hohepriester sogleich. „Schone deine Kräfte, du wirst sie noch brauchen!“

„Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich will vorbereitet sein, wenn …“

Weiter kam er nicht. Anwaar wurde unvermittelt von einer gleißenden Energiekugel getroffen und durch die Luft geschleudert, nur um mit einem überraschten, kreischenden Laut in die umliegenden Gebäude zu krachen.

Während Riell sich vor Schmerz die Brust hielt, wirbelte Seto überrascht herum – und entdeckte Caesians Ka-Bestie, die ein Stück weit über ihnen in der Luft schwebte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, während er den weißen Drachen herbei rief.

Es ist gekommen, um die Relikte zu holen …
 

Darla schoss unablässig Angriffe in die Reihen ihrer Verfolger, während sich Des Gardius derer annahm, denen es gelang, an ihr vorbei zu huschen. Je näher die Kämpfer kamen, desto weiter waren sie gezwungen, in die Stadt zurück zu weichen.

„Wenn das so weiter geht, haben wir bald die halbe Wegstrecke hinter uns gebracht“, rief die Hofmagierin dem Anderen zu, nachdem sie einen prüfenden Blick über die Schulter geworfen hatte.

„Dann pfeif‘ dein Ka zurück und lass meins die Arbeit machen“, gab Marlic zurück, ohne die Augen von der Front zu nehmen.

„Das würde auch nicht mehr bezwecken – im Gegenteil, Des Gardius kann mit seinen Attacken nicht so viele Gegner auf einmal treffen, wie Darla.“

„Wollen wir wetten?“

„Jetzt ist nicht die Zeit für Spielchen“, gab Mana gereizt zurück. „Spar dir das für deinen nächsten Kneipenbesuch auf – wenn es denn einen geben sollte.“

„Oh, das wird es Schätzchen. Und weißt du was? Ich nehm dich mit und dann machen wir ordentlich einen drauf. Alleine schon, um deinen König zu ärgern.“

„Ich trinke nicht. Also vergiss es.“

„Zier‘ dich nicht so. Die Unschuldsmasche mag vielleicht bei deinem Pharao ziehen, aber ich hab‘ dich durchschaut. Du bist nicht mal ansatzweise so zuckersüß, wie du einem glauben machen willst.“ Er warf ihr einen knappen, prüfenden Blick zu. „Mal sehen, wie viel du verträgst.“

„Mehr als du in jedem Fall.“

Marlic musste grinsen. „Das wird sich zeigen.“

Inzwischen strömten auch Soldaten aus den Nebenstraßen herbei, sodass Des Gardius gezwungen war, immer weiter zurückzuweichen, um die Angreifer von den Ka-Trägern abzuhalten.

„Verdammt, es sind einfach zu viele“, rief Mana über den Kampflärm hinweg. „So kriegen wir die Situation niemals unter Kontrolle.“

„Dann tu irgendetwas – du bist doch zu Hokuspokus fähig, oder etwa nicht?“

Die Hofmagierin kaute einen Moment lang auf ihrer Unterlippe und überlegte. Dann nickte sie langsam. „In Ordnung. Halte sie mir vom Leib, es wird einen Moment brauchen, bis ich den Zauber wirken kann – und wenn es soweit ist, muss sich Des Gardius schnell zurückziehen.“

„Geht klar.“

Mana nahm die Beine in die Hand und sprintete die Straße ein Stück weiter hinab, um sich genügend Zeit und Distanz zu verschaffen. Dann sank sie auf ein Knie hinab, umfasste ihren Stab mit beiden Händen und schloss die Augen, ehe sie begann, alte, rituelle Formeln zu rezitieren.

Marlic gab Des Gardius noch einige Anweisungen, dann schloss er zu ihr auf und positionierte sich ein Stück weit vor ihr. Sollten seinem Ka irgendwelche Gegner entwischen, würden sie so kein leichtes Spiel mit der Magierin haben.

Langsam begann Manas Zepter zu glühen. Das Leuchten wurde mit jedem Teil des Spruchs stärker und breitete sich weiter aus. Das Licht schien an den Stellen, wo es den Boden traf, in diesem zu versinken, ihn regelrecht zu durchdringen. Marlic warf gelegentlich einen Blick hinter sich, um ihr Tun zu verfolgen. Hoffentlich wusste die Kleine, was sie da tat …

Dann war es soweit. In einer fließenden Bewegung stach sie hoch und rammte ihren Stab in den Boden. „Marlic, jetzt!“

„Des Gardius, zieh dich zurück!“

Mit einem kräftigen Sprung beförderte sich die Ka-Bestie gute zwanzig Schritt nach hinten und direkt vor ihren Träger – gerade rechtzeitig. Keinen Wimpernschlag, nachdem ihre Beine den Untergrund verlassen hatten, begann dieser, sich aufzuspalten. Ein Riss zog sich durch die Straße, breitete sich aus und beförderte Soldaten wie Häuser in den Abgrund. Schreie und das Krachen von Trümmern hallten durch die Stadt. Dann ebbte das leichte Beben, das den Zauber begleitet hatte, langsam ab und zurück blieb nur ein gigantisches klaffendes Loch dort, wo soeben noch ein Teil der feindlichen Armee gestanden hatte.

Marlic, der seine Überraschung zügig überwand, näherte sich vorsichtig der Kante, die in die Tiefe führte. Ein Blick hinab verriet ihm, dass er mit bloßen Auge nicht vermochte, den Boden des Schlundes zu sehen. Er stieß ein anerkennendes Pfeifen aus. „Nicht übel für ein Magier-Prinzesschen.“

Mana kam um ein leichtes Schmunzeln nicht herum. „Ich fasse das mal als Kompliment auf. Komm, wir müssen weiter. Wir sind noch längst nicht fertig.“
 

Ryou und Tristan hasteten die Straße entlang des Tempelareals hinab. Ihre Verfolger waren ihnen dicht auf den Fersen. Shiruba und Qi sorgten jedoch dafür, dass sie dennoch unbehelligt blieben.

„Es ist nicht mehr weit. Irgendwo da vorne müssen wir die Fallgrube versteckt haben!“, rief der Braunhaarige dem Anderen zu. „Jetzt bloß nicht schlapp machen!“

Ryou, dessen Atem keuchend ging, nickte. „Keine Angst, ich schaff‘ das schon“, gab er japsend zurück. Er mochte nicht die beste Kondition haben, aber dafür war sein Wille umso stärker.

Weiter und weiter rannten sie, bis endlich die gesuchte Markierung in Sichtweite kam.

„Dort drüben müssen wir Anlauf nehmen und springen! Du schaffst das?“

„Klar!“

Sie beschleunigten ihre Schritte noch einmal. Die Gruben, die sie ausgehoben hatten, waren nicht so breit, dass ein Sprung nicht zu schaffen wäre – es durfte jedoch auch nichts schief gehen. Unterhalb der dünnen Schicht aus Schilfrohr, Tuch und Sand lauerten dutzende Pflöcke darauf, jemanden aufzuspießen.

Ryou schloss kurz die Augen, dann hatten sie die Stelle auch schon erreicht. Er gab noch einmal alles und stieß sich schließlich vom Boden ab, glitt durch die Luft – und landete wohlbehalten auf der anderen Seite. Er wurde vom Schwung nach vorne geworfen und landete auf den Knien. Einen Moment lang verharrte er in dieser Position und rang nach Atem.

„Was habe ich gesagt? Gar kein … Problem“, schnaufte er. Doch eine Antwort blieb aus. Verwundert blickte er auf. „Trist…?“

„Ryou, hilf mir!“

Sofort war der Angesprochene auf den Beinen und wirbelte herum. Tristan hing an der Kante ihrer Falle, nur einen knappen Meter über ihren todbringenden Spitzen, und versuchte, irgendwo auf dem sandigen Boden Halt zu finden. Der Weißhaarige fackelte nicht lange, stürzte zu ihm hin und ergriff seinen Arm gerade dann, als er im Begriff war, abzurutschen.

„Zieh mich hoch!“, rief Tristan zu ihm hinauf, die Angst in seiner Stimme hörbar.

„Ich versuche es ja!“, gab Ryou zurück. Auch ihm fiel es schwer, auf dem von feinsten Sandkörnern übersäten Untergrund Halt zu finden, um zu verhindern, dass er samt seinem Kumpanen in die Tiefe schlitterte.

Just in dem Moment, als er glaubte, sich nicht mehr halten zu können, fegte ein Schatten über sie hinweg, packte sie und riss sie nach hinten. Sie schlugen unsanft auf der festgetretenen Straße auf und brauchten einen Moment, um zu begreifen, dass sie wieder festen Boden unter sich hatten. Langsam und quält setzten sie sich auf, nur um in Shirubas blaue Augen zu sehen, die sie besorgt musterten.

„Danke Alter, das war Rettung in letzter Sekunde!“, fügte Tristan als erster eins und eins zusammen.

Ryou strich dem Seelenwesen dankbar über die Schnauze. „Vielen Dank, ohne dich wären wir abgestürzt.“

Der Dämon gab zur Antwort nur ein zufriedenes Schnauben von sich.

Dann ertönten plötzlich Schreie hinter ihnen, die sie herumfahren ließen.

Ungeachtet der Tatsache, dass Tristan die Falle bereits aufgedeckt hatte, waren die Soldaten, geblendet von all dem Staub, den ihre schiere Masse aufwirbelte, dennoch hineingetrappt. Gute drei Dutzend von ihnen fanden einen plötzlichen Tod in den zahlreichen Spießen, während der Rest zunächst zögerlich am gegenüber liegenden Rand der Falle stehen blieb. Dann begann eine Rangelei unter den Vordersten, die sich gegenseitig in den Abgrund zu stoßen begannen. Tristan dämmerte, worauf das hinauslaufen sollte.

„Diese Psychos wollen die Grube mit Körpern füllen, damit sie hier rüber kommen können!“

Ryou schüttelte kaum merklich den Kopf, während er das Szenario beobachtete, dann wandte er sich ab. „Nutzen wir den Vorsprung und laufen zur nächsten Falle. Viel Zeit werden sie uns nicht la…“

Ein schmerzerfülltes Heulen peinigte ihre Ohren aus heiterem Himmel. Erschrocken fuhren sie nach allen Seiten herum – nur um die Quelle des Schmerzensschreies zu entdecken. Ryou wurde bleich.

„Shiruba!“

Es verging kaum ein Wimpernschlag, da befand er sich an der Seite der Bestie, in deren rechtes Vorderbein sich auf Höhe des Fußgelenkes ein Speer gebohrt hatte. In seiner Panik packte das Ka den schmerzbringenden Gegenstand und versuchte, ihn herauszureißen. Dabei brach Shiruba ihn jedoch ab, sodass die Spitze stecken blieb und weiterhin Schmerzen verursachte. Unsicher versuchte er immer wieder, die Tatze aufzusetzen, zog sie jedoch gleich wieder hoch. Silbrig durchscheinendes Blut quoll aus der Verletzung und verteilte sich auf dem Boden, wo der Sand es gierig aufsog.

„Halt still!“, beschwor Ryou das Wesen. „Ich muss das rausziehen, ansonsten hört es nicht auf, wehzutun! Lass mich dir helfen! Ich verspreche, dass ich mich bemühen werde, dir nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen, in Ordnung?“

Die einfühlsamen, aber bestimmten Worte seines vorübergehenden Trägers brachten Shiruba dazu, ihm die Pfote hinzuhalten. Der Weißhaarige begann sogleich, sie zu untersuchen. Er konnte die Speerspitze sehen, die tief durch die silberne Haut eingedrungen war. Er würde sie nicht entfernen können, ohne sie ordentlich zu fassen zu kriegen – und das würde schmerzen.

„Ich kann es nicht rausholen, ohne dir wehzutun. Aber danach wird es besser, das verspreche ich dir. Ich mache, so schnell es geht. Bereit?“

Der Ka nickte knapp, dann wandte er den Blick ab. Ryou schob seine schlanken Finger vorsichtig an der Klinge entlang, bis zu dem Punkt, da er sie in das Fleisch des Monster bohren musste, um seinen Fingerspitzen den nötigen Halt zu verschaffen. Shiruba entwich ein schmerzerfülltes Brüllen, den Fuß verzog er jedoch nicht. Dann schließlich glaubte Ryou, den Fremdkörper fest genug zu fassen bekommen zu haben, um ihn herauszuziehen. Mit einem Ruck riss er seine Hand nach hinten, während sein Ka ein weiteres Mal aufschrie – und die Speerspitze klirrend neben ihnen zu Boden fiel.

Qi hatte all dies beobachtet – und befand sich an der Grenze zu Rage. Eine Wut, die der Feind sogleich zu spüren bekam. Während Ryou damit beschäftigt war, Shirubas Qualen zu mindern, ließ er eine Salve von Attacken auf die feindlichen Soldaten niederregnen, die eine gewaltige Schneise in ihre Reihen riss. Von vielen blieb nicht mehr übrig als ein Haufen blutiger Fetzen. Die, die nachrückten, ereilte alsbald das gleiche Schicksal. Binnen kürzester Zeit war Qi dermaßen in Tobsucht verfallen, dass es mehrere Rufen Tristans brauchte, um ihn wieder ins Hier und Jetzt zurück zu bringen.

„Qi! Danke dafür, dass du uns Zeit verschaffst, aber so erschöpfst du deine Kräfte zu schnell! Komm, wir müssen weiter zur nächsten Falle!“

Qi wandte sich kurz zu ihm um, dann zu den Feinden. Er ließ einen letzten Angriff auf sie niedergehen, dann schwebte er herum und folgte Shiruba, der so gut es ging mit seiner verwundeten Pfote die Straße hinabhetzte.
 

Yugi und Tea hatten sich der ersten Welle ihrer Verfolger bereits entledigt. Jetzt nutzten sie den gewonnenen Abstand, um sich an einer der Fallen, die vor ihnen lagen, in Position zu bringen.

„Bislang läuft es ganz gut“, meinte die Brünette, deren Atem vom Rennen stoßweise ging.

„Ja. Hoffen wir, dass Atemu einen ähnlichen Erfolg gegen Caesian vorweisen kann“, entgegnete ihr Begleiter. „Es muss einfach klappen.“

„Das wird es. So wie …“

Beide kamen ruckartig zum Stehen, als in ihrer unmittelbaren Nähe zunächst ein Krachen und dann der Schrei einer Bestie ertönten.

„Was war das?“, sprach Tea umgehend die Frage aus, die ihnen beiden auf der Zunge lag.

„Da drüben!“, entgegnete Yugi und deutete auf eine Stelle über den Häusern, wo Staub aufstieg. „Es kommt von dort, wo wir die Relikte versteckt haben!“

„Aber wie kann das sein? Seto und Riell sollten sie doch bewachen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihre Kas nicht gegen die Soldaten ankommen.“

„Keine Ahnung. Lass uns nachsehen, schnell.“

Gemeinsam setzten sie sich wieder in Bewegung, bis sie eine Querstraße erreichten, die direkt zum Versteck der Artefakte führte. Als sie deren Mündung erreichten, kauerten sie sich hinter eine Hausecke und lugten vorsichtig hervor. Zunächst sahen sie ob des aufgewirbelten Sandes wenig. Bald legte sich dieser jedoch und gab den Blick auf Anwaar und den weißen Drachen frei, die vergeblich versuchten, sich mit Caesians Ka-Bestie zu messen. Beide hatten bereits eine Reihe von Blessuren davongetragen.

„Wie kann Caesian schon bis hierhergekommen sein? Wo ist Atemu?“, flüsterte Tea. Besorgnis zeichnete ihre Stimme.

„Er muss nicht zwingend in der Nähe sein. So wie es aussieht, hat er vielmehr sein Monster geschickt, um die verbliebenen Relikte zu holen. Ich sehe ihn nirgends. So selbstsicher, wie er ist, würde er sich zeigen, befände er sich hier“, erwiderte der Kleinere. „Wir müssen ihnen helfen, ansonsten schaffen sie es nicht.“

„Sie sind beide Ka-Träger von Geburt an. Glaubst du wirklich, unsere Kreaturen könnten mehr erreichen, als ihre?“

Das war tatsächlich ein Punkt, den sie bedenken mussten. Ihre Wesen waren stark, jedoch lange nicht so stark wie jene, die eine natürliche, angeborene Verbindung zu ihren Seelenzwillingen aufwiesen. Anwaar und der weiße Drache waren beide beeindruckende, furchteinflößende Bestien, doch sie vermochten allem Anschein nach kaum etwas gegen die Tricks und Kräfte ihres Gegners auszurichten. Bislang hatte es lediglich ein Monster gegeben, das sich mit ihm messen konnte.

„Chaosmagier“, wandte sich Yugi an das Wesen, das hinter ihm Aufstellung bezogen hatte. „Suchen wir Qi. Wir brauchen ihn hier. Dringend. Ich werde mit Tristan die Positionen tauschen und Ryou unterstützen, während sie sich um das hier kümmern.“ Er erhob sich, darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden. „Bleib du hier, Tea, und pass auf, dass es dich nicht wahrnimmt. Wir machen, so schnell wir können.“

„Kommt nicht in Frage“, erwiderte die Brünette. „Ich habe eine Idee, wie wir es vielleicht in einen Hinterhalt locken können. Ich muss kurz zurück, bin aber so schnell es geht wieder da.“

„Was hast du vor?“

Tea lächelte auf eine Weise, die man sonst nicht von ihr kannte. „Lass dich überraschen.“
 

Atemu hatte das Pferd genau dort vorgefunden, wo er es zurückgelassen hatte. Das Schwert in einer Hand, die Zügel in der anderen, trieb er es zielsicher durch die Straßen Thebens, dem Durchlass entgegen, den die Angriffe von Caesians Ka geschaffen hatten. Nur noch wenige Soldaten befanden sich in diesem Teil der Stadt, die meisten waren bereits weiter vorgedrungen. So stellten sich ihm nur einige wenige Krieger in den Weg, die er jedoch, wenn nötig, mit einem Hieb der Klinge niederstreckte oder zumindest abwehrte.

Schließlich gelang es ihm, über die Trümmerteile der Mauer hinweg zu kommen und in die dahinterliegende Wüste hinaus zu reiten. Sand wirbelte unter den Hufen seines Reittieres auf, als es sich einen Weg dorthin bahnte, wo Caesian ihn mit Sicherheit erwarten würde. Entschlossen trieb er das Pferd die erste größere Düne hinauf – nur um es schlagartig zum Stehen zu bringen.

Seine weit aufgerissenen Augen wanderten nach links und rechts, während er versuchte zu verstehen, welches Bild sich ihm dort draußen in den Weiten der Wüste bot.

Unzählige schwarze Kugeln, die alles Licht zu verschlucken schienen und so groß waren, wie ein ausgewachsener Mann, tanzten über das Staubmeer. Wann immer sie den Boden berührten, schienen sie sich abzustoßen, einige Schritt handbreit über dem Sand durch die Luft zu schweben und schließlich wieder aufzukommen, ehe sich das Spiel wiederholte. Sie waren unentwegt in Bewegung, manche schneller als andere.

„Was hat es damit auf sich? Was sind das für Dinger?“, murmelte er leise zu sich selbst, während er die Kugeln wachsam im Blick behielt. Ihm war, als habe er sie schon einmal gesehen …

Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Sein Traum. Kuriboh, das von einem schwarzen Ball getroffen wurde und sich anschließend in ein Monstrum verwandelt hatte. Aber was genau hatte das alles zu bedeuten gehabt? Wo kamen diese Kugeln her? Auch in seinem Traum waren sie wie aus dem Nichts erschienen.

Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen – die Relikte! Sachmet hatte ihn gewarnt, dass der Gebrauch der Artefakte mit der Zeit Spuren in dieser Sphäre hinterlassen würde. Ganz offenbar war es nun soweit. Was auch immer diese lichtschluckenden Dinger waren, sie mussten von den Gegenständen hervorgebracht worden sein. Und wenn sein Traum Recht behielt, dann geschah dem, der sie berührte, nichts Gutes. Jetzt gab es noch einen Faktor, auf den er würde achten müssen, wenn er Caesian gegenüber trat.

Bringen wir es hinter uns, ehe noch mehr Schaden angerichtet wird.

Entschlossen wie eh und je gab er seinem Pferd die Sporen und trieb es weiter durch die Wüste, dem Feind entgegen. Es dauerte auch nicht lange, bis er die gesuchte Person in den Weiten aus Staub entdeckte. Dort drüben, in wenigen hundert Schritt Entfernung war er, alleine, hoch zu Ross und schien nur auf Atemu gewartet zu haben. Sein Ka war nirgendwo zu sehen. Der Pharao zögerte nicht, als er seinem Opponenten entgegenritt, hielt sich jedoch bereit. Es konnte sein, dass er jeden Moment eines seiner Monster beschwören musste, um einen Überraschungsangriff abzuwehren.

Doch dieser kam nicht.

Stattdessen ließ ihn Caesian bis auf ein Dutzend Schritte herankommen, ehe der Pharao entschied, dass der Abstand zwischen ihnen kurz genug war. Der feindliche Herrscher bewegte sich bei seiner Ankunft nicht vom Fleck, veränderte auch seine Haltung nicht. Lediglich sein Mund verzog sich zu einem selbstsicheren Grinsen.

„Euer Hoheit“, grüßte er schließlich gespielt freundlich. „Willkommen. Ich habe Euch bereits erwartet. Schön, dass Ihr Zeit gefunden habt.“

„Mir blieb nun einmal nichts anderes übrig, nachdem Ihr zu feige wart, um uns mit dem Rest Eurer Truppen gegenüber zu treten“, gab Atemu zurück.

„Oh, Ihr versteht das falsch. Mit Feigheit hat es nun gar nichts zu tun. Nein, vielmehr wollte ich unser Zusammentreffen in einem privateren, gebührenderen Rahmen abhalten. Immerhin habt Ihr mir mehr Kopfzerbrechen bereitet, als es bislang sonst ein Mensch auf dieser Welt geschafft hat. Dafür bewundere ich Euch, ehrlich – aber meine Verachtung habt Ihr dadurch ebenfalls erlangt.“

„Dieses Gefühl kann ich nur zurückgeben, Caesian. Seht Euch um, seht, was Ihr angerichtet habt!“, forderte der Pharao ihn auf und wies mit dem ausgestreckten Arm in die Wüste hinaus, die sie umgab. „All das ist auf Euren Missbrauch der göttlichen Relikte meines Landes zurückzuführen.“

Sein Gegenüber zuckte nur mit den Schultern. „Und wenn schon. Es wird sich schon wieder geben. Diese Welt hat schon vieles verdaut, auch das wird sie überstehen.“

„Seid Ihr wahrlich so leichtsinnig? Ach, was frage ich überhaupt – Mal um Mal haben wir Euch vor den Auswirkungen gewarnt, doch Ihr wolltet nicht hören und wollt es auch jetzt noch nicht. Man könnte meinen, Ihr seid blind. Anders kann man sich Eure Ignoranz kaum erklären.“

„Oh, ich versichere Euch, meinem Augenlicht geht es bestens. Aber mir scheint es, als solltet Ihr Euch an die eigene Nase fassen, Pharao. Ihr seid derjenige, der feige ist. Oder weswegen sonst habt Ihr solche Angst vor diesen netten Kleinoden?“, erwiderte Caesian und drehte das Zepter Seths in der Rechten.

„Das hat mit Feigheit nichts zu tun, sondern mit Respekt und Ehrfurcht.“

„Sieht Ihr, da haben wir es wieder. Ehrfurcht. Wenn ich Euch dazu gebracht habe, vor mir zu knien, werdet Ihr es noch bereuen, nicht früher an den Gebrauch der Relikte gedacht zu haben, das versichere ich Euch. Nun ist es zu spät. Sie alle gehören so gut wie mir. Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist meine Sammlung komplett.“

„Mögen die Götter verhüten, dass es jemals dazu kommt, dass auch die restlichen Gegenstände dem Wahnsinnigen in die Hände fallen, der mir gegenübersteht.“

Ein amüsiertes Lachen war die Antwort. „Eure Götter können mir nichts anhaben, sie sind machtlos. Einen von ihnen habe ich gar getötet. Mit den anderen könnte ich ebenso leichtes Spiel haben.“

„Sie mögen nicht in der Lage sein, sich selbst gegen Euch zu wenden. Doch seid versichert, dass ihr Zorn, ihre Verachtung und ihr Hass einzig und alleine auf Euch gerichtet sind. Und ich, der Abgesandte der Götter auf Erden, werde ihrer Wut ein Gesicht geben.“ Er riss eine Faust in die Höhe. „Genug geredet. Euer Weg endet hier Caesian! Nie wieder werdet Ihr diesem Land und seinen Bewohnern Schaden zufügen! Slifer, Obelisk, Ra – zeigt euch!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Seelendieb
2016-11-05T16:28:19+00:00 05.11.2016 17:28
WOW!!!

TOLL! Einfach nur... TOLL!!!
Jetzt knallt es!!! :D
Antwort von:  Sechmet
06.11.2016 20:25
KABOOM!
Vielen lieben Dank für Dein Feedback! :)


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