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Wer suchet, der findet.

Ob der Fund zur Suche passt ist eine andere Sache
von

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Dinge passieren.

Dinge passieren.

Wissen die Götter, warum Dinge passieren wie sie passieren.

Ich meine… Ich habe doch bloß den Müll weggebracht. Das mache ich jeden Tag nach Schichtende. Klar. Viel ist es nicht. Ich lebe allein, da sammelt sich nicht so viel an. Im Dienst esse ich sowieso auswärts.

Tja… Nun… Ich bringe also meinen Müll weg. Nur ein paar leere Milchtüten, Joghurtbecher, Katzenfutterdosen, Streu und was sonst so in einem Single-Haushalt mit Haustier anfällt.

Und was sehe ich da? Zwischen den Müllcontainern? Ein zusammengekauertes, zitterndes Bündel. Dicht an die Wand gedrängt, als sei das Schutz vor Regen, Wind und Kälte.

Der Herbst bei uns ist immer voller Regen, Wind und Kälte.

Gestern war dieses zitternde Bündel noch nicht da.

So eine Haut habe ich nie zuvor gesehen. So… weiß. Fast durchscheinend. Wie Porzellan. Oder Alabaster. Nicht einmal in Lumpen gekleidet. Nein. Nackt. Und diese Haare… Lang und weiß wie frisch gefallener Schnee und das einzige, was den nackten Leib einhüllt.

Ich kauere mich nieder. „Hey.“ sage ich sanft.

Das zitternde Bündel erschrickt, schaut mich an – blaue Augen. Tiefblaue Augen! – und weicht vor mir zurück. Ein Albino ist das nicht, bei den dunklen Augen. Als dieses Bündel zurückweicht, sehe ich, es ist wirklich nackt. Ein Mädchen. Nein. Eine junge Frau. Brüste. Wunderschöne, wohlgeformte, feste Brüste. Ich in kein Fachmann, aber ich schätze zwischen B- und C-Cup. Die Scham der jungen Frau ist unbehaart und ich wende sofort den Blick ab, sehe ihr lieber in das Gesicht. Schöne, sanfte Züge. Sie sieht aus wie ein… Engel. Bei den Göttern. Was ist diese junge Frau schön.

„Ich tu dir nichts.“ sage ich und hebe beide Hände. „Siehst du? Nichts.“

Wie sie auf meine Hände starrt, die Augen weit aufgerissen… Mir scheint, sie erwartet geschlagen zu werden. Oder sie sieht Männerhände zum ersten Mal. Ja. Gut. Sind nicht die gepflegtesten. Zwar halte ich meine Fingernägel kurz und sauber, gehöre aber nicht zu denen, die sich ihre Haut mit sonst was einschmieren, damit sie um zehn bis zwanzig Jahre jünger aussehen.

Unter uns… Ich bin noch keine dreißig! Ich brauche so einen Scheiß nicht!

Immer wieder huscht ihr Blick zwischen meinen Händen und meinem Gesicht hin und her.

„Tja…“ Mir fehlen die Worte. Ich möchte die junge Frau bitten, mit mir zu kommen. In meine Wohnung, wo es warm ist. Und trocken. Sie kann duschen, oder baden. Was zum Anziehen findet sich auch. Ein Jogginganzug, oder so. Und etwas essen und trinken, wenn sie mag. All das möchte ich ihr sagen, ohne es anzüglich klingen zu lassen. Weil ich nicht weiß, was ich tun soll, ziehe ich meine Jacke aus und halte sie ihr entgegen. „Hier. Zieh das an. Du frierst doch.“ Ich nicke und lächle. „Nimm nur.“ Hoffentlich versteht sie, was ich sage.

Sie versteht mich – halbwegs. Sie nimmt die Jacke und presst sie gegen ihre Blöße.

„Anziehen.“ Ich nicke und lächle wieder. „Das ist besser!“

Zum ersten Mal spricht diese junge Frau, und es klingt wie die Zerbrechlichkeit eines lauen Luftzugs. „Du bist Aaron Meyers.“ Eine Frage ist das nicht. Eher eine Feststellung.

Durch und durch perplex sehe ich sie an, diese junge Frau. Den Mund geöffnet bejahe ich es stumm.

„Gut. Aaron Meyers. Du bist auserwählt.“

Auserwählt. Aha. Auserwählt? Wie bitte? Im Moment kann ich im Dunkeln spazieren gehen, weil über meinem Haupte drei Fragezeichen leuchten. Und wie sie leuchten! „Auserwählt? Zu was?“

Sie strahlt mich regelrecht an, diese junge Frau. Was sie zu berichten hat, macht sie sichtlich stolz. „Du darfst dich mit mir paaren und wir werden den Fortbestand meiner Rasse sichern.“

„Whoa! Mal langsam!“ Ich stehe auf und gehe ein paar Schritte zurück. „Ich? Ich soll mich mit dir paaren? Um was?“

„Den Fortbestand meiner Rasse zu sichern.“

Nett. Wirklich nett. Ich bin auserwählt den Fortbestand ihrer Rasse zu sichern. Echt mal. Ganz nett. Die Sache hat nur einen winzig kleinen Haken.

Ich bin gänzlich ungeeignet, mich mit ihr zu paaren und den Fortbestand ihrer Rasse zu sichern.

Ich bin schwul. Nicht einmal latent hetero.

Ich fürchte, ich bin der falsche Aaron Meyers. Nein. Moment. Ich hoffe, ich bin der falsche Aaron Meyers!
 

//Bestimmt war sie hier nicht richtig.

Wo war sie überhaupt? Aus den großen metallenen Kisten roch es nach den Überresten der Gesellschaft dieser Welt.

Wie kalt es in dieser Welt war. Laut war es auch und die Luft stand und stank. Oder war nass, weil es regnete. Wie jetzt. Auf dem Boden kauernd kroch sie zwischen den großen metallenen Kisten und drückte sich an die Wand. So erreichte sie der Regen nicht ganz.

Bestimmt war sie hier nicht richtig.

Die Wesen dieser Welt. Wie schnell sie vorbeiliefen, als hasteten sie ihrem Leben nach. Oder davor weg.

Ihre Kinder waren niedlich und unterschieden sich nicht von denen ihrer eigenen Welt. Eines winkte ihr ganz kurz, wurde dann von der Mutter an die Hand genommen und fortgezerrt. Die Mutter hörte auch nicht zu, als das Kind erzählte, einen Engel gesehen zu haben.

Bestimmt war sie hier nicht richtig.

Die Beine eng an den nackten Leib geschmiegt deckte sie sich mit ihrem langen Haar zu, umschlang ihre Knie und begann zu zittern. Wie kalt es in dieser Welt war. Und nass. Wie eilig es die Wesen dieser Welt hatten. Wie schnell sie vorbeiliefen.

Würde er wirklich kommen? Derjenige, der für sie auserwählt war? Sie zweifelte. Ihr war kalt. So kalt wie nie zuvor in ihrem Leben.

Bestimmt war sie hier nicht richtig.

„Hey.“ sagte eine sanfte Stimme.

Sie erschrak und schaute sich um.

Da. Das war er. Er! Seine Augen. So dunkel wie fruchtbare Erde. Sterne fanden sich darin. Und sein Haar glänzte wie das Licht des Mondes. Dann war sie… hier doch richtig?

Er sprach mit ihr, ganz sanft. Und doch ängstigte sie sich und wich zurück.

Kurz nur blickte er auf ihre Nacktheit, doch war in seinem Blick keine Gier nach ihrem Leib zu sehen. Er reichte ihr seine Jacke, nickte und lächelte und sprach wieder.

Obwohl für ihn bestimmt verbarg sie ihre Blöße.

Wieder richtete er das Wort an sie.

Endlich wagte sie, selbst zu sprechen. Fragen mochte sie nicht. Eine Ablehnung würde bedeuten, sie hatte sich geirrt. Darum stellte sie fest, fügte auf seine wortlose Zustimmung eine Erklärung hinzu.

Nein. Sie irrte nicht. Er war es.//

Tränen

Mann! In so eine Lage bin ich noch nie geraten. Kommt diese junge Frau echt von woanders? Oder ist sie nur aus einer Irrenanstalt abgehauen? Wo ist dann ihre Anstaltskleidung?

Erst einmal nehme ich sie mit in meine Wohnung. Da ich Aaron Meyers bin, bedarf es nicht viel Überredungskunst.

Kaum die Tür geöffnet stürmt Mitternacht auf mich zu. Nein. Sie stürmt an mir vorbei und schnurrt so laut sie kann, streicht der jungen Frau um die Beine und maunzt aufgeregt, als sind die beiden alte Freunde.

Oh… Also… Für die, die es noch nicht erkannt haben. Mitternacht ist meine Katze. Schwarz wie… Nun… Mitternacht. Normalerweise verhält sich Mitty nicht so bei Fremden. Sie geht ungern auf Tuchfühlung mit Leuten, die sie nicht kennt. Darum verwundert mich das Schauspiel. Aber wie!

„Na?“ fragt die junge Frau, kniet auf dem Boden und schon leckt meine Katze der fremden Frau das Gesicht! Und das hat Mitternacht noch nie gemacht. Mittys Küsse kriege sonst ausschließlich ich! Hm. Ich werde wohl gerade eifersüchtig.
 

//Er hatte eine Katze. Nun war sie absolut sicher, sie irrte nicht. Er war untrüglich der Aaron Meyers, der auserwählt wurde den Fortbestand ihrer Rasse zu sichern. Sie seufzte glücklich.//
 

„Hör mal…“ richte ich das Wort an sie und mir fällt ein, ich habe nicht einmal nach ihrem Namen gefragt. „Wie heißt du?“

„Sundora.“

Mir ist suspekt, wie strahlend sie mich anlächelt. Wie ein irrer Fan, der seinen Star anlächelt.

Hilfe!

Ich hole tief Luft um all ihre Pläne mit drei Worten in einem Satz zunichte zu machen. „Ich bin schwul!“

„Das macht doch nichts.“ erwidert sie und das Lächeln ist mir nicht mehr suspekt. Es macht mir Angst. „Das wird kein Hindernis sein.“ fügt sie hinzu.

„Nicht?“ Aha. So klinge ich also in Panik.

„Aber nein.“ Sie schüttelt den Kopf und ihr langes Haar folgt dieser Bewegung. „Bei uns herrscht Religionsfreiheit.“

„Bitte… was?“ Also… Da muss ich mich erst einmal gründlich räuspern. „Sundora…“

„Ja?“ Sie krault Mitternacht und steht auf, zieht meine Jacke aus und lässt sie achtlos zu Boden fallen. „Paaren wir uns jetzt?“

Hilfe, zum zweiten!

Sofort hebe ich meine Hände abwehrend in die Höhe. „Nein! Ehrlich nicht! Also…“ Sieh mal einer an. Meine Panik ist noch steigerungsfähig. „Weißt du nicht, was ‚schwul’ bedeutet?“

Die junge Frau schüttelt wieder den Kopf.

„Das heißt…“ Wie drücke ich es am besten und unmissverständlichsten aus? „Ich paare mich nicht mit Frauen.“ scheint mir die beste aller Erklärungen. „Zur geschlechtlichen Vereinigung ziehe ich Männer vor. Nur Männer!“ ergänze ich. Damit sollte alles klar sein, denke ich. Ist es. Klarer als klar. Ihre Reaktion ist der beste Beweis.

„Du… Du…“ stammelt sie erstickt.

Bei den Göttern! Was habe ich da angerichtet. Tränen sammeln sich in ihren Augenwinkeln und sie verzieht das Gesicht wie unter schlimmsten Qualen.

„Du… Du… willst mich nicht?“ fragt sie und weint.

Sie weint! Und das mir. Dreizehn Mal habe ich ‚Titanic’ gesehen. Dreizehn Mal! Und dreizehn Mal habe ich geheult und geflennt, weil Leonardo DiCaprio absoff. Von anderen Rührstücken gar nicht zu reden. Frauen gehen darum unheimlich gern mit mir ins Kino. Weil ich so sensibel bin. Der Typ, der die Taschentücher en masse verbraucht… Das bin immer ich.

Zu dieser Gelegenheit: Wenn einer von euch das meinen Kollegen erzählt… Ich habe eine Marke und eine Kanone und keine Scheu, was den übermäßigen Gebrauch meiner Kanone angeht. Klar? Oder muss ich deutlicher werden? Ich bin nämlich nicht so sensibel, wie alle glauben.

Ach nein. Jetzt hockt sich das arme Ding auf den Boden und ist in Rotz und Wasser aufgelöst. Was bin ich nur für ein ungehobelter Grobian! Ich habe ihr das Herz gebrochen. Hätte ich nicht Migräne vorschieben können?

„Dann… Aber… Wo ist…“ In ihrem Kummer bringt Sundora keinen vernünftigen Satz heraus. „Du… Du…“
 

//Sie hatte sich wirklich geirrt? Aber… Seine Augen, seine Haare, seine Katze. Er musste einfach der Richtige sein. Das Herz zersprang ihr. Gram und Elend entluden sich in einem Sturzbach von Tränen.

„Sundora…“ flüsterte er, kauerte neben ihr und zog sie in seine Arme.//
 

Ich kann nicht anders. „Sundora…“ sage ich leise, gehe neben ihr auf die Knie und nehme sie in die Arme. „Hör mal… Auch wenn ich… Wenn ich… der falsche Aaron Meyers bin…“ Worte! Tröstende Worte! Schnell! Du ungehobelter Grobian! „Ich… Ich m-m-mag dich, Sundora. Und ich… Nun ja…“ Ich hasse es! Ich bin sensibel und fange an zu stottern.

Wer es erzählt, stirbt durch eine Kugel!

„Kleines… Ich bin ein Cop… Also… Polizist… So eine Art… Sheriff… Ein… Gesetzeshüter. Ich kann dir helfen… Wir finden den richtigen Aaron Meyers, hm?“

Du… bist… der… Richtige!“ schluchzt sie unbeirrt.

„Aber… Aber ich… und… Frauen… Das ist… Das… Das geht nicht… B-b-bei mir nicht.“ Toll. Echt toll. Mister Trostspender auf Stotter-Mission! Wo ist Lars, wenn ich ihn brauche?

Traum

\\Im Takt auf das Lenkrad eintrommelnd singt Lars Meyers einen seiner Lieblingssongs aus dem Radio. Seine Stimme überschlägt sich beim Refrain und klingt nach dem Quieken eines Schweins, was ihn nicht weiter stört. Die Scheiben seines Delta Zedd sind zu, also kann sich keiner über eine Geräuschbelästigung beschweren.

Er ist gespannt, ob sein großer Bruder wirklich gekocht hat. Was Genießbares. Hoffentlich keine Nudeln. Die werden bei Aaron immer pampig und wabbelweich. Oder irgendwas mit Soße. Das ‚irgendwas’ undefinierbar und die Soße… Flüssig und mit Klümpchen. Aarons Spezialität.

Ein kurzer Blick auf den Beifahrersitz. Sicherheitshalber hat Lars vorher eingekauft.

Putengeschnetzeltes, frische Gnocchi und Salat. Eine kleine Nascherei für Mitty nicht zu vergessen.

Er grinst und gesteht sich ein, er ist gespannter, ob sich sein großer Bruder überhaupt daran erinnert, seinen kleinen Bruder heute zum Essen eingeladen zu haben.

Eine kurze Überlegung und ein breiteres Grinsen. „Wahrscheinlich nicht.“ Und er trällert wieder den Refrain mit.\\
 

//Wie konnte ihr dieser Irrtum nur passieren? Hatte sie etwas falsch gemacht? Oder sollte sie… bestraft werden? In dieser Welt ausgesetzt werden? Dieser Mann hielt sie in seinen starken Armen und versuchte sich an Worten, die ihre Not lindern sollten. Wenn er wirklich nicht der Richtige war, gab es nichts, was ihre Not zu lindern vermochte.

Die Tränen wollten nicht versiegen. Das Herz tat ihr weh. Welche Verfehlung wurde ihr angelastet, eine solche Strafe zu verdienen?

Freiwillig gemeldet hatte sie sich. Dazu unzählige Tests bestanden, um hierher zu kommen und sich mit dem auserwählten Mann zu paaren. Stolz war sie, ihrer Rasse diesen Dienst erweisen zu dürfen. Und nun? „Du musst es sein!“ flehte sie.//
 

Ihr Schluchzen macht es mir nicht leichter. Mein Hemd ist durchweicht von ihren Tränen und sie beruhigt sich einfach nicht.

Mann! Ich kann ihr nicht einmal zum Trost anbieten, mich mit ihr paaren zu wollen. Ich stehe nicht auf Frauen. Kein bisschen. Egal, wie schön sie sind. Sundora ist schön. Kein Zweifel. Aber… Selbst wenn man sie mir nackt auf den Bauch bindet… Bei mir regt sich nichts.

Oder… Soll ich die ganze Zeit an einen Mann denken? Wenn ja, an welchen? Ich bin nicht nur schwul, sondern Single. Zurzeit auf der Suche. Aber irgendwie… Männer kriegen es mit der Angst zutun, wenn ich ihnen erzähle, ich bin ein Cop.

Lars behauptet, es liegt daran, Cops verprügeln Schwule. Ich habe noch nie einen Schwulen verprügelt. Cops umso mehr. Gerrit Berger. Mein… Kollege. Der kriegt regelmäßig einen auf den Deckel. Muss der auch! Sein bekanntester Spruch: „Ich kann das nicht!“ Ich bin oft versucht, ihn mit zum Schießstand zu nehmen. Als Zielscheibe, versteht sich. Zum Kugeln fangen. Das wird er wohl können!

Solltet ihr ein Synonym für Inkompetenz und Nutzlosigkeit suchen. Sagt Gerrit Berger. Passt.

Warum hört sie nicht auf zu weinen? Soll ich sie unter die kalte Dusche stellen? Tolle Idee, Grobian! Erst das Herz brechen und dann auch noch foltern!

„Du musst es sein.“ wispert die junge Frau mit flehender Stimme.

„Sundora… Kleines… Gehen wir die Sache mal… logisch an.“ versuche ich. „Wer hat behauptet, ich sei derjenige welche?“

„Darf ich nicht sagen!“ erwidert sie hastig.

In dieser Sekunde stelle ich mich auf einen langen Tag und einer kurzen Nacht ein.
 

\\Den Delta auf dem Parkplatz vor dem Haus wirbelt Lars Meyers mit dem Schlüssel und pfeift den eben gehörten Song. Ein paar Tanzschritte, einen Moonwalk und weiter.

Klingeln braucht er nicht. Mit Sicherheit ist Aarons Klingel immer noch defekt, kaputt, im Ar…

Macht nichts. Er hat ja einen Schlüssel.

Die Haustür aufgeschlossen und ein paar Treppen später schließt er die Wohnungstür auf.

Das Bild, was sich ihm bietet lässt Lars nicht lang überlegen, sondern handeln. Den Einkauf lässt er einfach fallen.\\
 

Lars ist da. Neben ihm geht eine Tüte zu Boden. Ah ja… Ich hatte ihm zum Essen eingeladen. Toll. Vergessen! Aber… Mit Sundora habe ich eine Entschuldigung zum Vorschieben.

Er grüßt nicht, nimmt sich keine Zeit zum Überlegen, sondern handelt sofort.

Schnellen Schrittes eilt er in mein Wohnzimmer und kommt mit einer Decke wieder. Die rosafarbene, flauschige. Die, die ich selbst gestrickt habe. Ich stricke unheimlich gern. Das hat etwas Beruhigendes. Mit Stricknadeln bin ich wirklich gut. Und Mitty spielt so gern mit der Wolle.

Oh… Noch mal unter uns… Das brauchen meine Kollegen keinesfalls zu wissen. Die denken alle, ich bin nur gut mit der Knarre. Damit bin ich nämlich auch wirklich gut. Also! Wer meint, da was ausplaudern zu müssen… Der kriegt ein Loch in den Bauch!

Mein kleiner Bruder legt der jungen Frau die Decke um die Schultern und hüllt sie darin ein. Sacht löst er ihre Umklammerung von mir, hebt sie wie ein kleines Mädchen hoch und trägt sie ins Wohnzimmer.

Widerstandslos lässt Sundora es mit sich machen. Ihr Blick ist… wie zerbrochen und ihr Schluchzen klingt so unendlich traurig.
 

\\Dinge passieren.

Wissen die Götter, warum Dinge passieren wie sie passieren.

Scheinbar zieht Aaron die Versprengten und Heimatlosen und die, die nicht wissen, wo sie sonst hin sollen magisch an.

Das letzte Mal war es Randy, von oben. Der Junge ist vor seinem Onkel geflüchtet, weil der über ihn herfallen wollte.

Dem Scheißkerl hat sein großer Bruder ordentlich das Fressbrett verbogen. Seine Kollegen sind anschließend genauso wenig zimperlich mit diesem verkappten Kinderschänder umgegangen.

Was dieser jungen Frau wohl passiert ist? Sie zittert am ganzen Leib.

„Danke.“ flüstert Aaron.

Lars nickt. „Rette du den Einkauf.“ weist er an. „Putengeschnetzeltes.“ fügt er hinzu und zeigt mit dem Kinn auf Mitty, die sich in der Tüte nicht nur über die ihr zugedachten Leckereien hermacht.\\
 

//Sie starrte ihn an. Denjenigen, der sie auf den Armen trug. Seine Augen waren so dunkel, wie des Aaron Meyers. Er sah Aaron Meyers sehr ähnlich. Nur sein Haar… Es glänzte wie die aufgehende Sonne. Rot und gold gleichermaßen.

„Sch, sch, kleines Kätzchen.“ sagte er leise und brachte sie in einen anderen Raum, setzte sie sacht auf ein Sofa und kniete vor ihr. „Bleib hier sitzen. Ich bringe dir einen Tee.“//
 

Immer wieder sieht Lars sich um, als er zu mir in die Küche kommt. Mir fällt auf, er ist mit seinen Gedanken woanders. Er erschrickt sogar, obwohl ich ihn nur so eben angetippt habe. „Hey, kleiner Bruder.“ hole ich die Begrüßung nach

„Hey, großer Bruder.“ gibt er zurück und drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Ron…“ Er streicht sich über die Stirn, wie er es immer tut, wenn er ein Geständnis zu machen hat. „Halte mich bitte nicht für verrückt…“

Das tue ich bei meinem Bruder nie! Egal, wie… außergewöhnlich er ist.

„Ich… Also… Ich…“ Er ringt mit Worten.

Ich lege meine Hände auf seine Schultern. „Es ist die Frau deiner Träume.“ stelle ich für ihn fest und sehe, wie er nickt.

„Sundora.“ flüstert er. „Ihr Name ist Sundora.“

Ich habe es ihm nicht gesagt. Brauche ich auch nicht. Lars weiß Dinge. Träumt Dinge. Manche dieser Dinge gehen in Erfüllung.
 

\\Der Traum, der ihn seit etlichen Nächten – manchmal auch Tagen verfolgt tut sich ihm auf.

Sundora.

Wo sie herkommt, verrät sie nicht. Sie braucht Schutz. Aaron ist derjenige, der sie beschützt. Oft sieht Lars sich im Traum den Bauch der jungen Frau streicheln. Gerundet, durch einem Kind unter ihrem Herzen. Und während er das tut, geht sein großer Bruder vor ihnen zu Boden. Getroffen, blutend. „Flieht.“ ist das, was er sagt. Dann stirbt er.\\

Gelegenheiten

Lars erzählt mir von einem Traum und an seiner Stimme höre ich, am liebsten möchte er weinen.

Mein kleiner Bruder. Ich nehme ihn in die Arme. „Hey.“ flüstere ich. „Seit wann lässt sich dein großer Bruder kleinkriegen, hm?“

„Aaron…“

„Nein. Der Tee ist fertig!“ Nur so ein gefriergetrocknetes Zeug, aber trinkbar. „Den servierst du jetzt unserem Gast, setzt dich zu ihr und guckst, ob du was heraus bekommst!“

Lars nickt. Gut.

Ich gebe ihm das Tablett mit Kanne und Tassen in die Hand, stelle Zucker, Milch und die kleine Dose mit dem gekauften Gebäck dazu und schicke ihn los.

Einen Moment setze ich mich auf die Anrichte und grüble. Sterben. Na ja… Mir persönlich kommt das ein bisschen zu früh, aber… Ich hoffe, Lars und Sundora werden dadurch fliehen können.

Für meinen kleinen Bruder gebe ich alles, wisst ihr. Mein kleiner Bruder ist der einzige, den ich noch von meiner Familie habe. Mein Tod für sein Leben… Das ist wahrlich das geringste Opfer. Ich denke Lars weiß das. Und deshalb hat er solche Angst um mich. Er vergisst immer, ich bin hart im Nehmen. Also… Nicht unsterblich, aber nahe dran.
 

\\Inmitten der Schritte hält Lars inne und blickt zurück in die Küche. Auf der Anrichte sitzend ist Aaron in Gedanken versunken. Der Traum. Klar! Lars möchte sich am liebsten ohrfeigen. Vielleicht hätte er nichts erzählen sollen. Aaron hat keine Angst vor dem Tod. Und für ihn – seinen kleinen Bruder – gibt er sein Leben ohne weiteres.

Wahrscheinlich – so vermutet Lars – hofft sein großer Bruder, sein kleiner Bruder und Sundora können dadurch fliehen.

„Na!“ ruft Aaron. „Geh jetzt!“

Lars lächelt etwas verunglückt. „Bin schon weg.“ Er blinzelt schnell ein paar Tränen weg, Aaron sieht es dennoch. „Lars…“ meint er und grinst spitzbübisch wie aufmunternd. „Hey! Brüderchen… Wir haben schon anderes gemeistert. Du weißt das.“

Ja. Haben sie. Lars weiß das.

Und jedes Mal ist Aaron verletzt worden. Jedes Mal dem Tode näher, denn dem Leben.

Jedes

verfluchte

Mal!

Und dieses Mal? Wird Aaron dieses Mal sterben?

„Nein!“ ruft Aaron in Lars Gedanken hinein und hebt eine Hand, zur Faust geballt. „Willst du wohl und kümmerst dich endlich um unseren Gast!“\\
 

//Wie die aufgehende Sonne. Dieses Haar. Sie konnte nicht lassen, dieses Haar anzusehen. Und seine Augen. Er lächelte so warm und herzlich und tröstend und entblößte sein Gebiss. Weiß und ebenmäßig. Was würde der Rat sagen, wenn sie eigenmächtig handelte und ihn zum Auserwählten machte? Oder… War er auch schwul?

Die Decke zog sie enger an ihre Schultern und fragte nach einem tiefen Durchatmen: „Sag, Lars Meyers… Bist du auch schwul?“//
 

\\In aller Eile stellt Lars das Tablett auf den niedrigen Tisch vor dem Sofa, prustet und lacht. Eigentlich will er das gar nicht, aber die nahezu beschwörende Hoffnung in ihren tiefblauen Augen…

„Verzeih…“ schnauft Lars und hält sich den Bauch, setzt mehrmals zu einer Antwort an und scheitert, erneut in Gelächter ausbrechend. „Nein…“ artikuliert er endlich. „Bin… ich… nicht.\\
 

//Sie sprang von Sofa, riss sich die Decke von den Schultern und breitete die Arme aus. „So nimm mich doch!“ verlangte sie flehentlich. „Jetzt! Unser Kind wird stark sein. Gesund. Und schön.“//
 

Ich denke, ich gucke nicht richtig. Die Arme ausgebreitet steht Sundora da. Nackt. Nicht in meiner Umarmung, die ein Teil ihrer Blöße bedeckt. Nicht eingehüllt in die rosa Decke, die den Blick auf ihren Leib verbirgt. Vollkommen nackt.

Lars geht in die Knie und ächzt leise.

Bei den Göttern.

Mein kleiner Bruder ist mit dieser Situation völlig überfordert. Seinen Erzählungen zum Trotz, die ich für reine Angabe und von einem gewissen nicht jugendfreien Magazin für Herren abgelesen halte – Eine treuere Seele als ihn gibt es nämlich nicht! – Lars Meyers sieht in diesem Augenblick und zum ersten Mal eine nackte Frau und das in natura!

Aha! Seine Hände wandern unauffällig an seinen Schritt. Sicherlich eine verräterische Beule verbergend. Yep. Und wie blass er wird. Definitiv. Erste Mal. Nackte Frau. In natura.

Um einiges blasser werdend und die Augen zukneifend gibt er ein ersticktes „Ugah…“ von sich.

Na… Der Schuss ging in die Hose…

Schnell bin ich bei Lars und stelle mich vor ihn, hülle die junge Frau in die Decke und zeige mein strahlendstes Lächeln. Zugegeben, ein bisschen Schadenfreude ist auch darin. „Sundora. Verzeih. Setzt dich bitte. Wir sind mal eben im Bad. Mein kleiner Bruder braucht eine warme Dusche. Für eine kalte ist es zu spät.“

Begebenheiten

Hummerrot und die Schultern hochgezogen, noch immer beide Hände am Schritt und mit einem Gang, der jeden Cowboy neidisch macht eilt Lars ins Bad.

Ich folge ihm wenig später, ein paar frische Sachen parat.

„Ist mir das peinlich!“ nuschelt mein kleiner Bruder und zieht sich aus. „Was sie wohl jetzt von mir denkt?“

„Wahrscheinlich weiß sie gar nicht, dass du dich gerade… eingenässt hast.“ Damit werde ich Lars gewiss eine Weile aufziehen. „Da tut der Herr so weltmännisch und beim ersten Anblick einer echten weiblichen, vor allem nackten Schönheit…“

„Ja!“ unterbricht er mich unwillig, stopft seine Sachen sofort in die Waschmaschine und hüpft unter die Dusche. „Ist einfach passiert!“ ruft er gegen das laufende Wasser. „Verdammt! Zu gern hätte ich sie wirklich… Sie ist so… So schön. Und rein. Und ich? Hab gleich schmutzige Gedanken!“

„Hm…“ merke ich an. „So schnell, wie du…“

„Jahaa! Reden wir nicht darüber! Okay?“

Damit bringt er mich nicht aus dem Konzept. „So schnell, wie du einen abgelassen hast, hattest du garantiert nicht die Zeit für schmutzige Gedanken.“ Rechtzeitig gehe ich in Deckung. Lars zielt mit dem Duschkopf auf mich, trifft aber nicht. Tatsache ist, ich bin der bessere Schütze von uns beiden. Und der gemeine große Bruder! Darum revanchiere ich mich mit dem Aufdrehen des Wasserhahns am Waschbecken, als Lars sich den Seifenschaum von Mini-Lars spült.

Das Wasser wird eiskalt. Prompt.
 

\\Lars japst, stellt sofort das Wasser ab und sieht seinen großen Bruder am Waschbecken stehen und lachen. „Ah ja!“ meint dieser feixend. „Temperatur wird neuerdings in… Zentimetern gemessen…“

„Du Arsch!“ schimpft Lars und schlingt sich in aller Eile ein Handtuch um die Hüften. „Du bist gemein!“

Aaron grinst wie ein Honigkuchenpferd. „Gemein und stolz darauf!“ Versöhnlich hält er seinem kleinen Bruder frische Unterwäsche entgegen. „Na, komm. Wir wollen deine Traumfrau nicht so lange warten lassen.“

„Aaron… Die Sache mit dem Traum…“

Das Grinsen seines großen Bruders verschwindet. „Ich habe es geschworen.“ sagt er, kehrt seinem kleinen Bruder den Rücken und verlässt das Bad.

„Aber nicht bis zum Tod!“ schreit Lars ihm hinterher und hört Aarons Erwiderung: „Doch, kleiner Bruder. Wenn es sein muss, bis zum Tod.“

Auf den Toilettendeckel niedergelassen schlägt Lars die Hände vor das Gesicht. Leise weint er und ihm wird bewusst, wie oft Aaron seinen kleinen Bruder beschützt hat. Und er wird es wieder tun. Aaron wird Lars beschützen. Sundora dazu. Bis zum Tod…\\
 

//Die Katze setzte sich auf ihren Schoss und schnurrte. Sie streichelte das schwarze Fell des Tieres. „Diese Welt und ihre Bewohner… Alles ist so eigenartig.“ flüsterte sie. „Nur Aaron und Lars Meyers sind eigenartiger, als die anderen.“

Mitternacht setzte sich auf die Hinterpfoten. Die grünen Augen der Katze blickten in ihre tiefblauen. „Weißt du…“ Das Tier maunzte. „Es ist wahr. Aaron und Lars sind eigenartig. Eigenartiger, als die anderen. Denn wie du, Sundora, beide entstammen nicht dieser Welt.“//

Silberrücken

Mein Telefon klingelt. Damit haben sich meine freien Tage garantiert in Luft aufgelöst. Für eine Sekunde überlege ich, es einfach klingeln zu lassen. Was immer passiert ist. Soll das Departement doch ‚Ich kann das nicht‘-Berger anrufen!

Eine Mischung aus Gutmütigkeit, Neugier und Idiotie lässt mich doch das Gespräch entgegen nehmen. Oh. Wen haben wir denn da. „Tag, Berger. Mal wieder was, was du nicht kannst?“ begrüße ich meinen Kollegen und bin geneigt, mir in den Arsch zu beißen. Diese verdammte Neugier in der Mischung!

„Tja… Silberrücken…“ erwidert Berger und ahnt nicht, eines Tages werde ich ihm dafür die Nase brechen.

Ich lasse mir viel an den Kopf werfen. Schimpfnamen – manche richtig einfallsreich und darum witzig – und Gegenstände. Das verrückteste, was mir an den Kopf geworfen wurde war ein Kondom-Automat. Gefüllt. Ein paar der Gummis habe ich immer noch. Eine Narbe am Hinterkopf obendrein. Souvenirs…

Berger allerdings… Stets den Bogen überspannt nennt er mich ‚Silberrücken‘. Findet das scheinbar lustig. Als Anspielung auf meine Haarfarbe.

Klar. Ich nenne ihn ‚Ich kann das nicht‘-Berger. Jedoch nie vor Untergebenen, Kollegen oder Vorgesetzten sowie Zeugen, Verdächtigen oder Tätern.

Nie gebe ich letztgenannten einen Grund sich über Mister Inkompetenz lustig zu machen oder seine Integrität in Zweifel zu ziehen.

„Die haben da was gefunden…“ erzählt diese Nullnummer. „Fällt in dein Metier. Ist ziemlich abgefahren. Und ziemlich ekelhaft!“

„Ich höre?“

Endlich erzählt er und es obliegt mir, die wichtigen Informationen aus seinem Bericht herauszufiltern, der angefüllt ist mit hohlen Phrasen. Er soll auf den Punkt kommen! Tut er nicht. Er hört sich gern reden. Wenn ich wissen will, was los ist, muss ich selbst zum Tatort.

Meine freien Tage haben sich wirklich gerade in Luft aufgelöst. Na dann… „Ja. In zehn Minuten.“
 

\Lars sieht seinen Bruder telefonieren. Sagen tut Aaron nichts. Er hört nur zu. Seine Miene ist regungslos. Nach einer Eile nickt er. „Ja. In zehn Minuten.“ Damit beendet er das Gespräch, flitzt ins Wohnzimmer und kauert vor Sundora. „Mitty. Geh bitte.“ fordert er die Katze auf.

„Mjau.“ Und Mitternacht springt davon.\
 

//Wie Aaron Meyers sie anschaute. Diese wundervollen dunklen Augen. Sie sah die Wärme und Besorgnis darin. Zärtlich nahm er ihre Hand und hielt sie zwischen seinen. „Sundora.“ fing er an. „Ich muss weg. Lars bleibt bei dir. Und Mitty ist auch noch da.“ Er stand auf und lächelte. „Bitte, Sundora. Fühle dich hier wohl. Bis später.“//
 

\Aaron schlüpft in seine Jacke. „Lars. Muss weg. Du bleibst bei Sundora.“

„Ja, aber… Was sollen wir denn machen?“

„Ein Kind zeugen.“ erwidert sein großer Bruder lapidar und ist schon durch die Tür.
 

Sein großer Bruder ist weg. Lars ist allein mit der schönsten Frau sämtlicher Welten. Er holt tief Luft und nimmt sich vor, so ungezwungen wie möglich mit dieser Situation umzugehen. Nur seine Lendenregion scheint von der eben getroffenen Abmachung des Kopfes nicht zu wissen.

Im Wohnzimmer grabscht Lars nach der Fernbedienung, setzt sich in den Sessel, der am weitesten vom Sofa entfernt steht und will das TV-Gerät anknipsen. Irgendwas zur Ablenkung wird es ja geben.

Das Scheiß-Teil geht nicht an. Lars drückt alle Knöpfe der Fernbedienung und legt diese mit erzwungener Ruhe auf die Armlehne des Sessels. Kurz davor, den Fernseher einzutreten kann er sich noch beherrschen. Sundora soll keine Angst vor ihm haben.

Mit einem dezenten Seitenblick bemerkt er, sie schaut zu ihm herüber und lächelt verträumt. Lars schluckt und tut sein Möglichstes, die Schönheit der jungen Frau zu ignorieren. „Hast du… Hunger? Willst du was essen? Ich kann kochen. Richtig gut sogar. Und…“ Weiter kommt er nicht. Sundora erhebt sich und tritt an ihn heran. Die Decke gleitet von ihren Schultern. „Bitte.“ haucht sie. „Paare dich mit mir. Bevor es zu spät ist.“\
 

// Welcher Welt sie wohl entstammten und wie kamen sie hierher? Warum waren sie hier? Flüchtlinge? Gestrandete? Eroberer? Nein. Keine Eroberer. Sowohl Aaron als auch Lars hätten sie in den Fall anders behandelt. Nicht so… hilfsbereit.

Lars. Sein rotgoldenes Haar war wirklich wie das Licht der aufgehenden Sonne. In seinen dunklen Augen war die gleiche Wärme, die auch in den Augen des Aaron strahlte. Sie traf eine Entscheidung. Er sollte es sein. Der Vater ihres Kindes. Lars Meyers. Derjenige, der den Fortbestand ihrer Rasse sicherte. Sie lächelte. Warum auch nicht? Es gab kaum einen Unterschied zu Aaron Meyers. Das gleiche Gen-Potential.

Um ihr Wohl besorgt fragte er, ob sie Nahrung aufnehmen wollte und betonte seine Vorzüge zur Zubereitung eben jener.

Sie konnte nicht anders. Sie stand auf und ging zu ihm. Die Decke rutschte herab. Und sie bat ihn.//
 

\„So nicht.“ Seine Worte unterstreichend schüttelt Lars den Kopf. „Sundora… Halte mich für altmodisch, aber… Ohne Liebe?“ Er hüpft vom Sessel. „Ich hole dir was zum Anziehen! Hätte ich längst tun sollen! Und dann koche ich uns was. Das tut uns jetzt besser gut!“ Und flüchtet aus dem Raum.

Seine Lendenregion beschimpft gerade seinen Kopf. Das ist Lars egal und er ist dankbar um seinen Verstand. Er kennt diese junge Frau gar nicht. Zum Fortbestand der Rasse. Das hört sich… abstrus an. Liebe sollte der Grund für Sex sein. Aus Liebe sollten Kinder entstehen! Kinder der Liebe…

Lars schnieft und räuspert sich. Aaron und er sind Kinder der Liebe. Einer großen Liebe. Einer verbotenen Liebe… Ein bitteres Lächeln zeigt sich auf seinen Lippen. Die Söhne von Romeo und Julia… Nur in… Intergalaktisch…

Mit einem Jogginganzug auf dem Arm betritt er das Wohnzimmer und reicht die lässige Kleidung an Sundora weiter. „Bitte. Zieh das an.“

Die junge Frau nickt.

Den Anblick ihres nackten Leibes entgeht er, indem er in die Küche hastet.\
 

//Der Anzug war zu groß, aber wärmte. Und der Geruch, der davon ausging, gefiel ihr. Sie mummelte sich darin ein, setzte sich auf die Couch, legte die Decke auf ihren Schoß und seufzte behaglich. Was die Wesen dieser Welt aßen? Sie war neugierig. Nach dem Nährbrei roch es nicht. Der Duft, der aus dem anderen Raum kam, ließ ihr das Wasser im Munde zusammen laufen. Ein angenehmes Gefühl breitete sich in ihrem Innern aus. Sie hatte keine Zweifel mehr, hier richtig zu sein. Sie fühlte sich wohl.//

Gefallene Engel

Noch nicht einmal am Tatort quatscht Berger auf mich ein. „Richtig fies ekelhaft.“ meint er breit grinsend. „Ein paar von den Cops haben gekotzt. Die in der Uniform. Nix gewöhnt, die Schwachmaten!“

„Berger! Halt das Maul, oder ich stopfe es dir!“ verlange ich wenig höflich und zeige dem Uniformierten am Absperrband unaufgefordert meinen Ausweis. Netter Kerl. Er hebt für mich das Absperrband und lässt mich durch. Ich bedanke mich. Der nette Kerl nickt und lächelt, darum schaue ich kurz auf das kleine Messingschildchen an seiner Brust. Officer Aparo. Mein nächster Blick geht wieder in sein Gesicht. Leider ist nicht viel davon zu erkennen. Der tiefsitzenden Schirmmütze wegen. Ich sehe aber, er lächelt mich direkt an – Das ist kein ‚Du bist ein Cop, ich bin ein Cop‘-Höflichkeits-Lächeln! – und zwinkert kurz.

Officer Aparo. Hm…

Berger hat nicht dieses Glück, muss sich den Einlass selbst verschaffen. Liegt wohl an seiner Art mit Streifenpolizisten umzugehen.

Nach ein paar Schritten bin ich am Fundort der Leiche – zwischen Haufen wild abgeladenen Mülls – und stelle mich zu Doktor Charlene Rush, unsere Pathologin. Sie kauert auf dem Boden und versorgt mich mit ihren Infos, die weit besser und professioneller sind, als das, was Berger von sich gegeben hat. „Unbekannt. Männlich. Schätzungsweise Anfang zwanzig. Wurde so aufgefunden. Bisher haben wir keine Kleidung entdeckt, die ihm gehören könnten. Seit etwa drei Stunden tot. Das Herz fehlt. Vielleicht mehr. Das kann ich erst nach der Obduktion sagen.“

Neben ihr gehe ich in die Hocke und stecke meine Hände in Einmal-Handschuhe aus Vinyl. Charlene gibt mir Zeit und Ruhe, die Leiche selbst zu begutachten. Unbekannt. Männlich. Schätzungsweise Anfang zwanzig. Nackt. In einer aufrecht sitzenden Position. Die Hände im Schoß gefaltet und die Blöße verbergend. Die Augen geschlossen und ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Es wirkt beinahe tröstend. Die einsetzende Totenstarre.

Von Charlene verborgen hole ich tief Luft. Sicher. Ich habe schon viel gesehen. Dennoch bin ich froh, nicht abgestumpft zu sein.

Jemand hat ihm die Kehle durchtrennt. Tiefer Schnitt. Ohne Zögern und mit der Absicht zu töten beigebracht. Die Arme und Hände des Mannes drehend suche ich die Haut ab. Keine blauen Flecke oder Schnitte. „Keine Abwehrverletzungen.“ murmele ich und höre Charlenes Zustimmung. „Er muss überrascht worden sein. Oder er kannte seinen Mörder. Oder beides.“ überlege ich weiter. Die Unversehrtheit der Arme und Hände steht im krassen Gegensatz zu dem Anblick, der sich mir noch bietet. Der Oberkörper wurde aufgeschlitzt. Vom Hals bis zum – wie ich erkenne – Unterbauch. Dann noch einmal quer unterhalb der Brust. Von links nach rechts. Die Haut ist nach allen vier Seiten weggeklappt. Die Rippen sehen so aus, als hätte jemand seine Faust reingerammt und das Herz im Anschluss einfach herausgerissen. Die Gedärme hängen halb heraus. Ein Teil der Innereien liegt neben dem jungen Mann verstreut. Eine Niere kann ich identifizieren.

Ich singe leise. Das Totenlied meiner Heimat. Das tue ich immer. Für die Leiche, für mich.

Nur die wenigsten machen sich noch darüber lustig. Im Grunde… Nur einer macht sich noch darüber lustig. Ja. Richtig geraten. ‚Ich kann das nicht‘-Berger, der den Gesang nicht versteht und darum falsch interpretiert. Seine blöden Töne gehen mir am Arsch vorbei. Soll er doch.

Wisst ihr… Manche Opfer haben keine Familie. Keine Freunde. Keine Bekannte. Einfach niemanden. Ihr wärt überrascht, wie viel Einsamkeit es unter den Menschen gibt. Da sollte wenigstens einer ihren Tod besingen. Das bin dann halt ich. Die Sache mit dem sensibel.

Zur Erinnerung: Ein Wort zu meinen Kollegen… Und ihr könnt euch einen ZWEITEN Bauchnabel piercen lassen!

Drei Stunden tot. Am helligten Tag auf solch bestialische Weise umgebracht. Ungesehen? „Zeugen?“

„Wir suchen.“ erklärt Sergeant Hollister, einer der wenigen uniformierten Beamten vor denen Berger Respekt… Angst hat.

Ich persönlich mag ihn. Seine Art. Sein Auftreten. Er hält auch nichts von vielen – vor allem leeren Worten. Wir verstehen uns gut. Genau genommen nenne ich Dave Hollister einen väterlichen Freund, der mir alles über Polizeiarbeit beigebracht hat. Seine Meinung ist mir weiterhin ziemlich wichtig, darum frage ich ihn danach.

„Der Junge ist nicht von hier.“ Dave zeigt auf die Leiche. „Sieh dir die Haut an. Sauber und gepflegt. Aus dem Obdachlosen-Milieu kommt er nicht. Vielleicht ein Edel-Stricher aus einem der guten Bordells. Ich frag mal rum.“

„Du wärst ein Spitzen-Detective.“ sage ich ihm und stehe auf.

„Einmal blauer Junge, immer blauer Junge.“ erwidert er und blinzelt mir zu. „Der bessere von uns beiden ist der Spitzen-Detective.“ Er hebt den Daumen und weist hinter sich. „Hab keinen Schimmer, wer ihn zum Detective gemacht hat.“

Berger ist mal wieder dabei, sich bei den Uniformierten unbeliebt zu machen und scheucht sie wie Leibeigene herum, mit der Forderung nach Kaffee und was Essbarem.

„Hat sich hochgeschlafen.“ meint Charlene, lächelt und erhebt sich ebenfalls. „Er hatte mal was mit Staatsanwältin Gertrudes.“

Dave prustet. „So was lässt sie in ihr Bett?“ Und gibt einen Würgelaut von sich. „Da hätte ich ihr mehr Geschmack zugetraut.“

„Geschmäcker sind halt verschieden.“ gebe ich zu bedenken, wende mich an Charlene und bitte sie, mich zu benachrichtigen, sobald sie Neuigkeiten hat.

Sie verspricht es mir.
 

Ich gehe ein paar Schritte, sehe mir die Umgebung an und spreche mit ein paar Leuten. Cops und Obdachlose. Schließlich stehe ich etwa hundert Meter entfernt, lehne an der Hauswand und atmete tief durch. Wer kann einem jungen Mann so etwas antun? Warum?

Officer Aparo, der nette Kerl vom Absperrband, ist mir gefolgt. „Kaffee?“ fragt er und streckt mir einen Pappbecher entgegen. Ich stemme mich von der Wand und verneine stumm. Kaffee ist nicht mein Ding.

Er reicht mir den anderen Becher. „Kakao.“ erklärt er.

Das kann ich eher gebrauchen. „Danke.“ Der erste Schluck tut gut und spült den Geschmack von Blut und Abfällen herunter, der mir seit Besichtigung des Leichnams auf der Zunge klebt.

„Klar.“ meinte er nur und mustert mich. „Gehen Sie mit Männern aus, Detective?“

Die Frage verblüfft mich etwas. „In letzter Zeit nicht.“ gebe ich zu und nehme ihn genauer in Augenschein. Sportlicher Typ. Ein paar Zentimeter größer als ich. Nicht viel jünger oder älter. Die Schirmmütze hat er etwas in den Nacken geschoben und pechschwarze Haare lugen hervor. Seine strahlenden Augen sind von faszinierend goldener Farbe.

Sein gebräuntes Gesicht ist markant, aber nicht zu sehr. Er sieht gut aus. Sehr gut. So wie die Typen, die für Modefotos posieren. Garantiert hat er einen Waschbrettbauch. Ich erwische mich bei dem Gedanken, es herausfinden zu wollen.

„Gehen Sie mal mit mir aus?“ will er wissen und lächelt. Ein süßes, hoffnungsvolles Lächeln.

Holla! Der? Und schwul? Dabei wirkt er nicht so. Andererseits… Ich wirke auch nicht wie schwul. Um der Wahrheit die Ehre zu geben… Meine Kollegen halten mich für den Aufreißer, weil ich oft mit Frauen ausgehe. Ist nur halbwegs richtig. Frauen gehen mit mir aus. Die Sache mit dem Kino und Leonardo DiCaprio und all das. Ja. Genau. Der zartfühlende Typ mit dem immensen Verbrauch an Taschentüchern.

Ah ja… Für die, die es vergessen haben und versucht sind, da was zu tratschen… Der Typ mit der Kanone, der bin ich auch!

„Nein.“ erwidere ich knapp. ‚Fang nichts mit Bullen an!’ lautet meine Devise. Offenbar die Devise der meisten homosexuellen Männer dieser Welt. Und ich wundere mich darüber, solo zu sein…

„Bitte?“ lässt er nicht locker.

„Nein.“

Meine zweite Ablehnung passt ihm nicht. Es ist unverkennbar. Das Lächeln verschwindet, die Augen sind zu Schlitzen verengt und Augenbrauen zusammen gezogen. „Nein?“ fragt er nach und klingt lauernd.

„Nein.“ bestätige ich.

Er reißt mir den Becher aus der Hand und wirft seinen und meinen zu Boden, packt mich am Kragen und schleudert mich an die Wand. Eine Sekunde bleibt mir die Luft weg. Ihm reicht diese Sekunde. Er stellt sich zwischen meine Beine – Ihm in die Kronjuwelen zu treten kann ich damit vergessen! – drängt sich an mich und drückt meine Handgelenke gegen die Ziegel. „Und wenn ich darauf bestehe?“ flüstert er, presst seinen Unterleib gegen meinen und reibt sich an mir. Ich merke da was. Hat er etwa…? Oh Mann! Er hat eine Latte!

Devot und passiv ist gar nicht mein Ding, aber wenn er so weitermacht, kriege ich auch eine. Irgendwas reitet mich und aus reiner Provokation gebe ich ihm die gleiche Antwort. „Nein.“

Mann! Überall Leute. Da braucht nur einer rüber gucken. Keiner guckt. Bin ich deswegen beunruhigt oder nicht? Keine Ahnung warum ich es ihm erlaube, er darf meine Arme in die Höhe und über meinen Kopf zerren. Meine Handgelenke hält er mit einer Hand, mit der anderen hebt er mein Kinn und sieht mir in die Augen. „Na?“ Er lächelt erneut. Nicht nur süß, sondern triumphierend. „Wirst du noch einmal ‚nein‘ sagen?“

„Das werde ich!“ zische ich und muss mich anstrengen, beherrscht zu klingen. „Nein!“ Was er noch mit mir anstellt? Ich kann es kaum abwarten.

„Schade.“ Ungefragt küsst er mir auf den Mund. Ein sanfter Kuss. Er versucht nicht, mir seine Zunge in den Hals zu schieben. Seine Lippen berühren meine Lippen. Mehr nicht. Und es ist wie eine Offenbarung. „Wo ich mich doch so um dich bemüht habe.“

Meint er sein Lächeln und Zwinkern? Das Anheben des Absperrbandes? Oder den Kakao? Sieht er so was schon als Date? Anscheinend ist er ein bisschen durchgeknallt. Anscheinend? Der ist garantiert ein bisschen durchgeknallt. Mann! Wir sind höchstens hundert Meter von einem Tatort weg! Hier wimmelt es von Bullen – seinen und meinen Kollegen! Und ich… Ich habe einen Steifen! Hart wie ein Brett!

Er küsst mich ein weiteres Mal, genau wie eben. „Ich bin Julian.“ stellt er sich vor während seine Hand abwärts wandert und auf meinem Schritt liegen bleibt. „Und du bist…?“

„Aaron…“ keuche ich. Er massiert meine Beule und ich spüre, wie seine Finger den Knopf meiner Hose öffnen. Was tue ich hier? Ich lasse mich – Entgegen meiner Devise! – von einem wildfremden Polizisten vernaschen. Hundert Meter von einem Tatort! Devot und passiv! Ich muss auch ein bisschen durchgeknallt sein.

„Soll ich deine Hose ganz aufmachen, Aaron?“ Seine Stimme ist heiser und lüstern und jagt mir wohlige Schauer über den Rücken. „Soll ich dich… anfassen?“

„Wichser!“ schimpfe ich leise.

„Heißt das ‚ja‘ oder heißt das ‚nein‘?“ Seine Finger wandern über den geschlossenen Reißverschluss. Auf und ab und auf und ab. Ich stöhne und er genießt es sichtlich, mich… leiden zu sehen. „Na?“

„Ja, verdammt!“ fauche ich ungeduldig. „Mach sie auf! Fass mich an!“ Bei den Göttern! Bin ich dermaßen notgeil? Ja. Bin ich! Ich bin nicht ein bisschen durchgeknallt. Ich bin es vollkommen!

Julian hat mich da, wo er mich haben will und er weiß das. Sein Blick ist herausfordernd, sein Lächeln ist wieder süß und triumphierend und seine Finger machen nur ihr auf und ab und auf und ab. „Was kriege ich dafür?“

„Einen Kuss…?“ locke ich atemlos und lecke mir über die Lippen. „Einen… richtigen… Kuss…?“

„Ja…“ Seine Finger lassen von meinem Schritt ab und berühren erneut mein Kinn. „Einen Kuss.“ Er hebt meinen Kopf, sein Atem weht in meinem Mund. Ich kann den Kaffee darin schmecken. Auf meinen Lippen prickelt es, meine Zunge erwartet seine voller Ungeduld. Ich will ihn an mich heranziehen, ihn endlich spüren. Geht nicht. Julian hält meine Hände noch immer. Gleich… Unsere Lippen berühren sich fast…
 

Hey!“ macht ein Brüllen die Stimmung voll knisternder Erotik kaputt. „Alle hier mal herhören! Hat wer den Silberrücken gesehen? Hey! Silberrücken! Komm raus!“

„Das bist wohl du, hm?“ fragt Julian ernüchtert und gibt meine Hände frei. Ihm ist – wie mir – blitzartig die Lust an mehr vergangen. Bergers Geschrei sei Dank. Wirkungsvoller als eine Dusche mit Eiswasser!

„Hm, hm…“ Berger – Schießstand – Kugeln fangen. Mehr denn je! Frustriert schließe ich den Hosenknopf. Mini-Aaron hat sich beleidigt zurückgezogen. Ich habe keine Zweifel, Mini-Julian genauso. Das Gegenteil eines Aphrodisiakums? Na was! Berger!

„Hör mal…“ Julian errötet. Mann! Er errötet! Und sieht absolut sexy damit aus. „Das ist sonst nicht meine Art.“

„Meine auch nicht.“ kann ich ihm voller Inbrunst versichern. „Echt. Jedem anderen hätte ich schon…“ Das Nasenbein ins Hirn getrieben, das Genick verschoben, die Wirbelsäule in zwei bis hundert Teile zerstückelt und den Rest eingestampft. Oder, verniedlicht und verharmlost ausgedrückt: „Niedergeschlagen.“

Julian greift in seine Brusttasche und reicht mir eine Visitenkarte. „Ruf mich an, ja?“ Er gibt mir einen weiteren Kuss und geht einen Schritt zur Seite, stellt sich vorgebeugt an die Wand und tut, als würde er gleich kotzen. „Der Spielverderber braucht nichts zu wissen.“ erklärt er. „Und über dich macht er sich schon genug lustig.“ Kurz lächelt er zu mir hinauf. „Also… Ich mag dein Haar.“

Ich bin sicher… Ich habe mich gerade verliebt. In einen Bullen!
 

„Da bist du ja! Musst du Händchen halten?“ Berger kommt näher und grinst geringschätzend auf Julian herab. „Tja, ja. Die in Uniform halten nichts aus!“

Warum – Bei den Göttern! – sollte ich bis zum Schießstand warten? Hier und jetzt… Bergers Leiche lasse ich unauffällig verschwinden… In einem der Müllhaufen… Julian erpresse ich mit Sex zum Schweigen… Oder mache ihn zum Mittäter… Ne! Die Sache mit dem Sex!

Meine Finger habe ich am Holster, ich brauche nur noch meine Waffe ziehen und… Was will der Typ eigentlich von mir? Meine Neugier rettet ihm das Leben. Meine Neugier hält mich von erpresstem Sex ab. Vielleicht sollte ich ihn doch…? Ich wäge ab. Neugier… Sex… Das Ergebnis ist klar. Ehe ich meine Waffe aus dem Holster habe, spricht er mich an. „Charlene sucht dich schon. Sie will wissen, ob du noch einen Blick auf das Schlachtfest werfen willst, bevor sie alles einpackt.“

Wie auf Kommando röhrt und würgt, hustet und spuckt Julian. Das Ganze enorm zielsicher und ich bin überzeugt, es ist seine Rache für den entgangenen Spaß.

„Iih! Nicht auf meine Schuhe!“ empört sich mein werter Kollege und springt zurück.

„Ja. Bin gleich da. Geh vor.“ weise ich an, was Berger nur zu gern befolgt. Er macht immer den harten Macker, nur… Kotzen kann er keinen sehen…

„Von mir den Oskar.“ sage ich leise zu Julian, gebe ihm einen schnellen Klaps auf die Kehrseite und folge Berger.

„Ruf an!“ flüstert er mir nach.

Ohne mich umzusehen winke ich. Ich tue es. Ich rufe ihn an! Ich höre sein wohliges Seufzen. Und ein Murmeln: „Wow! Ich habe mich verliebt!“

Mitternacht und die Liebe

//Was hatte Lars gemeint? Liebe. Liebe? Was bedeutete das? Sie überprüfte ihr Wissen. Nein. Das Wort kam nicht darin vor. Sie hatte es nie zuvor gehört. Sie hatte sich gemeldet und die Test bestanden, den Fortbestand ihrer Rasse zu sichern. Aber Liebe? „Sag, Mitternacht. Was ist Liebe?“ wandte sie sich an die Katze, die einen sehnsüchtigen Blick Richtung Küche warf.

„Liebe? Du weißt nicht was Liebe ist?“ Das Tier zeigte sich erschrocken.

„Nein.“ Sie schämte sich, es zugeben zu müssen. Liebe schien in dieser Welt eine große Bedeutung zu haben.

Mitternacht dachte nach. „Die erste Liebe ist die Liebe der Eltern. Hast du Eltern?“

Sie nickte. „Eine Mutter. Relana.“ Und lächelte. „Sie war mir äußerst wichtig. Sie war immer für mich da.“ Ihr Lächeln wurde traurig. „So lange sie… lebte.“

„Mija…“ Die Katze sprang auf das Sofa, stakste weiter und ließ sich auf ihrem Schoss nieder. „Wie meine Mutter. Noch immer habe ich ihren Geruch in der Nase, als ich an ihrer Zitze hing.“ berichtete das Tier. „Und wie sie mir das Fell leckte… Ihr Schnurren…“

„Das ist Liebe?“

„Mija. Auch.“ Mitternacht leckte sich ihr Näschen. „Dann gibt es noch die Liebe zu seinen Geschwistern. Ich habe sieben. Wir sind in alle Himmelsrichtungen verstreut, aber ich höre nicht auf, an sie zu denken.“

„Ich habe eine kleine Schwester. Solara. Sie möchte auch helfen, den Fortbestand unserer Rasse zu sicher. Noch ist sie zu jung.“ Sie blickte die Katze an. „Ist das Liebe, wenn ich – tief in mir drin – fühle, wie sehr sie mir fehlt?“

„Mija.“

Sie wurde neugierig. „Mitternacht…? Dieses Gefühl… Was ihr ‚Liebe‘ nennt… Gibt es das auch zwischen…“ Sie flüsterte schüchtern. „Mann und Frau?“

„Habt ihr keine Männer?“ wollte das Tier im Gegenzug wissen.

„Damals… So wird erzählt.“ Sie überlegte. „Vor vielen Leben. Vor dem großen Krieg.“
 

\\Lars steht an der Tür. Weder Sundora noch Mitternacht bemerken ihn. Still lauscht er der Unterhaltung.

Er zieht seine Schlüsse. Ein Krieg – oder eine Katastrophe – hat die gesamte männliche Bevölkerung ausgelöscht. Nur Frauen überlebten und sicherten eine ‚Arterhaltung‘ auf ihre Art.

Er vermutet Klonung.

Nur kann nicht ewig geklont werden. Das Ausgangsmaterial ist irgendwann erschöpft und in Kopien von Kopien schleichen sich Fehler ein. Physische, psychische.

Der Weiterbestand ihrer Rasse ist also abhängig von neuen Leben. Ist Sundora die einzige ihrer Art, die hier, in dieser Welt gelandet ist? Lars bezweifelt es. Gleich, beim Essen, wird er sie danach fragen. Vielleicht schon vorher. Er muss nur den günstigen Moment abpassen.\\

Monster

Manchmal beneide ich Charlene um ihre kühle Professionalität. Ich sage es ihr und erhalte ein mildes Lächeln. „Ron… Ich habe nur die Opfer. Die Monster, die so etwas tun, die kriegst du zu Gesicht.“ Sie piekt mir ihren Ellenbogen in die Rippen. „Du bist es, der ihnen in die Augen blickt.“

„Hm, hm…“ Mehr sage ich nicht und sehe ihr zu, wie sie John Does sterbliche Überreste in einen schwarzen Leichensack packt. In aller Vorsicht. Und sie spricht mit ihm. „Ach je, mein Lieber. Hätten wir beinahe deine Niere vergessen, hm?“

Monster. Habe ich schon viele gesehen. Psychopathen, Irre, Täter. Ich habe gesehen, wie wenig ihnen das Leben anderer Wert ist. Wie sie damit umgehen.

Mein schlimmster Fall? Mein erster als Detective.

Ein vierzehnjähriges Mädchen, vom eigenen Onkel über Jahre als Sklavin gefangengehalten. Bilder, Videos… All das hat das Mädchen über sich ergehen lassen müssen. Der Scheißkerl hat sie vergewaltigt, gefoltert. Vor laufender Kamera.

Ich musste das Beweismaterial sichten. Seine… Heimvideos… Auf die er so stolz war. Der ‚guten‘ Qualität wegen. Erschütternd gute Qualität. Einzelheiten erspare ich euch. Es war grauenhaft. So unbegreiflich grauenhaft.

Vor laufender Kamera hat dieser Onkel das Mädchen beinahe zu Tode gequält. Es überlebte die Torturen – schwer verletzt.

Der Onkel erhielt fünf Jahre. Mehr nicht. Ein – vom übereifrigen Staatsanwalt verursachter – Verfahrensfehler. Dem Onkel wurde ausschließlich die Entführung seiner Nichte zur Last gelegt. Alles andere durfte nicht mehr als ‚relevant‘ angesehen werden. Die Zerstörung eines ganzen Lebens, brachte ihn nur fünf Jahre hinter Gitter ein. Vielleicht weniger. Bei guter Führung.

Davon kam er jedoch nicht. In dieser Welt gibt es scheinbar so etwas wie… höhere Gerechtigkeit.

Dieser Onkel wurde im Knast erstochen. Siebzig oder achtzig Stiche. Mit Schraubenziehern, Löffelstielen und selbstgebastelten Messern. Selbst unter den übelsten Verbrechern sind Typen wie er der letzte Dreck.

Das Mädchen… Sie hat sich selbst gerichtet, die Erinnerungen und Alpträume nicht mehr ertragend. Ich habe für sie gesungen. Als wir sie fanden. Und bei ihrer Beerdigung.

Die Erinnerung daran übermannt mich flüchtig und Charlene sieht mich weinen. Ich rede mich heraus, es sei der beißende Geruch des Mülls. „Mein empfindliches Riechorgan.“ Und grinse dazu.

„Aaron. Es ist gut zu wissen, du bist, wie du bist.“ Ihrer Handschuhe entledigt streichelt sie mir die Wangen, trocknet meine Tränen. „Wir sollten mal wieder ins Kino gehen.“

„Was wird das hier?“ Berger tritt an uns heran und knufft mich. „Machst du ein Date mit ihr klar?“ Jetzt ist es Charlene die geknufft wir. „Geh doch mit mir aus.“

„Kein Problem!“ gibt unsere Pathologin zurück. „Erschieß dich schon mal.“ Und wendet sich an mich. „Hilfst du mit? Berger fasse ich nur an, wenn ich ihn in einen Leichensack stecken darf!“

„Sicher. Und tut er es nicht freiwillig, erschieße ich ihn für dich.“

„Super witzig!“ meckert mein werter Kollege, sucht das Weite und findet noch ein paar uniformierte Cops zum Herumscheuchen.

Charlene und ich klatschen ab.

Einsichten

//Lars stand da. An der Tür. Nachdenklich.

Sie schaute ihn an. „Weißt du was Liebe ist?“

„Ja.“ antwortete er leise. „Aber ich weiß auch, wie es ist gefangen… Einem fremden Willen auf Gedeih und Verderb unterworfen zu sein. Ich verdanke meinem Bruder viel, Sundora. Mein Leben zuerst. Dann meine Freiheit.“

„Liebst du deine Mutter? Liebst du deinen Bruder?“ Statt einer gesprochenen Antwort sah sie ihn nicken.

„Liebst du… Sag ehrlich, Lars… Liebst du… mich?“//
 

\\Ihre Stimme klingt nach der eines kleinen Mädchen, als sie von Lars wissen will, ob er sie liebt. Für die Antwort nimmt er sich Zeit. Kann man einen Menschen lieben, den man erst seit kurzem kennt? Oder… Von dem man erst seit kurzem weiß? Die Familie ausgenommen.

Sundora ist schön und es gibt Momente, in denen sich Lars vorstellt, er und sie…

Das rückt alles in den Hintergrund. Er schließt die Augen und atmet tief ein und langsam aus. Immer wieder. In sein Unterbewusstsein eingetaucht forscht er nach einer Antwort. Liebt er die junge Frau? Fern jeglicher körperlichen Begierden? Er erhält seine Antwort. Die Augen geöffnet blickt Lars in die der Sundora. „Ja.“ teilt er unzweifelhaft mit.\\
 

//Sie weinte. Sie konnte nichts dafür und noch weniger dagegen. Es gab einen Mann, der sie liebte. Obwohl er sie kaum kannte. Sein Blick war klar. Keine Zweifel. Keine Gier nach ihrem Leib. Er liebte sie.

„Sag…“ wisperte sie. „Willst du… Wollen… wir… Lars…“ Die Worte fehlten ihr. Soviel passierte in ihrem Kopf. Sie presste ihre Hände an ihren Busen. Ihr Herz schlug wild und schnell. Sie schnappte nach Luft. Je mehr sie danach rang, desto weniger gelang es ihr zu atmen. „Lars…“ hauchte sie und wurde ohnmächtig.//
 

\\Über die Lehne des Sofas geschnellt kümmert sich Lars sofort um die junge Frau, hält sie im Arm und fächelt ihr Luft zu. „Was soll denn das jetzt?“ fragt er Mitternacht, die Sundora das Gesicht leckt.

„Gefühlsexplosion.“ erwidert die Katze. „Sie hat verstanden…“ Ein belustigtes Maunzen. „Was Liebe bedeutet. Nicht zu Mutter oder Schwester. Oh nein! Du Glückskind!“

„Aber…“

Mitternacht frohlockte. „Ach, Lars! Ich freue mich auf euren Nachwuchs.“

Was?“

„Allein diese Mischung!“ Sie schnurrte. „So gesund und schön. So klug und stark. Mija-a-au!“

„Aber…“ Lars reibt sich die Stirn. „Habe ich da nicht auch ein Wörtchen mitzureden?“ Nach dieser Frage muss er sich eine eingehende Musterung durch die Katze gefallen lassen, die ihm eine Pfote auf die Brust legt und ihm ausführlich darauf antwortet. „Nein. Hast du nicht.“\\

Absichten

Ich bleibe noch etwas, sehe den Leichenwagen abfahren und winke Charlene hinterher.

„Schade…“ seufzt Dave. „Ich hatte die Hoffnung, sie würde deinen Kollegen auch eintüten.“

„Wunsch und Wirklichkeit.“ muss ich ihm die Illusion rauben.

„Jau. So ist das im Leben.“ Er seufzt zum zweiten. „Da denkst du, du hast dir die Prinzessin geangelt und eines Tages – nach Jahren der Ehe – stellt sich raus, neben dir im Bett liegt der Drache…“

Ich grinse. „Es war einmal…“

Dave grinst auch. „Das haben meine Jungs gefunden. Drei Straßen von hier. In einem Einkaufswagen einer der Penner.“ erklärt er und übergibt mir eine Klarsichthülle. „Ist ein Hemd. Feiner Stoff. Würde zu dem Jungen passen.“

„Danke, Dave. Du bist der Beste. Echt.“

Der alte Sergeant klopft mir auf die Schulter. „Schnapp dir das Schwein, okay?“ bittet er mich.

Ich bejahe. „Mit deiner Hilfe.“ Und tippe auf die Hülle. „Das sollte sich Charlene ansehen.“

„Nimm deinen Kollegen mit.“ verlangt Dave eindringlich. „Sonst stirbt er keinen natürlichen Todes!“

„Der Gedanke ist reizvoll… Doch ja… Hat was…“

„Aaron!“ Sergeant Dave Hollister stellt sich vor mich. „Es dauert nicht mehr lange und Berger wird von meinen Jungs erschossen! Von all meinen Jungs. Gleichzeitig!“ Er atmet scharf ein. „Und ich schwöre! Ich beteuere vor jedem Gericht dieser Welt… Es war Selbstmord!“

„Ja.“ Ich verdrehe die Augen. „Ich opfere mich und nehme ihn mit.“ Dave bekommt einen Stupser. „Unter uns…“ flüstere ich ihm verschwörerisch zu. „Ich würde es auch beteuern…“

„Hau ab, du!“ lacht er.
 

Keiner von euch kann sich vorstellen, was für eine unangenehme Angelegenheit es ist, mit Gerrit ‚Ich kann das nicht’-Berger in einem Auto zu sitzen.

Er hat sich von den Kollegen in Uniform unzählige Chili-Dogs besorgen lassen, diese Dinger in sich hineingestopft und dünstet die fleißig auf der Fahrt zum Department aus. Nicht nur über die Haut, versteht sich.

Außerdem hat er das Talent, ununterbrochen zu quasseln. Sechzig uninteressante Themen in sechzig ewig langen Sekunden. Ein Alptraum. Echt mal. Ich glaube, er holt nicht einmal Luft dabei!

Luftholen… Das traue ich mich selbst nur vereinzelt. Chili-Dogs und was er sonst gefressen hat… Es verursacht laute und deutliche Darmwinde, die die Nasenschleimhaut verätzen und in den Augen brennen. Nicht schlimm, meint ihr? Fenster auf und gut, meint ihr? Ja! Scheiße auch! Wir sitzen hier nämlich in einem Auto, dessen Scheiben sich nicht herunterkurbeln lassen. Weil… defekt…

Ich bin versucht ihn – hier und jetzt – einfach zu erschießen… Notwehr. Das glaubt mir jeder!

Wenn er wenigstens aufhören würde zu reden. „Der eine Schauspieler, der in dieser Serie mitgespielt hat… Diese Serie… Du weißt schon. Diese Arzt-Serie… Jeden Mittwoch. Auf Kanal sechs. Wo die Krankenschwester mitspielt. Die mit den geilen Titten… Diese riesigen Mega-Bomber… Also… Diese Krankenschwester… Die jeden Patienten vernascht… Mann! Bei der wäre ich auch gern Patient! Und der Schauspieler… Der macht jetzt Werbung… Auf so einer Yacht und… Du findest doch auch, die hat geile Titten, oder? Ob die echt sind?“

„Halt die Klappe!“ schnauze ich. „Und kneif deinen verdammten Stinkarsch zu, sonst schieb ich dir meine Kanone hinein und drücke ab!“

Keinen blassen Schimmer warum, Berger findet es witzig. Er lacht, hält sich sogar den Bauch vor Lachen. Seine Winde finden unaufhaltsam ihren Weg in das Wageninnere. Ich rüttele an der Kurbel. Und das Fenster lässt sich nicht öffnen. Bei den Göttern. Ich sollte es einfach tun!
 

Die Hülle mit dem Hemd bringe ich zu Charlene Rush in die Forensik. Vielleicht sind Spuren darauf zu finden. Berger ist sich zu fein mitzukommen. Irgendeine Ausrede findet er immer, die Leichenhalle nicht zu betreten. Er muss zum Klo, wie er betont. Chili-Dogs wegbringen…

Na! Ob die Schüssel das aushält?

Also gehe ich allein zu Charlene. Welch herrliche Ruhe und die Luft, die nach scharfen Desinfektionsmittel und sterblichen Überresten riecht ist eine Erholung zu dem, was ich bis vor kurzem zu ertragen hatte.

„Hey.“ begrüßt mich die Pathologin. „Anpiepen kann ich mir also sparen.“ Ein Winken bedeutet mir, die Klarsichthülle auf einen freien Seziertisch abzulegen und näher zu kommen.

Sie teilt ihre bisherigen Erkenntnisse mit mir. „Kleine Hämatome am Kinn. Der Täter hat sich hinter sein Opfer gestellt, den Kopf gehoben und die Kehle durchtrennt. Ein Schnitt. Präzise, aber auch mit viel Kraft. Der Halswirbel ist mit angeritzt. Binnen Sekunden ist er verblutet. Hat es sicherlich nicht mal mitbekommen.“ Charlene streicht über die Wunde und zeigt mir die Schnittführung. „Von rechts nach links, dabei eine leichte Aufwärtsbewegung.“

„Der Täter ist in dieser Art der Tötung geschult, vielleicht erfahren, Linkshänder und größer als das Opfer.“ interpretiere ich.

„Keiner ist darin so gut wie du.“ lobt mich unsere Pathologin.

Das überhöre ich einfach, sonst werde ich rot. „Irgendeinen Hinweis auf die Waffe?“

„Was scharfes. Was radikal scharfes. Flache Klinge. Ich schätze vier bis fünf Zentimeter breit.“

„Skalpell und Teppichmesser scheiden also aus. Kampfmesser oder so etwas?“

„Nicht flach genug.“ Charlene seufzt. „Eine wirklich flache Klinge. Hatte schon ein Rasierblatt vermutet, aber… Na ja… Ohne Halterung kann man es nicht benutzen, ohne sich selbst zu verletzen. Ich habe es ausprobiert! Und es schneidet nicht tief genug, um den Halswirbel anzukratzen.“

„Katana?“ überlege ich laut. „Ein Samurai-Schwert? Die sind breit, flach, scharf.“

„Aaron. Schmeiß den Polizeidienst hin und komm in die Pathologie!“ Charlene fällt mir fast um den Hals. „Ein weiterer kluger Kopf ist das, was mir hier unten fehlt.“

Jetzt hat sie es geschafft. Ich werde rot. „Wie steht es mit den Organen?“ überspiele ich meine Verlegenheit. „Was fehlt?“

„Nur Herz.“ sagt sie und zeigt auf den geöffnet Brustkorb. „Der Täter hat den Oberkörper aufgeschnitten, die Rippen freigelegt, mit einem Schlag zerschmettert und… RATSCH das Herz herausgerissen. Gefunden haben wir es nicht. Bis jetzt nicht. Vielleicht auch nie nicht.“

„Kannibalismus?“

„Nicht auszuschließen.“ Charlene zuckt mit den Schultern. „Zurück zu unserem Opfer. Ein Paradebeispiel an Gesundheit, wenn man davon absieht, dass er tot ist.“ Sie zeigt auf die entnommenen Organe. „Keine Drogen. Gar nichts. Im Magen fand ich ein vortreffliches Drei-Gänge-Menü. Kürbiscremesuppe mit Croutons, Hase in Madeira und Ofenkartoffel und zum krönenden Abschluss Tiramisu. Das leckerste Essen, das ich je gesehen habe. Noch nicht anverdaut. Hab mir direkt was eingefroren.“

Ich hebe nur eine Augenbraue. Charlene macht den Witz öfter.

„Das Gebiss, Ron. Beneidenswert gesund! An den Zähnen befand sich kein Karies.“

„Aha. Eindeutig aus gutem Haus. Und?“

„Und… Unter den Fingernägeln habe ich nicht viel gefunden. Nur von dem, was sich bei den Müllhaufen befand. Seine Haut… Tatsächlich gut gepflegt. Mit einer teuren Hautcreme.“ Sie nennt mir eine Marke, die für mich nichts sagend ist. Ich habe meine Universalcreme aus der blauen Dose und gut. Für mich reicht es und meine Haut ist…

War da ein Lachen? Ja? Hat da wer ein Problem? Mit meiner Universalcreme aus der blauen Dose? Na? Na? Nur keine Scheu und raus mit der Sprache! Der hat bald ein Problem mit meiner Universalwaffe aus dem schwarzen Holster. Und danach hat der kein Problem mehr… Nie wieder!

„Blut?“ erkundige ich mich.

„Allerwelts-Blutgruppe A positiv. Sauber. Keine Anzeichen für irgendwelche Erkrankungen. Hab Fingerabdrücke genommen und mit der DNA bereits durch sämtliche Datenbanken gejagt. John Doe bleibt John Doe.“ Sie schürzt kurz die Lippen. „Allerdings habe ich es noch nicht mit einem Foto und Vermisstenanzeigen versucht. Wollte ich eigentlich deinem Kollegen überlassen. Wo ist er überhaupt?“

„Klo.“ antworte ich. „Irgendwelche Verletzungen, die auf sexuelle Handlung deuten? Gewollt oder ungewollt?“

Charlene schweigt einen Augenblick und guckt in ihren Unterlagen. „Leichte Analfissuren, die allerdings nicht nach Gewalt aussehen. Harter Stuhlgang oder einvernehmlicher Sex. Nach dem Heilungsgrad ist das etwas her. Keine fremde DNA. Kein Sperma, keine Haare. Nichts.“

„Hm…“ Was anderes fällt mir nicht ein. Auch Fragen habe ich keine mehr. Das Piepen meines Telefons kommt mir sehr gelegen.

Ja. Mein Telefon piept. Na und? Bekam das mit den Melodien nicht hin. Beim letzten Versuch, einen Klingelton zu installieren habe ich mein Telefonbuch gelöscht. Da bin ich froh, dass ich zu denen gehöre, die sich auch alles auf Papier notieren. War eine richtige Quälerei, alles neu abzuspeichern. Seitdem habe ich es aufgegeben, daran irgendwas zu ändern und mein Telefon piept. So!

Und wer lacht… Bei dem macht es nicht PIEP. Bei dem macht es BOOM! Einmal und nie wieder! Kapiert?

Ein Blick auf das Display. Unbekannte Nummer. „Meyers.“ melde ich mich.

„Halli Hallo… Detective Aaron Meyers.“

Die Stimme ist ein schnarrendes Krächzen und Knacken. Vermutlich elektronisch verzerrt. Ich frage nicht, wer da ist. Mein Instinkt sagt mir, es sei ein Fehler und eine Antwort würde ich nicht kriegen. Also lasse ich es bleiben und den Anrufer reden.

„Hat dir mein Geschenk gefallen?“ Ein blechernes Lachen. „Der Kleine wusste gar nicht, was auf ihn zukommt. Er war nicht einmal am Taxi, da hatte ich schon mein Messer an seinem Hals. Ein gutes Messer. Ein schönes Messer. Ein… scharfes Messer.“

Ich erwidere nichts. Dieser Typ ist darauf aus, in ein Gespräch verwickelt zu werden. Den Gefallen tue ich ihm nicht!

„Sein Herz… Detective Aaron Meyers… Ich habe es… gegessen… Und es hat mir… so gut geschmeckt!“

Ich bleibe stumm.

„Redest du nicht mit mir, Detective Aaron Meyers? Hat dir mein Geschenk nicht gefallen?“ Der Anrufer klingt enttäuscht. Dennoch… Eine Entgegnung halte ich für unnötig.

„Soll ich für dich lieber ein kleines Mädchen umbringen?“

Meinerseits nur Schweigen.

„Oh… Detective Aaron Meyers… Bitte. Sprich doch mit mir!“ Jetzt klingt er flehentlich. Geradezu servil. „Bitte… Ich… Ich lasse dir noch ein Geschenk zukommen, ja? Vielleicht…“ Das blecherne Lachen ist wieder zu hören. „Kein kleines Mädchen, sondern den… Cop, den du so magst?“ Ein abfälliges Schnauben. „Den jungen. Mit dem du geknutscht hast. Da, an der Hauswand. Ja? Möchtest du das? Los! Sag es mir!“

Ich höre an seiner Stimmlage, wie es ihn ärgert, dass ich noch immer schweige und er mich nicht provozieren kann.

„Gut… Dann bringe ich eben den um. Und reiße ihm nicht nur das Herz heraus.“ Der Anrufer lacht erneut. „Also? Detective Aaron Meyers? Was soll ich ihm für dich wegnehmen? Hast du seinen Schwanz gemocht? Soll ich ihm den Schwanz abschneiden? Und dir schicken? In einer schönen Schachtel?“

An dieser Stelle ist für mich das Gespräch beendet und ich drücke ihn weg. Die Visitenkarte von Julian in der Hand rufe ich ihn an. Statt des Tutens hat er einen Song. Was aus den Charts. Hört sich gut an. Wenn er das hinkriegt, kriegt er das mit dem Klingelton bestimmt auch hin. Danach könnte ich ihn ja mal fragen. Ja. Warum nicht?

„Aparo.“ meldet er sich, als ich kurz davor bin aufzulegen. Seine Stimme am Telefon ist schon purer… Jetzt nicht!

„Aaron hier.“ ist meine knappe Begrüßung.

„Hey!“ Er klingt erfreut. „Mann! Ich hatte Schiss, du rufst doch nicht an. Wegen… Höm… Du weißt schon… Höm… vorhin…“

Mir kommt das Bild des errötenden Julian Aparo vor Augen. Und wie… Jetzt NICHT! „Julian… Ich hatte da eben einen merkwürdigen Anrufer.“ Ich zitiere den Wortlaut. Charlene ist sichtlich erschrocken.

„Er hat uns gesehen.“ steht für Julian fest. „Mist. Und ich hatte nur Augen für dich!“

„Pass in nächster Zeit gut auf dich auf, ja? Besser als gut! Versprich es mir!“

„Klar. Tu ich.“ Julian holt tief Luft. „Und du. Du passt auf dich auf. Hörst du?“ Eine kurze Pause entsteht und im Hintergrund höre ich Gemurmel. „Sorry.“ richtet Julian wieder das Wort an mich. „Muss Schluss machen. Besprechung. Bye.“

„Bye, Schatz.“ rutscht mir raus.

Julian gluckst. Es hört sich… glücklich an. „Ja, Schatz. Bye.“ Er will noch was sagen, darum warte ich. „Bitte.“ meint er schließlich und hört sich auffallend ernst an. „Pass auf dich auf.“

„Ja. Mache ich.“

„Gut.“ Er legt auf.

„Uhu! Na was?“ Charlene verpasst mir einen freundschaftlichen Magenschwinger. „Hast du endlich einen Mann? An einem Tatort kennen gelernt? Einen… Bullen?“

Ich nehme mir nicht mehr die Zeit zum Antworten, haste hinaus. Die Sache geht auch meinem Boss was an. Bei ihm werde ich allerdings nicht so ganz ausführlich, wie in Gegenwart von Charlene. Neben ihr weiß niemand auf dem Revier von meiner Homosexualität. Muss auch nicht. Es hat keinen zu interessieren und ist absolut meine Privatsache!

Verstanden? Ab-so-lut!

Wo wir schon dabei sind. Mal gucken? Eine Walt Wilson. Neun Millimeter. Sechzehn Schuss im Magazin, eine im Lauf. Schneller Magazinwechsel. Per Knopfdruck fällt das leere raus, das volle reingeschoben und weiter. Ohne entsichern oder durchladen oder so was. Perforiert ganz ordentlich und auf die Schnelle. Auch… Bäuche! Noch Fragen?
 

Ich will zum Boss, bin gerade aus der Pathologie. Wer läuft mit entgegen? Berger. Die Geißel der Götter! Und die der Toilettenschüsseln.

„Ah ja! Hey, Silberrücken…“

Eines Tages kann er Richtung Himmel riechen, ohne den Kopf zu bewegen, weil ich ihm den Zinken umdrehe! Um einhundert-und-achtzig Grad!

„Warst du schon bei Rush?“

Jetzt will er mich ausquetschen, damit er nicht in die Leichenhalle muss. Nix da! Aber ich nicke.

„Und?“

„Geh selbst!“ kriegt er nur zu hören und ich schiebe ihn beiseite.

„Boah! Du bist so ein…“ Die Beschimpfung verschluckt er dann doch lieber, weil ich mich umdrehe. „Ja…“ lenkt er ein. „Ich gehe selbst.“

Er denkt allen Ernstes, das gebrummelte „Pisskopf.“ habe ich nicht gehört.

Beachboys

Der Killer dieses jungen Mannes braucht einen Grund zum Töten. Nicht aus Liebe, Hass oder Habgier. Aus purer Geltungssucht. Gegenüber mir, Detective Aaron Meyers.

Ein ‚Geschenk‘… Vielleicht noch eins. Und noch eins. Bis der Irre irgendwann einsieht, um meiner habhaft zu werden, muss er mich persönlich in seinen ‚Besitz‘ bringen. Durch eine Entführung. Oder – unauslöschlich für seine Erinnerung – durch eigenhändige Tötung. Eher beides nacheinander.

Ich rechne fest damit. Vielleicht ahnt er, dass ich fest damit rechne. Vielleicht trifft er sämtliche Vorbereitungen, weil er ahnt, dass ich fest damit rechne. Gut und schön. Nur – Bei den Göttern! – leicht werde ich es ihm nicht machen.
 

()„Hey! Schwuletten-Bärchen. Genug der Liebesschwüre! Deine volle Aufmerksamkeit ist hier erwünscht.“ meckert Chief Karl Lipinski, der Einsatzleiter. „Und nicht an einem erträumten Sandstrand, an dem du knackig braune Beachboys und deren geröstete Eier und gebratene Würstchen bewundern darfst.“

Die anderen im Raum grölen.

Das sind die Gelegenheiten, in denen Julian Aparo bereut, seine Homosexualität offengelegt zu haben. Hauptsächlich ging ihm die Fragerei auf die Nerven, warum er keine Frau oder Freundin hat. Seine Antwort war ehrlich. Und? Was hat er davon? ‚Schwuletten-Bärchen‘ oder ‚warmer Bruder‘ oder ‚Schwuchtel‘. Manche Kollegen scheinen sogar Angst davor zu haben, er könne sie mit Schwulsein anstecken, wenn er sie anfasst oder nur mit ihnen redet.

Das nächste Versetzungsgesuch hat er schon eingereicht. Numero zwölf. Wird das auch abgelehnt, verlässt er den Polizeidienst und macht sich selbstständig. Privat-Detektiv. Oder er macht was mit seiner Promotion – von der hier keiner was weiß. Ach was! Ruhig den Privat-Detektiv. Macht sich bestimmt gut auf einem Türschild. Doktor Julian Aparo. Private Ermittlungen. Sicherlich wird er von Klienten gefragt, was für ein Doktor er ist. Mal ehrlich. Wie viele Schnüffler mit Doktortitel gibt es wohl? Wenn das mit der Versetzung nicht klappt, einen auf jeden Fall. Ein Schnüffler mit Doktortitel in Geschichte und Kultur Japans, Schwerpunkt Waffen… Theoretisch. Und praktisch.

„Schwuletten-Bärchen. Aufwachen!“ Seine Worte Nachdruck verleihend hämmert Lipinski auf das Pult des Officers. „Schluss mit feuchtwarmen Schwuchtel-Träumen!“

Julian steht auf. Langsam. Bedächtig. „Mein Name ist Officer Julian Aparo, Sir. Ich bitte Sie mich mit ‚Officer‘ oder ‚Officer Aparo‘ anzusprechen. Sollte das zu viel sein… Ein ‚Aparo‘ reicht auch.“

„Sonst was? Bewirfst du mich mit Wattebäuschen, bis ich blute? Aber nur die rosanen, was?“

Neuerlich steigt der Lärmpegel im Raum, weil diejenigen, die es witzig finden, lauthals lachen. Diejenigen, die es nicht witzig finden lachen lauter. Gruppenzwang.

„Das heißt ‚rosafarbenen‘.“ korrigiert Julian gelassen und sieht schon, es ist ein Fehler.

„Setz dich hin, du Schwuchtel, und hör zu.“ schnauft Lipinski zornig. „Da draußen läuft ein Killer herum, der bestimmt nichts dagegen hat, dich als nächsten aufzuschlitzen!“

So nah an einer Wahrheit war Chief Lipinski noch nie.

„Damit hätten wir einen warmen Bruder weniger auf der Welt! Das wäre schön!“ setzt dieser dem Ganzen die Krone auf und hämmert erneut auf das Pult ein. „Und jetzt setz dich auf deinen verfickten Arsch, du Homo! Oder hast du da was drin stecken?“

Alle Kollegen geiern und klatschen Beifall.

Dem Einsatzleiter will Julian beim besten Willen keinen Sieg für diese Schikane gewähren, verlässt darum nicht den Raum und nimmt seelenruhig Platz.

„Braves Schwuletten-Bärchen.“

Einen schönen Tages wird sich Julian das nicht mehr gefallen lassen und Chief Lipinski muss begreifen, er hat einen großen, dummen Fehler gemacht!

Wie Julian den Mann reden hört, gespickt mit hämischen Bemerkungen und begleitet von abwertenden Gesten… Warum warten?()
 

Captain Hannah Brace hört aufmerksam zu. Sie ist eine gute Zuhörerin. Ich brauche mich nicht zu wiederholen.

„Er hat Sie also gesehen, als Sie bei dem Officer standen. Haben Sie ihn bemerkt?“

Ich versetze mich noch einmal an den Ort des Verbrechens, grübele und schüttele den Kopf. „Dort wimmelte es vor Cops in Uniform und in zivil. Hab mir von den Zivilen keine Marke zeigen lassen. Möglich, dass er sich als Kollege ausgegeben hat. Vielleicht war er auch als Obdachloser getarnt.“

Sie nickt, löst ihren Zopf und bändigt ihre brünetten Locken aufs Neue. Das macht sie immer, wenn sie nachdenkt. „Meyers…?“

„Ja, Captain?“

„Ich will wissen, wer alles vor Ort war. Jeder! Cops, Sanitäter, Obdachlose. Ausnahmslos!“

„Natürlich, Captain.“

„Und sorgen Sie dafür… Sollte dieser Irre wieder anrufen… Sie sind in der Nähe eine Fangschaltung, klar?“

Diesmal nicke ich. Ihre Befürchtung ist ihr anzusehen. Der Mörder kommt aus den eigenen Reihen. „Captain. Wir kriegen den Kerl!“ versichere ich ihr.

„Jack the Ripper hat auch keiner ‚gekriegt‘.“ erwidert sie und schickt mich los, Polizeiarbeit zu machen. Rennerei. Meine freien Tage haben sich auf jeden Fall in Luft aufgelöst.

„Ach… Meyers…“ hält mich meine Vorgesetzte zurück. „Die freien Tage kriegen Sie… später einmal.“

Sicher doch. In einem Jahr. Oder zwei. Oder kurz bevor ich in Pension gehe. „Ja, Captain. Kein Problem.“

Möglichkeiten

\\Seufzend kommt Sundora zu Bewusstsein. Die Augen geöffnet sieht sie in die des Lars Meyers, der sie im Arm hält und ihr Luft zufächelt. „Geht es wieder?“ erkundigt er sich. „Brauchst du etwas?“

Die Wangen der jungen Frau färben sich in einem zarten Rot. Wie schön Sundora ist. Lars kann nicht aufhören, sie anzusehen. Trotzdem will er wissen, was er wissen will. „Hör mal… Bist nur du hier, oder… Sind noch andere von deiner Welt in diese gekommen?“

Ruckartig setzt sich Sundora auf. „Ich darf das nicht sagen.“

„Ah ja… Natürlich… Sicher doch.“ Lars kann nicht verhindern, dass er zynisch klingt und lehnt sich zurück. „Was passiert eigentlich, wenn du schwanger werden solltest? Was passiert mit dir und dem Kind?“ Die Arme vor der Brust verschränkt zeigt er sich unnahbar. „Wirst du es zur Welt bringen? Wenn ja, in welche Welt? Oder lässt du es dir noch aus dem Mutterleib wegnehmen? Damit ihr daran… experimentieren könnt? Oder um DNA zu extrahieren? Oder… Oder… Sonst was?“ Plötzlich wird Lars zornig. Unter anderem will er nicht einfach als Zuchtbulle fungieren. Seine Spermaprobe abgeben und das soll es gewesen sein? Nicht mit ihm! „Du und deine sauberen Spießgesellinnen… Habt ihr überhaupt einmal – ein einziges Mal nur – an Gefühle gedacht?“ Er tippt sich auf die Brust. „Die Gefühle der potentiellen Väter zum Beispiel? Oder ist euch das scheißegal? Hauptsache ihr könnt frische Gene einsammeln und dann munter weiter klonen?“

„Lars…?“

„In eurer Weibergesellschaft wisst ihr wahrscheinlich nicht, wie schlimm das ist, ohne Vater aufzuwachsen.“ Lars zieht die Nase hoch. „Ich hatte meinen Papa nur bis zum siebten… Ach! Das geht dich nichts an!“

„Lars… Bitte…“

„Von mir kriegst du nichts, Sundora!“ Lars springt vom Sofa. „Ich zeuge doch kein Kind mit dir, nur damit du und deine Bande von Klon-Piraten es… es…“ Er ballt die Hände zu Fäusten. Das altbekannte Gefühl bahnt sich an. „Damit ihr es wegnehmen könnt! Und irgendwo… einsperrt! Und es… es… quält!“ Das Gefühl, wie die Familie entzwei gerissen wird. Alles was danach kommt. Die Erinnerungen kann Lars diesmal nicht abschütteln. Er jagt in die Küche und knallt die Tür hinter sich zu, rutscht daran herunter und greift sich ins Haar. Hat er nicht schon genug verloren mit Vater und Mutter?\\
 

//Sie schaute ihm nach, wie er aus dem Raum flüchtete. Eigenmächtig hatte sie entschlossen, ihn zum Auserwählten zu machen. Nicht nur, weil er nicht schwul war.

Lars…

Mit dem Gedanken an ihn tat ihr Herz einen Hüpfer und ein Kribbeln machte sich in ihrem Bauch bemerkbar. Ob das die Liebe zwischen Mann und Frau sein mochte?

Ihr Blick fiel auf Mitternacht und sie hoffte auf einen Rat. „Was soll ich nur tun?“

„Geh hinterher!“ empfahl das Tier. „Er liebt dich doch.“ Sie miaute wissend. „Und du ihn.“

Eilig nickend stand sie vom Sofa auf. „Lars?“ rief sie. „Bitte. Wo bist du?“ Eine Antwort gab er nicht, darum klopfte sie an jede verschlossene Tür. „Lars. Höre. Bitte. Wir… Wir… Nur wenn der… Auserwählte will… Lars… Wenn du willst… Dann… Ich…“ Sie wusste sich nicht in dieser Sprache zu helfen. „Lars… Ich…“ Sie fühlte die Worte. „Wir! Bitte, Lars! Hier. Diese Welt. Wir!“ erklärte sie, so gut es ihr möglich war.

Endlich öffnete sich eine Tür. Es war der Raum, aus dem es so köstlich duftete. „Wir?“ fragte er nach. „Du bleibst bei mir? Wenn ich es so will, bleibst du bei mir?“

Sie nickte.

„Und… Wenn wir doch… Auch dann bleibst du bei mir?“

„Ja.“

„Und… Und… Es wird auch niemand kommen und… und… Unser Kind… Eines Tages… einfach so… Von uns…?“

„Nein. Wir! Hier!“ Sie überlegte, wie viel sie preisgeben durfte und entschied, Lars sollte alles erfahren. Nach einem tiefen Atemzug begann sie zu erzählen.//
 

Der Tag zerrt an den Nerven und ich brauche einen Moment für mich. In der Toilette schließe ich mich in eine Kabine ein, setze mich auf den Rand des WCs und singe.

Manche führen Selbstgespräche. Ich singe. Wer sich lustig macht… Ganz unbescheiden: Ich bin ein verdammt guter Schütze und Bäuche treffe ich immer!

Allmählich werde ich ruhiger, kann die Bilder in meinem Kopf besser ordnen und schöpfe neue Kraft. Die Ereignisse Revue passierend mache ich dennoch niemanden aus, der Julian und mich beobachtet haben könnte.

Julian und mich… Das war ein Erlebnis!

Julian… Bei den Göttern. Was für ein Kerl! Wie er wohl… nackt aussieht? Wie viele Dates braucht es wohl, bis ich das erfahre? Oder landen wir gleich im Bett? Im Bett mit Julian… Dann zerre ich ihm die Hände über den Kopf. Oh ja! Alles andere als devot und passiv… Ein Paar Handschellen und wäre er mir hilflos ausgeliefert… Ich hätte beide Hände frei… Würde seinen geilen Body… Auf und ab und auf und ab… Bis er um Gnade und Erlösung wimmert und… An meiner Kabinentür bollert es und holt mich aus meiner Traumwelt. „Hey! Singender, klingender Silberrücken. Fertig mit Geräuschbelästigung? Gibt Arbeit!“

Was spricht eigentlich dagegen, das ich Berger auf der Stelle in einer Toilettenschüssel ersäufe?

„Hat es dir schon mal wer gesagt? Du bist voll durchgeknallt!“ urteilt Berger. „Du bist der einzige, der beim Leiche gucken singt. Und beim Scheißen. Und beim…“

Berger töten.“ vervollständige ich den Satz, drücke zur Tarnung die Spülung, richte mich her und trete aus der Kabine und ans Waschbecken, ignoriere meinen werten Kollegen und wasche mir Hände und Gesicht.

„Ich komme gerade von Rush.“

Diese Auskunft ist mir nicht einmal ein ‚Aha.‘ wert.

„Auf dem Hemd war nichts. Nicht mal Hautzellen oder Blut oder so was. War wohl doch nicht seins. Eine falsche Spur vielleicht. Oder der Penner hat es irgendwo geklaut.“

Ausnahmsweise. „Aha. Und?“

„Und!“ Da schwillt jemandem die Brust. „Ich habe John Doe identifiziert.“ informiert er mich ohne Umschweife. Wohl nur deswegen ohne Umschweife, weil er Lorbeeren erwartet.

„Klasse.“ gebe ich ihm die Genugtuung und steigere es mit einem „Gut gemacht.“

Ihr solltet ihn sehen. Berger platzt gleich vor Stolz. Ich bin geneigt, den Hausmeister zu rufen – vorsichtshalber bewaffnet mit Eimer und Wischmob.

„Willst du wissen, wer er ist?“ fragt mein Kollege und reibt sich ungeduldig die Hände.

Für eine Sekunde denke ich daran ‚nein‘ zu sagen. Die Info kann ich mir selbst holen, von seiner Gnaden unabhängig. „Wer ist er?“

„Rupert Wellington, der Dritte.“ platzt es aus Berger und er grinst. „Und letzte…“ Seinen eigenen Scherz brüllend komisch findend prustet er los.

Dieses Lachen möchte ich ihn am liebsten zurück in den Rachen stopfen. Wenn ich eine Pfütze auf den Boden… Ihn mir packe… Den Schädel am Waschbecken einschlage... Oder an den Fliesen… Sieht aus, wie ein Unfall und keiner fragt nach…

Nein. Weit wirkungsvoller: „Hast du schon seine Familie benachrichtigt?“

Sein Lachen endet schlagartig und er begreift endlich, der tote junge Mann in der Pathologie ist ein Mensch, der eine Vergangenheit und Gegenwart hatte. Jedoch keine Zukunft.

„Nein.“ meint er kleinlaut. „Habe ich nicht.“

„Wir fahren zusammen.“ biete ich an.

Berger schweigt. Ein stummer Dank.

Leichenhalle und Familie. Dafür bin stets ich zuständig. Zur Routine wird beides nicht.

Für viele mag sich befremdend anhören, aber… Bei den Göttern. Ich bin dankbar darum.

Und Dinge, die Mann lassen sollte!

()Die Selbstgefälligkeit in Person kommt Chris Stevens nach der Besprechung auf Julian Aparo zu. „Hier.“ meint er und hält ihn eine Banane entgegen. „Besorg es dir tüchtig.“

„Du kommst dir wohl furchtbar witzig vor, hm?“ Kopfschüttelnd wendet sich Julian ab.

„Wie? Soll ich sie dir reinschieben, Schwuli?“ Er schubst seinen Kollegen vorwärts. „Dann zeig mir doch mal deinen Arsch.“

Hastig nimmt Julian seine Mütze vom Pult und will nur noch raus. Tony Scudo und Marc Ordway versperren ihm den Weg. „Wohin so eilig?“ lästert Tony.

„Bleib doch.“ meint Marc. „Wir haben noch was vor mit dir.“

Julian sieht sich um. Chris ist selbstverständlich der Rädelsführer und hat Tony und Marc angestachelt. Allerdings braucht es dazu nicht viel. Beide sind derben Streichen ohnehin nicht abgeneigt. Das gleiche gilt für Brad Porter und Mike Griffin. Jeder von ihnen zeigt ein gemeines wie schmieriges Grinsen.

Das Grüppchen hat sich eindeutig abgesprochen und auf eine passende Gelegenheit gewartet.

Tony zieht die Tür zu und dreht den Schlüssel im Schloss. „Na denn, Schwuletten-Bärchen…“ höhnt er. „Damit wären wir… ungestört!“

„Was wollt ihr?“ Die Antwort kennt Julian bereits. Minderheiten und die, die anders sind werden immer terrorisiert.

Der selbsternannte Anführer des Quintetts hebt die Banane. „Ich habe mit den Jungs gewettet, das Ding verschwindet ganz in deiner Rosette. Jeder einen Fuffi. Und bei vier zu eins… Sind das feine zweihundert Mücken für mich…“

„Ah ja… Verstehe.“ Julian nickt, legt seine Mütze aus der Hand und knöpft sein Hemd auf. „Da sollte ich mich jetzt besser ausziehen, hm?“

„Hab euch ja gesagt, der ist da geil drauf!“ meint Brad. „Scheiße. Der will das sogar! Den Fuffi bin ich los.“ Und wiegt den Kopf. „Hoffentlich ist die Show gut.“

Seine Kollegen pflichten ihm bei.
 

Die Uniform ist einengend. Polyester-Baumwoll-Gemisch. Keine Bewegungsfreiheit. Die braucht Julian aber.

Das Hemd legt er neben seiner Mütze auf eines der Pulte ab, kurz darauf folgt sein T-Shirt.

„Schau mal einer an. Schwuletten-Bärchen hat trainiert.“ spottet Mike. „Was stemmst du denn so? Männer? Und nur die fetten, was?“

Jeder von ihnen findet das zum Lachen.

Julian kehrt ihnen den Rücken – sie dürfen die ausgebildeten Muskeln ebenfalls bewundern – macht sich gelassen an seiner Hose zu schaffen und streift unterdessen die Schuhe von den Füßen. Ein wenig mühsam, weil er keine Socken trägt.

Wie ungläubig sie ihn anglotzen, als er das Beinkleid herunterlässt und hinaussteigt. Seine knallroten Retro-Shorts mit den weißen Herzchen scheint neidvolle Blicke auf sich zu ziehen.

„Mehr nicht.“ tut Julian Aparo kund und lächelt entspannt.

Waffen… Und Kampfkunst… Theoretisch. Und praktisch.

Fünf gegen einen. Soll er sie warnen? Tatsächlich denkt er daran, es zu tun.

Nein… Sie wollten eine gute Show. Na denn. Auf drei. Eins… Drei!
 

Gebrochen hat er ihnen nichts, als er einem Sturm gleich über sie hinweg gefegt ist. Ihre Gesichter blieben ebenfalls verschont. Jammernd und wehklagend reiben sich allesamt die Leiber.

„Schwuletten-Bärchen hat trainiert.“ bestätigt Julian, kleidet sich in seine Uniform, schlüpft in seine Schuhe und setzt seine Mütze auf. „Ihr habt keine Ahnung, wie gut ihr noch weggekommen seid!“ Er sammelt die Banane vom Boden und kauert vor Chris, der ihm ängstlich entgegen starrt. „Hier. Besorg es dir tüchtig!“ Zuvorkommend lächelnd steckt Julian seinem Kollegen die Frucht in… die Brusttasche und erhebt sich, öffnet die Tür und geht einfach hinaus – mit der Hoffnung, das Quintett um Chris Stevens hält sich in Zukunft von ihm fern.

Nach einigen Erledigungen und einem Zwischenstopp in der Umkleide verlässt Julian das Department und holt sein Telefon hervor, blickt unschlüssig darauf und steckt es wieder weg. An seinem Fahrrad angekommen tut er es doch. Er ruft Detective Aaron Meyers an.()
 

Die Fahrt zum Wellington-Anwesen schüchtert meinen Kollegen ein. Von Meile zu Meile wird er kleiner im Beifahrersitz. Nie weiß er, wie er Familienangehörigen den Tod eines der ihren mitteilen soll.

„Ich sage es ihnen.“ erkläre ich.

Berger lächelt kurz und dankbar. „Ja, gut… Du bist sowieso besser in so was.“ Er stupst mich an. „Kannst du da hinten an der Tankstelle halten? Ich… Also…“ Er hüstelt.

Weiter in Verlegenheit will ich Berger nicht bringen. Ja. Ich habe eine nette Seite. „Sicher.“

Kaum auf dem Parkplatz der Tankstelle hetzt mein Kollege aus dem Wagen, hinein ins Kassenhäuschen und kommt mit dem Toilettenschlüssel – an dem eine Radkappe baumelt – wieder. Das sind sicherlich nicht nur die Chili-Dogs…

Ich selbst nutze die Zeit, mir die Beine zu vertreten und umrunde unseren Dienstwagen.

Mein Telefon piept. Nein. Dazu erkläre ich nichts mehr!

Ein kurzer Blick auf das Display. Unbekannte Nummer. Ist das etwa…? Wie soll ich jetzt in die Nähe einer Fangschaltung kommen? Erst einmal melde ich mich. „Meyers.“

„Halli Hallo… Detective Aaron Meyers.“

Welch zweifelhaftes Glück. Er ist es.

„Sag, Detective Aaron Meyers… Was machst du gerade?“ Das blecherne Lachen ertönt. „Hast du den Kleinen schon identifiziert?“

Wie schon zu unserem ersten Gespräch erspare ich mir eine Antwort.

„Hast du? Oder hast du nicht? Soll ich dir vielleicht einen Tipp geben, Detective Aaron Meyers?“

Es bleibt bei einem Monolog.

„Schade, Detective Aaron Meyers. Du redest immer noch nicht mit mir.“

Nein. Tue ich nicht.

„Weißt du… Den Cop… Mit dem du geknutscht hast… Den hebe ich mir auf. Ich schlitze einen anderen auf, hm? Würde dir das gefallen? Willst du jemanden bestimmten? Einen Mann? Oder eine Frau? Oder…“

Ein Knopfdruck und mit dem Blabla ist Schluss. Ich rufe meinen Captain an.
 

()Enttäuscht steckt Julian sein Telefon ein. Zu einem Gespräch ist es nicht gekommen. Später vielleicht…()
 

Wie wenig erfreut Captain Brace ist, höre ich noch am Telefon. „Warum haben Sie Berger nicht allein fahren lassen?“

„Weil…“ Eine Ausrede… brauche ich nicht. Zu Wort lässt sie mich gar nicht erst kommen. „Der Irre hat es eindeutig auf Sie abgesehen!“

„Cap…“

Nein! Zur Familie. Danach kommen Sie her. Sofort! Und für die nächste Zeit haben Sie Innendienst! Berger übernimmt und leitet die Ermittlungen! Bis der Fall GEKLÄRT ist!“

Fassungslos lasse ich mich auf der Motorhaube nieder. „Das ist nicht Ihr Ernst! Beides nicht!“

Detective!“ schimpft sie. „Höre ich mich so an, als würde ich scherzen?“

„Leider nein.“ Mir kommen gerade die Tränen. Innendienst. Da gehe ich lieber in den Knast! Ausgerechnet Innendienst! Bei den Göttern. Wenn ich den Irren zu fassen kriege… Jeden Tag Innendienst wird er mir büßen! Er sollte sich stellen!

„Ich erwarte Sie beizeiten im Revier, Detective Meyers.“ Sie durchschaut mich, bevor ich den Gedanken überhaupt gefasst habe. „Und wagen Sie es nicht, eigenmächtig zu handeln! In meiner Schublade ist ein Platz frei für Ihre Marke und Kanone!“

„Captain Brace…“ Ich muss schlucken. „Sie drohen mir mit… Suspendierung?“

„Nein!“ sagt sie. „Entlassung!“ KLACK knallt sie am anderen Ende den Hörer auf die Gabel.

Berger kommt wieder. In beiden Händen einen Kaffeebecher. Einen davon reicht er an mich weiter. „Was Neues?“

„Ab jetzt leitest du die Ermittlungen.“ Ich nehme einen Schluck und bin überrascht. Er hat mir einen Kakao besorgt. „Glückwunsch.“

Gedankenverloren trinkt er aus seinem Becher. An dem Bart an seiner Oberlippe erkenne ich, er hat einen Cappuccino. „Scheiße.“ flucht er schließlich. „Warum denn das?“

Zu der Gelegenheit fällt mir ein, er hat keine Ahnung von den Anrufen und ich weihe ihn – ausschweifend, weitgehend und nicht allzu penibel – ein.

„Oh, Scheiße. Das heißt, dieser Irre mordet weiter!“ Mein Kollege zeigt ganz offen auf mich. „Nur um dir zu gefallen!“

Den versteckten Vorwurf überhöre ich am besten. „Ja. Er mordet weiter. Die Fragen sind: Wann wird er zuschlagen? Und: Wer wird sein nächstes Opfer sein?“

Was überzeugt...

\\Lars schweigt, geleitet Sundora zum Sofa und lässt sich mit ihr nieder.

Sie erzählt, verfällt sie in ihre Muttersprache, die einem zarten Singsang gleicht.

Dem ungeachtet – sie zu verstehen ist kein Problem für ihn.

Fortbestand ihrer Rasse… Eine ziemlich unglücklich gewählte Formulierung. Vielleicht die einzig mögliche. Die Sprachen dieser Welt haben es in sich und sind kompliziert, wie Lars am besten zu bestätigen weiß. Vor allem die Umgangssprachen…

Sundora soll für ihresgleichen eine neue Heimat suchen. Viele vor ihr wurden in andere Welten gesandt um zu prüfen, ob die Humanoiden – Lars schmunzelt – kompatibel sind. Ob ein Zusammenleben möglich ist. Ob Kinder aus solchen Verbindungen entstehen könnten. Wie er heraushört gibt es nicht mehr viele ihrer Rasse.\\
 

//Lars schwieg, brachte sie zum Sofa und beide setzten sich. Er unterbrach sie auch nicht, als sie in ihre Muttersprache verfiel. Wie sie bemerkte, Lars verstand sie trotzdem. Sie fühlte sich erleichtert und frei, von den Geheimnissen ihrer Rasse zu sprechen. So konnte sie erklären. Lars schmunzelt, was an ihren Wortgebrauch liegen mochte. Und zeigte sich betroffen, als sie ihm sagte, dass es nicht mehr viele ihrer Rasse gab.

„Verstehst du?“ erkundigte sie sich.

„Ja.“

„Wirst du dich mit mir paaren?“

„Sundora… Lass uns… Zeit.“ wiegelte er ab. „Lass uns das Ganze… langsam angehen, okay?“

„Wir haben keine Zeit.“ widersprach sie. „Meine Rasse braucht die neue Heimat! Wir müssen herausfinden, ob wir miteinander verträglich sind! Schnell!“//
 

\\Oh, oh… Das ist eindeutig eine Zwickmühle. Lars will nicht für den Untergang einer ganzen Rasse verantwortlich sein. Ja. Er liebt Sundora, aber… Reicht das? Er kann nicht einfach so… „Sundora… Hör mal…“ Lars schluckt. „Ich bin nicht… Also… Jeder andere… Also… Erdenmann hätte dich bestimmt schon… Aber ich…“ Wie soll er das Richtige tun? Einfach mit Sundora in die Kiste und… Seine Empfindungen auf einen unpersönlichen Geschlechtsakt reduziert? „Nicht ohne Liebe.“ flüstert er und steht auf. „Komm. Das Essen ist fertig.“

„Lars…“ Sachte greift sie seine Hand, zieht ihn neben sich auf seinen Platz zurück. „Was ist das, wenn mein Herz… Ich denke an dich und… In meinem Bauch und…“ Weiter kommt sie nicht. Lars küsst sie sanft auf die Lippen.\\
 

//Von so etwas hatte der Rat der Weisen nie gesprochen. Sie wusste nicht, wie ihr geschah.

Lars legte seinen Mund auf ihren Mund. Ganz sanft. Fast, als wollte er sie füttern. Welch schönes Gefühl das war! Ihr Herz pochte und dieses Kribbeln in ihrem Bauch breitete sich auch in ihrem Schoß aus… Ihre Finger fanden den Weg zu seinem rotgoldenen Haar.//
 

\\Ihre Lippen sind weich und zart. Der Geschmack von Pfirsichen und der Ekuin-Blüte seiner Heimat ist darauf. Beide Arme um Sundora geschlungen zieht er sie zu sich heran. Kann nicht von ihrem süßen Mund ablassen. Bei den Göttern… Aaron wird Recht behalten…\\
 

//Seine Lippen wanderten abwärts, saugten an ihrem Hals, bahnten sich den Weg zurück zu ihrem Mund. Sie kicherte. Was immer der Rat der Weisen dachte, wie die Vereinigung vonstattenging… Der Rat irrte.

Lars Hände erkundeten ihren Körper unter dieser Kleidung. Behutsam und tastend. Sie genoss seine Berührungen und erlaubte sich, was er trug über den Kopf zu ziehen. Sein Anblick war bewundernswert. Einen Mann… Diese kannte sie nur von Bildern. Keines der Bilder wurde Lars gerecht. Hastig streifte sie sich das eigene Oberteil vom Körper. So konnte er sie besser streicheln. Seine Hände an ihren Brüsten, an ihren Brustwarzen. Sie gab einen Laut der Verzückung von sich und wollte die Hose auch schnell loswerden, gespannt darauf, ob seine Hände auch ihre Weiblichkeit liebkosen würden.

Ja. Er tat es.

Mit seiner Zärtlichkeit verflog ihre Angst vor… Was immer folgen sollte.//
 

\\Für einen Moment hält Lars inne. Die letzte Barriere ist seine Hose und die Shorts darunter. „Sundora…“ Unsicher reibt er sich die Stirn. „Ich… Sundora… Ich… Ich habe das…“ Zweiundzwanzig und keinerlei praktische Erfahrung. Bisher hat keine Frau ihm so viel bedeutet, als das er mit ihr Sex haben wollte… Vorstellen schon, aber richtig wollen…? Nein. Aber… Wie erklärt er es am besten? „Ich… Ich habe… das…“

„Noch nie gemacht?“ fragt die junge Frau und zeigt ein Lächeln, bei dem ihm das Herz aufgeht. „Ich auch nicht.“ Sie errötet. „Gewiss habe ich mehr Angst als du. Ich weiß überhaupt nichts vom anderen Geschlecht.“

Die letzte Barriere geht dahin. Nackt und erregt präsentiert sich Lars der jungen Frau. Neugier ist in ihrem Blick und sie fasst nach seinem Glied. „Das habe ich noch nie…“ Sundora strahlt. „Oh, Lars… Es ist ganz warm. Und hart. Und doch weich. Oh! Fühl mal.“ Sie zieht seine Hand, seine Finger an ihre Scham. Die zarte Haut ist heiß und feucht.

Lars wirft Sundora nach hinten und krabbelt über sie. „Willst du das wirklich?“ flüstert er.

„Ja, Lars. Bitte.“\\
 

//Der Rat der Weisen irrte. In so vielen Dingen. Männer… Davon hatte der Rat keine Ahnung und zitierte nur die Erinnerungen derer, die schon lange nicht mehr waren.

Lars bedeckte ihren gesamten Körper mit Küssen und Streicheleinheiten. Seine Hände folgten seinen Lippen und dann andersherum. Nicht schnell oder brutal. Entgegen jeder Behauptung des Rates.

Ungeduldig zog sie Lars auf sich und nickte, als er sie fragend anschaute.

Der Schmerz war nicht unendlich, sondern klein und leise und wurde sofort abgelöst von einem ganz anderen Gefühl.

Ein Gefühl der Freude, das sie jauchzen und stöhnen ließ. „Lars… Oh, Lars…“//

Was Scharfes...

Familie Wellington. Alter Geldadel. Aristokratie durch und durch.

Durch und durch gefasst nimmt Elisabeth Wellington die Nachricht vom Tod ihres Sohnes auf. Sie schlägt nicht einmal die Hände vor das Gesicht und beginnt zu weinen. Stocksteif sitzt sie mehr als aufrecht auf diesem pompösen Sessel und sieht uns Detectives von oben herab an, obwohl wir beide ihr gegenüber und auf gleicher Höhe sitzen.

Die sehr schlanke Frau Ende fünfzig hat blond gefärbtes Haar, das zu einem festen Knoten geschlungen ist. Um ihren Mund herum bilden sich Falten, als sie ihre violett geschminkten Lippen aufeinanderpresst. Der einzige Ausdruck ihres Unwillens. „So.“ sagt sie nach einer Weile. „Opfer eines feigen, heimtückischen Mordes…“ Vor dem Ton ihrer Stimme hätte selbst Stahl kapituliert. „Und wie, Detectives, gedenken Sie nun zu handeln?“

Berger schluckt trocken und fühlt sich sichtlich unwohl unter dem herrischen Blick dieser Frau.

„Madam… Wir tun alles um den…“

„Ja.“ unterbricht sie mich unwirsch. „Jetzt! Da er tot ist!“ Sie schnaubt abfälliger als es Dave Hollister je gekonnt hätte. „Wozu zahle ich Steuern? Damit ein Wellington hinterrücks getötet wird?“

Ihre Haltung verrät mir, Fragen wird sie weder Berger noch mir erlauben, geschweige denn beantworten. Wenige Sekunden später komplimentiert sie uns hinaus. „Gehen Sie bitte.“ Die Frau erhebt sich sogar stocksteif. „Meine Anwälte werden sich mit Ihrem Vorgesetzten in Verbindung setzen und sich um alles Weitere kümmern. Auch, was die Überführung und die Beerdigungsformalitäten angeht. Guten Tag!“
 

An unserem Wagen erschaudert Berger sichtlich. „Die war eiskalt!“ meint er. „Als wäre ihr einerlei, was mit ihrem Rupert passiert ist. Hauptsache, die kann uns einen Einlauf verpassen.“

„Was jetzt, Chef?“ erkundige ich mich bloß.

Er blickt auf seine Uhr. „Bald ist Feierabend. Ab zum Revier, Bericht und fertig!“

„Ermittlungstechnisch.“ präzisiere ich.

„Wir haben auch Kollegen, die sich um so etwas kümmern können!“

„Berger…“

Ich leite die Ermittlung! Und ich sage, wir machen gleich Feierabend!“

Ja. Ich sehe schon. Er klemmt sich voll dahinter. Und mich verbannt Brace hinter den Schreibtisch. Bei den Göttern… Was ein Scheiß!

Das Ganze ist noch steigerungsfähig. Berger scheucht mich auf den Beifahrersitz.

Seine Ausdünstungen und sein Fahrstil… Beides treibt mir die Tränen in die Augen.
 

Wir sind an der Ausfahrt des pompösen Wellington-Anwesens.

„Halt an.“ verlange ich von meinem Kollegen.

„Warum denn das?“ fragt er absolut blöde und handelt sich dafür fast einen Knock-out ein.

„Halt an jetzt!“ Statt des Knock-outs boxe ich ihm die Schulter, was er sogleich mokiert und ankündigt, sich darüber zu beschweren. Wenigstens latscht er auf die Bremse.

Mir ist gerade egal, ob Berger die Ermittlungen leitet, oder nicht. Wenig höflich ordne ich an, er solle hier warten.

„Was denn los?“ will er wissen.

„Es muss kein Katana sein.“ erwidere ich, verlasse den Wagen und laufe zurück.

Auf der Hinfahrt ist mir der grüne Van mit dem Aufdruck K2K – Ihr freundlicher Landschaftsgärtner aufgefallen. Irgendetwas habe ich gesehen, aber nicht registriert. Jetzt, mit dem zweiten Blick, weiß ich, was mir vor Augen gekommen ist.

Die beiden Landschaftsgärtner in braunen Latzhosen säbeln gerade an den Büschen vom Straßenrand. Einer benutzt eine stinkende und ohrenbetäubend laute Motorbetriebene Heckenschere, der andere schlägt die dickeren Äste mit einer Machete ab. Flache Klinge, scharfe Klinge. ZACK und der Ast ist ab. Mit einem Hieb.

Etwas breiter, als von Charlene vermutet, aber… ZACK und der nächste Ast segelt danieder. Sauber abgetrennt.

An ein Katana ist nicht so leicht heranzukommen. Macheten dagegen kriegt man in beinahe jedem Baumarkt. In der Gartenabteilung. Ich habe es gesehen, als ich mir eine Schere für meinen Bonsai… Ja! Für meinen Bonsai! Ein Miniaturbaum, falls jemand keine Ahnung hat, was das ist.

Echt mal, Leute. Diese Witzchen gehen mir langsam auf die Nerven und ich sehe schon, wir machen es besser kurz. Nun denn… Mein Name ist Aaron Meyers. Ich habe eine Katze, heule bei Schnulzen und Romanzen, ich stricke, ich benutze die Universalcreme aus der blauen Dose, ich habe einen Bonsai und ich bin schwul. Was vergessen?

Ach ja… Ich bin ein verdammt guter Schütze mit extrem niedriger Hemmschwelle was den übermäßigen Gebrauch meiner Waffe angeht. Und! Ich meine das VERDAMMT ernst!

Machete… Ich gehe zu dem Macheten-Mann und sehe ihm einen Augenblick bei der Arbeit zu. „Sagen Sie…“ halte ich ihn von der Arbeit ab, meine Marke unter die Nase und zeige auf die Machete. „Was könnte ich damit noch alles anstellen?“

Kimo Shinoda – laut Namensschildchen auf seinem Latz – ist äußerst auskunftsfreudig, steckt sich eine selbstgedrehte Zigarette in den Mund und zündete sie an – vom Geruch her könnte auch ein Joint sein – und spricht davon, was manch unvorsichtigen Kollegen passiert sei. Der Verlust von Fingern ist da irgendwie das harmloseste.

Seiner recht ausführlichen und bildhaften Erzählweise wegen empfinde ich ein leichtes Unwohlsein und begreife, warum ich der Typ für Schnulzen bin.

Für denjenigen, der da lacht. Guter Schütze. Niedrige Hemmschwelle. Und immer bewaffnet.
 

Natürlich bin ich versucht meine Erkenntnisse mit ‚Ich-kann-das-nicht‘-Berger zu teilen, mir schwant allerdings, sein Interesse dahingehend tendiert Richtung Null.

Sein gelangweiltes „Lass mich doch mit dem Scheiß in Ruhe.“ bestätigt meine Annahme.

Charlene ist weit dankbarer für diese Information und nickt. „Ja… Auf die Breite sollte ich mich nicht unbedingt festlegen, wenn die Klinge so scharf ist, dass sie…“

„Du bist auch scharf.“ fällt Berger ihr ins Wort und beguckt sich ungeniert ihr Dekolleté. „Oh yeah, Baby!“ Dem glasigen Blick und der Bewegung seiner Hände nach betatscht er sie in Gedanken.

„Legst du dich mal eben auf den freien Seziertisch da hinten?“ bittet Charlene honigsüß und öffnet noch einen Knopf.

Berger grinst anzüglich und tut es. „Willst mich gleich vernaschen, hm?“

„Ach du… Ich spare mir die Arbeit, dich da hochzuwuchten und jetzt…“ Unsere Pathologin lächelt absolut liebreizend, leckt sich über die Lippen und beugt sich vor. Prompt hat mein Kollege Stielaugen. „Und jetzt…?“ presst er hervor und harrt der Dinge, in Geilheit.

„Erschieß dich. Bitte!“
 

Die Strafe dafür kriege ich.

Na ratet mal was für eine Strafe. Oh ja. Wer darf den Bericht schreiben? Hm, hm… Und Berger? Unterstützt er mich? Nein! Er steht draußen am Snack-Automaten. Hat nicht einmal gefragt, ob er mir was mitbringen soll - was ich richtig unkollegial finde, denn so langsam kriege ich Kohldampf. Gleich Feierabend hört sich im Grunde doch nicht so schlecht an.

Mein Telefon meldet sich. Ihr wisst schon. Das Piepen. Ha, ha! Unbekannte Nummer und ich bin in der Nähe einer Fangschaltung! Diese Technik passt mittlerweile in einen Aktenkoffer. Detective Ivy Jones ist nach einem Winken bei mir und hat alles in Sekundenschnelle aufgebaut.

„Jetzt!“ nickt sie mir zu.

„Meyers.“

„Hey.“ Und damit wird der ganze technische Krimskrams unnötig. „Privat.“ flüstere ich Ivy zu und entferne mich von dem Aktenkoffer.

„Hallo? Noch da?“ fragt Julian am anderen Ende der Leitung. „Aaron? Hallo?“

„Nicht auflegen!“ erwidere ich hastig. „Musste nur… besseren Empfang suchen.“ Keiner ahnt, wie schwer es mir fällt Julian anzulügen. „Hey.“ grüße ich. „Na?“

„Na?“ gibt Julian zurück. „Und?“ will er wissen.

„Na ja…“ kriege ich nur raus. Super Dialog. Echt! Der kommt sicher mal in eine FanFiction! Seine Stimme… Purer Sex. Ich seufze und schmachte und drifte ab mit meinen Gedanken.

„Hast du Lust mit mir…“ fängt er an.

Lust? Mit ihm? Und WIE ich die habe! Die Handschellen sind…?

„Essen zu gehen? Heute?“

Das war nicht, woran ich dachte. Aber geht auch. Ist ja… entwicklungsfähig… Der Abend muss ja nicht mit dem Dessert enden… „Ja!“ sage ich und fürchte, ich klinge zu begeistert, kann mich aber nicht bremsen. „Hab gleich Feierabend. Wann? Wo? Wollen wir uns da treffen? Oder holst du mich ab?“

Julian lacht. Das schönste Lachen, das ich je gehört habe. Oh ja! Ist also so. Ich bin verliebt! In einen Bullen!

„Aaron… Meine Kollegen wissen, ich bin schwul. Wie sieht es mit deinen aus?“

„Nein.“

„Dann treffen wir uns, okay?“ Er hüstelt. Sicher wird er wieder rot. „Wenn ich dich abhole, kann ich nicht garantieren… Also… Ich kann dir garantiert garantieren… Also… Ich falle dir um den Hals und…“ Er hüstelt wieder. „Sag mal… Magst du Katzen?“

Warum will er das wissen? „Ja. Ich habe auch eine.“

Meiner Antwort folgt Stille und ich überlege schon, ob ich besser ‚nein‘ gesagt hätte. Endlich ist sein leises Glucksen zu hören. „48323 Preston Street. Über dem Restaurant. Durch den Seiteneingang. Links. Na… Wenn du vor dem Restaurant stehst, links. In einer Stunde? Geht das bei dir?“

Bericht? Fertig. Uhrzeit passt zum Feierabend einläuten. Duschen, umziehen, Handschellen und eine Flasche Ginger Ale mitnehmen und ab zur 48323 Preston Street. „Geht bei mir.“

Ein Jubeln seinerseits. „Spitze! Bis nachher!“ Im Eifer des Gefechts legt er einfach auf.

Ich bin bei meinem Schreibtisch, überfliege den Bericht und befinde ihn für gut. Ab damit zum Captain. Und dann… Mein Telefon verlangt erneut Gehör. Unbekannte Nummer. In der nächsten Sekunde bin ich bei Ivy. Sie hebt den Daumen. Mein Einsatz. „Meyers.“

„Sorry!“ Julian! „Hab was Wichtiges vergessen. Bye, Schatz.“ Und das war’s. Ivy wundert sich über mein breites Grinsen. „Privat, hm?“

„Hm, hm… Privat.“
 

Mit dem Bericht zeigt sich Captain Brace zufrieden. „Und morgen zum Innendienst!“ erinnert sie mich.

„Ja, Madam…“ Den rebellischen Unterton vermag ich nicht zu verstecken.

„Meyers…“ setzt sie zu einer Standpauke an. Das kann dauern. Die beste Möglichkeit, dem zu entgehen ist, sie nicht zu Wort kommen zu lassen. „Sorry, Captain. Muss weg. Bis morgen. Zum Innendienst. Gute Nacht.“ SCHWUPP bin ich aus ihrem Büro.
 

„Bericht?“ fragt mich Berger und schiebt sich eine Teigummantelten Erdnuss in den Mund.

„Bei Brace.“

„Und?“

„War okay.“

„Gut. Mach Feierabend, Silberrücken.“ meint er generös und ich bin geneigt, ihm den Kopf in einer Schublade einzuklemmen. Allein die Verabredung mit Julian hält mich davon ab.

„Da fällt mir ein.“ meint er kauend. „Du arme Socke hast ja ab morgen Innendienst.“

Der Gedanke mit der Schublade ist noch nicht vom Tisch! „Ja. Hab ich. Bis Morgen. Bye.“

Dating für Dummies

Selbst die Ampeln meinen es gut mit mir. Alles auf grün. Ich werte das als gutes Omen. Bei den Göttern. Ich bin in einer Viertelstunde zu Hause. Rekord! Noch fünfundvierzig Minuten zum Duschen, umziehen, Handschellen und eine Flasche Ginger Ale…

Ich betrete meine Wohnung. Was sehe ich zuerst? Meine Katze – restlos überfressen bis zum Anschlag – liegt in ihrem Körbchen im Flur und hebt träge den Kopf. „Das Geschnetzelte war… Mija-a-au!“ maunzt sie genießerisch und leckt sich das Schnäuzchen.

„Aha…“ Wo ist dann Lars? Und wo Sundora?

Ein Schrei – Sundora! – der nach unbändigen Schmerzen klingt.

Ich rase zum Wohnzimmer. Meine Waffe in der Hand stoße ich die Tür mit der Schulter auf, stürze hinein und rolle mich ab, hocke vor dem Sofa, die Waffe im Anschlag und „Keine Bewegung! Polizei!“ brüllend. Den Bruchteil einer Sekunde später erkenne ich, hier werde ich nicht gebraucht.

Lars sitzt auf dem Sofa, Sundora sitzt auf Lars. Sieht nach ‚Hoppe-hoppe-Reiter‘ aus - beide sind nackt. Und beide sind zu sehr miteinander beschäftigt, um mich überhaupt zu bemerken. Mann! Ich bin eben mit einem Riesen-Stunt hier rein, brülle meinen üblichen Spruch und die beiden…? Haben nur Augen füreinander und machen ihr ‚Hoppe-hoppe-Reiter‘.

Kein Wunder, dass Mitty sich den Wanst vollschlagen konnte. Und Sundoras unbändige Schmerzen waren eher höchste Ektase.

Hey! Ich bin ein schwuler Mann! Woher soll ich wissen, wie ein Frau in höchster Ekstase klingt? Nein! Ich habe keine gegengeschlechtliche Erfahrung und will auch keine machen! Na, was höre ich denn da? Das findet wohl wer witzig, hm? Hier! Hab meine Waffe noch in der Hand! Winke, winke.

Ein Blick auf die Uhr. Bei den Göttern. Dusche, Meyers! Zack, zack!

„Oh… Hallo Ron…“ begrüßt mich mein kleiner Bruder und zieht die kichernde Sundora zu sich in eine Umarmung. „Seit wann schleichst du denn hier herum?“

Schleichen…?“ Ich schmunzle. „Bin gleich wieder weg. Hab ein Date. Wird heute spät. Oder morgen früh.“ Meine ganz persönliche Hoffnung auf ein ganz persönliches ‚Hoppe-hoppe-Reiter‘ binde ich ihm nicht auf die Nase.

„Ja… Mach mal…“ Lars ächzt.

„Oh… Lars…“ haucht Sundora verzückt. „Du bist ja wieder hart.“

Langer Tag und kurze Nacht. Ich sag es ja. „Viel Spaß.“ wünsche ich den beiden und mir und verschwinde unter die Dusche.
 

()Eine Stunde! Was hat er sich dabei nur gedacht? Wie soll er in einer Stunde alles fertig kriegen? Julian rauft sich das Haar. Seine Wohnung ist ein Loft, damit eigentlich nur ein Raum – wenn man von Küche und Bad absieht – und hat wohl einen Bombenangriff hinter sich. Oder wurde als Truppenübungsplatz genutzt. Julian ist sicher erst letztens hier aufgeräumt zu haben! Also Chaosbeseitigung – und er will noch duschen, kochen, Tischdecken und das Bett beziehen. Was davon zuerst? Tischdecken. Bett beziehen. Nein. Kochen. Oder lieber duschen?

Bett beziehen, duschen und Tischdecken. Kochen überlässt er Sakuya Towa vom japanischen Restaurant unten und schnappt sich das Telefon. Runter will er nicht, sonst verquatscht er sich mit Sakuya und kommt nicht so schnell wieder weg.

Flott bestellt, sichert der Restaurantbesitzer und Küchenchef zu, alles in weniger als einer Stunde zu liefern.

Noch flotter bezieht Julian das Bett und tut sein Bestes, es nicht frischbezogen aussehen zu lassen. Vom Sofa aus beobachtet sein Mitbewohner stumm diese Geschäftigkeit und denkt sich seinen Teil. Bei der Aufforderung um Hilfe – Immerhin hat er auch einen Teil des Chaos verursacht! – dreht sein Mitbewohner gänzlich desinteressiert den Kopf in eine andere Richtung und tut so, als gehe ihn das rein gar nichts an.

„Ja…“ nörgelt Julian. „Dann eben allein!“ Einiges an Chaosbeseitigung später steht er unter den heißen Strahlen der Dusche. Kurz abgetrocknet wird der Tisch gedeckt. Besondere Beachtung schenkt er der Dekoration. Ansprechend und dezent. Bloß nicht überladen. Er möchte Aaron in die Augen sehen. In diese wundervollen dunklen Augen, in denen aus weiter Ferne Sterne strahlen. Er seufzt. Nicht nur die Augen haben es ihm angetan. Der ganze Aaron Meyers… Julian hofft sehr, ihn heute nackt zu sehen und bemerkt seine eigene Nacktheit erst, als er an sich heruntersieht. Oh je. Mit der Tür will er nicht ins Haus fallen. Schnell noch mal eine Dusche. Eine kalte!()
 

Geduscht und eingecremt… Ja. Genau! Meine Universalcreme aus der blauen Dose. Was ist daran so witzig? Auch ein Handtuch wird in meinen Händen zur Waffe, also würde ich mir die Sache mit dem Späße machen noch mal überlegen!

Also… Geduscht und eingecremt… Bei den Göttern! Ist jetzt Ruhe mit dem Gekicher?

Jetzt aber! Geduscht und eingecremt stehe ich – nervös wie schon lange nicht mehr – vor meinem Schrank und suche das passende Outfit. Wenig hilfreich ist, ich bin nicht eitel. Nicht mal ein bisschen. Mit sauber und wohlriechend bin ich zufrieden.

Ja… Aus diesem Grunde reicht mir auch meine Universalcreme aus der blauen Dose. Fein dazwischen gerufen! Handtuch. Waffe. Das war kein leerer Spruch! Und allzu rückständig bin ich nicht, was Körperpflege angeht. Ich habe einen Deo-Roller! Da. Sportlich-frisch!

Das passende Outfit… Der Verzweiflung nahe fahre ich durch mein Haar. Männlich soll es sein. Dominant! Was Mann leicht ausziehen kann. Es soll aber nicht den Anschein haben, dass Mann es leicht ausziehen kann.

Im Endeffekt greife ich meine schwarzen Shorts, die Jeans in der gleichen Farbe, darüber ein Hemd – auch schwarz. Socken, ja – nein? Nein. Gibt irgendwie nichts Unerotischeres als sich Socken ausziehen zu müssen. Rein in meine schwarzen Schnürschuhe und in meine Lederjacke im Pilotenstil. Schwarz. Klar. Was anders kann Mann zu schwarz nicht anziehen.

Einen Moment ringe ich mit mir, ziehe dann doch die Schublade von meiner Nachtkonsole auf und nehme eines der Souvenir-Gummis. Noch haltbar. Eins bleibt drin – Souvenir! – die anderen nehme ich mit, gleichmäßig in allen mir anhaftenden Taschen verteilt. Aus der untersten Schublade werden mich die Handschellen und entsprechenden Schlüssel begleiten. Was ich mir vorgenommen habe, ziehe ich durch. Ratet, warum ich Bulle geworden bin! Das Ginger Ale hole ich mir gleich aus der Küche.

Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel. Outfit. Ist gut. Nur meine Haare stehen ab, als hätte ich die Finger in der Steckdose gehabt. Selbst nach einer ganzen Minute intensiven Kämmens bleibt das so. Tja… Dann bleibt das so. Fertig.

Meyers, Meyers… Perfekt ist anders, aber ich gehe schließlich nicht auf eine Modenschau.

Angezogen habe ich mich ja nur, um mich wieder auszuziehen. Oder ausziehen zu lassen…
 

()Was zieht Mann bloß an? Shorts, ja. Socken, nein. Julian schüttelt den Kopf. Wie gern er es auch möchte, er kann doch nicht nur in Shorts herumlaufen! Ein ungezwungenes Abendessen. Ergo ungezwungene Kleidung. Bluejeans und sein Lieblings-Hemd in beige. Fertig. Sieht gut aus und ist leicht auszuziehen. Nur nicht zu ersichtlich leicht auszuziehen…

Ein Klingeln an der Tür. Ein Blick auf die Uhr. Das ist Sakuya mit dem Abendessen. Mehr als pünktlich. Das gibt einen Trinkgeld-Bonus!

„Du erwartest Besuch?“ Der kleine Japaner hält ihm zwei Tüten entgegen. „Herrenbesuch?“

„Ja…“ Julian lächelt strahlend. „Endlich!“

„Ah!“ macht Sakuya. „Verstehe… Mister Right!“

Höflich bedankt sich Julian für die Lieferung, zahlt und legt ein gutes Trinkgeld obendrauf. Auf zu den letzten Vorbereitungen! Wenn es schon nicht selbst gekocht ist, soll es wenigstens wirken, wie selbstgekocht. Schüsseln, Schalen und Platten gefüllt und belegt fällt Julian ein, er hat noch keine Trinkgefäße. Der nächste Blick auf die Uhr. Oh, oh! Ab in die Küche und die Gläser geholt. Diese auf den Tisch entscheidet Julian, sich noch einmal die Haare zu kämmen. Sein Mitbewohner verlässt gerade das Bad und macht ihm Platz.()
 

Selbst mit einer Marschkapelle würde ich jetzt unbemerkt an meinen kleinen Bruder und Sundora vorbeikommen. Inniglich in einem Kuss versunken – ich seufze neidisch – überhören sie meinen Abschiedsgruß.

Hach ja… So ein bisschen ‚Hoppe-hoppe-Reiter‘… Mit Julian…

Bei den Göttern! Bin ich nervös! So heftig hat es mich noch nie getroffen.

Ein Piepen aus dem Schlafzimmer. Mein Telefon will ich nicht mitnehmen. Aber… Da ist ja wieder diese Mischung aus Gutmütigkeit, Neugier und Idiotie. Zurückgehastet – wieder an Lars und Sundora vorbei, die sich immer noch küssen – schnappe ich es mir und werfe einen Blick auf das Display. Unbekannte Rufnummer. Es könnte Julian sein. Oder der Irre. Ich bin nicht im Dienst. Es könnte Julian sein… „Meyers.“

„Ah! Detective Aaron Meyers. Du hast mich aber lange warten lassen.“

Definitiv nicht Julian.

„Heute Nacht, Detective Aaron Meyers, mache ich dir noch ein Geschenk.“ Das blecherne Lachen ertönt und das Gespräch wird von seiner Seite beendet.

Er kündigt die Morde jetzt also an. Hat er die Hoffnung, ich bin es, der ihn verhaftet? Wo mich doch sein Gehabe in den Innendienst gebracht hat? Irre! Und dämlich!

Mein nächster Schritt ist es, die Kollegen auf dem Department zu informieren. Detective Angelica Ryans versichert mir, die Streifen zu benachrichtigen und selbst die Augen offenzuhalten. „Wir schaffen das schon!“ sagt sie außerdem.

Bei den Göttern. Dieses verdammte mistige Stück Scheiße! Ich bin geneigt, Julian abzusagen und selbst auf den Straßen zu patrouillieren.

Nein. Damit gebe ich diesem Irren Macht über mein Privatleben. „Nicht mit mir!“ flüstere ich, sehe kurz nach Lars und Sundora – sie liegt glücklich lächelnd in seinen Armen und er liebkost ihr Gesicht – und wiederhole meinen Abschiedsgruß.

Lars winkt mir zu, Sundora schmiegt sich an ihm.

Liebe geht ab und an einen absonderlichen Weg. Ich bin auf meinen eigenen gespannt.
 

()Der weiße Hai kommt unaufhaltsam näher, streicht um den niedrigen Tisch und reckt immer wieder sein rosa Näschen nach den Leckereien, die darauf stehen. Die kleinen gebratenen Spieße aus Hühnerfleisch haben es ihm besonders angetan. Im Sekundenbruchteil springt er auf die lackierte Fläche, stibitzt einen ganzen Spieß mit der bekrallten Pfote und flitzt – seine Beute in der Schnauze – unter die hochbeinige Kommode.

„Sharky!“ Julian geht vor dem Möbel in die Knie und sieht seinem kleinen Mitbewohner beim Fressen zu. „Das ist kein Katzenfutter.“

„Miep.“ hält der winzige weiße Kater dagegen.

„Nein. Ist es nicht! Das ist Menschenfutter. Außerdem gewürzt! Das ist nichts für Stubentiger im Mini-Format, die mal groß werden wollen!“ Allerdings bringt es der Mann nicht übers Herz, Sharky den Spieß wegzunehmen. „Ich stelle dir ein Schälchen Milch hin, hm?“

Seine Mahlzeit beendet kommt der Winz-Kater aus seinem Versteck hervor und gibt Julian das Köpfchen.

„Ich dich auch, du Racker!“ Er nimmt Sharky auf den Arm, holt die Reste der Beute hervor und steht auf. „Wir kriegen gleich Besuch, wir zwei.“

„Mau?“

„Ja. Aaron hat auch eine Katze. Da wirst du tüchtig zu schnüffeln haben.“ Julian seufzt. „Er ist derjenige welche, weißt du.“ Ein neuerlicher Seufzer. „Ich hoffe, er sieht das auch so.“ Seufzer zum dritten. „Selbst wenn er von meinem kleinen… Nun ja… Geheimnis erfährt.“

Für den weißen Hai ist die Gefühlswelt der Menschen noch zu hoch. Er kuschelt sich schnurrend in die Armbeuge seines Mitbewohners und macht sein Nickerchen. Kurz öffnet er ein Auge und miaut leise, als Julian ihn in sein Kissen auf das Sofa legt.()

Besser spät, als nie...

()Zunehmend ungeduldiger läuft Julian vor der Tür auf und ab. Das Essen wird kalt. Und von Aaron keine Spur. Wartend sieht er auf die Uhr. Schon fünfzehn Minuten zu spät. Eine ewig endlos Viertelstunde. Von seiner Frisur ist nichts mehr übrig – so oft fährt er sich durch sein schwarzes Haar. Von der Tür rennt er zum Tisch, richtet alles noch einmal her, kniet davor und springt doch wieder auf, rückt Gläser und Teller. Schon zwanzig Minuten.()
 

Bei den Göttern. Das war es für mich und pünktlich. Dank Verkehrslage, roter Ampeln und einem Duo von zugedröhnten Jugendlichen, das einen Pizzaboten überfallen wollte.

Wisst ihr… Ich bin immer bewaffnet. Linke Hand, rechte Hand. Und der ganze Rest von Aaron Meyers. Ganz der Papa. Na… Fast. Papa war nicht schwul… Und er hatte brandrotes Haar. Das hatte ich auch. Früher. Vor… Früher eben.

Die Bande hat mich weit weniger aufgehalten, als die Danksagungen des erretteten Pizzaboten – und wieder die Verkehrslage und die roten Ampeln. Außerdem eine Dame und ihre Katze auf dem Baum. Ein Junge auf einem Skateboard, der vor einer Laterne geknallt ist. Ein Pärchen, das sich mitten auf der Kreuzung streitet und versöhnt… Was macht das? Eine dreiviertel Stunde zu spät.

Und sicherlich noch ein bisschen später. Hoffentlich wartet Julian. Egal, was er von mir denkt… Das gehört sich so, wie ich finde.

„Darf es noch etwas sein?“ Geschäftig bindet der ältere Mann meine ausgesuchten roten Rosen mit Schleierkraut, Farn und Asparagus – Ja! Auch damit kenne ich mich aus! – zu einem kleinen Strauß.

Lachen ist unnötig! Ich verspäte mich doch schon! Und so ein bisschen Romantik hat noch nie geschadet! Nicht, dass mir jemand vorwirft, ich will nur den Sex. Oh nein! Ich will Julian. Und den Sex… Den will ich auch!

„Nein, gnädiger Herr. Danke sehr.“

Meine Höflichkeit veranlasst ihn mein äußeres Erscheinungsbild genauer in Augenschein zu nehmen und er strahlt mich an. „Ah ja… Schwul, hm?“

Ich erlaube mir, das unbeantwortet zu lassen und bezahle, ergreife den Strauß und die Flucht. Nun… Ich meine…. Nicht direkt die Flucht… Ich muss mich beeilen…

Bei den Göttern! Hopp, hopp, Meyers! Im Laufschritt Marsch zur 48323 Preston Street!
 

()Über eine Stunde nach der abgemachten Zeit hat Julian die gesamten Leckereien abgeräumt und im Kühlschrank verstaut. Steht in nächster Zeit also Japanisch auf dem Essensplan. Nur noch das Geschirr erinnert an die Einladung. Auf dem Sofa niedergesunken starrt Julian vor sich hin. „Er kommt nicht.“ erkennt er und zieht die Nase hoch. „War halt zu… forsch.“

Sharky trapst von seinem Kissen, setzt sich neben seinem Mitbewohner und legt den Kopf schief. „Miep.“

„Alles gut…“ krächzt Julian unglücklich und steht auf, geht zum Tisch und beginnt die Teller aufeinander zu stapeln, die Stäbchen legt er obenauf. „Ist meine eigene Schuld.“ Die Gläser in der Hand hebt er die Schultern. „Bin ja regelrecht über ihn hergefallen. Und das in der Nähe eines Tatorts und…“ Er sieht in die blauen Augen des Katers. „Sharky… Ich habe mich verliebt. Hab nicht gedacht, dass mir das passieren kann.“ Er lächelt versonnen. „Ausgerechnet mir.“ Und erschrickt mit dem Läuten seiner Türklingel. Schnell stellt er die Gläser zurück, wischt sich über die Augen und rast los.()
 

Weit über eine Stunde zu spät. Trotzdem. Der erste Eindruck zählt. Darum: Coole Pose… Yeah, Baby! Cool und Macho und… dominant!

Die Flasche habe ich neben mir auf den Boden gestellt und taste alle meine Taschen ab. Die Gummis? Alle da. Handschellen? Nicht mehr da. An das zugedröhnte Jugendlichen-Duo verschwendet! Ach… Es wird sich was anderes finden und im Knotenbinden bin ich nicht der schlechteste.

Total lässig lehne ich am Türrahmen, klingle noch mal und verberge den Blumenstrauß hinter meinen Rücken. Für eine Sekunde beschleicht mich das Gefühl, Julian mit meiner Verspätung beleidigt – gar vergrault zu haben und beschließe kurz zu warten, einmal noch zu klingeln und mich dann zu trollen.

Die Tür wird so plötzlich aufgerissen, dass ich einen Schritt zurückweiche. Meine coole Pose ist damit dahin. Wenigstens kann ich die Rosen versteckt halten.

Hey!“ ruft Julian hocherfreut und tut, was er mir garantiert garantiert hat. Er fällt mir um den Hals und küsst mich auf den Mund.

Wieder Lippen auf Lippen. Wieder nicht mehr. Und wieder ist es eine Offenbarung.

„Hey.“ schaffe ich endlich zu sagen. „Verzeih die Verspätung.“ ergänze ich und hebe meine Hand mit dem Rosenstrauß. „Für dich.“

Bei den Göttern. Welch ein Anblick! Die Rosen entgegennehmend strahlt er regelrecht und seine goldenen Augen leuchten wie… Unbeschreiblich!

Leute… Es ist endgültig um mich geschehen. Dieser da. Meiner!!!
 

()Julian küsst Aaron erneut. Rote Rosen. Niemals zuvor hat ihm jemand… Rote Rosen… Er könnte heulen vor Freude, spürt die Hitze auf seinen Wangen und versucht seine Verlegenheit zu überspielen. „K-k-komm do-doch r-r-rein.“ stottert er und tritt beiseite. Den Arm gestreckt weist er geradeaus. „D-d-da lang, bitte.“

„Du bist unglaublich sexy, wenn du rot wirst.“ erwidert Aaron, denkt gar nicht daran das Domizil zu betreten und zieht Julian am Hemdkragen zu sich heran. „Danke für die Einladung.“ flüstert er, umfasst die Taille seines Gastgebers und küsst ihn seinerseits.()
 

Schon in der Gasse wollte ich ihn so küssen.

Ich sehe, wie er seine Augen schließt und schließe meine.

Das Kribbeln auf den Lippen entlädt sich in einem schwachen elektrischen Schlag und ich kann nicht genug davon bekommen. Unsere Zungen necken und streicheln sich gegenseitig. Julian umschlingt meinen Nacken – die Rosen rascheln auf meinem Schulterblatt – und seufzt selig in diesem Kuss. Manchmal hält er inne und knabbert spielerisch in meine Unterlippe. Ich dagegen sauge an seiner Oberlippe und gleich darauf beginnen unsere Zungen ihr Spiel von neuem.

Vielleicht kennt ihr das Sprichwort: Liebende schließen beim Kuss die Augen, weil sie sich mit ihren Herzen sehen.

Keine Ahnung, wer das gesagt hat, aber… Es ist wahr.

Meine Hände wandern von seiner Taille über seinen Rücken und ich drücke ihn richtig an mich heran. So sehr und so fest, dass ich seinen Herzschlag an meinem spüre.

Schande! Ich fange an zu kichern. Und es ist ansteckend. Julian gluckst. Wir lösen unsere Lippen voneinander.

„Na…“ meint er atemlos und sein süßes Lächeln zeigt sich. „Kusstechnisch passen wir schon mal gut zusammen.“

„Oh ja!“ kann ich nur bestätigen.

„Komm doch rein.“ bietet er mir wieder an. „Magst du japanisches Essen?“

Ich nicke eifrig. „Asiatische Küche ist ganz mein Ding.“
 

()Angestrengt bemüht sich Julian darum nicht zu heulen. Sakuya hat ja soo Recht! Mister Right! Aaron ist sein Mister Right! „Auch w-wenn es sch-schon kalt…?“ Seine Wangen müssen regelrecht glühen. „I-i-ich ka-kann das auch k-k-kurz i-i-im O-O-Ofen…“ Der Rest geht in einem Fiepen unter.()
 

Julian fiept. Wie niedlich das klingt. „Nein! Du machst dir keine Umstände.“ entscheide ich. „Immerhin kam ich zu spät.“ Das macht ihn sprachlos. Schaffe ich es tatsächlich, ihn so aus dem Konzept zu bringen? Oh… Ja… Ich schaffe es. Ich lächle doch bloß.
 

()Dieses Lächeln… Alles andere… Julian stockt der Atem und sein Herz klopft so laut, er vermutet, Aaron hört es. Aaron Meyers… Sein Mister Right. Kein Zweifel. Was er empfindet kann er nicht in Worte fassen und verliert die Fassung.

Die Hand gehoben streichelt Aaron seine Wangen. „Rosen für dich, Tränen für mich.“ sagt er leise. „Nie zuvor hat mich jemand derart beschenkt.“

„Du bist…“ heisert Julian. „Und… Ich… Ausgerechnet ich…“ Weiter kommt er nicht. Aaron zieht ihn erneut in eine Umarmung und küsst ihm zärtlich die Tränen von den Wangen. „Ja.“ flüstert er Julian ins Ohr. „Ausgerechnet du!“()

Genuss

//Glücklich erschöpft lag sie an Lars Seite, in seinem Arm und malte mit ihren Fingern Kreise auf seine Brust und kitzelte seinen Hals. Sie fühlte die Vibration eines tiefen, kehligen Grollens, das er von sich gab. Lars fasste nach ihrer Hand und liebkoste die Fingerspitzen. Das Grollen wandelte sich zu einen Gesang, dem sie mit Freuden lauschte.//
 

\\Lars folgt seiner Empfindung, singt und dankt damit den Göttern für diese Fügung. Diese wundervolle junge Frau an seiner Seite, in seinem Arm wird von nun an seine Gefährtin sein und zieht er sie zu sich für einen Kuss. Binnen kurzem bedeckt er nicht nur ihren Mund. Seine Lippen wandern über ihren erhitzten Leib und er leckt das Salz von ihrer Haut. Es erregt Sundora, wie es Lars erregt und ohne viel Federlesen kniet er zwischen ihren gespreizten Beinen, hebt ihre Hüften und zieht sie an sich heran.

„Oh… Lars…“ Sie seufzt und wimmert. „Oh… Ja…“

Dieser herrliche Anblick. Ihre Brüste wippen im – von ihm vorgegeben Takt. Stöhnend bäumt sie sich auf. In ihrer Muttersprache fleht Sundora darum, er soll weitermachen, nicht aufhören und ächzt. Keinen Herzschlag später schreit sie.\\
 

//Mit ihrem Schrei beschenkte Lars sie nochmals mit seinem Samen, verharrte einen Moment und kam auf ihrem Busen zu liegen um ihrem Herzschlag zu lauschen.

Sie kraulte sein Haar und vernahm wieder das tiefe, kehlige Grollen.

„Lars…?“ wagte sie die Frage. „Wo kommst du her? Mitty sagte… Aaron und du… Ihr entstammt nicht dieser Welt.“

In die Höhe gestemmt blickte Lars ihr in die Augen und dachte merklich darüber nach, ihre Fragen zu beantworten. Er lächelte. „Gehen wir duschen?“

Das verwunderte sie. „Wohin gehen wir?“ wollte sie genauer wissen. „Duschen? Wo ist das?“ War das seine Heimat? Duschen?

„Vertrau mir…“ Sein Lächeln wurde milde amüsiert. „Es wird dir gefallen!“ Lars stand auf, hob sie mühelos auf seine Arme und trug sie in einen Raum, den er ‚Bad‘ nannte.
 

Welch eigenartige Welt. Duschen war nicht Lars Heimat. Duschen gehen bedeutete, sich in einer gläsernen Kabine mit Wasser berieseln zu lassen. Nicht nur das. Die Temperatur des Wassers war – Nach ihren Wünschen! – einstellbar und warme Strahlen regneten auf sie nieder. Sie genoss die Wärme. Dort, wo sie herkam, stellten sich alle unter eine Kaskade und dieses Wasser war immer kalt.//
 

\\Vom Wasser wird Sundoras weißes Haar durchscheinend. Davon angetan lässt Lars eine Strähne ihres Haares durch seine Finger gleiten. Übermütig springt sie ihm in die Arme. „Wie schön es ist, mit dir zu sein!“ schwärmt sie.

„Wie schön es ist, mit dir zu sein.“ erwidert Lars und wirbelt mit Sundora herum, gibt ihr einen Kuss und hebt die junge Frau in die Höhe, um sie gleich darauf an sich zu drücken. „Und wie schön das ist!“ betont er und stellt sie auf die Füße. „Und jetzt seif ich dich ein!“\\
 

//Die Augen geschlossen hielt sie still, kicherte hin und wieder und genoss es, von Lars in zarten, duftenden Schaum gehüllt zu werden. Den Schaum abgespült, zog er sie in eine feste Umarmung und sang wieder.

„Oh…“ Ihr Kichern wurde lauter. Keiner der Erzählungen des Rates stimmte. Lars war schon wieder bereit, sich mit ihr zu vereinigen. „Oh, du… Du bist wieder hart…“//
 

\\Lars schaut an sich herunter und seufzt. Das hat er nun mal davon. Sex erschöpft ihn nicht so sehr, wie die… einheimischen Männer.

„Darf ich…?“ beginnt die junge Frau, reibt an seiner Erektion und hört sein Ächzen. „Oh…“ Sie blickt ihm ins Gesicht. „Das magst du auch?“

Seine Antwort ist ein langgezogenes „Jahaah…“

„Darf ich weitermachen? Bitte? Bis dein Samen herauskommt?“ Ihre Neugier ist… reizend.

Lars stimmt wortlos zu und sieht ihre Begeisterung. Emsig probiert sie aus, streichelt und massiert, schiebt und tippt. All das veranlasst ihn sich gegen die gläserne Kabinenwand zu lehnen und nach Luft zu schnappen.

Seinem erstickten „Ugah…“ folgt ihr entzückter Ausruf. „Guck nur, wie schön das aussieht!“

„Sun… Sundora… Loslassen… Bitte…“ Die junge Frau sanft aber bestimmt in eine Ecke geschoben bemächtigt sich Lars des Duschkopfes und stellt das Wasser auf kalt. Neben der Abkühlung verlangt sein Körper etwas ganz anderes. „Hunger.“ knurrt er.\\

Hauptgericht kann. Dessert muss!

Nach ein paar Küssen – oder nur einem ganz langen – betreten wir Arm in Arm Julians Wohnung.

Ein riesiger Loft. Die einzelnen Bereiche sind durch halbtransparente Vorhänge abgeteilt. Im hinteren Teil kann ich sein Schlafzimmer ausmachen. Das Bett – Ein King-Size von einem King-Size! – wirkt unordentlich, riecht aber frisch bezogen. Ha, ha! Nicht mehr lange…

Den Bereich daneben hat er zu einem Esszimmer gestaltet. Ein niedriger Tisch – teilweise gedeckt, drum herum bequeme Sitzkissen. Eine hochbeinige Kommode steht an der Wand. Alles im asiatischen Stil gehalten.

Die übrige Einrichtung sieht wild durcheinander gewürfelt aus. Und knallbunt. Überall Bilder an den Wänden. Von Plätzen, Skylines, Blumen… Mir gefällt das! Ich bin nämlich eher der pragmatische Typ. Wie? Habt ihr das nicht gesehen? Meine Wohnung ist nüchtern, geradezu kärglich und nur mit dem nötigsten Mobiliar ausgestattet. Das Bett in meinem Schlafzimmer ist so was wie purer Luxus und ohne Lars würde es gar nicht darin stehen. Er ist es auch, der es benutzt, wenn er zu Besuch ist. Ansonsten steht es halt da.

Wo ich schlafe…? Tja… Bisher hat mir immer mein Sessel gereicht. Meistens nicke ich über mein Strickzeug ein. Ah ja! Hätte ich mir ja denken können. Mir deucht, ich hätte meine Walt Wilson mitnehmen sollen! Ihr wisst schon… Zum Bäuche perforieren! Mal sehen, wer dann noch lacht! Danke. Ist angekommen! Grr!

Im größten Raum von Julians Loft prangt mittendrin ein quietschgelbes Sofa. Also… So was von quietschgelb. Eine Mischung aus Zitrone und Eidotter. Auf dem Sofa ein riesiges blau-kariertes Kissen und auf dem Kissen eine weiße Katze, schlafend.

Ah ja. Alles klar. Der Grund seiner Frage. Winzig-klein ist das Tierchen. Sechs Wochen, vielleicht sieben. Älter nicht. Ich höre das leise, zufriedene Schnurren. Die Katze fühlt sich hier wohl. Sicher und geborgen. Das wiederum heißt: Julian ist ein guter Mensch.

Ein zaghaftes Zupfen an meinem Jackenärmel lenkt meine Aufmerksamkeit auf meinen Gastgeber. Er zeigt auf sein Esszimmer. „D-d-du setzt dich und i-i-ich…“

„Oh nein!“ widerspreche ich. „Du setzt dich und ich sorge für unser…“ Ich zeige ein zweideutiges Grinsen und schnalze mit der Zunge. „Leibliches Wohl.“

Julians Erwiderung ist dieses niedliche Fiepen.

„Hm, hm…“ Ich entledige mich meiner Jacke und drücke sie ihm in die Hand. „Und wo ist die Küche?“
 

()Und das ihm! Nach langer Zeit lässt Julian Gefühle zu und diese treffen ihn wie ein Hammerschlag. So nah am Wasser ist er sonst nicht gebaut. Zittrig schafft es er, die Jacke seines Gastes aufzuhängen, lehnt an der Garderobe und atmet tief ein und langsam aus, wird umarmt und Aaron küsst ihm erneut die Tränen von den Wangen.

„Sorry…“ gibt Julian heiser von sich. „Das ist… alles… neu für mich…“ Und beißt sich auf die Zunge. Mehr will er nicht sagen. Zu seiner Erleichterung, Aaron fragt nicht und drückt Julian kurz an sich, bringt ihn zum Esszimmer und marschiert los, direkt in die angrenzende Küche, die durch eine breite Schiebetür mit Milchglas-Scheiben von dem Raum getrennt ist.

Den Kühlschrank geöffnet wirft er seinem Gastgeber einen kurzen Blick zu. „Miso-Suppe, Yakitori, Sushi…“ zählt er auf. „Du willst mich wirklich verwöhnen, hm?“ Und blickt erneut in das Gerät. „Daifuku? Du hast auch Daifuku?“

Julian bejaht stumm und bemerkt, Aaron sieht das nicht, weil er den Kopf wieder im Kühlschrank hat. „Ja….“ krächzt er schüchtern und stellt die Teller auf ihre Plätze, sinkt auf eines der Sitzkissen und kann nicht aufhören, Aaron anzusehen.()
 

Für alle, die noch nie beim Japaner gegessen haben, was an sich eine Schande ist: Miso-Suppe ist eine Suppe mit Gemüse, Glasnudeln, Tofu und Algen. Yakitori sind kleine Spieße aus Hühnerfleisch, die mit einer süßlich-pikanten Soße serviert werden. Muss ich Sushi erklären? Das lasse ich jetzt auch bleiben. Zu den Daifuku. Reismehlplätzchen mit süßer roter Bohnenpaste. Selbermachen ist gar nicht so leicht, weil der Teig klebt. Und wie der klebt! Aber… Ich lasse alles für Daifuku stehen. Na… Fast alles. Bei der Wahl zwischen Daifuku und Julian… Erst wird Julian vernascht, dann die Daifuku und dann Julian. Genau in der Reihenfolge!

„Doch warm.“ urteile ich und sehe mich nach dem Herd um. „Sitzenbleiben!“ herrsche ich Julian an, der sich erhebt und mir helfen will. „Ich komme hier zurecht!“

„Und wenn nicht?“ Er hüstelt. „Ich habe einen Gasherd.“

„Und wenn nicht, fliegt hier alles in die Luft.“ lache ich. „Macht aber nichts. Ich bin versichert.“

„Ich könnte…“

Sitzenbleiben!“ Holla! Das war dominant. Julian sitzt tatsächlich wieder.
 

()Seine Besorgnis ist völlig grundlos, wie Julian feststellt. Aaron kennt sich mit Gasherden aus, hat nach kurzer Suche Topf und Pfanne gefunden und werkelt in der fremden Küche, als wäre das heute nicht der erste Besuch. Wenig später köchelt die Miso-Suppe und die Spieße brutzeln in der Pfanne.

Von Aaron unbemerkt steht er auf, schleicht lautlos in die Küche und stellt sich hinter seinem Gast. „Ich helfe aber beim Servieren.“ kündigt er an. Zu seinem Erstaunen schrickt Aaron nicht zusammen, dabei hat Julian nicht das geringste Geräusch gemacht.

„Orientalisch-holzig.“ berichtet Aaron – ehe sein Gastgeber fragen kann, wendet sich ihm zu und zwinkert. „Dein Duft gefällt mir.“

„Du hast mich gerochen?“ Julian ist perplex. „Wie das?“

Aaron hebt die Augenbrauen. „Mit der Nase.“ erwidert er kurzerhand. „Essen ist fertig.“()
 

Bevor wir essen reicht Julian mir einen Aperitif.

„Ein Nami-van-Dark.“ erklärt er. „Selbst gemixt.“ fügt er hinzu und lächelt.

„Nami-van-Dark?“ murmele ich leicht irritiert, mustere die rötliche Farbe und schnuppere daran. Riecht nach Granatapfel. „Ist das mit Alkohol?“ erkundige ich mich außerdem. In dem Fall muss ich den Aperitif ablehnen. Ich trinke keinen Alkohol. Kann es nicht. Mein Metabolismus identifiziert Alkohol als Gift und ist sogleich bestrebt dieses Gift auszuscheiden. Schnellstmöglich! Hauptsächlich auf den gleichen Weg, wie es reingekommen ist. Verdeutlicht: Trinken und kotzen…

Nein! Da ist beim besten Willen nichts witzig dran! Kotzt ihr mal auf einer gehobenen Dinner Party der Bürgermeisterin aufs Kleid, nur weil die euch zwingt, ein Schluck Schampus zu trinken. Einen minimalen Schluck! Und ich habe vorher bei Bagel Queen gegessen. Der Verlust meines doppelt belegten Queen Mary mit extra Salat war ja schon schmerzlich! Zu allem Übel dürfte ich obendrein die Reinigung des Kleides bezahlen und bei der werten Frau Bürgermeisterin bin ich immer noch unten durch.

Zu meiner Erleichterung, Julian verneint. „Den kann man zwar mit Wodka mixen, aber ohne schmeckt der besser. Fruchtiger und… köstlicher.“

Sein süßes hoffnungsvolles Lächeln entgeht mir nicht. „Nun denn.“ Mein Glas gehoben proste ich ihm zu. „Auf dich – meinem Gastgeber. Auf das gute Essen und auf alles, was danach kommt.“ Was mit Sicherheit kommt. Julian errötet nämlich wieder.

Mmh… Das Rezept für diesen Aperitif lass ich mir geben. Morgen. Nach einem langen Tag und einer kurzen Nacht.
 

Beim Essen sitzen wir einander gegenüber. Mir fällt es schwer, den Blick von Julian zu lassen. „Du bist ein schöner Mann.“ sage ich. Es entspricht der Wahrheit und sollte mal gesagt werden. „Ein sehr schöner Mann.“

„Du auch.“ gibt Julian mit leuchtenden Augen zurück, verliert dabei sein Yakitori und beplempert sein beiges Hemd mit der süßlich-pikanten Soße. „Ups.“

„Du solltest den Fleck sofort auswaschen.“ rate ich. „Wenn der eintrocknet, bleibt der im Stoff.“

„Ach…?“

„Hm, hm.“ bestätige ich. „Wenn du willst… Ich helfe dir beim Ausziehen.“ biete ich an. Natürlich ganz und gar nicht ohne Hintergedanken.
 

()Alle Schüchternheit ist vergessen. Das braucht Aaron ihm kein zweites Mal anbieten. „Ja?“ Julian lächelt ihn herausfordernd an. „Dann mach mal.“

Unvermutet schnell ist Aaron von seinem Platz, kniet neben seinem Gastgeber und hat seine Finger bereits an den Hemdknöpfen. Knöpf, knöpf, knöpf… Gleichfalls unvermutet schnell ist das Hemd offen.

Wie Julian bemerkt hat Aarons schwarzes Hemd Druckknöpfe. Mit einem kräftigen Zug ist es auf. Aaron trägt nichts drunter und ist muskulöser, als es in der Kleidung den Anschein hat. Von der Statur ist er Julians eigener enorm ähnlich.

„Waschbrettbauch…“ bemerkt Aaron, zieht Julian das beige Hemd aus der Hose und von den Schultern und streichelt die Haut über den Bauchmuskeln. „Dachte ich mir doch.“ Mit einem Schubser wirft er ihn nach hinten und liegt schon auf ihm. „Weißt du…“ raunt er. „In manchen Dingen bin ich ziemlich nachtragend… Und die Sache in der Gasse… Das habe ich nicht vergessen.“()

Nachschlag für den Nachtisch

Meine Hand ist an Julians Schritt, ich ertaste die anschwellende Beule und öffne den Knopf. „Na…? Soll ich deine Hose ganz aufmachen, Julian? Soll ich dich… anfassen?“

Nahezu der gleiche Wortlaut. Julian schaut mir in die Augen. Es gibt kein Zurück. Keiner wird stören. „Ja.“ flüstert er. „Mach sie auf. Fass mich an.“

Er hat ‚ja‘ gesagt. Ich mache es aber nicht. Soll er ruhig ein wenig leiden. Auf und ab und auf und ab. „Was kriege ich dafür?“

Julian japst, lässt seine Hände unter mein Hemd gleiten, kratzt mir leicht über meinen Rücken. „Was du willst!“ keucht er und von unverhohlener Begierde verdunkeln sich seine goldenen Iriden.

„Ich will… das!“ Im Anschluss meiner Erwiderung nötige ich ihn zu einem Zungenkuss, schiebe meine Hand zwischen seine Jeans und Shorts und greife zu. Fest, aber nicht schmerzhaft. Er fühlt sich gut an.

Ein vom Kuss ersticktes Stöhnen entkommt ihm und ich bemerke seinen wohligen Schauer.

Von seinen Lippen lasse ich ab, nicht aber von ihm und küsse seinen Hals. Julian protestiert leise und halbherzig, weil ich ihm einen Knutschfleck mache.

„Soll ich etwa aufhören?“ frage ich tückisch.

„Nein… Mehr!“ verlangt er.

Weiter abwärts erforscht meine Zunge die Höhen und Tiefen seiner Brustmuskeln und neckt abwechselnd seine harten Knospen. Sobald ich daran sauge windet sich Julian vor Lust. Am Stoff meines Hemdes zerrend bittet er: „Zieh das aus.“ Ich komme dem nach und habe seine Hände auf mir. Seine Berührungen genießend setze ich fort, was ich begonnen habe. Sein Sixpack ist mein nächstes Ziel. Sacht knabbere ich an seinem Bauchnabel und ziehe ihm dabei die Jeans von den Hüften bis zu den Oberschenkeln. „Schick.“ bemerke ich, seiner Shorts wegen. Grün, mit einer blauen Rakete auf der passenden Stelle, die sich mir startbereit entgegenreckt.
 

()Die Shorts scheint Aaron zu mögen. Jetzt muss er sie nur noch ausziehen. „Bitte…“ fleht Julian außer Atem. „Mach, was du willst… Aber mach es und fass mich ENDLICH an!“ In der nächsten Sekunde bleibt ihm endgültig die Luft weg. Aaron befreit ihn von den Shorts und… Was er da macht, geht weit über ‚anfassen‘ hinaus.()
 

Für Julian quälend langsam lecke ich über seine empfindlichste Stelle. Wie erregt er ist, schmecke ich an seinem Lusttropfen. Süßlich und bitter zugleich. Wohlschmeckend. Bei den Göttern. Er ist wirklich ein schöner Mann. Überall!

Plötzlich reißt Julian an meinem Schopf und stößt mich von sich, setzt sich auf und weicht zurück. Hemd, Jeans und Shorts vom Körper gerafft, lächelt er das süße triumphierende Lächeln und jagt mir entgegen, fasst zu und reißt mich um.

„Hey!“ Meine Entrüstung – ob seines blitzartigen ‚Angriffes‘ – nutzt mir nichts. Er macht sich bereits an meiner Hose zu schaffen.
 

()Die Hose ist schnell ausgezogen, die Shorts folgen nicht viel später.

„Hab dich!“ flüstert Julian, wirft sich auf Aaron, drängt sich zwischen seinen Beinen und drückt Aarons Handgelenke über dessen Kopf auf den Boden. „Was jetzt, hm? Was meinst du? Bist du mir ausgeliefert?“

Aaron hebt seine Beine und umschlingt damit Julians Hüften. „Wer hält denn nun wen fest?“ fragt er.

Lachend beugt sich Julian herab und küsst Aaron. „Du liegst unter mir!“ erinnert er.

„Hm, hm…“ erwidert Aaron. „Ich weiß nicht warum, aber… Ich tue es gern…“

Julian lässt Aaron nicht aus den Augen. „Ich will mit dir schlafen!“ offenbart er ihm. „Jetzt! Sofort!“()
 

Das will ich auch. Zweifellos. Noch mehr, da ich sein hartes Glied an mir spüre.

Nur… Meine Hose hat er weit von uns geschleudert und mit der Hose die Hosentaschen, in denen sich die Gummis befinden. Okay. Wie formuliert man das, ohne unerotisch zu klingen?

Vielleicht… ohne…?

Ich schließe die Augen und atme tief ein. Julians Duft durchströmt und berauscht mich. Seine Lippen berühren meine. Er küsst mich zaghaft, dann fordernder, und gibt meine Hände frei.

Ich kraule sein schwarzes Haar, liebkose seinen Rücken, bis hinunter zu seinem knackig muskulösen Po.

Wie von der Tarantel gestochen fährt Julian in die Höhe und ist in Rekordgeschwindigkeit auf den Füßen. „Geh nicht weg!“ fordert er. „Ich bin gleich wieder da!“

Ich sehe ihm nach, wie er in sein Schlafzimmer eilt und die oberste Schublade aus der Nachtkommode herauszieht, den Inhalt aufs Bett kippt und jedes einzelne Teil in die Hand nimmt. Von „Nein. Nein. Nein.“ begleitet wirft er die ‚Nein. Nein. Nein.‘-Sachen achtlos hinter sich.

Das ist ein Schauspiel! Ich kann mir das Lachen nur schwerlich verbeißen. Aber hey! Julian ist, bei dem was er da tut, richtig sexy!
 

()Wo sind denn…? Hier müssten doch…? Julian rauft sich das Haar. Er hat Kondome und Gleitgel gekauft und findet beides nicht. Auch die zweite Schublade leert er vergebens. Hat er beides im Bad…? In der Küche…? Wo…? Aarons Anblick macht es ihm auch nicht leichter, sich auf die Suche zu konzentrieren.

Vielleicht… ohne…?

Viel hatte da eben nicht dran gefehlt…

Ein rockiger Song unterbricht Julians Tatendrang in seinen Schränken weiter zu suchen. „Mist!“ flucht er und hastet aus dem Schlafzimmer, an Aaron vorbei an die hochbeinige Kommode und hat kurz darauf sein Telefon am Ohr. „Aparo.“ meldet er sich, lauscht einen Augenblick und wirft seinem Gast einen enttäuscht anmutenden Blick zu. „Kann das nicht warten? Bis morgen?“ fragt er in sein Telefon und brummelt. „Ja. Gut. Wann?“ Sein Brummeln wird unwilliger. „Wie? Schon in einer halben Stunde? Geht das nicht später?“ Seinem Schnauben nach geht es nicht und er rauft sich das Haar. „Und wenn nicht?“ Er zieht die Augenbrauen zusammen, die Antwort vom anderen Ende der Leitung passt ihm nicht. „Ja, dann… In einer halben Stunde.“ Das Gespräch beendet legt er seinen Telefon auf die Kommode zurück. „Mist.“ flucht er wieder, kommt auf Aaron zu und setzt sich auf den Boden, nimmt seine Shorts zur Hand und schlüpft hinein. „Aaron…“()
 

Was immer das für ein Anruf war… Er hat Julian von einer Sekunde auf die nächste die Lust geraubt. „Du musst weg.“ stelle ich fest.

Die Lippen aufeinander gepresst nickt Julian und fühlt sich sichtlich unwohl dabei. „Das ist mir… Ich meine… Nichts ist wichtiger, als du… Aber…“ In seine Jeans gestiegen ergänzt er es mit: „Mist.“

Aufgestanden und in meine eigenen Shorts geschlüpft packe ich mein Hemd und Julian packt die Panik. „Nein! Bleib doch! Du musst nicht gehen! In höchstens einer Stunde bin ich wieder da… Und… Daifuku… Und…“ Da ist wieder dieses niedliche Fiepen.

Kopfschüttelnd halte ich ihm das schwarze Hemd hin. „Du hast doch einen Soßenfleck auf deinem.“ Weniger als einen Herzschlag später ringe ich japsend nach Atem.

„Du bist so gut zu mir!“ schnieft Julian und drückt mich – ziemlich fest und Luftabschnürend – an sich. „Ich mache dir das wieder gut!“ beteuert er.

„Ja…“ Unter größter Anstrengung befreie ich mich. „Da bestehe ich auch drauf!“

Die Wangen knallrot streift sich Julian mein Hemd über und schnuppert daran. „Du riechst so gut.“

„Das solltest du nicht sagen.“ empfehle ich und schließe ihm die Knöpfe. „Sonst kommst du nicht weg!“
 

()Aarons Kinn gehoben küsst Julian ihn auf die Lippen. „Danke.“ sagt er leise und lächelt.

„Bedank dich nicht zu sehr.“ erwidert Aaron. „Ich schnüffele überall herum, werde auf deine Kosten zum Mond telefonieren, eine wilde Party schmeißen und mit deiner Katze über dich herziehen. Und was mir in deiner Abwesenheit sonst alles einfällt.“

„Aha…? Na… Mach mal.“

„Oh ja. Und noch weit Ärgeres!“

„Das wäre?“

„Ich werde…“ Aaron grinst breit und böse, Julian schluckt und rechnet tatsächlich mit noch weit Ärgeres. „Ich werde… Bei dir ein bisschen aufräumen.“

„Höm…“ Julian fühlt sich ertappt. „Bin halt ein Chaot…“ gesteht er und mag derzeit lieber nicht an Schlafzimmer und Nachtkonsole und Schubladen denken. Oder was er darin gesucht hat.

„Gleich bist du noch was.“ Aaron harkt sich bei Julian unter und bringt ihn zur Tür. „Nämlich zu spät!“()
 

An der Tür steckt Julian seine Füße in Slipper. „Tja…“ meint er und weiß nicht weiter, darum küsst er mich.

So ein Abschiedskuss tut weh. Ihm genau wie mir.

„Bis später.“ verspricht er, küsst meine Lippen ein weiteres Mal und sieht mir fest in die Augen. „Schatz.“ fügt er hinzu und ich fühle mich, als könnte ich auf Wolken laufen.

„Pass gut auf dich auf.“ bestehe ich. „Du weißt schon. Besser als gut und mehr als sonst!“

„Ja.“ Er nickt. „Ich will dich ja wiedersehen. Nachher. Und alles wieder gut machen.“ Einen Kuss kriege ich noch, Julian hastet die Treppe hinunter und schwingt sich auf sein Fahrrad. In voller Fahrt wendet er sich um, winkt und bimmelt mit seiner Fahrradklingel. „Bis später, Schatz!“ gibt er lauthals von sich.

Guckst du wohl, wohin du fährst!“ brülle ich. Nicht dass er vom Auto angefahren wird, oder so… Bei den Göttern, bin ich sensibel. Da stehe ich in Shorts in der Tür und schaue Julian nach, bis ich ihn nicht mehr ausmachen kann. Ein heimliches Augenwischen und ausgiebiges Räuspern ist jetzt unumgänglich. Vielleicht hätte ich ihm anbieten sollen mitzukommen oder ihn hinzufahren oder so etwas…

Irgendwie fehlt mir in diesem rührigen Augenblick meine Kanone. Oh ja… Dann ist nämlich Schluss mit dem Gelächter!

Genug ist genug.

//Sanft tupfte Lars ihr die Wassertropfen vom Körper, hüllte sie kurz darauf in einen weichen hellblauen Mantel, der weit über ihre Füße reichte.

„Nicht das du mir darüber stolperst.“ sagte er zärtlich und hob sie wieder auf seine Arme. „Hunger, meine Schönheit?“

Ihre Arme um seinen Hals gelegt schmiegte sie sich an ihm. „Ein bisschen.“ bekannte sie scheu.

Lächelnd nickte er und trug sie in den Raum, aus dem es köstlich duftete. „Ach je…“ machte er. „Mitternacht hat das Geschnetzelte gefressen. Reichen dir Gnocchi und Salat?“//
 

\\Lars sieht Sundora die Unsicherheit an. Gewiss hat sie keine Ahnung, was Gnocchi und Salat sind. Die junge Frau auf einen Stuhl abgesetzt hadert er mit sich. Sundora hat ihm ihre Herkunft anvertraut – damit verbunden alle Geheimnisse, die ihre Rasse umgeben. Es ist nur gerecht, wenn er… auch…

„Sundora…“ spricht Lars sie an, gibt Salz in einen Topf voll Wasser und setzt diesen auf den Herd. Den Salat waschend holt er tief Luft. „Aaron und ich… Wir…“ Er blickt in ihr schönes Gesicht. „Wir… Er und ich… Wir… Wir essen unseren Salat immer mit Dressing.“ Ein Lächeln noch und Lars wendet sich ab und den Gnocchi zu. Diese im kochenden Wasser kümmert er sich um das Salatdressing.\\
 

//All diese Dinge gab es nicht bei ihr Zuhause. Diese Gerüche. Genießerisch sog sie die Luft ein. Kein Nährbrei, sondern… Essen.

Warum erzählte der Rat der Weisen nicht davon? Hatte es das auf ihrer Heimat nie gegeben? Oder waren die Erinnerungen daran zu sehr verblasst? Mit diesen Gedanken beschäftigt kam ihr ihre eigene Welt eigenartiger vor, als diese.

Vom Stuhl geklettert und den Mantel gehoben trat sie an Lars heran und lehnte sich an seinen Rücken. Ihre Hände wanderten über seine warme Haut nach vorn und ihre Fingerspitzen berührten sich in der Höhe seines Herzens. Das tiefe, kehlige Grollen erscholl, abgelöst von seinem Gesang.

Lars wusste alles über sie. Sie wusste nichts über Lars. Sie vernahm seinen Gesang und entschied, sie brauchte nichts über Lars zu wissen. Das was sie wusste war genug!//
 

\\Es tut unendlich gut Sundora in seiner Nähe zu haben. Ihre Wärme spüren, ihren Duft atmen. Dermaßen wohl und frei hat sich Lars niemals zuvor in Gegenwart einer Frau gefühlt. Liebe geht ab und an einen absonderlichen Weg. Lars genießt den seinen. Und er dankt den Göttern, diesen Weg mit Sundora gehen zu dürfen.\\

HAIALARM!!!

Den Loft betreten und die Tür geschlossen lasse ich den Blick schweifen. Sein Hemd kommt mir zuerst unter. Den Flecken werde ich entfernen. In der Spüle. Das schmutzige Geschirr kann ich gleich mitnehmen und auch abwaschen.

Ja. Ist so. Bin nicht nur pragmatisch, sondern ordentlich. Nein. Nicht pedantisch penibel. Nur ordentlich. Ich weiß eben gern, wo ich was hingelegt habe. Es ist nützlich. Für den Fall einer Flucht, zum Beispiel. Damals, als Lars und ich fliehen mussten… Nun… Es ist nützlich.

Vor dem niedrigen Esstisch kniend sammle ich zuerst das Geschirr ein. Unsere Reste schiebe ich auf einen Teller. Können wir nachher noch essen. „Nein!“ lehne ich ab und drehe mich um. „Die Gewürze tun dir nicht gut!“

Der Versuch, sich anzupirschen, fehlgeschlagen setzt sich die winzig-kleine weiße Katze perplex auf ihr winzig-kleines Hinterteil. „Du…?“ maunzt sie. „Du kannst… mich…?“

„Dich davon abhalten, dir deinen Magen zu verderben. Ja.“

Verlegen leckt sie sich ein Pfötchen. „Sharky.“ stellt sie sich vor. „Sohn der Mardi.“

Ein winzig-kleines Katerchen also. „Aaron.“ entgegne ich und weiter nichts, doch es reicht. Sharky beginnt freudig zu miauen, springt zu mir und umrundet mich. „Oh! Julian ist ja so… Von dir… Oh ja! Und jetzt weiß ich auch, warum!“ Stetig zieht er seine Kreise. „Du bist ja… Und du riechst gut. Und…“

Meine Hand hingehalten hüpft er darauf. Der kleine Kerl ist nicht viel größer als eine ausgewachsene Ratte. Ihn in Augenhöhe hochgehoben streichle ich sein Köpfchen. „Na du.“ flüsterte ich und erhalte zum Dank ein Schnurren. „Hast du Hunger?“

Sein Zwinkern ist die Zustimmung. Den Kleinen auf meine Schulter gesetzt, nehme ich das Geschirr an mich und erhebe mich. Für Julians Hemd gehe ich in die Hocke, ohne Sharky den Halt verlieren zu lassen. Tja ja. Ich kann das. Immerhin bin ich Katzen gewöhnt. Auch solche Winzlinge, wie Sharky einer ist. Ihr hättet Mitty sehen sollen, als ich sie fand. Sie war – anders als Sharky – nicht einmal eine Handvoll Tierchen. Sie hat in meine Hemdtasche gepasst, so klein war sie. Andere Geschichte und Mitternacht ist diejenige, die sie erzählen sollte.

Gemeinsam gehen Sharky und ich in die Küche. Lange suchen brauche ich nicht, bis ich das Katzenfutter gefunden habe. Extra für winzig-kleine Kitten. Spezielle Milch hält Julian für Sharky ebenfalls bereit. Er mag den kleinen Kerl, der seine Mahlzeit diesmal wählen darf.

„Fisch.“ wünscht sich Sharky und es wird ihm serviert.
 

Chaot. Hm, hm… Nicht ganz so schlimm, wie Julian für sich empfindet.

Das beige Hemd habe ich eingeweicht und kümmere mich um den Abwasch. Alles Geschirr abgetrocknet und weggestellt gehe ich in sein Schlafzimmer. Auf dem Boden verstreut liegen Mini-Plüschfiguren und kleine Schlüsselanhänger, Kalenderblätter und Schnipsel, die nach Notizen aussehen. Briefe sind auch dabei, der Großteil ungeöffnet. Ich schaue auf die Absender, der bei allen ungeöffneten Briefen gleich ist. Ein schnörkelloser und ziemlich unpersönlicher Stempel. Madelaine und Craig Aparo. Familie also, mit der Julian erkennbar nichts zu tun haben will. Einerlei, was Madelaine und Craig ihm schreiben… Er hat daran kein Interesse.

Bald sind seine Schubladen wieder gefüllt und an ihrem Platz.

Für alles habe ich keine zwanzig Minuten gebraucht. Und jetzt?

„Komm.“ miaut der winzig-kleine Kater und schmatzt. „Ich zeige dir was.“
 

Sharky tippelt vor. „Julian und ich sind oft hier drin.“ Der kleine Kerl lotst mich vor eine Wand.

„Da geht es auf.“ erklärt der kleine Kerl und stellt sich auf die Hinterpfoten. „Da. Da musst du drauf drücken. Auf das glänzende Ding!“

Das glänzende Ding ist ein kleiner Aufhänger in Form eines Drachen.

„Mach nur!“

Diese Mischung aus Gutmütigkeit, Neugier und Idiotie und ich drücke den Aufhänger. Ein Klicken und die Wand gleitet wenige Zentimeter nach hinten und dann zur Seite.

Aha.

Die eingerichtete Wohnung ist somit nicht das einzige in Julians Loft.

„Nur hinein mit dir.“ Sharky stupst mich. „Es ist sehr schön hier.“
 

Nach einem beherzten Schritt stehe ich in einer Art Dojo – mindestens doppelt groß wie der möblierte Loft. Ich pfeife beeindruckt.

Der gesamte Boden ist mit Matten ausgelegt und an den Wänden hängen große Poster mit verschiedenen Kampfpositionen verschiedener Stile. Karate und Jiu Jitsu, Judo, Kung Fu und Boxen.

Ich sehe mich weiter um. Trapeze, Ringe und Sandsäcke hängen von der Decke. Ein Reck ist aufgebaut. Mehrere hölzerne Puppen, an denen Techniken geübt werden können. Und alle ziemlich mitgenommen, ergo häufig im Gebrauch.

„Es gibt noch viel zu sehen!“ kündigt der kleine Kerl an. „Hierher, Aaron. Hierher.“

Ihm gefolgt stehe ich vor der kompletten Rüstung eines Samurais. Wurfsterne sind rundherum an der Wand angebracht. Die Flagge Japans hängt darüber. Und eine andere. Schwarz. Von einer Ecke abgesehen, in der sich ein blutroter Stern – Nein! – ein Pentagramm von dem Schwarz abhebt.

Dazwischen ein Diplom. Julian hat einen Doktortitel. Summa cum laude. In Geschichte und Kultur Japans, Schwerpunkt Waffen und Kampfkunst. Ich freue mich für Julian. Das spricht für seine Zielstrebigkeit.

„Guck hier, Aaron!“ fordert mich Sharky auf.

Ich gucke. Schwerter. Eine beträchtliche Sammlung von Katana und die etwas kürzeren Wakizashi. Einheitlichen Griffe zusammen auf Gestellen angeordnet. Groß und Klein. Daisho.

Bei einem der Katana fehlt das Wakizashi.

Es juckt mir in den Fingern und ich tu es einfach, nehme eines der Katana in die linke und das dazu gehörende Wakizashi in die rechte Hand, stelle mich in die Mitte des Dojos, verbeuge mich vor einem imaginären Gegner und hebe die Schwerter. Das Katana in Kopfhöhe, das Wakizashi vor meiner Brust.

Tanz. Kampf ist Tanz. Ich tanze gern. Ich tanze gut. Ganz der Papa…

Tanz und Kampf und…?

()Julian betritt seine Wohnung. Kein Aaron. Ist er etwa doch…? Das Herz wird ihm schwer.

„Miep.“ begrüßt ihn Sharky und hüpft vorwärts, bleibt stehen und miaut wieder.

„Ich soll dir folgen, ja?“

„Mau.“ Der winzig-kleine Kater läuft davon. Die Richtung, die Sharky einschlägt, gefällt Julian gar nicht. Schnell eilt er seinem Kater nach und bleibt an der verborgenen Tür seines Dojos stehen. Die Tür ist nicht mehr verschlossen, Aaron ist im Dojo.

Was Julian erspäht lässt ihn vor Bewunderung den Mund öffnen. Aaron kennt den Umgang mit Schwertern. Die Klingen wirbeln, über seinen Kopf, um seinen Körper und zerteilen zischend die Luft.

Seine Art mit Schwertern zu tanzen… Er würde damit kämpfen können.

Aus dem Dojo, dann aus dem Loft gehastet holt Julian das Wakizashi aus seinem Versteck und sieht darauf. Er wollte es heimlich an seinen Platz – zu seinem Katana bringen. Und nun? Geheimhaltung – so weiß er – ist in dieser Sache sinnlos geworden…

Das Wakizashi in seiner Hand trifft er eine Entscheidung. Den Dojo unbeobachtet betreten entledigt er sich der Slipper, des schwarzen Hemdes und Jeans, eilt zu den Schwertern und greift das zu seinem Wakizashi gehörende Katana.

Unbestreitbar. Aaron ist mehr als gut und Julian hat das Verlangen, sich mit ihm zu messen. Völlig geräuschlos nähert er sich Aaron, das Katana in der Luft, das Wakizashi am Körper.()
 

Orientalisch-holzig.

Ein Blick über meine Schultern und ich sehe Julian, der sich mir lautlos nähert und mit nichts mehr am Leib, denn seinen Shorts. Das Katana erhoben, das Wakizashi bereit.

Wir werden uns messen. Es ist mir eine Ehre. Ich wende mich ihm halb zu, mein Katana ausgetreckt ziele ich damit auf sein Herz. Dies ist erst recht eine Herausforderung. Er nimmt sie an und stürzt mir entgegen.

Der metallische Klang der Klingen. Wir tanzen und machen dazu unsere eigene Musik.
 

()Was Julian austeilt, pariert Aaron und gibt es zurück.

Linke Schulter an linker Schulter drehen sie sich gemeinsam im Kreis. Die Schwertspitzen der Katana zu Boden zeigend hält jeder dem anderen das Wakizashi an die Kehle. Ein Fehler, ein falscher Schritt und einer wird sterben. Oder beide.

Aaron hat keine Angst. Julian ebenfalls nicht. Hier herrscht bedingungsloses Vertrauen auf die Fähigkeiten des Gegenübers.

Mit einem Satz zurück und gleichzeitiger Drehung trennen sich beide. Julian verpasst Aaron einen Schnitt auf dem rechten Oberarm und erhält zur gleichen Zeit einen an seinem eigenen.

Beide die Wakizashi hinter dem Rücken verbergend fechten Aaron und Julian nur mit den Katana. Aaron dieses abgerungen wirft Julian das seine hinterher.

Die Wakizashi in Händen stürmen sie aufeinander zu.()
 

Er schneidet mich, ich schneide ihn. Sein Blut und mein Blut tröpfelt auf die Matte und wird durch unsere Schritte vermischt. Sein Blut… Ich kann es riechen, beinahe schmecken. Alles in mir strebt danach, ihn zu Boden zu ringen und seine Wunden zu lecken.

In Julians goldenen Augen entbrennt ein Glühen von roten Sonnen. Ein erschreckender, wie erregender Anblick. Mehr erregend, weniger erschreckend. Ich weiß, mit wem ich es zu tun habe, seit ich die schwarze Flagge und das blutrote Pentagramm darauf sah.

Ich grinse, fletsche die Zähne. Ein paar Schnitte hier und da. Bei den Göttern. Dabei wird es nicht bleiben. Sein Blut… Alles an ihm… Er! „Du gehörst mir!“ prophezeie ich und verpasse ihm mit einer Aufwärtsbewegung einen Kratzer an der Brust. Dafür straft er mich mit einem an der Wange.
 

()In seinen dunklen Augen strahlen Sterne aus weiter Ferne und er grinst – fletscht die Zähne.

Herumgewirbelt und unter Aarons Wakizashi getaucht kann Julian den Oberschenkel treffen, spürt im gleichen Augenblick den Hieb auf seinen Rücken und das Rinnen seines Blutes.

Nein! Keine Klingen mehr.

„Und du mir!“ gibt Julian zurück und schleudert sein Wakizashi kraftvoll von sich – in das andere Ende des Dojos. Aaron tut es ihm nach.

Nun bleiben ihnen nur die Fäuste und Füße um sich zu messen. Hautkontakt!()
 

Ohne Klingen. Sehr gut. Hautkontakt! Wie erwähnt. Ich bin immer bewaffnet. Zeige ich ihm mal, wie gut!
 

()Julian genießt Aarons Schnelligkeit, Geschmeidigkeit und seine Art sich zu bewegen. Gegen einen solchen Gegner hat er bisher nicht antreten dürfen und es ist schwer ihn zu treffen. Wenn Julian es schafft, bekommt er es mit gleicher Münze heimgezahlt.

Der Bruchteil einer Sekunde Unachtsamkeit, der Leichtsinn einer nachlässigen Deckung hat sofortige Konsequenz.

Ein Wurf. Julian liegt am Boden und Aaron auf ihm, seine Handgelenke im festen Griff tief in die Matte gedrückt. Vergeblich stemmt sich Julian dagegen.

„Hab dich!“ knurrt Aaron.

„Irrtum!“ Diesmal ist es Julian, der mit den Beinen umschlingt. „Ich habe dich.()
 

Was folgt ist kein sanfter Kuss. Wild und stürmisch lassen wir unsere Münder den Kampf für uns austragen.

Julian beißt mir die Unterlippe blutig. Ich revanchiere mich und ramme ihm meine Stirn an die Nase und auch er blutet. Genüsslich nippe ich an seinem Lebenssaft, meiner tropft Julian in den Mund. Das ist ihm nicht genug, gierig saugt er an meiner Lippe, bewerkstelligt es irgendwie und befreit sich aus meinen Fängen. Seine Hände wandern von meinem Rücken über die Seiten zur Brust und er reißt mir mit seinen Fingernägeln die Haut auf.
 

()Aus Aarons Knurren wird ein tiefes, kehliges Grollen. Die Spuren, die Julians Fingernägel hinterlassen haben, vergilt er ihm mit einem kräftigen Biss in die linke Schulter. Gleich darauf leckt er das Blut auf.

„Ich will dich!“ Julian greift Aaron ins Haar und reißt ihn von der Wunde. „Ich – will – DICH!“ wiederholt er, um vieles eindringlicher. „Kein Entkommen!“ ergänzt er und zieht Aaron an seine Lippen.()
 

Wir haben uns ausgetobt. Keiner von uns ist besser oder schlechter als der andere. Zeit für Sinnlichkeiten. Julians Kuss ist sanft, darum ist meiner es auch.

Keine Minute später zerren wir und gegenseitig die Shorts vom Körper.

Bei den Göttern! Scheiß was auf Gummis! Ich habe von Julians Blut genascht!
 

()Später. Viel später kleben ihre beiden Körper von Blut, Schweiß und Sperma. Die Matte unter ihnen ebenfalls. Gegenseitig haben sie sich bis zur Ekstase und die höchsten Gipfel der Lust gebracht und schnappen – ineinander verschlungen – gleichermaßen nach Luft.

Halbwegs Atmung und Puls beruhigt gluckst Julian. „Nochmal?“ will er wissen und ist schon über Aaron.

„Nochmal.“ bestätige dieser und lacht. „Ich bin gespannt, ob einer von uns in Ohnmacht fällt.“()
 

Zärtlich bedeckt Julian mein Gesicht mit Küssen. „Bin Bulle.“ betont er. „Ich kann Mund-zu-Mund-Beatmung.“

„Ja…“ flüstere ich. „Ich auch… Beides!“
 

()Julian strahlt. „Worauf warten wir dann noch?“ Und er hört Aarons wollüstiges Stöhnen.

„Mehr!“ verlangt dieser. „Halte dich nicht zurück!“

„Biete es mir kein weiteres Mal an.“ warnt Julian, hält inne und blickt Aaron in die Augen. „Du könntest es bereuen.“

Aaron lächelt und streicht durch das schwarze Haar. „Halte dich nicht zurück.“ wiederholt er, als wüsste er genau, worauf er sich einlässt. „Gleich liegst du unten und ich werde mich nicht zurückhalten.“

„Ich habe dich gewarnt, oder?“ Julian sieht Aaron nicken. „Ja. Habe ich. Aber beschwer dich nicht hinterher.“()
 

„Julian Aparo…“ raune ich ihm ins Ohr. „Du hast keine Ahnung mit wem du dich eingelassen hast!“

Drüben. In Bronkston.

()Julian erwacht mit dem Geruch von Sommerfrische in der Nase. Er liegt demnach in seinem Bett und entsinnt sich. Den Dojo verlassen, haben Aaron und er – nach einer ausgiebigen und äußerst rauschhaften Dusche – den Weg ins Schlafzimmer gefunden und Julian sank – kaum im Bett angekommen – völlig ermattet in tiefen Schlummer. Über Bettdecke und Laken tastet er nach Aaron. Die Suche bleibt ohne Ergebnis und er setzt sich auf. „Uff!“ entfährt ihm. Beide haben sich nichts geschenkt – außer wilden, heißen und hemmungslosen Sex – woran ihn sein Allerwertester gerade erinnert. Wie es wohl dem von Aaron geht? Er sieht sich um. Aaron ist nicht hier.

„Schatz?“ ruft er halblaut, schlägt die Decke zurück und steigt aus dem Bett. Ein Blick auf seinen Wecker. Noch keine sechs Uhr in der Früh. Aus seinem Schrank holt er sich Shorts und schlüpft hinein. Eine Weile bleibt er vor dem Spiegel stehen. Sämtliche Wunden sind inzwischen verheilt. Er überlegt, wie er Aaron das erklären soll. „Mit der Wahrheit.“ beschließt er und begibt sich auf die Suche.
 

Sein erstes Ziel ist das Esszimmer. Hier steht alles für ein romantisches Frühstück zu zweit auf den Tisch. Gedeckt mit Servietten und Kerzen. Aaron ist nicht hier.

Die Küche. Alles aufgeräumt und sein beiges Hemd hängt über einem Bügel am Fenster. Der Fleck ist raus. Aaron ist nicht hier.

Auf dem Sofa liegt Sharky, in sein Kissen gekuschelt und öffnet müde ein Auge. Auf Julians Frage gibt er ein „Miep.“ von sich und schläft wieder. Aaron ist nicht hier.

Ein kurzer Blick ins Bad. Alles in Ordnung – mehr als vorher. Gefaltete Handtücher kennt Julian sonst nur von Hotels. Aaron ist nicht hier.

Den Dojo betreten entdeckt Julian ihn. Aaron – komplett angezogen – ist gerade dabei, die Katana und Wakizashi an ihren Platz zu bringen. Die Matte sieht frisch gereinigt aus. Die gesamte Matte – nicht nur das Stückchen auf dem sie sich aneinander verlustierten und erschöpften.

Der Kratzer auf Aarons Wange ist nicht mehr zu sehen und der Biss in seiner Unterlippe zu einer kleinen verkrusteten Stelle geschrumpft. Julian atmet erleichtert auf, plagte ihn doch ein klitzekleines schlechtes Gewissen. „Hey.“ sagt er leise. „Du schläfst nicht sehr viel, hm?“

Aaron lächelt ihn an und schüttelt stumm den Kopf.

Ein trauriges Lächeln, wie Julian erkennt und er eilt auf Aaron zu, um ihn in den Arm zu nehmen.()
 

Nein. Ich schlafe nicht sehr viel. Seit über fünfzehn Jahren nicht. Selbst nach unserem wilden, heißen und hemmungslosen Sex habe ich keine drei Stunden geschlafen. Drei Stunden am Stück sind bei mir ohnehin eine Seltenheit und aus diesem Grund reicht mein Sessel. Mein Bett ist eigentlich das Bett meines kleinen Bruders. Ich gönne es ihm, bin sogar froh, dass es so ist. Lars schläft besser, tiefer, länger. Nochmal so viel, wenn er bei mir zu Besuch ist.

Ja. Mein kleiner Bruder hat mal gefragt, warum das so ist. Nein. Ich habe es ihm nicht gesagt.

Es ist mein Schwur. Der Schwur, ihn zu beschützen.

Julian umarmt mich und es tut so gut.

„Na, Schatz.“ flüstert er mir ins Ohr und küsst meine Schläfe.

„Na, Schatz.“ entgegne ich und küsse sein Kinn. „Frühstück?“

Nickend macht Julian einen Schritt zurück und dreht sich vor mir um die eigene Achse. „Fällt dir was auf?“

„Die Shorts stehen dir gut.“ finde ich. Pink mit violetten Tupfen – und das für Männer! Aber sie stehen ihm wirklich! „Und sind schön ausgefüllt.“
 

()Julian hüstelt und spürt die Hitze in seinen Wangen. „Nein… Ich meine… Höm… Was anderes…“

„Sexy Body.“ lobt Aaron.

„Danke… Höm…“ Er greift in sein schwarzes Haar. „Aber nein! Höm… Noch was anderes! Sieh genau hin!“

Dem Wunsch folgend mustert Aaron ihn genau von oben bis unten und zurück und kommt zu dem Ergebnis: „Du bist scharf auf mich und möchtest, dass ich mich ausziehe.“

„Ja… Nein! Höm…“ Ein neuerliches Hüsteln und Julians Stimme ist ein Fiepen. „Wie war das mit Frühstück?“()
 

Aus dem gemeinsamen Frühstück wird nichts. Dank eines Anrufs. Hätte ich das verfluchte Telefon doch bloß Zuhause gelassen! Oder wäre ich doch bloß nicht dran gegangen. Aber nein! Diese Mischung aus Gutmütigkeit, Neugier und Idiotie! Ein Blick auf das Display. ‚Hätte‘ und ‚wäre‘ funktioniert leider nicht. Das Gespräch nehme ich mit einem „Meyers.“ entgegen.

„Hey, Silberrücken! Pack deinen Hintern in die Holland Avenue! Zackig! Neues Opfer von deinem Schlitzer.“

„Innendienst.“ halte ich dagegen und tüftele an der grausamsten Marter für meinen Kollegen, allein schon des ‚deinem Schlitzer‘ wegen. Wasserfolter. Oder glühende Eisen. Oder…

„Ne. Captain Brace weiß Bescheid und verlangt deine Anwesenheit. Der Typ hier… Der ist für dich persönlich. Rush ist auch schon da.“

Das war es mit Information. Viel mehr sagt Berger nicht und füllt seinen Bericht mit hohlen Phrasen, die auf einen Rekord von kotzenden Streifenbeamten anspielen.

Wenigstens konnte ich heraushören, das nächste Opfer ist wieder männlich. „Ja. In zwanzig Minuten.“
 

()Während Aaron telefoniert meldet der Rock-Song auch Julians Typ ist gefragt. Er greift sein Telefon und meldet sich. „Aparo.“ Mit diesem Anruf wird er – Schnellstmöglich! – in die Holland Avenue beordert.()
 

Meine Jacke überstreifend sehe ich auf. Julian steht vor mir. In Uniform, seine Mütze unter dem Arm. Wann und wie hat er sich angezogen? Ziemlich flott auf jeden Fall. Und er sieht zum Anbeißen aus. Zu gern würde ich mich von ihm festnehmen… und fest NEHMEN lassen und… Jetzt nicht! Wir spielen ‚Böser Cop und noch viel böserer Cop‘ und… Jetzt NICHT!

„Nimmst du mich ein Stück mit?“ fragt er und ich weiß, er muss ebenfalls zum Tatort.
 

()Flink und geschickt mogelt sich Aaron durch den morgendlichen Berufsverkehr. Zuweilen beschleicht Julian das Gefühl, Aaron nimmt Hindernisse wahr, bevor sie in sein Blickfeld geraten. Ehe der Fahrradkurier aus der Seitenstraße geschossen kommt, hat Aaron schon abgebremst. Der Joggerin – die einfach so lostrabt – weicht er im weiten Bogen aus und hält vor einem Zebrastreifen.

Julian blickt sich um, sieht niemanden und will fragen. Es erübrigt sich. Eine Gruppe Grundschüler ist – wie aus dem Nichts – auf der Überquerung.

Keine zwölf Minuten nach den Telefonaten sind sie nur einige Straßen vom Ziel entfernt.()
 

Einige Straßen vor dem Ziel bittet mich Julian anzuhalten. Ich tue es und er macht Anstalten auszusteigen. „Ich bin schwul und die meisten wissen das.“ erklärt er mit einer gelassenen Selbstverständlichkeit. „Du bist schwul und die wenigsten wissen das. Und das bleibt so.“

„Du steigst jetzt hier aus, um mich nicht in Verlegenheit zu bringen? Oder Erklärungsnöte?“ Ich bin baff. So was von baff! Julian Aparo ist ein toller Kerl!

„Jeder hat seine kleinen Geheimnisse, hm?“ Er lächelt und blinzelt und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Sehen wir uns heute Abend?“ erkundigt er sich. „Wir haben die Daifuku…“

Dieser da. Meiner!!! Bei den Göttern! Den gebe ich nicht mehr her! Nie mehr!!!
 

()Eine Antwort erhält Julian nicht. Dem verträumten Blick nach ist Aaron mit seinem Gedanken woanders. „Bis später.“ verabschiedet Julian sich deshalb, verlässt den Wagen und entfernt sich davon.

Die Fahrertür aufgerissen springt Aaron hinaus, ihm hinterher und stoppt ihn. „Schatz…“ sagt er und meint es merklich ernst. „Du bist mein Schatz!“()
 

Julians glückliches Glucksen ist zu hören. „Und du bist meiner.“ Er bringt mich zum Wagen. „Hopp, hopp! Einsteigen. Die warten bestimmt auf dich.“ Einen Luftkuss schickt er mir noch, wirbelt auf den Absätzen seiner Schuhe herum und sprintet los, durch die Hinterhöfe. Nicht lange, und er ist aus meinem Sichtfeld. Ich wette mit mir um fünf Kröten, er ist vor mir da.
 

()„Schatz.“ Julian seufzt selig. Aaron Meyers. Sein Mister Right. Und die Sache mit Geheimnis und Wahrheit… „Das kommt noch.“ Daran hat Julian keinen Zweifel. Über die letzte Mauer gehechtet sieht er bereits seine ersten Kollegen ihr Frühstück auf den Asphalt verteilen. Die glücklichen. Sie hatten wenigstens ein Frühstück…()
 

Vierzehn Minuten nach dem Telefonat bin ich am Tatort. Das Handschuhfach geöffnet hole ich meine Marke heraus – die begleitet mich überall hin. Eine Waffe habe ich nicht im Fach. Egal. Die Leiche wird schon nicht aufspringen… Ah ja. Die Wette mit mir habe ich gewonnen – oder verloren – und schulde mir fünf Kröten.

Julian steht am Absperrband und wirft einen Blick auf meine Marke, lächelt und hebt das Band. Sein Zwinkern sehe nur ich und meines sieht nur er. Fünfzehn Minuten nach dem Telefonat bin ich bei der Leiche.

Diesmal ist der Fundort die Rückseite eines Supermarktes. Die Filialleiterin hat ihn entdeckt und sofort die Cops alarmiert.

„Da bist du ja endlich! Wie siehst du denn aus? Wolltest du zu einem Begräbnis? Oder kommst du von einem?“ höre ich Berger rufen und ignoriere es. Charlene winkt mich zu sich und das ist mir wichtiger. Wie üblich macht sie mir Platz und lässt mir Zeit und Ruhe. Meine Hände in Einmal-Handschuhe – diesmal aus Latex – steckend gehe ich in die Hocke.

Nackt, wie schon der erste Tote. Die Kehle durchtrennt. In der gleichen Position sitzend, die Hände die Blöße verbergend. Keine Abwehrverletzungen. Der Brustkorb auf identische Weise geöffnet. Ein Schnitt längs, einer quer. Die Haut weggeklappt wurden die Rippen eingeschlagen und das Herz herausgerissen. Darm quillt aus dem Bauch und ein Teil der anderen Organe liegt um den Mann verstreut. „Todeszeitpunkt?“

„Schwierig zu bestimmen.“ Unsere Pathologin seufzt. „Gestern Abend. Zwischen acht und zwölf.“ Ihr taxierender Blick trifft mich. „Ron. Der Täter hat dir eine Nachricht dagelassen.“ erklärt sie und reicht mir eine Klarsichttüte. Darin ein Farb-Foto, in der Größe eines Buches. Den Knicken nach war es zweimal gefaltet. Darauf zu sehen: Detective Aaron Meyers. Diese Aufnahme stammt von gestern. Sichtbar an der Hülle mit dem Hemd in meiner Hand. Nach der Tatortbesichtigung aufgenommen. Dem Hintergrund nach am Revier.

Wenn ich dem Blickwinkel folge… Ich könnte herausfinden, wo sich der Scheißkerl dafür versteckt hielt… Möglicherweise hat er Spuren hinterlassen…

„Es war im Mund des Opfers.“ unterbricht Charlene meine Grübeleien. „Statt der Zunge.“ Sie sieht mich besorgt an. „Glückwunsch.“ meint sie ironisch. „Du hast einen Stalker.“

„Ja… Echt to…“

„Ich weiß, wer unser Opfer ist!“ krakeelt Berger dazwischen und fragt gar nicht erst, ob ich den toten Mann nicht auch erkenne. „Dein Schlitzer hat diesmal einen Cop geschlitzt.“ Die Fäuste in den untersetzten Hüften grinst er auf mich herab und ich überlege, ihm seine Waffe aus dem Gürtelholster zu ziehen und aus diesem Tatort einen zweiten zu machen. Mit Berger als Leiche. BÄNG. BÄNG. BÄNG. Bis das Magazin leer ist!

„Jawoll!“ tönt er. „Das ist Karl Lipinski. Chief vom dreizehnten Revier. Drüben. In Bronkston.“

Beliebtheitsskala…

Für den Toten will ich nicht zu sehr singen, gebe ein paar Töne von mir und fertig.

Karl Lipinski. Chief Karl Lipinski. Ich kenne ihn aus meiner Zeit, als ich noch ein blauer Junge in Uniform war.

Ein Sackgesicht. Lipinski war ein Sackgesicht, der das Gesetz bog und seine fragwürdigen ‚Verbindungen‘ ausspielte wie es ihm gefiel. Darüber hinaus ein Schwarzen-Hasser. Asiaten-Hasser. Frauen-Hasser. Schwulen-Hasser. Wer ihm nicht passte, bekam es deutlich zu spüren. Hauptsächlich mit Beleidigungen, Ausgrenzung und Hetze. Vereinzelt mit ‚Handauflegen‘ – wie er seine Schläge gern umschrieb.

Hm, hm… Ich passte ihm nicht. Meine Haare passten ihm nicht. Meine Art passte ihm nicht. Und wie mir das alles am Arsch vorbeiging – ob ich ihm passte oder nicht passte – passte dem Sackgesicht am wenigsten.

Den Tod hat er nicht verdient.

Verzeiht. Das war… Ich sollte explizierter werden. Diesen Tod hat er nicht verdient.

Durchgeprügelt oder niedergestochen oder angeschossen oder alles zusammen und dann gemächlich und unter Qualen verbluten… Das – Und allein das! – wäre sein passender Abgang gewesen.

Gründe ihn nicht zu mögen gibt es genug und es stimmt – Karl Lipinski war auf meiner Beliebtheitsskala ganz weit unten. Eingewachsene Fußnägel stehen höher im Kurs. Jetzt ist sein Platz frei und Berger kann ihn einnehmen.

Soweit habe ich alles gesehen und spreche flüchtig mit Charlene. Einen kleinen Spaziergang machend hänge ich meinen Überlegungen nach und versuche Schlüsse zu ziehen. Was haben die beiden gemeinsam. Was machte Rupert Wellington zum Opfer? Und was Karl Lipinski?

„Keiner der Jungs in Uniform weint ihm eine Träne nach.“ höre ich Sergeant Dave Hollister. „Das war ein Schinder.“ Er holt tief durch die Nase Luft. „Wahrscheinlich muss ich mich bei seiner Beerdigung zusammennehmen… Um nicht laut loszulachen!“ Er wiegt den Kopf. „Vielleicht tanze ich auf seiner zugeschütteten Grube und pinkle gegen seinen Grabstein.“

„Ja… Man merkt es.“ Ich stupse ihn. „Die Trauer hat dich überwältigt. Du bist geradezu von Sinnen…“

„Und wie!“ Dave grinst schief und reicht mir eine Liste. „Das sind alle, die bis vor seinem – allzu raschen und bedauernswert leidlosen Ableben in seiner… Ich nenne es mal… Einheit waren. Vielleicht willst du die mal befragen.“

Ich bedanke mich und überfliege die Liste. Noch bei dem Buchstaben ‚A‘ bleibe ich hängen.

Aparo, Julian. Hm…

„Sag mir, wenn einer von denen voll der Lobhudelei für Lipinski ist.“ Dave verschränkt die Arme. „Der macht sich – Ruckzuck! – verdächtig.“

„Klar doch.“ Nach einem weiteren Dank gehe ich und sehe mir die Umgebung an. Hier gibt es keine Obdachlosen zum Befragen. Der Supermarkt gehört zu den feineren Läden in einer feineren Gegend und hat keine vierundzwanzig Stunden geöffnet. Die Örtlichkeit ist dem Täter möglicherweise egal.

Ich drehe mich um und schaue mir die Mauern und Fassaden sorgfältig an. Keine Kameras. Schande! Alles hinter mir lassend gehe ich noch ein paar Meter.

Mein Telefon piept. Ja. Das hatten wir schon. Blick auf das Display. Unbekannte Rufnummer. Zu neunundneunzig Komma neun Prozent der Irre. „Meyers.“

„Halli Hallo… Detective Aaron Meyers.“

Zu hundert Prozent.

„Wie gefällt dir mein Geschenk?“ Er harrt einer Antwort. Die kommt aber nicht und er spricht weiter. „Sein Herz, Detective Aaron Meyers… Das habe ich gegessen! Es hat mir nicht so gut geschmeckt, wie das vom Wellington-Bengel. Das des Chiefs… Es war alt. Und es war zäh. Aber seine Zunge, Detective Aaron Meyers… Damit habe ich was Feines vor… Ich schicke sie dir, ja?“

Wie bisher verzichte ich auf irgendetwas Verbales.

„Und? Hast du schon das Foto gesehen?“ Sein Lachen ist nach wie vor blechern. „Ich habe es extra für dich gemacht, Detective Aaron Meyers.“ Seine Stimme nimmt einen lauernden Klang an. „Nun? Sag schon! Hast du es gesehen? Und? Hast du dich gefreut?“ Er lacht erneut. „Ich bin immer in deiner Nähe… Oh ja… Dein Schutzengel, sozusagen.“

Er folgt mir. Inwieweit werde ich noch herausbringen. Oder – im Ermittler-Angeber-Jargon ausgedrückt – eruieren. Ich sehe mich nicht nach ihm um. Es wäre das, was er will.

„Was ist mit dem Cop? Der junge. Hat er sich über die Rosen gefreut? Rote Rosen! Hat er sich bedankt? Geknutscht habt ihr ja wieder. Oh ja! Leider hatte ich meine Kamera nicht mit. Sag mal…? Habt ihr es auch miteinander getrieben, Detective Aaron Meyers?“ Er wird aggressiver und vulgär, was an meinem Schweigen liegen mag. Oder meiner Weigerung, mir den Hals nach ihm zu verrenken. „Habt ihr? Hattest du deinen Schwanz in seinem Arsch? Oder hatte er seinen Schwanz in deinem? Und? Hat es dir gefallen? Das sollte es! Vielleicht war es das letzte Mal und er hat bald keinen Schwanz mehr…“ Blechern lachend ist er es wieder, der das Gespräch beendet.

Irre. Der Kerl ist irre. Seine Anrufe dienen dazu, mich zu verunsichern und einzuschüchtern. Die Sache mit dem Foto hat keinen anderen Zweck. Es wird mehr Opfer geben. Er wird wieder töten. Bleibt er bei seinem Modus Operandi, tötet er heute.

Zu gern möchte ich mich bei Julian melden und ihn warnen, habe aber seine Karte nicht mit und seine Nummer noch nicht eingespeichert. Moment… Anruflisten. Klar. Da müsste er… Ja! Doch keine komplett technische Niete!

Während in meinem Telefon der Hit aus den Charts läuft, höre ich den rockigen Song seines Telefons. Verwundert drehe ich mich um.

Er kommt auf mich zu, zwei Pappbecher in den Händen. „Frühstück? Hab einen Kakao für dich.“
 

()Aaron sieht blass aus, was Julian sofort auffällt. „Der Irre hat dich angerufen.“ stellt er fest. „Und er hat dich bedroht.“

Seine Hand ist nicht die ruhigste, als Aaron den Becher an sich nimmt. „Nein. Dich hat er bedroht.“ sagt er heiser und nimmt einen Schluck, an dem er sich verschluckt.

Julian klopft ihm auf den Rücken. „Dieser Irre kann mir nichts antun, Aaron.“ meint er und revidiert seine Äußerung. „Doch. Das grausamste. Wenn er… Wenn er dich mir wegnimmt.“

„Er ist hier irgendwo.“ flüstert Aaron. „Er beobachtet uns.“ Eine Hand im Nacken sieht er zum trüben Himmel hinauf und blickt Julian dann in die Augen. „Bei den Göttern! Wenn er wagt, dir ein Leid zu tun…“

„Aaron…“ Ein tiefer Atemzug und Julian will Aaron die Wahrheit sagen. „Da… Da gibt es etwas… Höm…“ Ein neuerlicher tiefer Atemzug. Und er kommt nicht zu Wort.()
 

Hey! Du uniformierte NIETE!“ brüllt Berger und kommt auf uns zugestürmt, reißt Julian herum und schubst ihn grob Richtung Tatort. „Schleim dich bei wem anders ein!“ herrscht er. „Marsch an die Arbeit! Stell dich ans Absperrband und wimmle gefälligst Gaffer und Presse-Fuzzis ab!“

„Natürlich.“ Höflich lächelnd salutiert Julian und schlendert davon.
 

Julians Gelassenheit ist bewundernswert. Seine Kehrseite nicht weniger.

Meinen sehnsüchtigen Seufzer verstecke ich hinter einem mürrischen Räuspern. „Berger! So nicht!“ weise ich meinen Kollegen zurecht. „Du wirst dich bei Office Aparo für dieses völlig unprofessionelle Verhalten entschuldigen!“

„Ach! Der will doch bloß aus der Uniform und denkt, wenn er sich bei wem beliebt macht, wird er automatisch zum Detective.“

„Wie du dich bei Gertrudes beliebt gemacht hast?“ Gemächlich nehme ich einen Schluck Kakao und sehe Berger beim Rotwerden zu. Vor Zorn.

„Hast du vergessen? Die Ermittlungen leite immer noch ich!“ zischt er. „Wenn du nicht bis zu deiner Pension hinter dem Schreibtisch enden willst, dann…“

Ich gehe einen Schritt auf Berger zu und lächle amüsiert. „Ist das etwa eine Drohung?“ Über einen Kopf größer zu sein hat Vorteile. Dunkle Augen haben, auch. In die froschgrünen meines Kollegen zu starren, ohne zu blinzeln… Ein Segen!

„Aber nein…“ Berger hüstelt und tut sein Bestes, ein kumpelhaftes Lächeln zustande zu bringen. „Weißt du, was ich glaube?“

Nein. Weiß ich nicht. Um die Situation nicht eskalieren zu lassen – ich bin ernstlich kurz davor und BÄNG. BÄNG. BÄNG. – frage ich nicht nur aus purer Nettigkeit: „Was glaubst du?“

„Diesen Rupert hat dein Schlitzer nur zur Ablenkung umgebracht. In echt ging es dem von Anfang an um Lipinski. War ja ein Arsch. Konnte den nie leiden. Konnte wohl keiner.“

Ab und zu hat ‚Ich kann das nicht‘-Berger bemerkenswerte Ideen, denen nachzugehen sich lohnt. Es wäre nicht der erste Serienmord, der vom wahren Opfer ablenken soll. Und mit seiner offenkundigen Antipathie für Lipinski ist mein Kollege auf meiner Beliebtheitsskala etwas in die Höhe geklettert und teilt sich einen Platz mit einlagigem, schnell-auflösendem Camping-Klopapier.

Eine echte Pest, das Zeug! Wandern und Zelten. Das war der beschissenste Ausflug aller Zeiten. Wortwörtlich! Seit dem Zeitpunkt reise ich nur noch mit persönlicher Klorolle, extra weich und dreilagig. Ja… Was denkt denn ihr? Unter drei Lagen geht nichts bei mir! Bin Beamter! Die brauchen für jeden Scheiß zwei Durchschläge!

Wie bitte…? Ob ich feuchtes…? Das geht zu weit! Aber ich konnte es mir ja denken. Ihr nutzt es gnadenlos aus, was? Meine Walt Wilson liegt ja Zuhause, nicht wahr? Grr! Ja… Das mit Kamille und Panthenol. Zufrieden? Und weiter geht euch mein Hintern nichts an!

Apropos Zuhause… Ich sollte mal nachhorchen, wie es Lars und Sundora geht. „Berger.“ Ich nicke anerkennend. „Da klemmen wir uns hinter! Nicht nur, aber auch.“ Damit werde ich ihn nicht los. Bedauerlich.

Mein Kollege grinst. „Weißt du, Silberrücken… So übel bist du gar nicht. Nicht ganz dicht und ein eigenartiger Typ und durchgeknallt. Aber nicht übel.“

Hallo…? Was ist denn mit Berger los? Hat er heute seinen Tag der Komplimente? Hat ihm wer was in den Kaffee getan? Hat er Drogen genommen? „Danke. Mir kommen gleich die Tränen hoch.“ Eher der Kakao.

„Ich bin auch nicht übel!“ behauptet Berger. „Echt. Ich kann auch bei Schnulzen heulen und habe Tischmanieren.“ Er hüstelt. „Willst du nicht mal ein gutes Wort für mich einlegen? Bei Rush?“

Aha! Daher weht der Wind. „Ich garantiere nichts!“ erwidere ich ungenau und lasse mich zu einem Schulterklopfen hinreißen. „Berger. Bis gleich. Ich muss nach Hause telefonieren.“

„Klar.“ Er nickt und kehrt mir den Rücken, wendet sich kurz um. „Machst du aber, ja?“

Das kommt mich definitiv teuer zu stehen, aber… ich nicke. „Klar. Versprochen!“

Beide Daumen gehoben marschiert mein Kollege davon. Er sollte sich die Daumen lieber drücken

Einen Wunsch erfüllt…

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Rote Sonnen

\\Aaron ruft an und erkundigt sich nach dem Befinden der zwei ‚Turteltauben‘.

Lars lacht leise. „Sundora schläft.“ Und seufzt. „Ron… Ich gebe sie nicht mehr her, verstehst du?“

Sein großer Bruder versteht, will nicht länger stören und wünscht beiden einen schönen Tag.

Das Telefon aus der Hand gelegt lehnt Lars am Rahmen der Schlafzimmertür und schaut auf die junge Frau im Bett, ohne sich an diesem Anblick sattsehen zu können. Im Schlaf sind ihre sanften Züge noch entspannter. Lars flüstert – in der Sprache seiner Mutter – und tritt lautlos an das Bett heran. Vorsichtig – er möchte sie nicht wecken – kriecht er selbst unter die Decke, legt einen Arm um Sundora, schließt die Augen und driftet in einen Traum.

Sundora.

Seine Gefährtin.

Sie hat verraten, wo sie herkommt – die Geheimnisse ihrer Rasse preisgegeben. Jemand will mehr wissen und macht Jagd auf sie. Sie braucht Schutz.

Aaron ist derjenige, der sie beschützt. Er beschützt Sundora. Er beschützt seinen kleinen Bruder. Wie er es geschworen hat.

Lars steht neben seiner Gefährtin, streichelt ihren Bauch. Gerundet, durch ihrer beider Kind unter ihrem Herzen, das gegen die Bauchdecke tritt. Und während er das tut, während er diese Tritte spürt, geht sein großer Bruder vor ihnen zu Boden. Getroffen, blutend. „Flieht.“ ist das, was er sagt. Dann stirbt er.

Beide tun es, wenden sich um und fliehen.

Aus dem Schatten steht plötzlich ein Mann vor ihnen. Komplett in schwarz gehüllt. Nur seine Augen sind zu sehen – glühend wie rote Sonnen. In jeder Hand hält er ein Schwert – ein langes in der rechten, ein kurzes in der linken. Aaron würde diese Schwerter beim Namen nennen können.

Dieser Mann, dieser Vermummte sieht Sundora an – ihren runden Bauch – danach Lars. Und er späht zu Aaron. Einen Herzschlag lang schließt er die Augen und Tränen rinnen in den schwarzen Stoff, der sein Gesicht bedeckt. Dann gilt sein Blick wieder Sundora und Lars und er hebt die Schwerter…
 

Lars atmet tief ein und langsam aus. Die Verwirrung weicht nicht. Was bedeutet dieser ‚Schwarze Mann‘ in seinem Traum? Bedrohung? Wer ist er? Warum weint er um Aaron?

Sundora regt sich, darum öffnet Lars die Augen.\\
 

//Zuhause hatte sie sich solch ein Leben nie vorstellen können. Aufzuwachen und in den starken Armen eines Mannes liegen, der sie mit einem liebevollen Blick und zärtlichen Kuss bedachte. „Guten Morgen.“ grüßte Lars leise und zog sie zu sich. „Hast du gut geschlafen?“

An ihn gekuschelt nickte sie. „Lars…“ Ihre tiefblauen Augen suchten seine dunklen. „Ich gehe nie mehr weg von dir!“

Lars zeichnete die Konturen ihrer Lippen nach, sein tiefes, kehliges Grollen erklang. „Ich werde dich nicht mehr hergeben, Sundora.“ erwiderte er. Was er hinzufügte verstand sie nicht. Eine Sprache. Gefolgt von einer anderen. Was er hinzufügte verstand sie nicht, doch klang beides nach einem Schwur.//
 

\\In der Sprache seines Vaters, in der Sprache seiner Mutter. Sundora ist seine Gefährtin und er schwört, was er tief in seinem Inneren fühlt.\\

Alles ganz (bio)logisch!

Bei Lars und Sundora ist alles in Ordnung. Ich habe es nicht anders erwartet. Nun wartet Polizeiarbeit und es obliegt mir meine Fragen von Lipinskis ehemaligen – hier anwesenden Untergebenen beantworten zu lassen. Julian habe ich bisher nicht gesehen, dabei renne ich mir gerade die Hacken ab. Ist er noch am Tatort? Weiß ich nicht. Macht nichts. Wir sehen uns auf jeden Fall. Ihn muss ich auch befragen. Wie ich seine Kollegen befrage. Und all die anderen. Tief betroffen über Lipinskis Tod ist keiner…

Und Berger? Glänzt mit Abwesenheit. Das einzig Wahre, in dem er glänzt! Ich bin sicher, er ist im Supermarkt, stellt der Filialleiterin unzählige und unsinnige Fragen und lässt sich nebenbei verköstigen.

Uniform oder Anzug – alle haben durchweg die gleiche Meinung vom danieder gerafften Chief. Die geht ungefähr so: Denkt euch die schlimmsten, gemeinsten, fiesesten, bösartigsten – und so weiter – Schimpfworte, die ihr kennt. Die gesammelten Werke hoch zehn und ihr habt die beschönigte Beschreibung für dieses Sackgesicht. So sieht es aus! Er war sehr beliebt…

Bei den Göttern. Ich kriege Hunger. Das bisschen Kakao macht nicht satt. Hunger.

Wilder, heißer, hemmungsloser Sex, kaum Schlaf und kein Frühstück. Gefährliche Mischung. Speziell was das ‚kein Frühstück‘ angeht. Hunger.

Ich sollte mir mal das Sortiment an Bio-Produkten im Supermarkt ansehen. Bio. Hm, hm. Künstliche Zusätze sind Gift. Und was mache ich mit Gift? Genau. Mir – Buärks! – das Revers vollkleckern. Hunger. Hunger. Hunger.

Und wenn Berger es wagt, ein Kommentar abzugeben – von wegen weiterhin Kolleginnen und Kollegen aushorchen – der überlebt den Tag nicht! Hunger.

PLINGELING und ich bin im Laden. Und ich hatte Recht. Da hinten steht er, an der Feinkost-Theke, mit der Filialleiterin plaudernd und sich fleißig durch die Delikatessen mampfend.

„Doch Mrs. Bitterfield… Das ist interessant… Nur weiter!“ höre ich ihn mit vollem Mund sagen.

„Ja… Das war so… Mrs. Martinsen hat von Mister O’Toole gehört, der kleine Benny Kumora geht zur Armee.“ erzählt die Dame eifrig und versorgt meinen werten Kollegen zeitgleich mit reichlich Nachschub aus der Theke. „Und kaum ist er weg, wird seine Mutter von einem Auto angefahren und Doktor Warner versucht vergeblich, den Jungen ausfindig zu machen.“

Wovon sie da wohl spricht? Welche Bedeutung hat es?

Berger scheint es zu wissen und nickt. „Oh ja! Es heißt, Benny sei verschollen. Und dann – in Folge vierhundertdreiundsiebzig – kommt da plötzlich dieses junge Ding – aus irgendeinem Krisengebiet – und behauptet von Benny geschwängert worden zu sein.“

„Unter uns…“ flüstert die Frau verschwörerisch. „Mein Neffe arbeitet bei Kanal sechs. Und der hat mir verraten…“ Sie winkt Berger zu sich und wispert geheimnisvoll.

„Nein!“ ruft er aus. „Ehrlich?“

Die Dame nickt. „Das ist aber noch Top Secret!“

Ach je… Sie reden von einer Seifenoper. Noch haben mich beide nicht gesehen. Hunger hin oder her. Wenn ich jetzt gehe, ziehen sie mich nicht in ihr Seifenoper-Gespräch hinein.

„Hey. Silberrücken.“ Berger zeigt erst auf mich, dann auf die Filialleiterin. „Mrs. Bitterfield hat eine Neffen bei Kanal sechs und kennt die neuesten Folgen von ‚Ein Arzt auf Abwegen’, ehe die ausgestrahlt werden. Du weißt schon. Die Serie mit dieser äußerst… fähigen Krankenschwester. Die guckst du doch auch so gern.“ Er zwinkerte Mrs. Bitterfield zu, weist auf mich und hebt bedeutungsvoll die Augenbrauen. „Die üppige blonde Schwester ist sein totaler Favorit. Ist doch so. Hm, Silberrücken?“

Bei den Göttern! Scheiße! Egal! Jetzt kaufe ich mir was zu essen und esse. Und dann… Dann erschieße ich meinen Kollegen! Mit seiner eigenen Waffe!

Zum Glück für ihn will er keine Antwort und vertieft sich lieber wieder in das Gespräch mit der Filialleiterin – und dem Verzehr ihrer Feinkost – und beide tauschen sich über Charaktere und deren Werdegang in dieser Serie aus.

Mir ist gleichgültig, wovon genau sie da reden und schnappe mir einen der Einkaufskörbe aus Draht.

„Willst du was einkaufen, Silberrücken?“ erkundigt sich Berger in diesem Augenblick.

„Ja.“ Wehe, er will mich davon abzuhalten. Ich hämmere ihm den Korb an den Kopf, bis eines von beidem verbeult ist! Hunger!

„Gute Idee.“ Breit grinsend deutet er auf die hinteren Regale. „Bringst du mir Schokoriegel mit? Die mit Karamell und Mandeln?“

Schokoriegel mit Karamell und Mandeln? Müsliriegel täten ihm besser gut und ich sollte meinen Kollegen mal zum Polizeisport schleifen. Die einzigen Muskeln, die bei ihm gut ausgebildet sind, sind die Kaumuskeln!

„Kriegst das Geld wieder.“ beteuert er, weil er mein Zögern bemerkt.

Mit dem, was ich von Berger ‚wieder kriege‘ könnte ich mir eine Villa mit Pool, Sauna und Sportwagengefüllter Garage kaufen. Direkt mit zwanzig Zimmern mehr, würde ich ihm Zinsen berechnen. Aber… Sei nett, Meyers. Sei freundlich. Denk nicht daran, wie gut du mit einer Schusswaffe umgehen kannst… Du sagst jetzt gar nichts und nickst nur…

„Klasse! Danke, Silberrücken! Aber beeil dich!“

Hunger. Essen. Töten. Eventuell werde ich vom letzten Punkt Abstand nehmen, sobald ich was im Magen habe. Eventuell!
 

Da ich das sowieso bezahle öffne ich die Packung Bio-Sandwiches noch in der Kühlabteilung und beiße genüsslich hinein. Frühstück. Herrlich. Einen Kakao dabei lasse ich mich einfach im Lotussitz vor dem Regal nieder, die Sandwiches in Reichweite.

„Na? Auch Hunger?“

Ich nicke mit vollem Mund und halte Julian ein Sandwich aus der Kühlung hin. „Böht uf mif.“ lade ich ihn mit vollem Mund ein. „If befahl baf. Fpäpa.“

„Geht auf dich und du bezahlst das. Später.“ übersetzt Julian. „Danke.“ Lächelnd lässt er sich mir gegenüber nieder und nimmt das Brot an sich. Auch den Kakao, den ich ihm reiche. Nicht das romantischte Frühstück, das ich mir vorgestellt habe, aber wir frühstücken miteinander.

„Wow!“ staunt er. „Kannst du auch langsam essen?“

„Hunger.“ Und Sandwich Nummer fünf findet sein Ende in meinem Verdauungstrakt.

„Du bist ein Fresssack, hm? Unersättlich… Kannst nicht genug bekommen…“

Der zweideutige Ton seiner Stimme entgeht mir nicht. Sein Lächeln ist auch nicht ohne – süß und herausfordernd. Ob Mrs. Bitterfield hier ein ruhiges Plätzchen hat, an dem sich zwei Bullen mal ganz in Ruhe… und ungestört… unterhalten können…?
 

()Aaron hat Remoulade am Mundwinkel und Julian muss sich sehr zusammenreißen, ihm diese nicht abzulecken. „Rate, was ich jetzt am liebsten mit dir tun würde.“ flüstert er Aaron zu. Dieser verschluckt sich für heute zum zweiten Mal an Kakao.

„Oh ja!“ bestätigt Julian. „Genau das!“ Er rückt unauffällig näher. „Dahinten ist das Lager… Keine Kameras… Ein ruhiges Plätzchen… Wie wäre es, wenn…?“()
 

Diese ‚Wie wäre es, wenn…?‘-Gelegenheit werden wir versäumen.

„Denk an was Asexuelles! Zack!“ rate ich Julian flüsternd. „Kollege im Anmarsch. Zehn, neun, acht…“

Julian springt auf und bedankt sich für das Frühstück, haucht mir einen Luftkuss zu und verschwindet zwischen den Regalen. SCHWUPP weg ist er und hat den Laden keine drei Sekunden später mit einem PLINGELING verlassen.

Bei „Null.“ angekommen steht Berger vor mir. „Hast du meine Schokoriegel vergessen?“ fragt er und klingt dabei so was von vorwurfsvoll als wollte ich ihn in voller Absicht einen elenden Hungertod sterben lassen. Sein Magen scheint die Völlerei an der Feinkost-Theke längst vergessen zu haben.

Wortlos fische ich den Fünfer-Pack Schokoriegel mit Karamell und Mandeln aus dem Korb und werfe ihm sein heißersehntes Naschwerk in die Arme.

Danke…? Fehlanzeige!

Stattdessen mäkelt er herum und übertreibt maßlos mit der Äußerung, dass es hier aussähe wie es hier aussähe. Und ich solle mich hier gefälligst nicht häuslich niederlassen. An seinen Augen sehe ich, Berger zählt die leeren Sandwich-Packungen – Alle ordentlich ineinander gestapelt! – und er kommt zu dem Schluss: „Boah! Ein Vielfraß ist gar nichts gegen dich. Räum auf, ab zur Kasse und dann mach, dass du rauskommst. Du hast zu tun!“ Sein herablassendes Grinsen lässt mich diese BÄNG. BÄNG. BÄNG.-Sache nochmal überdenken. „Wirst schließlich nicht fürs Essen bezahlt.“

Flotter als mein Kollege gucken kann bin ich auf den Füßen, habe in dieser Bewegung seine Seavers aus seinem Gürtelholster gezogen und drücke die Mündung der Halbautomatik in seinen Dickwanst. „Aber du, was?“ Er kann hören, mir ist der Kragen geplatzt. „In nächster Zeit solltest du erst denken und dann reden! Vor allem, wenn du das Wort an mich richtest!“ Ich verstärke den Druck. „Und dieser IRRE da ist nicht MEIN Schlitzer! Klar?“

„Das sage ich Brace.“ Seine Ankündigung hört sich nach Sandkasten-Quengelei an, als hätte ich ihm sein liebstes Schäufelchen weggenommen. „Das sage ich auf alle Fälle Brace!“

„Mach es! Mir ist das scheißegal!“ Genauso flott hat er seine Waffe wieder im Holster. „Das Teil war nicht mal entsichert.“ kriegt er von mir noch zu hören und ich sammle die Überreste des Frühstücks ein und gehe damit zu Mrs. Bitterfield. „Die Schokoriegel meines Kollegen auch.“ sage ich ihr.

„Ich sage das trotzdem!“ mault Berger.

„Und mir ist das trotzdem scheißegal!“ gebe ich zurück, zahle und PLINGELING bin raus.

Bei den Göttern. Die freien Tage hätte ich mehr als nötig gehabt und dieser Irre setzt mir ärger zu, als ich mir eingestehen möchte. Vor allem, weil er meinen Schatz bedroht.

Zu gern würde ich auf meine Art ermitteln. Ich kann das. Auch wenn es mal in Schlägereien ausartet oder ich Verdächtige über mehrere Blocks verfolge. Rennen, springen, klettern kann ich auch ganz gut…

Seit knapp vier Jahren bin ich Detective und war damit einer der jüngsten, die einen Anzug tragen durften. Mit wenigen Ausnahmen arbeitete ich allein und meine Bilanz an aufgeklärten Verbrechen konnte sich immer sehen lassen.

Alles hat mal ein Ende. Auch das eines einsamen – aber glücklichen Solo-Ermittlers. Meines kam nach einem… Vorfall vor sechs Monaten. Seit der Zeit habe ich ‚Ich kann das nicht‘-Berger als festen Partner am Hals. Mein Aufpasser. Genauer gesagt, mein Bremsklotz. Jemand überzeugte Captain Brace ich wäre als Solist zu waghalsig und unkontrollierbar, würde mich über Vorschriften hinwegsetzen und alles andere denn Zurückhaltung bei Ermittlungen üben. Täter üben auch keine Zurückhaltung! Dieser jemand befürwortete Berger. Als ‚alter Hase’ und obrigkeitshörig sollte er von Anfang an meinen Übereifer ein bisschen ‚drosseln‘. Das tut er auch. Oh ja. Richtig gut!

Dieser notorisch nutzlose Taugenichts! Hohler als ein leeres Marmeladenglas ohne Deckel! Bei den Göttern. Und damit ihr keine roten Ohren bekommt fluche ich in aller Stille und in der Sprache meines Vaters weiter.

Mehr als genug ist zuviel!

Nach einer Weile Schimpfkanonade bin ich wieder beim Leichenfundort angekommen.

Unsere Pathologin hat alle sterblichen Überreste von Lipinski eingesammelt und eingesackt. Sackgesicht in einen Sack eingesackt. Passend.

So ist es. Ich konnte ihn kein bisschen leiden!

„Alles klar?“ Die Handschuhe ausgezogen knufft mich Charlene. „Du siehst fertig aus. Hat der Irre wieder angerufen? Dich und dein – mir noch unbekannten – Schatz bedroht?“

„Ja. Auch.“ In ihrer Gegenwart gestatte ich mir einen tiefen, unglücklichen Seufzer. „Ich war glücklich ohne Partner. Ohne Berger.“ Die Arme verschränkt lehne ich mich an die Seite des Leichenwagens. „Da ist dieser Irre und schlitzt Leute auf und ruft an und will sich… Was weiß ich… profilieren…? Scheiße auch! Ich will ermitteln. Wie früher! Allein!“

„Sprich doch mal mit Brace.“ empfiehlt mir Charlene. „Sie weiß, als Solo-Ermittler warst du besser.“

„Null Chance. Der Commissioner hackt auf Brace herum. Die Bürgermeisterin dazu. Bin doch für die der Schläger-Bulle.“ erwidere ich bitter. „Ich will mich nicht beschweren, aber… Sollte ich nicht Innendienst schieben? Ab heute? Und? Wo bin ich? Hier! Und? Was mache ich? Mir das Werk dieses Irren angucken!“ Mit beiden Händen raufe ich mir das Haar. „Sämtliche Fakten zusammengezogen gibt das alles keinen Sinn, Charlene. Was haben die Opfer gemeinsam? Nach welchen Kriterien hat der Täter sie ausgewählt? Was bezweckt er damit, mich anzurufen? Warum ruft er mich an? Nicht… Nicht Berger? Und da ist noch dieses Foto. Kenne ich ihn? Habe ich ihn mal verhaftet? Oder stand ich nur mal auf seinem Parkplatz? Irgend so ein Klein-Scheiß, der ihn ausrasten ließ? Ich weiß nicht, wie ich noch…“ Nach einem heftigen KLATSCH reibe ich mir die Wange.

„Du Heulsuse! Wage es nie wieder an dir zu zweifeln, Aaron Meyers!“ schimpft Charlene und hält sich ihre Hand. „Du bist einer der besten Bullen dieser Stadt. Wenn nicht sogar der beste! Zeig es diesem Irren. Mach ihn fertig!“

Charlene Rush ist meine beste Freundin. Sie ist die einzige, die so mit mir reden darf. Sie ist die einzige, die mich ungestraft ohrfeigen darf. Sie ist auch die einzige, die mir – hin und wieder – den Kopf gerade rückt, wenn ich mich zu sehr in einen Fall verbeiße.

„Du bist einmalig, Charlene.“ Zum Dank küsse ich ihre Wangen. „Du hast Recht. Ich bin eine Heulsuse. Weniger Wehleidigkeit steht mir besser zu Gesicht.“

„Oh…“ Sie lächelt entschuldigend. „Du hast dich heute das erste Mal wehleidig gezeigt. Das kenne ich nicht von dir. Sorry, Ron.“

„Klar.“ Ich zwinkere ihr zu. „Wir sehen uns später, hm?“
 

Meine Autoschlüssel gebe ich meiner uniformierten Kollegin Officer Velma Ferric und bitte sie, mir meine Kutsche zum Revier zu bringen. Lieber würde ich Julian bitten – wäre es doch ein besserer Grund zum Wiedersehen, statt dieses Belauschen. Leider ist er sonst wo. Laut Vorschrift muss ich den Tatort mit Dienstfahrzeug und Kollegen verlassen. Es entzieht sich meiner Kenntnis, wer sich das hat einfallen lassen. Bürokratischer Schwachsinn.

Am Dienstwagen angekommen sehe ich meinen werten Kollegen an der Fahrertür stehen und er weist mürrisch dreinblickend ins Wageninnere und auf den Beifahrersitz. „Das da ist dein Platz!“ meckert er. „Und so lange wir Partner sind, bleibt das so!“

„In weniger als einer Sekunde habe ich dich entwaffnet und halte dir deine Seavers an den Kopf. Entsichert! Bist du weiterhin der Meinung, das da ist mein Platz?“ Dabei lächle ich. Kalt. Das Lächeln, unter dem Henry King – Menschenhändler aus Leidenschaft – eingeknickt ist.

„Das sage ich auch Brace!“ Aber er gibt auf, verzieht sich auf die andere Seite und steigt ein.

Das kann ich mir nicht verkneifen: „Eine Petze sagt was?“

„Was?“ fällt er tatsächlich darauf herein.

„Petze.“

Schlecht gelaunt starrt Berger über die gesamte Fahrt aus der Seitenscheibe und murmelt wüste Beschimpfungen, die mich durchweg amüsieren. Nichts dabei, was ich nicht schon kenne…
 

Kurz vor dem Revier wirft Berger mir einen finsteren Blick zu. „Du hast was mit Rush am Laufen. Stimmt´s? Darum sagst du ihr auch nichts. Stimmt´s? Hab gesehen, wie ihr euch… abgeküsst habt!“ Er grunzt unzufrieden. „Obwohl du mir versprochen hast, ein gutes Wort für mich einzulegen!“

Erwähnte ich irgendwann einmal, wie doof Berger ist? Ein Dementi wäre angebracht, sonst dichtet er sich alles Mögliche und Unmögliche zusammen und verteilt seine Dichtung im gesamten Distrikt. „Nein.“ Klasse Dementi, oder? Geht noch besser! Achtung: „Da läuft nichts. Wir sind Freunde. Mehr nicht. Und nicht weniger!“

„Und dann macht ihr… Lippenakrobatik?“

Das finde ich nur bedingt witzig und halte meine Antwort zurück, bis der Wagen in einer Parklücke steht. „Charlene bekam einen Kuss auf die linke und einen auf die rechte Wange. Ein Zeichen der Dankbarkeit und eines der Wertschätzung.“

„Ja… Sicher…“ erwidert Berger wenig überzeugt. „So eine heiße Braut und ihr seid ‚nur‘ Freunde? Bist du blind, blöd oder schwul?“ Er lacht auf. „Ne. Schwul nicht. Nur blind und blöd. Und zwar total blind und unheimlich blöd!“

Wortlos steige ich aus und stelle mich neben den Wagen, fahre mir durch mein Haar und atme tief in den Bauch und kontrolliert aus. Mit geringerer Selbstbeherrschung hätte sich Berger dafür eine blutende Nase geholt. Nicht weniger wortlos marschiere ich Richtung Revier. Wo er bleibt ist mir egal.

So ausgelaugt war ich schon lange nicht mehr. Bei den Göttern. Scheiß Partner. Scheiß Irrer. Scheiß Fall. Ach ja. Schlimmer geht immer. Ich habe wieder Hunger. Scheiß Hunger!
 

Im Revier setze ich mich an meinen Schreibtisch, schnappe mir das Formular für den Bericht und trage ein, was ich eintragen kann. Eigentlich müsste mein werter Kollege den schreiben, war er doch vor mir am Tatort und ist Leiter dieser Ermittlung. Tut er nicht. Bürdet er ohnehin mir auf. Warum aufregen? Der Tag kann nur besser werden. Was essen wäre nicht schlecht… In der Kantine wird biologisch gekocht und heute gibt es Tacos. Einen Taco… Oder zwei… Extra Soße… Schön scharf… Hm… Wie komme ich jetzt auf Julian? Scharf… Ist er. Und wie er das ist.

Meine uniformierte Kollegin Officer Ferric tritt an meinen Schreibtisch und übergibt mir meine Wagenschlüssel. „Ein echtes Schätzchen!“ lobt sie meinen Wagen. „Und so sauber!“

„Ja. Danke, Ferric. Dafür haben Sie einen Kakao und Donuts bei mir gut. Oder einmal Kino.“

„Kino!“ wählt sie. „Ich komme darauf zurück.“ Ein Lächeln, ein Zwinkern und weg ist sie.

Meine umstehenden Kollegen haben es mitgekriegt. „Ach? Du machst jetzt die Ferric klar?“ erkundigt sich Shawn McCormick und schnalzt mit der Zunge. „Die nächste in der langen Liste deiner Eroberungen?“

„Er kriegt Ferric. Das kann’s nicht sein! Er – kriegt – Ferric!“ Sein Partner, Emilio Disisto, wirft mir einen bitterbösen Blick zu. „Mann! Wie schaffst du das? Reihenweise schleppst du die Weiber ab!“

Das klingt nach blankem Neid der Heterosexuellen. Schwule haben meist die besseren Karten bei Frauen. Nicht wissenschaftlich bewiesen, ist aber so. Na! Bei mir ist das so. „Yep.“ Die Hände im Nacken lehne ich mich zurück und grinse mokant. „Kino. Popcorn. Ein Drink. Oder zwei. Ein intimes Dinner in einem lauschigen Restaurant. Mal sehen was der Abend da noch bringt…“ Ich übertreibe dermaßen, Shawn und Emilio nehmen es für voll. Shawn gibt mir einen Stupser. „Unter uns. Gibt es ein Weib im Revier, das du noch nicht… eingeladen hast. Zu was auch immer…“

„Brace.“ behauptet Emilio.

Aufs Stichwort: „Meyers!“ schallt die ‚zarte‘ Stimme des Captains an mein Ohr. Und durch das gesamte Revier. „In mein Büro! Sofort! Und bringen Sie Ihre Marke und Waffe mit.“

Soweit zum Thema besser werden.

Aus der abschließbaren Schublade hole ich meine Dienstwaffe. Auch eine Seavers. Nagelneu und unbenutzt. Tatsache! Aus diesem Kümmerteil habe ich noch nie eine Kugel abgefeuert. Die Walt Wilson ist mein Eigentum und mir lieber. Ja, hab einen Waffenschein dafür. Und ja, auch die Erlaubnis mit dem Teil im Dienst rumzuballern. Eine Wilson ist Respekteinflößender und hat mehr BUMMS, wenn ihr versteht. Bäuche perforieren geht damit am besten.
 

Das Büro meiner Vorgesetzten betreten, möchte ich am liebsten wieder rückwärts raus und mich überrennt die Erkenntnis, warum Brace auf Marke und Waffe bestanden hat. Ein halbes Jahr ist eine lange Zeit. Und manchmal nicht lange genug.

Da steht jemand. Dieser jemand! Der Grund für die Beendigung meiner ‚Solo-Karriere‘. Der Grund für Berger als Partner. Die personifizierte Impertinenz. Schlimmer als Berger! Weit schlimmer!

In gewichtiger Pose die Hände in die Hüften gestemmt und dieser wissende Blick, mit dem dieser jemand einen zum Seelen-Striptease zu zwingen versucht.

Carol Artus. Keine Polizistin im eigentlichen Sinne. Streife ist sie nie gelaufen. Profilerin. Beraterin. Psycho-Tante. Und von allem Schlechten immer das üblere Übel.

Wurde vor acht Monaten von Captain, Commissioner und Bürgermeisterin genötigt, mit dieser Frau im Team zu arbeiten. Für ein paar Wochen. Auch um mich zu… begutachten.

Ständig redete mir Carol Artus in meine Ermittlungen und krittelte an meiner Arbeitsweise, versuchte mich zu analysieren und mir meine Vergangenheit aus der Nase zu ziehen. Meine Vergangenheit geht keinen was an. Am allerwenigsten dieser… Unperson!

Sie hat mir das Leben in der Zeit schwer gemacht. Echt schwer. So ganz nebenbei zettelte sie während einer Befragung in einer Bar eine mittelschwere Schlägerei an, die ich auszukämpfen hatte und anschließend dafür bei Brace, Commissioner und Bürgermeisterin strammstehen durfte. Allein! Als Schläger-Bulle, der schlechte Presse machte!

Artus hielt sich raus und reingeritten habe ich sie auch nicht – bin kein Kollegenschwein. Hab sie außen vor gelassen und alles über mich ergehen lassen. Verhöre durch die Dienstaufsicht, Schmähungen von Kollegen und all das. War ja nicht das schlimmste.

Der letzte Fall mit ihr war das schlimmste. Dieser endete in einem Gemetzel. Geiselnehmende Bankräuber – zu allem bereit und bis an die Zähne bewaffnet – deren Forderungen diese Frau ignorierte und mit Hinhaltungen, vagen Versprechen und sogar Spott beantwortete. Sie spielte mit der Geduld der Gangster und provozierte sie bis aufs Blut.

Bis aufs Blut der siebenundzwanzig Geiseln. Alle tot. Nacheinander erschossen. Darunter drei Kinder und eine Schwangere.

Ein leutseliges Mundwerk und Liebling der Bürgermeisterin zu sein hilft – Carol Artus wurde dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Den Fehler wälzte sie gekonnt auf andere ab. Auf die Bankräuber. Auf die stürmenden Beamten. Auf meine Kolleginnen und Kollegen. Auf mich. Der Solo-Ermittler, der – Ihr wisst schon! – zu waghalsig und unkontrollierbar ist, sich über Vorschriften hinwegsetzt und keine Zurückhaltung kennt. Mann! Ich war nicht mal im Dienst und nur zufällig am Ort des Geschehens! Tja… Ein Schläger-Bulle ist immer ein guter Sündenbock.

Was danach kam, war ein regelrechter Spießrutenlauf. Es nahm für mich ein halbwegs gutes Ende – ein paar Beamte sagten zu meinen Gunsten aus – und ich durfte Detective bleiben. Ein paar fette Einträge in meiner Akte und in den nächsten paar Jahrzehnten werde ich bei jeder Beförderung übergangen. Lässt sich mit Leben. Dennoch.

Damals machte ich meiner Vorgesetzten klar, müsste ich weiter oder je wieder mit dieser… Unperson zusammenarbeiten, quittiere ich den Dienst. Artus ging. Freiwillig, wie sie betonte. Sie wollte nicht an meinem Karriereende schuld sein. Sie sprach noch ihre Empfehlung aus und Berger kam. Nur bedingt eine Verbesserung…

Marke und Waffe. Offensichtlich will Captain Brace wissen, wie ernst es mir vor einem halben Jahr war.

„Ah. Officer Meyers.“ grüßt mich diese… Unperson.

Tadaah! Da ist sie schon, die erste Herabwürdigung. Wartet es ab. Da kommt mehr!

„Lange nicht gesehen.“ Carol Artus sucht in meiner Mimik und Gestik nach irgendeiner Reaktion. Ein stummes Nicken sollte reichen. Reicht. Sie spricht weiter. „Wir werden im Fall Ihres Schlitzers ein Team bilden. Nun ja… Auf Wunsch des Commissioners und der Bürgermeisterin werden wir es müssen, da Sie bisher auf Grund mangelnde Kompetenz dem Täter nicht näher gekommen sind.“

Herabwürdigung, die zweite und dritte.

„Allein kommen Sie nicht weiter, wie mir Ihr Captain berichtete. Ihnen fehlt das… Nun ja… Feingefühl, das für einen solchen Fall erforderlich ist.“

Die vierte.

„Das überrascht mich nicht. Mir wurde zugetragen, Sie pflegen unverändert Ihr Image als… Nun ja… Schläger-Bulle. Trotz Zuteilung eines vernünftigen und erfahrenen Partners.“ Schultern zuckend wendet sie sich ab. „Keinerlei Einsicht, keinerlei Takt. Officer Meyers. Sie sind ein hoffnungsloser Fall. Und meiner Meinung als fachlich kompetente Profilerin nach gehört ein ungehobelter Raufbold wie Sie und mit einer… Nun ja… nebulösen – möglicherweise zwielichtigen Vergangenheit wie der Ihren nicht in den Polizeidienst.“

Mit einer solchen Rede hat selbst Captain Brace nicht gerechnet und sie hält die Luft an. Ich lächle gelassen und sie atmet erleichtert auf. „Hören Sie, Meyers. Ich bin übergangen worden. Das war nicht meine Entscheidung.“

Wieder ein stummes Nicken. Viele Worte machen will ich nicht. Was ich mir vorgenommen habe, ziehe ich durch. Darum bin ich Bulle geworden. Allen Widrigkeiten zum Trotz – Opfer, Tatorte, Monster – ich bin es immer gern gewesen.

Schade.

Heute ist mein letzter Tag.

„Meine Waffe.“ Die Seavers lege ich entladen und gesichert meiner zukünftigen Ex-Vorgesetzten auf den Schreibtisch, das Magazin daneben. „Meine Marke.“ Diese hat mir viel bedeutet, darum werfe ich sie nicht achtlos auf die Tischplatte und streiche ein letztes Mal darüber. „Mein Mobilfon. Möglicherweise ruft mein Schlitzer in Zukunft die fachlich kompetente Profilerin an. In dem Fall… Viel Glück. Captain Brace. Danke für alles. Es war mir eine Ehre.“ Genau das demonstriere ich zusätzlich mit einer Verbeugung, drehe mich um und gehe. Leise und sorgfältig schließe ich die Bürotür hinter mir. Das gedämpfte Klicken hat etwas Endgültiges an sich.

Tja, Meyers… Jetzt hast du deine freien Tage.

Und…? Was mache ich damit?

Fang ich damit an, Zuhause nach dem Rechten zu sehen und Mitternachts Toilette zu säubern. Der Hausflur ist nach einer Woche auch mal wieder fällig. Fenster putzen könnte ich auch – und Staubwischen. Okay. Ihr habt mich erwischt. Ich bin doch pedantisch penibel.

Von meinen Schreibtisch sammle ich die wenigen persönlichen Habseligkeiten auf – ein Foto von Lars und mir, ein paar Stifte und meine Kakaotasse – lege Berger meinen halbfertigen Bericht aufs Pult und bin raus aus dem Büro. Raus aus dem Polizeidienst. Nur noch nicht raus aus dem Revier. Ich habe noch ein Versprechen zu halten und begebe mich in die Pathologie.

Bei den Göttern. Ich könnte heulen!

Eine Bitte.

\\Lügen macht ihm nicht so viel aus, wie es Aaron ausmacht. Genau genommen lügt Lars gar nicht. Er biegt sich die Wahrheit nur ein wenig zurecht, als er bei Aarons Nachbarin Danielle Stanton anklingelt und fragt, ob sie vielleicht etwas Kleidung übrig hat. „Meine Freundin ist gestern angekommen.“ erzählt er. „Und – Stell dir das mal vor! – ihr ganzes Gepäck ist auf dem Flug verloren gegangen.“ Wer weiß. Könnte ja stimmen… Gewissermaßen…

Danielle ist eine erfolgreiche Klatsch-Kolumnistin, Mitte dreißig, Single aus Leidenschaft und modisch immer up to date.

Wenig später hat er die Arme voll von ihren ‚Altkleider’, deren alleiniges Manko es ist, von der letzten Saison zu stammen.

„Kannst alles behalten.“ meint sie. „Da spare ich mir den Weg zum Container.“

In Aarons Wohnung hat er den Kleiderberg im Schlafzimmer auf das Bett abgeladen und sieht durch, was Danielle ihm aufgenötigt hat. Letzte Saison oder nicht. Alles sieht noch tragbar aus.

Am Rauschen aus dem Bad hört er, Sundora duscht. Ihr liebstes, das warme Wasser und des duftenden Schaums wegen. Diesmal bleibt sie allein. Lars deckt den Tisch und sinniert über ihre Welt, die einerseits hoch technologisiert ist – andererseits betrachtet die junge Frau diese Welt mit dem erstaunten Blick eines kleinen Kindes, das Wunder gewahr wird.

Das Haar nass und durchscheinend kommt Sundora in die Küche, eingehüllt im blauen Bademantel, den sie wie ein Ballkleid hebt um nicht über den Saum zu stolpern. Ihre Blicke treffen sich und sie lächelt.\\
 

//Diese Welt war so eigenartig, so bemerkenswert. Die Fürsorglichkeit der beiden Brüder. Lars, der ihr entgegeneilte, sie zum Tisch geleitete und einen Platz anbot.

Sie setzte sich und sah ihn an. „Hört das irgendwann auf?“ Unsicher spielte sie mit einer Strähne ihres Haares. „Bist du irgendwann… böse zu mir?“ Der Rat hatte es erzählt. Manche Ausgesandte kehrten zurück – geschunden und gepeinigt.//
 

\\Lars schenkt Sundora Kakao ein. „Nein.“ erwidert er aufrichtig und schüttelt den Kopf dazu. „Bitte trink.“ Er reicht der jungen Frau die Tasse. „Es tut dir gut und schmeckt ganz delikat.“

Voller Vertrauen nippt Sundora an der Tasse. Zum allerersten Mal in ihrem Leben trinkt sie einen Kakao. Begeistert nimmt sie Schluck für Schluck und lächelt und kichert wie beschwipst, einen Kakaobart auf der Oberlippe. Ein wunderschöner Anblick. Selbst in diesem riesigen blauen Bademantel, der ihr ständig von den Schultern rutscht.

„Sundora…“ Von diesem Anblick überwältigt tritt Lars an sie heran und küsst sie auf den Mund. Er schmeckt den Kakao auf ihren Lippen – Pfirsich und die Ekuin-Blüte dazu – und genau in dieser Sekunde kommt ihm sein Traum in Erinnerung. „Sundora. Versprich mir, du fliehst. Gleich, was kommt. Du fliehst und blickst nicht zurück.“\\
 

//Über diese Bitte verwundert sah sie ihm in die Augen. Er lächelte, aber es wirkte traurig und unglücklich. „Bitte. Versprich es mir!“ beharrte er.

„Lars… Warum…?“

„Sundora. Bitte.“

„Ja… Ich verspreche es dir.“

„Gut.“ befand er und küsste sie erneut, setzte sich dann und zeigte ihr, wie diese – von ihm so genannten – Brötchen aufgeschnitten wurden.//

Abgründe

Bisher von Charlene Rush unbemerkt stehe ich in der Tür und sehe ihr beim Sezieren von Chief Karl Lipinski zu.

„Stark wie ein Bär, fit wie ein Puma und beliebt wie ein Stinktier.“ Charlene entnimmt die Leber. „Kalli, Kalli, Kalli… Du hättest dich auch beliebt machen können. Aber nein…“ Sie schüttelt den Kopf. „Und umbringen lässt du dich dazu! Was eine verdammte Schande ist, Kalli. Du warst ein Hengst im Bett.“

Mir fallen fast meine Habseligkeiten aus der Hand. „Du hattest was mit ihm?“ rutscht mir heraus und Charlene erschrickt. „Du und Lipinski…?“ Das interessiert mich jetzt. „Ihr hattet ein Verhältnis?“

„Nein.“ Charlene schmunzelt. „Ich habe mich nur mal von ihm vögeln lassen. Oh, Aaron! Ein wahrer Sex-Gott. Und Stellungen hatte er drauf. Und ausdauernd war er. Und…“

„Stopp!“ Meine Stifte im Becher verstaut stelle ich diesen auf den Boden, mein Foto daneben und mache einen Schritt auf sie zu. „Doktor Rush! Dieser Mann war nicht nur weit unter Ihrem Niveau, sondern mindestens dreißig Jahre älter!“

„Zweiundzwanzig Jahre älter.“ Ihr Schmunzeln wird zu einem dreisten Lächeln. „Aber er konnte wie kein zweiter fi…“

Stopp!“ Ich blinzle ihr zu. „Wie lange ging das schon so mit dir und… dem da?“

„Da ging nichts mit mir und Kalli.“ Sie schürzt die Lippen. „Das war eine einmalige Sache. Ein One-Night-Stand. Wir haben uns zufällig in einer Bar getroffen. Er hatte Bock, ich hatte Bock und so haben wir es halt getr…“

STOPP!“ Ich raufe mir das Haar. „Charlene. Mir tun sich gerade Abgründe auf. Was kommt als nächstes? Nein. Sag nichts! Ich will es gar nicht wissen.“ Zeit für eine perfekte Überleitung. „Berger, Charlene. Der ist wenigstens anständig, halbwegs beliebt – oder so – und er fährt voll auf dich ab.“ Bei den Göttern. Ich biete ihn feil wie Sauerbier. „Außerdem ist er Jahrzehnte jünger als dein entschlafener Lustgreis!“

„Ist er gut im Bett?“ fragt sie trocken.

„Woher soll ich das wissen?“ entgegne ich prompt und will mir da jetzt nichts vorstellen!

Kichernd macht sie weiter. „Berger, hm?“

Wie schales Sauerbier. „Charlene. Ich kenne Berger. Er ist ein sensibler Mann und weiß sich bei Tisch zu benehmen.“ Sagt er. „Aber: Stille Wasser sind bekanntermaßen tief. Um der Fairness Willen solltest du ihm eine Chance geben.“ Wenn das mit den beiden was festes wird, färbe ich meine Haare ein halbes Jahr lang pink.

„Berger… So, so… Ich könnte…“ überlegt sie laut und unterbricht sich lachend. „Du magst ihn mehr, als du zugeben willst, hm?“

„Ich helfe nur gern.“ winde ich mich aus der Sache, trete an den Seziertisch und schaue mir Lipinskis Leiche an. „Weißt du, Charlene. Vielleicht hätte er im Leben ein bisschen netter zu allen sein sollen. Dann wäre er im Tod nicht so allein.“ Aber ‚hätte‘ und ‚wäre‘ funktioniert eben nicht.

„Er war halt nicht der Typ für ‚nett‘.“ Sie hebt die Schultern. „Wir hatten unseren Spaß. Eine einmalige Sache. Ohne emotionale Verpflichtung. Aus purer Lust am Sex.“

Meine Hände in Einmal-Handschuhe gesteckt schaue ich ihr kurz in die Augen. „Verzeih. Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Ich war nur kurz… besorgt.“ Danach widme ich wieder dem Chief. Lipinski war gut in Form wie wenige in seinem Alter. Es hat ihm nichts genutzt, der Täter hatte das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Kleiner blauer Fleck am Kinn und der gleiche Schnittwinkel. Tiefer Schnitt, wie bei dem jungen Wellington. Wie der junge Wellington muss auch er innerhalb weniger Sekunden verblutet sein.

Das Telefon der Pathologie klingelt im Hintergrund, Charlene wartet ein paar Sekunden und eilt zum Apparat. Ich mache mich an ein bisschen geistige Arbeit.

Beide Opfer waren nackt, als sie gefunden wurden. Er entkleidet seine Opfer nach der Tötung, wenn ihre Kleidung mit But voll gesogen ist. Das geht nicht, ohne sich selbst zu besudeln. Der Grund für meine Vermutung, er trägt einen Overall – einen dieser Ganzkörper-Kondome für Maler.

Die Kleidung des jungen Wellington ist nicht wieder aufgetaucht. Dave hat seine Leute die ganze Gegend durchkämmen lassen und sogar eine Hundestaffel losgeschickt. Ohne Erfolg.

Bei ‚Kalli‘ wird es ebenfalls so sein, davon gehe ich aus.

Ich nehme an, der Täter vernichtet die Sachen seiner Opfer. Bevorzugt durch Feuer. Sein Andenken hat er in Form ihrer Herzen, das er – Daran habe ich keine Zweifel! – tatsächlich verspeist. Hm… In meinem Hinterkopf braut sich was zusammen. Wer sagt denn, das waren seine ersten beiden Morde? Ein bisschen Telefonieren und Wühlarbeit in den Archiven… Da gibt es bestimmt was zu finden… Er hat den Opfern das Herz herausgerissen, nicht chirurgisch entfernt. Mit der Zunge hat er sich gesteigert, mehr vom Opfer genommen als üblich. Nicht um sie zu behalten. Er will mir die Zunge schicken.

Meinen Gedanken folgend sehe ich Lipinski in den Mund. Keine Zunge. Entgegen der Herzen sauber abgetrennt. Das Opfer hat sich nicht gewehrt, im Rachenraum hat sich kein Blut gesammelt und die Zähne sowie das umliegende Gewebe wurden nicht beschädigt. Lipinski war schon tot.

Meinem Gefühl nach werde ich gerade beobachtet und sehe auf, direkt in Charlenes braune Augen. Ein bisschen zu hastig wendet sch die Pathologin ab und flüstert in den Hörer. „Ja.“ bestätigt sie leise. „Er ist hier.“ Sie nickt. „Ich versuche es.“

Oh. Hab quittiert. Glatt vergessen. Und das am anderen Ende der Leitung ist Brace. Charlene soll mich wohl aufhalten. Nein danke.

In aller Stille verabschiedet, ziehe ich die Handschuhe aus und werfe sie in den Müll, nehme meinen Becher mit den Stiften und das Foto und bin raus, bevor Charlene aufgelegt hat.

Mein Versprechen habe ich erfüllt. Jetzt hält mich hier nichts mehr.
 

Eine kleine – ganz heimelige Abschiedsfeier. Gäste? Einer. Ich.

Ein letztes Mal esse ich in der Polizeikantine. Tacos. Einen und noch einen… Extra Soße…

Kein Getuschel und Gezische, keine dezenten Blicke oder Fingerzeige. Meine Kündigung hat noch nicht die Runde gemacht und ich weiß, Captain Brace hält die Info zurück – in der Hoffnung, mich umstimmen zu können. Ich habe noch was gut bei ihr und sie könnte es. Wenn sie Zugeständnisse macht. Wenn sie Artus aus dem Fall rauslässt. Wenn sie mir in den Ermittlungen freie Hand gibt. Meinetwegen mit Berger als Partner. Aber ich kriege die Leitung!

Klingt hochtrabend, hm? Nahe dran an eingebildet, hm? Ja…

Bei den Göttern. Guckt weg jetzt. Keiner von euch muss mir beim Heulen zusehen. Reicht schon, dass die anderen glotzen. „Echt scharfe Soße!“ rufe ich Wendy von der Ausgabe zu, wische mir mit der Serviette über die Augen und ziehe die Nase hoch. „Was hast du denn da drin?“

„Tabasco und Chili. Ein bisschen mehr als sonst.“ Verwundert runzelt sie die Stirn. „Wohl zu viel, wenn selbst dir die Tränen kommen.“ Ihre Verwunderung weicht Fürsorglichkeit und sie lächelt. „Magst ein Glas Milch?“

Habt ihr euch gleich gedacht, hm? Wendy ist auch auf ‚der langen Liste meiner Eroberungen’. Wir besuchten das Ballett. Herrlich. Schwanensee. Ja. Ich war derjenige mit dem Verbrauch an Taschentüchern en masse.

Pff! Erzählt es doch. Mir egal. Bin längste Zeit Bulle gewesen.

Nur… Bitte bedenkt… Meine Walt Wilson habe ich immer noch. Und den Waffenschein auch. Und Bäuche perforieren kann ich auch ohne Marke!

Bei den Göttern. Sie werden mir alle fehlen. Besser gesagt… Fast alle.

Wunsch und Wahrheit

[]Es ist heikel. Er weiß es und will eigentlich nicht mehr anrufen, wenn sich Detective Aaron Meyers im Departement befindet. Die freundlichen und sanften Stimmen flüstern auf ihn ein, es doch zu tun. Und so tut er es. Er muss sich kurz fassen. Er kennt das Verfahren. Binnen Sekunden ist die Fangschaltung eingerichtet, nach etwa einer Minute haben sie eine Ortung. Und hier, in der Nähe des Reviers, würden ihn die Cops früher oder später finden.

In eine abgeschiedene Ecke hinter einer Hecke aus Buchsbäumen verkrochen wählt er, hört das Freizeichen und lächelt voller Vorfreude. Gleich wird sich Detective Aaron Meyers melden und danach schweigen. Detective Aaron Meyers wird ihm zuhören. Für ein paar Sekunden. Und nur ihm. Gleich.

„Artus.“

„Halli hallo…“ Er unterbricht sich konsterniert. Artus? Und eine Frau? War es die falsche Nummer? Hat er sich verwählt? Er blickt auf das Display. Nein. Verwählt hat er sich nicht. „Wer ist da?“ forscht er nach.

„Sie sprechen mit Carol Artus von der Southern Bay City Police.“ erklärt diese Frau – als sei es anmaßend sie nicht zu kennen und noch anmaßender nach ihrem Namen zu fragen.

Den Bruchteil einer Sekunde braucht er, dann hat er sich gefangen. Höflich, aber bestimmt trägt er sein Anliegen vor: „Ich möchte Detective Aaron Meyers sprechen. Bitte.“

„Hier gibt es keinen Detective Aaron Meyers. Nun ja… Nicht mehr. Der Herr hat den Dienst quittiert. Vor wenigen Minuten.“

Der Tonfall dieser Frau gefällt ihm nicht. Anmaßend und arrogant. Er weiß, Detective Aaron Meyers ist ein guter und mutiger Polizist, der viele Leben rettete. Unter anderem seins. Weiß sie es nicht? Oder weiß sie es und es ist ihr einerlei?

„Um was geht es denn?“ erkundigt sich diese Carol Artus. „Kann ich Ihnen weiterhelfen?“

Er antwortet nicht, beendet das Gespräch. Zorn steigt in ihm hoch. Er fühlt sich seiner Würde beraubt. Und verraten fühlt er sich! Von dieser unverschämten Frau. Von dem gesamten Departement. Am meisten jedoch von Detective Aaron Meyers.

Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen!“ schwört er. Selbst wenn er Detective Aaron Meyers eigenhändig zum Dienst zwingen muss!

Die freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf trösten und erinnern an die vor ihm liegenden Aufgaben. Gewiss wird eines davon Detective Aaron Meyers umstimmen.[]

13 666 13 Oder: Was tun, Aaron Meyers

Oh je. Mein Bauch ist der Meinung, ich habe mich an einem der sieben Tacos überfressen. Mit Sicherheit am letzten… Und Begegnungen der unangenehmen Art finden heute auch kein Ende. Kehrt Marsch und zu Fuß zu gehen. Verdauungsspaziergang und Ausweichmanöver in einem. Zu spät. Ich werde schon angesprochen.

„Diese Artus-Tussi hat mir da was gesteckt. Klang richtig schadenfroh. Aber mal ehrlich… Ist das wahr? Ist das echt wahr?“ Die Arme vor der Brust verschränkt steht Berger an der Fahrertür meines Wagens und fällt fast vom Glauben ab. „Du hast quittiert? Du und quittiert?“

Schlechte Nachrichten verbreiten sich ungleich schneller als gute. „Ja.“

„Wegen dieser Artus-Tussi?“ Seine Antipathie ist nicht nur hörbar.

„Ja.“

Sein Gesicht ist angewidert verzogen. „Jetzt muss ich mit ihr…? Allein…?“

„Ja.“ Eine Sekunde denke ich daran nachzufragen, warum er diese… Unperson nicht leiden kann.

Berger wischt sich über den Mund. „Ich finde das nicht gut, Silberrücken.“

„Ich auch nicht.“ Stifte, Becher und Foto verstaue ich im Kofferraum, komme nach vorn und scheuche meinen Ex-Kollegen von der Tür. „Berger. Ein guter Rat. Halt dir Artus vom Leib so gut du kannst und glaub nicht alles, was sie von sich gibt.“

„Weiß ich alles!“ fährt er mich an, räuspert sich danach und schlägt einen versöhnlichen Tonfall an. „Silberrücken. Du kannst nicht… Ich meine… Du… Du… Das ist abartig! Unnormal! Du? Quittierst? Du kannst doch nicht… Einfach so!“

„Das war nicht ‚einfach so‘, Berger.“ sage ich leise. „Ich habe genug schlechte Erfahrung mit Artus und ihrem Getue gesammelt.“ Für mich ist fast alles gesagt. Mit einem „Bye.“ alles.

„Ja… Mit der Artus-Tussi und ihrem Getue macht man nur schlechte Erfahrungen…“ Berger hebt die Schultern. „In allen Bereichen des Lebens.“ ergänzt er leise und sein Blick fixiert mich, als wolle er mir telepathisch mitteilen, was seine schlechten Erfahrungen sind. Vielleicht wartet er auch darauf, dass ich mich danach erkundige.

Ich tue es nicht und er hebt neuerlich die Schultern – es sieht… hilflos aus. „Dieser Irre hat wieder angerufen.“ erzählt er mir in der Sekunde, in der ich einsteige. „Der Captain vermutet jedenfalls, dass es dieser Irre war. Unbekannte Nummer und er hat sich nach dir erkundigt. Mit der Artus-Tussi wollte er nicht sprechen.“

„Das geht mich nichts mehr an.“

„Doch! Tut es!“ widerspricht Berger und hält meine Tür fest. „Du kannst mich… uns nicht im Stich lassen, weil diese… diese… bekloppte Tussi dein Ego angekratzt hat!“ Er schnappt nach Luft. „Einmal Bulle, immer Bulle! Oder willst du als Kaufhausdetektiv enden? Oder an der Tür von irgendeiner Bank oder Disco stehen? Oder als so ein Privat-Schnüffler, oder so was? Nix da!“ Den Kopf geschüttelt zeigt er hinter sich. „Denk an die Bürger dieser Stadt! Die brauchen dich! Als Cop!“

Derart engagiert kenne ich meinen werten Ex-Kollegen gar nicht. Das ist mir nicht geheuer. Sollte ich mich dermaßen in ihm getäuscht haben? Ich dachte, Berger wäre der erste, der eine Riesen-Party schmeißt.

Mein Ex-Kollege greift in seine Jackentasche. „Das ist deine. Sie gehört dir. Genauso wie du ihr gehörst!“ Er reicht mir meine Marke. „Nimm sie! Und lass uns den Irren Dingfest machen! Ich trete dir auch die Leitung ab!“

„Berger…“ Das ist mir ganz und gar nicht geheuer. „Mal ehrlich. Warum bist du zum Erbrechen NETT zu mir?“

Er lächelt selig. „Rush sagte, du hättest mit ihr gesprochen und… Na ja…“ Ein Seufzer, der klingt wie sein Lächeln aussieht. „Wir gehen essen. Sie und ich…“

„Und…? Was noch?“ Das ist noch nicht alles – schon gar nicht der Hauptgrund. Ich sehe es ihm an.

„Und…“ Berger räuspert sich ertappt und zerrt an seinem Kragen. „Der Captain hat mir eine Gehaltserhöhung versprochen, wenn ich es schaffe dich zu überreden.“

„Ah ja…“ Ich betrachte meine Marke. Meine Dienstnummer ist darin eingraviert. Dreizehn sechshundertsechsundsechzig dreizehn. Ihr wisst gar nicht, wie oft darüber gespöttelt wurde.

„Was ist nun?“ Gespannt und gleichermaßen ungeduldig lässt Berger mich nicht aus den Augen. „Kommst du zurück? Ja?“

Was tun, Aaron Meyers? Sollte ich?

Nur ein Tod.

\\Der viele Kakao. Sundora hat einen Schluckauf. Der erste in ihrem Leben. Darüber kichernd probiert sie die Kleidung von Danielle an.

Lars schaut nur halbherzig dabei zu, mit den Gedanken woanders. Während die junge Frau eine enge Röhrenjeans anprobiert driftet er ab.

Sundora… Seine Gefährtin… Ihrer beider Kind unter ihrem Herzen…

Er streichelt den gerundeten Bauch, spürt die Tritte und lacht. Und während er das tut, geht sein großer Bruder vor ihnen zu Boden. Getroffen, blutend. „Flieht.“ ist das, was er sagt. Dann stirbt er.

Beide tun es, wenden sich um und fliehen.

Aus dem Schatten steht er da. Der Vermummte, ganz in schwarz … Seine Augen glühen wie rote Sonnen. Schwerter. Zwei – ein langes, ein kurzes. Er schaut von Sundora auf Lars. Auf Aaron sehend weint er stumme Tränen. Sein Blick geht zurück auf Sundora und Lars und er hebt die Schwerter.

„Das ist nur ein Tod…“ hört sich Lars sagen und es klingt nach Trost. „Nur ein Tod.“

Der Vermummte nickt kaum merklich. Die Schwerter sausen hinab, blitzen und wirbeln.

Sundora schreit nicht. Sie weint erstickt auf, schluchzt… Und verstummt.

„Wie bitte?“ Lars streicht sich über die Stirn. „Verzeih. Ich war… In Gedanken…“

„Guck.“ bittet Sundora erneut und dreht sich vor ihm. „Ist das gut? Sehe ich aus wie… von hier?“

Lars lächelt. „Ja.“ erwidert er. Die enge Röhrenjeans und ein Pullover von Aaron, der mehr als drei Nummern zu groß ist und ihr an den Knien schlottert. Wie aus einem Modemagazin!

„Lars… Bitte…“ Scheu fasst die junge Frau nach seiner Hand. „Ich… Bitte… Ich m-möchte diese… Welt gern k-k-kennenlernen.“\\
 

//Würde Lars sie gefangen halten? Sie vor allen anderen dieser Welt verbergen? Auch allen Mut zusammengenommen traute sie sich kaum, ihren Wunsch laut auszusprechen.

Lars umschloss ihre Hand, zog sie an seine Lippen und nickte.//
 

\\Es gibt einen Ort in Southern Bay City, der genau richtig ist für Besucher aus der gesamten Welt. Und darüber hinaus. Das Shopping-Center. Wer da keinen Schock bekommt, wer es da schafft – schafft es überall!

Lars küsst die Hand der jungen Frau, nickt und zeigt auf die Stiefeletten, die Danielle ihm gegeben hat. „Probier mal an, ja?“\\

Aufgeben…? Ist keine Option!

Den Blick auf meine… meine Marke geheftet, meine Dienstnummer ertastend und mein bisheriges Leben Revue passierend bin ich von mir selbst überrascht. Im negativsten Sinne! Nach allem Erlebten kneife ich vor einer solchen Unperson wie Artus. Ja… Spinn ich?

Ich gebe es ungern zu, aber… Berger hat Recht! Feigheit steht mir genauso wenig zu Gesicht wie Wehleidigkeit. Aufgeben…? Ist keine Option. War es nie! Vor was laufe ich denn dann das nächste Mal weg? Bei den Göttern! Ich wollte Bulle werden. Ich bin Bulle geworden. Und ich werde Bulle bleiben! Und keine noch so bescheuerte… Unperson sollte mich davon abhalten dürfen!

Berger sieht mich meinen Wagen verlassen. „Was tust du?“ fragt er und verfolgt mich mit den Augen.

„Ein paar Dinge erledigen.“ Ich sehe über meine Schulter. „Die Gehaltserhöhung hast du dir verdient!“

Ja!“ frohlockt mein Kollege. „Strike!“
 

In das Büro fegen hat keinen Stil. Ich klopfe, warte auf Antwort und betrete das Büro meiner Vorgesetzten.

Captain Brace hat vollstes Vertrauen in Bergers Fähigkeiten. Oder sie kennt mich besser, als ich dachte. Oder beides. Jedenfalls liegt meine Seavers bereits auf dem Tisch und das Magazin daneben. Außerdem lächelt Brace – ein seltener Anblick.

„Der Fall gehört mir! Und ich übernehme die Leitung!“ stelle ich meine ersten Bedingungen. „Mein Partner ist damit einverstanden.“ Was bin ich doch für ein Sensibelchen! Vor dem Captain habe ich Berger als meinen Partner bezeichnet. Andererseits… Irgendwie hat er es verdient.

Captain Brace nickt. „Und…?“

„Und! Ich ermittle auf meine Art. Wen ich zurate ziehen möchte, ziehe ich zurate! Alle meine Informanten bleiben ungenannt! Ich werde sie weder mündlich noch schriftlich erwähnen!“

Ein weiteres Nicken. „Damit komme ich klar. Aber das ist noch nicht alles.“ erkennt sie.

Was folgt sind meine letzten und garantiert am schwersten zu erfüllenden Bedingungen. „Ich werde nicht mit Carol Artus zusammenarbeiten. Informationen jeglicher Art werde ich nicht an sie weitergeben. Ich nehme sie nicht mit zu Befragungen außerhalb des Reviers. Meine Ansprechpartnerin sind ausschließlich Sie, Captain Brace.“

„Detective Meyers…“ Mein Captain fühlt sich sichtlich geschmeichelt. „Der Commissioner und die Bürgermeisterin werden sich möglicherweise nicht darauf einlassen. Beide halten große Stücke auf Artus als Profilerin.“

„Das tun sie, weil sich diese… Unperson auf Schleimen, Schmeicheleien und Arschkriecherei versteht.“ Das ist genau das, was auch Brace denkt – sie schmunzelt heimlich. „Wo ist mein Telefon?“ will ich zum guten Schluss wissen.

„Das habe ich!“

Alle Höflichkeit fahren lassend hat diese… Unperson das Büro des Captains ohne Vorankündigung betreten und genießt ihren großen Auftritt.

Sieben Tacos mit allem Drum und Dran sowie literweise scharfe Soße gluckern in meinen Gedärmen. Könnte ich genauso gezielt kotzen wie Julian? Auf die Schuhe? Dann ins Gesicht? Oder umgekehrt? Wir sind im Büro meiner geschätzten Vorgesetzten und allein das hält mich ab, dahingehend zu experimentieren.

Wortlos halte ich die Hand auf.

„Wie heißt das?“ fordert mich Artus heraus und hält das Telefon in die Höhe. „Nun, Officer Meyers?“

Bereits nach dem ‚Nun‘ ist das Telefon nicht mehr in ihren Besitz, was sie erst realisiert, als ich es in meine Tasche stecke.

„Ach? So schnell geht das bei Ihnen? Sehr geschickt.“ Sie macht einen Schmollmund und mustert mich abschätzend. „Waren Sie mal Taschendieb? Offenbart sich eine Teil Ihrer nebulösen – möglicherweise zwielichtigen Vergangenheit?“

Mein Lächeln soll sie interpretieren, wie sie es will.

„Brace…“ ereifert sich diese… Unperson aus diesem Grund. „Dieser Officer hat den Dienst quittiert! Er ist ein Risiko! Er ist übereifrig! Er ist brutal. Er ist…“

„Mein bester Mann!“ fährt ihr Brace über den Mund. „Und ich weiß nichts von einer Quittierung.“ Sie blickt mich an. „Sie etwa, Detective?“

Ich schüttele den Kopf und dieser… Unperson entgleisen gerade die Gesichtszüge.

„Da haben wir es!“ trumpft mein Captain auf und macht ungeniert weiter. „Detective Meyers leitet diese Ermittlung nach seinen Bedingungen! Wollen Sie was wissen, kommen Sie zu mir. Nur zu mir! Meine Leute lassen Sie in Ruhe! Sonst…“

„Sonst was?“ Die Hände in den Hüften blinzelt diese… Unperson meinen Captain feindselig an.

Captain Brace weicht dem Blick nicht aus und bleibt die Ruhe selbst. „Sonst werfe ich Sie eigenhändig aus dem Revier und erteile Ihnen Hausverbot!“

Diese… Unperson ringt nach Worten. Das hatte sich wohl niemals zuvor jemand gewagt. „Der Commissioner und die Bürgermeisterin werden davon erfahren!“ kündigt sie schnippisch an.

„Ja. Tun Sie, was Sie nicht lassen können.“ Brace lächelt, völlig emotionslos. „Und jetzt stehen Sie uns nicht im Weg. Wir haben zu ermitteln!“

Bei den Göttern! Was schätze ich meine Vorgesetzte!

Neue Liga.

Dieser Fall bringt viel Neues mit sich. Für mich Neues, wohlgemerkt. Auf Bitten meiner Vorgesetzten bilde ich – eingefleischter Solo-Ermittler mit aufgezwungenem Partner – ein Team und habe die freie Auswahl unter den besten auf dem Revier. Sogar Leute von anderen Departments und Zivilisten darf ich herbeordern. Was ich beabsichtige zu tun. Eine Liste mit den besten von auswärts und hier habe ich mir längst zusammengestellt.

Die besten… Und Berger. Ihn in den Wind schießen sollte ich tunlichst vermeiden, sonst hocken mir der Commissioner und die Bürgermeisterin gänzlich auf der Pelle.

Mal sehen. Gerrit ‚Ich kann das nicht‘-Berger hat mich heute überrascht. In ihm steckt gewiss einiges mehr und mache ich ein kleines Häkchen hinter seinem Namen. Abgesehen davon… Jedes Team braucht seinen Clown.

Die nächste. Detective Ivy Jones. Sie hat es echt drauf mit Computern! Sie ist die einzige, die sämtlichen Park-Automaten in dieser Stadt ein Gratis-Ticket abluchst. Selbst dem fiesen Gerät am Shopping-Center! Egal was sie mit allen Arten von Rechnern anstellt… Immer habe ich das Gefühl, sie hält sich zurück, um uns beim nächsten Einsatz neuerlich zu beeindrucken. Der ganze Elektronik-Kram ist ihr Metier und der Irre benutzt einen Stimmverzerrer.

Von auswärts steht einer ganz oben auf meiner Liste. Officer Julian Aparo.

Moooment! Denkt nichts Falsches und Unterstellungen sind fehl am Platz!

Berufliches und Privates wird bei mir konsequent voneinander getrennt und ich will Julian aus folgendem Grund in meinem Team: Bisher haben wir nicht herausgefunden, was der Irre zum Kehle durchschneiden benutzt und Julian ist der Experte für Klingen aller Art. Nicht nur Katana und Wakizashi.

Im Gegensatz zu euch weiß ich, mit wem ich es zu tun habe. Klar. Fragt nur. Eine Antwort kriegt ihr nicht. Schwarze Flagge – blutrotes Pentagramm… Spekuliert ruhig ein bisschen. Vergesst es. Keine Tipps!

Nummer vier im Bunde: Sergeant Dave Hollister. Ihn möchte ich unter allen Umständen dabei haben. Ein findiger und feiner Kerl, läuft seit über dreieinhalb Jahrzehnten Streife und kennt sich in dieser Stadt hervorragend aus. Jede Straße, jeden Hinterhof und jede Sackgasse, jeder Schleichweg und jeder Schlupfwinkel. Besser als ein Satelliten-gestützter Stadtplan!

Er weiß mit Menschen umzugehen und kommt erstklassig mit den Kolleginnen und Kollegen von der Hundestaffel aus. Ach ja… Mit den Hunden auch.

Man weiß nie, was man in petto haben sollte, hm?

Top-Favoritin Nummer fünf: Special Agent Jennifer Whalley vom Northern Bay City Bureau of Investigation. Scharfschützin per excellance, ausgezeichnete Ermittlerin und Querdenkerin. Ferner kann sie so ziemlich alles fahren, fliegen, lenken was einen Motor hat.

Die Arbeit mit ihr wird knifflig, sie reißt gern das Kommando an sich und hat ein Problem mit Autorität. Wir könnten Zwillinge sein, so ähnlich sind wir uns. Im Wesen!

Ein paar Mal gerieten wir durch einige Fälle aneinander, stritten uns über die Zuständigkeit und sind letztendlich übereingekommen: Keiner kann den anderen leiden. Bei den Göttern! Scheiß was drauf. Wir sind Profis!

Doktor Roberta Maddern ist die Zivilistin auf meiner Liste. Psychologin, Psychiaterin im Kensington-Asylum und eine bessere Profilerin, als diese… Unperson Artus es je sein könnte. Im Gegensatz zu… der da analysiert Bobby nur, was sie analysieren soll. Nicht meine Kolleginnen und Kollegen. Und mich auch nicht! Genauso wenig steckt sie ihre Nase ungefragt in anderer Leute Vergangenheiten.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben – Bobby ist ein Teil meiner Vergangenheit. Wir waren mal zusammen. Nicht direkt ein Paar. Nur zusammen. Das ist… Na… sechs Jahre her. Besser trifft: Es ist ein Leben her. Lange bevor aus Robert Fletcher Roberta Maddern wurde. Ja. Sie war mal ein homo- und transsexueller Single-Mann und ist jetzt eine heterosexuelle Ehe-Frau.

Trennungsgrund damals war mein Unverständnis – Ich mochte nicht wahrhaben, dass sie eine Frau sein wollte. – und Gerald Maddern. Er liebt Roberta mehr als ich. So wie sie ist. Und so, wie sie es verdient.

Die beiden haben geheiratet, fünf – nein sechs Kinder adoptiert, ein paar Haustiere dazu und führen ein beschauliches Leben in West Bay Corner.

So! Mehr Infos gibt es für euch nicht! Zeit, dass ich mir das Okay vom Captain hole und bei meinem zukünftigen Team vorspreche, Überzeugungsarbeit leiste und sie zusammentrommle – um diesem Irren das blutige Handwerk zu legen.
 

Vorsprechen und Überzeugungsarbeit leisten, Zusammentrommeln und blutiges Handwerk legen muss tatsächlich warten. Obrigkeit sei Dank. Zwar bekam ich das Okay meiner Vorgesetzten für meinen bunt zusammengewürfelten Haufen und sie hat alles in die Wege geleitet, aber Commissioner und Bürgermeisterin haben großes Tamtam gemacht – nachdem sich diese… Unperson bei ihnen über den Captain und mich beschwerte. Wie ein kleines Trotzbalg, dem man den Lutscher weggenommen hat. Echt!

Auf Druck von oben habe ich also keine andere Wahl und muss diese… Unperson in meinem Team aufnehmen. Weigere ich mich kriegt Captain Brace es ab und könnte ihren Posten verlieren, was mir persönlich widerstrebt. Bei den Göttern. Was ein Scheiß!

Alles in mir strebt danach in theatralischster Weise auf die Knie zu fallen, die Arme in die Höhe zu reißen und die Götter um Gnade, Erbarmen und einen schnellen Tod anzuflehen, begleitet von einem lauten anklagenden „Warum?“

Hm… Wenn keiner guckt tue ich es vielleicht.

Zähneknirschend stimme ich also zu, diese… Unperson in mein Team zu lassen. Mit ihr reden werde ich nicht!

Das hinter mich gebracht geht es zurück zum ursprünglichen Plan. Bei meinem zukünftigen Team vorsprechen, Überzeugungsarbeit leistet und alle zusammentrommeln – um dem Irren das blutige Handwerk zu legen. Wie es sich gehört – persönlich! „Berger! Wir fahren!“
 

Interessiert und verwundert zugleich beobachtet Berger die Verrenkungen, die ich am Auto mache und damit versuche meinen Rücken abzutasten.

„Was wird das, Silberrücken?“ fragt er. „Juckt’s irgendwo?“

Kopfschüttelnd wende ich mich von ihm ab. „Hab ich da was kleben? Ein Zettel mit der Aufschrift ‚Folge mir‘?“

„Ne.“ verneint er.

Mit dem Daumen weise ich auf diese… Unperson. „Und warum läuft mir die da ständig nach?“ Bitte tut mir den Gefallen, das ‚die da‘ besonders verächtlich zu betonen!

Mein Kollege hebt die Schulter. „Weiß nicht. Vielleicht will die da ein Leckerli.“ Er betont perfekt und wühlt in den Taschen seines Jacketts. „Hab da noch ‘n Hundebiskuit…“ Und zeigt etwas braunes Undefinierbares zwischen krümelig und pampig. „Für die da sollte es reichen.“

Geht euch das auch so? Berger wird mir immer sympathischer…

Alte Wunden und neue Sichtweisen.

Bei den Göttern! Diese… Unperson will mitfahren! Fragt nicht, sondern fordert. Und das in was für einem Ton! Kaserne ist da nichts gegen und jeder Drill-Sergeant erblasst vor Neid. „Keine Widerrede!“ keift die da. „Ich komme mit!“

Ich hätte ihn doch nach seinen Erfahrungen mit dieser Frau fragen sollen, denn Berger zeigt sich nur bedingt höflich. „Wo will die da denn sitzen? Beifahrer? Hinten? Kofferraum?“ Er grunzt bedauernd. „Leider fehlt uns ‘n Dachgepäckträger. Oder ‘ne Anhängerkupplung. Die da könnte aber auch hinterherlaufen…“

„Ich fahre! Und zwar hinter dem Lenkrad!“ verlangt die da, rote Flecken im Gesicht – der eindeutigen Ignoranz ihrer Person wegen.

„Nix da!“ vereitelt mein Kollege ihren Versuch nach der Fahrertür zu langen. „Klappe halten und draußen bleiben!“

Zutiefst entrüstet schnappt diese… Unperson nach Luft. „Sie vergessen wohl, mit wem Sie reden, Detective Berger!“

„Schön wär’s.“ Berger grunzt erneut und zum ersten Mal sehe ich ihn richtig, richtig zornig. „Wenn Sie nicht so eine Speichelleckerin wären, dürften Sie nicht mal Streife laufen! Sie… Miststück, Sie!“

„Ach… Das ist es? Ja?“ Ihre Stimme schrillt schmerzhaft in meinen Ohren. „Sie, Detective – und allein Sie haben das zu verantworten.“

„Silberrücken… Halte mich zurück, oder ich…“ Seine Fäuste ballt er so fest, seine Knöchel treten weiß hervor und knacken. Jäh wirbelt er herum und steigt auf der Beifahrerseite ein, knallt die Tür hinter sich zu und stiert aus der Seitescheibe. Seine Lippen zittern, er blinzelt heftig und zieht die Nase hoch.

In diesem Augenblick wird mir klar, ich kenne meinen Kollegen nicht und machte mir keine Mühe, ihn kennenzulernen. Was mich durchaus beschämt. Nur weil er mir ungefragt vor die Nase gesetzt wurde habe ich ihn von Anfang an abgelehnt und sein Leben damit nicht leichter gemacht. Heute – nach Feierabend, nehme ich mir vor, gehe ich mit Berger was trinken und ändere das.

„Sie bleiben hier.“ entscheide ich energisch und könnte speien, diese… Unperson direkt angesprochen zu haben. Kaum auf dem Fahrersitz starte ich den Motor. Ehe die da eine Tür zu fassen bekommt, bin ich längst losgebraust und schnalle mich während der Fahrt an. Soll die da meckern gehen. Im Team, ja. Überall mit hinnehmen, nein. Punkt. Zu ihrer eigenen Sicherheit. So werde ich es immer begründen. Doppelpunkt. Im Rückspiegel sehe ich diese… Unperson toben und drohend den Zeigefinger heben.

„Danke.“ krächzt es heiser neben mir. „Ich hätte sie… die da… keine Sekunde länger ertragen.“
 

Auf der Fahrt zum Northern Bay City Bureau of Investigation – das weit entfernteste Ziel auf meiner Liste – schweigen wir. Bergers Schweigen ist wie eben sein Ausbruch. Zornig.

Soll ich fragen? Soll ich nicht?

„Diese… Diese Frau hat meinen Partner und besten Freund auf dem Gewissen.“ sagt er plötzlich und macht meine Überlegung hinfällig. „Auf ihren Rat hin jagt das SWAT-Team los und stürmt und er steckt noch mitten in einer verdeckten Ermittlung.“ Er schnieft. „Starb im Kugelhagel. Noch vor Ort. Verreckt ist er. Elendig verreckt.“ Seine Lippen zittern mehr als vorhin, als er sie zu einem bitteren Lächeln verzieht. „Mich hat sie einfach übergangen und hinterher meine Vorgesetzten davon überzeugt, ich hätte meinen Partner nicht rechtzeitig gewarnt.“ Ein kurzer Blick in meine Richtung. „Und weißt du, was die da macht, um mir das Maul zu stopfen? Diagnostiziert mir eine Psychose an, steckt mich für ein paar Wochen in eine Klinik und sorgt anschließend dafür, dass ich danach versetzt werde!“

„Kensington-Asylum?“ erlaube ich mir die Frage.

„Ja.“

„Doktor Maddern?“

„Genau.“

„Habe sie auf meiner Liste. Gute Ärztin, oder?“

„Die beste.“ Er verschränkt die Arme. „Murrays Tod hat mich mitgenommen. Noch mehr, dass mir keiner glauben wollte und diese Tussi ungestraft meinen Ruf ruiniert.“ Er schnieft wieder. „Von da an war Polizeiarbeit nicht mehr dasselbe für mich. Ich habe das alles so satt und alles kotzt mich an und…“ Er hebt die Schultern. „Irgendwie arbeite ich nur noch auf die Pension hin…“ Er piekt mir in die Seite. „Früher war ich anders, Silberrücken. Da war ich wie du.“ Danach dreht er den Kopf weg und lehnt die Stirn an die Seitenscheibe. „Bist ein guter Bulle.“ murmelt er. „Engagiert, fleißig… All das. Ein guter Bulle halt.“

Ich weiß nicht, was für eine Erwiderung er erwartet und sage, was mir durch den Kopf geht und am meisten Sorgen macht. „Artus ist ein Problem.“ meine ich leise. „Garantiert spioniert sie für den Commissioner und die Bürgermeisterin.“

„Ja. Garantiert.“ stimmt er nicht viel lauter zu – weiterhin an der Scheibe gelehnt. „Und sie fährt uns in die Parade, wo sie nur kann. Um am Ende wieder gut dazustehen.“ Den Blick stur nach draußen gerichtet grinst mein Kollege. „Infos kann sie haben. So viel wie sie will…“ Sein Grinsen wird breiter. „Wer weiß, ob es die passenden sind…“ Wenige Sekunden später verliert sich sein Grinsen und er schaut mich an. „Glaub mir, Silberrücken. Wir sind nicht die einzigen, bei denen die Artus-Tussi was im Salz liegen hat. Frag mal Bernie Christopher von der Fahrbereitschaft in Eastern Bay. Oder Lucille Nygen, die Putzfrau im dreiundsechzigsten. Artus zerstört Leben wie andere Kartenhäuser. Mit einem einzigen Fingerschnipp. “ Seine und meine Sonnenblenden heruntergeklappt lehnt er sich zurück. „Dieser Irre… Der tötet noch… Na ja… human. SCHLITZ und fertig. Die da schleicht sich ein wie Gift und bringt einen ganz langsam um.“ Ein Nicken folgt. „Wie Gift, das du nicht mehr loswirst.“

Seit einem halben Jahr ist Berger mein Partner und das war unser erstes richtiges – nahezu persönliches Gespräch. Es macht mir klar, wie sehr ich mich in ihm getäuscht habe und ich sollte mir Mühe geben, ihn schätzen zu lernen.

Wie sieht’s mit euch aus, hm? Man kann den Leuten immer nur vor den Kopf gucken.

Ein paar Minuten vergehen. Wieder schweigend. Ich fahre an den Straßenrand und halte. Mein Kollege war ehrlich zu mir. Eine große Beichte wird es nicht – aber ich erzähle ihm von meinen Erfahrungen und wie diese… Unperson mit mir umgegangen ist.

Ich spreche von den Bankräubern und von den Geiseln. Und von siebenundzwanzig Toten. Darunter drei Kinder und eine Schwangere. Offen und ehrlich berichte ich von meinem kümmerlichen Versuch, das alles nicht an mich heranzulassen. Meinem Scheitern in dieser Hinsicht und drei Wochen nicht zur Arbeit kommen zu können. Alles soweit überwunden geht der Spießrutenlauf los und gipfelt in der Tatsache, nicht mehr Solist sein zu dürfen.

Wie ich – fast mit Befremden – erkenne ist Berger ein aufmerksamer Zuhörer. Bei meiner Darstellung von Artus Vorgehensweise nickt er beipflichtend, unterbricht mich aber nicht.

Meine Schilderung beendet wird es wieder still im Wagen.

„Tut mir leid.“ unterbricht mein Kollege diese Stille.

Die Augenbrauen zusammen gezogen mustere ich ihn und habe keine Ahnung, was er meint.

„Hab mich von dir mitschleifen lassen.“ ergänzt er. „Statt dich zu unterstützen habe ich dich ausgebremst. War dir ein Klotz am Bein.“

„Hätte dich ja besser behandeln können.“ halte ich dagegen. „Hab mich dir gegenüber immer angestellt wie ein pubertierenden Teenie, der seinen Willen nicht kriegt.“

„Du bist ein Idiot!“ stellt Berger lakonisch fest und lacht. „Macht aber nichts. Ich bin auch einer!“

„Ja…“ Ich kann gar nicht anders und stimme in das Gelächter mit ein. „Idioten. Alle beide.“

Mein Kollege boxt mich gegen die Schulter und streckt mir die rechte Hand hin. „Gegen alle Irren und Verbrecher und die Artus-Tussi. Partner?“

Da gibt es nur eins zu tun. Das Vernünftigste auf dieser Welt. Ich ergreife seine Hand und drücke sie. „Partner!“

Sprachlos.

Zur Mittagszeit verbringen wir unsere Pause in einem kleinen gutbesuchten Bistro. Seine Marke gezeigt hat uns mein Partner Sitzplätze gesichert und für sich Kaffee und Donuts mit Puderzucker und Gelee-Füllung geordert. Ich brauche nach sieben Tacos und literweise scharfe Soße nichts Essbares und bestelle ein Glas Orangensaft, nachdem mir die Bedienung biologischen Ursprung und hundertprozentigen Fruchtgehalt zusicherte.

„Warum ruft er dich an?“ Mein Partner beißt in einen Donut und putzt sich mit der flachen Hand den Puderzucker von der Oberlippe. „Warum keinen anderen vom Revier?“

„Rate, wer am meisten darüber nachdenkt.“ entgegne ich.

„Du.“

Ich nicke. „Ich.“

„Vielleicht kennt er dich persönlich. Oder du ihm.“

Grübelnd nippe ich an meinem Saft. Den Bruchteil einer Sekunde später spucke ich den Schluck über den gesamten Tisch. Begleitet von circa dreien meiner sieben durchgekauten, anverdauten Tacos und einen Teil literweise scharfe Soße. Nicht biologisch und reine Frucht war das auch nicht. Das ist so ein konzentrierter – mit Wasser aufgefüllter Scheiß plus künstlicher Zusätze wie Farb- und Konservierungsstoffe. Bei den Göttern. Meine Tacos…

„Magengeschwüre! Oder Allergie!“ steht für Berger fest und er beguckt sich – erstaunlich gleichmütig – das Malheur auf seinem Jackett, das ich – ohne zielen – hervorragend getroffen habe. „Oder du bist ein Weichei mit empfindlichen Magen! Deswegen immer nur der Bio-Fraß.“

Meine Meinung über meinen Partner sollte ich in vielen Dingen überdenken. Nicht mal der Geruch meines feudalen Mahls – genauer gesagt die scharfe Soße vermischt mit Magensäure – bringt ihn aus der Fassung. Alles was mir einfällt ist ein minder intelligentes Grinsen, eine genuschelte Entschuldigung und das Versprechen, die Reinigung zu bezahlen.

„Klar.“ nickt er und winkt im nächsten Augenblick ab, steht auf und zeigt auf sein Revers. „Mit Anti-Fleck-Ausrüstung. Brauch es nur abspülen.“ Während er sich auf den Weg zu den Toiletten begibt eilt die Bedienung heran, hat die Rechnung parat und komplimentiert mich ziemlich unhöflich wie flott hinaus. Noch unhöflicher und noch flotter, weil ich mich lautstark über den gepanschten Saft beschwere und kein Trinkgeld geben will.
 

Am Dienstwagen gelehnt warte ich auf Berger und schaue in den herbstlich trüben Himmel.

Mein Telefon piept. Das Verlangen dran zu gehen habe ich nicht, denn das Display zeigt an: Unbekannte Rufnummer. Das Schlimmste befürchtend – der Irre – und das Beste hoffend – Julian! – nehme ich das Gespräch nach einmal tief durchatmen entgegen. „Meyers.“

Das blecherne Lachen ertönt. Das Schlimmste also. „Halli hallo, Detective Aaron Meyers… Sehr schön, dich wieder im Dienst zu wissen.“ Er lacht wieder. „Kurz war ich in Sorge, Detective Aaron Meyers. Es hätte mich betrübt, wenn wir beide nicht mehr miteinander spielen.“

Diese Morde sind also nur ein Spiel für ihn. Katz und Maus, wahrscheinlich. Dieser Irre ist nicht nur irre. Er ist krank! Krank und dank dieser… Unperson bestens informiert! Toll gemacht, Profilerin!

„Und Ich hatte schon befürchtet, dich – Detective Aaron Meyers – zur Arbeit zwingen zu müssen.“

Es ist und bleibt ein Monolog. Soll er reden.

„Ich hätte es getan, Detective Aaron Meyers. Und ich hätte es gewiss bewerkstelligt.“ Ich höre ihn seufzen. „Zwar unter Anwendung unfairer Mittel, aber…“ Ein neuerlicher Seufzer. „Der Cop? Der junge mit dem du diese – Du weißt schon! – bösen und schmutzigen Dinge getan hast. Als Druckmittel in meiner Gewalt hätte er dich bestimmt dazu gebracht. Nicht wahr, Detective Aaron Meyers? Ist doch so, oder?“ Sein blechernes Lachen wird gehässig. „Oder… Detective Aaron Meyers… Dein kleiner Bruder…?“

Er wird persönlich und es ist ein Fehler. Um Lars ein Leid antun zu können, muss er mich vorher töten. Der Schwur eines… Nun… Mein Schwur, Lars zu beschützen… Das ist nicht nur Hand aufs Herz und gut. Nur mein Tod entbindet mich davon. Und mich umzubringen ist verdammt nicht leicht!

„Sage mir, Detective Aaron Meyers… Wo bist du jetzt und was machst du gerade?“

Ich sage es ihm nicht. Ich bin jetzt vor einem Bistro, am Dienstwagen gelehnt und mache gerade mein Telefon aus. Ich sollte mir einen neue Nummer geben lassen. Darüber sinnieren will ich jetzt nicht und gucke eine Weile wieder Löcher in die Luft. Gedanklicher Leerlauf. Tut auch mal ganz gut. Der Geruch von billiger Seife mit Blumenduft steigt mir in die Nase. Kurz darauf steht mein Partner neben mir. Sein Jackett komplett kotzfrei und sauber, sein Hemd darunter leicht durchnässt. Um alles sauber zu kriegen hat er sicherlich den ganzen Seifenspender geplündert.

„Sorry.“ meine ich.

„Mach dir nichts draus.“ Berger klopft mir beruhigend auf die Schulter. „Mein Sohn und ich gehen jedes zweite Wochenende zum All-you-can-eat ins Bagel Queen und er stopft die Special Bagels in sich rein. Bis Oberkante Unterlippe. Und die Milchshakes obendrauf.“ Mein Partner lacht mit leuchtenden Augen. „Und jedes Mal kotz er mich auf dem Rückweg voll.“

Ungläubig starre ich ihn an. Er? Er hat einen Sohn? Wie das? „Du? Du hast einen Sohn? Wie das?“

Ja… Doch… Ich bin aufgeklärt. Danke schön. Nur weil ich schwul bin heißt das nicht, ich wüsste nicht woher… Echt mal! Meine Walt Wilson vielleicht nicht, aber… Ich habe meine Seavers mit! Wer lacht da also? Wer möchte unbedingt ein Loch im Bauch? Hand heben reicht! War die letzte Tat deines Lebens! Na? Grr!

Statt einer Antwort kramt er in seiner Geldbörse und hält mir ein Foto unter die Nase. Berger Junior. Wohlgenährter Junge, etwa vier oder fünf und mit unumstößlicher Ähnlichkeit zu seinem Vater. Blondes Haar, grüne Augen und das gleiche Grinsen.

„Sehe ihn nur jedes zweite Wochenende. Und ein paar Tage in den Ferien.“ Väterlicher Stolz schwingt in seiner Stimme. „Trotzdem sind Tyler und ich ein gutes Team.“

„Das wusste ich gar nicht…“ murmle ich. „Du und Vater…“

Das Bild wandert wieder in seine Geldbörse. „Wissen nicht viele.“ entgegnet er. „Rosi wollte mich nicht ehelichen.“ Er seufzt. „Bullen sind nicht für die Ehe geschaffen, meint sie. Außer sie heiraten andere Bullen…“

„Rosi…?“ Spontan fällt mir nur eine Rosi ein und ich starre erneut und weit ungläubiger. „Meinst du Rosanna Jackman? Die Rosanna Jackman? Diese gewiefte Rechtsanwältin? Die den Mafioso Mario Bellusconi freibekommen hat? Bei der sich Gertrudes die Zähne ausgebissen hat?“ Während ich frage, gebe ich mir selbst die Antwort. Oh nein. Die Anwältin meint er bestimmt nicht. Rosanna Jackman hat Stil und Geschmack. Selbst mit dem festen Vorsatz meinen Partner nicht mehr allzu sehr ärgern zu wollen – Gerrit Berger ist nicht nur jenseits von Gut und Böse, sondern auch von Stil und Geschmack.

„Genau die.“

Da fällt mir nichts mehr ein.

„Das ist so bei mir…“ Siegreich grinsend setzt Berger ein Zunge schnalzen hinzu. „Wenn andere Cops die Sekretärinnen vernaschen, vernasche ich die Chefinnen…“ Weiterhin das siegreiche Grinsen zur Schau tragend pflanzt sich mein Partner in den Wagen.

Ich bleibe sprachlos – obwohl das genau der richtige Moment wäre ihn zu fragen, was an den Gerüchten wahr ist, die sich um ihn und Gertrudes ranken.

Das Streben nach Perfektion.

[]Äußerst unerquicklich ist die stoische Ruhe und der unüberhörbare Gleichmut des Detective Aaron Meyers schon. Detective Aaron Meyers weiß partout nicht zu schätzen, was er für ihn tut. Das Töten. Die Tatorte. Die Anrufe. Mittlerweile das Hinterlassen von Nachrichten. Er tut mit jedem Geschenk sein bestes, gestaltet mit viel Liebe zum Detail. Die freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf bestätigen es ihm.

Die Drohungen fruchteten nicht wie erhofft – Detective Aaron Meyers hat keinen Ton von sich gegeben – und er ist geneigt, grausamer zu werden um Detective Aaron Meyers für seine ewige Schweigsamkeit zu bestrafen. In seinen Gedanken hält er inne.

Nein! Er will das nicht. Die freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf sehen das genauso. Von größeren Abweichungen seines Modus Operandi sollte er absehen. Ein Irrtum – und alle Mühe wäre dahin! Er ist seit langem kein Amateur mehr, der sich von seinem Unmut beeinflussen lässt! Schritt für Schritt. Alles nacheinander. Überstürztes Handeln bring keinen Erfolg! Perfektion ist sein Streben – die beabsichtigten Änderungen erfolgen nach Plan und nicht mutwillig – aus einer Laune heraus. Ein paar Geschenke sollen es noch sein, bevor er Detective Aaron Meyers erlauben wird, ihm gefährlich nahe zu kommen.

Das nächste Opfer ist längst auserkoren ein Geschenk zu sein – Zeit die Klinge zu wetzen…[]

Nichts für schwache Nerven. (Achtung! Potentiell irreführender Titel!)

//So viele Wesen dieser Welt – alte und junge, große und kleine, weibliche und männliche – so viele Gerüche. Die Lichter waren grell, die Geräusche laut. Um alles zu sehen drehte sie den Kopf in alle Richtungen, um alles zu riechen sog sie die Luft ein. Vereinzelt schirmte sie ihre Augen vor den vielen Lichtern ab oder hielt sich die Ohren zu.

Lars ließ sie allein gehen, blieb stets ein paar Schritte hinter ihr. Stoppte sie, so stoppte auch er. Hatte sie Fragen war er neben ihr, um ihre Fragen zu beantworten.

Vor einem Laden blieb sie stehen und betrachtete Kleidung, die sie nie zuvor gesehen hatte. Gewebtes Nichts in zarten Farben. Sie befühlte diese Kleidung und wandte sich an Lars. „Was ist das?“ fragte sie und nahm das gewebte Nichts in die Hand.//
 

\\Lächelnd betrachtet Lars das Interesse Sundoras an den Dessous. Er gesteht sich ein, sie in allem einmal sehen zu wollen. „Unterwäsche.“ gibt er Antwort. „Und wenn ich mich recht entsinne… Sundora, du brauchst Unterwäsche!“ Einen Arm um ihre Taille betritt er mit ihr zusammen das Geschäft und freut sich auf die Anprobe.\\
 

//Etwas in dieser Art hatte sie bisher nicht auf ihrer Haut. Das kurze Kleidchen aus gewebtem Nichts fühlte sich herrlich an. In den Spiegel blickend gibbelte sie. Alles war durchscheinend, sie konnte ihre Brustwarzen und den Hügel ihrer Scham erkennen. Lars sagte, er wollte auch gucken. Den Vorhang beiseitegeschoben trat sie aus der Kabine und drehte sich vor ihm. Kaum einen Herzschlag später zuckte sie erschrocken zusammen. Wortlos hatte Lars sie gepackt, zurück in die Kabine geschoben und den Vorhang ruckartig geschlossen. „Also… Sundora! Du, du, du!“

War das ein Vorwurf? „Du wolltest gucken!“ verteidigte sie sich sicherheitshalber.

„Ja… Sicher!“//
 

\\Seit er mit Sundora den Laden betreten hat, will er nicht bloß… gucken. „Ja…Sicher!“ Durch sein Haar streichend, sich das Kinn reibend sucht Lars nach den richtigen Worten. Diese wunderschöne junge Frau steht in einem zartrosa Hauch vor ihm und hat nicht einmal das Höschen an! Seine Reaktion darauf ist unverkennbar.

„Oh…“ bemerkt sie und fasst an seinen Schritt. „Heißt das, dir gefällt was du siehst?“

„Heißt es.“ gesteht Lars und ist gespannt, was Sundora noch anstellt. Sie macht sich an seiner Hose zu schaffen und lächelt – Alles andere als unschuldig! „Ich paare mich so gern mit dir.“ tut sie kund, zieht ihm die Hose bis zu den Knien und ist befreit seine Erektion aus dem baumwollenen Gefängnis. „Oh… Lars… Wollen wir…?“

Die Kabine ist eng und nur ein Vorhang trennt die beiden von der Außenwelt, was Lars ziemlich einerlei ist. Zudem hat die ältliche Verkäuferin gesehen, wie er Sundora in diesen winzigen Raum geschoben hat. Eine Frage der Zeit, bis deren Neugier siegt. Bei den Göttern! Und jetzt…? Was macht er jetzt am besten? Das, was er am besten kann… Handeln!\\
 

//In eine Ecke gedrängt hob Lars sie auf seine Hüften und ließ sie dann etwas sinken.

Sie stöhnte lüstern auf und umschlang ihn mit ihren Beinen, ihre Finger gruben sich in sein rotgoldenes Haar.

Sanft war er jetzt nicht und sie genoss seine sinnliche Zügellosigkeit. Kleine spitze Schreie entschlüpften ihrer Kehle – einer mit jedem seiner rüden Stöße.//
 

\\Sundora ist alles andere als leise. Ihre Lust und ihren Höhepunkt schreit sie heraus. Lars ist noch nicht soweit, stößt ungeniert weiter.

Der Vorhang wird aufgerissen, neben Lars – mit Sundora auf seinen Hüften – steht nun auch die ältliche Verkäuferin in der Winz-Kabine und fällt über dem sich ihr bietenden Anblick fast in Ohnmacht.

Lars ist es egal. Soll sie doch in Ohnmacht fallen – oder zugucken. Die meisten Tabus dieser Welt findet er ohnehin lächerlich.

„Oh… Lars… Oh… Ah… Ja…“ stöhnt Sundora leise und wird lauter. „Ja… Ja, ja, ja… Jaah!“

„Ugah…“

Aha… Die ältliche Verkäuferin taumelt zurück, sinkt fassungslos auf einen Stuhl und fällt tatsächlich in Ohnmacht. Macht nichts. Dieses Kleidchen wird auf jeden Fall gekauft! Mit oder ohne Höschen entscheidet Lars später. Erst noch einmal… Handeln!

„Oh… Lars…“\\

Willkommen an Bord!

„Scheiße! Nein! So eine verfluchte Scheiße. Der Meyers!“ ist die äußerst warmherzige und liebreizende Begrüßung von Special Agent Jennifer Whalley. „Holt mir mal wer eine Knarre! Großkaliber! Oder Panzerfaust! Flammenwerfer tut’s auch!“

„Ja. Ich freue mich auch nicht, dich zu sehen.“ erwidere ich anstandslos und sie lacht.

Auf sie zugegangen reiche ich ihr die Hand. „Tag, Jen. Mein Captain hat deinen Direktor informiert. Ich hoffe, dein Direktor hat dich informiert.“

„Nein. Hat er nicht. Wird er wohl nachholen.“ Meine Hand ergriffen nickt sie und beäugt nun meinen Partner. „Tag Gerry, altes Haus. Was macht das Gehänge? Alles fit im Schritt?“

„Kann ich dir jederzeit demonstrieren!“ Grinsend hält Berger ihr die Hand hin. „Sag wann und wo und wir schieben ein paar Nümmerchen. Wie in alten Zeiten.“

Mal ehrlich, Leute… Sollte ich mich jetzt und hier über irgendetwas wundern?

„Nachher. Tiefgarage.“ Jennifer hebt bedeutungsvoll die Augenbrauen. „Na? Wie wär’s?“

Das Grinsen meines Kollegen wird breiter. „Yeah, Baby! Du und ich. Bis zum…“

„Bitte…“ unterbreche ich die beiden. „Wir sind nicht zum Spaß hier!“ Bei den Göttern! Das kann ja heiter werden!
 

Unsere Unterhaltung führen wir – Berger, Jen und ich – im riesigen Konferenzraum weiter – das ganze Departement würde hier reinpassen – und Jen erfährt aus erster Hand, um was es geht. Der Direktor des Bureau of Investigation Harald Spencer kommt zu spät und somit ist sein Briefing veraltet.

Ich?“ Entgeistert zeigt Jennifer auf sich, anschließend auf mich. „Mit ihm, dem Spacko vom Dienst, zusammenarbeiten? Und der hier leitet die Ermittlungen? Das ist ein Scherz. Oder? Ausgerechnet der Spacko vom Dienst.“

Das höre ich öfter von ihr. Spacko vom Dienst. Kann mir das einer von euch übersetzen? Wie? Lieber nicht? Aha…

Nach langem Hin und Her und einer hitziger Diskussion mit Direktor Spencer gibt sich Jen längst nicht geschlagen. „Ich nehme vom Spacko vom Dienst keine Befehle an!“ meckert sie.

„Jen… Ich bitte dich.“ tue ich mein bestes, sie zu überzeugen. „Wir sind Profis.“

Mit dem Finger auf mich zeigend prustet sie los. „Du? Profi? Du bist ein armseliger Southern Bay City Police Cop!“

„Und du bist eine armselige Northern Bay City…“ Mist! Kein passendes Schimpfwort parat! Geht nur mir das so?

„Zuckerpuppe!“ kommt mir mein Partner zu Hilfe. „Bist lange nicht mehr durchgenommen worden, hm?“

Na! Auf diese Art Hilfe kann ich verzichten.

Wenn Blicke töten könnten, würde Berger als kleines Häuflein Asche vom Stuhl auf den Fußboden rieseln. Er nimmt Jennifer Whalleys bitterbösen Blick mit einem breiten Grienen hin, zwinkert ihr zu und gibt ein geflüstertes „Nachher. Tiefgarage.“ von sich.

Für einige Sekunden herrscht im Konferenzraum absolute Stille. Man könnte eine Stecknadel fallen hören.

Wie ein Orkan braust Gelächter auf. Jen hält sich den Bauch vor Lachen und ihr kommen die Tränen. „Geil wie eh und je!“ urteilt sie. „Oh, Gerry… Du verdammter Hurenbock!“

„Mit Huren habe ich es nie getrieben!“ berichtet mein Partner belustigt. „Hatte ich nicht nötig!“

„Weiß ich…“ japst Jen.

Das erste, was ich mache, wenn ich zurück im Revier bin: Bergers Akte einsehen, in seinem Lebenslauf stochern und in seiner Vergangenheit schnüffeln. Wie viele Frauennamen mir vor Augen kommen…? Und ich bin der Aufreißer? Sicher. Bei den Göttern! Stille Wasser sind echt tief! Jäh denke ich an Charlene. „Bist du gut im Bett?“ rutscht mir die Frage heraus.

Direktor Spencer – Typ erzkonservativer Familienmensch – wird gerade knallrot.

„Um mangelnde Zuwendung kann sich die holde Weiblichkeit jedenfalls nicht beschweren“ übernimmt Jennifer die Antwort und mein Partner kommentiert das alles nur mit einem süffisanten Grinsen.
 

Special Agent Jennifer Whalley zur Zusammenarbeit zu bewegen ist eine anstrengende und ermüdende Aufgabe. Berger übernimmt und hält Fürsprache für mich. Als Cop, als Ermittler und als Teamleiter. Ich hätte es nicht gedacht. Er spricht den Fall ‚Krüppel-Killer‘ an und Jen schaut zu mir herüber. „Den hast du zur Strecke gebracht?“

Ich verneine. „Wir. Berger und ich.“

„In den Zeitungen stand was anderes.“ teilt sie mit.

„Wissen wir…“ murrt mein Partner. „McCormick und Disisto waren die gefeierten Stars.“

Jen kräuselt die Augenbrauen. „Das ist aber nicht gerecht.“

Synchron heben Berger und ich die Schultern. „Der Schläger-Bulle und der verknackste Cop geben nicht derart gute Publicity, wie diese beiden geschniegelten Vorzeige-Helden es tun.“ meint mein Partner ergeben. „Ruhm ist vergänglich.“ ergänzt er. „Die Ergebnisse unserer Arbeit ist alles was zählt.“

„Gerry…“ Jennifer lächelt. „Du hättest hier ins Team gepasst. Bist ja lieber Cop geblieben.“

Die Worte lasse ich eine Sekunde auf mich wirken. „Du hattest die Möglichkeit Special Agent zu werden? In Northern Bay? Und du hast abgelehnt?“ hake ich nach.

„Yep.“ entgegnet mein Partner.

„Warum?“

„Persönliche Gründe.“ schiebt er vor.

„Tyler.“ präzisiert Jen. „Als Special Agent des Bureaus hätte er zu weit von ihm wegmüssen.“

Und ich habe Berger immer für oberflächlich und allein auf seinen Vorteil bedacht gehalten. Bei den Göttern. In meinem bisherigen Leben bin ich mir noch nie so dumm vorgekommen wie in diesem Moment! „Zum Glück für mich.“ erkläre ich. „Jetzt ist er mein Partner.“ Der mir für diese Aussage auf die Schulter klopft.

Special Agent Jennifer Whalley sieht von einem zum anderen und nickt. „Okay. Wird ein Ritt auf dem Vulkan, aber… Ich bin dabei!“

Von meinem Partner kommt ein „Strike!“ und ich nicke. „Willkommen an Bord.“ Wir verabreden uns für den morgigen Tag im Departement der Southern Bay City Police und machen uns auf zum nächsten.
 

Auf zum nächsten und damit ab zum dreizehnten Revier in Bronkston. Officer Julian Aparo.

In meinem Bauch toben Schmetterlinge – seit heute Morgen sind wir uns nicht mehr begegnet und ich hoffe, ich kann meine Wiedersehensfreude bremsen. Ich denke, ich lasse mir von ihm das Revier zeigen. Besonders die dunklen und abgeschiedenen Ecken…

„Officer Julian Aparo. Aparo…Hm… Aparo…“ Meine Liste in der Hand kratzt sich Berger nachdenklich hinter dem Ohr. „Der Name sagt mir gar nichts. Das ist einer von den Cops in Uniform, hm?“

„Ja.“

„Kenne ich ihn?“

„Er hat dir die Schuhe vollgereiert.“ Nach meiner Erklärung frage ich mich ernsthaft, ob es mehrere Cops in Uniform gab, die meinem Partner die Schuhe vollgereiert haben – denn ihm geht noch immer kein Licht auf und er grübelt angestrengt. „Erster Tatort. Rupert Wellington, der Dritte.“ füge ich hinzu und PLING leuchtet ihm das Lämpchen.

„Ach der.“ Automatisch blickt Berger in den Fußraum, auf seine Schuhe. „Ja, ja… Knapp verfehlt.“ Er schaut auf. „Und warum willst du so einen dabei haben?“

Das ‚so einen‘ überhöre ich geflissentlich. „Officer Aparo…“ beginne ich und komme nicht weiter.

„Ach! Alles klar!“ Mein Partner grinst wissend. „Hat dich rumgekriegt, stimmt’s?“

„Rumgekriegt…?“ Wie meint er das? Weiß Berger etwa, ich bin… Und habe… Mit Julian… Keine Panik, Meyers… Mist! Doch Panik! „Was soll das heißen?“ Puh! Wenigstens klinge ich nicht nach Panik.

„Na ja…“ Mein Partner gluckst. „So wie es immer ist. Er will aus der Uniform raus und mit den großen Jungs spielen. Zum Detective werden und das alles. Und du sollst für ihn ein gutes Wort einlegen.“

Mir rutscht fast das Lenkrad aus den Fingern. „Und wenn es so ist?“

Berger bläht die Wangen und pustet die Luft aus. „Wenn du meinst, er ist ein guter Cop…“ Er knufft mich. „Ich hab vor Jahren für Amir Dowdell ein gutes Wort eingelegt. Er ist Detective in Western Bay. Wirtschaftsverbrechen. Mann! Der Bengel hat sich gemacht und von seiner Familie kriege ich heute noch jedes Jahr Thanksgiving einen Kürbiskuchen.“

Gelegenheit macht… Was immer Mann daraus machen möchte.

Bronkston ist eine graue, triste und schmutzige Gegend. Die übelste von United Compass Bay Cities. Keiner will richtig zuständig sein für diesen Bezirk, darum ist es ein unabhängiger – sich selbst überlassener Distrikt, der weder zu Northern, Eastern, Western noch Southern Bay City gehört. Zentral gelegen und doch von allen abgeschieden.

Chief Karl Lipinski war hier sein ganzes Leben. Ist das der Grund für seine stete übertriebene Härte? Hier geboren, lebte und arbeitete er hier – nur gestorben ist er woanders.

„Hmpf!“ grunzt mein Partner, die Fassade des Police Departement musternd. „Könnte mal ein Pott Farbe gebrauchen.“

„Denen stehen nicht die gleichen Mittel wie uns zur Verfügung.“ kläre ich ihn auf. „Von allem haben die hier gerade mal so das Nötigste.“

„Dann ist der Kaffee bestimmt eine Katastrophe!“
 

Auch das Innere des Departements ist in einem jammervollen und beklagenswerten Zustand. Der Putz blättert von den Wänden, die Schallschutzdecken haben Risse und dunkle – auf Wasserschäden hindeutende Flecken. Sämtliche Angeln – ob an Türen oder Fenstern – sind durchgerostet. Klinken und Schlösser genauso und ich habe die Befürchtung einen Türknauf bei leisester Berührung abzureißen. Oder mir kommt plötzlich die ganze Tür entgegen… Wie die Arrestzellen wohl aussehen? Wer hier eingebuchtet wird braucht sich wahrscheinlich um das Misslingen eines Ausbruchsversuchs keine Sorgen zu machen.

Die Tische und Stühle stammen allem Anschein nach von der letzten Sperrmüll-Sammlung und die Computer antiquiert zu nennen ist geschönt. Im halbvollen Wasserspender schwimmt eine grünliche trübe Brühe, die mir beim Vorbeigehen – Wovon ich fest überzeugt bin! – hinterherguckt.

Der oberste Befehlshaber dieser Ruine – Captain Anthony Mateo empfängt uns mit offenen Armen. „Grandios! Geradezu perfekt!“ ist er der Meinung. „Einer meiner Chiefs umgebracht und ein anderer von meinen Leuten wird bei Ihren Ermittlungen assistieren. Bestens, um endlich auf unsere bescheidene Situation…“ Er macht eine weit ausschweifende Geste mit beiden Armen. „…aufmerksam machen.“

Das alles ist für ihn… Publicity? Hat der sie noch alle? Außerdem werden Berger und ich angestrahlt, als seien wir lang ersehnte Heilsbringer. „Wer ist denn der glückliche?“ fragt der Vorgesetzte dieser Dienststelle.

„Aparo.“ erwidert mein Partner und das Strahlen des Captains ist wie weggewischt.

„Aparo? Julian Aparo? Officer Julian Aparo?“ will er wissen.

Berger nickt, ich nicke und Captain Mateo hüstelt.

„Ist das ein Problem?“ frage ich.

Der Captain hüstelt etwas mehr und räuspert sich verlegen. „Officer Aparo ist… Na ja… ein komischer… Also… Typ.“ Hüsteln zum dritten. „Guter Junge, sicher… Aber… Mit ihm will keiner zusammenarbeiten, weil er…“ Er schweigt, weil Julian – eben das Revier betreten – in Hörweite kommt und auf einen Wink des Captains zu unseren illustren Grüppchen tritt.

Von halben Infos hält mein Partner nichts. „Na, Kleiner?“ geht er direkt zum Angriff über. „Warum bist du ein komischer Typ? Und warum will keiner mit dir zusammenarbeiten?“

Um eine Antwort ist Julian nicht verlegen. „Ich bin bekennend schwul und meine Kollegen haben – unter anderem dank der Reden des verblichenen Chiefs – Angst, ich stecke sie damit an.“ Und lächelt. „Officer Aparo.“ stellt er sich vor und reicht Berger die Hand.

„Detective Berger.“ entgegnet mein Partner und greift die Hand des Uniformierten – von Julians offenkundlicher Homosexualität gänzlich unbeeindruckt – um sie unverhältnismäßig kräftig zu drücken. „Das mit den Schuhen nehme ich dir noch übel, Kleiner.“

„Ja, Sir.“ Er nickt mir zu, gibt mir aber nicht die Hand. „Detective Meyers.“

„Officer Aparo.“ grüße ich zurück und mir fallen binnen Sekunden dreihundert Möglichkeiten ein, ihn aus der Uniform zu schälen… Jetzt nicht! Über ihn herzufallen, böser Cop und noch viel böserer Cop… Jetzt NICHT!

So wie er mich ansieht, denkt er fast dasselbe… Abgeschieden und dunkle Ecke… Sofort! Wenn beides nicht geht… Abgeschieden reicht auch!
 

()Hoffentlich weiß Aaron, was er da tut. Julian seufzt von allen anderen unbemerkt.

Später zeigt er Aaron die Asservatenkammer. Den abgeschiedenen und ungenutzten Teil. Zu gern möchte er ihm die Hand geben und drücken und halten… Er tut es nicht. Die Hand ist Julian zu wenig und er wäre versucht, Aaron in eine Umarmung zu ziehen, von einem Kuss begleitet. Er seufzt erneut. Diese wundervollen dunklen Augen, in denen Sterne aus weiter Ferne strahlen… Wie sie in Ekstase leuchten… „Detective Berger. Mögen Sie einen Kaffee?“ Julian lächelt wieder. „Auch wenn es nicht so aussieht, aber in unserer Kantine gibt es den besten.“ Jetzt lächelt er Aaron an. „Und Sie Detective Meyers? Was mögen Sie?“

Nur Julian sieht das Zwinkern. „Kaffee ist nichts für mich.“ Und Aaron wendet sich an den Vorgesetzten. „Captain… Ihrem Revier sollte mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Ich bin sehr gut mit Victoria Hundleby befreundet – Sie kennen Victoria Hundleby vom Stadtrat? – und könnte sicherlich etwas auf diesem Wege erreichen. Ist es denkbar, Sie unterhalten sich mit meinem Partner über alles und Officer Aparo führt mich ein bisschen rum? Um mir ein Bild von Ihrer Situation zu machen und Missstände aufzudecken?“

Zu Aarons und Julians Erleichterung nickt der Captain eifrig. „Das ist eine hervorragende Idee, Detective. Officer Aparo! Ich verlasse mich darauf, dass Sie Detective Meyers nach besten Kräften unterstützen und hundertprozentig zur Verfügung stehen!“

„Natürlich, Sir. Wie Sie es wünschen.“ Julian deutet eine Verbeugung an und zeigt den Weg. „Hier entlang bitte, Detective Meyers.“()
 

Politik zieht immer. Mehr Einfluss haben nur die Medien. Warum wir hier sind ist meinem Partner bekannt und ich kann mich ganz dem Dreizehnten widmen. Und einem gewissen Officer.

Julian zeigt mir alles. Das Revier ist auf einen so was desolaten Stand, abreißen und neu bauen wäre der einzig wählbare Schritt. Ich werde Victoria erheblich auf den Zahn fühlen, was Zuschüsse für das Dreizehnte angeht. Das müssen die von Stadtrat mal auf ein paar Privatjets verzichten. Allen voran die Bürgermeisterin.

Block und Stift gezückt mache ich mir Notizen und gucke in die hintersten Winkel und staubigsten Ecken. Einige von Julians Kolleginnen und Kollegen halten mich für einen aus der Internen und begegnen mir mit feindseligen Blicken. Julian stellt klar und mich vor und ich werde angelächelt, wie mich schon Captain Mateo anlächelte. Diese Heilsbringer-Sache.

„Möchten Sie sich vielleicht die Asservatenkammer ansehen, Detective?“ erkundigt sich Julian und hat da wieder diesen Ton drauf. Heiser und lüstern. Und ich kann mir denken, was mich in der Asservatenkammer erwartet. Na ja… Ich erhoffe es mir.
 

()Die Tür fällt ins Schloss und Julian über Aaron her.

Seit unzähligen Stunden hat er sich nach dessen Lippen gesehnt, nach dessen Berührungen verzehrt. Diese paar Minuten mit Aaron will er sich nicht nehmen lassen.

Die Jacke ist von Aarons Schultern gerafft, die Druckknöpfe des Hemdes sind aufgerissen und hastig macht sich Julian nun an der schwarzen Hose zu schaffen.

Aaron hält seine Hände und schüttelt den Kopf. „Ich bin dran!“ verkündet er, drängt Julian an einem Stapel Kisten mit beschlagnahmten Turnschuhen und küsst ihn schwindelig. „Jetzt hole ich mir einen Snack!“ flüstert er, kniet vor Julian und öffnet Knopf und Reißverschluss seiner Hose.()
 

„Aber… Aber… Aber…“ In seinem süßen Fiepen untergegangen ist es endgültig um Julians Widerstand geschehen und er lässt mich machen. Binnen kurzem stöhnt er leise und fährt mir durch das Haar. „Oh…“ seufzt er. „Mach das nochmal… Ja… Genau das… Oh…“
 

()Sterne tanzen vor Julians geschlossenen Augen, er hört sein Herz pochen und sein Blut rauschen. Aaron hat nicht aufgehört – hört auch jetzt nicht auf und leckt jeden Tropfen von ihm. „Mmh…“ macht er dabei und lacht leise. „Du bist köstlich.“

„Danke…“ Zu mehr ist Julian nicht fähig.

Aaron schaut zu ihm hinauf. „Und?“ fragt er provokant. „Was zeigen Sie mir jetzt, Officer Aparo?“()
 

Julian senkt den Kopf. In seinen goldenen Iriden entbrennt abermals das Glühen von roten Sonnen und er lächelt. „Warte es ab!“ kündigt er an, zieht mich auf die Füße und hat seine Hände unter meinem Hemd auf meiner Haut. Seine Lippen treffen meinen Hals, mein Ohrläppchen und schließlich meine Lippen. Mit unserem intensiven Kuss schmeckt er seinen Samen und ist über den leicht bitteren Geschmack verblüfft, empfindet es aber nicht abstoßend.

Er verwöhnt mich mit Streicheleinheiten, die meinen Lenden nie zu nahe kommen. Nur kurz huschen seine Hände über meinen Schritt, als er meinen Hosenknopf öffnet. Kurz darauf sind seine Hände wieder unter meinem Hemd.

„Du bist gemein!“ zischele ich – mein hartes Glied pocht nahezu schmerzhaft gegen den Stoff und gelüstet nach mehr Zuwendung. In Freiheit!

„Willst du etwa…“ Julian lacht rau. „Soll ich deine Hose ganz aufmachen, Aaron?“ Er küsst mich. „Soll ich dich… anfassen?“ Diesmal wartet er keine Antwort ab, hat ZIPP den Reißverschluss unten und greift zu.
 

()Wenn sie jetzt jemand erwischt… Eindeutiger geht es nicht und Ausreden würde es keine geben! Aaron – nur noch sein Hemd am Leib – hockt auf allen Vieren auf den Kisten. Julian – Hose und Shorts schlottern um seine Knöchel – steht hinter ihm. Über Aarons Rücken und Pobacken kratzend bohrt er sich in dessen Innerstes. „So?“ fragt er. „Willst du das so?“

„Nein!“ keucht Aaron. „Du… hältst dich… wieder zurück… Los, Schatz… Tu es… Werde… wild!“

„Sicher?“

„Sicher!“

Julian tut es. Wird wild. Aarons Hüften im festen Griff dringt er unbarmherzig tiefer. Die Kisten schwanken. „So willst du es haben, nicht wahr?“ raunt er, lauscht Aarons begieriges Ächzen. „Du willst es wirklich so haben!“ erkennt Julian und tritt leise lachend einen Schritt zurück. „Dreh dich um.“ fordert er. „Ich möchte dir in die Augen sehen.“

Aaron leistet dem folge, macht es sich auf dem – mittlerweile einsturzgefährdeten Kistenstapel so bequem wie möglich und zerrt Julian zu sich heran. „Trotzdem!“ heisert er. „Halte dich nicht zurück!“

„Wie käme ich dazu…?“
 

Wild. Und Hemmungslos. Julian lässt sich gehen, blickt in Aarons dunkle Augen und hört das tiefe, kehlige Grollen.

Beide keuchen.

Im Augenblick höchster Lust bricht der Kistenstapel unter den beiden zusammen.
 

Glucksend liegt Julian auf Aaron, Aaron liegt auf einem Bett aus Kartons und Turnschuhen. „Au!“ beschwert er sich scherzhaft.

„Selbst schuld!“ Julian stemmt sich in die Höhe. „Du wolltest es wild. Und…?“ Er lächelt. „Was jetzt…?“()
 

Diese muffige Kammer ist für ein paar vergängliche Minuten unser Liebesnest. Wir genießen die gestohlene Zeit und füllen sie mit Zärtlichkeiten, Küssen und Sex. Mal hart, mal zart.

Auf dem staubigen Boden im Lotussitz kauernd habe ich Julian auf dem Schoß und führe ihn mit sanften Stößen. Von ihm umarmt presst er meinen Kopf an seine Brust und ich höre seinen Herzschlag, sein verhaltenes Keuchen und lustvolles Wimmern.

„Aaron… Oh, Aaron…“ wispert er. „Mein Schatz…“ Er gluckst dieses glückliche Glucksen. „Du gehörst mir und ich gebe dich nicht mehr her!“

Auf Papas und Julians Heimatpla… Nun… Da, wo Papa und Julian herkommen ist das ein ‚Ich liebe dich‘. Papa hat es so oft zu Mama gesagt. Durch meine Mama – sie stammt aus einer… Na ja… ganz anderen Ecke – kenne ich Worte, die darauf zu erwidern sind. Das, was Mama so oft zu Papa sagte.
 

()„Und du gehörst mir. Nur die Endgültigkeit trennt mich von dir.“ flüstert Aaron.

Langsam die Umarmung gelöst hebt Julian das Kinn Aarons und sieht ihm in die Augen. Sein Bekenntnis, Aarons Erwiderung. Innerhalb eines Herzschlages wird ihm klar, für Aaron gibt es keine Wahrheit, die gestanden werden muss. „Du… Du bist…“()
 

Julian beendet den Satz nicht. Selig lächelnd umarmt er mich wieder und lässt sich fallen – getragen von meinen Liebkosungen.
 

()Aaron ist mehr als ‚nur‘ sein Mister Right. Wird es immer sein. Von Beginn an hat sich Julian zu Aaron hingezogen gefühlt, was ihm selbst bisher unerklärlich war.

Die Überrumpelung am Tatort und damit verbunden seine Unfähigkeit, sich in diesem Augenblick Aaron gegenüber beherrschen zu können. Und plötzlich ergibt das alles einen Sinn und es bedarf nur einer einzigen Erklärung: Aaron hat ihn erwischt!()

Äh…?

Widerwillig und herzzerreißend seufzend lösen wir uns voneinander.

„Die Arbeit ruft.“ erinnere ich ungern und wir bekleiden uns. Ich bestehe darauf und schließe an Julians Hose Knopf und Reißverschluss. „Ist Zeit, deinem Captain und meinem Partner Gesellschaft zu leisten.“ Julians Haar kraulend bringe ich es in eine Art Frisur. „Viel lieber möchte ich dir Gesellschaft leisten.“

Mein Schatz nickt, noch immer das selige Lächeln auf den Lippen.
 

Gegenseitig haben wir uns sorgsam hergerichtet, unser Abstecher – Ja! Zweideutig! Ist mir auch aufgefallen! – in der Asservatenkammer wird nicht durch schlampige Kleidung verraten. Allenfalls durch Julians Lächeln.

„Wir werden uns eine Weile nicht wiedersehen.“ flüstere ich ihm zu und prompt ist es weg, sein Lächeln.

„Aha…“ sagt er und lässt die Mundwinkel und Schultern hängen. „Das ist… Na ja… Muss wohl sein… Berufliches und… Privates trennen… Das ist… wichtig…“

Da habe ich klipp und klar das Falsche gesagt – Was mir wahnsinnig Leid tut! – und wenn er jetzt in Tränen ausbricht… Nichts könnte mich aufhalten ihn in die Arme zu nehmen und zu trösten und… Ich bin doch sensibel… Für den, der das witzig findet und meint, meine Kollegen könnte das interessieren: Nicht so sensibel, dass ich nicht mit meiner Seavers rumballern würde.

Captain Mateo und Berger kommen auf uns zu. „Alles in Ordnung, Officer Aparo?“ erkundigt sich sein Captain bei ihm.

„Ach, Sir…“ klagt Julian. „Meine Homosexualität steht mir mal wieder im Weg…“

„Wie bitte…?“ Mein Partner blinzelt mich tadelnd an. „Bist ja der Aufreißer vom Revier – mehr Weiber hat keiner. Nicht mal ich! Aber… Nimmst den Kleinen doch nicht unter deine Fittiche? Etwa, weil er bekennend schwul ist? Hast du auch Angst, das ist ansteckend?“ Er schüttelt den Kopf und schnauft. „Das ist so total diskriminierend, Silberrücken! Und das hätte ich nicht gedacht von dir!“

Sofort mache ich mich bereit, dem zu widersprechen! „Äh…?“ Eine dümmliche Bemerkung, schon klar. Zum Widerspruch gänzlich ungeeignet. Auch schon klar. Mehr fällt mir nur im Augenblick nicht ein. Ich meine… Diskriminierend? Ich? Ausgerechnet ich?

„Mann! Schäm dich!“ ist Berger noch nicht fertig mit mir. „Lloyd Fletcher ist auch schwul. Und? Ein herzensguter Kerl ist er! Dazu zuverlässig, ordentlich und immer hilfsbereit. Mann! Mit ihm kann ich über alles reden! Frauen, Autos, Geldanlagen…“

Ihr denkt sicherlich das gleiche, was ich denke. Wer – Bei den Göttern! – ist Lloyd Fletcher?

Die Frage steht mir wohl auf der Stirn geschrieben und Berger antwortet. „Lloyd und ich kennen uns jetzt seit… X Jahren! Nur bei ihm hole ich mir meine Hotdogs mit extra Kraut!“

Was anderes fällt mir wirklich nicht ein. „Äh…?“

„Keine Kultur, der Bio-Bengel!“ Berger schüttelt den Kopf. „Lloyd steht jeden Montag und Donnerstag vor dem Departement. Dienstag und Freitag hat er seinen Platz vor meinem alten Revier. Und Mittwoch und Samstag steht er im Stadtpark. Seine Hotdogs sind die Besten in ganz United Compass. Da ist noch echtes Fleisch drin und das Kraut macht er auch selbst.“

„Wissen Sie, Sir…“ Julian hüstelt. „Es gibt Leute, die können eben nicht alles essen…“

„Na was…?“ Mein Partner mustert den großen und durchtrainierten Officer Aparo von oben bis unten. „Sag bloß, du bist auch so ein Weichei mit empfindlichen Magen?“ Ein Fingerzeig auf mich. „Wie Silberrücken.“

„Das mag sein, Sir.“ weicht Julian aus und Berger grinst. „Na! Dann passt ihr doch erst recht gut zusammen! Teamtechnisch!“ Mich boxt er gegen die Schulter. „So! Und du lässt alle deine Diskriminierungs-Gedanken mal fahren! Scheint ganz anständig, der Kleine. Trotz Uniform.“

„Äh…?“ Was anderes kriege ich zurzeit echt nicht hin.

„Gut!“ Entschlossen ergreift Berger Julians Hand und schüttelt sie. „Willkommen an Bord, Kleiner. Und wenn der…“ Daumen auf mich. „… dir Ärger macht oder mit Diskriminierung-Scheiß kommt… Du kannst jederzeit zu mir kommen und dich über ihn beschweren!“

„Danke, Sir!“ Julian lächelt. „Das ist sehr nett von Ihnen.“

Hallo? Teamleiter? Ich! Hat Berger das etwa vergessen…? Da sollte ich direkt mal was anmerken! „Äh…?“ Bei den Göttern. Was ein Scheiß! Ich hänge wie eine Schallplatte mit Sprung und das gemeinschaftliche Grinsen von allen bringt mich nur noch mehr aus dem Konzept.
 

Auch Julian werden wir am nächsten Tag auf dem Revier der Southern Bay City Police sehen.

Ich hoffe, mein Schatz findet den Zettel, den ich ihm heimlich zugeschoben habe. Von wegen ‚eine Weile nicht wiedersehen‘. Wie sollte ich das aushalten können? Meine Liebe habe ich ihm gestanden. Ja. Danke. Macht Mann nicht beim… Sekunde. Aufzählen! Abendessen bei und mit Julian – Frühstück im Supermarkt – und eben gerade… dritten Date.

Hey! Seid nicht so hart!

Sonst bin ich der rationale, pragmatische, ordentliche, pedantisch penible… Klar habe ich die eine oder andere Liaison hinter mir. Aber… Wisst ihr eigentlich, wann es mich das letzte Mal so richtig… Mit ganzem Herzen… Bis in die Seele… erwischt hat? Hm?

Einmal bisher. Das erste Mal. Gestern hat es mich erwischt. Julian hat mich erwischt.

Ausgerechnet jetzt erinnere ich mich an das letzte Gespräch zwischen meinem Papa und mir. Als ich – frühreifes Bürschchen – ihm gestand, ich fühle mich nur zum eigenen Geschlecht hingezogen. Mein Papa legte mir eine Hand auf die Schulter. „Es ist egal, ob man eine Frau oder einen Mann liebt. Hauptsache man liebt.“ Sein Blick traf auf Mama – sie badete Lars – und er lächelte zärtlich. „Sieh sie dir an, mein Sohn. Sie hat mich erwischt.“

Mama schaute auf und warf ihm einen Luftkuss zu. Lars nutzte die Gunst der Stunde, der Badewanne und den schruppenden Händen Mamas zu entschlüpfen, über den staubigen Weg zu laufen und in den See zu springen.

Das sind meine letzten schönen Erinnerungen von uns als komplette Familie. Danach brach über unsere kleine friedliche Welt das Unheil…
 

()Den Zettel hat Julian unzählige Male gelesen. Und er tut es wieder unzählige Male.

Mein Schatz.

Verzeih.

Bitte geh mit mir aus. Heute Abend.

Um neun hole ich dich vom Loft ab.

Kuss, Kuss, Kuss

Dein Schatz.

Ordentlich gefaltet schnuppert Julian am Zettel, haucht einen Kuss darauf und steckt das Stück Papier in seine linke Brusttasche, nahe dem Herzen. Nie könnte er Aaron nicht verzeihen und er freut sich schon auf das Date, das – wenn er sich nicht verzählt hat – Date Numero vier ist.

Voller Vorfreude auf den heutigen Abend überhört er einfach die hämischen und abfälligen Bemerkungen seiner Kollegen – allen voran die dummen Sprüche des Quintetts um Chris Stevens. Eine simple Frage bringt sie ohnehin zum Schweigen. „Will wer eine Banane?“()

Freiwillig und unentgeltlich!

\\Das Gesicht hochrot nimmt die ältliche Verkäuferin die ausgesuchten Teile von Lars und Sundora entgegen und kassiert ab. „Ich will Sie hier nicht mehr sehen!“ flüstert sie pikiert beim Einpacken in eine unverhältnismäßig große Tragetasche aus Papier. „Ich führe ein sauberes und diskretes Geschäft! Und keinen… keinen… Sex-Shop oder einen… Amüsierbetrieb!“

„Wir haben Teile Ihres Sortiments einzig und allein auf Funktionalität getestet. Völlig freiwillig und unentgeltlich dazu!“ erwidert Lars ungerührt, zahlt und nimmt die Tasche entgegen. „Sollte Sie also irgendwann irgendjemand fragen, ob alles reizend genug ist, können Sie es getrost bejahen.“

„Hinaus!“\\
 

//Sie harkte sich bei Lars ein, schmiegte sich an ihm. „Diese Frau…“ fragte sie flüsternd. „Warum war sie so erbost?“

Statt Worte antwortete Lars mit einem anzüglichen Lächeln.

„Weil wir uns gepaart haben?“ fragte sie weiter.

„Genau deswegen.“

„Oh… Aber… Ist denn die Paarung auf dieser Welt nichts Schönes?“

„Schon… Allerdings nicht in der Anprobe eines Wäschehauses…“

„Oh…“ Sie spürte die Hitze auf ihren Wangen. „Wir dürfen uns nicht überall paaren.“ kam sie zum Schluss.

„Hm…“ grübelte Lars. „Ich denke, wir dürfen uns doch überall paaren!“ Er lachte. „Wir dürfen uns nur nicht überall erwischen lassen.“

Sie sah zu ihm hinauf. „Und was tun wir, wenn ich… Also… mich nochmal mit dir paaren möchte?“

„Na was…“ Lars nahm ihre Hand, beschleunigte seine Schritte und zog sie einfach hinter sich her. „Handeln!“//
 

\\Diese Welt hat so viele Dinge zum Kennenlernen. Lars hat vor, Sundora die meisten dieser Dinge zu zeigen. Er fängt mit etwas kleinem an. Das Innere eines Passbild-Automaten.\\

Verhörmethoden

Auf zu Dave Hollister, den Berger und ich nicht im Revier der United Compass Bay Cities Police Hundestaffel antreffen werden, wie uns Vladimir Koslowski mitteilt. „Njet.“ sagt er. „Dave ist Zuhause. Hat Rest von Tag frei bekommen.“

„Hat der es gut!“ seufzt mein Partner.

„Zuhause…“ Ich seufze. „Ich weiß, wo ich jetzt noch lieber wäre!“ In Gedanken bin ich bei Julian und muss mir einen Seitenhieb von Berger gefallen lassen. „Klar! In den Armen einer schönen Frau.“ meint er. „Oder weniger schön? Hauptsache Frau, was?“ Der nächste Hieb. „Du fällst doch über alles her, was Titten hat und nicht bei drei auf den Bäumen ist.“ Ein dritter Hieb ist auch noch drin. „Ach, Silberrücken… War ein Scherz…“

„Ha, ha! Ich lache…“ knirsche ich durch fest zusammengebissene Zähne und bin nahe dran, in mein altes Muster zu fallen. Würde sich mein Partner über ein drittes Nasenloch freuen…? Frage ich ihn doch mal… Meine Finger habe ich am Holster – am Griff meiner Seavers und…

Ich muss das auf später verschieben. Vlad gibt uns einen Zettel mit Dave Hollister Privatadresse.

Ein Blick darauf und Berger jammert. „Heute geht es für uns einmal querbeet durch United Compass.“ mäkelt er, dabei braucht er kein Stück des Weges laufen.

Ich werfe ebenfalls einen Blick auf den Zettel. Dave wohnt im Caravan-Park in Eastern Bay City. Na! Die heutige Sprit- und Spesenabrechnung wird Captain Brace nicht gerade gefallen. Kein bisschen. Außerdem habe ich keine Ahnung, wie er das macht – aber mein Partner hat wieder Hunger!

Diesmal warte ich im Wagen, bis er sich aus dem Schnellimbiss etwas geholt hat. Ganz Partner hat er gefragt, ob ich auch etwas möchte – und ganz Berger hat er gefragt, ob ich ihm ein paar Kröten borgen könnte – nicht ohne zu versichern: „Kriegst es wieder!“

Nun sitze ich hier – garantiert etwas länger, denn mein Partner wird sich mit Sicherheit wieder als Geißel der Toilettenschüsseln beweisen – und drehe am Radio, hänge meinen Gedanken nach und hole mein Telefon aus der Tasche, weil es piept.

Unbekannte Nummer.

Bei den Göttern. Was ein Scheiß. Mir das Geschwafel von dem Irren anzuhören… Darauf habe ich partout kein Bock.

Unbekannte Rufnummer.

Es könnte Julian sein. Ich riskiere es. Auflegen kann ich immer noch. „Meyers.“

„Hey…“

Das Risiko hat sich gelohnt. Es ist Julian! „Hey!“

„Na…“ Er gluckst.

Ich steigere es mit einem: „Na, du…“ Und muss ebenfalls glucksen. „Zettel gefunden…?“

„Ja!“ Julian seufzt. „Hör mal… Wegen heute Abend…“ fängt er an. „Aaron… Das ist so…“

„Du willst absagen!“ lasse ich ihn gar nicht zu Wort kommen. „Scheiße auch! Vergiss das mal! Um neun bin ich bei dir! Und dann schleife ich dich an – Was immer ich von dir zu packen bekomme! – aus deinem Loft und…“

Amüsiert lachend unterbricht er mich. „Dann sollte ich nicht nackt vor dir stehen, hm?“

Und genau das stelle ich mir gerade bildlich vor. „Wäre gar nicht übel.“ überlege ich. „Dann würde ich dich… festnehmen… Wegen Erregung nicht öffentlichen Ärgernisses… Oder… Versuchte Beamtenbestechung… Oh ja…“ Jetzt lache ich. Unheilvoll. „Muahuaha! Und wie fest ich dich nehmen würde…“

„Sprich nicht weiter!“ fiept Julian. „Sonst kriege ich das Bild gar nicht mehr aus dem Kopf.“

Ein Grund für jetzt – erst – recht! „Ich wette, ich muss dich… verhören… Dich abklopfen und… ausquetschen… Ich werde dich überall… anfassen!“ Ein weiteres unheilvolles Lachen an dieser Stelle. „Und du sagst mir, was ich hören will… Glaub mir! Du tust es!“

„Aaron… Schweig!“ haucht Julian atemlos. „Bitte!“ Und japst. „Wenn du wüsstest, was du angerichtet hast! Ich brauche einen Eisbeutel!“

„Hm, hm… Kühl schön!“ Was folgt ist Pflicht! „Ich reibe dich nachher warm… Und prüfe die Temperatur… An deiner…heißesten Stelle… Selbstverständlich mit dem Mund.“ Ich schnalze mit der Zunge und schmatze. „Ich lecke jeden Millimeter deines harten Schafts…“ Wieder Zunge schnalzen und schmatzen. „Mmh… Ich kann dich beinahe schmecken…“ Schmatzen, Zunge schnalzen und schmatzen. „Und du schmeckst… köstlich… Mmh…“ Schmatzen. „Oh ja… Richtig köstlich.“

„Du… Aaron… Du… Ich…“ stammelt mein Schatz. „Hrrr…“ Und der Eisbeutel ist damit überflüssig.

Keuchend ringt Julian nach Luft. „Das… kriegst du… wieder!“ kündigt er an. „Nachher… Um neun…“ Er schluckt trocken. „Oh Mann! Ich mache… jetzt Feierabend!“

„Mach das. Schonung ist das Beste für dich.“ stimme ich ihm zu. „Andernfalls bist du mir nachher zu… schlapp…“

„Oh… Du! Duuh!“

„Ach je… Da kommt mein Partner… Muss Schluss machen! Bye, Schatz.“ Und aufgelegt.

Bei den Göttern. Julian wird heute Abend sonst was mit mir anstellen. Und ich freue mich darauf!
 

()Das Herz klopft ihm bis zum Hals und noch völlig aufgewühlt schaut Julian auf das Telefon. Nachher. Um neun. Und Aaron wird schon sehen, was er davon hat!

Von Kolleginnen und Kollegen so ungesehen wie möglich eilt er in die Umkleiden, um wenig später – gewaschen und umgezogen – Captain Mateo mittzuteilen, er nimmt für heute ein paar Überstunden und macht den Rest des Tages frei.

Der Captain hat nichts dagegen, wünscht ihm für morgen eine gute und angenehme – vor allem Publicity-trächtige Zusammenarbeit mit der Southern Bay City Police und verabschiedet ihn in den Feierabend.

„Oh, Aaron!“ flüstert Julian, auf dem Weg zur Bushaltestelle. „Das kriegst du alles wieder!“()
 

Des Öfteren mustert mich mein Partner vom Beifahrersitz aus. „Hast du was geraucht?“ fragt er und schnüffelt im Wageninneren. „Du grinst so.“ liefert er die Erklärung für seine Frage, nachdem er nichts Verdächtiges – außer seinen Fast Food-Ausdünstungen – erschnuppert.

„Ne.“ erwidere ich und grinse direkt ein bisschen breiter.

„Sondern…?“ horcht er nach.

„Ach… Nichts…“ Und ich lache leise.

„Hab gesehen, du hast telefoniert.“ Berger wendet sich mir komplett zu. „Der Irre war’s nicht, sonst würdest du nicht so grinsen. War’s eine heiße Schnalle?“

Der roten Baustellenampel wegen drehe ich den Kopf in seine Richtung, schaue ihn an und hebe – immer noch grinsend – meine Augenbrauen. „Berger…“

Begierig auf Einzelheiten setzt sich mein Partner aufrecht und behält mich unablässig im Blick. „Ja…?“

„Der Gentleman genießt und schweigt!“

Ernüchterung, direkt im Anschluss Bewunderung. „Dann war’s eine brandheiße Super-Schnalle!“

Brandheiß. Zweifellos! Nun seid ihr gefragt und sagt mir mal bitte… Was heißt Schnalle in männlich? Schnaller? Oder Schnallerich? Hey! Das war ernst gemeint!

Bei den Göttern! Ist das so witzig? Ja? Ja dann… Ich zeig euch noch was Witziges… Na? Klein, kümmerlich, macht aber PENG. Wer will als erstes erschossen werden?

„Steck deine Seavers weg!“ ordnet mein Kollege an. „Die Leute gucken schon. Und du hast gleich grün!“

Ich sehe keine ‚die Leute‘. Nur eine alte Dame mit Rollator neben uns auf dem Gehweg, die von der Waffe in meiner Hand in mein Gesicht stiert – vermutlich um es sich für eine genaue Täterbeschreibung einzuprägen – und sich wer-weiß-was zusammenreimt.

Aus reinem Anstand lasse ich meine Marke blitzen, zeige mein charmantestes Ich-kann-doch-keiner-Fliege-was-zu-Leide-tun-Lächeln und verstaue Waffe und Marke wieder, nicke höflich und winke kurz und gebe Gas.

Meine Marke und mein charmantestes Ich-kann-doch-keiner-Fliege-was-zu-Leide-tun-Lächeln haben die alte Dame nicht überzeugt. Laut und deutlich blökt sie uns hinterher und nach der: „Polizei!“

„Kaum in Eastern drin und Silberrücken hat schon sein erstes kreischendes Fangirl.“ spöttelt Berger. „Geht schnell bei dir.“
 

Eastern Bay Cities Caravan-Park gleicht eher einer Kleingärtner-Siedlung. Viel Grün und überall halten die Nachbarn ein Schwätzchen am Zaun oder vor den Wohnwagen sitzend. Andere sind geschäftig, jäten Unkraut und rupfen, was es zu rupfen gibt. Kinder spielen in den Schlammpfützen, die der letzte Regen hinterlassen hat und springen darin herum. Eines der Kinder – ein Junge in Tylers Alter – ist nah an Berger, hüpft munter durch die Pfütze und besprenkelt das Hosenbein meines Partners mit dem matschigen Nass.

„Na!“ brummt dieser streng und das Kind verharrt stocksteif vor Schreck.

Berger… Das mir unbekannte Wesen. Ich rechnete fest damit, er schnauzt das Kind an. Nichts dergleichen. Lachend macht er einen Satz in die Pfütze und steht bis über die Knöcheln im Morast, watet darin herum und hat sichtlich seinen Spaß.

Die gesamte Kinderschar versammelt sich am Rand der Pfütze und verfolgt das Schauspiel mit gespannten Mienen.

„Oh Scheiße!“ ruft mein Partner mittendrin. „Hab Wasser in den Schuhen!“ Und er macht weiter den Clown. Die Schuhe ausgezogen und in die Höhe gehalten latscht er auf Strümpfen durch die trübe Brühe. „Oh Scheiße! Meine Socken sind ja jetzt auch nass! Wie konnte das denn passieren?“

Die Kinder biegen sich förmlich vor Lachen.

In dieser Sekunde bin ich mir sicher, mein Partner ist ein guter Vater.
 

Breit grinsend verlässt Berger die Pfütze, winkte den Kindern und setzt sich auf eine kleine Gartenmauer. Die Socken zieht er aus, wringt sie tüchtig und zieht sie wieder an. Seine Schuhe darüber geht er ein paar Schritte. SPLIRT SPLART SPLIRT. „Gut, dass ich hinten im Wagen noch Ersatz habe.“ meint er.

„Ersatz?“ frage ich und er nickt. „Mann! So oft, wie mir auf die Schuhe gekotzt wurde. Oder durch was für Matsch ich schon gelatscht bin…“ Er nickt wieder. „Trockener und sauberer Ersatz ist Gold wert!“ Um die Schlüssel gebeten macht er sich – SPLIRT SPLART SPLIRT – auf dem Weg zum Dienstwagen, während ich mich auf dem Weg zu Sergeant Dave Hollisters Caravan mache.
 

Nach ein paar Schritten stehe ich vor Sergeant Dave Hollisters Wohnwagen. Nicht der größte im Park, aber unverwechselbar. In der üblichen Lackierung eines Streifenwagens gehalten. Schwarz und weiß und schwarz. Auf dem Dach prangt sogar eine Blaulicht-Leiste. Der Anblick lässt mich grinsen.

Bevor ich die Stufen zur Tür gehen und anklopfen kann meldet sich mein Telefon.

Unbekannte Rufnummer und ich rechne fest damit, diesmal ist es nicht Julian. „Meyers.“

Das blecherne Lachen ist zu hören und ich sehe mich bestätigt. „Halli hallo Detective Meyers. Wieder unterwegs?“

Ich überlege, diesem Irren mal tüchtig die Meinung zu sagen. In der nächsten Sekunde verwerfe ich diesen Plan wieder. Worte – gleich welcher Art – würden diesen Irren nur ermutigen und ich habe im Gefühl, Ermutigung braucht der Irre beim besten Willen nicht.

„Du willst wirklich nicht mit mir reden, Detective Aaron Meyers, nicht wahr?“

Nein. Will ich nicht.

„Das nächste Geschenk ist bald fertig, Detective Aaron Meyers… Freust du dich schon? Bist du schon neugierig? Soll ich dir einen Ti…“

Knopfdruck und aus.

Und was ist mit ihm und seinen Wünschen?

[]Warum nur will Detective Aaron Meyers nicht mit ihm sprechen? Ist er nicht höflich genug? Oder zu wenig massiv? Soll er doch anfangen zu fluchen? Wieder vulgär werden, wie sehr es ihm auch widerstrebt? Ist es wirklich zu viel verlangt für Detective Aaron Meyers, mit ihm ein Wort zu wechseln? Ist es wohl! Denn wieder einmal hat Detective Aaron Meyers mitten im Satz aufgelegt!

Das Telefon in seiner Hand knirscht bedenklich als er zudrückt und er muss tief Luft holen um sich zu beruhigen, überhört sogar die freundlichen und sanften Stimmen, die ihn um Geduld bitten.

„Geduld? Immer nur Geduld? Und was ist mit mir und meinen Wünschen?“ fragt er die freundlichen und sanften Stimmen im vorwurfsvollen Ton. „Ein bisschen Anerkennung für meine Kunst? Lob? Beifall? Nichts!“ Mit erzwungener Ruhe legt er das Telefon aus der Hand. „Sogar die Presse wird von Detective Aaron Meyers rausgehalten! Nichts in den Zeitungen! Nichts in Radio und Fernsehen! Mit keinem Wort werden meine Werke erwähnt!“ Tränen der Enttäuschung laufen ihm die Wangen entlang. „Detective Aaron Meyers nimmt mich nicht ernst, sieht in mir nur einen… einen… Pausenclown!“

Die freundlichen und sanften Stimmen brauchen lange, um ihn zu beschwichtigen. Seine Wut ist sein Feind, erklären die freundlichen und sanften Stimmen.

Einsichtig nickt er. „Ich weiß es doch!“ Und seufzt tief und unglücklich. „Warum lehnt mich Detective Aaron Meyers ab? Warum verachtet er mich so sehr? Warum will er nicht mit mir reden? Soll ich jemand… anderes anrufen? Jemand, der mich nicht wegdrückt? Mir stattdessen zuhört? Mit mir spricht?“ Wagt er es in einem solchen Fall ist es ein großer Schritt. Eine enorme Änderung seines Modus Operandi und damit eine potentielle Gefahr zu früh entdeckt zu werden. Aus diesem Grund berät er sich mit den freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf. Alle zusammen fragen sie sich, wer es denn wert wäre. Namen werden genannt und sie wägen ab. Plötzlich der Einfall und eine jähe Entscheidung. Die freundlichen und sanften Stimmen sind mit der Wahl einverstanden – begeistert sogar! Jetzt muss er sich nur noch die passende Nummer besorgen. Doch zuerst…[]

Eintausend einhundert und eins. Plus eins.

Tatsächlich steht mein Partner wenig später neben mir, trockene Socken und Schuhe an den Füßen. Den Trick mit dem Ersatz sollte ich mir merken. Der ist gut!

Die erste Stufe emporgeklommen kommt eine ältere beleibte – mir nicht unbekannte – Dame meinem Klopfen zuvor. Die Tür des Wohnwagens von innen geöffnet, tritt sie einen Schritt heraus und bleibt auf der obersten Stufe stehen. Damit ist sie über einen Kopf größer als ich, der ich weiterhin auf der untersten Stufe harre. „Dave! Davie! D. J.! Dave Joseph Hollister!“ ruft sie in alle Richtungen. „Essen ist fertig!“ Erst im nächsten Moment beäugt sie meinen Partner ein bisschen und mich ein bisschen mehr. „Aaron? Das bist doch du, oder? Aaron Meyers?“

Ich nicke und Mildred Hollister strahlt. „Aaron! Lieber Junge! So im feinen Zwirn nicht, aber am Haar hab ich dich gleich erkannt! Was bist du groß geworden! Der Uniform entwachsen! Und ein Detective jetzt! Ja, ja… Das habe ich ja immer gesagt! Kannst alle hier fragen! Der Aaron, der macht sich!“ Alles, ohne einmal Luft zu holen. Hinzu gefügt noch folgendes: „Warum hast du dich nicht gemeldet? Lass dich ansehen und komm in meine Arme, mein Junge!“

Bevor ich fliehen oder mich dagegen wehren kann werde ich schon von ihr umschlungen, an ihre massigen Brüste gedrückt und ringe mit dem Tod um jeden Happen Luft. Ein epischer Kampf, dessen Ausgang ungewiss ist.

Die Umarmung wird fester und ich vermag mich nicht daraus zu lösen. Ergo doch nicht so ungewiss… An Atemnot werde ich jämmerlich dahinsiechen… Ich kenne eintausend einhundert und eine Art zu sterben. Damit eintausend einhundert und eine Art zu töten. Dank Mildred Hollister sogar plus eins… Ausgefallen, aber wirksam… Von überschwänglichen Muttergefühlen zerquetscht.

So wie Sergeant Dave Hollister mein väterlicher Freund ist, sieht sich dessen Frau – Mildred – wohl als Ersatzmutter. Besser: Als Ersatzübermutter, die mich mit ihrer Zuneigung erstickt. Und mein Partner? Rettet er mich? Nein! Er lacht! Hoffentlich drückt Milly ihn gleich genauso! In meiner Verzweiflung starte ich einen Hilferuf. Ein kaum hörbares „Hnf…“ ist alles, was ich zustande bringe und habe damit mein letztes Quäntchen Vorrat an wertvoller Luft verschwendet. Jetzt gilt es. Jetzt ist Schluss. Adieu, du schnöde Welt! Einen Eichensarg, bitte. Naturbelassen.

„Milly! Lass mal besser los!“ höre ich die – mich vor dem Erstickungstod rettende Stimme des Sergeants. „Der arme Junge läuft ja schon blau an!“

Mildred tut es, nachdem sie mich noch einmal kräftig herzt. Bei den Göttern! Diese Frau hat mehr Kraft in den Armen, als manch anderer in den Beinen und was da bedenklich knackt sind meine Rippen… Japsend taumele ich ein Stück zurück, stolpere rückwärts die eine Stufe herunter – einigermaßen das Gleichgewicht haltend – und bin unfähig irgendetwas zu sagen.

An der Außenwand des Wohnwagens gelehnt sortiere ich meine Lungenbläschen und Rippen.

Meine Hoffnung auf Gerechtigkeit geht gleichermaßen dahin. Mildred Hollister gibt Gerrit Berger nur die Hand, lächelt und spricht direkt eine Einladung zum Essen aus. Natürlich. Mein Partner nimmt direkt an. Wo lässt er das alles?

Milly fragt mich auch, nur kriege ich keinen Ton raus und fühle mich wie sich ein gepresster Ballon fühlen muss.
 

So einfach und pragmatisch meine Wohnung eingerichtet ist, so überladen wirkt das Innere des Wohnwagens des Sergeant und seiner Frau. Die Wände hängen voll Fotos und Postkarten, alles gerahmt. Auf Regalen türmen sich Nippes-Figürchen – hauptsächlich Frösche – von Mildred und Dave gleichermaßen gesammelt.

Gemütlich ist es. Der Geruch von Gemüseeintopf zieht durch den Wohnwagen. Milly kocht hervorragend. Als ich noch ein blauer Junge war, durften Lars und ich des Öfteren bei den Hollisters essen. Mildred hat für uns Meyers-Bengels immer extra gekocht, da wir doch… Nun ja… empfindlichen Mägen haben und nicht alles essen und trinken können.

Damals wohnten Dave und Milly noch in Southern Bay. Reihenhaus in einer kleinen Siedlung, in der alles gleich aussieht. Tagein tagaus der gleiche Trott. Bis beide die Nase davon voll hatten. Sie haben keine Kinder, also brauchten sie dahingehend keine Rücksicht nehmen. Hier ist immer was los, wie Mildred gerade berichtet, während sie meinem Partner und mir die Teller hochvoll macht.

Auch Dave bekommt eine große Portion und sie streicht ihm über das graue Haar und den Rücken.

Ab und an schimpft Dave auf seine Frau, nennt sie einen Drachen – erst gestern noch, am Tatort. Aber jetzt… Er hebt den Kopf, spitzt die Lippen und kriegt seinen Kuss.

So was möchte ich im Alter auch haben. Ja… Da kommt wieder das Sensibelchen in mir zum Vorschein. Erzählt es im Revier! Tut euch keinen Zwang an! Macht nur eure Witze! Bitte sehr! Wenn ihr später mal einsam und verlassen in irgendeiner Bingo-Halle sitzt und ich – Arm in Arm mit Julian – daran vorbeiflaniere… Dann lache ich! Und nur um euch Alleinstehende zu ärgern küssen und befummeln wir uns vor euren Augen, bis ihr einen Herzinfarkt bekommt! Selbstverständlich kann ich euch dieses Schicksal auch ersparen. Hier und jetzt. Dazu brauche ich nur meine…

„Aaron!“ tadelt Milly, neben Dave Platz genommen. „Keine Waffe am Tisch!“ Sie hält die Hand auf, nimmt mir – Euer Glück! – die Seavers ab und legt sie hinter sich auf eine kleine Kommode. „Nach dem Essen hast du sie wieder.“ Sie zwinkert meinem Partner zu. „So war er früher auch. Immer die Pistole in der Hand und damit rumfuchteln und…“

Bei den Göttern! Will sie etwa… Aus meiner Zeit als blauer Junge… Das muss ich verhindern! „Äh…?“ Mal ehrlich. war doch ein ziemlich guter Anfang, oder? „Wir sind hier, weil…“ Ja. Weiter so, Meyers! Du schaffst das! „Dave… Wir haben da was vor und ich möchte dich im Team.“ Yeah! Ich bin stolz auf mich! Mildred das Wort abgeschnitten und ohne weitere ‚Äh…?‘ direkt auf den Punkt. Bin ich gut, oder bin ich gut? Wie? Warum sollte ich das Julian fragen? Hm? Ach so… Ja. Ich werde gerade rot…

„Eine Sonderkommission wegen diesem Irren.“ mutmaßt Dave und liegt vollkommen richtig. „Wer ist noch dabei?“

Berger zählt auf und erwähnt auch diese… Unperson, die er einfach ‚Artus-Tussi‘ nennt.

Schlagartig den Appetit verloren schiebt der Sergeant seinen Teller von sich. „Carol Artus?“ hakt er nach. „Diese verkappte Profiler-Tante?“

Einträchtiges Nicken bei Berger und mir.

„Oh Scheiße!“ flucht… Mildred…? „Diese bekloppte…“ Den Begriff überhört ihr jetzt bitte. „Wenn ich die in die Finger kriege, mache ich… Mus aus ihr! Oh ja! Und kippe es in den Abfluss! Selbst die hartgesottensten Ratten würden sich an dieser…“ Auch diesen Begriff bitte schön überhören. „… den Magen verderben. Selbst in der Kloake würde die das schlimmste Dreckloch verseuchen!“

„Sie können diese Tussi nicht leiden?“ erkundigt sich mein Partner zwischen zwei Löffeln Eintopf.

„Und wie ich das nicht kann!“ Milly sammelt sich und teilt mit uns ihre Erfahrung.
 

Mildred Hollister kommt aus einer Polizisten-Familie – schon ihr Urgroßvater war Gesetzeshüter mit Leib und Seele – dadurch ist sie hart im Nehmen, nur schwerlich aus der Fassung zu bringen und immer die Ruhe selbst.

All das fällt mit jedem ihrer Worte von ihr ab und als sie endet nimmt Dave sie in die Arme. Von ihrem Mann gehalten schluchzt Mildred leise an seiner Schulter. „Sch, sch. Liebes.“ tröstet er flüsternd und streichelt ihr Haar.

Ich kenne diese Frau jetzt schon… zehn Jahre. Heute sehe ich sie zum ersten Mal weinen.

Dave drückt sie etwas fester an sich und schaut abwechselnd auf Berger und mich. „Diese Artus…“ sagt er heiser. „Die kam davon.“

„Partner…“ wendet sich Berger leise an mich. „Ist mir scheißkackegal, wie wir das anstellen, aber… Diese… Unperson muss weg!“

So sehr waren wir noch nie einer Meinung.

„Ach je…“ Ruckartig setzt sich Mildred auf, wischt sich über das Gesicht und lächelt tapfer. „Da heule ich euch was vor, wo doch der Nachtisch serviert werden will…“ Für den Trost von ihrem Mann bedankt sie sich bei ihm mit einem Kuss und steht auf.

„Milly… Verzeih. Wir müssen weiter.“ erkläre ich bedauernd. Um vieles mehr bedauert mein Partner, der gern noch Nachtisch gehabt hätte.

„Sicher…“ Meine Seavers in der Hand wuschelt mir Milly mit der anderen durch mein Haar – wie sie es zweifellos bei einem Sohn tun würde. „Ich bin stolz auf dich.“ sagt sie und reicht mir meine Waffe.

„D-d-danke…“ stammele ich und stecke die Seavers in meinem Holster.

Milly nickt, zieht mich auf ihre Größe und umarmt mich. „Wenn Dave in dein Team kommt…“ wispert sie mir ins Ohr. „Du gibst auf ihn Acht. Versprochen?“

„Versprochen.“

Einen Kuss auf die linke und einen auf die rechte Wange muss ich über mich ergehen lassen und noch einmal Haare wuscheln.

Meinen – breit grinsenden – Partner verabschiedet sie mit einem Händedruck und einem Lächeln.

„Danke fürs köstliche Essen.“ bedankt er sich und zeigt eine Verbeugung.
 

In Begleitung von Dave verlassen wir den Wohnwagen.

Er knufft Berger und mich. „Habt euch doch zusammengerauft, hm?“ fragt er und ist sichtlich zufrieden. „Gut so! Ein Partner ist wichtig. Bei dieser Sache sowieso. Wir sehen uns morgen auf dem Revier.“ Nach je einem weiteren Knuff dreht er sich um und ist schon auf der Treppe.

„Dave…“ beginne ich.

„Hm?“ meint er über seine Schulter.

„Willkommen an Bord.“

„Jau.“ Er grinst und meint hörbar, was er sagt als er sagt: „Ist mir eine Freude.“
 

Wenn man unterwegs ist, vergeht die Zeit wie im Fluge.

Auf den Weg zum Kensington-Asylum – und damit zu Roberta – sprechen mein Partner und ich über dies und das.

Bergers Telefon meldet sich. Mit ‚I was made for loving you, Baby…‘ Bei den Göttern. Warum kriegen alle anderen das hin und ich nicht? Meins piept. Und nur das. Bah!

Berger nimmt das Gespräch entgegen. „Berger.“ meldet er sich und lauscht, seine Miene verdüstert sich und er stellt auf laut. „Okay, Captain.“ sagt er. „Nochmal bitte. Mein Partner hört mit.“

„Ja. Gut. Hören Sie zu.“ Oh. Captain Brace klingt angepisst. „Artus hat Doktor Maddern aus dem Team gekegelt. Will keine externen Kräfte in ihrem Betätigungsfeld. Commissioner und Bürgermeisterin haben zugestimmt.“ Sie seufzt tief und gut hörbar. „Ich habe alles versucht.“

„Ja. Schöne Scheiße!“ flucht Berger. „Diese Tussi ist schlimmer als ein Kollaborateur!“

„Ich hole mir Bobby ins Boot!“ setzte ich mich über sämtliche Anweisungen hinweg. „Und ich übernehme dafür die volle Verantwortung!“

Unsere Vorgesetzte zieht scharf die Luft ein. „Meyers.“ sagt sie. „Das können Sie sich auf Grund der Einträge in Ihrer Personalakte gar nicht erlauben!“

„Klar.“ erwidere ich. „Ich tue es trotzdem. Wir werden uns nicht nur den Irren schnappen, sondern dieser… Unperson ihre Inkompetenz und Falschaussagen nachweisen!“

„Jau! Und ob wir das werden!“ stimmt Berger mir zu. „Und der ganze Scheiß geht auf meine Kappe.“

Das lobende Schulterklopfen von mir hat sich mein Partner redlich verdient.

„In Ordnung.“ ist Captain Brace einverstanden. „Machen wir es so!“ Ein weiterer Seufzer. „Viel Glück bei der Sache.“

Gerüchteküche

Auf der Fahrt zum Kensington-Asylum schwatzen mein Partner und ich miteinander. Berger spricht gern über seinen Sohn, direkt gefolgt von seinen Eroberungen, die hauptsächlich aus Frauen aus Chefetagen und den Damen der Höheren Gesellschaft zu bestehen scheinen.

Wenn nur die Hälfte davon wahr ist… Bei den Göttern! Ich sollte Charlene Vorwarnen mit was für einem Hallodri sie es zu tun bekommt.

Mein Sexualleben ist dagegen ziemlich unspektakulär. Das vor Bobby geht euch nichts an. Und nach Bobby kam lange Zeit nichts und dann Julian, dem ich treu zu bleiben gedenke. Missversteht mich da nicht. Ich bin treu. In keiner meiner Beziehungen war ich der fremdgehende Part. Darüber hinaus… Meine Homosexualität hat meinen Partner nicht zu interessieren, darum schweige ich mich bei dem Thema aus. Berger knufft mir ohnehin ständig in die Seite und ist durchweg überzeugt, ich hatte was mit der gesamten weiblichen Belegschaft des Reviers. Eine Ausnahme macht er nur bei Captain Brace, verpasst mir nach kurzer Denkpause einen neuerlichen Knuff und schlägt einen verschwörerischen Tonfall an: „So unter uns. Mir kannst du es sagen. Hattest du doch mal was mit Brace?“

„So unter uns. Mir kannst du es sagen. Hattest du doch mal was mit Gertrudes?“ kontere ich.

Die Antwort meines Partners ist ein schwer zu deutendes Grinsen und ich bin mir nicht sicher, ob ich es wirklich wissen will.
 

„Home, sweet Home.“ sinniert meine Partner, als wir den Parkplatz der Klinik befahren. „Oh Mann! Da kommen Erinnerungen hoch.“ Die er allerdings für sich behält.

Ausgestiegen betrachte ich den großen weißen und ultra-modernen Bau. Einzig die Gitter an den Fenstern und die hohe Mauer drum herum erinnern daran, das hier ist eine Klinik für psychisch Kranke und Gewaltverbrecher. Wer es nicht kennt, könnte das Kensington leicht für ein Hotel halten.
 

Der Eingangsbereich gleicht dem eines Flughafens. Eine Sicherheitsschleuse nach der andern. Wir müssen uns ausweisen, unsere Marken zeigen, die Waffen abgeben und Metalldetektoren passieren.

Bei meinem Partner schlägt es jedes Mal an.

Schadenfroh grinsend tippt er sich an den Kopf, als die Kollegen vom Sicherheitsdienst mit den Handscannern nach dem Grund suchen. „Alte Bullen-Wunde.“ meint er. „Metallplatte im Schädel.“

„Ja…“ frotzle ich. „Wusste doch, du hast mal einen zu viel über die Rübe bekommen.“

Sein Grinsend wird weit schadenfroher. „Den anderen hättest du mal sehen sollen. Der saugt sein Hühnchen noch ein paar Jahre durch den Trinkhalm.“

„Toll. Und ich bin der Schläger-Bulle!“ seufze ich übertrieben, was mein Partner bloß mit einem Augenbrauen-Wackeln kommentiert.

„Detectives.“ spricht uns ein Pfleger an. Nicht größer als ich, aber um einiges breiter – seine Stimme jedoch klingt nach der eines kleines Mädchens. „Doktor Maddern erwartet Sie. Bitte seien Sie so gut und folgen mir.“

Berger und ich sehen uns an, den Pfleger und wieder uns. Ein Gelächter können wir uns so gerade eben verbeißen, müssen aber beide husten und röcheln.

Der Pfleger mustert uns abwechselnd und zunehmend feindselig. „Haben die Herren von der Polizei ein Problem? Etwa mit… mir?“

„Ach was! Die trockene Luft hier!“ erklärt Berger und wird nicht einmal rot dabei. „Das sind wir nicht gewohnt. Da kriegen wir immer einen Reizhusten…“

Ich nicke wortlos. Lügen ist nicht meine Stärke.
 

Der Pfleger mit der Fistelstimme führt uns durch einen langen Flur, an dessen Wände Bilder von Patientinnen und Patienten hängen. An einer Reihe von grauen und sichtlich unbequemen Plastikstühlen angekommen bittet er uns Platz zu nehmen und zu warten und versichert uns, Doktor Maddern wäre gleich bei uns. Danach verschwindet er mit schnellen Schritten.

Zum Sitzen habe ich keine Lust, gehe den Flur auf und ab und sehe mir dabei die Gemälde an. Manche sind schön anzusehen, manche erschreckend.

Eines aus der letztgenannten Sparte betrachte ich mir genauer. Schwarzer Untergrund. Ein Mann in einem weißen Mantel und rot umrandet sticht hervor. Er hat einen nackten kleinen Jungen im festen Griff und will ihm – so wie es aussieht – den Kopf abbeißen.

„Wally…“ liest mein Partner die Signatur und tippt auf die Zahl, die dahinter steht. „Elf…“ Er holt tief Luft. „Der Typ im Kittel ist sicherlich Egon Krill. Hat sich als Kinderarzt getarnt, praktizierte unter anderem in Obdachlosenheimen. Ist so an kleine Jungen herangekommen. Brauchte ihnen nur zu drohen, sie würden vollends auf der Straße sitzen und sie schwiegen und haben sich vergewaltigen lassen. Dreiundzwanzig bekannte Opfer. Die Dunkelziffer liegt garantiert höher. Ich schätze zweihundert. Keiner von den Jungs, die sich gemeldet haben war älter als zwölf. Der jüngste gerade mal so alt wie Tyler.“ Berger hebt die Hand und streicht über die Farben. „Krill ist ein widerlicher Typ. Hab ihn verhaftet. Ganz nach Vorschrift. Wegen eines kleinen Fehlers sollte er nicht wieder auf freien Fuß kommen. Und er schwärmt mir die ganze Zeit von seinen ‚Praktiken‘ vor. In den Knast kam er nicht. Eine Gutachterin sah Krill als vermindert schuldfähig. Der Richter folgte dem Gutachten. Krill wurde hier – im Kensington – zu stationären Aufenthalt verurteilt. Zur Therapie. Zwar für siebzehn Jahre und acht Monate, aber… Mann! Der lebt hier wie in einem Luxus-Hotel! Im Knast hätten die ihn schon abgemurkst.“

„Lass mich raten, wer die Gutachterin war.“ Ich atme tief ein. „Diese… Unperson von Artus.“

„Ja… Die da!“ Nickend tippt Berger auf den gemalten Jungen. „Nach den Opfern fragt keiner. Die da am allerwenigsten und die da schert sich ein Dreck darum, ob auch diese Jungs eine Therapie kriegen. Diese Jungs kriegen keine, weil sie sich das nicht leisten können… Nicht mal staatlich unterstützt.“ Mit einer raschen Handbewegung wischt er sich über die Augen. „Seit ich Vater bin, gehen mir Typen wie Krill richtig an die Nieren.“

In den krassen Farben des Bildes versunken spreche ich meine Gedanken laut aus. „Ich habe einen kleinen Bruder. Als unsere Eltern starben war ich zwölf und er sieben. Seit dem Tag gebe ich auf Lars Acht und beschütze ihn.“ Der Mann im Kittel nimmt mein komplettes Blickfeld ein „Wir wussten nicht wohin, kamen irgendwann in United Compass an. Vorerst haben wir in einem Obdachlosenheim gelebt. Und da gab es auch Typen wie Krill. Wer von denen sich an Lars heranmachen wollte…“ Von dem Gemälde abgewandt blicke ich auf Berger, ohne ihn wirklich anzusehen und grinse geistesabwesend. „Ich habe diesen Typen die Hände und Arme gebrochen. Und die Nasen. Ein paar auch den Kiefer.“ Mit einem Seufzer verliert sich mein Grinsen. „Warum ich das tat hat keinen interessiert. Letztendlich mussten nicht diese Typen das Heim verlassen, sondern wir.“

„Und?“ erkundigt sich mein Partner. „Wo seid ihr geblieben? Lars und du?“

„Mal hier, mal da…“ weiche ich aus und kehre ihm den Rücken. Weitere Fragen will ich mir nicht stellen lassen. Noch weniger will ich weitere Fragen beantworten.
 

Ich nehme es als glückliche Fügung, Doktor Roberta Maddern kommt in diesem Augenblick auf uns zu. Zugegeben. Zum ersten Mal sehe ich Bobby als Frau. Als richtige Frau. Ihr rotes Haar ist lang geworden und liegt in weichen Wellen auf ihren Rücken. Die Lider sind geschminkt, die Wimpern getuscht. Eine rahmenlose Brille betont ihre blauen Augen. Und für diese Taille hat sich Bobby garantiert die untersten Rippen wegoperieren lassen.

Die obersten Knöpfe ihrer Bluse trägt sie geöffnet und ich vermag kaum glauben, was ich hinter dem Ausschnitt erspähe. Bobster hat tatsächlich…

„Na!“ flüstert mir Berger tadelnd zu. „Du starrst ihr auf die Brüste…“ Zusätzlich stupst er mich unsanft. „Vergiss es, Partner. Diese heiße Braut ist verheiratet!“

„Äh…?“

„Keine verheirateten Weiber!“ teilt er mit mir seine Lebensweisheit. „Egal wie heiß! Bringt nur Ärger!“

„Ah ja…“

Die Hand ausgestreckt lächelt sie meinen Partner an. „Gerrit. Hallo! Wie geht es Ihnen?“

Mir fällt auf, ihre Stimme ist höher. Das bedeutet eine Operation an den Stimmbändern.

„Gut, Doc. Wirklich gut!“ Berger ergreift Bobbys Hand und schüttelt sie, über das ganze Gesicht strahlend. „Dank Ihrer Pflege und Fürsorge und Dank meines neuen Partners.“ Ihre Hand losgelassen schiebt er mich vor. „Und das ist er. Mein neuer Partner. Aaron Meyers.“ Er klopft mir auf die Schulter und lacht. „Lassen Sie sich nicht von seiner Jugend täuschen. Er ist schon Detective!“
 

Mein Lächeln ist gequält und nur zaghaft hebe ich die Hand. Meine Homosexualität halte ich geheim. Damit verbunden mein wahres Liebesleben. Bobby war mal ein Teil davon. In mancher Hinsicht freue ich mich, sie wiederzusehen. Andererseits geht keinem an, wir waren mal zusammen, weil ich schwul bin. Ich hoffe sehr, Bobby sieht das genauso…

Ihrem Blick nach tut sie es. „Wir kennen uns bereits. Ist ewig her. Aber wir waren beim ‚du‘.“ Sie schüttelt meine Hand. Nicht innig oder erinnerungsselig. Herzlich zwar, dennoch geschäftsmäßig kurz. „Detective, hm? Zu unserer letzten Begegnung warst du Streifen-Officer in Uniform.“

„Vieles ändert sich mit der Zeit.“ gebe ich zurück, bin erleichtert und werde allmählich lockerer. „Du siehst gut aus, Bobby. Die Haarlänge steht dir.“

Sie spielt mit einer Strähne ihres Haares und lächelt wieder. „Gerald, mein Mann, sagt das auch.“ Ein Wimpernaufschlag, den ich von Bobby gar nicht kenne und so was von weiblich aussieht. „Du erinnerst dich an Gerald? Ihm hast du – Wie viele waren es? – um die neunzig Strafzettel ausgestellt. Oder doch mehr?“

„Einhundert und sieben.“ präzisiere ich. „Und alle gerecht!“ kann ich mit Gewissheit sagen.

„Stimmt!“ Ihr Lächeln wird zu einem amüsierten Lachen. „Damit hast du einen notorischen Falschparker kuriert.“ Da ist wieder dieser so was von weibliche Wimpernaufschlag. „Und ganz nebenbei die Staatskasse bereichert.“

Bobster und ich haben uns einvernehmlich getrennt und danach aus den Augen verloren. Amouröse Gefühle gibt es nicht mehr. Bobby ist mir sympathisch und ich mag sie. Wie eine Freundin. Mehr nicht.

Die alten Zeiten genug aufleben gelassen bittet uns Bobby in ihr Büro.
 

Das Büro verrät viel über Bobbys Einfühlungsvermögen. Ein großer und heller Raum, der mit warmem Licht durchflutet ist. Gemütliche Sitzmöbel laden zum Entspannen und Wohlfühlen ein. Und zum Geheimnisse anvertrauen.

Gleichgültig wie gut Bobby darin ist, anderen ihre geheimsten Geheimnisse zu entlocken – meine eigenen habe ich immer für mich behalten.

Bobby lädt uns ein, Platz zu nehmen. „Captain Brace hat mich vorab informiert.“ beginnt sie und lässt sich auf dem Sessel hinter ihrem Schreibtisch nieder. „Jetzt erzählt mal. Um was genau geht es?“

Berger und ich werden abwechselnd erzählen. Mein Partner beginnt und ich bin überrascht. Sein Bericht über Tatorte, Opfer und Obduktions-Ergebnisse ist kurz, knapp und enthält alle wichtigen Details. Er endet und lehnt sich zurück.

„Du bist ein guter Cop.“ erkenne ich.

Berger lächelt. „War’s lange nicht.“ meint er. „Du bist dran.“

Bobby sagt nichts, hebt die Augenbrauen, als ich die Anrufe des möglichen Täters erwähne. Dazu meine vehemente Weigerung mit ihm zu sprechen.

„Trotz Stimmverzerrer… Kommt dir Stimme irgendwie bekommt vor? Oder die Art, wie er Sätze formuliert? Ein Akzent? Ein Sprachfehler?“ fragt sie. „Hast du eine Ahnung wer es sein könnte?“

„Wäre er dann noch auf freiem Fuß?“ entgegne ich bitter.

„Nein.“ muss sie zugeben. „Wäre er nicht.“ Sie erhebt sich, geht ein paar Schritte und grübelt. „Ich wühle mich mal durch alte Akten und frage ein paar Kolleginnen und Kollegen. Sagt ja keiner, das waren die ersten Morde.“

„Danke, Bobby.“ versichere ich und lächle ihr zu. „Deinem Fachwissen und deiner Erfahrung wegen möchte ich dich im Team. Mit dir haben wir alle zusammen. Aber…“ Weg ist mein Lächeln und ich verberge meinen Unwillen nur schwerlich. „Der Commissioner und die Bürgermeisterin haben uns diese… Unperson Carol Artus vor die Nase gesetzt. Und die da tat bereits ihr Möglichstes, dich aus dem Team raus zu halten.“

Ein ernster Blick seitens Doktor Roberta Maddern. „Leute…“ beginnt sie. „Jeder von euch weiß… Werde ich um Hilfe gebeten, hält mich niemand raus!“

Einträchtiges Nicken von meinem Partner und mir.

Wunsch und (Pflicht)Erfüllung

[]Alles erledigt und abgegeben, was abzugeben war. Es verlief ganz nach Plan. Zusätzlich hat er dank seines Charmes die neue Nummer bekommen. Zurück in seinem bescheidenen Heim dreht er das Telefon in seiner Hand. Es kribbelt in seinen Fingern und er tippt, hält inne und macht die Eingabe rückgängig. Wann sollte er es tun? Wann sollte er anrufen? Jetzt schon? Oder lieber nach dem nächsten Geschenk.

Ein wenig bedauert er es schon, nicht mehr Detective Aaron Meyers Stimme am Telefon zu hören – wenigstens für den kurzen Moment, in dem sich Detective Aaron Meyers meldet.

Vielleicht ein einziges Mal? Ein letztes Mal? Und sich von Detective Aaron Meyers verabschieden? Das würde sich so gehören. Bei all den Jahren, die er Detective Aaron Meyers kennt. Bei all den Jahren, die er Detective Aaron Meyers hasst! Den perfekten Detective Aaron Meyers. Einer der jüngsten… Der jüngste Detective in der Geschichte von United Compass Bay Cities… Sein Lebensretter. „MEIN Leben brauchte er nicht zu retten!“ schreit er, außer sich vor Wut. „Ich habe ihn NICHT darum gebeten!“ Nach einigen tiefen Atemzügen beherrscht er sich wieder. „Dann hat mir Detective Aaron Meyers eben das Leben gerettet. Und? Hat er sich danach um mich gekümmert? Wie es seine Pflicht gewesen wäre? Nein! Hat er nicht! Er klopfte mir auf die Schulter, überließ mich den Sanitätern. Das war’s!“ Ein paar Tasten gedrückt löscht er die Nummer des Detective Aaron Meyers. „Dieser elende Detective verdient gar nicht, dass ich mich jemals wieder bei ihm melde! Die Geschenke mache ich auch jemand anderem! Dann sieht er, was er davon hat!“ Wieder tippt er die neue Nummer ein und speichert sie schließlich ab. Auf die Zahlen blickend tut sich ihm neuerlich die Frage auf: Soll er anrufen? Oder nicht? In seiner Unentschlossenheit fragt er die freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf um Rat.

„Zu früh.“ teilen sie ihm mit. „Erst das Geschenk.“

„Ja…“ Er sieht es ein. „Zu früh.“ Das Telefon legt er beiseite, ergreift stattdessen seine Klinge und überprüft die Schärfe der Schneide. „Erst das Geschenk.“[]

Schokolade und Parfüm

Auch mit Bobby verabreden wir uns zum nächsten Tag im Departement der Southern Bay City Police. Zum Abschied gibt sie Berger und mir die Hand und nimmt sich die Zeit, uns zum Ausgang zu bringen.

Unsere Waffen in Empfang genommen und das Kensington durch die Sicherheitsglastür verlassen winken Berger und ich. Bobby winkt zurück, dreht sich um und geht. Bei den Göttern! Was ein Hüftschwung. Durch und durch eine Frau! Hoffentlich weiß Gerald, wie viel Glück er hat.

„Silberrücken… Echt mal!“ Mein Partner stupst mich. „Jetzt starrst du ihr auf den Hintern.“

Ein schräger Seitenblick zu meinem Partner und ich grinse.

„Du hattest mal was mit ihr!“ interpretiert er sofort. „Na? Stimmt’s? Stimmt, hm? Wie ein Kater! Überall seine Miezen!“

„Berger.“ Ich baue mich vor ihm auf. „Bevor das jetzt zu irgendwelchen Gerüchten wird. Nein. Ich hatte nie etwas mit Doktor Roberta Maddern!“ Was nicht gelogen ist. Damals war Bobby noch ein Mann, unverheiratet den Namen Fletcher tragend und einen Doktortitel hatte er ebenso wenig.

„Wenn du das sagst…“ meint mein Partner und grinst anzüglich. „Will ich es mal glauben…“

Das Grinsen vergeht ihm mit seiner Seavers an seinem Nasenloch. „Na? Piercing gefällig?“ frage ich liebenswürdig.

„Lass das!“ meckert er. „Das ist kein Spielzeug! Was, wenn die jetzt losgeht?“

„Dann bist du – Ruckzuck! – ein schönerer Mensch.“ Mein Mobilfunktelefon hat auch eine Kamera. Wenn ich nur wüsste, wie die funktioniert… Das entrüstete Gesicht meines Partners ist nämlich gerade… Zum Schießen.

Er schnauft wie ein wütender Stier. „Ich mache Diät, Silberrücken. Und dann mache ich Sport! Und dann… Dann werde ich dir das alles… heimzahlen!“

Die Seavers steckt wieder in seinem Holster. „Versprich es mir. Das mit der Diät und dem Sport. Und dann… Dann darfst du mir das alles… heimzahlen!“

Mein Partner überlegt. „Ja… Gut…“ Er grinst. „Vielleicht verspreche ich es dir morgen.“

„Morgen? Warum erst morgen?“

Berger tippt auf seine Armbanduhr. „Weil für uns der Feierabend ansteht.“

„Schon…?“ Das verwundert mich.

„Jau!“ Er nickt. „Essen!“ strahlt er und piekt mir in die Seite. „Mit Rush…“
 

Auf dem Revier und nach allen Seiten umgesehen – diese… Unperson ist gerade sonst wo – möchte Captain Brace ein kurzes Statement und fragt, wer zugesagt hat und wer nicht. „Alle an Bord!“ Berger und ich heben die Daumen.

„Sehr gut!“ zeigt sich unsere Vorgesetzte zufrieden. „Machen Sie Ihren Bericht – Nehmen Sie es damit nicht zu genau! – und ab in den Feierabend.“
 

Schnell unseren Bericht. Geht klar. Nicht zu genau nehmen. Geht erst recht klar. Berger schreibt ihn zwar nicht, hilft aber dabei – Er ist richtig gut in ‚nicht zu genau nehmen‘! – und hat mir zusätzlich was aus dem Snack-Automaten mitgebracht. Ohne vorher bei mir zu schnorren! Ja! Und ich erst! Was noch? Er hat an meinen ‚empfindlichen‘ Magen gedacht. Für mich gibt es eine Tüte Studentenfutter, dessen Inhalt – ungeschwefelte Trockenfrüchte und Nüsse – ich bedenkenlos futtern kann. Er selbst stopft Flips aus Maisgries überzogen mit einem Zeugs aus Käseersatz in sich hinein, das gelbe Spuren auf Finger, Mundwinkel, Kugelschreiber und Papier hinterlässt.

„Diät!“ mahne ich. Mein Partner winkt ab. „Ab morgen.“ Und mampft den nächsten Flip. „Vielleicht!“ schränkt er kauend ein.

„Das wird dann wohl nichts.“ seufze ich.

„Hey, Detective Meyers.“ grüßt Officer Ferric. „Das wurde für Sie abgegeben. Extra für Sie.“ erklärt sie und überreicht mir ein in buntes Papier gewickeltes Päckchen von der Größe einer Zigarrenkiste. „Der Typ sagte mir, Sie warten schon darauf und sollten es kriegen, sobald ich Sie sehe.“

Ich danke, nehme das kleine Paket entgegen und betrachte es von allen Seiten. Keine Adresse, kein Absender. „Muss damit zu Rush.“ gebe ich knapp an und spare mir die Mühe, das Päckchen zu öffnen. „Sie, Ferric, geben meinem Partner eine genaue… Eine sehr genaue Personenbeschreibung des Überbringers!“

Die Kollegin in Uniform sieht von mir auf Berger. „Warum denn? Was ist denn da drin? Eine Bombe, oder so?“

„Nein. Keine Bombe.“ gibt Berger die Antwort. „Chiefs Lipinskis Zunge.“

Verdammt guter Cop!“ stelle ich fest und bin schon auf dem Weg zum Leichenkeller.
 

Die Pathologie betreten sehe ich Charlene an einer Bahre und über einen Klumpatsch aus Blut, Fleisch und Knochen gebeugt stehen. „Tja, ja…“ sagt sie zu dem Klumpatsch. „Deinen Tod hast du dir sicher anders vorgestellt, hm? Kommt davon, wenn man sich zu weit aus dem Fenster lehnt. Und dann noch nicht einmal das eigene!“ Sie bemerkt mich und winkt, ohne Klumpatsch aus den Augen zu lassen. „Kleiner Einbrecher. Hat sich nur das falsche Fenster zum Einsteigen ausgesucht. Ist an einen ehemaligen Box-Champion geraten. Der war von dem Besucher nicht gerade begeistert und scheucht ihn durch die ganze Bude. Und was macht er, dieser Nachwuchs-Ganove?“ Über so viel Dummheit lachend schüttelt Charlene den Kopf. „Türmt durch das Fenster, klettert über den Sims, verliert den Halt, stürzt ab und… MATSCH.“

„Charlene. Hab da gerade ein Päckchen bekommen. Ohne Adresse oder Absender. In buntes Papier gewickelt.“

„Ah ja… Wäre nicht das erste Mal, du Herzensbrecher. Und? Riecht es nach Schokolade und Parfüm?“

„Nein. Es riecht nach totem Fleisch. In Formaldehyd gekocht.“

Einen Augenblick verharrt Charlene, dann eilt sie auf mich zu. „Kalli seine Zunge?“

Ich nicke. „Kalli seine Zunge.“ Und kann mir nicht verkneifen hinzuzufügen: „Jetzt ist er wieder komplett.“

Bemerkenswert schnell hat Charlene ihre Handschuhe gewechselt. „Du bleibst da liegen!“ ordnet sie gegenüber Klumpatsch an. „Ich befasse mich später mit dir!“

Stecknadel im Heuhaufen

So gut wie jeder von euch hat sicherlich mal die eine oder andere Krimi-Serie gesehen, in der ein Pulk von forensischen Wissenschaftlern mit Knowhow und technischen Raffinessen auf Spurensuche geht.

Ist bei dem Päckchen nicht anders und ich kriege mit, wie Charlene sämtliche Weißkittel des Departements mobil macht. Mir war gar nicht bewusst wie viele Laborleute hier beschäftigt sind, bis die ganze Meute aufschlägt.

Zu gern würde ich behaupten – einzig und allein aus purer Bequemlichkeit erspare ich euch und mir die Vorgehensweise der ganzen Tests. Ist leider nicht so – die Arbeit im Hintergrund ist für mich höchst spannend, vor allem der technischen Raffinessen wegen – denn Charlene hat mich hinausgeworfen. Mit den Worten: „Du stehst im Weg, Detective! Du hast gleich Feierabend!“ Direkt gefolgt von einem: „Ich melde mich, wenn ich was finde. Und zwar bei deinem Partner!“

„Äh...?“ Das ist mit Sicherheit meine heute am häufigsten gemachte Aussage. „Geht ihr nicht essen? Du und…?“

Meine Arbeit geht vor!“ schneidet mir unsere Pathologin das Wort ab. „Vielleicht hat er ja Interesse, mir bei meiner Arbeit zuzusehen.“ ergänzt sie und lächelt. „Du hast doch auch ein Date, hm?“ Ihr verschwörerisches Zwinkern begleitet diese gefragte Feststellung.

Wie könnte ich das vergessen, mag es Charlene aber nicht auf die Nase binden. „Na ja… Möglich.“ murmele ich ungenau und werde unsanft von ihr aus dem Leichenkeller geschoben. Beschwerden kann ich vergessen. Vor meiner Nase macht sie die Tür zu. Nachdrücklich. Das „Und du bleibst draußen!“ musste wirklich nicht sein. Ich will hoffen, die meisten haben diese Serien gesehen.
 

Dann eben was anderes. Mit Herz und Lendenregion schon bei Julian ist mein Verstand noch hier im Departement. Und damit die Achtsamkeit, dieser… Unperson nicht in die Hände zu fallen. In aller Vorsicht bewege ich mich vorwärts. Von Wand zu Wand schleichend, von Ecke zu Ecke huschend, unter und zwischen Schreibtischen kriechend – Ich werde von meinen Kollegen ein wenig sparsam angesehen und habe nicht einmal eine Ausrede parat! – bis ich meinen eigenen Arbeitsplatz erreicht habe.

Noch einmal umgesehen – Ich atme erleichtert auf! – nehme ich auf meinen Schreibtischstuhl Platz. Das „Freiheit! Oh, du süße Freiheit!“ kann ich mir nicht verkneifen. Die da ist nämlich gerade sonst wo und mit sonst was beschäftigt. Vielleicht bei Bürgermeisterin und Commissioner schleimen. Oder jemandes Leben zerstören.

Mein Partner steht mit Officer Ferric bei Detective Ivy Jones und alle drei arbeiten mit dem Programm für Phantombilder.

Den Stuhl unter meinen Hintern rolle ich neben das Trio und wohne der Entstehung des Phantombildes bei.

Kaum erkennbar, mit tief ins Gesicht gezogener Allerwelts-Schirmmütze und dunkle große Gläser habender Allerwelts-Sonnenbrille. Toll. Das könnte sogar mein Postbote sein. Oh. Moment. Könnte nicht. Ich habe eine Postbotin. Hm. Die Ähnlichkeit ist frappierend. Die Stimme ist immer elektronisch verzehrt. Sollten wir in dem Fall nicht auch eine Täterin in Betracht ziehen? Und dann ausgerechnet meine Postbotin? Dermaßen irre kam sie mir nie vor…

„Irgendwelche besonderen Kennzeichen? Narben im Gesicht? Piercing in Ohren, Lippen und Nase?“ erkundigt sich mein Partner gerade und Ferric überlegt. „Nein.“ erwidert sie. „Nichts von alledem.“

„Die Haarfarbe?“ fragt Berger weiter. „Konnten Sie die erkennen?“

„Oh… Die waren kaum sichtbar. Aber… Schwarz.“

„Statur?“ mische ich mich ein.

Officer Ferric stellt wieder den Denkapparat an. „Groß. Größer als Sie, Detective Meyers. Na ja… Nicht viel. Fünf Zentimeter würde ich sagen. So circa eins dreiundneunzig. Gewicht ungefähr hundert Kilo, sah aber durchtrainiert aus. “

„Das ist ja schon mal was.“ lobe ich und mache direkt weiter. „Die Kleidung? Da etwas Besonderes? Marken-Klamotten?“ Wovon ich partout keine Ahnung habe. Darin ist Lars der Experte. „Oder… Waren die Sachen gebraucht? Abgetragen? Körpergeruch? Da was auffälliges? Oder zu viel Deo? Oder…“ Bald gehen mir die Ideen aus und ich habe nur noch in petto: „Hat er gelächelt? Wurde eine Zahnlücke sichtbar? Oder ein auffälliges Gebiss? Schlechter Atem?“

„Die Kleidung…“ Eine kurze Denkpause. „Ein brauner Overall. Gebraucht zwar, aber sauber. Und das war so einer, wie von einer Montage-Firma. Oder Klempnerei. Ansonsten schien alles ziemlich normal.“

„Klasse, Officer!“ ist nun mein Partner an der Reihe zu loben. „Was fällt Ihnen sonst ein?“

„Gerochen hat er angenehm.“ weiß die junge Polizistin zu berichten. „Nicht aufdringlich. Einfach nur wie… Frisch geduscht. Und an seinem Lächeln war auch nichts besonders.“

Berger nickt, ich nicke. Wir lassen uns von Detective Jones Bilder ausdrucken und betrachten diese.

„Kommt er dir bekannt vor?“ fragt Berger.

„Mit viel Fantasie… Ein Elvis-Imitator mit Mütze.“ sage ich.

„Jau.“ stimmt mein Partner zu. „Ein hässlicher Elvis-Imitator!“

„Hast du eine Ahnung, wie viele Anrufe und Hinweise wir dafür kriegen?“ seufze ich, falte das Blatt zusammen und stecke es ein. „So einen hat doch jeder schon mal gesehen.“

„Jau.“ Mein Partner nickt und macht das gleiche mit seinem ausgedruckten Exemplar. „Vor allem, weil Elvis noch lebt!“

Da sage ich lieber nichts. Widerspruch heißt ein Wortgefecht auslösen. Soweit ich weiß war Elvis Presley ein Sänger und Schauspieler. Und für meinen Kollegen ist dieser Mann – egal wie tot – eine Art Heiliger.

Berger stupst mich gerade. „Du hast Feierabend!“ meint er.

Mich beschleicht gerade das Gefühl - erst Charlene, dann Berger wollen mich loswerden! Das Gefühl bestärkt sich als mein Partner mich neuerlich stupst. „Na mach schon und hau ab. Du hast doch so was wie ein Privatleben, oder?“ Er nickt, als er mich grinsen sieht. „Wusste ich es doch! Wieder so eine heiße Schnalle, hm?“

Mein brandheißer Schnallerich! Oh ja! Gut… Wenn ich denn unbedingt gehen soll, gehe ich eben! Von allen verabschiedet mache ich mich auf den Heimweg.
 

An meinem Wagen greife ich nach meinem Schlüssel, dabei kommt mir das Phantombild unter die Finger. Aus meiner Tasche gezogen und auseinandergefaltet betrachte ich es und rufe mir die Beschreibung in Erinnerung. Schwarzhaarig, ein bisschen größer als ich und durchtrainiert. Fast könnte man meinen, hier handelt es sich um Julian.

Ich spinne den Faden weiter – fast schon gegen meinen Willen.

Mein Schatz war in der fraglichen Zeit nicht Zuhause, als Lipinski sein unrühmliches Ende fand. Eine – mit scharfer Klinge – durchtrennte Kehle beendete das Leben des Chiefs. Als Julian in den Dojo kam, hatte er ein Wakizashi in der Hand. Wie ich gesehen und erlebt habe ist er ein Meister im Umgang mit dieser Waffe – genauso wie mit dem Katana. Von beidem hat er eine ordentliche Sammlung! Eine Hand hat mein Schatz nicht bevorzugt – weder beim Kampf, noch beim Sex – darum vermute ich, er ist bimanuell. Links- und Rechtshänder. Technisch versiert ist er außerdem! Rock-Song als Klingelton und Freizeichen.

Ja. Das nenne ich technisch versiert. Echt mal! Wer bitte schön hat euch zu meinen Überlegungen eingeladen? Hm? Ah ja. Gut. Dann bleibt um der Götter Willen hier. Aber: Ruhe jetzt! Wer es wagt und dazwischen ruft… Loch – im – Bauch! Klar?

Ich fasse zusammen: Die Beschreibung passt auf Julian. Mit mehr oder weniger Phantasie. Die Möglichkeiten hätte er auch. Waffe, Fähigkeit und Fertigkeit. Ich weiß, wo Julian herkommt. Ich weiß, wie und was ich für ihn empfinde.

Bei den Göttern! Was ein Scheiß!

Würde mein Schatz… mein Schatz so was tun können? Wäre er dazu in der Lage? Könnte er die Männer umbringen und ihnen die Herzen herausreißen? Könnte er mich anrufen? Vor und nach den Morden? Und meinen Bruder, sich und mich bedrohen? Ist Julian ein mordender Irrer? Oder irrer Mörder?

Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Ich frage ihn!

Ganz nach Plan!

[]Die Wartezeit vertreibt er sich indem er mit den freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf redet und singt – immer sein baldiges Opfer im Blick. Die Stimmen pflichten ihm bei. Er hat wirklich gut gewählt.

Die Stimmen und er verstummen. Die Zeit ist gekommen um zuzuschlagen. Ganz nach Plan. Wie aufregend es doch immer noch ist…
 

Ein wenig Freundlichkeit, ein Lächeln – sei beides auch noch so falsch. Ein paar nette Worte und damit verbunden eine an sich sinnlose Bitte und er hat gekriegt, was er will. Nicht einmal sein Outfit hat seine Beute stutzig gemacht und ist ihm gefolgt, wie ein Schaf dem Metzger zur Schlachtbank folgen würde.

Kurz darauf lässt er sein… Schäfchen vorgehen…
 

Das Gefühl der Macht durchströmt ihn und er hält das Herz triumphierend in die Höhe. Nachher wird er es verspeisen. Sicher mit Genuss, denn es sieht sehr appetitlich aus.

Auf sein Opfer hinabblickend lächelt er. Ganz nach Plan hat er noch etwas zu erledigen, leckt die Klinge ab – bis kein Tropfen Blut mehr darauf ist – und legt sie beiseite, aber in Griffnähe. Das Herz tütet er ein – Es soll schließlich frisch bleiben! – und lässt den Beutel in eine mit Trockeneis gefüllte Kühltasche verschwinden. Seine Klinge neuerlich in der Hand macht er sich an die Arbeit. Und während er das tut – Ganz nach Plan! – lobpreisen die freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf seine Leistung. Er selbst ist erst mit sich zufrieden, als er vollendet hat was nötig ist.[]

Zweifel

Eingestiegen treffe ich die Entscheidung. Ich frage Julian. Und zwar gleich und von Angesicht zu Angesicht. Aus diesem Grund werde ich das Treffen mit meinem Schatz kurzerhand vorverlegen und rufe ihn an, ehe ich mich auf den Weg mache.

Aus der Innentasche meiner Jacke – in der Nähe meines Herzens – hole ich die Visitenkarte mit seiner Nummer, die ich wähle. Meine Hände zittern und ein paar Mal vertippe ich mich. Auch jetzt – nach dem X-ten Versuch – bin ich nicht sicher, richtig gewählt zu haben. Der Rock-Song erklingt nicht, stattdessen erklärt mir eine emotionslose weibliche Stimme vom Band, der gewünschte Teilnehmer sei im Moment nicht erreichbar.

Gut. Oder auch nicht. Ich werde es später erneut versuchen. Und zwar sooft, bis ich Julian höchstpersönlich an der Strippe habe!

Ja. Ist mal wieder so weit. Ihr habt mich erwischt. Ich rufe später an… Wenn meine Hände nicht mehr so zittern.

Das Phantombild auf dem Lenkrad ausgebreitet sehe ich es mir an. Eine Beschreibung aus dem Gedächtnis heraus. Allerdings stammt diese Beschreibung von einer Polizeibeamtin, die auf genaue Beobachtung trainiert ist.

Je öfter und genauer ich es mir ansehe, desto mehr befürchte ich, es könnte Julian sein. Groß, gut gebaut, schwarzhaarig… Viel vom Gesicht ist nicht zu sehen, dank Sonnenbrille und Mütze. Bei den Göttern! Ist das jetzt seine Nase? Oder ist sie es nicht?

Zurückgelehnt und die Augen geschlossen beginne ich zu grübeln. Zweifel kriechen in mir hoch. Vom Magen aufwärts über das Herz bis in den Hals, wo sich ein dicker Kloß bildet. Anschließend kriechen mir die Zweifel eiskalt den Rücken wieder herunter. Der Kloß bleibt im Hals. Sollte Julian es wirklich sein… Könnte ich ihn der Justiz übergeben?

Sicherlich würde er den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen. Mein Schatz. Eingesperrt. Ich. Von ihm getrennt. Für den Rest meines Lebens. Den Gedanken ertrage ich nicht. Bei den Göttern.

Das Piepen meines Telefons reißt mich aus meinen Überlegungen. Nahezu widerwillig greife ich danach und blicke auf das Display. Unbekannte Rufnummer. Mir wird unwohl. Egal ob es Julian ist – oder dieser Irre. Vielleicht ist es doch ein und dieselbe Person… Ich kämpfe gegen mein Unwohlsein und nehme das Gespräch an. „Meyers.“

„Hey.“ werde ich freudig begrüßt und bin nicht fähig zu antworten. Macht aber nichts. Julian spricht direkt weiter. „Du hattest angerufen?“

Dem leisen Schmatzen nach, das seine Worte begleitet, isst er gerade. Mir schnürt es die Kehle zu und ich schlucke schwer. Der Kloß in meinem Hals wird nicht kleiner und eine Erwiderung bringe ich nicht zustande.

„Schatz?“ Julian klingt besorgt. „Ist alles in Ordnung?“

„Ja.“ krächze ich und räuspere mich. „Denke ich…“

Die Pause, die jetzt entsteht kommt von Julian und er scheint durch bloßes Lauschen meines Atems heraushören zu wollen, was hier verkehrt läuft. Nach endlosen Sekunden sieht er sein Scheitern dahingehend ein und fragt mich: „Was ist los, Schatz.“

Ich könnte heulen und die Worte fehlen mir auch. Ich schnüffele bloß. So leise, wie es geht.

Julian hat es trotzdem gehört. „Aaron…?“ fragt er nach. „Sprich mit mir. Du hast doch was.“

„Nein. Es ist nichts.“ Wie ein Feigling beende ich damit das Gespräch und werfe mein Mobiltelefon auf den Beifahrersitz. Haareraufend fluche ich. Bei den Göttern. Was ein Scheiß. Irgendwie hoffe ich, Julian gibt nicht auf und ruft gleich nochmal an. Und genauso irgendwie macht mir das gerade eine Scheiß-Angst.
 

()Julian starrt sein Telefon an. Wie kann sein Schatz behaupten, es sei nichts und sich dabei so unglücklich anhören? Aufgeben tut Julian nicht. Die Wahlwiederholung gedrückt hält er sich das Telefon ans Ohr und wartet. Es dauert, aber endlich meldet sich Aaron. „Meyers.“

„Schatz! Nicht auflegen!“ fordert Julian hastig. „Sag mir was los ist. Sofort.“

„Ich… Du…“ heisert Aaron. „Bist du Zuhause?“

„Ja.“ meint Julian. „Eben gerade.“ Und fügt hinzu: „Hatte was zu erledigen…“

„Ja… Gut…“ Hörbar zieht Aaron die Luft ein. „Julian… Wir müssen reden.“ stellt er fest. „Dringend. Jetzt gleich. Ich komme gleich zu dir.“ Und wieder beendet er das Gespräch.

Nachdenklich legt Julian das Telefon beiseite und reibt sich die Stirn. Was meint Aaron damit? Reden müssen…? Über was den reden müssen? „Will er etwa… Er will doch nicht… Schluss machen?“ fragt er sein Katerchen, das vor ihm auf der Anrichte hockt und seinen Anteil von eben besorgter Mahlzeit erwartet.

„Miep!“ macht Sharky und schnüffelt in der Tüte, die ihm sein Mitbewohner vor der Nase wegschnappt. „Das ist nichts für dich!“ erklärt Julian nachdrücklich. „Das habe ich nur für mich geholt!“ Und krault den kleinen Kater zwischen den Ohren. „Ich gebe dir eine Milch, ja?“ lenkt er versöhnlich ein und nimmt schon eine Packung aus dem Schrank.

„Miau!“
 

Das Schälchen für Sharky schwappt über, was den Katerchen nicht im Geringsten stört. Julian bemerkt zu spät, mehr fasst die kleine Schüssel nicht. „Tut mir leid.“ murmelt er die Packung an die Seite stellend und setzt sich neben den kleinen Kerl, sieht ihm beim Schlabbern der Milch zu und malt sich die schlimmsten Dinge aus, was Aaron mit ihm zu bereden hätte.

Resümierend kommt ihm nur eins in den Sinn, was ihm einen unglücklichen Schluchzer entkommen lässt. „Schluss machen…“ Die Hände vor das Gesicht schüttelt er ungläubig den Kopf. Ein Grund fällt ihm nicht ein. Wegen der Sache am Tatort? Wegen dem geheimen Dojo? Wegen dem Kampf? Wegen dem Sex? „Aber das…“ heisert er. „Das war mehr! Wir haben uns geliebt! Er. Und ich. Und miteinander… Warum denn nur…? Aaron… Du bist doch… Bist doch…“ Sein Schatz!()
 

Aus lauter Hilflosigkeit singe ich – angestrengt damit beschäftigt, mir nicht vorzustellen, wie sich Julian den jungen Wellington von hinten greift, dessen Kopf hebt und ihm die Kehle aufschlitzt. Das Gleiche mit Lipinski. Vielleicht mit dem… Wakizashi?

Wie viele waren es vorher? Wie viele folgen noch?

Genaugenommen… Wie gut kenne ich Julian eigentlich? Gestern sind wir uns begegnet. Bei den Göttern! Und wie wir das sind! Er lud mich zum Essen ein und nach dem einen und anderen hatten wir Sex. Ohne Gummis! Das ist mir noch nie passiert. Gleich am ersten Tag über mein Date herzufallen. Oder von meinem Date über mich herfallen zu lassen.

Heute nicht weniger. Sex. In der Asservatenkammer seines Reviers. Aber das war nicht nur Sex! Das war mehr! Wir haben uns geliebt! Er. Und ich. Und miteinander.

Bei den Göttern. Ich habe nie gefleht! Nie! Bitte ich zu viel, wenn ich nur dieses eine Mal und einzig und allein darum bitte… Nicht Julian. Bitte. Lasst es nicht Julian sein. Er ist doch… Ist doch… „Mein Schatz!“

Knalleffekt.

//Passbildautomat… Wie schön es darin gewesen war. So innig. Wieder nur durch einen Vorhang von der Außenwelt getrennt waren sie diesmal allerdings um vieles leiser. Während sie sich in der engen Kabine anzogen – und dabei liebkosten – fragte sie einfach, was genau ein Passbildautomat eigentlich war.

Glucksend hatte Lars es erklärt und ihrer Neugier nachgegeben. Die Blitze waren etwas unangenehm, aber dann kamen diese Bilder. Zum ersten Mal betrachtete sie sich auf einen Bild und war überrascht, wie sie aussah. „Mein Spiegelbild ist aber doch ganz anders.“ erklärte sie verlegen. „Sehe ich wirklich so aus?“

„Eine Schönheit!“ hatte Lars versichert.

Arm in Arm schlenderten sie durch diese Welt, die Lars ‚Einkaufszentrum‘ nannte. Sie war froh, sich an Lars schmiegen zu dürfen. Manches machte ihr Angst in dieser Welt. Besonders die starren Menschen, die mit unbeweglichen Gesichtern und kühlen Blick auf sie herabsahen. Oder in weite Ferne schauten. Ohne zu blinzeln, ohne sich zu rühren. Männer gab es. Und Frauen. Und Kinder. Hinter Glas ausgestellt, bekleidet und nackt. Wie sie entsetzt feststellen musste, wurden einigen dieser starren Menschen die Kleider vom Leib gezerrt und darüber hinaus die Gliedmaßen abgenommen. Anderen auch der Kopf.

„Lars…“ flüsterte sie erschrocken und klammerte sich an ihm. „Sieh nur!“ Sie selbst wagte nicht, das grausige Schauspiel weiter zu verfolgen.//
 

\\Es dauert einige Sekunden bis Lars begreift, was Sundora meint. Dann sieht er die nackten Schaufensterpuppen, die in ihre Einzelteile zerlegt wurden. Ein gewöhnungsbedürftiger Anblick – selbst für ihn. Sundora etwas fester an sich gedrückt, spricht er von Sinn und Zweck dieser Plastik-Menschen. Und davon, wie sie an- und ausgezogen werden. Eben durch Abnehmen der Einzelteile.

Sundora zeigt sich ein klein wenig beruhigt und schmiegt sich an ihm – die Puppen wagt sie jedoch nicht mehr anzusehen. Lars legt einen Arm um ihre Schultern und zieht sie mit sich, weg von diesem Anblick.

Vor einem Mann mit Rasta-Locken und Bauchladen bleiben sie stehen und betrachten den feilgebotenen Schmuck aus Silber – teilweise mit Halbedelsteinen besetzt.

„Oh!“ flüstert Sundora und nimmt eine Brosche in Form einer Elfe in die Hand. „Das ist wunderschön.“ Vorsichtig legt sie das Schmuckstück zurück, doch ihr Blick fällt immer wieder darauf.

„Ja… Ist es…“ flüstert Lars geistesabwesend. Er hat ein anderes Bild vor Augen…

Getroffen geht Aaron vor ihnen zu blutend Boden. „Flieht.“ ist das, was er sagt. Dann stirbt er.

Sundora im Arm drängt auch Lars zur Flucht.

Ein Mann, ganz in schwarz, stellt sich ihnen in den Weg. Das einzig sichtbare sind seine Augen, die wie rote Sonnen glühen. In den Händen hält er Schwerter. Ein langes, ein kurzes. Sein Blick geht von Sundora zu Lars. Dann zu Aaron. Und er weint lautlos. Danach betrachtet er Sundora und Lars und hebt die Schwerter.

„Das ist nur ein Tod…“ tröstet Lars diesen Mann in schwarz. „Nur ein Tod.“

Der Vermummte nickt kaum merklich. Die Schwerter sausen hinab, blitzen und wirbeln.

Von Sundora kommt ein Aufweinen, ein Schluchzen… Und sie verstummt, weil Lars sie in seine Arme reißt und fest an sich drückt. Mit ihr geht er in die Knie.

Ruhig wird es. Kein Laut ist mehr zu hören.

Lars wagt nicht aufzusehen und beugt sich schützend über Sundora. Er spürt, der Vermummte ist noch immer da.

Jäh wird die Stille mit einem Knall unterbrochen.

Es ist die Walt Wilson, die knallt. Es ist Aarons Walt Wilson, die knallt.

Diesen Schuss in den Ohren zuckt Lars zusammen, stolpert einen Schritt vorwärts und fällt vor dem Mann mit dem Bauchladen auf die Knie. Damit nicht genug schubst er den Mann aus dem Gleichgewicht, kann dessen Sturz noch rechtzeitig abfangen und ihn auf den Beinen halten. „Sorry.“ murmelt Lars verlegen und springt auf die Füße. „Wir nehmen die Brosche.\\

Befehlsverweigerung

Einige Straßen vor dem Restaurant – und Julians Loft – lasse ich meinen Wagen stehen und gehe zu Fuß weiter.

Komischerweise fällt mir gerade jetzt ein, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll.

Wahrscheinlich sehe ich mich dezent bei ihm um, ob da irgendwo ein brauner Overall ist. Und eine Schirmmütze. Und eine Sonnenbrille. Sein Alibi überprüfe ich auch – heimlich und unauffällig natürlich. Wohin ist er gestern Abend verschwunden? Wieso kam er mit einem Wakizashi heim? Das wiederum werde ich auf Blutspuren untersuchen. Von ihm unbemerkt!

Mitten im Schritt halte ich inne. Bei den Göttern! Was denke ich denn da? Julian ist das nicht! Er kann das nicht sein. Er darf das nicht sein.

Unwillig schüttele ich den Kopf und gehe weiter.

Mein Telefon piept. Ich hätte es im Wagen lassen sollen. Wäre besser gewesen. Das Teil stört mich. Aber… ‚Hätte‘ und ‚wäre‘ funktioniert wirklich nicht.

Wie mir das Display anzeigt ist es Charlene. Tief Luft geholt gehe ich dran. „Meyers.“

„Hey, Ron.“ Nach dem Gruß schweigt unsere Pathologin und gibt mir einen Augenblick Zeit, ihre Stimmlage zu analysieren. Und ich tue es. Besorgnis. Das verheißt nichts Gutes! Im Grunde verheißt es eines: „Hey, Charlene. Ihr habt nichts gefunden.“

„Nein.“ bestätigt sie. „Haben wir nichts.“ Charlene seufzt. „Wir haben absolut nichts, Aaron. Und das ist noch nie vorgekommen. Das Papier. Eine Sackgasse. Die Kiste. Nicht weniger. Nicht mal eine Faser am Klebeband. Keine Fingerabdrücke. Kein Stäubchen. Es ist, als hätte der Irre in einem Luftleeren Raum gearbeitet. Verdammte Scheiße! Der weiß, was er tut!“

„Wir kriegen ihn, Charlene.“ behaupte ich mit einer zuversichtlichen Inbrunst, die jeglicher Grundlage entbehrt.

„Ja… Wir kriegen ihn. Früher oder später.“ Ihr Seufzer ist zum Steinerweichen. „Ich überprüfe alles noch einmal!“

„Und Berger?“ erkundige ich mich. „Ihr wolltet doch essen gehen.“

„Wir essen später. Er assistiert.“

„Aha…?“ Ich hole tief Luft und bemühe mich, nicht beleidigt zu klingen. „Er darf das? Und ich darf das nicht?“

„So ist es.“

„Charlene…“ beginne ich und hole noch mal tief Luft. „Das ist… nicht nett!“

„Ron… Du brauchst eine Pause und ich weiß das. Ich melde mich, wenn ich neue Ergebnisse habe. Bis dann.“ Und KLACK ist das Gespräch beendet.

Das Telefon stecke ich in die Tasche und gehe weiter. Mir schwirrt der Kopf und ich erkenne, Julian jetzt sprechen zu wollen ist ein Fehler.

Für einen Rückzieher ist es eh zu spät. Ich stehe vor dem Restaurant, gehe herum zum Seiteneingang und steige die Treppe empor.

Mit klopfendem Herzen taste ich nach der Türklingel. Betätigen brauche ich sie nicht, die Tür wird geöffnet. Julian steht vor mir, die Augen gerötet und verquollen. „Hey.“ grüßt er heiser und zieht die Nase hoch.

Bei den Göttern. Er muss geweint haben. Und ich allein trage die Schuld daran!

„Hey.“ Und dann tue ich das, was ein Meyers am besten kann. Handeln!
 

()Julian gibt einen überraschten Laut von sich, als Aaron einen beherzten Schritt auf ihn zu macht und mit seinen Armen umschlingt. In dieser festen Umarmung spürt er spürt die Lippen seines Schatzes auf seiner Wange, auf seinem Ohr.

„Heißt das…“ flüstert Julian erstickt. „Du machst nicht Schluss?“

Nie!“ gibt Aaron nicht viel lauter zurück. „Du bist mein Schatz!“

„Aber… Aber… Aber…“ Er löst die Umarmung und rückt etwas von Aaron ab. „Aber… Du warst so komisch am Telefon.“ Unablässig blickt er seinem Gegenüber in die dunklen Augen. „So kurz ab und so… Na ja…“ In Erklärungsnot hebt er die Schultern. „So komisch eben.“

„Ich weiß.“ Schuldbewusst lässt Aaron den Kopf sinken und fährt sich mit einer Hand durch das Haar, ehe er wieder aufblickt und tief einatmet. „Schatz. Wir müssen reden. Ich habe da ein paar Fragen. Es geht um den Fall.“

Nickend nimmt Julian Aaron an die Hand und führt ihn in den Loft.()
 

Diese zärtliche Geste habe ich gar nicht verdient. Julian fasst meine Hand und bringt mich hinein.

Kaum im Loft entledige ich mich meiner Jacke und hänge sie an die Garderobe.

Julian beobachtet mich dabei. „Ich habe Kakao gemacht.“ sagt er und zeigt Richtung Küche.

„Toll.“ murmele ich und höre mich leider nicht allzu begeistert an. Ein Räuspern später versuche ich es noch einmal. „Wirklich toll.“ Nein. Der Tonfall ist genauso lausig wie eben.

Mein Schatz bittet mich am Tisch Platz zunehmen, was ich als gute Idee empfinde. Mir zittern nicht nur die Hände, sondern auch die Knie.

Der Lotussitz ist für mich jetzt am bequemsten und so lasse ich mich auf einem der Kissen nieder. Die Augen geschlossen versuche ich mich mittels Atemübungen zu beruhigen. Es klappt nicht. Nicht einmal leidlich. Die Augen wieder geöffnet und sehe mich um, kann ich nicht anders und frage mich: Sitze ich im Loft eines irren Killers? Habe ich mich ihm gerade ausgeliefert? Was passiert, spreche ich Julian darauf an? Wird er es unumwunden zugeben? Behaupten, er hätte es für uns getan? Oder streitet er alles ab? Versucht er sich der Festnahme zu entziehen? Artet das letztendlich in einen Kampf aus?

Mich überkommen wieder diese Zweifel und ich werde sie nicht los. Viel schlimmer noch. In Gedanken behandele ich meinen Schatz – Meinen Schatz! – wie einen Verdächtigen.

Nach einem Abstecher in die Küche und einem Tablett mit Kanne und Tassen beladen kommt Julian auf mich zu. Sein süßes Lächeln soll eindeutig aufmunternd sein. Er stellt das Tablett auf den Tisch und setzt sich mir gegenüber. Sein süßes Lächeln macht es mir nicht leicht, die richtigen Worte für den Anfang zu finden. Kann ein Mann mit einem solch süßen Lächeln ein Mörder sein?

Den Mund geöffnet schließe ich ihn wieder, weil mir nichts einfällt.

„Du sagtest, es geht um den Fall.“ beginnt schließlich er, gießt den Kakao ein und schiebt mir eine Tasse zu.

„Ja.“ bringe ich tonlos heraus. „Der Fall…“ Die Tasse in die Hand genommen halte ich mich krampfhaft daran fest und hoffe, meine Hände gehorchen mir. Mit barster Gewalt befehle ich ihnen nicht zu zittern. Befehlsverweigerung. Massive Befehlsverweigerung. Ich kippe mir den Kakao aufs Hemd.

Bei den Göttern!“ rufe ich aus und stelle die Tasse auf den Tisch. „Was ein Scheiß.“ Und dann… Dann fange ich an zu heulen und kann gar nicht mehr aufhören.

Auf in den Kampf!

Es ist kein lautes Heulen. Wie ein Wasserfall laufen mir die Tränen und ich verliere völlig die Kontrolle über meine Atmung. Ich kriege nicht genug Luft in die Lunge um wenigstens zu schluchzen.

Der Versuch, meinem Schatz diesen erbärmlichen Anblick zu ersparen und mich abzuwenden, scheitert. Kein Muskel rührt sich.

Bitte. Guckt weg. Ich will nicht, dass ihr mich so seht. Bitte, bitte. Guckt doch alle weg.
 

()Die Kanne abgesetzt braucht Julian kaum eine Sekunde, um bei Aaron zu sein, auf die Knie zu fallen und ihn in die Arme zu schließen. Es ist dieser Fall…

Dieser Fall setzt seinem Schatz merklich zu.

Mit Worten trösten will Julian nicht. Das kommt ihm falsch vor. Außerdem gibt es keine Worte, die wirklich trösten. Aaron an sich gedrückt schaukelt er sacht vor und zurück, dessen Tränen spürend. Endlich entkommt seinem Schatz so etwas wie ein Schluchzen und er keucht leise, nach Atem ringend.

Allmählich – so scheint es – kommt Aaron zur Ruhe. Die Finger in dessen weichem Haar betrachtet Julian die Farbe. Weiß. Nichts anderes. Einfach nur weiß. „Schatz…?“ beginnt er und spricht aus, was er seit ihrer ersten Begegnung wissen möchte: „Warum ist es eigentlich weiß?“ Er erklärt seine Frage direkt. „Ein Albino bist du sichtlich nicht. Bei deinen schönen dunklen Augen.“

Den Kopf gehoben sieht Aaron ihn an, aus diesen schönen dunklen Augen. Ein gequälter Ausdruck ist darin. Das Gesicht wie schmerzverzerrt.

Zu einer Antwort nicht bereit löst sich sein Schatz aus der Umarmung, heisert ein: „Danke. Geht wieder.“ und steht auf. Eine nicht viel lautere Entschuldigung folgt und Julian sieht Aaron ins Bad verschwinden.

Seinen Schatz perplex nachsehend fragt sich Julian, was das bedeutet. Ist Aaron vor der Antwort geflohen? Und… Warum ist er das? Soll Julian hinterhergehen? Von der Couch erhoben werden seine Grübeleien vom melodischen Klingelton seines Mobilfons unterbrochen. Die akustische Erinnerung, er hat noch einen Anruf zu tätigen.

Sein Schatz ist im Bad. Allein. Unglücklich.

Julian seufzt. So richtig wollen will er eigentlich nicht, aber… Es ist nun mal die Zeit und tut er es nicht, gibt es keine Ruhe bis er es tut. Also tätigt er diesen Anruf.()
 

Was bietet mir mein Spiegelbild für einen erbärmlichen Anblick! Ich schüttele über mich selbst den Kopf und beschimpfe mich mit „Heulsuse!“ und „Weichei!“ und „Jammerlappen!“ und was mir sonst noch einfällt. Das ist nicht mehr allzu viel, wie ich zugeben muss. Ein „Schwächling!“ kann ich noch hinzufügen. Das war es dann endgültig!

Den Kakaofleck aus meinem Hemd und die Tränen aus meinem Gesicht gewaschen fahre ich mir mit den nassen Händen durch das Haar und denke dabei an die Frage meines Schatzes.

Und ihr?

Ihr wollt es auch wissen. Genauso wie Julian wollt ihr wissen, was mein brandrotes Haar in diesen weißen Schopf verwandelte. Tja… Das zu beantworten bedeutet ein hartes Stück Arbeit und noch mehr Theatralik. Eine Mischung aus Drama und Horror, Science Fiction und mittelalterliches Machwerk.

Tut mir Leid. Gegenwärtig will ich nicht darüber reden. Später einmal. Oder noch später. Oder gar nicht. Ist immerhin meine Vergangenheit und wenn ich sage, das geht euch nichts an… Dann geht euch das nichts an! Das ist keine Unhöflichkeit, sondern die pure Wahrheit!

Ein weiterer Blick in den Spiegel verrät mir, ich kann meinem Schatz wieder unter die Augen treten, weil ich nicht mehr ganz so nach Heulsuse und Weichei und Jammerlappen und Schwächling aussehe.

Tief Luft geholt nehme ich mir vor, einfach mit der Tür ins Haus zu fallen und Julian mit einem Bombardement an Fragen zu überrumpeln.

Auf in den Kampf!

Große Worte, hm? Traut ihr mir das zu? Ich meine… Ich traue es mir selbst kaum zu.

Jemand anderem.

[]Nicht nur die freundlichen und sanften Stimmen erinnern ihn daran, diesen einen Anruf zu machen. Zwar hat er eigentlich etwas anderes vor, doch ist dieser Anruf um genau diese Zeit zu wichtig, um ihn nicht zu machen.

Sein Telefon in die Hand genommen und ein paar Tasten gedrückt blickt er auf die erste Nummer in seiner Liste. Es ist nicht mehr die von Detective Aaron Meyers. Das hat sich Detective Aaron Meyers selbst zuzuschreiben. Oh ja! Bereut Detective Aaron Meyers mittlerweile, bei den Anrufen niemals ein Wort mit ihm gesprochen zu haben? Vermisst Detective Aaron Meyers die Anrufe bereits? Oder sehnt sich Detective Aaron Meyers schon danach? „Zu spät, Detective Aaron Meyers!“ sagt er voller Gehässigkeit. Die freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf sind mit ihm einer Meinung und erklären ganz deutlich, Detective Aaron Meyers ist selbst daran schuld! „Meine Aufmerksamkeit schenke ich ab heute jemand anderem!“

Auf seinem Sofa niedergelassen wählt er die Nummer dieses ‚jemand anderem‘ mit einem einzigen Tastendruck und hört bald darauf die Stimme dieses ‚jemand anderem‘.

Atemlos, gehetzt und der Verzweiflung nah.

Von Schadenfreude erfüllt lacht er zuerst und hört das Kichern der freundlichen und sanften Stimmen. Auch sie sind schadenfroh. Wie die freundlichen und sanften Stimmen weiß er, warum dieser ‚jemand anderes‘ atemlos, gehetzt und der Verzweiflung nah ist. „Halli Hallo, Doctor Charlene Rush.“ grüßt er und spricht sofort weiter. „Hat Ihnen mein Paket gefallen? Wahrscheinlich nicht, hm? Ich war sehr sauber. Aber das haben Sie sicherlich schon festgestellt.“ Er lacht wieder und lauter, verspottet die Pathologin damit. „Rufen Sie jetzt Detective Aaron Meyers an und petzen? Tun Sie das ruhig, Doctor Charlene Rush. Das wird ihn gewiss freuen!“ Mit einem letzten bösen Lachen beendet er einfach das Gespräch und kann sich anderen… wichtigeren Dingen zuwenden.[]

Vorsatz und Ausführung.

Das Bad verlassen, einen Zwischenstopp bei meiner Jacke an der Garderobe gemacht – die Zeichnung stecke ich in die Brusttasche meines Hemdes – und die Küche betreten stelle ich fest: Hier ist Julian nicht mehr.

Ich höre meinen Schatz lachen und folge dem Gelächter. Dieses klingt eigenartig. Kein bisschen fröhlich oder heiter. Beinahe… bösartig und unheilvoll. Dass Julian zu einer solchen Lache fähig ist wundert mich sehr. Ein Blick um die Ecke und ich sehe ihn auf dem Sofa sitzen. Oh. Darum wohl dieses Gelächter. Er telefoniert gerade. Nein. In der nächsten Sekunde schon nicht mehr. Ohne Abschied hat er das Gespräch beendet und legt das Telefon an die Seite. Tatsächlich denke ich darüber nach meinen Schatz zu fragen, mit wem er telefoniert hat. Allein diesem Lachen wegen. Ich verschiebe es und beobachte ihn vorerst einen Moment.

Er hebt Sharky vorsichtig von dessen Kissen und sich auf den Arm und krault den Winzling hingebungsvoll. Des Katers wohliges Schnurren dringt an mein Ohr und damit verbunden das leise Flüstern. „Du bist gut zu mir. Ich hab dich lieb.“ Ich weiß, mein Schatz kann Sharky nicht verstehen, doch er knuddelt ihn sacht, die Nase im Nackenfell des kleinen Katers. „Mein kleiner Racker. Mein kleiner süßer Racker.“

Darüber bemerkt mich Julian erst, als ich direkt auf ihn zugehe und sein besorgter Blick trifft mich. „Schatz…? Alles gut?“ erkundigt er sich voller Mitgefühl und Warmherzigkeit. Gefühle, die so zweifellos echt sind. Unverfälscht. Ungespielt.

Ich lächle bloß, entgegne ein „Alles gut.“ und winke ab, erkläre ansonsten nichts weiter.

Bei dem Gesehenen und Gehörten bin ich mir sicher, Julian kann es nicht sein. Er kann nicht dieser Irre sein. Er kann es einfach nicht! Und er darf es einfach nicht! Das kleine hilflose Geschöpf… Dieser winzig kleine Kater vertraut ihm. Bedingungslos!

Ich sollte es auch tun. Wäre da nicht dieses Lachen, das neuerlich Zweifel… Nein! Meyers! Bei den Göttern! Dieser Mann da ist dein Schatz! Tu was gegen deine Zweifel! Frage ihn! Und du wirst nie wieder zweifeln!

Beherzt setze ich mich neben den beiden und ziehe dabei das Phantombild aus meiner Hemdtasche, lasse meinen Schatz gar nicht erst zu Wort kommen – Er hätte sich eh nur weiter nach meinem Befinden erkundigt! – und halte ihm die aufgefaltete Zeichnung unter die Nase. „Wer ist das?“ frage ich und meine innere Unruhe lässt meine Stimme barsch und kalt klingen. Etwas, das ich nicht vorhatte.

Julian schaut mir entgeistert in die Augen und will etwas sagen – sich vielleicht über den barschen und kalten Ton beschweren, doch er bleibt stumm und betrachtet gründlich das Gesicht des Verdächtigen. Keine Regung des Erkennens zeigt sich in seiner Mimik. „Ein schlechter Elvis-Imitator.“ kommt er zu dem Schluss, sieht auf und damit wieder in meine Augen. „Und? Wer ist das?“ fragt er nun seinerseits, allerdings klingt er zwischen neugierig und lauernd.

„Ein schlechter Elvis-Imitator.“ gebe ich zurück, falte das Blatt und stecke es zurück in meine Tasche, lächle meinem Schatz entgegen und deute wage zur Küche. „Ich könnte deinen Kakao jetzt gut gebrauchen.“

So ganz traut Julian der Sache nicht über den Weg, wie es sein Blick verrät. Wieder sagt er nichts, gibt mir den kleinen Kater auf den Arm und erhebt sich. Nur so eben kann ich mich zurückhalten, ihn in den Hintern zu kneifen.

In der Küche macht er sich daran, mir und sich eine Tasse Kakao einzugießen. Wie ich sehe, hält er die Kanne mit beiden Händen. Und die Hände zittern ihm. Ganz leicht nur, aber sie zittern.

Meine Fragen halte ich einen Moment zurück und warte ich auf den passenden Moment. Von dem ich hoffe, dieser Moment kommt und ich erkenne diesen Moment. Nach dem Alibi werde ich ihn fragen. Oder nach dem Wakizashi. Oder nach dem Overall. Ich streichle Sharky, der unaufhörlich schnurrt und ein leises „Dich habe ich auch lieb.“ von sich gibt. In aller Vorsicht lege ich den Winzling auf sein Kissen. Sharky maunzt ein „Alle beide habe ich lieb.“ und rollt sich zusammen. Mein Schatz reicht mir meine Tasse und stellt seine auf den kleinen Beistelltisch. Einige Sekunden scheint er abzuwägen und setzt sich doch auf den eben verlassenen Platz an meiner Seite. Abermals schweigend und spürbar abwartend nimmt er seine eigene Tasse in die Hand und führt sie zum Mund, dabei ruht sein Blick weiterhin auf mir. Es ist, als wolle er mich durchleuchten und in seinen goldenen Iriden zeigen sich rötliche Schimmer.

Damit haben wir ihn, den passenden Moment. Der passende Moment für den nächsten ermittlungstechnischen Schlag, zudem ich aushole.

In aller Unauffälligkeit setze ich meine Tasse auf dem Tischchen ab. Möglicherweise brauche ich gleich beide Hände.

Und jetzt! Haltet euch fest! Was kommt, haut euch von euren Sitzgelegenheiten! Alibi! Wakizashi! Overall! Tief Luft geholt sprudelt es auch schon aus mir heraus: „Schläfst du mit mir? Hier und jetzt? Und ganz sanft?“

Reflexionen.

\\Für die Brosche bedankt sich Sundora mit einem Kuss. Hauchzart und sanft wie der Wind. Sogar Tränen hat sie in den Augen und beteuert, niemals etwas dermaßen Schönes geschenkt bekommen zu haben. Oder überhaupt etwas geschenkt bekommen zu haben.

Errötend weiß Lars nicht, was er darauf erwidern soll. „Gern geschehen.“ sagt er schließlich.\\
 

//Immer wieder strich sie über das Kleinod, das Lars ihr – Einfach so! – geschenkt hatte. Seine Großzügigkeit kannte keine Grenzen und er bat sie, mit ihm zu essen.

Die Brosche an dem Kleidungsstück namens Pullover angeheftet griff sie nach der Hand des jungen Mannes und wusste nicht anders, als vor Dankbarkeit zu lächeln. Viel Glück hatte sie mit der Wahl der Ältesten. Und auch mit ihrer eigenen. Lars hatte sie nicht eingesperrt oder mit Gewalt untertan gemacht, wie es manch anderen ihrer Art widerfahren war.

„Lehrst du mich?“ wagte sie darum die Frage. „Bringst du mir bei, was du von dieser Welt weißt?“ Dabei drückte sie seine Hand etwas fester und schmiegte sich an ihn. Ihr Herz klopfte schneller, auch aus Furcht.

In der nächsten Sekunde schämte sie sich für ihre Furcht. Seine dunklen Augen strahlten von Wärme und er gab ihr das Lächeln zurück.//
 

\\Was er Sundora beizubringen vermag, bringt er ihr bei – nimmt sich Lars vor. Allerdings ist diese Welt ihm selbst noch in manchen Dingen fremd und in manchen ein absolutes Rätsel. Trotz der knapp fünfzehn Jahre die sie schon hier sind. Sein Bruder und er.

Aaron fand seine Bestimmung darin Polizist zu werden, wofür Lars voller Stolz zu seinen großen Bruder aufblickt. Er selbst hat mit einem ganz anderen Job sein Einkommen und arbeitet bei einem Autohändler für Gebrauchtwagen. Ob Werkstatt oder Verkauf. Lars macht beides gern und er macht es gut. Nichtsdestotrotz hat er sich auf seinen Urlaub gefreut. Für Aaron standen ein paar Überstundenfrei-Tage an und gemeinsam wollten sie etwas unternehmen. Wandern, vielleicht. Und Zelten. ‚Das eher weniger.‘ kommt Lars in den Sinn mit der Erinnerung an den letzten Zeltausflug. Dann eben einfach nur ganz gemütlich auf Sessel und Couch gammeln, mit Mitternacht schmusen und schwatzen, Mensch-ärgere-dich-nicht spielen und nebenbei halbwegs ungesundes Zeug futtern.

„Tja… Sundora.“ fängt er an. „Alles weiß ich auch nicht, aber… Was hältst du davon, wenn wir in eine Bibliothek gehen?“ Sicherheitshalber erklärt er, was eine Bibliothek ist.\\
 

//Ein Ort des angesammelten Wissens. Und Lars war bereit dieses Wissen mit ihr zu teilen. Er würde sie nicht einsperren und auch lein Leid zufügen. Er würde sie nicht… nie schlecht behandeln. Auch das musste Liebe sein. Wahrhaftig. Sie wollte Mitternacht danach fragen.

In diesem Augenblick machte ihr Herz einen Hüpfer. Es fühlte sich an wie dieser Schluckauf und sie wusste sich nicht anders zu helfen, jauchzte und sprang Lars in die Arme. Worte, die ihre Dankbarkeit bekundeten, fielen ihr nicht ein, darum küsste sie ihn einfach.//
 

\\Die Arme um Sundora geschlungen lächelt Lars mit dem Kuss. Gleichzeitig fragt er sich, wie lange das so sein wird. Vielleicht wird diese wunderbare junge Frau irgendwann gehen. Vielleicht, sobald sie diese Welt genug begriffen hat. Daran mag er nicht denken. Er will sie nicht hergeben. Doch will er auch keinen Zwang auf Sundora ausüben oder sie nötigen bei ihm zu bleiben.

Die Zukunft ist ein unbeschriebenes Blatt. Was immer kommen mag… Lars erfährt es früh genug. Darüber lächelt er und Stille umgibt ihn.

Der Vermummte steht weiterhin neben Sundora und ihm. Er kann diesen Mann in schwarz spüren. Unendlich langsam wagt Lars es und hebt den Kopf.

Tatsächlich steht der Vermummte noch da und sieht auf die junge Frau und ihn. Die Iriden rotglühend. Das lange und das kurze Schwert gehen wieder in die Höhe und beide Klingen reflektieren ein grelles Licht, dessen Ursprung Lars nicht ausmachen kann.

Die Walt Wilson knallt. Aarons Walt Wilson knallt.

Die Reflexionen blenden Lars. Sie stechen schmerzhaft in seine Augen, die er zukneift und in dieser Sekunde hört er den dumpfen Laut eines gefallenen Körpers.

Die Augen aufgerissen sieht er Sundora auf dem Boden sitzen. Sie muss ausgerutscht sein und ist auf ihre Kehrseite gelandet. Das Gesicht zeigt kaum Schmerzen – eher Überraschung und sie klagt ein leises „Au!“

Selbstverständlich hilft Lars ihr auf die Füße, tätschelt ihren Po und möchte wissen: „Wie ist denn das passiert?“

Auf ihre nonverbale Antwort hin verkneift er sich schwerlich das Lachen, denn Sundora zeigt nahezu anklagend auf eine Bananenschale.\\

Ganz sanft.

()Bei der nahezu greifbaren Anspannung in der Luft ist das eigentlich nicht – Absolut nicht! – was Julian erwartet hat und da geht es nicht nur ihm so. Aaron scheint von seinen eigenen Worten ziemlich überrumpelt und darum sieht Julian seinen Schatz – Zum ersten Mal! – verlegen lächeln und erröten. Dieser Anblick ist hinreißend!

Seine Tasse neben Aarons gestellt rückt er an jenen heran, eine Hand auf dessen Oberschenkel. Aaron soll sich nicht verbessern oder die Flucht antreten dürfen und Julian küsst ihn auf den Mund. Immer wieder ist es wie eine Explosion von Sinnlichkeit die zarte – leicht spröde Haut auf der eigenen zu spüren.

Seine Lippen wandern weiter. Über die Wangen zum Ohrläppchen. „Ja.“ haucht Julian und sieht Aaron in die Augen. „Ganz sanft.“ Seinen Worten folgt ein weiterer Kuss und sein Schatz öffnet den Mund. Ihre Zungen streicheln sich, hin und wieder nagt Julian sanft an Aarons Unterlippe, der ihm dafür an der Oberlippe saugt.

Neuerlich küssend lässt er seine Hand auf dem Oberschenkel höher wandern. Zu Knopf und Reißverschluss. Beides öffnet er und lässt die Hand zwischen den Stofflagen gleiten. Aarons – leicht nach Protest klingendes „Hmpf!“ ignoriert er einfach und greift zu. Nicht zu fest. Nein. Ganz sanft.()
 

Bei den Göttern! Für was ihr mich jetzt wohl haltet? Für einen Dummkopf? Oder gar für einen Feigling? Da hat das Herz gesprochen. Nicht der Verstand.

Zu einer Korrektur oder Flucht komme ich nicht. Julian küsst mich schon. Und ich küsse ihn. Diese Küsse… Eine wahrhaftige Offenbarung… Wir passen kusstechnisch unübertrefflich gut zusammen. Wie ich schon erfahren durfte, auch in so vielen anderen Dingen.

Verurteilt mich nicht. Dann passiert es eben. Mein Verstand schmilzt gerade dahin. Um vieles schneller, als ich Julians Hand an und bald darauf in meiner Hose spüre. Mein Protest ist halbherzig und er weiß das auch.

Sein Griff ist ganz sanft. Er hält sich zurück und tut das für mich. Weil ich keinen harten Sex brauche, sondern einfach nur Zärtlichkeit.

Mein Herz sagt mir deutlich: „Julian ist das nicht! Ganz gleich was alles dafür spricht. Er ist das nicht.“ Mein Verstand sagt doch nur: „Er könnte es sein.“ In so was kann ich bedenkenlos auf mein Herz hören. Es hat mich noch nie auf Irrwege geführt.

„Hey…“ höre ich Julian in mein Ohr flüstern und merke damit erst jetzt, unsere Lippen haben sich voneinander gelöst. „Du bist bei der Sache.“ stellt er fest und klingt nicht einmal vorwurfsvoll. Verständnis ist in seiner Stimme und er nimmt die Hand aus meiner Hose, umschlingt mich mit beiden Armen und zieht mich an seine Brust. Der Stoff seines Hemdes ist noch feucht von meinen Tränen.

Wie sich ein Ertrinkender an seinen Retter klammert, klammere ich mich an Julian, höre seinen Herzschlag und atme seinen Duft. Orientalisch holzig. Ich kann nicht anders, als so zu verharren.

Wartet ihr es nur ab. Ihr alle. Ich werde es euch beweisen. Euch allen! Julian ist das nicht. Er ist nicht dieser irre Schlitzer. Nicht dieser schlitzende Irre. Nein. Oh nein! Er ist mein Schatz, hört ihr? Mein Schatz!
 

()Um Sex geht es seinem Schatz gar nicht. Es sollte ihm eine Ablenkung sein. Viel mehr braucht Aaron Trost und eine Pause. Eine kleine Insel der Ruhe, des Verschnaufens und zu Sinnenkommens.

Julian spürt die – nahezu verzweifelte Umarmung seines Schatzes, hält ihn deshalb nur noch fester und fährt ihm durch das Haar. Nach der Farbe wird er nicht mehr fragen. Dieser Blick danach hat ihn mitten ins Herz getroffen. Dieser Gesichtsausdruck dazu… Sobald Aaron bereit dazu ist, wird er es erzählen.

Julian bereut, dem Telefonat mehr Wichtigkeit zugesprochen zu haben, als seinem Schatz. //Das wird nie wieder passieren!// nimmt er sich im Stillen vor. //Nie wieder!// Und gibt Aaron einen festen Kuss auf die Stirn.()
 

Seinen Duft in der Nase atme ich tief durch. Als ich seine Lippen auf meiner Stirn spüre, entspanne ich mich. Julian tut mir gut.

Ich fange an zu singen und schließe die Augen dabei. Nach und nach resümiere ich die vergangenen Stunden. Angefangen vom ersten Tatort. Jedes Gesicht, das mir vor Augen gekommen ist, sehe ich vor mir. Niemand fällt mir auf, der auf mich ‚fremd‘ wirkt und nicht an den Schauplatz des Verbrechens gehört.

Die Begebenheiten danach kommen mir in den Sinn. Bis hin zu diesem Moment, in dem ich von meinem Schatz im Arm gehalten werde.

Allmählich entspanne ich mich und mit der Gewissheit – nicht allein zu sein, nicht alles allein durchstehen zu müssen – fällt eine Last von mir ab. Ich schaffe es und nehme meine Arme von meinem Schatz, der es mir zaghaft gleichtut.

Singend richte ich mich auf und sehe ihm in die Augen, hebe eine Hand und streichle sein Gesicht.

Er errötet, weicht meinem Blick aber nicht aus.

Mein Lied beendet beuge ich mich vor und küsse ihn auf den Mund. Ein leichter Kuss. Ganz sanft. „Danke.“ sage ich leise und aus tiefstem Herzen, woraufhin mein Schatz nur nickt. Ihm einen weiteren Kuss gegeben stehe ich auf, richte mich her und schließe Knopf und Reißverschluss.

Jede meiner Bewegungen verfolgend schaut Julian mir dabei zu und erhebt sich schließlich selbst. „Ich bin für dich da.“ versichert er mir. „Immer!“ ergänzt er und klingt aufrichtig. „Wie heißt es so schön…?“ Er lächelt wieder und etwas mehr. „In guten wie in schlechten Zeiten…“

Das Piepen meines Telefons unterbricht mich in dem Gedanken einer Erwiderung. „Danke.“ heisere ich bloß ein weiteres Mal und sehe, Julian ist das genug der Worte. „Dein Telefon.“ erinnert er mich und geht bereits auf die Garderobe zu, nimmt meine Jacke vom Haken und reicht sie mir.

So vehement wie es piept muss es was dringendes sein.

Meine Jacke entgegen genommen, ein drittes „Danke.“ gewispert habe ich mein Telefon auch schon in der Hand. Ein Blick auf das Display. Charlene! Sie hat doch etwas gefunden!

„Meyers.“ melde ich mich, total begeistert. In der nächsten Sekunde ist das vorbei. Es ist nicht Charlene, die mir antwortet. Es ist mein Partner.

Schuld und Bestie.

Gerrit Bergers Stimme ist kühl und nüchtern, als er mir von dem Anruf des Irren erzählt. Fassungslos lehne ich mich an die Wand. Dieser Irre hat sich jetzt Charlene ausgesucht? Bei den Göttern. Was ein Scheiß. Sie ist nicht ohne Grund Pathologin geworden. Mit den Toten kommt sie besser klar, als mit den Lebenden. Auch wenn sie es gut zu verbergen weiß.

Zum Zeitpunkt des Anrufes war er gerade abwesend, wie er seinen Toilettenbesuch umschreibt.

Kaum wieder im Leichenkeller hat er unsere Pathologin auf dem Stuhl sitzen sehen. Bleich wie der Tod selbst, meine Nummer schon in ihrem Mobilfon eingetippt, aber zu keiner Äußerung fähig. „Sie hat es mir in die Hand gedrückt.“ berichtet er und erläutert weiter. „Glücklicherweise ist Charlene ein kluges Köpfchen und hat den genauen Wortlaut sofort auf Band gesprochen.“ Mein Partner spielt es ab und was ich zu hören kriege ist dem Wortlaut nach eindeutig der Stil des Schlitzers, aber mit Charlenes sanfter und melodischer Stimme… Hört sich extrem an. Viel hatte dieser Scheißkerl diesmal nicht zu sagen. Scheint, als wollte er sich vorstellen und – ganz nebenbei – über unsere Pathologin und ihre Arbeit lustig machen.

Mittendrin höre ich das ‚I was made for loving you, Baby…‘ im Hintergrund. Der Klingelton meines Partners. Er geht dran, murmelt undeutlich und meldet sich danach über Charlenes Telefon. Seine Stimme ist nicht mehr kühl und nüchtern. Sie ist eiskalt. „Er hat wieder zugeschlagen. Gar nicht so weit weg vom Lipinski-Tatort. Im Hinterhof eines Clubs.“ Berger gibt mir die Adresse und ich versichere ihm, in maximal fünfzehn Minuten bin ich da. Und ich brächte noch jemanden mit.

„Okay…“ meint Berger. „Fester Magen ist aber Voraussetzung.“

Ist es eine Anspielung auf meine Kotzattacke gegen sein Jackett? Ich weiß es nicht und halte mich dahingehend geschlossen, verabschiede mich und schlüpfe in meine Jacke. „Julian. Ein neues Opfer.“ erkläre ich und füge hinzu. „Du begleitest mich bitte und siehst es dir an.“ Kaum habe ich meine Bitte ausgesprochen – und Julian seine Zustimmung gegeben – macht sein Mobilfon mit dem Rock-Song auf sich aufmerksam.
 

()Das etwas nicht stimmt erkennt Julian bereits an der Mimik Aarons. Erst erfreut lehnt sein Schatz an der Wand und zeigt sich dann bestürzt.

Aaron lauscht hauptsächlich, sagt wenig. Was er schließlich, sagt lässt Julian Schlüsse ziehen. Nur Sekunden später bestätigen sich diese Schlüsse. Eine neue Leiche, die er sich ebenfalls ansehen soll.

Unbehaglich schluckt er und stimmt wortlos zu. Genau in diesem Moment meldet sich sein Mobilfon. In dem entgegengenommenen Gespräch wird ihm befohlen, worum sein Schatz ihn bittet und Julian schlüpft in seine Slipper, streift sich seine eigene Jacke über und gemeinsam verlassen sie den Loft.
 

Auf dem Weg zum Wagen seines Schatzes grübelt Julian und reimt sich das eine und andere zusammen. Aaron schweigt nämlich. Selbst ganz in Gedanken.

„Dieser…“ Es kostet Julian unglaublich viel Überwindung, den Irren so zu nennen. „Dieser… Mensch ruft dich also nicht mehr an.“

Erst am Auto angekommen schüttelt Aaron den Kopf, kramt in seiner Jackentasche nach seinem Schlüssel und saugt die Luft ein. Ein scharfes zischendes Geräusch entsteht. „War ihm wohl zu still.“ murmelt er. „Hätte mehr auf ihn eingehen sollen. Dann würde er Charlene in Ruhe lassen.“

Seine Schritte beschleunigt überholt Julian seinen Schatz und baut sich vor ihm auf. Die Arme vor der Brust verschränkt sucht er den Blick in Aarons Augen. „Jetzt mal ehrlich! Gibst du etwa dir die Schuld?“ verlangt er zu wissen. „Nein, Schatz!“ gibt er sofort die passende Antwort und schüttelt dazu den Kopf. „Oh nein! Der Typ hat entschieden. Nicht du!“ Eine Hand auf Aarons Schulter wird Julians Stimme eindringlicher. „Wer kann schon sagen, ob der das nicht sowieso vorhatte! So einer… Das ist kein Mensch mehr! Und du…“ Sein Ton wird ruhiger. „Und du bist nicht für diese… Bestie verantwortlich!“ Die Hand von der Schulter, legt er diese an die Wange seines Schatzes. „Niemals und nie und nimmer bist du für eine solche Bestie verantwortlich.“ Julian nimmt die Hand herunter, verschränkt neuerlich die Arme vor der Brust und sieht seinem Schatz weiterhin in die Augen. „Du weißt das! Du solltest es zumindest wissen!“()
 

„Ich weiß das.“ nuschele ich, gehe an Julian vorbei und schließe mein Auto auf, bitte ihn einzusteigen und rutsche hinter das Lenkrad. Wir fahren Richtung Tatort. Keiner von uns wagt eine Äußerung über das, was uns erwarten könnte.

Natürlich weiß ich das. Im Kopf. Fühlen tue ich was ganz anderes. Nämlich eben jene Schuld, die mir mein Schatz auszureden versucht. Charlene – meiner lieben und guten Charlene habe ich – und allein ich – diesen Irren auf den Hals gehetzt!

„Wird dein Kollege vor Ort sein?“ erkundigt sich Julian irgendwann. „Und die Forensik?“

„Ja.“ erwidere ich einsilbig und erweitere es. „Vermutlich.“

„Dann…“ meint er weiter und stockt, grübelt und zieht dabei eine Schnute… Niedlichkeit hoch X und in den letzten paar Minuten das einzige, was mich von allzu trüben Gedanken ablenkt. „Dann haben wir uns zufällig beim Einkaufen getroffen.“

„Ich bin nicht gut im Lügen.“ gebe ich zu, werde gleich darauf von Julian angestupst und er gluckst. „Ich auch nicht!“ gesteht er. „Nicht mal diese kleinen Notlügen kriege ich richtig hin! Diese ‚Ja. Das Kleid steht dir wirklich klasse.‘ oder ‚Nein! Natürlich bist du nicht zu dick!‘ Oder ‚Toll! Das habe ich mir schon immer gewünscht.‘ Ausreden. Das ist ab und an ein echtes Elend.“

„Wem musstest du denn sagen: ‚Ja. Das Kleid steht dir wirklich klasse.‘ oder ‚Nein! Natürlich bist du nicht zu dick!‘? Nur so aus Interesse…“

„Mutter und Schwester.“ erwidert er und sein Ton ist nicht gerade der liebevolle Ton, mit dem man von seiner Familie spricht. Mein Schatz sieht sogar ziemlich wütend aus. „Und meinen Vater sagte ich: ‚Toll! Das habe ich mir schon immer gewünscht.‘ Egal, wie gelogen, aber… Ich sollte ihn ja nicht enttäuschen. Reichte doch schon, dass ich…“ Julian schweigt abrupt, senkt den Kopf und starrt auf seine Hände. „Dass ich…“ setzt er neuerlich an, bricht wieder ab und bleibt endgültig stumm.

Eine Hand auf seinen Oberschenkel gelegt lächele ich kurz zu ihm herüber. Zum Trost. Zur Aufmunterung. Weil ich ihn – Ihr wisst es ja schon! – liebe. Den Blick zurück auf die Fahrbahn und wieder beide Hände am Lenkrad hadere ich mit mir. Fragen? Oder nicht fragen? Bin Bulle. Also frage ich. „Mit wem hast du eben telefoniert?“ Sachlich, aber bestimmt erkundige ich mich danach, obwohl es mir eiskalt den Rücken herunterläuft, an sein Gelächter denkend. „Dieses Lachen, Schatz. Das klang so gar nicht nach dir.“

Diesmal ist es Julian, der die Luft mit einem scharfen Zischen einzieht. „Das Telefonat… Das war privat.“ erwidert er. Dabei klingt er bekümmert und schaut stur auf seine Hände – die Finger sind ineinander verkrampft.

Ein Vorwurf, dass ich es mitgehört habe, bleibt aus. „Verzeih. Wollte nicht lauschen.“ sage ich trotzdem und ergänze es mit einem „Echt nicht.“ Kurz zu meinem Schatz herübergeschielt – keine Reaktion von ihm – wechsele ich das Thema und schlage bewusst einen zwanglosen Plauderton an. „Bist du eigentlich gut darin?“ erkundige ich mich. „Im Renovieren von Wohnungen, meine ich.“

Das gewechselte Thema und der zwanglose Plauderton zeigen Wirkung und mein Schatz sieht auf. Auch ein Lächeln huscht über seine Lippen und er räuspert sich. „Ja.“ Julian räuspert sich ein weiteres Mal. „Ich bin da gut drin.“ Er guckt mich an, muss nur gerade mit meinem Profil vorlieb nehmen. „Der Loft war billig, aber in einem desolaten Zustand“ erzählt er und wiegt den Kopf. „Da musste viel dran gemacht werden.“

„Hast du alles allein gemacht? Wirklich? So… Ganz allein?“

Mein Schatz nickt, nicht ohne Stolz.

„Finde ich klasse.“ meine ich. „Und deine Arbeit kann sich sehen lassen.“ Für ein paar Sekunden hebe ich beide Daumen – wenn auch ich dafür das Lenkrad loslasse.

Hey! Wer meckert denn da? Das waren höchsten drei Sekunden auf schnurgerader Strecke! Und ich fahre achtsam! Ich gebe unsere Leben damit noch lange nicht in die Verantwortung höherer Mächte und habe meine Hände längst wieder da, wo sie sein sollten. Ja. Auf dem Lenkrad und nicht auf Julian. Also wirklich! Ihr alle habt schmutzige Gedanken!

Obwohl… Ich hätte meine Hände jetzt schon gerne…

Bei den Göttern! Meyers! Konzentration! Zurück zum Gespräch!

„Bei mir müsste ich auch mal wieder ein paar Räume aufhübschen…“ erkläre ich beiläufig. „Ein Anstrich im Bad und neue Tapeten im Wohnzimmer.“ Nachdenklichkeit vorgeschoben behalte ich den Plauderton bei. „Schatz…“ fange ich harmlos an. „Leihst du mir dafür deinen braunen Overall?“

Hänschen Klein ging allein…

()„Ich habe keinen braunen Overall.“ kommt Julians prompte Erwiderung und er wundert sich über diese Bitte. Die Uniform reicht, da muss er sich nicht zusätzlich in Overalls zwängen. Nicht einmal Latzhosen zieht er an. Er hat eine alte Jeans und in noch älteres Hemd. Die Sachen trägt er, wenn Renovierungen wie Malerarbeiten oder das Tapezieren von Wänden anstehen. Fliesen kleben, Parkett und Laminat legen hat er auch schon gemacht. In und an Häusern gebaut. Ein wenig ist Julian stolz auf sein handwerkliches Können – mit dem er sich sein Studium finanziert hat – und entscheidet, seinem Schatz seine Hilfe anzubieten. „Hey… Deine Wohnung habe ich noch gar nicht gesehen.“ gibt er zu bedenken. „Lass uns das doch zusammen machen.“

Die verkrampften Finger voneinander gelöst reibt er sich die Hände. „Egal wie unbescheiden das jetzt klingt. Ich bin in so was wirklich gut. Nicht nur das, Schatz! Es macht mir sogar Spaß!“()
 

Wer von euch ist noch erleichtert? Kein brauner Overall! Und wie er es gesagt hat. Spontan. Ohne zu überlegen. Das ist die Wahrheit! Am liebsten würde ich den Wagen anhalten und meinem unschuldigen Schatz um den Hals fallen, sein Gesicht mit Küssen bedecken und so vieles mehr noch.

Wisst ihr was? Ich werde es tun. Zu einer passenderen Gelegenheit. Wenn wir – er und ich – unter uns sind, nur zu zweit und ihr nicht guckt!

In seinem Enthusiasmus ist Julian unbeschreiblich putzig und ich nicke begeistert. „Wir machen es zusammen!“ bestätige ich und zwinkere. „Wir fangen mit dem Schlafzimmer an und hören da auch auf.“ Ich lege meine Hand in seine und drücke sie.

Für die Dauer eines Herzschlages sehen wir uns an und dann lachen wir.

Bei den Göttern. Dieser da. Meiner!
 

Leider hält die gute Stimmung nicht lange an. Das Blaulicht einiger Streifenwagen erinnert sowohl Julian, als auch mich an den Grund unserer Fahrt. Den Wagen geparkt steigen wir gleichzeitig aus und gehen das kurze Stück Richtung Absperrband. Die Forensik ist bereits vor Ort. Berger kam sicherlich mit Charlene.

An den ersten beiden Tatorten sind wir drum herum gekommen. Hier nicht mehr. Die Presse ist da. Ein paar mit Kameras, alle mit Mikrofon. Bei den Göttern. Was ein Scheiß!

„Was ein Scheiß!“ höre ich Julian flüstern. „Diese Bestie bekommt Publicity!“

So ganz unvoreingenommen, Leute. Gehören Julian und ich zusammen? Ja? Oder ja? Genau! Dachte ich mir.

Auf das Absperrband zugesteuert werden die ersten Kameras auf uns gerichtet und die ersten Fragen stürmen auf uns ein.

„Wer war das Opfer?“

„Weiß man schon, wie…?“

„Weiß man schon, wer…?“

„Weiß man schon, womit…?

„Was tut die Polizei, um…?“

Mein Schatz und ich wechseln uns ab mit den Antworten, in denen wir uns einig sind: „Kein Kommentar.“

Jäh werden diese… Ich würde gern Aasgeier und Hyänen sagen, damit aber die Tierwelt beleidigen. Also umformulieren. Diese sensationsgeilen Medienfritzen werden jäh von uns abgelenkt. Und zwar allesamt!

Ich beantworte Ihre Fragen!“

Ratet, wer sich da hervortut und seinen großen Auftritt genießt. Jawohl. Die da. Die… Unperson in Person. Dieses Biest, Miststück, was mir sonst noch einfällt! Oder – Noch besser! – euch! Vorschläge? Immer raus damit! Zu böse gibt es nicht!

„Carol Artus.“ flucht Julian leise und deutet an, auf den Boden zu spucken. „Egal wie! Der kotze ich auf die Pumps!“ tut er kund. „Auf jeden Fall!“ So wie er aussieht, wird er es wahr machen.

„Ich kotze mit!“ verspreche ich und verkneife mir zu fragen, wo seine Antipathie gegenüber dieser… Unperson herkommt.

„Huhu! Officer Meyers!“ grüßt sie mich und winkt mir zu und ich… Ich taste nach meiner Waffe. Die ich nicht dabei habe. Zu ihrem Glück!

„Tja, Herrschaften… Wäre Officer Meyers etwas erfahrener und weniger hitzköpfig…“ deutet die da gegenüber den Reportern an und seufzt gekünstelt. „Einmal Schläger-Bulle, immer Schläger-Bulle.“

Ich werde ihr nicht nur auf die Pumps kotzen! Und kriege ich eine Waffe in die Finger…
 

Ein kurioser Geruch weht mir entgegen, als wir uns dem Tatort nähern. Kurios deswegen, weil ich diesen Geruch zwar kenne – dieser Geruch jedoch nicht hier hingehört, in den Hinterhof eines Clubs. Auch nicht in den Hinterhof eines der besseren Clubs.

Nach ein paar Schritten sind Julian und ich im Hinterhof dieses besseren Clubs, nach ein paar weiteren Schritten befinden wir uns am Leichenfundort und der befremdliche Geruch hat sich verstärkt.

Der Geruch von Rasierschaum. Diesem billigen Zeug in der Dose aus dem Supermarkt. Nicht mein Ding. Zuviel Chemie, die nicht gut und das reinste Gift für meine Haut ist. Ich verwende die gute alte Seife, die Mann mit dem Rasierpinsel in einer Schale aufschäumt und aufträgt. Für diejenigen, die es – Mal wieder! – genau wissen wollen: Ich benutze ein aufklappbares Rasiermesser und habe mich noch nie geschnitten!

Charlene hockt neben der Leiche, Berger ebenfalls. So nah an einem toten Menschen habe ich meinen Partner noch nie gesehen. Ich dachte immer, er sei zimperlich. Aber was ich von meinem Partner dachte ist eh hinfällig. Geht euch doch auch so, oder? Gebt es ruhig zu. Wir alle müssen unsere Meinung über Gerrit Berger ändern.

„Charlene.“ grüße ich meine beste Freundin zuerst. Sie sieht ziemlich blass aus, was garantiert nicht an dem Toten in ihrer unmittelbaren Nähe liegt. Vorgebeugt gebe ich ihr einen Kuss auf die Stirn. „Verzeih, Liebes.“ entschuldige ich mich. „Hätte ich mehr…“

„Nein!“ fährt sie mich an und springt auf. „Das ist nicht… Das ist ganz und gar nicht deine Schuld!“ Ihren blitzenden Augen nach ist sie kurz davor mich zu ohrfeigen. Weil ich mir eben doch die Schuld für den Anruf dieses Irren gebe. „Whoa! Charlene!“ Die Hände gehoben gehe ich einen Schritt rückwärts, stolpere und stürze. Jedoch nicht zu Boden. Julian fängt mich auf und stellt mich wieder auf die Füße. Darüber verliert er kein Wort oder macht einen dämlichen Spruch, sondern geht direkt zur Begrüßung meiner Kollegen über. „Doktor Rush. Detective Berger.“ Er nickt beiden zu und beide nicken ihm zu.

Komischerweise gibt auch Berger nichts von sich. Keine Ahnung, was mit ihm los ist.

Ich gehe derweil auf das neueste Opfer des Schlitzer zu und in die Knie und sehe ihn mir an – das Totenlied singend. Mein Partner sieht mich an – sagt immer noch nichts – und hält mir Einmal-Handschuhe entgegen, die ich annehme und anziehe. Mit einem gemurmelten „Danke…“ beende ich meinen Gesang.

Wie der junge Wellington und der alte Chief sitzt er da. Nackt und die Hände im Schoß, die Kehle und den Brustkorb aufgeschlitzt und die Rippen zerschmettert. Und noch mehr. Der Geruch vom Rasierschaum kommt von ihm. Sein Kopf, sein Gesicht – auch die Augenbrauen, seine Scham – ich hebe den einen, dann den anderen Arm – die Achseln… Alles ist frisch rasiert. Sehr sorgfältig und achtsam sogar. Kein Haar und kein Schnitt ist auszumachen. Schaumreste sehe ich ebenfalls nicht. Ich betrachte den asphaltierten Boden, der wie frisch gewischt wirkt.

Bei den Göttern. Dieser Irre… Der ist nicht irre. Der weiß genau, was er tut und wie er es tut.

Mein Blick richtet sich wieder auf das Opfer, das wieder anders ist, als die beiden Opfer zuvor. Dieser Mann ist ein Hüne – ich schätze ihn auf über zwei Meter zehn. Dazu hat er ein breites Kreuz und ist mit Muskeln bepackt. Was ein Koloss! Und doch fehlen an den Armen Abwehrverletzungen. Ich hebe den Kopf des Toten, auf der Suche nach den blauen Flecken am Kinn. Es sind keine zu finden. Einer Eingebung folgend sehe ich mir den Hinterkopf an. Haarlos zwar, dennoch sieht es so aus… „Es sieht so aus, als wurden ihm ein paar Haare ausgerissen.“ sage ich. „Wahrscheinlich am Schopf gepackt, zurückgerissen und…“

„SCHLITZ.“ beendet mein Partner sehr treffend den Satz.
 

()Aaron aufgefangen und auf die Füße gestellt hat er das Interesse von Doktor Rush an seine Person geweckt und sie mustert ihn gründlich. Ein kleines wissendes Lächeln auf den Lippen wendet sie sich von dem Officer in Zivil ab und dem Toten zu.

Das Lächeln irritiert Julian für eine Sekunde. Der Begrüßung nach ist sie gut – eher sehr gut mit Aaron befreundet und weiß von dessen Homosexualität. Jegliche Erwiderung unterlassend – ihm fällt auch gerade nichts zum Erwidern ein – beobachtet Julian seinen Schatz bei der Begutachtung des Opfers.

Näher herangetreten und bei den Füßen der Leiche ebenfalls niedergekauert besieht er das Gesicht des Toten. „Da könnte ich mich jetzt irren.“ denkt Julian laut. „Aber ich glaube, ich kenne ihn.“ Er zieht damit fast alle Blicke auf sich und es macht ihn befangen. Nur Aaron sieht nicht her, ganz mit dem Toten beschäftigt.

„Woher?“ will dessen Partner wissen.

Julian überlegt sehr genau. „Aus der ‚Grauzone‘.“

„Was ist das?“ will Detective Berger weiterhin wissen.

„Ein gemeinnütziger Treffpunkt für Straßenkinder.“ erläutert die Pathologin für Julian und mustert ihn wieder – und das weit gründlicher. „Was machen Sie in der ‚Grauzone‘?“ erkundigt sie sich bei ihm.

„Ich lehre den Kids Selbstverteidigung.“ erwidert er gewissenhaft und wahrheitsgemäß.

Detective Berger erhebt sich mit einem nicht zu überhörendem Ächzen. Mehr Sport würde dem Mann gut tun. Möglicherweise gepaart mit einer Umstellung der Ernährung. Mehr Obst und Gemüse. Mageres Fleisch. Weniger Fett. Und weniger Zucker.

„Selbstverteidigung. Aha. Kung Fu und so was, ja?“ hakt der Detective nach.

„Ja. Genau. Kung Fu und so was.“ stimmt Julian nickend zu und unterlässt es wohlweislich, die untersetze Figur des ranghöheren Polizisten zu kritisieren. In seinem eigenen Revier laufen genug Kollegen herum, die mit ihrem Bauchumfang den des Detectives bei weitem in den Schatten stellen.

„Aha.“ macht Detective Berger. „Und wie heißt er jetzt, unser toter Gigant?“

Wenn er das ist…“ fängt Julian vorsichtig an. „Dann ist das Hänschen Kline.“()

Strike! Strike Numero zwei! Triple-Strike!

Am Gespräch beteilige ich mich nur als Zuhörer. Die ‚Grauzone‘ ist Lars und mir bekannt. Die Existenz einer Institution wie dieser Treffpunkt ist so unheimlich wichtig. In unserer ersten Zeit hier und auf der Straße war es die einzige Möglichkeit einer warmen Mahlzeit und Schutz – nicht nur vor Kälte. Wenigstens für ein paar Stunden. Leider brauchen zu viele Kinder von der Straße eine warme Mahlzeit und Schutz und mich ärgert, wie sich Bürgermeisterin und Stadtrat die Taschen füllen und dabei diejenigen vergessen, die rein gar nichts haben.

Gedankenversunken betrachte ich das Gesicht dieses Hünen, der aussieht als würde er friedlich schlafen. „Was hat er in der ‚Grauzone‘ gemacht?“ will ich von Julian wissen, ohne den Blick von dem Toten zu lassen. „Und was weißt du noch über Hänschen Kline?“

„Er gab Nachhilfe in Mathematik und Latein.“ tut mein Schatz kund. „Seine Arbeit war immer tadellos und er war bei Kids und Kollegen beliebt.“ Julian überlegt kurz. „Außerdem arbeitete er bei einer Baufirma als Maurer, Kran- und Baggerführer. Über sein Privatleben kann ich nichts sagen. Wir waren selten gemeinsam im Jugendtreff.“

„Warum das?“ verlangt mein Partner zu erfahren.

„Meiner unterschiedlichen Schichten und der Überstunden wegen.“ gibt Julian an und atmet tief durch. „Die Kids werden ihn vermissen.“ sagt er leise und erhebt sich, geht ein paar Schritte und kauert nun an der Seite des großen toten Mannes. Er hebt eine Hand und streicht dem Toten mit dem Zeigefinger sacht über die Stirn. Das Zeichen erkenne nur ich. Es steht für eine gute Reise ins nächste Leben. Eine religiöse Geste.

Sein Vater muss ein Priester sein und wenn er als solcher den alten Glauben zelebriert ahne ich, warum mein Schatz eine Abneigung gegen seine Familie hegt. Wäre mein Vater ein Priester nach altem Glauben gewesen hätte ich ihm gegenüber mit meiner Homosexualität einen ähnlich schweren Stand gehabt. War er aber nicht. Nicht einmal Priester war er. Er war einer der tolerantesten und liebsten Menschen, die ich kennenlernen durfte. Mich macht es stolz, sein Sohn sein zu dürfen und ich weiß, auch er wäre stolz auf mich. Auf Lars nicht minder. Immerhin sind wir zu anständigen Kerls geworden.

Das genügt jetzt aber mit dem Einblick in die Familie!
 

Stöckelnde Schritte nähern sich und jeder von uns weiß, wer sich da die zweifelhafte Ehre gibt. Allzu nahe kommt Carol Artus nicht und bleibt in sicherer Entfernung stehen. Hat wohl Angst vor dem Toten. Wissen die Götter warum das so ist. In meiner gesamten Laufbahn als Polizist habe ich niemals eine Leiche aufspringen und weglaufen sehen. Oder jemanden angreifen.

„Haben Sie schon herausgefunden wer das ist?“ erkundigt sich die da im gewichtigen Tonfall.

Ein heimliches und einvernehmliches Blinzeln von jedem von uns. Wir sagen nichts. Soll diese… Unperson doch den Autopsie-Bericht lesen.

„Ich habe Sie alle was gefragt!“ beharrt die da auf Antwort und bekommt auch eine. Nicht ganz die, die Carol Artus haben wollte.

„Mir… wird… schlecht…“ kündigt Julian abgehackt an und wendet sich eilig von dem Toten ab, kriecht ein paar Meter und… speit der Artus-Tussi auf die Pumps.

„Strike!“ flüstert Berger in das gurgelnde Geräusch, dem kurz darauf kreischende Empörung folgt. „Meine Schuhe! Wie können Sie nur… Meine Schuhe!“ Das Kreischen bricht ab. Zu viel negative Publicity, vermute ich. Wie erstarrt und scheinbar zu keiner Regung fähig blickt die Artus-Tussi mit weit aufgerissenen Augen auf ihre Pumps, die mit bestens durchgekautem Mageninhalt besudelt sind. Ich kann nicht erkennen, was Julian da gegessen hat und vermute, das lässt sich steigern. Gewiss lässt es sich das. „Das… ist…“ fange ich an und sage nichts mehr, tue es meinem Schatz in allem nach und…

„Strike Numero zwei!“ höre ich meinen Partner leise sagen.

„Das hat… ein Nachspiel!“ kündigt die Unperson an, gut hörbar mit dem Würgereiz kämpfend. „Machen Sie… sich darauf… gefasst. Das hat…“

„Triple-Strike!“ bemerkt Gerrit Berger, als sich die da die eigenen Schuhe einsaut. Und nicht nur die. Ihr gesamtes Business-Kostüm ist vom Blusenkragen bis zum Rockzipfel mit vielen kleinen farbenfrohen Bröckchen verziert. Scheinen diese bunten dragierten Schokolinsen zu sein. Dieser Anblick ist Gold wert. Hoffentlich macht jemand Fotos!

Charlene springt auf. „Sie verunreinigen den Tatort!“ schnauzt sie die Artus-Tussi an. Ganz so, als wäre ihr Julians und meine Kotzattacke gründlich abhandengekommen. „Gehen Sie. Sofort! Sonst hat das wirklich ein Nachspiel!“

Ohne ein Wort dreht sich diese… Unperson um und geht – wankt viel mehr. Ein eilig herbeorderter Kollege in Uniform greift ihr unter die Arme und sieht nicht glücklich aus damit. Er wird sich wohl oder übel den Streifenwagen schmutzig machen. Soll er sie nach hinten setzen. Da ist alles leichter zu reinigen. Außerdem ist das der richtige Platz für die da, direkt gefolgt von einer Gefängniszelle.

Noch auf dem Boden hockend schaue ich ihr hinterher. Wer es nicht weiß könnte vermuten, hier wird eine Betrunkene abgeführt. Soll ich schadenfroh sein? Seid ihr es? Ach! Ein klitzekleines bisschen ist erlaubt.

„Sie tut mir fast leid.“ merkt meine beste Freundin an. Neben meinem Augenpaar richten sich auch das meines Schatzes und das meines Partners auf sie. „Ernsthaft?“ fragt Berger nach und das will auch Julian wissen. Charlene legt den Kopf schief. „Fast!“ betont sie, sagt nichts weiter und kümmert sich wieder um den Toten.
 

()Vom Boden aufgestanden reicht Julian seinem Schatz die Hand und zieht ihn daran in die Höhe. „Gut gezielt.“ merkt er an, drückt die Hand von den anderen unbemerkt und lässt los. Aaron winkt gleichmütig ab. „Bin ganz passabel darin.“ meint er und hebt außerdem die Schultern. „Du warst auch nicht schlecht.“

„War keiner von euch!“ merkt Detective Berger an und grinst schadenfroh. „Hab Fotos!“ teilt er außerdem mit und wedelt mit seinem Mobilfon. „Und ich weiß, wer alles einen Abzug kriegt!“

Ein ernstes Räuspern seitens der Pathologin erinnert sie alle daran, warum genau sie hier sind und Julian schaut sich den Toten neuerlich an. Doch. Das ist Hänschen Kline. „Wurde er mit Absicht ausgewählt?“ fragt er. „Oder war er nur zur falschen Zeit am falschen Ort?“

„Das ist genau das, was wir herausfinden müssen.“ entgegnet Aaron und klopft ihm sacht auf die Schultern. Woanders und wannanders würde Julian diese Geste weit tröstlicher empfinden. Hänschen Kline tut ihm leid. Und auch die Kids in der ‚Grauzone‘, für die dieser Mann da war.()
 

Die Spuren sind gesichert – wenn es denn welche zu sichern gab. Hänschen Kline wurde unter den wachsamen Augen Charlenes in aller Vorsicht eingepackt und ist abfahrbereit. Für uns alle ist es ebenfalls an der Zeit zu fahren. Ich werde es gleich Berger überlassen, Jen und Dave zu benachrichtigen. Ich frage mich sowieso, warum weder die eine noch der andere hier ist.

Meinen Wagen muss ich mir neuerlich von einem uniformierten Kollegen zum Departement bringen lassen. Leider können Julian und ich nicht in einem Streifenwagen mitfahren. Heimlich mustere ich meinen Schatz. Er sieht betroffen aus. Unser gegenseitiger Abschied fällt ziemlich kurz aus. Ein Wort wechseln wir nicht und nicken nur einander zu. Sein Lächeln ist traurig, als er sich umdreht und geht. Der Tod seines Kollegen aus der ‚Grauzone‘ hat ihn scheinbar mehr mitgenommen, als er uns… als er mir zeigen will. Nachher reden wir noch einmal miteinander. In Ruhe und nur wir zwei.

Mut zur Veränderung

[]Warten. Wieder warten. In seinen Fingern kribbelt es. Er muss warten! Jetzt kann er die Frau Doktor nicht anrufen. Stünde sie mit Detective Aaron Meyers allein… Es wäre ein Hochgenuss. Die freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf singen nur für ihn und bitten um Geduld.

Mit dem neuesten Geschenk hat er allen gezeigt, zu was er fähig ist. Diese gründliche Rasur sollte ihnen zeigen, wie gut er mit Klingen umgehen kann. Nicht nur zum Schneiden der Kehle und des Brustkorbs.

Er schmatzt, an das Herz dieses Kolosses denkend. Groß war es, wie der Koloss selbst. Dazu gesund. Beinahe schmackhafter als das des jungen Wellington. Schade war nur, er hat es bereits zur Gänze verspeist.

Seufzend sieht er sich um. Ein neues Opfer zu finden ist nicht schwer. Hier wimmelt es geradezu von potentiellen Opfern. Doch mit keinem der Anwesenden sind die freundlichen und sanften Stimmen zufrieden. Im Grunde ist er es auch nicht. Noch einen Cop? Wie diesen Chief? Das wäre langweilig. Vielleicht dieses Mal jemanden, der nicht so im… Leben steht. Einen Penner. Nach langer Zeit mal wieder. Nach seiner Mutter und dem Mediziner, der ihm die freundlichen und sanften Stimmen wegnehmen wollte, hatte er an Pennern seine Fähigkeiten verbessert – deren Herzen zwar auf bekannte Weise entfernt, jedoch nie gegessen. Zu ungesund! Wer vermag schon zu sagen, was für Parasiten in Parasiten hausten.

Nun gilt es abzuwägen… Würde jemand für einen Penner die Polizei rufen?

„Soll ich es in dieser Stadt nicht einfach ausprobieren?“ fragt er die freundlichen und sanften Stimmen. In der nächsten Sekunde schweigen sie. Er weiß, sie denken über eine Antwort nach. „Bedenkt…“ fügt er untertänigst hinzu. „Damit säubere ich die Straßen und tue gleichzeitig ein gutes Werk!“ Was auch den ermittelnden Beamten auffallen sollte! „Zudem brauche ich es nicht bei einem zu belassen.“ Mut zur Abwechslung. Vom Althergebrachten abschweifen. „Zwei statt einem.“ Ein kurze Pause gemacht wagt er zu ergänzen: „Das weckt die Aufmerksamkeit der gesamten Polizei.“

Die freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf schweigen weiterhin und er schämt sich beinahe, diesen Vorschlag überhaupt gemacht zu haben. Leichtfertig würde er nicht an die Sache herangehen. Vielleicht sollte er es den freundlichen und sanften Stimmen in seinem Kopf versprechen. Er tut es und in der nächsten Sekunde hat er die Zustimmung. Den freundlichen und sanften Stimmen dankt er und gelobt außerdem, größte Achtsamkeit und höchste Sorgfalt walten zu lassen.[]

Armesünder

()Bei einer Kollegin in Uniform für die Mitfahrgelegenheit im Streifenwagen bedankt und das Departement der Southern Bay City Police betreten sieht Julian sich staunend um. Ihm wird bewusst, wie armselig das Dreizehnte Revier ist. An den Wasserspender vorbeigegangen macht er direkt die paar Schritte zurück und beguckt sich die Flüssigkeit im Inneren des Spenders. Klar, sauber und trinkbar. Ganz im Gegensatz zu dem, was sein eigenes Revier bereithält. Die grünliche trübe Brühe dort beherbergt – Garantiert! – irgendetwas Lebendiges.

Julian bedient sich am Wasser, schnuppert an dem gefüllten Pappbecher und nimmt in aller Vorsicht einen kleinen Schluck. Klar, sauber und trinkbar! Den Becher daraufhin eilig geleert, neuerlich gefüllt und ebenso hastig ausgetrunken und im Abfallkorb entsorgt geht er weiter, fragt sich nach Aarons Schreibtisch durch und wartet dort. Von seinem Schatz ist nichts zu sehen.

Im Loft hat dieser überall aufgeräumt und hier ist es nicht minder ordentlich, wie Julian an der Tischplatte erkennt. Nichts liegt herum und alles hat seinen Platz. Ein bohrendes Gefühl im Rücken bedeutet Julian, er wird beobachtet. Ohne Scheu sieht er sich nach diesen Blicken um. Zwei Kollegen in Anzügen machen aus ihrer Neugier keinen Hehl. Den Namensschildern auf deren Schreibtischen nach sind das die Detectives Shawn McCormick und Emilio Disisto. Von jenen hat Julian in der Zeitung gelesen. Es ging um den – von den Medien so titulierten ‚Krüppel-Killer‘. Das dazugehörende Bild der beiden Beamten war mit Sicherheit geschönt. In natura sehen die beiden… bescheuert aus. Gut… Das Äußere gilt nichts. Abwarten und später ein Urteil bilden.

Einer der Anzugträger kommt auf ihn zu und schiebt sein Jackett zurück, legt seine Waffe im Gürtelholster frei und baut sich vor Julian auf. Eine Musterung von oben herab fällt aus, denn Julian baut sich nicht weniger auf, ist größer und zeigt sich völlig unbeeindruckt von Aarons Kollegen. „Detective.“ grüßt er diesen unpassend freundlich und bildet sich sein Urteil. Nicht nur das Aussehen ist bescheuert.()
 

„McCormick! Schleich dich!“ scheuche ich meinen Kollegen von meinem Schreibtisch. Sein Verhalten gefällt mir nicht. Will er sein ‚Revier‘ abstecken? Oder hält er Julian für einen Verbrecher? „Das ist ein Kollege vom Dreizehnten!“ erkläre ich gnädigerweise. Vorstellen werde ich meinen Schatz aber nicht. Ist auch völlig unnötig. Das erledigt meine Vorgesetzte. Lautstark. „Officer Aparo! Detective Meyers! In mein Büro! Zack!“

„Oha.“ rutscht mir heraus. „Gleich lernst du meinen Captain kennen.“ Von ihrer besten Seite…? Was uns erwartet ist sicherlich das von dieser… Unperson angedrohte Nachspiel.
 

Keine Minute später stehen mein Schatz und ich vor dem Schreibtisch Captain Brace. In aller Höflichkeit hat sie Julian begrüßt, wieder Platz genommen und guckt uns abwechselnd an. Tief Luft geholt beginnt sie auch schon. „Officer Aparo. Detective Meyers. Wie mir berichtet wurde… Sie beide…“ Ihr gestrenger Blick wandert wieder von einem zum anderen. „… haben unserer Profilerin…“ Da ist ein winziges Schmunzeln in ihrem linken Mundwinkel. „… die Pumps vollgereiert.“ Der Blick ist nicht mehr ganz so gestreng und das Schmunzeln wird deutlicher sichtbar. „Was möchten Sie mir dazu sagen?“

Julian tritt vor. „Captain Brace… Ich konnte den Anblick nicht ertragen.“ bringt er zu seiner Rechtfertigung hervor. „Mit einem Mal überkam es mich einfach.“

„Ging mir genauso.“ schlage ich in die gleiche Kerbe. „Der Anblick war barbarisch, der blanke Horror und kaum zu ertragen.“ verdeutliche ich außerdem. „Ich sage Ihnen, Captain! Der Anblick bedeutet einige Nächte die schlimmsten Alpträume.“ Hier trage ich nicht zu dick auf!

„So, so…“ Captain Brace reibt sich das Kinn und ihr Schmunzeln ist nun ganz offen als solches zu erkennen. „Und welcher Anblick genau? Den des Toten oder den der Carol Artus?“

Mein Schatz hüstelt. „Nun ja, Madam…“ fängt er an, hüstelt wieder und senkt den Kopf. Lügen will er nicht, es ist ihm anzusehen. Mit der Wahrheit herausrücken will er genauso wenig.

Ich kenne meine Vorgesetzte länger. Ehe das hier in einem Kreuzverhör endet rücke ich mit der Wahrheit heraus. „Der Anblick der Artus-Tussi.“ erkläre ich glattweg und habe Recht. Den Kopf weiterhin gesenkt stimmt Julian nonverbal zu.

„Immerhin haben wir ihr nur auf die Schuhe gespuckt.“ stelle ich klar. „Den Rest hat sie ganz allein…“ Die gehobene Hand meiner Vorgesetzten unterbricht mich. „Ich komme nicht umhin, Sie beide zu bestrafen.“ kündigt sie an. „Beide! Bestrafen!“

„Ja, Madam.“ erwidern Julian und ich unisono.

„Gut.“ Captain Brace guckt uns ein weiteres Mal abwechselnd an. „Sie werden gemeinsam für die Reinigung des Kostüms und der Schuhe aufkommen.“ entscheidet sie, stemmt sich aus ihrem Sessel und hebt einen Zeigefinger. „Und!“ verlangt sie streng, was in Anbetracht der Geste äußerst beunruhigend wirkt.

Julian und ich schlucken sogar gleichzeitig. Etwa eine Entschuldigung? Das würde der Artus-Tussi gefallen und sie würde jeden von uns jede Sekunde unseres restlichen Daseins daran erinnern. Weit über den Fall hinaus.

„Und!“ fängt meine Vorgesetzte neuerlich an. „Sie sehen jetzt gefälligst betraft aus.“ Kurz offenbart sie ein belustigtes Lächeln und überprüft, ob Julian und ich bedröppelt genug wirken. Zufrieden mit der Armesünder-Mimik unsererseits schickt uns Captain Brace hinaus.

Hätte schlimmer laufen können. Der Captain hat nicht verlangt, Julian und ich müssen uns vor dieser… Unperson entschuldigen. Ich könnte jubeln. Die da hat sich bei meiner Vorgesetzten massiv unbeliebt gemacht.
 

An meinem Schreibtisch angekommen erwartet Julian und mich die Häme von McCormick und Disisto. Unverblümt ziehen sie über uns her und machen sich lustig. Das bedeutet klipp und klar: Unsere Armesünder-Mimiken wirken sehr überzeugend. Gäbe es dafür eine Auszeichnung, wäre uns diese sicher!

„Haltet die vorlauten Fressen, ihr Nichtskönner!“ herrscht Berger, verpasst jeden der zwei beim Vorbeigehen einen Boxhieb und stellt sich zwischen Julian und mir. Er hält ein Foto in der Hand und in die Höhe und mit der Armesünder-Mimik ist es vorbei. Mein Schatz und ich grinsen. Diese… Unperson mit bunten Bröckchen auf ihrem Outfit. Der Schnappschuss ist sogar richtig gelungen. Einen Abzug davon rahme ich mir ein!

„Wo ist die da eigentlich?“ horche ich nach.

„Hat sich wegen Unwohlsein nach Hause bringen lassen.“ weiß mein Partner zu berichten. „Wir haben also freie Bahn. Jen und Sergeant Hollister habe ich angerufen. Sind beide hierher unterwegs.“ Er schnalzt mit der Zunge. „Jen war angepisst, nicht bereits zum Tatort gerufen worden zu sein.“

„Nehme ich auf meine Kappe.“ Ich leite die Ermittlungen und das gehört dazu.

„Dafür kannst du nichts.“ hält mein Partner dagegen. „Wurde nicht weitergegeben und das sage ich ihr auch.“

Gestern hätte ich noch gedacht, Gerrit Berger würde es freuen, kriege ich – zu welcher Gelegenheit auch immer – einen auf den Deckel. Das Gespräch zwischen uns hat mehr geklärt, als es ein Gewittern tun könnte. „Danke. Ich nehme es dennoch auf meine Kappe.“

Julian legt meinem Partner eine Hand auf dem Arm. „Waren Sie schon in der Pathologie, Detective? Ist der Tote mittlerweile zweifelsfrei identifiziert?“

Berger nickt. „Es ist Hänschen Kline.“

„Das hat er nicht verdient.“ sagt Julian, verschränkt seine Arme vor der Brust und senkt den Kopf. „Und die Kids von der ‚Grauzone‘ auch nicht.“ Er holt tief Luft. „Keiner der Opfer hat das verdient.“

Weder mein Partner noch ich wissen etwas Tröstliches zu sagen und ich muss mir Zweifel eingestehen, dieses Irren wirklich je zu fassen zu kriegen.
 

()Streife gehen, Verkehrskontrollen, Strafzettel schreiben, an Absperrbändern Wache halten… Mehr hat es in Julians bisheriger Arbeit als Polizist nicht gegeben und niemals zuvor ist er mit dieser Art von Verbrechen aus nächster Nähe konfrontiert worden.

Nachdenklich fährt sich Julian durch das Haar. Weder will er für alle Zeit in Bronkston, noch in der Uniform bleiben. Nach allem erlebten ist er sich nicht sicher, überhaupt weiterhin Polizist sein zu wollen. „Detective Meyers…“ richtet er das Wort an Aaron. „Warum genau bin ich eigentlich hier?“

Sein Schatz lächelt entschuldigend. „Hab vergessen es Ihnen zu sagen, Officer Aparo.“ Er hüstelt. „Sie sind mein Experte für Klingen aller Art.“

„Oh…“ macht Julian.

„Tja, Kleiner…“ Detective Berger piekt ihn in die Seite. „Selbst Schuld. Officer Doktor Aparo.“()
 

Nicht nur Julian sieht überrascht zu meinem Partner. Berger grinst verwegen und wackelt mit den Augenbrauen. „Hab ein bisschen seinen Hintergrund gecheckt.“ Sein Grinsen wird breiter. „Bin Bulle und darf das.“

„Was kriege ich wohl alles zu wissen, wenn ich deinen Hintergrund checke?“ frage ich und nehme mir vor, das zu tun. Und nicht nur ‚ein bisschen‘!

Mein Partner wackelt nur wieder mit den Augenbrauen. „Dir täte sich ein Abgrund auf.“ scherzt er und zieht ab, Richtung Toiletten.

„Ich tu’s!“ rufe ich ihm nach, woraufhin mein Partner nur eine Hand hebt und winkt. Ich tue es wirklich! Das aber später. Julian angesehen deute ich mit dem Daumen Richtung Flur. „Tja, Officer Doktor Aparo. Für uns geht es in den Leichenkeller.“ erkläre ich und höre ein weiteres „Oh…“ Erfreut klingt das nicht.

Machtposition

Heutzutage fährt alles und jeder mit dem Fahrstuhl, darum sind mein Schatz und ich allein im Treppenhaus und nutzen die Gunst der Stunde. Vielmehr nutzt Julian, der mich an die Wand drängt. Vollkommen ernst sehen wir uns in die Augen. Seine goldenen Iriden strahlen und ein leichter rötlicher Schimmer ist darin. Über diesen Anblick bekomme ich eine wohlige Gänsehaut.

„Kuss…?“ fragt er unsicher. Ich nicke und sein süßes und triumphierendes Lächeln ist wieder da. Lange sehe ich es nicht, denn ich spüre seine Lippen auf meinen. Lange harmlos bleibt es nicht. Unsere Zungen necken und streicheln einander.

Wir könnten erwischt werden. Weit eher, als in der Asservatenkammer in Bronkston. Just in diesem Augenblick ist es mir egal. Sollen sie uns doch erwischen. Mir ist das so egal. Dieser Kuss ist längst überfällig. Gleichgültig, wie nah Julian mir die ganze Zeit war. Er war mir nicht nah genug und ich habe ihn vermisst.

Die Münder gelöst folgt dem Kuss eine Umarmung. Ein paar Sekunden bleiben wir so stehen, halten uns gegenseitig fest. Danach gehen wir weiter und nebeneinander her. Unsere Hände berühren sich, doch greift keiner von uns nach der Hand des anderen.

Ich sollte Schluss machen. Ein für alle Mal Schluss machen.

Wie bitte…? Doch nicht mit Julian! Nein! Ich meine mit meiner Heimlichtuerei. Mein Schatz ist offen, ehrlich und bekennend homosexuell. Ich sollte es ihm gleichtun. Was habe ich zu verlieren? Was zu gewinnen? Schließlich fasse ich doch nach der Hand meines Schatzes und drücke diese. Er drückt meine und es ist wie ein stilles Bündnis. Unsere Finger lösen sich und wir schenken uns gegenseitig ein Lächeln. Verschwörerisch – haben wir doch ein Geheimnis, das nur wir beide teilen.
 

Vor dem Eingang der Pathologie steht Special Agent Jennifer Whalley. „Du Spacko hast da wohl was vergessen.“ begrüßt sie mich und ihr Ton ist wie ihr Blick. Feindselig. „Den Tatort hätte ich gern in Augenschein genommen. Du Mega-Spacko!“ Sie sieht an mir vorbei und nimmt Julian in Augenschein. Ihr Blick wandert von oben nach unten, bleibt an seinen Lenden hängen und verweilt da. Über die Lippen geleckt, sieht sie wieder auf und lächelt. „Hallo.“ wird Julian begrüßt und der Ton ihrer Stimme klingt nahezu nach einem Schnurren. Mitternacht schnurrt auf die gleiche Weise, sobald sie etwas zum Naschen gefunden hat.

Denkt meine Kollegin aus dem Northern Bay City Bureau of Investigation etwa, mein Schatz lässt sich vernaschen? Möglich. Aber – Hah! – nicht von ihr! Ich schaue zu Julian, der höflich lächelt und einen halben Schritt zurück weicht. „Hallo.“ gibt er zurück.
 

()Wie kommt diese Frau darauf, Aaron dermaßen zu beleidigen? Spacko und Mega-Spacko… Würde es ihr gefallen, so genannt zu werden? Neben der Wortwahl gefällt ihm auch der taxierende Blick ihrerseits nicht. Ist diese Frau ein hungriges Raubtier und er die Beute? Ihrer Musterung nach scheint sie dieses zu denken. Das passt Julian nicht. Er ist niemandes Beute! Ein höfliches Lächeln auf den Lippen geht er einen halben Schritt zurück. „Hallo.“ sagt er und verschiebt es, ihr seine Meinung zu sagen. Vorstellen will er sich rein formhalber. Soll er seinen Doktortitel nennen? Oder seinen Rang in der Polizei? Nichts von beidem. „Mein Name Julian Aparo.“

Ungefragt nähert sich die Frau und piekt ihn in den Bauch. „Jennifer Whalley.“ teilt sie mit und unterstreicht ihre eigene Wichtigkeit mit ihrem behördlichen Rang. „Special Agent Jennifer Whalley.“

„Selbst wenn Sie Prinzessin Jennifer Whalley wären…“ Julian lächelt noch immer höflich und macht einen weiteren halben Schritt zurück. „… haben Sie nicht das Recht mich gleich zu betatschen!“ Der kühle Klang seiner Stimme passt nicht zu seinem Lächeln. „Dieses Recht gebe ich Ihnen auch nicht. Also unterlassen Sie das.“ Jäh ist er die Liebenswürdigkeit in Person. „Bitte sehr und danke im Voraus.()
 

Ich beiße mir auf die Zunge. Andernfalls würde ich laut loslachen. Die Reaktion meines Schatzes ist sein Gewicht in Ekuin-Blütenblättern wert.

Nach kurzem und sprachlosem Staunen kommt Jennifer richtigerweise zum Schluss: „Schwul.“ Und wieder leckt sie sich über die Lippen. „Wie sieht es aus, Aparo? Sind Sie so richtig schwul? Oder könnte ich Sie wenigstens zum Bi-sein bekehren?“ Sie zwinkert ihm zu und formt einen Schmollmund. „Nicht, dass die Frauenwelt einen hübschen Kerl wie Sie gänzlich verliert.“

An mangelndem Selbstbewusstsein leidet Jennifer nicht. Hat sie nie. Darum kriegen wir uns auch ständig in die Haare. Macht sie so weiter, nur noch mehr. Jedoch weiß Julian ihr Paroli zu bieten. „Für Sie Doktor Aparo.“ erwidert er das höfliche Lächeln weiterhin beibehaltend, doch seine Stimme hat da wieder diesen kühlen Klang. „Ja. So richtig schwul. Nichts anderes.“ Ein gekünsteltes Hüsteln. „Danke für das Kompliment. Doch die Frauenwelt muss sich nach anderen hübschen Kerlen umsehen.“

„Das wollen wir doch mal sehen.“ meint Jen leise geflüstert.

Leute, Leute, Leute… Glaubt Jennifer allen Ernstes daran, sie könnte Julian umpolen? Oh nein! Nicht einmal über meine Leiche! Dieser da. Meiner!

Apropos Leiche. Hänschen Kline wartet auf uns.
 

()Das Flüstern der Special Agent Jennifer Whalley vernehmend belässt Julian sein Lächeln auf den Lippen, es wird allerdings eine Spur spöttisch. So richtig schwul heißt so richtig schwul. Den Körper einer Frau findet er zwar interessant, aber weitab jeglichen sexuellen Interesses und ganz und gar nicht reizvoll. Aaron ist sein Mister Right. In allen Belangen. Daran zweifelt Julian nicht. Sie haben viel gemeinsam und das wenige, was sie an Gegensätzen haben, zieht sie an. Oder aus…

Sein Lächeln verliert sich. Zum zweiten Mal in seiner Beamtenlaufbahn betritt Julian eine Pathologie. Sein erstes Mal dahingehend hat er in der Ausbildung zum Polizisten hinter sich gebracht. Im Gegensatz zu seinen Mit-Anwärtern ist er während dem Sezieren nicht umgekippt und fand es sogar recht lehrreich. An dem Geruch konnte man sich gewöhnen. So roch vergehendes Leben nun einmal.

Seinen Schatz und die Agentin des Northern Bureau of Investigation bietet er den Vortritt und lässt den Blick schweifen. In Bronkston gibt es keine Pathologie. Dort werden die Toten in einem Kühlhaus des örtlichen Schlachthofes aufbewahrt. Bis jemand Zeit zum Sezieren hat. Und hat niemand diese Zeit, steht auf dem Totenschein kurzerhand ein ‚natürliches Ableben‘. Auch bei einer – von Kugeln durchsiebten Leiche.()
 

Im Leichenkeller sehe ich unsere Pathologin bei Hänschen Kline stehen. Er ist beinahe zu groß und zu breit für die Bahre. Seine Schultern ragen fast über den Rand. Viel Platz hat er wohl nicht in der Kühlkammer. Ich vermute aber, eine Beschwerde dahingehend bleibt seinerseits aus…

„Hey.“ grüße ich. Charlene winkt, ununterbrochen mit dem Toten beschäftigt. „Hey.“ gibt sie zurück. „Nur das Herz fehlt.“ tut sie kund.

„Und die Haare.“ ergänzt Jennifer, woraufhin unsere Pathologin aufschaut. „Ah. Guten Tag, Jen. Ja. Und die Haare.“ bestätigt sie und ihr Blick geht an meiner Kollegin aus dem Bureau vorbei. „Möchten Sie sich die Schnitte genauer ansehen, Doktor Aparo?“ fragt sie Julian und ich weiß, wer da mit seinem Wissen hausieren gegangen ist. Im Stillen danke ich meiner Freundin, meinen Schatz nicht mit ‚Officer‘ angesprochen zu haben. Bei rangniederen und vor allem männlichen Beamten kehrt Jennifer gern die Domina heraus – und so wie sie Julian eben angeschmachtet hat, würde sie ihm gegenüber ihre ‚Machtposition‘ nur zu gern ausnutzen. Schwul oder nicht schwul.

„Natürlich, Doktor Rush. Danke sehr“ Ohne Scheu begibt sich Julian zu Hänschen Kline und bedankt er sich erneut. Dieses Mal für die hingehaltenen Handschuhe. Diese streift er über und untersucht den Leichnam – als hätte er nie etwas anderes gemacht.

Charlene und er fachsimpeln über Wundränder und Schnittführung und ich verliebe mich gerade aufs Neue. Er ist nicht nur sexy, er ist auch noch schlau.

Doktor?“ fragt mich Jen. „Ich hoffte, er wäre ein Bulle.“ Und sie sieht dermaßen enttäuscht aus… Ich enthalte mich des Kommentars. Ansonsten wäre ich geneigt, die Wahrheit zu sagen. Stopp, stopp, stopp! Es ist die Wahrheit. Julian hat einen Doktortitel. „Ja, Jen. Doktor.“ Was ihm ein bisschen Respekt entgegen bringen sollte! Wehe nicht! Dann hat es sich ausge-Spacko-t und sie lernt mich von einer Seite kennen, die ihr nicht behagen wird. Schwul oder nicht! Ich bin meines Vaters Sohn und kann zornig werden! Richtig, richtig zornig.
 

()Diese detektivische Arbeit könnte ihm gefallen. Aufmerksam betrachtet Julian die Schnitte an Kehle und Brust, spricht mit der Pathologin über die Art und Klingenführung und bestätigt die Annahme, was die Breite und Schärfe der verwendeten Klinge angeht. Aarons Ansatz, an ein Katana zu denken, ist nicht arg verkehrt. Allerdings ist ein Katana zu lang und alles andere als unauffällig. Ein Wakizashi käme eher in Betracht – es ist kürzer und leichter zu verstecken. Oder aber… //Ein Tanto-Dolch.// kommt Julian im Stillen zu dem Schluss und glaubt nicht an einen Irrtum. Ähnlich gefertigt wie Katana und Wakizashi steht es diesen beiden Waffen in Sachen Schärfe in nichts nach. „Darf ich die Berichte der ersten Opfer einsehen?“ wendet er sich an Doktor Rush. Seiner Bitte wird bewilligt und er bekommt ein besseres Angebot obenauf.

„Ich habe die beiden noch hier. Den Rupert und den Kalli.“()

Live and let die

„Was hat er einen geilen Arsch.“ bemerkt Jennifer nahezu geifernd, als sich Julian über Hänschen Kline beugt und uns damit eher unfreiwillig seine wohlgeformte und knackige Kehrseite entgegenreckt. „So wie das eben bei ihm aussah, hat er vorn sicherlich auch einiges zu bieten.“ Da ist ihr Schnurren wieder. „Würde ich mir gern mal zeigen lassen…“

Ja. Vorne hat er auch einiges zu bieten. Ihr Pech und mein Glück: Dieser geile Arsch – und alles was in allen Richtungen daran ist – gehört mir. Ich bin der einzige, der da was gezeigt bekommt und im Gegensatz zu ihr möchte ich nicht nur wissen, was Julian zu bieten hat. Was er zu sagen hat, ist mir wichtig und noch wichtiger für die Ermittlungen. Er ist ein Experte auf seinem Gebiet. Theoretisch. Und praktisch! Summa cum laude sogar.

„Irgendwie kriege ich den schon aus der Hose. Und habe ich sein bestes Stück erst einmal in der Hand, wird er schon sehen, was Frau alles so anstellen kann, mit einem Schwa…“

„Jen. Schluss damit. Diese Infantilität hört sofort auf.“ warne ich sie, ruhig und gelassen und kein bisschen besitzergreifend. „Entweder du benimmst dich mit der Professionalität eines Agents oder das Northern Bureau ist raus.“ Ich übergebe ihr ein Paar Handschuhe und stecke meine Hände ebenfalls in ein Paar.

„Dazu hast du nicht die Befugnis.“ meint sie von oben herab klingend, lächelt siegessicher und schlüpft in die Handschuhe.

Ich lächele ebenfalls, nicht minder siegessicher. „Doch, Jen. Dazu habe ich die Befugnis. Der Leiter dieser Ermittlungen bin nämlich ich.“ Hier betone ich nichts. Sie daran zu erinnern scheint Wirkung zu zeigen und sie hält sich zurück – mag es auch nur von kurzer Dauer sein.

Weitere Worte sind vorerst unnötig und ich beobachte Julian, der sich auch die Leichen von Rupert Wellington und dem Chief beguckt. Höchst konzentriert und ohne Abneigungen geht er an die Sache. Sollte Charlene wirklich noch jemanden in der Pathologie brauchen, wäre mein Schatz eine ziemlich gute Wahl.

In meiner Nähe hätte ich ihn dann auch. Ich käme öfter hier herunter… Schnappte mir einen gewissen Doktor… In einer abgeschiedenen Ecke spielten wir dann ‚Böser Cop und noch viel böserer Cop‘… Oder machten unsere ganz eigenen ‚Doktorspiele‘… Er dürfte mich an jeder Stelle untersuchen… Jetzt nicht! Seine Finger überall auf meinem Körper… In meinen Körperöffnungen… Jetzt NICHT! Wie sehr ich mich auch dagegen wehre, über diese Vorstellung erschaudere ich und ein tiefer Seufzer entschlüpft mir. Prompt guckt Jennifer mich an. „Was ist los? Wird dir etwa schlecht?“ Sie grinst. „Wusste immer, ein Spacko wie du hält nichts aus. Ganz Schwächling, was? Kotzt gleich, was?“

Darauf etwas zu erwidern ist gerade unter meiner Würde und bedauere, die Wirkung meiner Warnung ist schon dahin. Schade, schade, schade. Meine Munition Mageninhalt habe ich auf die Schuhe dieser… Unperson verschossen. Wie gern würde ich nicken und Special Agent Jennifer Whalley ins Gesicht speien. Dahingehend gibt es jedoch zu bedenken: Zum nächstmöglichen Zeitpunkt müsste ich damit rechnen, sie zahlt es mir mit gleicher Münze heim. In so was ist Jennifer nicht zimperlich.

Julian hat genug begutachtet, liest in den Berichten und sieht ernst und nachdenklich aus. Die Aktenmappen zurückgegeben entschuldigt er sich für einen Moment und verlässt die Pathologie. Dem Gesichtsausdruck nach möchte er einen Moment allein sein, darum folge ich ihm nicht und halte auch Jen zurück. „Du bist wegen der Toten hier, Jen. Nicht der Lebenden wegen.“ erinnere ich sie. „Und wenn das nicht reicht… Doktor Aparo ist nicht interessiert. Also lass es bleiben.“

„Klar, Spacko!“ lässt sie eingeschnappt verlauten und stellt sich zum ersten Opfer, Rupert Wellington der Dritte. Neben ihr will ich jetzt nicht stehen und begebe mich an die Bahre von Chief Lipinski. Auf dessen Gesicht – so tot der Mann auch ist – scheint ein schadenfroher Ausdruck zu liegen und ich bin geneigt ihm die Zunge zu zeigen. Allein deswegen, weil er es nicht mehr könnte.

Charlene ist bei Hänschen Kline. Jennifer beugt sich über Rupert, die durchtrennte Kehle in Augenschein nehmend. Berger ist wohl noch auf der Toilette. Oder in der Kantine. Keiner guckt und ich zeige dem Chief tatsächlich kurz die Zunge. Der scheinbar schadenfrohe Ausdruck bleibt trotzdem. Kein Wunder. Lipinski muss sich um die Aufklärung seiner Ermordung keine Gedanken machen und freut sich bestimmt schon auf mein Versagen – von wo aus dieses Sackgesicht auch zusieht.

Die ordentlich vernähten Schnitte in seinem Brustkorb betrachtend grübele ich. Übersehen wir was? Was übersehen wir? Trifft der Irre seine Wahl zufällig? Oder mit Bedacht? Alle Opfer sind männlich. Tötet er keine Frauen? Grundsätzlich nicht? Oder nach schlechten Erfahrungen nicht mehr?

Warum ist ihm das Herz so wichtig? Warum holt er sich das auf solch brutale Weise? Bei der Hantierung mit seinen Opfern scheint der Irre alle Zeit der Welt zu haben. Den Brustkorb einzuschlagen und das Organ herauszureißen ist nach meiner Vermutung ein Akt des Zeitdrucks. Nein… Unbewusst schüttele ich den Kopf und revidiere meine Vermutung. Das ist ein Akt der Ungeduld. Bei all den Unterschieden… Die brutale Entnahme des Herzens haben alle Opfer gemeinsam.

Bei Lipinski hat er eine Abweichung seines Modus Operandi gewagt. Dem Toten den Mund geöffnet sehe ich in die Mundhöhle und den sauberen, nahezu chirurgisch präzisen Schnitt. Warum hat der Irre dem Chief die Zunge herausgetrennt? Das erscheint mir ein persönlicher Racheakt. Lipinski war für seine Bösartigkeit bekannt. Schnell war er mit Beleidigungen und hatte für niemanden ein gutes Wort. Außer vielleicht für Charlene. In der gemeinsamen Nacht. Oder war da nur Dirty-Talk?

Dieses Gedankenganges wegen sehe ich auf und zu Charlene, die leise mit Hänschen Kline spricht und ihm auf die Nase tippt. Wie ich höre, entschuldigt sie sich und richtet eine Bitte an den Toten. Ein Lehrling soll die Schnitte vernähen, hat aber wohl noch kein Händchen dafür. „Wenn es dich nicht arg stört, mein Großer, dann machen wir das, ja?“ Natürlich kriegt sie keine Antwort. Jedenfalls keine, die ich höre. Charlene streicht über die Wange des großen Mannes. „Das ist aber lieb von dir. Danke sehr.“

Hänschen Kline. Nackt ist der Koloss. Gänzlich nackt. Kein Haar mehr an ihm. Warum wurde er Ganzkörper barbiert? Eine weitere Abweichung des Modus Operandi. Will der Irre seine Fertigkeiten mit der Klinge beweisen? Warum so? Oder will er zeigen, er hat alle Zeit der Welt und kann mit seinen Opfern machen, was er will?

Ich werde das Gefühl nicht los, diesen Irren kriegen wir nur zu fassen, wenn er einen Fehler macht. Und genauso werde ich das Gefühl nicht los, er macht erst einen Fehler, wenn er einen machen will. Bei den Göttern. Was ein Scheiß!

„Charlene…?“ richte ich das Wort an meine Freundin und deute auf den toten Chief. „Hat er eigentlich mal was anderes gesagt? Ich meine… Nichts Beleidigendes oder so. Was…“ Meine Schultern heben und senken sich. „… nettes?“ Daran glaube ich nicht und bin mir schon gar nicht mehr sicher, das wissen zu wollen. Gab es wirklich Dirty-Talk zwischen den beiden, lässt sie sich nicht abhalten, zu zitieren.

Verwundert sieht sie mich an, schaut zu Lipinski und lächelt dann. „Hat er.“ meint sie und zitiert tatsächlich. Harmlos und mit Komplimenten fängt alles an und steigert sich in der Tat zum Dirty-Talk. Einem Dirty-Talk, bei dem ich am liebsten die Ohren zuhalten möchte. Meine Miene spricht Bände, das bleibt von Charlene nicht unbemerkt und sie lacht. „Er hatte es echt drauf, mich anzuheizen.“ meint sie. „Mit heißen Worten und harten Stößen.“ Ein Seufzer folgt, lässt sich nicht abhalten die Stellungen zu beschreiben und schwärmt zum Schluss: „Diese Ausdauer…“

Ich wollte es ja wissen, nicht wahr? Hätte ich mal besser den Mund gehalten. Aber nein… Ich und meine dämliche Neugier. Erst einmal davon angefangen entwickelt sich zwischen Charlene und Jennifer eine rege Unterhaltung, was sie an Männern geil finden und wie sie sich ‚es‘ am liebsten ‚besorgen‘ lassen – und sie reden nicht von einem Einkauf. Allen Ernstes reden die beiden Frauen über Kamasutra und ich muss mir das anhören, bin gerade der einzige Mann hier. Nun… Der einzige lebende Mann. Wo ist mein Partner? Er könnte noch was lernen. Wo ist mein Schatz? Er würde mich bestimmt aus dieser peinlichen Situation retten.
 

()Außerhalb der Räumlichkeiten der Pathologie, ein paar Gänge und um ein paar Ecken gegangen lehnt Julian in einem Flur ohne Türen an einer kahlen Wand. Die Hände im Haar atmet er tief ein und langsam aus. Einige Male wiederholt schlägt sein Herz nicht mehr ganz so schnell und er wird ruhiger. Die Hände heruntergenommen fischt er sein Mobilfon aus der Hosentasche.

Dieses einen Moment betrachtet wägt Julian ab. Genaugenommen gibt es mehr Gründe, den einen Anruf zu lassen, als zu tun. Seine Finger huschen über das Display und er sieht sein Telefonbuch durch, ohne wirklich nach einem Namen zu suchen. Wen er anrufen will, weiß er längst.

Wieder wägt er ab und sieht in alle Richtungen. Just in diesem Augenblick ist niemand sonst hier und er tut es.()
 

Inmitten des Gesprächs der beiden Frauen höre ich Charlenes Mobilfon und bin froh, der überaus schlüpfrige Dialog findet ein Ende. ‚Live and let die‘ schallt es. Die Titelmelodie aus einem Agentenkrimi. James Bond. Leben und Sterben lassen. Habe ich nie gesehen, aber den Soundtrack nenne ich mein eigen. Soundtrack… Warum kriegen alle um mich herum das mit den Klingeltönen hin? Und warum kriege ich das nicht hin? Mein Telefon piept, wenn es klingelt.

Um das eigene Telefon jetzt nicht ans Ohr halten zu müssen drückt Charlene mit einem Skalpell auf Laut. „Rush.“ meldete sie sich.

„Halli Hallo, Doctor Charlene Rush…“
 

Das schnarrende Krächzen und Knacken anstatt einer Stimme kennen wir fast alle. Jennifer hört es zum ersten Mal und tippt sich gegen die Stirn, über das, was der Irre zu sagen hat. Er lobt seine Tat und sich selbst. Hoffentlich redet er lange. Wenigstens lange genug. Indes telefoniere ich nach Ivy Jones, um den Anruf zurückverfolgen zu lassen. Im Anschluss versuche ich meinen Partner zu erreichen. Besetzt. Soll ich Julian herholen? Nein. Ich habe jetzt meiner besten Freundin beizustehen und rufe auch ihn an. Auch besetzt.

Bei den Göttern. Was ein Scheiß! Neben Charlene gestellt lege ich ihr einen Arm um die Schultern und ziehe sie an mich heran.

„Unwesentlich, wo Sie suchen, Doktor Charlene Rush. Sie werden kein Haar finden. Selbst die Wimpern habe ich ihm genommen.“ Das Lachen ist kalt und blechern. „Glatt und rosig wie ein Baby-Popo.“ Er lacht wieder. „Welch Verbesserung zu vorher…“

Ivy kommt in den Leichenkeller gehastet. Unter dem Arm ihr Köfferchen. Ruckzuck baut sie alles auf einer freien Bahre auf, tippt ein bisschen und wartet. Nach ein paar Sekunden hebt sie die Daumen.

„Ich muss los, Doktor Charlene Rush. Gute Werke tun.“ Dem folgt das blecherne Lachen und von seiner Seite ist das Gespräch beendet.

„Der ist irre!“ urteilt Jen. „Megamäßig geistesgestört! Haben wir ihn?“

Ivy schüttelt den Kopf. In diesem Augenblick kommt mein Partner herein gestürmt. „Bin da!“ ruft er atemlos. „Sorry! Hatte was Dringendes…“ Seinen Redeschwall selbst unterbrochen sieht er von einem zum anderen und auf den Koffer mit dem technischen Equipment. „Scheiße. Der Irre hat angerufen.“ schlussfolgert er.

„Übernimmst du?“ wende ich mich an ihn und mein Partner geht schnurstracks auf meine beste Freundin zu. „Bin da.“ sagt er sanft und greift ihre Hand und nimmt ihr das Skalpell ab, greift ihre andere Hand und hält beide in seinen. „Bin da.“ sagt er wieder und eine paar Sekunden beobachte ich ihn.

Wo ist dieses schleimige Ekelpaket hin, das keiner von uns leiden konnte? Da spreche ich einfach mal für euch mit.

Charlenes Telefon klingelt wieder. Zittrigen Fingers nimmt sie das Gespräch an, neuerlich für alle Anwesenden hörbar. „Rush.“ heisert sie.

„Halli Hallo Doktor Charlene Rush. Ich vergaß zu sagen… Ihre Arbeit verdoppelt sich in Bälde. Allerdings nichts, womit Sie sich zu viel der Mühe zu machen bräuchten…“ Neuerlich klingt das blecherne Lachen und seinerseits ist’s Schluss mit dem Gespräch.

Von allen ein Blick zu Ivy. „Nein.“ sagt sie leise und sieht aus, als zweifelte sie an ihrer eigenen Technik.

„Er kennt sich aus.“ kommt von Jennifer: Zur Ehrenrettung oder aus Sympathie. Ivy und sie kennen sich von der High School.

Die Technikexpertin schickt der Agentin des Northern Bureau ein flüchtiges, aber dankbares Lächeln. „Ich habe ihn aufgenommen. Vielleicht kann ich was entzerren und wir haben wenigstens seine Stimme.“

„Du kriegst das hin.“ erklärt Jen, dem stimme ich nickend zu und haste hinaus, auf der Suche nach Julian.

BÄMM – mitten auf die Zwölf.

In einem Gang hier unten im Leichenkeller und fernab aller Türen finde ich meinen Schatz. Ehe ich Julian sehe, höre ich ihn. Er spricht jedoch nicht. Es ist diese Lache. Diese beinahe bösartige und unheilvolle Lache, die ich schon in seiner Wohnung gehört habe. Im Widerhall der kargen Wände klingt es weit mehr nach bösartig und unheilvoll.

Ich biege um die Ecke. Er steht da, an der Wand gelehnt, sein Mobilfon nicht am Ohr sondern in der Hand. Die Lache endet, nur ein kurzes Echo bleibt, das schließlich auch verschwindet.

Ich weiß nicht, wie es euch geht. In meinem Hals bildet sich wieder dieser eiskalten Klumpen aus Zweifel und Befürchtungen. Julian ist nicht da, wenn der Irre anruft. Bei ihm ist besetzt, wenn der Irre anruft. Und der Irre hat eben auch gelacht. Ich schlucke angestrengt und der eiskalte Kloß landet in meinem Magen. Eine Verbesserung ist das nicht. Es tut weh und ich erschaudere mit einer Kälte, die aus meinem Inneren kommt.

Ein paar lautlose Schritte gemacht stehe ich neben ihm. „Hey.“ sage ich und er guckt mich an. Irgendwie sieht er erschrocken aus. Oder ertappt. Oder beides. Lautlos ist bei mir lautlos.

Nach kurzem Zögern gibt er ein „Hey.“ zurück, wendet den Blick ab und schiebt in lässig wirkender Bewegung sein Mobilfon in die Hosentasche. Mir scheint, er will darauf keine Aufmerksamkeit erregen.

Nur bin ich längst aufmerksam. „Wieder telefoniert?“ frage ich und klinge nicht so locker und unverfänglich, wie ich es gern gehabt hätte.

„Ja.“ erwidert er einsilbig. Seine Schuhspitzen findet er wohl gerade interessanter als mein Gesicht.

„Wieder privat?“

Dieses Mal antwortet er gar nicht.

Ich stelle mich vor Julian. „Mit wem hast du eben gesprochen?“

„Privat.“ murmelt er und sieht mich immer noch nicht an.

„So toll sind deine Schuhe auch nicht.“ gebe ich ihm zu verstehen. „Julian. Guck mich an und rede mit mir.“ fordere ich und frage erneut: „Mit wem hast du eben gesprochen.“

Keiner meiner Aufforderungen kommt er nach. Julian guckt mich nicht an und er redet auch nicht mit mir. Auf eine Antwort hoffe ich weiterhin vergeblich. Wenigstens macht er keine Anstalten, die Flucht anzutreten.

„Also? Wer war’s? Deine Eltern?“ hake ich nach und fühle mich äußerst unwohl. „Madelaine und Craig Aparo?“ Meinem Schatz gegenüber kehre ich den Cop heraus und nötige ihn zu Antworten. „Oder deine Schwester?“

Unvermittelt hebt Julian den Kopf und starrt mich an. Wut ist in seinen Augen und das Gold seiner Iriden ist von einem roten Schimmer überzogen. Seine Lippen sind fest aufeinander gepresst. Der Zug um seinen Mund gefällt mir gar nicht. Julian sieht regelrecht angewidert aus.

„Du magst deine Familie nicht sonderlich.“ mutmaße ich und nur so eben sichtbar zeigt er ein Kopfschütteln. Habe ich mit meinen Annahme Recht, was seinen Vater angeht, wundert mich das gar nicht. Just in diesem Augenblick bin ich stolz auf meinen liebevollen und toleranten Papa. Und ich vermisse ihn. Genauso, wie ich meine Mama vermisse. Kämen meine Eltern je zur Sprache, könnte ich niemals angewidert aussehen. Nur traurig. In aller Stille danke ich den Göttern, meinen kleinen Bruder hat man mir nicht wegnehmen können. Das ließ ich nicht zu. Nur geht es jetzt nicht um mich und ich richte mein Augenmerk auf Julian, der seinen Gedanken nachhängt.

Ich weiß, was ich zu tun habe. Und es gefällt mir nicht. Den Moment seiner persönlichen Ablenkung muss ich nutzen. Ein paar Sekunden gebe ich ihm noch…
 

()Nicht sonderlich mögen ist geschönt. Seine Eltern – oder was sie darstellen sollen – widern ihn an. Julian senkt den Blick wieder, will Aaron nicht mit dem empfundenen Zorn ansehen. Gerade jetzt durchläuft er ein unangenehmes Wechselbad der Gefühle. Sein Schatz soll schweigen und ihn allein lassen. Und reden und ihn in die Arme nehmen.

Er hätte nicht telefonieren dürfen. Diese Telefonate wühlen auf, strengen an. Danach fühlt er sich schlecht, obgleich er sich gut fühlen sollte. Gleichgültig, was er leistet… Es ist nicht gut genug. Er ist nicht gut genug. Für sie alle. Es sollte ihm egal sein, doch das ist es nicht. Niemals geben sie Ruhe. Er will seine Freiheit und das verstehen sie nicht. Wollen nicht verstehen. Sie reden und reden… Sie schweigen einfach nicht. Wollen nicht schweigen. Ohne diese Telefonate würde er verrückt. Doch danach… Danach fühlt er sich immer wie beschmutzt.

„Mit wem hast du eben gesprochen?“ fragt Aaron zum dritten Mal und zweiten Mal erwidert Julian ein „Privat.“ Er fühlt sich überrumpelt und das gefällt ihm nicht. Aaron weiß genau, was er tut. Ein guter Cop. Diesem Verhör weicht er nur aus, wenn er jetzt geht. Von der Wand gestemmt schiebt er seinen Schatz von sich. „Das geht dich nichts an.“ setzt Julian hinzu und will gehen. Noch weiß er nicht, wohin. Zurück zu den Leichen und zu dieser aufdringlichen Special Agent Jennifer Whalley? Viel lieber noch einfach bloß weg und raus. Laufen, bis er Zuhause in seinem Loft ist. Die Tür hinter sich zumachen und abschließen und duschen, bis er das Gefühl hat, sauber zu sein. Äußerlich.

Keine Sekunde später entweicht ihm die Luft aus den Lungen, als Aaron ihn zurück an die Wand drückt und am Hemdkragen gepackt festhält. „Ich will Antworten.“ Seine Stimme, kühl und sachlich, passt nicht zu seinem unbeherrschten Benehmen. „Und ich will diese Antworten sofort. Haben Sie das verstanden, Officer Aparo?“ Jetzt ist seine Stimme schneidend, einer Klinge gleich.

Den Mund geöffnet schließt Julian diesen wieder. Der empfundene Zorn ist noch da und jetzt etwas zu sagen, führten zu den falschen Worten, zur falschen Zeit, am falschen Ort, an die falsche Person gerichtet.

„Wo warst du gestern Abend?“ Aaron lässt ihn nicht aus den Augen. Obgleich er selbst den Blick gesenkt hält, spürt er den seines Schatzes. „Du warst weg zwischen halb acht und halb neun. Um was zu tun?“

„Das geht dich auch nichts an!“ erwidert Julian prompt. Damit hat er seiner Meinung nach genug gesagt, umfasst die Handgelenke des anderen und zerrt daran, um sich zu befreien. Vergeblich.

„Lipinski war ein Schwulen-Hasser und er wusste, du bist schwul. Hat er dich drangsaliert? Gewiss hat er das. Hat er die anderen gegen dich aufgehetzt? Auch das hat er gewiss. Hat er dich geschlagen? Ich gehe jede Wette ein, das hat er und mit wachsender Begeisterung!“

Das klingt, als hätte Aaron das alles selbst erlebt. Drangsal. Hetze. Schläge. Der empfundene Zorn verschwindet augenblicklich. „Ich wollte da weg.“ Julian räuspert sich und seine Hände rutschen von den Gelenken Aarons. „Einfach nur weg. Weg von Lipinski und seiner Art. Weg von den anderen und ihren… ihren… Späßen. Weg von Bronkston. Komplett weg. Vielleicht auch weg von Polizeiarbeit.“ Er zieht die Nase hoch. „Zwölfmal habe ich ein Versetzungsgesuch eingereicht. Zwölf! Elf hat Lipinski abgelehnt. Wo käme er denn hin, das Maskottchen des Dreizehnten ziehen zu lassen. Das…“ Erst nach einem neuerlichen Räuspern und Schlucken kann er weitersprechen. „Das ‚Schwuletten-Bärchen‘.“ Er hebt die Schultern. „Wie er im zwölften entschieden hat, wenn er entschieden hat, weiß ich nicht.“

„Das ist ja jetzt egal. Er ist ja jetzt tot. Du Glücklicher.“()
 

Danach muss ich mir die blutende Nase halten. BÄMM – mitten auf die Zwölf. Den Schlag habe ich nicht kommen sehen. Zudem werde ich zurückgeschubst. Grob und heftig. Ich knalle an die gegenüberliegende Wand und dieses Mal weicht mir die Luft mit einem zischenden Geräusch aus den Lungen.

„Denkst du das? Von mir?“ Julians Stimme ist leise, doch ringt er um Beherrschung und bebt vor Zorn. Mehr, als eben noch. Seine Augen glühen regelrecht. Alles Gold ist aus den Iriden verschwunden. Diese leuchten in einem flammenden Rot. Es sollte mir Angst machen. Jedoch tut es das nicht. Es macht mich… besorgt. Um ihn.

„Denkst du, zu so etwas bin ich fähig?“ Blinzelnd und den Kopf schüttelnd kämpft er gegen Tränen. Vergeblich. Diese laufen ihm längst über die Wangen. Wahrscheinlich merkt er es nicht einmal. „Du hältst mich für diesen Irren, der… der das Leben dermaßen missachtet? Der dich am Telefon bedroht?“

Wie ich es eben tat, packt er mich am Kragen und zerrt daran. „Der dich bedroht?“ Mit Julians harten Schlucken sehe ich seinen Adamsapfel wandern und seine Stimme wird leiser, klingt gebrochen. „Ganz ehrlich, Aaron. Denkst du das von mir? Hältst du mich für diese Bestie? Meinst du, ich bin dazu fähig? Ich will es jetzt wirklich wissen. Fühlst du so?“



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Von:  Witch23
2015-08-09T13:10:51+00:00 09.08.2015 15:10
Wow das ist mal ein krasses Kapitel vor allem weil es tatsächlich zur Sprache zwischen den beiden kommt. Wobei ich bei Aaron auch vermute das der arg mit Verlustängsten zu kämpfen hat, weswegen das ganze zu Julian auch so klasse ist das das passiert ist und ihm in Verbindung mit dem Mörder und den Unstimmigkeiten einfach angst macht vor zu viel Glück.

Bin gespannt was da noch kommt ^^
Von:  Witch23
2015-06-28T22:13:54+00:00 29.06.2015 00:13
durch diese Immer wieder zeitgleich stattfindenden Anrufe Julian und "Der Irre" ist der verdacht das Julian am ende der Möder ist einfach zu stark, aber eben weil es so offensichtlich er sein kann kann er es auch wieder nicht sein.

Ich bin und bleibe weiterhin gespannt und freue mich auf weitere.^^
Von:  Witch23
2014-05-28T22:18:15+00:00 29.05.2014 00:18
freue mich auch das es wieder weitergeht. zwar ist der Stilumbruch von unseren beiden süßen nach längerer Zeit wieder etwas schwerer zu verarbeiten, zumindest für mich. Aber ansonsten macht es wie immer Spaß das ganze zu verfolgen.
Von:  Nami_van_Dark
2014-05-28T18:24:40+00:00 28.05.2014 20:24
Nach langer Zeit mal wieder ein Kapi von dir ^^
*freu mich*
kann man diese Jen weg Operieren ???? XD
Von:  Witch23
2013-07-29T07:56:23+00:00 29.07.2013 09:56
Ich habe ein paar kleine Fehlerchen entdeckt, aber das war schon das negative ^_^ irgendwo ein mir statt einem mich geschrieben glaube ich, mehr hatte ich mir nicht gemerkt ^_^°

Ansonsten, unterhaltsam und wegen der Unperson ganz nett gehalten. Ich konnte mich gut amüsieren. Die aussage zu dem Wasserspender fand ich zwar etwas krass, aber auch witzig wie er gleich zweimal was trank ^_^
Wie Aron und Berger inzwischen miteinander umgehen empfinde ich als echt nett. Freue mich wenn was neues kommt.

Von:  Witch23
2013-04-24T13:35:07+00:00 24.04.2013 15:35
Immer wieder beklemmend vom Täter zu lesen. Vor allem weil er dieses mal so wirkt als wenn ihm tatsächlich jemand durchdachte befehle geben würde. *grusel*
Von:  Witch23
2013-04-22T05:19:54+00:00 22.04.2013 07:19
wow so schnell dann auch schon der nächste Teil *_* und dann so ein "nettes" Erlebnis abgesehen von der Leiche und "der da".

Bin gespannt wie das noch weitergeht.
Von:  Witch23
2013-04-20T20:13:47+00:00 20.04.2013 22:13
Hallo und schön wieder was von dir zu lesen. Ich wollte schon nachfragen, doch da hast du meine gedachte frage auch schon beantwortet. *freu* es ist zwar nicht schön von einer Leiche zu lesen, aber ich hibbel immer noch der Geschichte hinterher. ^_^°

Und mir ist gerade erst aufgefallen das der Hauptteil der Geschichte in Ich-Stil und der Rest in Erzähler-Stil geschrieben ist. o_O ist mir bislang nie so arg ins Bewusstsein gekommen oder habe ich schon wieder vergessen.

Ich freue mich auf jeden Fall das ich wieder etwas weiter lesen konnte und warte ungeduldig und doch geduldig auf weiteres.
Von:  Witch23
2012-12-01T00:30:54+00:00 01.12.2012 01:30
Keiner von und wagt eine Äußerung über das, was uns erwarten könnte. uns?

uh das ist mal ein ende eines Gespräches. Das was jetzt kommen wird ist dann schon interessant.
Von:  Nami_van_Dark
2012-10-03T10:54:23+00:00 03.10.2012 12:54
das Telefon Gespräch nehm ich noch nicht als hinweis das er es sein könnte^^
Bei dir kann man sich nämlich nie sicher sein ob es nicht doch ein anderer ist lol
*hoffe es von ganzem Herzen*
*ich mag die beiden zu sehr*

freue mich auf´s nächste Kapi

gott ist das bei dir wieder spannend XD


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