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Novacain

von

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Die Schmerzen hämmerten sprichwörtlich gegen seine Stirn. Ein dumpfes und oszillierendes Pochen, was oberhalb des Auges begann und sich dann über die Schläfen, bis in den Nacken zog.

Hätte jemand ein Brett genommen und es ihm immer wieder mit voller Kraft gegen seine Stirn geschmettert wäre das Resultat das Selbe gewesen. Pulsierende Schmerzen die den Körper aber auch seine Gedanken lähmten.
 

Mit qualverzerrter Miene blinzelte er in Richtung Wanduhr. Der ganze Raum hatte seine klaren und scharfen Kanten verloren. Alles war leicht verwischt, als hätte ein Hobbyfotograph gerade die Weichzeichenoption in seinem neuen Programm entdeckt und müsste sie nun ausgiebig testen.

Hinzu kamen die geschlossenen Jalousien, welche den Raum in ein Zwielicht tauchten. In vielen Ecken hatten es sich Schatten gemütlich gemacht und griffen mit wanderndem Sonnenstand immer mehr nach dem Rest des Raumes und der Einrichtung.

Schemenhaft nahm er die Uhrzeit war.
 

Was hingegen voll in sein Bewusstsein eindrang war das ohrenbetäubende Ticken der Uhr. Jede Bewegung des Zeigers schien mit einen monströsen Schlag untermalt zu sein. In einen Glockenturm mussten ähnliche Verhältnisse herrschen. Wobei er zurzeit bezweifelte, dass ein geräuschvollerer Ort im Universum existierte als sein Büro.
 

Träge hatte sich der Gedanke durch seinen Kopf gequält, der immer noch lethargisch in Richtung der Uhr verweilte. Mit einer langsamen Bewegung sah er auf die Papiere vor sich herab.

Er hatte sie abzeichnen sollen, durchlesen, Anmerkungen schreiben. Im Moment waren sie nicht mehr als eine verschwommene homogene, weiß-schwarze Masse aus toten Pflanzenzellen.

Hinzu kamen dann noch einige aufgerissene und kaputte Blister, die ihn straffend von seinen Schreibtisch anzustarren schienen.

Die Verpackungen der verschiedenen Schmerztabletten verteilten sich über die gesamte Arbeitsfläche. Fast jede mögliche Kombination der geläufigsten Analgetika war damit vertreten auf diesem Tisch.

War, darauf lag die Betonung. Die unterschiedlichen Blister waren das was noch übrig geblieben war. Ihr Inhalt war schon vor vielen Stunden verschwunden.
 

„Dr. Crane?!“ Ein höfliches Klopfen an der Bürotür, was sich in seinen Ohren anhörte wie das Abbrechen einer ganzen Bergflanke, mit nachfolgender Schuttlawine.

Das Pochen hinter seiner Stirn steigerte seine Amplitude. Wenn der Schmerz in seinen Kopf ein Ton wäre, dann hätte er sich soeben von einen nervösen Stakkato zu einen gleich bleibenden schrillen Legato gewandelt.

Kleine weiße Sternchen schwebten von der Oberkante seines Blickfeldes zum unteren Rand, als er sich mühsam zur Tür umwand.
 

„Ja!“
 

Eine ältere, blonde Frau in einem blau-grauen Kostüm betrat den Raum. Ihr Haar war zu einem Knoten im Nacken zusammen geschlungen, um das Bild der Sekretärin noch zu vervollständigen und jeglichem Klischee zu entsprechen.

Mit einen verwirrten Zwinkern sah sie sich suchend im Raum um. Als sich ihre Augen an das gedämpfte Licht gewöhnt hatten, entdeckte sie ihren Arbeitgeber hinter seinen massiven Schreibtisch.
 

“Ich wollte sie nicht stören. Ich kann nachher auch noch mal wieder kommen.-„
 

Bevor sie eine weitere Salve von dröhnenden Worten auf ihn niederprasseln lassen konnte, hob der Mann hinter dem Schreibtisch die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen.
 

„Um was handelt es sich?“ Während er sprach fuhr er sich mit der zuvor erhobenen Hand durch die Haare und massierte dabei seinen Kopf leicht. Der dumpfe Schmerz ließ nicht nach und nicht zum ersten Mal wünschte er sich eine Angestellte die der Zeichensprache mächtig war.
 

„Die Jahresinventur ist abgeschlossen, bevor ich es in die Buchhaltung gebe, wollte ich Sie noch mal bitten einen Blick darauf zu werfen. Wir haben in einigen Abteilungen-„ Sie stockte und suchte nach einer geeigneten, euphemistische Umschreibung. „Abweichungen von der erwarteten Norm.“

Damit beendete sie ihren Satz und sah ihren Arbeitgeber Hilfe suchend an. Nicht zum ersten Mal lief ihr ein Schauer über den Rücken, wenn sie mit dem jungen Mann in einen Zimmer alleine war.
 

Sie hatte schon für viele Chefs gearbeitet und in Gotham konnte einen nicht so leicht etwas aus der Fassung bringen. Aber ihr jetziger Vorgesetzter war ihr unheimlich. Sie konnte es aber auch nicht wirklich definieren.

Es war nicht mit Händen greifbar, eher so ein eisiges Gefühl was die Wirbelsäule hoch kroch und einen die kleinen Häarchen im Nacken zu Berge stehen ließ.
 

Genau das passierte jetzt auch. Durchdringende arktisch kalte Augen fixierten sie, bohrten sich in das Innere Ihres Kopfes, als wollten sie mehr noch erfassen als das Antlitz.

Ihrer jahrelangen Erfahrung in der Dienstleistungsbranche kämpfte mit den Urdrang Flucht. Sie war versucht in ihren mittelklassigen, abgetretenen Schuhen einen Schritt zurück zu weichen, aber das wäre das endgültige Eingeständnis gewesen.
 

In irgendeiner Sendung auf den Discory Canel hatte sie mal gesehen, dass man vor Raubtieren auf keinem Fall einen Schritt zurück weichen dürfte, sonst sähen sie darin ihr Zeichen zum Angriff.

Nicht das ihr Arbeitgeber in irgendeiner Form Ähnlichkeit mit einer wilden gefährlichen Bestie gehabt hätte. Es war eher eine domestizierte Form davon, wie er angespannt hinter seinen Schreibtisch lauerte. Die Brille mit den silberne Gestell ordentlich vor sich abgelegt, die Hände über den Papieren auf dem Tisch gefaltet. Wartend.
 

„Ähm…“ Sie räusperte sich um die Stille zu durchbrechen, die den Raum in ihren unbarmherzigen Griff umwand. Ihre Finger verkrampften sich um die Akten die sie nun schützten vor ihre Brust presste. Nicht sie hielt die Papiere, sondern die Blätter hielten sie. Wahrscheinlich wäre sie zusammengeklappt wie ein Kartenhaus, bei der man eine Karte aus dem Fundament entfernte, wenn sie jemand aufgefordert hätte die Akten auf den Tisch zu legen.
 

„Und was denken Sie kann ich daran ändern?“
 

Sie schluckte, bisher hatten sich ihre Chefs immer bei ihr Bedankt wenn sie ihnen solche Informationen zuspielte. Mit den letzten bisschen Mut den sie mühsam zusammen kratze legte sie trotzdem die Akten auf den Tisch, presste die Hände an die Seite und nickte ihren Vorgesetzten zum Zeichen zu das sie ihn jetzt nicht mehr stören würde.
 

Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete sie tief durch. Erst jetzt merkte sie, dass sie in den letzten Minuten den Atem angehalten hatte. Und noch etwas drang wieder aus den tiefen ihres Gedächtnisses hervor. Die leeren Tablettenblister auf dem Schreibtisch, die ihr aufgefallen waren, als sie die Dokumente ablegte.
 

Sie wollte über niemanden einen voreiligen Schluss zu ziehen, aber in ihren Kopf leuchtete das Wort „Tablettensüchtig“ unaufhörlich penetrant auf, wie eine Reklame in Las Vegas. Geistes abwesend rekapitulierte sie noch einmal das Gespräch und suchte nach Hinweisen, die ihren Verdacht erhärteten.

Der abgedunkelte Raum, ein gutes Indiz aber noch nicht aussagekräftig genug. Dann das gereizte Auftreten, möglicher Weise auf den Entzug zurück zu führen.

Die späten Besuche bei den Patienten, von denen ihr ein paar Pfleger in der Mittagspause erzählten. Wenn sie es so betrachtete konnte man den jungen Mann immer noch zu sehr fortgeschrittener Stunde in dieser Einrichtung antreffen.

Hier war es auch am einfachsten an den „Stoff ran zu kommen“.
 

Durch ihre Gedanken blitzen diese Worte, aus einer der allabendlichen Nachrichtensendungen. Gut durch gestylte Moderatoren die den Weltschmerz und das Verkommen der Gesellschaft anprangerten, aber selbst nicht an so einer kleinen Nase abgeneigt waren.

Sie schüttelte den Kopf mit dem langsam ergrauenden blonden Haar, griff nach dem tragbaren Haustelefon und legte einen Zettel auf ihren Schreibtisch, welcher angab dass sie bald wieder da war.

Sie hatte etwas in Erfahrung zu bringen.
 

Im Inneren des Büros stütze ein von Migräne heimgesuchter Leiter der Anstalt seinen Kopf in die Handflächen. Er hasste solche Tage. Erst diese alles lähmenden und Zehnmal verfluchten Kopfschmerzen und dann auch noch das. Er spähte durch seine Finger hindurch auf den Bericht.

Wie eine offene Anklage lag er nun auf seinen Schreibtisch. Mit missmutigen Blicken durchstieß er das Papier, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass er sich zusätzlich darum kümmern müsste.
 

Er atmete noch mal tief durch und stemmte sich dann aus seinen Stuhl hoch. Vielleicht würde es helfen, erstmal 1-2 Kaffees zu trinken. Mit wackligen Schritten machte er sich auf den Weg zur Tür und hielt dann vor dem kleinen Regal schräg daneben an.

Mit zittrigen Fingern und etwas planlos, begann er gemahlenes Pulver aus einer Dose in den Filter zu schaufeln. Dann folgte noch Wasser aus der kleinen Spüle daneben. An die Bleirohre, die das Wasser in diesem Gebäude beförderten dachte er in diesem Moment nicht. Außerdem wenn es wirklich so schlimm wäre, dann hätte sein Vorgänger nicht so ein biblisches Alter erreicht.
 

Das Blubbern der Kaffeemaschine sprengte fast seinen Schädel auf. Noch so einen Sache an die er zuvor nicht gedacht hatte. Er hätte sich lieber einen bringen lassen sollen. Aber dann hätte er sich wieder mit seiner Sekretärin abgeben müssen. So rutschte er mit den Rücken am Regal runter, setzte sich mit angezogenen Beinen auf den Boden seines Büros und legte den Kopf auf das nächst gelegene Regalbrett.

Er musste in seinen letzten Leben etwas Furchtbares verbrochen haben, nur so konnte er sich erklären, warum er mit dieser Migräne gestraft wurde.
 

Er vergewisserte sich das niemand ihn einen Besuch abstatten wollte und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Über ihn war die Kaffeemaschine in den letzten Zügen und röhrte noch mal bevor sie fertig war.

Nur noch 5 Minuten sagte er sich und dämmerte im Halbdunklen des Zimmers vor sich hin, getragen von den pochenden Schmerzen hinter seiner Stirn.
 

„Und ich sage dir doch, alles wahr. Nicht das ich mir ein Urteil darüber erlaube, jeder soll tun was er für Richtig hält. Aber ich finde es schon ziemlich frech, das hier unverschämt in aller Öffentlichkeit zu praktizieren. Früher haben die Junkies sich wenigstens noch in irgendwelche dunklen Straßen zurückgezogen. Aber was sag ich dir…“

Die Worte tröpfelten in sein Bewusstsein, aber ergaben keinen Sinn. Das Einzige was sie bewirkten war ein brennender Schmerz, der mit der Melodie der Sprache stieg und fiel.
 

Und genau dieser Schmerz brachte ihn wieder zu dem Subjekt wo er stehen geblieben war, Kaffee für seine Migräne. Vorsichtig stand er auf und kämpfte gegen das ungute Gefühl an, das sein Kreislauf nicht so wollte wie er. Mit einen Hand bekam er die Kante des Regals zu fassen und hielt sich daran fest.

Mit der anderen griff er ins Spülbecken nach einer Tasse und dann nach der Kanne. Schwarz, duftend und heiß war die Flüssigkeit, die ihn hoffentlich etwas Erlösung bescheren sollte.
 

Der Kaffe war keine gute Idee gewesen, das musste er 10 Minuten nach dem Konsum feststellen. Sein Magen schien durch die Tabletten und den darin enthaltenen Wirkstoff so angegriffen zu sein, dass er das bittere Getränk nur noch loswerden wollte.
 

Die kleine Spüle, wo er zuvor das Wasser für den Kaffee her hatte war das Nächste. Mit einen mitleidserregenden Geräusch spukte er die Flüssigkeit wieder aus. Und als wäre das noch nicht demütigend genug, stand wenige Sekunden später seine Sekretärin in der Tür. Eisig blaue Augen blitzen zu ihr herüber und ließen sie wissen, dass ein Kommentar zur Situation unerwünscht war.

Jahrelange Erfahrung in der Bürolandschaft von Gotham, ließ sie nur nicken und das Zimmer wieder verlassen.
 

Jetzt war der Punkt erreicht. Er schleppte sich zurück zu seinen Schreibtisch und zog mit Mühe die unterste Schublade auf. Sorgfältig unter Papieren verstaut war eine kleine Schachtel, ohne sie zu öffnen nahm er sie heraus und quälte sich durch den Raum bis er sein Sofa erreichte.

Als er den Deckel abnahm kamen allerlei Einwegspritzen, ein Gummiband aber auch mehrere Glasampullen zum Vorscheinen. Ungelenk fischte er bis er die richten Sachen beisammen hatte.

Er brach die Ampulle mit dem sterilen Wasser auf und sog die Flüssigkeit in eine Spritze. Mit deren Spitze durchstieß er die dünne Membran eines Gläschens, auf dessen Boden sich weißes, feinkristallines Pulver befand. Nachdem alles Wasser im Gläschen war schüttelte er es bis die entstandene Lösung klar und frei von Partikeln war.

Sein Hemd krempelte er bis kurz über den Ellenbogen hoch und legte das Gummiband um seinen linken Arm. Mit Hilfe der Schnalle an dem Band zog er es fest und ballte seine Hand zur Faust.

Mit geübten Handgriffen zog er jetzt eine neue Spritze mit der Lösung aus dem Gläschen auf und achtete penibel darauf, dass sich keine Luftblasen in der Lösung bildeten.
 

„Give me Novacaine“ sang gerade der Sänger im Radio der Kantine des Arkham Asylums und setzte dann noch hinterher.

„Give me a long kiss goodnight

and everything will be alright

Tell me that I won't feel a thing

So give me Novacaine
 

Out of body and out of mind

Kiss the demons out of my dreams

I get the funny feeling, that's alright.”
 

Im Büro des Anstaltsleisters lag Dr. Crane und schlief nun endlich friedlich, mit sich und der Welt im Allgemeinen im Reinen. Vorsichtig klopfte es an der Tür, als sich nichts rührte schob sich ein blonder Kopf ins Zimmer.

Der schlafende Doktor war nicht zu übersehen und auch seine Einschlafhilfen neben ihn nicht. Die ältere Frau kniff die Augen zusammen und inspizierte die Szene noch mal genauer. Nun gab es wirklich keinen Zweifel. Es hätte nur noch gefehlt, dass die Spritze noch im Arm gesteckt hätte, als daneben auf den Boden zu liegen.

Sie schüttelte den Kopf, über den jungen Mann und schloss wieder leise die Tür.
 

Dr. Crane drehte sich im Schlaf und murmelte mit einer seltsam rauen Stimme: „Du hattest einen harten Tag mein Vögelchen, so ganz auf dich allein gestellt, ruh dich aus. Ich passe solange auf uns auf. Und um die alte Krähe da draußen kümmern wir uns später.“
 

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Die Geschichte war ein Selbstläufer, eigentlich wollte ich was viel Kürzeres schreiben, was von der Handlung her ganz anders war. Aber irgendwie haben sich meine Worte selbstständig gemacht.

Novacain(e) oder Procain genannt, ist ein Lokalanästetikum, was auch zur Migräne Therapie eingesetzt wurde /wird. Es war das erste Lokalanästetika überhaupt, vorher hat man einfach Kokain verwendet.

Der Liedtext stammt aus dem gleichnamigen Lied „Give me Novacaine“ von Green Day.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: haki-pata
2011-05-25T06:17:25+00:00 25.05.2011 08:17
Du bist die Beste, wenn es um Jonathan Crane geht!
Oh ja!


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