Heimkehr
Unter dem blutroten Licht der Sonne senkt sich der Abend auf das Schloss herab. Die nachtschwarze Silhouette vor der Abenddämmerung ist das Ziel des mächtigen Youkaifürsten. Gemäßigten Schrittes bewegt sich Inu Taishou auf sein Schloss zu. Es ist schon eine Weile her, seit er zuletzt hier war, bestimmt ein halbes Jahr. Nun, in letzter Zeit gab es nicht viel was ihn dorthin gezogen hat. Weder seine Gemahlin noch sein Sohn und Thronfolger.
Wenn er darüber nachdenkt, kann er sich selbst kaum erklären, woran das liegt. Doch jedes Mal, wenn er seiner Frau ins Gesicht sieht, spürt er einen stillen Vorwurf in jeder Faser seines Körpers. Sicher, offen würde sie niemals ihren Unmut kundtun, dazu ist ihre Erziehung zu gut, doch an der Kühle die sie ausstrahlt, spürt er es ebenso deutlich. Und diese Kühle gibt sie bereits an Sesshomaru weiter. Jedes Mal, wenn er seinen Sohn aufsucht, mehr. Kein Wunder also, wenn er ihnen lieber fern bleibt.
Umso erstaunlicher ist es da, dass er ausgerechnet heute beschlossen hat, seine Familie zu besuchen. Heute, wo ihr vorwurfsvoller Blick erstmals gerechtfertigt wäre. Der Daiyoukai beschleunigt seinen Schritt, als würde seine Schuld ihn verfolgen wie ein hartnäckiges Insekt.
Schließlich erreicht er das große Holztor, dass den Weg zum Palast bewacht. Kaum erkennen die Wachen ihren Herrn, geben sie auch schon den Weg frei und der Fürst betritt sein Schloss.
Bereits auf dem gepflasterten Pfad hinauf zum Hauptgebäude kommt ihm eine wohlvertraute Person entgegen. Es ist sein Sohn. Der Kronprinz trägt seinen edelsten Kimono, und einige Schritte vor seinem Vater hält er an und neigt respektvoll den Kopf zum Gruß. „Seid willkommen, Chichi-ue!“, sagt er förmlich.
Inu Taishous Blick wird wehmütig. Der Junge ist schon wieder gewachsen, und die Zeiten, als er ihm noch freudig entgegen gestürzt ist, um sich in seine Arme zu werfen, gehören längst der Vergangenheit an. Dafür hat seine Mutter schon gesorgt.
„Sesshomaru“, mit einem würdevollen Nicken erwidert der Fürst die Begrüßung seines Sohnes. Nun hebt der junge Prinz den Kopf und der Fürst erkennt nun doch noch ein freudiges Funkeln in den Augen seines Sohnes. Ein mildes Lächeln spielt um seine Lippen: „Welche Ehre als erstes von meinem Sohn begrüßt zu werden.“ Sesshomarus Augen strahlen, ansonsten verzieht er keine Miene.
„Ich war erfreut, als ich hörte, dass Ihr das Schloss wieder besucht“, sagt der Kronprinz höflich. Doch Inu Taishou setzt schon seinen Weg zum Eingang fort. Als er den jungen Daiyoukai passiert, schaut er noch einmal zurück: „Du musst nicht so förmlich sein, Sesshomaru. Ich freue mich auch, wieder hier zu sein.“ Dann winkt er ihm: „Komm her!“ Zunächst wirkt Sesshomaru etwas verunsichert, doch dann schließt er rasch zu seinem Vater auf.
„Erzähl mal!“, beginnt Inu Taishou, „Was hast du gemacht, während ich weg war?“ Der junge Prinz zögert kurz, doch dann sprudelt es geradezu aus ihm heraus. Der Fürst hört sich alles an, während sie den Weg hinauf gehen und er seufzt innerlich. Jetzt erst merkt er wie sehr ihm das gefehlt hat.
Gerade ereifert sich der junge Prinz über sein Kampftraining. „Es war nur eine ganz leichte Attacke, Chichi-ue, und er flog quer über den Hof bis durch die Wand des Palastes. Ich habe ihn kaum gestreift. Und so jemand möchte mich etwas lehren! Ich finde es entwürdigend, dass ich weiterhin unter diesen Bedingungen lernen soll. Ich möchte einen neuen Lehrer! Warum unterrichtet Ihr mich nicht?“
„Sesshomaru, was ist das für ein Betragen, deinen Vater gleich mit derartig vielen Fragen und Forderungen zu überfallen?“ Am oberen Ende der Treppe steht die Fürstin und blickt Vater und Sohn mit leicht tadelnder Miene entgegen. Sofort versteift sich Sesshomaru und die Leidenschaft, von eben, verschwindet augenblicklich. „Verzeiht mir, Haha-ue! Ich war gedankenlos“, gibt er fügsam Antwort.
Inu Taishous Stirn legt sich leicht in Falten. Sie hat ihn wirklich konsequent erzogen, das muss man ihr lassen. Dann wendet er sich wieder an seinen Sohn: „Sesshomaru, warum gehst du nicht schon einmal vor zum Kampfplatz. Wir werden nachher ein wenig gemeinsam trainieren. Ich möchte mich von deiner Stärke persönlich überzeugen.“
„Wie Ihr wünscht, Chichi-ue!“, gehorsam nickt Sesshomaru, doch seine Augen funkeln vor Freude. Dann läuft er rasch zurück ins Haus.
Nun tritt Inu Taishou seiner Frau entgegen. „Mein Gemahl!“, sagt sie höflich und verneigt sich vor ihm. Der Daiyoukai nimmt es mit einem leichten Nicken zur Kenntnis: „Mimaru!“ Die Fürstin richtet sich wieder auf: „Es ist schon eine Weile her, dass Ihr uns mit Eurer Anwesenheit beehrt habt.“
„Offensichtlich!“, Inu Taishou hat nun den Palast betreten und Mimaru ist ihm gefolgt, „Ich habe in den zwei Minuten vom Tor hierher mehr zu hören bekommen, als ein halbes Jahr eigentlich herzugeben vermag.“
„Ich werde mit ihm sprechen“, bemerkt Mimaru ernst, „Dem Jungen mangelt es noch immer an Selbstdisziplin!“ Innerlich seufzt Inu Taishou. „Das ist nicht nötig“, erwidert er, „Man kann es ihm nicht verübeln, dass er sich freut, mich zu sehen.“
Sittsam senkt Mimaru den Kopf: „Ihr seid zu nachsichtig mit ihm.“ „Und du bist zu streng mit ihm!“, nun tritt der Fürst an seine Frau heran. Zwei Finger legen sich sanft unter ihr Kinn und heben es an, dass sie ihn ansehen muss. „Mimaru“, sagt er leise, „Was ist mit dir? Freust du dich auch, mich zu sehen?“ Einen langen Moment treffen sich zwei Paar goldene Augen, doch dann kehrt die reservierte Kühle in ihren Blick zurück und sie senkt das Haupt: „Warum sollte ich den Vater meines Kindes und den erhabenen Fürsten unseres Volkes nicht willkommen heißen?“
Inu Taishou lässt die Hand sinken. Schon wieder ist da diese Wand aus Kühle, die so schwer greifbar ist und er bedauert es. Rasch wechselt er das Thema: „Was ist das für eine Angelegenheit wegen des Schwerttrainings? Mein Sohn hat Probleme mit seinem Lehrer?“
„Bedauerlicherweise überflügelt sein Talent seine innere Reife“, erklärt die Daiyoukai, „Er glaubt von Monshi-sensei nichts mehr lernen zu können.“
Inu Taishou nickt leicht: „Ich verstehe! Monshi ist ein fähiger Lehrer aber ihm fehlt der Bezug zur jüngeren Generation. Womöglich wäre Sesshomaru mit einem jüngeren Lehrer eher gedient, jemand mit dem er mehr gemeinsam hat.“ „Aber mein Gemahl“, verwundert hebt Mimaru die Brauen, „Mit wem sollte denn unser Sohn etwas gemeinsam haben?“
Doch der Fürst beachtet den Einwand seiner Frau nicht und wendet sich an einen vorbeikommenden Diener: „Richte Dokotoge aus, dass ich ihn zu sprechen wünsche!“