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Zeitlos -♠-

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Wettlauf

Aus der Ferne wurde ein Geräusch an mein Ohr getragen. Es war beinah nicht zu hören, doch leise konnte ich den Laut vernehmen. Ich kannte diesen Laut. Jeder kannte ihn. Schließlich handelte es sich hierbei um die Sirene eines Krankenwagens, die die Stille der Dunkelheit durchbrach. Jedes Mal lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich sie hörte, denn ich wusste, dass irgendjemand mit dem Tod rang. Jemand würde sterben und die Notärzte würden ihr Bestes geben, um dies zu verhindern. Sie würden quer durch die Stadt eilen, mit Blaulicht und eingeschalteter Sirene durch die Straßen jagen, wie ein Luchs auf Beutefang. Würden das Gaspedal durchdrücken und versuchen, nicht zu spät zu kommen. Würden versuchen das Rennen gegen den Tod zu gewinnen.

Zu oft vergeblich.

Dieser markerschütternde Ton kam einem Schrei gleich, einem Hilfeschrei. Dem Hilfeschrei des Verunglückten, der irgendwo am anderen Ende der Ortschaft lag und versuchte am Leben zu bleiben. Versuchte, nicht zu sterben. Die Chancen, dass er es schaffte standen vielleicht gut. Vielleicht aber auch nicht. Das kam immer ganz darauf an. Heute standen sie eher schlecht.

Mein Blick schwenkte hinüber zu der Frau, die von oben auf mich hinabblickte. Ihr Gesicht war weiß wie Kreide und ihre Augen gefüllt mit Tränen. Wer war sie wohl, diese Frau? Ich hatte sie nie zuvor gesehen. Sowohl ihre klaren, blauen Augen waren mir fremd, als auch das hellblonde Haar, das leicht über ihre Schultern fiel.

»Bitte bleiben Sie wach, Mister!«, vernahm ich ihre zitternde Stimme. Eine schöne Stimme. »Man wird Ihnen gleich helfen.«

Doch mir half niemand mehr. Denn ich spürte bereits, wie mein Ich seinen Körper verließ und emporstieg. Vielleicht kam es mir auch nur so vor, ja, vielleicht fantasierte ich. Dennoch war es, als würde ich meine sterbliche Hülle verlassen und auf sie hinabsehen. Als würde ich mich selbst aus den Augen der fremden Frau erblicken. Ich sah mich, wie ich am Boden lag, den Kopf getaucht in eine tiefrote Pfütze. Neben mir entdeckte ich das Fahrrad, mit dem ich auf dem Weg nach Hause gewesen war. Und mir wurde klar, dass ich es nicht mehr bis dahin schaffen würde.

Ein letztes Mal stieß die Sirene ihren hilfesuchenden, verzweifelten Schrei aus, bevor sie erstickte.

Dann umgaben mich Stille und Finsternis.

Heute hatten die Notärzte das Rennen gegen dem Tod verloren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  w-shine
2012-06-16T17:30:11+00:00 16.06.2012 19:30
Huhu :)
Ja, wir hatten das ja schon, dass du gerne Leute in deinen Geschichten umbringst - und hier auch wieder!
Ich war mir am Anfang nicht ganz sicher, ob die Person jetzt gerade mal wieder Mörder ist oder Opfer und dann war es ein Unfall!
Mir hat diese kleine Geschichte gut gefallen, der Wettlauf zwischen Krankenwagen und Tod und die letzten Gedanken eines Sterbenden.
Gut, gut :)

LG Shine


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