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Zeitlos -♠-

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Fixiert

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte Doc und richtete seine Runde Brille.

»Wie ich mich fühle?« Die einundzwanzigjährige hob skeptisch die Augenbrauen. Sie wirkte als wolle sie sich gerade eine passende Lüge aus dem Ärmel ziehen, doch Doc kam ihr zuvor. Er legte ihr sanft die Hand auf die Schulter und sagte ernst: »Und bitte seien Sie ehrlich zu mir, Miss Connery.«

Doc wusste, dass sie alles daran tun würde, um die Wahrheit, die ganze, wirkliche Wahrheit zu verschleiern. Sie würde ihm nicht das erzählen, was er sich immer und immer wieder erhoffte. Nein, das würde sie nicht.

»Wie ich mich fühle?«, fragte sie wieder, »Soll ich Ihnen jetzt abkaufen, dass Sie sich ernsthaft für meine Gefühle interessieren? «

Jetzt geht das wieder los, dachte Doc und verdrehte innerlich die Augen. Wie oft hatten sie dieses Thema schon durchgekaut?

»Sie interessieren sich genauso wenig dafür, wie all die anderen Ärzte und Menschen!« Inzwischen war Wut in ihr aufgekocht, die ihre Stimme zittern ließ. »Und selbst wenn ich es Ihnen erzählen würde, Sie hätten nicht die geringste Ahnung wie es ist, so zu fühlen, wie ich es tue!«

»Wenn Sie mir sagen würden, was Sie fühlen, dann könnte ich es vielleicht nachvollziehen.«

Doc blieb ruhig und seine Stimme behielt noch immer denselben Tonfall. Doch sein Innerstes schrie auf. Er hatte schon viele seltsame Patienten gehabt. Viele aggressive, viele depressive und viele mit Persönlichkeitsstörungen. Seine Aufgabe war es immer gewesen, den Patienten eine Weile zuzuhören und ihre Akten zu lesen, um dann die bestmöglichen medikamentösen Behandlungen vorzuschlagen. So war es jedes Mal, ganz egal, wie Krank die Menschen waren, die zu ihm kamen. Doc blieb immer ruhig, unparteiisch und kompetent. Doch dieses Mal war es anders. Seit Miss Connery eingeliefert worden war drehte sich sein Magen stetig um. Wenn er sie sah, dann wollte er nichts lieber, als sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass alles gut werde. Er wollte ihr dann alles erzählen, ihr alles erklären. Und mehr als alles andere wünschte er sich, dass sie dann lachen und ihm berichten würde, dass sie ihn nur an der Nase herumgeführt hätte und sie gar nicht krank sei. Dann würde er ihr einen Kuss auf die Stirn geben und ihr sagen, wie sehr er sie liebte.

Doch er würde ihr nicht sagen, wie sehr er sie liebte und er würde sie nicht auf die Stirn küssen, weil sie niemals lachen und ihm berichten würde, dass sie ihn nur an der Nase herumgeführt hätte und gar nicht krank sei. Denn er würde ihr nicht alles erzählen und ihr alles erklären, weil er sie nicht in den Arm nehmen und ihr sagen würde, dass alles gut werde. Denn er war Psychiater und er wusste, dass nicht alles gut werden würde.

»Sie sind doch nur so ein scheiß Arzt, der mir ebenso wenig zuhört, wie all die anderen! «, fauchte Miss Connery bitter.

Nein, dachte Doc, nein, das bin ich nicht.

Er wollte weinen, schreien und all seine Trauer und Wut zeigen. Aber das durfte er nicht. Wenn er weiterhin in ihrer Nähe sein wollte, dann musste er ruhig, unparteiisch und kompetent sein. Und er musste schweigen.

Er musste schweigen, um ihre ohnehin geringen Genesungschancen nicht noch weiter zu verringern und er musste sie behandeln, wie alle anderen Patienten auch, damit ihr kein anderer Psychiater zugeteilt wurde.

Kaum merklich senkte er seinen Blick, weil er es nicht mehr ertragen konnte, sie so zu sehen; an ein Bett fixiert. Er spürte, dass er es nicht mehr lange aushalten würde, das alles. Doch er würde nicht aufgeben. Dafür liebte er sie viel zu sehr. Und auch, wenn sie vergessen hatte, wer Doc eigentlich war, er würde es ihr nicht übel nehmen, sondern alles daran setzen, ihr ihre Erinnerungen zurückzugeben. Und ihr Leben.

Eine Träne bahnte sich in seinen Augen an und er drehte sich weg zum Fenster. Wie sehr es doch schmerzte. Seine Eingeweide schienen auseinanderzuplatzen und sein Herz schien zu zerreißen. Wäre ihr Mann nur nicht gestorben, dann wäre jetzt noch alles wie Früher. Dann hätte sie nie einen Nervenzusammenbruch erlitten und sie wäre nicht in sich gekehrt. Und auch die Persönlichkeitsstörung wäre ausgeblieben und sie wäre nie in die Psychiatrie eingeliefert worden. Sie hätte dann nicht versucht sich das Leben zu nehmen und sie hätte jetzt nicht fixiert auf dem Bett gelegen.

Doch…

Doc hielt sich die Hand vor den Mund, um ein lautes Schluchzen zu verhindern. Dicke Tränen rollten nun seine Wangen hinab. Hätte er doch nur früher erkannt, wie schlecht es um sie stand. Dann hätte er ihre Krankheit stoppen können.

Er biss sich in die Hand, um einen lauten Schrei zu unterdrücken. Seine Gedanken kreisten und sprangen wild umher, machten ihm Vorwürfe und erniedrigten ihn. Was hatte er nur getan? Als Susanna Connery ihn am meisten gebraucht hatte war er nicht bei ihr gewesen.

Man sagt, das Schlimmste für Eltern sei, das eigene Kind zu Grabe tragen zu müssen. Doc schluchzte erneut, denn er wusste, dass seine Tochter tot war, wenn auch auf eine andere Art. Und er hatte sie in das tiefdunkle Grab aus Fixierung und Psychopharmaka tragen müssen. Und dieses hatte etwas mit einem richtigen Grab gemein: Susanna Connery, seine geliebte Tochter, würde diesen Ort niemals verlassen.

Dies war der Moment, in dem Doc zusammenbrach und auf den kalten Fliesen aufschlug. Denn ihm war bewusst, dass er die ganze Zeit über nur einen hoffnungslosen Rettungsversuch unternommen hatte.

Hoffnungslos...

Und vor seinen Augen wurde es schwarz.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2011-05-14T21:17:08+00:00 14.05.2011 23:17
auch wieder eine Geschichte, die ich jetzt schon mehrfach gelesen habe, mir aber einfach die Worte fehlen.

Kein Mensch sollte je sein eigenes Kind so leiden sehen müssen.

Von:  _-THE_JOKER-_
2011-05-06T16:34:05+00:00 06.05.2011 18:34
Eine traurige Geschichte, einfach nur tief traurig. Der eigene Vater, behandelt die Tochter, die nicht mehr weiß wer er ist und psychische Probleme hat, ich denke dies ist schlimmer für ein Elternteil, als der Tod eines Kindes. Ich halte das sogar für weitaus schlimmer. Für mich hat das auch eine leichte Parallele zur Demenz, da ist es sozusagen umgekehrt, Eltern vergessen die Kinder, was wohl genauso schlimm ist. Du bringst die Verzweiflung des Vaters hier sehr gut rüber, ich kann richtig mitfühlen. Was mir hier ganz besonders gefällt, ist das du am Anfang dieses Mit dem auf die Stirn küssen und dem Scherz sagst, was sich der Doc wünscht und dann alles verneinst, das gefällt mir Besonders gut, das hat so etwas endgültiges. Dadurch zeigst du, auch am Anfang schon, dass es keine Hoffnung gibt. Da der Vater ja ein guter Psychiater ist, kann man sich denken, dass es wohl auch so ist, wenn er sagt es geht nicht, dann geht es nicht. Man merkt jedoch, dass er noch nicht bereit ist aufzugeben, auch wenn er nicht an Heilung glaubt. Der Zusammenbruch von ihm war, nach dem man wusste, dass er der Vater ist, abzusehen, denn so etwas hält niemand aus. Ich denke zwar, dass man niemals den Vater sein eigenes Kind behandeln lassen würde, aber nun gut, es ist eine Geschichte. Auch gut, gefällt mir, dass du die Tochter so trotzig dargestellt hast, sie vertraut niemandem und glaubt nicht, dass Jemand sich für sie interessiert. Für den Vater ist das wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Was ich noch viel härter finde, ist jedoch, dass er ihr nichts sagen darf, sonst gefährdet er ihre Heilung (an die er zwar nicht glaubt), das ist mehr als schwer, denn er muss ihren, Verfall 8ich nenne es jetzt mal so , denn es ist ja kaum etwas anderes) mit ansehen und leidet sehr darunter. Das einzige, was mir hier noch gut gefallen hätte, wäre gewesen, das du am Ende den Namen änderst. So als Bedeutung, du nennst ihn ja die ganze Zeit Doc, aber, weil er am Ende bricht, denke ich, dass es Ausdrucksstärker gewesen wäre ihn dann Vater zu nennen. So als Zeichen dafür, dass er es nicht verbergen kann und daran zerbricht. Ansonsten, ist es wirklich gut.
Und schön weiter so ne, das weißte ja


jöker



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