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Venia Legendi Eudaimonía

Die Erlaubnis zu lehren wie man glücklich ist
von

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Der Kaffee ist mittlerweile kalt, als er den ersten Schluck nimmt, aber süß genug.

„Du bist wieder spät.“

„Jaja.“

„Kein Jaja, du hast in einer Viertelstunde im Seminar zu sein.“

„Ich weiß.“

Er stellt die Tasse ab, halb leer, und lockert seine Krawatte.

„Wie siehst du überhaupt aus?“

Er fährt sich kurz durch die hellbraunen Haare, versucht sich die Locken aus der Stirn zu streichen.

„Hatte keine Zeit heute Morgen.“

Von der anderen Seite des Bürotisches sieht ihn sein älterer Bruder an. Wie immer adrett gekleidet, Anzug, Hemd, Schlips, die Haare um die hohe Stirn sorgfältig gekämmt.

„Alexander“

„Hm?“ Mit blauen Augen sieht er zu dem Universitätsleiter auf.

Wilhelm Humboldt hat seine Stirn gekräuselt und bedenkt ihn nur mit einem skeptischen Blick.

„Was hast du wieder gemacht, am Wochenende?“

Alexander schmunzelt, aber mehr nicht.

Er nimmt noch einen Schluck Kaffee.

Wilhelm seufzt.

„Ich sag dir: Irgendwann passiert es. Und dann brauchst du nicht zu meinen, bloß weil dein Bruder Leiter dieser Universität ist, würdest du deinen Job behalten. Das ist ganz allein dein Problem, das du dann hast.“

Alexander stellt die leere Tasse ab.

„Ist ja auch mein Leben.“, meint er, als er aufsteht.

Er nimmt sein Jackett vom Stuhl und hängt es sich zusammen mit seiner Tasche über die Schulter.

„Also, viel Spaß bei der anstrengenden Büroarbeit. Grüß mir deine Frau.“

„Dir auch viel Spaß.“, grummelt Wilhelm, und sein jüngerer Bruder verlässt das Büro.

Gemütlich schlendert Alexander über den Campus. Er ist Ende Dreißig, Professor für Philosophie, diesen Morgen soll er zum Beginn der neuen Einheit eine Vorlesung über die Stoa halten. Dürfte eigentlich kein Problem sein, auch wenn es gestern etwas später geworden ist. Aber was sein Bruder wieder zu bemängeln hat…das tut er jedes Mal, wenn sie sich sehen. Da Alexander jeden Morgen bei ihm auf eine Tasse Kaffee vorbeikommt, hat er auch oft genug Gelegenheit dazu. Leider.

„Guten Morgen, Herr Professor Humboldt!“

Im Gang holt eine der Studentinnen zu ihm auf. Sie trägt heute wieder ein enges Top auf dem kurzen Rock, den sie schon den ganzen Sommer über anhat. Jeden Montag und Donnerstag in seinen Stunden. Das hat er recherchiert.

„Guten Morgen.“, grüßt er sie mit einem Grinsen zurück.

„Auch etwas später dran heute?“

Sie lacht und macht eine Bewegung, als wenn sie ihm eine Hand an den Arm legen wollte.

„Nein, ich saß nur da vorne und habe auf Sie gewartet.“

„Oh, danke.“

Sie lächelt entzückt, als er ihr die Tür zum Saal aufhält.

Mit einem „Guten Morgen“ tritt er vor die Studenten, und als erstes entledigt er sich wieder seinem Jackett, das er zusammen mit seiner Tasche aufs Pult wirft.

Er unterrichtet schon seit einigen Jahren an der Universität; an dieser, die sein Bruder leitet, ist er nun auch schon seit drei Jahren.

Zuerst ist er sich nicht sicher gewesen, ob es das Wahre ist, diesen Arbeitsplatz zu wählen. Zwei Professoren Humboldt an einer Universität, Brüder, der eine dazu noch der Chef. Muss er den anderen dann nicht selbstverständlich bevorzugen?

Alexander kennt die Antwort: Nein, definitiv nicht.

Dafür hat er jedoch ziemlich schnell festgestellt, dass er von anderer Seite her bevorzugt wird. Von seinem weiblichen Publikum nämlich.

Er will nicht arrogant klingen, aber er würde sich schon als attraktiv bezeichnen: Breite Schultern, ein paar Muskeln, noch braun gebrannt von seinem Brasilienurlaub, und auch sein Gesicht scheint seiner Erscheinung nicht zum Nachteil zu gereichen.

Manche der Studentinnen machen es nur allzu deutlich, dass sie das Fach lediglich seinetwegen gewählt haben.

Auch heute sind die Bänke vor ihm nur höchstens zu einem Viertel mit jungen Männern gefüllt.

Während er aus dem Stegreif über die Stoa, Sokrates und die Eudaimonía referiert, fragt er sich, was sein Bruder da also zu befürchten hat?
 


 

Er stellt den Cocktail ab, um ihn nicht zu verschütten, als seine abendliche Bekanntschaft sich anschickt, auf seinem Schoß Platz zu nehmen.

Sie hat schwarze Locken, jedoch nicht das Geringste mit seinen schwärmenden weiblichen Studenten gemeinsam – denn sie ist männlich.

„So, warst du also in Südamerika, hm?“

Mark, so ist sein Name, lässt seine dünnen Finger über Alexanders Hals und Schlüsselbein fahren.

„Hab mich schon gewundert, wieso du so umwerfend braun bist...“

Mit einem Grinsen auf dem Gesicht knöpft er den obersten Knopf des weißen Hemdes auf.

„Ob die Tropensonne deinen ganzen Körper erreicht hat, oder ob noch einige Stellen blass geblieben sind...?“

Alexander vermeidet es, eine Diskussion darüber anzufangen, dass es nicht die Tropensonne war, da in den Tropen die Sonne nur selten durch den dichten Regenwald dringt, und zieht den anderen stattdessen einfach zu einem Kuss zu sich hinunter.

Der junge Mann, eben noch so selbstsicher, keucht fast erschrocken auf.

Alexander schmunzelt in den feuchten Kuss hinein. Eindeutig, er steht auf so was, würde gerne noch etwas länger bei seiner Bekanntschaft bleiben, ihn vielleicht mit ins Hotel nehmen, aber…

Der Schwarzhaarige gibt einen frustrierten Laut von sich, als Alexander den Kuss unterbricht.

Es dauert ein paar Sekunden, bis sich die blauen Augen öffnen. Sie schreien förmlich nach mehr.

„Ich muss gehen, tut mir Leid“, macht Alexander nichtsdestotrotz klar.

„Muss morgen früh raus.“

Dem jungen Mann ist die Enttäuschung anzumerken, als er etwas behäbig zurück auf seinen Platz rutscht.

„Was arbeitest du denn so wichtiges, dass du mich schon verlassen musst?“

Alexander knöpft sich das Hemd wieder ordentlich zu, was ihm etwas Zeit gibt, sich eine Antwort zurechtzulegen.

„Im Büro. Da kann man nicht grad kommen und gehen, wann man will.“

Er sieht auf, und schon wieder sind die Hände des anderen da.

„Aber…“

Der Junge hat ein etwas zu spitzes Gesicht, fällt Alexander jetzt auf, ein rundes würde ihn noch attraktiver machen.

„Es ist doch erst halb Zwölf…“

Alexander grinst ihn an und kann nicht anders, als mit einer Hand den Oberschenkel seines Gegenübers hinaufzufahren.

„Wenn wir zwei noch was miteinander unternehmen würden, wären wir nicht vor drei fertig.“

Er nutzt den Moment, in dem der junge Mann einfach nur baff dasitzt, um aufzustehen.

„Darfst meinen Cocktail gerne fertig trinken.“, meint er und schnappt sich sein Jackett.

Aus seiner Hosentasche fischt er einen Zehneuroschein, den er auf den Tisch legt.

„Viel Spaß noch.“

Als er die Bar verlässt und sich auf den Weg zur Tiefgarage macht, versucht er daran zu denken, für welchen guten Zweck er dieses Vergnügen aufgegeben hat. Nur will ihn der Gedanke an den morgigen Marathontag an der Universität nicht so recht aufheitern.
 

„Du bist wieder spät.“

„Ich weiß. Und stell dir vor: es hat sich diesmal sogar nicht gelohnt.“

Er nimmt einen Schluck kalten Kaffee und ignoriert den vorwurfsvollen Blick seiner Schwägerin. Sie hat ihn noch nie verstanden. Muss sie auch nicht, er versteht ja auch nicht, wie man so verklemmt sein kann.

„Alexander“

Er sieht leicht genervt zu seinem älteren Bruder auf.

„Wilhelm, wie oft willst du mir das noch sagen? Ich bin schwul – schön!“

Frau Humboldt zuckt zusammen.

„Aber das heißt nicht gleich, dass ich über irgendwelche Studenten herfalle. Man mag es mir vielleicht nicht glauben, aber auch ich besitze so etwas wie Moral.“

Er steht auf, ohne die Tasse ausgetrunken zu haben.

„Ich spreche nicht nur im Unterricht über Philosophie, ich lebe sie auch.“

„Na, platonische Liebe ist das nicht gerade…“, hört er seine Schwägerin nuscheln und dreht sich auf der Türschwelle noch einmal um.

„Hättest du Ahnung von diesem Fach, Caroline, wüsstest du, dass Platons Symposion mehr homosexuelle Beziehungen enthält, als ich an einem Wochenende eingehen kann.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2011-01-10T07:09:31+00:00 10.01.2011 08:09
Super sympathisch geschrieben ^__^
Ich bin bei Schreibstilen und so eigentlich recht wählerisch (was wirklich nicht toll is >_>) aber das is wirklich gut :)
...und es macht lust auf mehr :D
Von:  Bloody-259
2011-01-09T20:29:01+00:00 09.01.2011 21:29
ich finds zucker süß ^^


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