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Alles anders

Uruha x Aoi
von

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One-Shot

X-mas Story 2010
 

Wenngleich in vielen Ländern der Erde Weihnachten ein Fest der Familie und Liebe ist, so ist es in Japan auch ein Fest der Pärchen. Die Stadt ist bunt geschmückt und leuchtet – wie immer – und doch irgendwie ganz anders. Jeder glitzernde Tannenbaum, jeder blinkende Stern, jedes Zuckergebäck in der Auslage sagt: Ich liebe dich.
 

Jedes Jahr freute sich Aoi wie ein kleines Kind auf Weihnachten. Weil es bedeutete, ein paar Tage Urlaub zu bekommen, weil es hieß an einem besonderen Tag ein besonderes Konzert zu spielen, weil es den Besuch beim Elternhaus ankündigte, indem er immer herzlich empfangen wurde, egal wie lange er schon von zu Hause fort war. Vor allem aber freute sich Aoi jedes Jahr auf den Heiligen Abend, den er mit seiner Freundin verbringen konnte. Seine Wohnung war stilvoll geschmückt, er pfiff unter der Dusche Weihnachtssongs aus aller Welt, überlegte schon am ersten Dezember, was er seiner Liebsten schenken konnte.

Doch dieses Jahr ... war alles anders ... anders als sonst ...
 

Wie nur hatte das geschehen können? Wie nur hatte ausgerechnet zwei Wochen vor dem Heiligen Abend seine Freundin mit ihm Schluss machen können? Wie hatte er Schluss machen können? Und doch ... jedes Mal, wenn er ein Foto von ihr sah – Fotos, die er noch nicht beseitigt hatte: im Portemonnaie, über seinem PC-Bildschirm, ihr Akt-Bild an seiner Wand – versetzte es ihm einen Stich ins Herz. Es tat weh, sie auch nur anzusehen.
 

Die dunklen Haare, fransig zum Bob geschnitten wie dieses Vampirmädchen aus diesem komischen, zwielichtigen Ich-würde-so-gerne-aber-ich-schlafe-nicht-mit-dir-Vampirfilm, den sie sich Bis(s) zur Vergasung immer und immer wieder reinzog. Ihre Lippen so rot und einladend ... doch nicht nur für ihn war sie eine Verführung gewesen.
 

Alice hatte ihren Jasper gefunden.
 

Und er war es nicht.
 

Draußen, unten in der Tiefe der Häuserschlucht zogen Pärchen an seinem Fenster vorbei, turtelnd, Händchen haltend, wenn sie sich denn trauten. Er wäre gerne dabei. Einer von ihnen. Er würde sie auch gern küssen – egal, ob sie in der Öffentlichkeit waren oder nicht. Küssen gehörte zu seiner Leidenschaft wie der Schaft zu seiner Gitarre ... ähm ... oder so ähnlich.
 

Gestern war er an einem der vielen Weihnachtsmärkte vorbeigelaufen. Glühweinduft lag in der Luft, feines Gebäck wollte ihn locken, es zu vernaschen – aber er wollte nicht alleine sein.
 

Deswegen rief er Kai an. Der sagte ihm ab.
 

~~~~~
 

»Da bist du ja, Yuu!« Die weiche Stimme, die gelegentlich so nett ins Nuscheln geriet, tauchte hinter ihm auf und eine Hand legte sich ihm auf die Schulter. »Hast du dir schon was Warmes bestellt? Ich erfriere bald!« Gesagt, getan. Ohne auf eine Antwort zu warten, bestellte Uruha zwei Becher mit Himbeerglühwein.
 

»Danke«, sagte Aoi gequält lächelnd und sah betrübt zu dem jungen Pärchen hinüber, das sich an den Händen hielt. Der junge Mann hielt die Hände seiner Freundin und wärmte sie. Er würde auch gern. Doch halt, nein! Nicht mit ihr! Der vermeintlichen Blutsaugerin!
 

»Kein Problem!« Uruha gab ihm einen Becher und schlürfte genüsslich an seinem Glühwein. »Das tut gut! Aber sag, was wollen wir machen? Brauchst du noch Weihnachtsgeschenke für die Familie?«
 

»Hai, ich wollte hier so über den Weihnachtsmarkt schlendern und dann vielleicht noch ein bisschen durch die Geschäfte. So kurz vor dem Weihnachtsabend sollte ich langsam mal anfangen, die Geschenke zusammen zu sammeln. Aber in den letzten Wochen hatte ich einfach keinen Nerv dafür ...«
 

»Verständlich ...«
 

Also tranken Beide in Ruhe ihre Becher leer und versetzten ihren Becherpfand. Aois Augen wurden überflutet von bunten Lichtern. Eigentlich sollte er jetzt in einen Rauschzustand verfallen. Doch er fühlte sich alles andere als glücklich ...
 

Uruha seufzte leise und ungehört. Er sah sich um seine Augen begannen zu leuchten. »Komm, Yuu!«, rief er laut aus und packte ihn stürmisch an der Hand.
 

Der Ältere blinzelte nur und ließ sich mitziehen, nicht ahnend, wo ihn der Leadgitarrist hinführen wollte.
 

Eben jener schwang sich in den Sitz eines großen Kettenkarussells, zog Aoi auf den Sitz neben sich und gab dem Mann, der vorbeikam, zwei pinkfarbene, ovale Chipkarten mit goldener Schrift darauf. Sich immer noch an den Händen haltend begann das Karussell sich zu drehen und durch die Fliehkraft wurden sie nach außen gedrückt. Uruha jubelte.
 

Und Aoi blinzelte nur. »Hast du diese Teile eigentlich immer auf Vorrat?«, brüllte er gegen die Geschwindigkeit und den Fahrtwind an.
 

Der Jüngere nickte und drückte seine Hand fester, als das Karussell noch schneller wurde.
 

Aoi konnte nur niedlich lächeln. Das hier war so typisch für Uruha. Der Leadgitarrist war eben sehr verspielt. Aoi war lange nicht mehr mit so einem Karussell gefahren, war mit seinen Freundinnen immer auf ein Riesenrad mit geschlossenen Gondeln gegangen.
 

Das war einfach gemütlicher. Höhenangst schien Uruha jedenfalls keine zu haben. Aber Aoi seinerseits wurde doch ein wenig mulmig. Konnte es sein, dass das Fahrgeschäft von unten nicht ganz so hoch aussah wie von oben? Die Eisenstange, an der er sich festhielt, war sehr kalt, aber davon merkte er nichts. Uruhas Blut war durch das Adrenalin so in Wallung geraten, dass seine Hände ganz warm waren und Aois gleich mit wärmten. Das war seltsam, da der Jüngere sonst immer eine ziemliche Frostbeule war.
 

Normalerweise war es immer die Wärme der Hand seiner Freundin, die er spürte, wenn er auf dem Weihnachtsmarkt war, heute war es Uruhas Hand. Ein seltsames Gefühl. Ganz anders.
 

Trotzdem schloss Aoi die Augen. Er konnte nicht anders. Die Hauptsache war doch, dass er nicht alleine hier war. Auch wenn es etwas seltsam aussah, wenn zwischen den ganzen Pärchen in den Sitzen plötzlich zwei Männer auftauchten. Ob die Anderen wohl dachten, dass sie ... Aoi schüttelte den Kopf.
 

Uruhas Parfum wehte zu ihm herüber. Er verspürte irgendwie den Drang den Kopf auf die Schulter des Anderen zu legen. Aber die Schwerkraft machte es unmöglich. Schnell öffnete er wieder die Augen. Er würde noch die ganzen Lichter verpassen! Und außerdem ... Na ja. Er war halt verletzt und anhänglich, nichts weiter ...
 

Der Jüngere lachte, weil ihm beim Verlassen des Fahrgeschäfts die Knie zitterten. »Uff«, sagte er dann und setzte sich kurz auf die Stufe eines Mehrfamilienhauses. »Wow, ich hatte das gar nicht so in Erinnerung!« Wieder ein Lachen.
 

Aoi schüttelte nur den Kopf und hielt sich an der Hauswand fest. Irgendwie drehte sich die Welt immer noch ...
 

»Ist dir sehr schlecht?«, erkundigte sich Uruha mütterlich besorgt.
 

»Nur etwas schwindelig«, murmelte er und versteckte seine Lippen samt Leberfleck hinter einem großen Schal.
 

»Setz dich doch zu mir runter! Nur ein paar Minuten, dann geht’s weiter! Du möchtest doch bestimmt gebrannte Mandeln kaufen oder ... hm ... so was da!« Er deutete auf einen Bäckereistand, der vorne neben großen Rumkugeln auch kleine Teigtäschchen anbot. »Mu-z-n«, las Uruha gebrochen.
 

»Keine Ahnung, was das ist.«
 

»Dann lass es uns herausfinden!« Schon stand Uruha wieder auf den Beinen, zog Aoi zu sich heran und klebte fast mit der Nase an der Plexiglasscheibe, hinter der die ihnen unbekannten Gebäcke und andere Köstlichkeiten hergestellt wurden.
 

»Doitsu«, kam wieder ein Murmeln.
 

»Was?« Uruha blinzelte, seine Nase war ganz rot.
 

»Da.« Aoi deutete mit der Hand auf ein Schild, das über ihren Köpfen hing. »Spezialitäten aus Deutschland«, las er die Übersetzung darunter vor und jetzt erkannte auch Uruha die Deutschlandflagge.
 

»Da waren wir doch schon!« Dafür kassierte er eine Kopfnuss.
 

»Aber nicht zu Weihnachten.«
 

Tatsächlich standen hinter der Theke ein paar junge Frauen in rosa Kostümen – von den Gesichtszügen und der Größe her eindeutig Europäerinnen.
 

»Wollen wir uns ein Mal durchfuttern? Dann kriegen wir bestimmt auch so ne pinke Tasche!«
 

»Können wir gerne machen.« Alles war besser als sich länger von dem knutschenden Pärchen neben ihnen ablenken und runterziehen zu lassen. Uruha bestellte schon fleißig und erkundigte sich ungeniert, ob die Damen denn tatsächlich aus Deutschland kämen, während Aoi sich fast peinlich berührt fühlte, als sein guter Freund ihm zwei pinke Taschen in die Hand drückte. »Ich wusste gar nicht, dass du die Farbe so magst.«
 

Schon waren Spuren des Puderzuckers um Uruhas Mund herum zu finden. »Tu ich gar nicht«, protestierte er. »Aber meine Mutter!«
 

»Ach so, dann suchst du also eine Kleinigkeit, um dieser Mutter eine Freude zu machen.«
 

»Hai. Du hast es erfasst ...«, schmatzte Uruha weiter. »Die schmecken echt gut«, und ganz verschmitzt steckte er Aoi eine kleine Kugel deutschen Schmalzgebäcks in den Mund, der nur wieder verwirrt blinzeln und lachen konnte. Uruha griff wieder in die Tasche und zog ein duftendes, warmes Quarkbällchen hervor.
 

Aoi musste über seinen Zuckerbart lieblich lachen, der zurückblieb, als der Leadgitarrist herzhaft abbiss. Und schallend musste er lachen, als Uruha den Zucker von seinem Gesicht pustete, weil er beim Lachen durch die Nase ausatmete. Uruha nahm einen zweiten Bissen.
 

Na warte, dachte er und drückte Aoi das Quarkbällchen auf den Mund, dass er noch zwischen den Lippen hatte. Das musste wirklich seltsam aussehen.
 

Zu allem Überfluss bemerkte Aoi auch noch, dass er rot wurde ... Gut, das konnte er gut auf die Kälte schieben. Aber er fühlte sich leicht angeflirtet und das von einem Mann! Und dieses Gefühl wurde stärker, als das Bällchen was zu siebzig Prozent aus Luft bestand sich zwischen ihnen zusammendrückte.
 

Aber dann rettete Uruha die Situation in dem er anfing zu lachen und das fallende Gebäck mit der Hand auffing, um es zu retten.
 

»Du Baka!«, bekam er von Aoi mit einem Patten auf den Kopf. Der Größere kicherte. »Jetzt hast du auch ein Zuckerpeeling!«, was war denn das nun wieder für eine Worterfindung...?
 

»Du glaubst doch wohl wirklich, du kannst dir alles erlauben, oder?« Der Ältere verschränkte die Arme vor der Brust und schürzte die Lippen, was seinen Zuckerbart noch unterstrich.
 

»Ja ... das kann ich auch!«, brüstete Uruha sich und schnappte sich somit auch Aois Arme, hakte sich unter und stolzierte mit ihm weiter, vorbei an unzähligen Marktständen, wo ihnen viele Düfte entgegen kamen. »Ich denke ...« Die hellen Haare wehten im aufkommenden Wind. Aois Herz stolperte in seiner Brust. »Wenn Takanori das eben gemacht hätte, hättest du ihm eine geknallt!«
 

Einen Moment lang überlegte er. Und tatsächlich ... Ruki hätte er das Bällchen aus dem Mund genommen und ihn zumindest weggeschubst ... Bei Uruha war das etwas anderes ... warum wusste er nicht genau. Vielleicht wollten ihm seine Hormone auch nur einen Streich spielen – ihn aufheitern, mit neuer Liebe füllen, damit er an der alten nicht so sehr litt. Und je mehr er darüber nachdachte, desto sympathischer und auch angenehmer wurde ihm der Gedanke, sich an seinen Freund zu lehnen und seiner Seele etwas Gutes zu tun.
 

»Yuu? Alles okay? Hast du nen Zuckerschock?«
 

»Was? Ja, alles klar. Ähm ...« Aoi schaute sich um. »Lass uns da mal reingehen!« Er zeigte auf ein großes Kaufhaus, das Uruha nur dann aufsuchte, wenn er neue Bücher zum Schmökern brauchte – obwohl es da auch alles andere gab.
 

»Okay.« Der Jüngere ließ sich von seinem Freund mitziehen und hoffte, er könnte ihm ein bisschen Last und ein bisschen Kummer nehmen. »Hast du was Bestimmtes im Kopf?«
 

Aoi grinste sexy. Ein anderes Wort fiel dem Leadgitarristen dafür nicht ein. »Wart’s ab!«
 

Vor dem Eingang des Kaufhauses dröhnte vorweihnachtliche Musik aus den Lautsprechern. Sofort als die großen Schiebetüren sich öffneten, schlug den beiden eine Wand aus warmer Luft entgegen. Wie aus Reflex zog Aoi den Reißverschluss seiner Jacke auf und zog die Schlaufe seines Schals ein wenig weiter. Die Kette an seiner Hose klapperte. Er stürmte sofort auf die Buchabteilung zu und seine Blicke gingen wie Scanner von links nach rechts, von oben nach unten. Uruha war an einem Regal hängen geblieben, was der Andere gar nicht bemerkte. nach kurzer Zeit hatte Aoi gefunden, wonach er gesucht hatte. Ein großes schweres Buch. Schnell eilte er zur Kasse, als er sah, dass Uruha sich in einem Buch festgeblättert hatte. Er ließ sich zwei Tüten geben, wickelte das Geschenk, von dem er eben erst beschlossen hatte, dass es eines wird, in den einen Beutel ein und steckte das Ganze dann in den anderen.
 

Dann streunte er zurück zu Uruha, der immer noch ganz fasziniert an den Zeilen eines recht dunklen Buches hing. Aoi konnte nur ungefähr erkennen, welches es war und dann schaute er in das Regal. Da musste doch noch mehr davon sein.
 

»Eine Überdosis Kajiro - Shijos bester Freund und sinnlichste Droge ...«, las Aoi laut vor, so dass eine Frau sich zu ihm umdrehte und ganz rote Wangen bekam und noch leuchtendere Ohren. Auch Uruha schreckte auf. Auf dem Cover des Titels, aus einem Aoi unbekannten Verlag, war ein Mann abgebildet, der das Foto eines anderen Mannes in Händen hielt. Offensichtlich hing es hier um ein schwules Pärchen ... »Seit ... seit wann interessierst du dich für diese Art Literatur?«
 

»Wenn ich gelesen habe, habe ich doch immer diese Taschenschmöker gelesen ...«
 

»Belletristik, heißt das. Aber das meine ich nicht, ich meinte eher, für dieses Genre.«
 

Uruha musste wegen Aois Aussprache des Französischen schmunzeln.
 

Dann atmete er tief durch und blätterte wieder in dem kleinen Roman. »Seit ner Weile ... Meine Schwestern hatten mir zu meinem Geburtstag zwei verschiedene Bücher dieser Art geschenkt – um mich aufzuziehen, schätze ich. Stattdessen begann mein Interesse zu wachsen und – na ja – jetzt kaufe ich mir selbst so etwas.«
 

Aoi errötete ob der ehrlichen Antwort, die für seine Ohren keine Spur von Schamgefühl enthielt. »Ich dachte, du liest immer noch am liebsten Manga.«
 

»Yama nashi, ochi nashi, imi nashi.« Uruha nickte, immer noch im Buch versunken.
 

»Was?« Aoi überlegte ernsthaft, was Uruha damit meinte. Eine Regalreihe weiter kicherten zwei Mädchen in Schuluniformen, woraufhin der ältere der beiden Männer die Schultern anzog und sich räusperte. Die Mädchen gingen grinsend an ihnen vorüber und grüßten ihn. Er stutzte und griff sich dann an die Stirn. Auf ihren Jacken waren Buttons. Buttons mit einem eindeutigen Embleme. Gazetto-Fans. Offensichtlich waren sie erkannt worden. »Toll, Kouyou, echt ... ich glaub, du hast mich grad vor unseren Fans blamiert. Was bedeutet das denn jetzt?«
 

»Yaoi, Yuu ... ich lese derzeit auch Yaoi-Manga.«
 

Einen kurzen Moment benötigten diese Worte, um in Aois hinterste Gehirnwindungen vorzudringen. Erst dann verstand er, dass Uruha ihn gerade nicht nur vor den Mädels blamiert, sondern ihn schlicht bloßgestellt hatte. Oh! Mein! Gott! Das war nun wirklich ... Am liebsten hätte der Rhythmus-Gitarrist sich hinter einem großen Haufen Männermagazine verschanzt.
 

Die würden jetzt bestimmt denken, er sei vom anderen Ufer ... ein warmer Bruder ... schw ... nein, diesen Gedanken konnte er nicht einmal innerlich aussprechen!
 

»KOUYOU!!«, wetterte er tadelnd und halblaut los. »Kannst du dir so was nicht lieber irgendwo bestellen? Ich meine, anstelle hier in aller Öffentlichkeit ...«
 

»Warst das nicht gerade du, der Mann, mit dem ich Händchen haltend im Kettenkarussell gesessen habe? Da hat es dich auch nicht gestört ...«
 

»Aber diese Mädchen ...«
 

»Sind einfache Schulmädchen, wer würde denen denn schon glauben?!«
 

»Was ist denn an Yaoi-Geschichten so interessant? Ich meine ... m-macht dich so was an?«
 

»Ich finde es ... aufregend. Ich muss ja auch mal meinen Horizont erweitern ... Außerdem sehne ich mich nach Aufregung und nach ... Liebe.«
 

»Na ich weiß nicht, ob es zwischen Männern so etwas wie Liebe ...« Dann sprach Aoi nicht weiter, denn sein Blick fiel auf Uruhas Augen, die so traurig waren, dass er den Größeren am liebsten umarmt hätte. Er hatte an diesem ganzen Nachmittag eine wichtige Sache übersehen:
 

Er war nicht der Einzige, der Weihnachten dieses Jahr alleine feiern würde ...
 

Uruha war ebenso einsam wie er. Denn auch er war solo und Aoi wusste ganz genau, wie sehr Uruha in das Gefühl verliebt war, verliebt zu sein.
 

»Es tut mir Leid, das war nicht fair von mir ...«, sprach der Ältere dann ruhiger. Er legte sanft die Hand auf den dessen Arm.
 

»Ist schon gut.«
 

»Irgendwie hatte ich schon immer so eine Ahnung, dass du dich dafür interessieren könntest.«
 

»Das sagen alle. Vielleicht haben sie ja Recht und ich bin wirklich schwul ... Vielleicht muss ich das wirklich einmal ausprobieren. Wäre das sehr schlimm für dich?«
 

»Ich glaube, an den Gedanken müsste ich mich in der Tat erst mal gewöhnen ... Aber ich denke, ich könnte damit klar kommen.«
 

»Wie weit? Solange ich nicht über dich herfalle, oder wie?« Beide Männer mussten lachen.
 

»Ich glaub, das wäre nichts für mich, aber schön, dass wir mal darüber gesprochen haben.«
 

»Na ja, vielleicht ja doch! Dann sind wir Regenbogen-Brüder im Geiste!«
 

»Pff ...«
 

»Weißt du, was mir aufgefallen ist?«
 

»Na?«
 

»Wenn man’s lateinisch schreibt dann steckt im Wort YAOI ein A-O-I ...« Uruha musste schallend lachen und fing sich dafür einen freundschaftlichen Schlag vom Anderen ein, der verhalten mitkicherte und still akzeptierte, dass sein Gitarristenpartner sich offenbar auf einem Selbstfindungstrip befand.
 

»Jepp, der scheint okay zu sein ...«, kam Uruha nun auf sein ursprüngliches Anliegen zurück, umklammerte sein Buch fest und tigerte zur Kasse, wo ihn der Blick der Kassiererin mit der Weihnachtsmütze auf dem Kopf überhaupt nicht tangierte. Ihre freundlichen Worte zur Weihnachtszeit entließen sie wieder hinaus in die Kälte.
 

Immer noch wunderte sich Aoi über seinen Freund, der ohne rot zu werden soeben einen vermutlich romantisch-kitschigen Schwulenroman gekauft hatte. Der Kouyou, den er vor etwas mehr als zehn Jahren kennen gelernt hatte, hätte nicht mal solche Worte wie Hähnchenbrüste oder Schweiß oder Haut in den Mund genommen, ohne rot zu werden. Anscheinend war auch er erwachsen geworden. Noch ein guter Grund, auch endlich mit diesen ängstlichen Klischeevorstellungen abzuschließen. »Kouyou?«
 

Angesprochener drehte seinen Kopf zu ihm um und lächelte freundlich, wenn auch nicht ganz so ausgelassen wie zuvor auf dem Karussell oder am Gebäckstand. »Hm? Was ist denn?«
 

Ohne eines weiteren Wortes griff er nach Uruhas Hand und umschloss sie mit seinen langen Fingern. Gerade wünschte er sich, diese Haut unter seinen Fingern zu spüren. Vielleicht konnte er seine Ansicht doch ein bisschen nachvollziehen ... »Nichts«, sagte er leise und versteckte seine lächelnden Lippen hinter seinem breiten Loop-Schal.
 

Uruha wurde es leichter ums Herz, er lächelte ehrlich und sah sich um. »Sag, suchst du nicht noch ein Stofftier?«
 

»Hm?« Wie aus einem Gedanken herausgerissen sah Aoi ihn verwirrt an. »Haben wir gerade von Stofftieren geredet?«
 

»Nein ... aber ich muss nachher noch in das Spielzeugland und ein paar Kleinigkeiten für die Jungs kaufen.«
 

Kouyous Neffen. »Und was soll ich mit Stofftieren?«
 

Uruha verdrehte die Augen und schmunzelte. »Hast du schon wieder vergessen, dass du dieses Jahr Onkel geworden bist? Deine Nichte Youko wäre darüber aber nicht erfreut ...«
 

»Oh Gott! Sag das ja meinem Bruder nicht! Der bringt mich um!« Diese Sache mit seiner Nichte hatte ihn jetzt erst recht aus der Bahn geworfen. »Was schenkt man so nem Würmchen?«
 

»Nix Verschluckbares.« Der Größere zuckte die Schultern. »Ansonsten weiß ich auch nur, was man Jungs schenkt – was den Rest angeht, darfst du mich nicht fragen.«
 

»Jungs sind ja anscheinend zur Zeit dein Spezialgebiet«, murmelte Aoi leicht angesäuert und suchte im Internet auf seinem Handy mit der linken Hand nach einem Stichwort für kleine Mädchen. Die andere Hand hielt Uruhas noch immer fest umschlossen.
 

Ein Stofftier war schon mal eine gute Idee. Doch dann schnappte Uruha ihm das Display vor der Nase weg.

»So etwas sucht man nicht im Internet, so was findet man ... ganz zufällig. Komm, lass uns doch zu diesem großen Spielwarenkaufhaus gehen, das ist gar nicht weit von hier.«
 

Also tingelten die beiden Männer los. Dann stoppte Aoi ganz abrupt bei einem Pachinko-Anbieter. An der Seite hing ein kleiner, weißer Stoff-Tiger.
 

»Den will ich!«, stellte Aoi mit glänzenden Augen fest.
 

»Ich sag doch so was findet man zufällig ...«, flüsterte Uruha, was Aoi aber schon gar nicht mehr hörte.
 

»Ein Tora, ein Tora!«, hörte er den Anderen nur murmeln und fühlte sich irgendwie an seinen Gitarristenkollegen aus alten Zeiten erinnert ... Der dürfte wohl jetzt sonst wo sitzen und ziemlich heftig niesen. Es war einer dieser Automaten, bei denen man Münzen einwirft und diese eingeworfene Münze sollte dann andere hinunterschupsen.
 

Uruha schaute auf das kleine Schildchen ... 400 Punkte wollten sie für den »Tora« haben ... Na das konnte dauern.
 

Aber es ließ nicht lange auf sich warten, da klapperten fröhlich die Metallstücke in der Auffangbox. Aoi wusste offensichtlich, was er tat.
 

»Du machst das öfter?«, wollte der Jüngere nun wissen und war fasziniert von dem Anblick fallender Münzen. Eine kleine Plakette mit der Aufschrift ‚300’ rückte immer näher an die Kante heran. Vielleicht dauerte es doch nicht so lange wie erwartet ...
 

»Mein Opa war ganz wild nach Glücksspielen«, erklärte Aoi kleinlaut. »Man konnte ihn fast als spielsüchtig bezeichnen, aber er hat das zuletzt immer nur noch für mich gemacht. Sich einen Stuhl geschnappt, an einen dieser Automaten gesetzt und Münzen eingeworfen.« Der ältere Mann lachte leise. »Ich glaube, das größte, was er mir mal gewonnen hat, war ein großer Löwe. Aber Youko ist eher der Tiger-Typ – und noch dazu reicht die Größe für so ein kleines Mädchen.«
 

Uruha blinzelte und begann erneut zu lächeln, als die kleine Plakette nur noch drei Zentimeter von der Kante entfernt war. Nach weiteren zehn Minuten ... sahnte Aoi tatsächlich ab. Er konnte es kaum glauben und starrte dem älteren Gitarristen, der die Plakette und einen ganzen Eimer voll Münzen in Händen trug, schockiert hinterher. Kopfschüttelnd ging er hinüber zu anderen Spielen. Geschicklichkeitsspiele, Greifer ... und ein Original-Pachinko: Der einarmige Bandit, an dem er selbst als Kind gerne gespielt hatte.
 

»Hawr«, machte es plötzlich neben ihm und Uruha erschrak. Eine kleine Kunstpelzpfote lag auf seiner Schulter, weiß mit dunklen Streifen darauf. »Hier, bitte schön als Dankeschön!«
 

»Was? Aber das war doch für Youko, oder nicht?«, plapperte er perplex.
 

»Schon, aber du hast mir anscheinend Glück gebracht ...« Uruhas Augen wurden noch größer, als Aoi aus seinem Rucksack einen zweiten kleinen Tiger mit blauen Augen zauberte. »Die Münzen haben für zwei gereicht!«
 

»Danke dir.« Strahlend nahm der Blonde das Schmusetier in den Arm, als sei es ein echtes Tigerbaby. »Ich weiß auch schon, wo er hin kommt.«
 

»Na? Wohin willst du ihn denn setzen?« Aoi winkte dem Budenbesitzer zu, der nur mäßig begeistert war, denn er hatte nicht viel Geld bei ihm gelassen. »Auf die Couch? Auf die Rückenlehne?«
 

Angesprochener schüttelte den Kopf, grinste etwas schelmisch dabei. »Das erfährst du nur, wenn du Heiligabend zu mir kommst.«
 

»Bitte was? A-aber ... wir sind ... wir sind doch nicht ...!« Der Dunkelhaarige fühlte sich an das erinnert, woran er nur eine halbe Stunde zuvor gedacht hatte. Uruhas Haut unter seinen Fingern ... hinzu kamen die Fantasie seiner offen stehenden Lippen, rot geküsst und feucht. Wie er wohl küsste?
 

Uruha schnalzte mit der Zunge und setzte einen sehr verführerischsten Blicke auf. »Es sagt doch niemand, dass wir ein Paar sind ... aber so sind wir Beide Weihnachten nicht alleine!« Die Verführung wich der Liebenswürdigkeit, die Uruha so gut wie alle Menschen in seiner Umgebung spüren ließ.
 

Aoi musste sich innerlich schütteln. Wo kamen diese Bilder in seinem Kopf auf einmal her? An so etwas hatte er doch früher nicht gedacht ...
 

»Ich ... ich überlege es mir ... Hai?«, stammelte er verlegen. Dieser Gedanke verließ ihn die nächsten dreißig Minuten bei jedem Schritt nicht. Da hatte er mal wieder einen ganz normalen vorweihnachtlichen Nachmittag mit einem seiner besten Kumpel verbracht und dann so was. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr sickerte eine Erkenntnis tief in ihn ein, die ihm das Herz schwer machte.
 

Wie einsam musste Uruha sich die letzten Wochen gefühlt haben, die letzten Monate ...? Seine Freundin hatte ihn wohl so eingespannt, dass er für den Leadgitarristen überhaupt keine Zeit mehr gehabt hatte. Er hatte für niemanden Zeit gehabt ...
 

Uruha hatte sich weiterentwickelt ... umorientiert, war neugierig und reifer geworden. Und er, Aoi, hatte nichts davon mitbekommen. Absolut nichts. Das musste er alles irgendwie nachholen. Aber er haderte noch mit sich, ob er auf Uruhas Einladung wirklich positiv reagieren würde ... Die Freundinnen in seinem Leben kamen und gingen ... aber Uruha war immer geblieben. War immer da gewesen und hatte die ganze Zeit auf ihn gewartet.
 

Eh die Beiden sich versahen, saßen sie sich in einem Riesenrad gegenüber. Das war nun der Gipfel der Merkwürdigkeit für Aoi. Denn das Privileg sich mit ihm auf so einem Riesenkarussell hoch über den Dächern der Megametropole Tokio zu befinden, das hatte sonst immer den Frauen an seiner Seite gehört. Aber es fühlte sich nicht schlecht an ... Neben Uruha ... Besser, ihm gegenüber. Aoi sah, wie die Lichter der Stadt in seinen Augen funkelten. Sie wirkten viel größer und kindlicher dadurch. Aoi empfand das, was er da sah, als faszinierend. In Uruha steckte so viel Kind und Mann gleichzeitig, dass man ihn einfach mögen musste. Keiner konnte sich dem widersetzen. Und innerlich beschloss er einfach JA zu sagen und den Heiligen Abend mit ihm verbringen zu wollen. Aber sein Mund schwieg sich dazu vorerst aus ...
 

~~~~~
 

»Jingle Bells, Jingle Bells ...«, sang Uruha leise, während im Radio nun endlich am Heiligen Abend die Leute versuchten, Tokio auf Weihnachten einzustimmen. Bald war es soweit. Es war zwar erst kurz nach Mittag, aber Aoi würde sicherlich bald bei ihm auftauchen.
 

»Schnappt Euch Eure Liebsten und kuschelt unter dem Mistelzweig. Ein alter Brauch aus England besagt, dass die Liebe ewig hält, wenn man eine der Beeren pflückt und dann seinen Partner oder seine Partnerin küsst. Aber der Zauber verfliegt, wenn man keine Beere in Händen hält. Passt also auf! In diesem Sinne ...« Ein sehnsuchtsvolles Liebeslied mit unterlegten Glockenklang wurde eingespielt.
 

»Mistel?« Uruha sah sich um und entdeckte über seinem Türsturz einen jener Zweige, die man anscheinend ausnutzte, um Küsse zu stehlen. Von diesem Brauch hatte er nichts gewusst, der grüne Zweig mit den roten Beeren hatte ihn angelacht und wollte mitgenommen werden. Jetzt hing er da, wo er gut war. Dort konnte man bequem stehen. Ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Hatte er Aoi unter dem Vorsatz eingeladen, ihn verführen zu wollen? Er war bei ihrem Ausflug so erleichtert gewesen, dass sein alter Gitarrenpartner ihm nicht an die Gurgel gesprungen war, als er sein kleines Geheimnis aufgedeckt hatte. Und sein Herz hatte einen Sprung gemacht, während Aoi ihm zusagte zu kommen.
 

Heute stand er in seiner Wohnung, sein Herz klopfte noch in einem guten Takt, und sah sich um. Die Girlande über seinem Fenster war geschmückt mit bunten, glänzenden Kugeln, mit roten Schleifen und Lametta. Der Geruch von Tanne und Duftkerze lag in der Luft. Die kleine Kerze stand auf dem Tisch auf feuerfestem Untergrund, umgeben von kleinen Süßigkeiten wie Plätzchen und Dominosteinen, Spekulatius und Marzipanbrot. Der Weichnachtsbaum war groß genug für sein Wohnzimmer, mit Ketten und Kugeln, Lichterkette und Zuckerstange waren auch zu finden. Ein kleines Geschenk lag darunter. Nur der weiße Tiger war nicht zu finden ...
 

Dreizehn Uhr. Aoi würde wahrscheinlich um fünfzehn Uhr hier sein. Also setzte Uruha sich auf seine Couch, stellte das Radio per Fernbedienung ab, lehnte sich zurück und schaltete den Fernseher an.
 

Von wegen guter Takt. Gerade beschleunigte sein Herz sehr, die Aufregung schnürte ihm die Kehle zu.
 

Zwei Stunden konnte er wohl durchhalten, oder?
 

~~~~~
 

Fröhliches Pfeifen schallte durch die nun bilderlose Wohnung. Aoi war es nun leichter ums Herz. Die Bilder von Vampirkostümbällen, von ihm und seiner Ex-Freundin, die er die letzten Wochen tatsächlich nur noch ‚Alice’ genannt hatte. Er wollte ihr den Gefallen tun. Er wollte es wirklich, wollte ihr Freude bereiten. Er hatte durchgehalten. Von ‚Alice’, die sich für ihn in Unkosten gestürzt hatte, weil sie ihm, seiner Wohnung den Stempel ihres nackten Körpers aufdrücken wollte. Ein Erotik-Fotoshoot. Ihm hatte die Idee gefallen. Auch ihr nackter Rücken, ihre langen Beine, ihr zarter Busen in ihren schönen Händen ... all das auf Fotos eingefangen und an seiner Wand festgehalten. Aber nun wollte er das nicht mehr sehen.
 

Mit frisch lackierten Nägeln zupfte Aoi seine Frisur zurecht und pfiff weiter ‚Jingle Bells’. Das Geschenk für Uruha lag bereits in seiner Umhängetasche, die er ganz aoi-like bereits auf der Kommode im Flur hingelegt hatte, um sie nicht zu vergessen. Ihn umgab der Geruch seines eigenen Parfums. Und wie er sich so im Spiegel betrachtete, bemerkte er plötzlich, dass er Uruha gefallen wollte. Wie merkwürdig ... Er schüttelte den Kopf, verließ das Bad, ging vorbei an seinem Schlafzimmer, wo der Türspalt, den Blick auf sein Bett freigab.
 

Wieder war sie da.
 

‚Jasper’, hatte sie beim letzten Mal geflüstert und ihm war das Herz gebrochen. Er war wirklich verständnisvoll. Aber das ging zu weit. Der Name eines anderen Mannes auf ihren Lippen – egal ob Romanfigur oder nicht – während er bei ihr war, in seinem Bett – das konnte er nicht ertragen ... Aber er konnte nicht wegen einer Ex-Geliebten wieder mal umziehen.
 

Hier fühlte er sich wohl. Hier war der Ort, an dem Uruha ihm den Floh eines eigenen Tonstudios ins Ohr gesetzt hatte, weil dieser kleine Raum, der ihm bestenfalls als Abstellkammer gefallen hätte, perfekt dafür war. Ja, er hatte Uruha zur Besichtigung mitgenommen, weil Kai ihm dazu geraten hatte. Diese Wohnung, in der er sich so wohl fühlte, die jetzt absolut seinen Wünschen entsprach – samt Tonstudio und Badewanne – hatte Uruha ausgesucht. Er konnte sie nicht einfach verlassen und Uruhas Sorgfalt mit Füßen treten.
 

Uruha, dieser Name schlich schon seit Tagen in seinem Kopf herum. Dieser Nachmittag hatte scheinbar doch mehr verändert, als er es sich in seinen kühnsten Träumen erspinnen hätte können. Er war verwirrt. Besonders, wenn sich diese Gedanken verselbstständigten und sich in handfeste Tagträumereien verwandelten. Eine Weile stand Aoi noch vor dem Spiegel, schaute sich nachdenklich in die Augen.
 

War er eigentlich noch der gleiche Mann wie vor ein paar Tagen?
 

Jeder Andere hätte diese Frage in diesem Moment als total lächerlich bezeichnet, aber er dachte nun ernsthaft darüber nach. Was ihn aber noch ein wenig beunruhigte, war die Tatsache, dass es sich bei Uruha um seinen besten Freund handelte. Oder hatte er das nur immer angenommen, weil der Andere ihm heimlich am meisten bedeutete? Er hatte mit Uruha nie über Frauen geredet, wie mit Reita oder Kai. Indirekt hatte er wohl immer im Hinterkopf, dass er den Anderen damit verletzen könnte. Aber er hatte dabei nicht an Uruhas Gefühle an sich gedacht, sondern daran, dass der Leadgitarrist sich immer wahnsinnig schnell verliebte und dann von den Frauen meist genauso schnell unheimlich enttäuscht worden war. Das ist wohl einer der Hauptgründe, warum er nun auch zu neuen Ufern aufbrach. Im übertragendsten Sinne des Wortes ...
 

Aoi schreckte aus seinen Gedanken. Es schellte an der Tür. Uruha hatte doch nicht gesagt, dass er ihn abholen wollte, oder? Er tänzelte, pfeifend zur Tür, öffnete und sah in Alice’ goldene Kontaktlinsen ... Anstelle sich nun groß zu wundern, dachte Aoi schlicht: Die hat doch nen Sockenschuss!! Aber er wusste erst mal nicht, was er sagen sollte.
 

»Hi ... Yuu ...«
 

»Hi ... Was willst du hier ...?«, fragte er relativ neutral.
 

Doch er bekam keine Antwort. Stattdessen fiel die junge Frau ihm einfach in die Arme und fing an, ganz erbärmlich zu schluchzen. Was war das denn jetzt für eine Nummer? »Er hat ... mich verlassen ... Koji hat mich verlassen, ganz einfach so ...«
 

Koji, warum nicht gleich Jasper? Gerade lag Aoi ein ganz fieser Satz auf den Lippen, doch er wagte es nicht, ihn auszusprechen, denn er hätte puren Spott für seine Ex bedeutet. Aber er wusste nun schon, was gleich kommen musste:
 

»Ich ... Yuu ... kannst du mir bitte noch einmal verzeihen?«
 

Aoi seufzte tief ... Er sagte erst mal nichts dazu.
 

»Heute ist ... Weihnachten ... du kannst mich doch nicht alleine feiern lassen ...«, stammelte sie kleinlaut.
 

Das traf Aoi sehr, denn er wusste genau, wie sie sich fühlte ... Mitleid schlich sich in sein Herz. Sie war nun an der Stelle, an der er vor ein paar Tagen gestanden hatte ... Er wollte nicht so herzlos behandeln, wie er behandelt worden war, er wollte das nicht ... Leicht in seinen Gefühlen versunken, legte er fest die Arme um sie. Er spürte ihre Wärme ...
 

Wärme war alles, was er heute Abend wollte. Wärme und Ruhe und Zweisamkeit. Und er spürte deutlich, dass es ihr nicht anders ging. Während er sie einfach nur schweigend festhielt, ging er noch einmal tief in sich hinein.
 

All die neuen, fremden Gedanken, die ihm in den letzten Tagen die Sicht vernebelt hatten, waren verschwunden ... All dieses absurde Zeugs, von dem er geträumt hatte, war wie weggeblasen. Er wünschte es einfach hinfort. Und sie verschwanden Stück für Stück. Mit jeder Träne, die sie vergoss, mit jedem »Bitte«, das so verzweifelt über ihre Lippen sprang. Sie zitterte.
 

Er schaute wieder in sich hinein. Er hatte doch immer noch Gefühle für sie...
 

Dann schaute er sie wieder an. In die verheulten Augen. Er bemerkte, wie ihr Blick ihm immer mehr auswich. Dieser Taxierung hielt sie nicht lange Stand.
 

»Weißt du ... Du kannst gerne wieder kommen, wenn du den Unterschied zwischen Wahrheit und Fiktion verstanden hast, weißt, wer du bist und nicht mehr versuchst, eine Andere zu sein ...« Dann küsste Aoi sie sanft,

»Aber erwarte bis dahin nicht ... dass ich auf dich warte ...«
 

Einen Moment nur schaute sie ihn ungläubig an. Dann verwandelte sich ihr Blick. Die traurige Miene war hinfort und wich nun blankem Entsetzen, während sich der Schatten der Tür mehr und mehr über ihr zartes, von zerflossener schminke entstelltes Vampirgesicht legte, bis sie ganz dahinter verschwand.
 

Ja, Aoi hatte in sich hineingehört. Er hatte alle Gedanken an Uruha hinweg gewünscht und geschaut, was dann noch für sie übrig geblieben war. Die Antwort war nicht schwer zu erkennen und es hatte auch nicht lange gedauert, bis er bemerkt hatte: Da war nichts. Gar nichts.
 

All die Bilder, die er von ihr in seiner Wohnung hatte, waren verschwunden. Und mit ihnen auch die Gefühle für sie ... Eines nach dem anderen ...
 

Er schaute nach rechts. Nur ein Bild war immer geblieben. Auf seiner Kommode. Es stand dort schon seit fast zehn Jahren ... es war das Foto von ihm und ... Uruha.
 

Aoi lächelte stumm, als der Leadgitarrist wieder in seine Gedanken vordrang. Und sein Herz, das bis eben monoton vor sich hin gearbeitet hatte, machte sich nun impulsiver und lauter bemerkbar als vorher.
 

Das hatte sie nie heraufbeschwören können. Dieses intensive Pochen spürte er zum ersten Mal ...
 

~~~~~
 

Uruha starrte wieder auf die Uhr ... Wahnsinn ... Ganze zwei Minuten waren nach dem letzten Kontrollblick vergangen. Er verdrehte über sich selbst die Augen. Jetzt war es schon vierzehn Uhr sieben. Noch eine gute Stunde. Ihm war diese Situation unheimlich. Und sie wurde immer unheimlicher, je länger er auf Aoi wartete.
 

Ist dieser Gedanken eines schönen gemeinsamen Abends abwegig, wenn man diesen einen Menschen, mit dem man sich trifft, eigentlich viel mehr ... liebt als man sollte? Er blickte neben die Uhr auf das Foto auf seiner Anbauwand. Dieses Bild von Aoi und ihm. Damals waren sie noch jung gewesen. Damals wäre es einfacher gewesen, sich einander anders zu nähern. Auf eine neue Weise. Damals waren sie noch nicht so festgefahren gewesen ... vielleicht hätte es schon etwas geändert, wenn er ihn damals überraschend geküsst und verführt –
 

Es klingelte. Er war zu früh! Wieso war er so früh hier? Uruha sprang auf, drehte sich ein Mal um sich selbst, um den Raum zu überprüfen, ob alles schön war, rannte zur Tür, drückte den Summer und warf einen letzten Blick in den Spiegel im Flur. Wie unheimlich diese Situation doch war ... wie unheimlich seine Augen glänzten, als tanzten Tausende von Sternen darin ...
 

Nur Sekunden später sah er ein Augenpaar, das seinem sehr ähnelte, obwohl es ein bisschen dunkler war. Doch selbst im eher sanften Schein der Deckenleuchte, funkelten im Schwarz von Aois Augen ebenso viele Sterne wie in seinen. »Hey, Kouyou.«
 

»Hey ...« Sie umarmten einander, es war dieses jahrelange Ritual. Nicht zu lang, nicht zu fest, eher wie ein Händeschütteln, nur dass ... nur dass es heute länger dauerte ... dass sie sich näher waren. Uruha spürte Aois Atemzüge im Nacken und unterdrückte ein Seufzen. Aois Wange schmiegte sich an seine, bis er Lippen auf seinem Wangenknochen spürte und ein leises Schmatzen hörte.
 

»Danke, dass du mich eingeladen hast. Es tut gut, zu wissen, wo man hingehört.« Aois Lächeln war zum Dahinschmelzen.
 

Und ihm wurden die Knie weich, wenn er über dessen Worte nachdachte. Noch während er seinem Freund die Jacke abnahm, versuchte er, seinen Herzschlag zu beruhigen. Dann fiel sein Blick auf jene kleine Reisetasche, die Aoi immer zu Kurztrips mitnahm. »Willst du nach dem Essen noch wegfahren?«
 

»Hm?« Der Ältere folgte der Richtung, in die Uruha deutete. »Nein, du Dummerchen.« Er lachte leise und kehlig. Etwas verschmitzt und ... jugendlich. »Ich schlafe mit dir.«
 

»Was?!« Plötzlich musste er sich an der Kommode festhalten.
 

»Was denn? Ich schlafe mit dir in einem Bett, oder nicht?« Der Schwarzhaarige lächelte sanft und tätschelte Uruhas Schulter. »Nicht schwach werden, Kou~«, sang er leise. »So einfach lässt du dich doch nicht verführen, oder?«
 

Da war sein Instinkt erwacht. »Ich lass mich doch von so einer Kleinigkeit nicht aus dem Konzept bringen«, entgegnete er stolz, nahm die Reisetasche und verschwand kurz im Schlafzimmer. »Kaffee oder Tee?«, rief er, als er kurz im Flur erschien und in die Wärme der Küche eintauchte.
 

Aber vielleicht bringen mich solche Kleinigkeiten aus dem Konzept ... Aoi atmete ein Mal tief durch und folgte Uruha in die Küche. Die blondierten Haare waren frisch gewaschen, sein Nacken nackt und frei. Hinter seinem ihm zugewandten Ohr erkannte er diese süße Mulde, von der Aoi wusste, dass der Jüngere dort kitzelig war. »Lieber Tee.«
 

»Heiße Liebe?«
 

Aoi wurde rot, als Uruha ihn unverschämt angrinste. »Ich ... anou ...« Dann fasste er sich wieder und ging auf das Spiel ein. »Nicht so schnell, mein Freund ... Vorerst begnüge ich mit ‚Süßen Küssen’ ...«
 

Diese Werbefutzis schienen manchmal gar nicht zu ahnen, was sie mit ihren skurrilen Namenserfindungen anstellten: Oder wer hätte sonst geahnt, dass Aoi und Uruha hier gerade über Teesorten sprachen?
 

Der Wasserkocher brodelte in Windeseile vor sich hin und bald roch es nach duftendem ... ähm ... Beuteltee. Als Aoi mit seiner dampfenden Tasse in der Hand ins Wohnzimmer kam, blieb ihm fast die Sprache weg ... Er hatte noch nie in seinem Leben, außer vielleicht im Fernsehen, einen festlich geschmückteren Raum gesehen, als diesen. »Wow ... du hast dir ja unglaubliche Mühe gegeben ...«
 

»Gefällt es dir?«
 

»Hai ... ich bin ganz ... überwältigt ...« Und Aoi fiel auf, dass er selber nie so viel Arbeit und Herzblut investiert hatte für eine seiner Ex-Freundinnen alles so schön herzurichten. Sein Herz pochte wie verrückt. Es war seltsam. Die letzten Tage waren seltsam ... Jede Sekunde. Aber auch unheimlich aufregend und neu. Er entdeckte nun nach zehn Jahren, die sie sich nun schon kannten, in beinahe jedem Moment eine neue Seite an Uruha und an sich selber. Offenbar hatte dieser kleine Liebesroman einen Knoten zwischen beiden einfach hinfortgesprengt.
 

Vorher schien dort nur etwas wie eine Ahnung gewesen zu sein und durch diesen kleinen Anstoß waren nun beide vom Regen in die Traufe gerutscht ... Plötzlich schellte Aois Handy ... Wer war das denn jetzt, sicher seine Mutter, oder sein Bruder, seine kleine Nichte, oder einer von der Staff-Crew, vielleicht auch Reita, Ruki oder Kai, die Weihnachtswünsche loswerden wollten?
 

Alice ... Es war eine MMS. Hm. Was wollte sie denn noch? Aoi erwartete schon unterschwellig eine offene Drohung, die Fotografie eines zerfetzten Vogels der auf dem Sitz seines Motorrads hing, ein Volturi-Fluch, oder so was ... Nein, das war zu abwegig, dazu musste die Lektion, die er ihr verpasst hatte, zu hart gewesen sein, zu ernüchternd. Obwohl er sich dass mit dem toten Vogel durchaus hätte vorstellen können ... nach der üblen Abfuhr ...
 

»Hallo, Yuu ... ich glaube, ich habe verstanden, was du mir sagen wolltest. Ich werde Weihnachten bei meinen Eltern verbringen ... Als ich an der Ecke auf mein Taxi gewartet habe, hab ich gesehen, dass du das Haus verlassen hast. Wo auch immer du den heiligen Abend feierst und mit wem: Ich hoffe, du bist dort glücklich. Bitte behalte mich so in Erinnerung, wie auf diesem Foto. Suzu-chan«
 

Und darunter, das Bild einer jungen Frau.

- Ohne Schminke, mit glattgeschneiten Haaren, dunklen, treuen Augen ...
 

So hatte Aoi Suzu kennen gelernt. Er musste lächeln. Dieses war ein Bild, dass er gerne aufbewahren wollte.
 

Aoi musste das alles gleich zweimal lesen ...
 

Diese Adventswochen waren die Wochen der seltsamen Wendungen ...
 

»Ich hoffe auch, dass deine Feiertage und die nächste Zeit glücklich und ruhig werden. Ich wünsche dir zu Weihnachten, dass du zu dir selbst findest und dass das neue Jahr für dich besser anfängt, als das alte aufhört. -Yuu.«
 

Mehr konnte und wollte Aoi in diesem Moment nicht schreiben. Er schob das Sliderhandy zu, atmete tief aus. Was war das nur für ein verrückter Tag?
 

»Deine Schwester?«, fragte Uruha, der gerade mit einer Schale bunter Plätzchen wieder auftauchte.
 

»Meine Ex ...«
 

»Oh ...«, machte der Jüngere entrüstet. In Gedanken malte er sich schon wieder eine vernichtende Niederlage für sein Herz aus. Ihm wurde ganz kalt. Er begann zu zittern und stellte deshalb das Porzellan übervorsichtig auf die Tischdecke mit den glitzernden Sternen.
 

»Sie war vorhin bei mir und wollte, dass ich sie zurücknehme ...«
 

Uruha konnte nur trocken schlucken ... Dann machte er große Augen und starrte den anderen überrascht bis entsetzt an.
 

»Und da bist du noch hier ...? Ich meine ... du könntest Weihnachten mit ihr feinern, so wie du es dir gewünscht hattest ... Und ...«
 

»Ich will aber nicht Weihnachten mit ihr feinern, ich will Weihnachten mit dir feiern ... Es ist aus mit ihr. Und dabei bleibt es auch. Natürlich mag ich sie noch ... Aber ich hab herausgefunden, dass es nicht reicht, um weiter mit ihr zusammen zu sein. Ich habe mich entschieden ...«, lächelte Aoi beruhigend auf den Anderen ein. Mittlerweile war es schon schummerig draußen geworden, so schummerig es in einer Großstadt eben werden konnte ...
 

»Entschieden?«
 

»Hai, ich hab mich entschieden, das Fest der Liebe mit dir zu feiern ... Weißt du ... Das ist mir bewusst geworden, als ich heute Vormittag alle Fotos von Suzu aus meiner Wohnung verbannt habe ... Das habe ich schon so oft gemacht, schon so oft bin ich sogar umgezogen. Und neben den Fotos auf unseren goldenen Platten, gab es nur ein einziges Bild, das ich nie weggestellt habe, ein Einziges nur, das nie von meiner Seite wich, dessen ich nie satt werde und das mich immer lächeln lässt, wenn ich traurig bin ... Die Bilder von meinen Freundinnen kamen und gingen ... wie sie selbst auch ... aber eines blieb immer, auf meiner Kommode und in meinem Herzen ...«
 

»Welches meinst du ...?«
 

Der Rhythmusgitarrist lächelte unglaublich aoihaft und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den Bilderrahmen auf einem der freischwebenden Regale in Uruhas Anbauwand - auf das gleiche Bild, das bei ihm zu Hause stand, ihm über Jahre die Treue hielt und ihm nie über war und werden würde.
 

»In all den Veränderungen in meinem Herzen bist zu die einzige Konstante ... Deshalb bin ich heute hier. Endlich.«
 

Ein Schwall Blut schoss von Uruhas Wangen direkt in seine Ohren. Das war entschieden das schönste Kompliment, das er je bekommen hatte. Er schloss kurz die Augen und stibitzte Aois Handy.
 

»Hey!«
 

»Komm und hols dir!!!« Aoi verstand das Spiel und sprang auf, um den Anderen zu verfolgen. Mit einem Satz hechtete er über die Couch und Uruha ließ sich am Türrahmen von ihm abfangen. Der Dunkelhaarige schnappte sich das kleine Gerät. Und dann mit einem Mal nahmen ihn die rehbraunen Augen des Anderen vollkommen gefangen ... Uruha hatte etwas vor, das wusste er genau. Aber er hatte auch keine Angst davor, den Anderen einfach machen zu lassen.
 

»Hm?«, fragte Aoi noch und dann spürte er auch schon zwei warme Lippen auf seinen. Es war kein romantischer Filmkuss, kein wildes Geknutsche. Einfach ein entschieden gesetzter, aber zarter Kuss. Und in seiner Überraschtheit bekam Aoi gar nicht mit, dass sich Uruhas Arm hob, er mit geschickten Fingern in den Mistelstrauß über den beiden fasste und dort eine kleine, liebesrote Beere pflückte.
 

Einen Moment später löste sich die Berührung ihrer Lippen und Aoi wusste nicht warum. Verwirrt blinzelte er und erkannte Uruhas rosa Wangen als etwas Neues. Denn noch nie hatte er seinen Freund in verliebter Aufregung erröten sehen. »Hast du etwas dagegen?«, fragte Uruha leise.
 

»Nein«, antwortete Aoi und war selbst noch überrascht von seiner unüberlegten, aber so ehrlichen Antwort. »Nein, ich habe nichts dagegen.« Nach einer kleinen Überlegung setzte er nach: »Du weißt doch, dass ich süße Küsse mag.« Vor allem deine ...
 

»Dann ist es ja gut«, murmelte Uruha und tat so, als hätte dieser zauberhafte Moment nicht stattgefunden, denn er wand sich dem Weihnachtsbaum zu. »Ich möchte dir dein Geschenk geben ...«
 

Das Radio dudelte wieder leise vor sich hin. Feine, leichte Musik wie das Fallen von Schneeflocken.
 

»Aber erst packst du deines aus!« Aoi wollte gerade ins Schlafzimmer huschen, wo Uruha seine Tasche hingebracht hatte, doch er wurde zurückgehalten. »Darf ich nicht hinein? Noch nicht?«
 

»Doch ... schon ... aber ich bin etwas nervös, was du darüber denkst, wenn du reingehst.«
 

»Was ich über was denke?«
 

»Geh ruhig«, sagte der Blondierte leise. »Ich bin direkt hinter dir und fang dich auf, falls du umfällst.«
 

Der Rhythmusgitarrist öffnete zaghaft die Tür und erkannte in der Dunkelheit kaum etwas, doch nach wenigen Sekunden machte er seine Tasche auf dem großen Bett aus und ging auf sie zu. Was war denn nun hier drin so Geheimnisvolles ...? Ein kleiner weißer Tiger mit blauen Augen fixierte ihn, als er von seiner Tasche aufsah. Er saß da, direkt neben Uruhas Kopfkissen und sah süß dabei aus. »Hier bist du also gelandet ...« Aus einem Instinkt heraus hob er das Tierchen auf seine Arme und drückte es an sich. Dieser Geruch ... er kannte ihn zu gut. »Warum riecht der Kleine nach mir?«
 

Uruha stand lächelnd in der Tür. »Weil ich besser schlafe, wenn es nach dir riecht. Und er war der beste Träger dafür – schließlich ist er ja auch von dir!«
 

»Oh«, machte Aoi und setzte ihn wieder an seinen Platz. Schnell räumte er das Geschenk aus der Tasche und verstand auf ein Mal Uruhas Nervosität, denn diese Schritte waren ein Eindringen in seine Intimität gewesen. »Habs schon«, sagte er locker und ging zurück ins Wohnzimmer, wo sie Beide auf den Boden glitten. In einer tiefen Verbeugung übergab Aoi seinem Freund das Päckchen.
 

»Danke schön.« Uruha war aufgeregt, was es sein würde, und packte schnell aus. Das, was er nun in Händen hielt, war das Wissen, die Kultur und die Kunst, die sie alle zu ihrem Beruf gebracht hatten. Ein großes Rockkompendium. Uruha strahlte. »Danke dir, das ist wirklich toll! Dann hab ich wieder eine Bettlektüre ...«
 

»Freut mich, wenn es dir gefällt. Aber sag ... Bist du denn mit dem ... Buch schon fertig?«
 

»Welches Buch?«
 

»Na ... Sinnlichste Droge, oder wie es hieß.«
 

Uruha lächelte und war glücklich, dass Aoi sich noch ein bisschen an den Titel erinnerte. »Hai, bin ich.«
 

»Und wie war es?«
 

»Verrate ich nicht«, kicherte der Jüngere und griff unter den Baum, wo das Päckchen unter seiner Berührung nachgab. In einer ebenso perfekten Verbeugung wie zuvor Aoi gab er ihm das Geschenk. »Bitte sehr. Ich hoffe, es gefällt dir.«
 

»Danke.« Aoi war überrascht, dass es so weich war und überlegte, ob Uruha ihm wohl ein Nackenkissen für lange Busfahrten schenkte. Doch während er es auspackte und ihm kleine Rosenperlen an schwarzen Bändern entgegen fielen, erkannte er, dass es ein Tuch war. Ein großes, schwarzes Tuch mit Schnüren und Rosenperlen. Ein Schal. Und ... genau genommen war es der Schal, den er auf dem Weg zum Itsukushima-Schrein vor ein paar Monaten in einem kleinen Laden gesehen hatte. »Du ... du hast ihn gekauft?«
 

»Gefällt er dir nicht?« Uruha ließ die Schulter sinken und biss sich auf die Unterlippe.
 

»Doch, natürlich!« Prompt wusste Aoi, wie er sich bedanken, wie er der Sehnsucht nachgeben konnte. Er rutschte näher an Uruha heran, doch der verstand ihn falsch und nahm ihm den Schal ab. Langsam, zielsicher legte er ihm das Dreieckstuch um, wo ihm schön die Rosenperlen über die Brust und die Schultern fielen. Es war wie eine göttliche Zeremonie ... Voller Ehrfurcht hob er die Hände, umrahmte Uruhas Gesicht und näherte sich ihm. Langsam und zielsicher legte er seinen Mund auf Uruhas, der seufzte und die Augen schloss.
 

Nicht so züchtig wie zuvor, aber vorsichtig und zärtlich, bewegten sie ihre Lippen gegeneinander, bis sie im selben Atemzug einander um den Hals fielen und zur Seite kippten. Uruhas Haare kitzelten ihn im Gesicht, während sie sich küssten und er dessen Gewicht auf seinem Körper spürte. Seine Hände an seinen Schultern, seinen Armen, in seinen Händen. Verschränkt, verknotet und ... glücklich.
 

Uruha schluchzte. »Happy End«, flüsterte er und küsste Aoi wieder, der ihn für einen kleinen Augenblick wegschob. »Das Buch hatte ein Happy End«, erklärte er und küsste seine Wange. Aoi lächelte. Und umarmte den Mann, den er liebte, mit all seiner Zuneigung.
 

Noch konnte er die Worte nicht aussprechen. Noch war es zu neu für ihn, den Mann zu lieben, den er so lange schon kannte. Aber sicherlich wusste Kouyou um seine Gefühle. Und auch er hatte die Worte nicht ausgesprochen, doch das brauchte er auch nicht. Alles in diesem Raum flüsterte es ihm zu ...

Ich liebe dich ...
 

Dieses Jahr war eben alles anders.
 

*****
 

Diese kleine Weihnachtsstory ist für eine aufrichtige und starke Frau, 2010 ebenso schwer und schwerer fiel als uns.
 

Danke, dass du nicht aufgegeben hast, das ermutigt auch uns, nicht den Kopf hängen zu lassen.
 

Wir wünschen dir, liebe Aoifreak, und deiner Familie ein wundervolles Weihnachtsfest und einen guten Start in ein neues, besseres 2011.
 

Dieser Gruß gilt auch unseren Lesern, die uns treu geblieben sind. Merry X-Mas!



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Kommentare zu diesem Kapitel (13)
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Von:  QueenLuna
2019-10-10T19:01:22+00:00 10.10.2019 21:01
Einfach wunderwunderschön.
Ich mag es wie ihr auf die unterschiedlichen Situationen sowohl zwischen Uru und Aoi als auch Suzu eingeht.
Einfach toll beschrieben.
Generell bin ich von eurem Schreibstil wieder total begeistert.
Von:  Len_Kagamine_
2012-11-29T20:17:55+00:00 29.11.2012 21:17
Wunder schöne geschichte *____*
ich liebe deinen schreib still einfach *_*
und wie immer konnte ich es einbandfrei lessen ^^
ich bin laufe der ff dahingeschmolzen sie ist soo süüüß

allein der anfang wo er mir Uruha unterwegst ist war *smile*
und ich hatte zu erst angs das er nicht zu Uruha geht wo seine ex da stand aber ich war so froh das er sie zurück gewiesen hat *__*

»Hallo, Yuu ... ich glaube, ich habe verstanden, was du mir sagen wolltest. Ich werde Weihnachten bei meinen Eltern verbringen ... Als ich an der Ecke auf mein Taxi gewartet habe, hab ich gesehen, dass du das Haus verlassen hast. Wo auch immer du den heiligen Abend feierst und mit wem: Ich hoffe, du bist dort glücklich. Bitte behalte mich so in Erinnerung, wie auf diesem Foto. Suzu-chan«

ich fand es von ihr toll das sie das geschriben hat und das sie akzeptirt hat das es wirklich vorbei ist ^^


»Ich hoffe auch, dass deine Feiertage und die nächste Zeit glücklich und ruhig werden. Ich wünsche dir zu Weihnachten, dass du zu dir selbst findest und dass das neue Jahr für dich besser anfängt, als das alte aufhört. -Yuu.«


und die antwort fand ich auch toll *smile*
ich finde es schon das sie so fridlich auseinader gegangen sind ^^


»Ich will aber nicht Weihnachten mit ihr feinern, ich will Weihnachten mit dir feiern ... Es ist aus mit ihr. Und dabei bleibt es auch. Natürlich mag ich sie noch ... Aber ich hab herausgefunden, dass es nicht reicht, um weiter mit ihr zusammen zu sein. Ich habe mich entschieden ...«
»Entschieden?«
»Hai, ich hab mich entschieden, das Fest der Liebe mit dir zu feiern ... Weißt du ... Das ist mir bewusst geworden, als ich heute Vormittag alle Fotos von Suzu aus meiner Wohnung verbannt habe ... Das habe ich schon so oft gemacht, schon so oft bin ich sogar umgezogen. Und neben den Fotos auf unseren goldenen Platten, gab es nur ein einziges Bild, das ich nie weggestellt habe, ein Einziges nur, das nie von meiner Seite wich, dessen ich nie satt werde und das mich immer lächeln lässt, wenn ich traurig bin ... Die Bilder von meinen Freundinnen kamen und gingen ... wie sie selbst auch ... aber eines blieb immer, auf meiner Kommode und in meinem Herzen ...«
»Welches meinst du ...?«
Der Rhythmusgitarrist lächelte unglaublich aoihaft und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den Bilderrahmen auf einem der freischwebenden Regale in Uruhas Anbauwand - auf das gleiche Bild, das bei ihm zu Hause stand, ihm über Jahre die Treue hielt und ihm nie über war und werden würde.
»In all den Veränderungen in meinem Herzen bist zu die einzige Konstante ... Deshalb bin ich heute hier. Endlich.«


Und wo Uruha ihn dan geküsst hat und den nistlzweig über ihre köpfe gehalten hat und eine frucht geplückt hat bin ich noch mehr dahingeschmolzen *__*


»Weil ich besser schlafe, wenn es nach dir riecht. Und er war der beste Träger dafür – schließlich ist er ja auch von dir!«

Das fand ich soooo süß von Uruha *smile*
und das ende war sooo tol *___* ich wiel auch so ein weinachten *smile*
ich liebe deine ffs und bin froh das ich was neues von dir gefunden habe und ich habe auch mal wieder bei dir rein geschnuppert undgesehen das du noch mehr hast die ich noch nicht gelessen habe *__* was mich freut denn so kann ich heute noch mehr von dir lessen *smile*
so gesehen war es gut das ich algemin ffs erst mal schleifen habe lassen so hat sich bei dir wider was angesammelt ^^
und sorry das ich so viel aus der ff hir ein gehaune aber das ist meine lieblings stelle *smile*
Von:  Alisaera
2011-05-14T00:35:54+00:00 14.05.2011 02:35
Eine wirklich sehr süße Geschichte! Die Gefühle und alles... sehr gut rübergebracht~ :3

Von:  Michou
2010-12-26T10:20:36+00:00 26.12.2010 11:20
Ich habs am Heiligabend gelesen (um halb 2 nachts XD), gestern und grad eben nochmal <///33
Omg, ihr habt die atmosphere soooo gut hingekriegt <3 das warme feeling kamm voll gut rüber. Die zwei waren einfach himmlisch, ich liebe Uruha über all hier drin QAQ
Einfach nur süss und toll und fantastisch, so wie erwartet von euch beiden <3 Grosse liebe!!!!!!!!!!!!
Von: Aoifreak
2010-12-25T20:49:39+00:00 25.12.2010 21:49
*in-Deckung-geh*...hmm???...*sich-umguck*...*hineinschleich*...
*Asche-auf-Haupt-schütt*... Ich, also, ähm*räusper*, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll??!!...
Ano, auf jeden Fall ist es mir sehr unangenehm, dass ich diese Story erst heute gelesen hab*Unschuldsblick-aufsetz*.Aber ich konnte doch nicht ahnen, das dieser One-Shot mir, also wirklich MIR gewidmet ist(es steht da echt o_Ó)...
Vielen, vielen, vielen lieben Dank dafür m_ _m. Ich bin gerührt.*Tränen-aus-Augenwinkel-wisch*...Es ist wie immer eine wunderschöne Geschichte von euch und es kommt Weihnachtsstimmung auf:)Ich find Uruha voll rührig und Aoi ist halt Aoi*lach*. Aber meint ihr nicht, ihr habt zu viele Vampirromane gelesen*auf-Aois-Ex-schiel*??!!Ich liebe wie immer euren Humor und ich konnte der Story mit vielen Lächeln auf den Lippen folgen(teils wegen des Humors und teils weil es einfach nur ganz entzückend war). Leider weiß ich nichts Besseres zu schreiben(ich bin unwürdig), darum höre ich jetzt lieber auf, aber nicht ohne euch einen schönen 2. Weihnachtstag zu wünschen.
Ihr sollt wissen, dass ich euch ganz doll lieb hab*knuddel*...und vielen Dank nochmal
Tina
*wink-und-herausschleich*
Von:  Armaterasu
2010-12-25T20:27:34+00:00 25.12.2010 21:27
ich wünsche euch beiden auch ein wunderschönes, ruhiges und besinnliches weihnachtsfest. ich weiß, dass euer jahr auch nicht gerade einfach war, aber ich hoffe aus tiefstem herzen, dass 2011 etwas leichter für euch wird.

diese kleine story von aoi und uruha ist ziemlich niedlich gestaltet, auch wenn mir persönlich die sache mit den gefühlen etwas zu schnell ging, so ist der aufbau und der inhalt sehr niedlcih, sehr fluffig. gerade weil ihr ein kleines drama und eine gewisse potion humor sehr gut miteinander verbinden könnt, nicht zu vergessen die große portion romantik und liebe. gerade in uruhas wohnung "ich schlafe mit dir" oder die teenamen (wobeo heisse liebe ein echt leckerer tee ist), fand ich sehr amüsant.

ich kann zu dieser story leider nicht mehr allzu viel sagen, weil es einfach nichts mehr zu sagen gibt. sie war sehr gut, niedlich, fluffig, romantisch, eine kleine spur dramatisch und auch mit einer gewissen portion humor.

ich wünsche euch beiden und euren familien ein ruhiges und besinnlcihes weihnachtsfest und einen guten rutsch in das jahr 2011.

Liebe Grüße
amy~
Von:  DragonSoul
2010-12-24T14:59:15+00:00 24.12.2010 15:59
Also ich glaube viel gibt es zu der FF wirklich nicht zu sagen. Im großen und ganzen spricht sie schon für sich <3
Es ist wirkliche eine wunderschöne FF und es hat Spaß gemahct sie zu lesen.
War ein schöner beginn zu dem kommenden Weihnachtsnachmittag ;)
Ich wünsche euch beiden auf jedenfall auch Ein frohes Fest und das ihgr mir nächste Woche gut ins neue Jahr rutsch.
Alles gute und liebe Grüße Sui =)
Von:  eiko
2010-12-23T20:42:00+00:00 23.12.2010 21:42
was für eine süße weihnachtsgeschichte. hab mich auch total gefreut vor weihnachten nochmal was von euch zu lesen *seufz* das gibt nochmal bissl stimmung (mir ist noch gar nicht, wie morgen weihnachten T_T)
was könnte ich nun zu der story sagen? sie war schön flüssig, aoi war traumhaft und uruha total süß! eigentlich möchte ich euch nur für dieses geschenk danken und wünsche auch euch und euren lieben eine schöne weihnachtszeit und einen guten start ins neue jahr!
lg, eiko
Von:  Kysume
2010-12-23T19:54:18+00:00 23.12.2010 20:54
Oh mein Gott... ich sitze gerade vorm PC und weiß gar nicht was ich schreiben soll, es war alles so perfekt und ich war wirklich gerührt, wahrscheinlich zitter ich immer noch ganz leicht (mag übertrieben klingen, aber diese story hat wirklich mein herz berührt).
Es war schön so etwas kurz vor Heiligabend zu lesen! Vor allem war ich begeistert vom Ende, denn heutzutage sagt man einfach zu oft ich liebe dich, sodass es nur noch Worte sind, aber so wie ihr es beschrieben habt klang es wirklich so, als wenn man die Liebe überall spüren konnte und man einfach ganz genau wusste, es heißt ich liebe dich, ohne, dass es ausgesprochen werdne musste!
Die Fic landet auf jedenfall unter meine Favs! und ich hoffe, dass ich es wieder schaffe öfter euren Fics zu folgen, aber die Uni stinkt und nimmt zu viel Zeit in Anspruch! T_T
Von:  Kanoe
2010-12-23T09:18:35+00:00 23.12.2010 10:18
Frohe weihnchten
vielen dank für die geschichte


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