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Wir haben dich zum Fressen gern!

Dieser Halloweenabend verläuft für Bella ganz anders, als sie es erwartet hat.
von

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Wir haben dich zum Fressen gern!


 

Wir haben dich zum Fressen gern!
 

Laufen …
 

Nicht anhalten …
 

Wenn ich anhalte, erwischen sie mich …
 

Das schwache Licht des Vollmonds machte es mir nicht gerade leichter, einen Weg durch den dichten Wald zu finden. Und der Nebel, der lautlos durch sämtliches Gestrüpp waberte, trug seinen Teil dazu bei, mir die Sicht zu nehmen. Ich lief fast blind geradeaus, tastete mich an den Baumstämmen voran und spürte immer wieder, wie mir das Geäst schmerzhafte Kratzer ins Fleisch schnitt. Mein weißes Kleid war überall gerissen.
 

In der Ferne hörte ich ab und an das Heulen der Wölfe, hin und wieder machte sich auch die eine oder andere Eule bemerkbar. Noch grandioser kann es ausgerechnet an diesem Abend gar nicht laufen.
 

Knacks … Das kam jetzt bestimmt schon alle paar Sekunden vor. Mit jedem Schritt, den ich unternahm, trat ich auf irgendeinen Zweig, der dann ein lautes Geräusch von sich gab. So würde ich es vermutlich nie schaffen, ihnen zu entkommen. Aber Herrgott noch mal, ich musste! Ich wollte nicht sterben. Nicht hier, nicht so. Das war doch lächerlich!
 

„Isabella!“, hörte ich die Stimmen hinter mir. „Bleib stehen, das bringt doch nichts!“
 

Ich antwortete nicht. Mit rasselndem Atem trieb ich mich weiter dazu an, nicht langsamer zu werden. Verdammt, so groß konnte dieser Wald doch gar nicht sein! Wie lange war ich jetzt schon unterwegs?
 

„Isabella!“ Sie kommen dichter!
 

Schneller! Ich muss schneller rennen!
 

Meine Beine fühlten sich an wie Pudding. Jedenfalls das, was ich noch spüren konnte. Würde ich aufhören zu laufen, würde ich wie ein Sack zusammenbrechen, so taub waren sie. Heiß von der Anstrengung und kalt von den Temperaturen. Mein Brustkorb brannte wie Feuer und meine Kehle lechzte nach Flüssigkeit.
 

Abrupt blieb ich stehen, als ich vor mir eine Person aus dem Schatten der Bäume treten sah. Ich riss die Augen auf.
 

„Jessica“, krächzte ich und ging bereits wieder ein paar Schritte vorsichtig nach hinten. „Lauf nicht weg“, säuselte sie mit honigsüßer Stimme. „Du weißt, dass wir das tun müssen. Wir haben keine andere Wahl.“
 

Ich hörte ihr nicht zu, alles, worauf ich mich konzentrierte, war mein Fluchtweg. Der sich allerdings in dem Moment in Luft auflöste, als ich rückwärts gegen jemanden stieß. „Isabella“, hauchte er mir mit seinem heißen Atem ins Ohr, während er meine Handgelenke griff und sie schmerzhaft verdrehte. Es jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken, als er mit seiner Nase meinen Hals auf und ab strich und tief einatmete. „Jammerschade. Wenn du dich damals für mich entschieden hättest, wäre dir das hier heute erspart geblieben.“
 

„Mike, bitte“, flehte ich. Mein ganzer Leib zitterte. „Bitte lass mich gehen.“
 

Seufzend senkte er sein Kinn auf meine Schulter. „Das kann ich nicht, das weißt du. Die anderen warten schon. Aber ich verspreche dir, dass wir es so sanft wie möglich machen werden.“
 

„Bitte“, flüsterte ich noch einmal, wenngleich auch ohne Hoffnung. Mike schob mich langsam nach vorne, tiefer in das Dickicht. Jessica folgte uns.
 

Hilfe! Warum hilft mir denn niemand?
 

Schreien war unnötig, hier würde mich keiner hören. Und wenn, würden sie mir nicht helfen. Hier steckten doch alle unter einer Decke.
 

Was war hier bloß los?!
 


 

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Einige Stunden zuvor

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Die Sonne war fast hinterm Horizont, nur noch eine schmale Linie war am Ende des Himmels zu erkennen; die Nacht kehrte langsam ein. Aber heute würde es nicht leiser in den Straßen werden. Je später die Uhr, desto lauter die Geräuschkulisse.
 

Heute war Halloween.
 

Scharen von bunt gekleideten Kindern, groß und klein, eins gruseliger als das andere, liefen von Haus zu Haus, klopften, zitierten ihre Sprüche und hamsterten jede Menge Süßkram. Hier und dort kam es sogar vor, dass die Häuser mit Eiern und anderem Essen beschmissen wurden. Nicht oft, aber immerhin ein oder zweimal. Tja, wer nichts geben wollte, musste eben einstecken.
 

Eigentlich hatte ich nichts gegen diesen Feiertag, wenn ich nicht dazu gezwungen worden wäre, auf eine Party zu gehen. Aber wann hatte ich Alice je etwas abschlagen können? Am Ende hatte sie mich doch ohnehin immer um ihren kleinen, weißen Finger gewickelt. Es war ironisch, dass ich Halloween mit echten Vampiren feierte. Aber wem konnte ich diese Absurdität schon erzählen, außer ebendiesen Vampiren selbst?
 

Momentan war das allerdings meine geringste Sorge. Edward würde mir mit ziemlicher Sicherheit den Kopf abreißen, sobald er herausbekam, dass ich nicht auf ihn gewartet, sondern einfach den Weg zu seinem Haus schon mal zu Fuß angetreten hatte. Ich konnte ja nichts dafür, dass ich schon viel zu zeitig fertig geworden war. Ein Kostüm würde ich von Alice bekommen, Make-up ebenfalls. Mir blieb ja nichts anderes mehr übrig. Ich wollte nicht allein zu Hause sitzen. Das Wetter war angenehm, und trotz der Dämmerung war die Wahrscheinlichkeit, bei diesem Trubel auf der Straße überfallen zu werden, doch eigentlich gleich Null.
 

Ich konnte schon förmlich die quietschenden Reifen hinter mir hören – und Edwards böses Gesicht. Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln.
 

Während ich durch die Straßen von Forks schlenderte, wanderte mein Blick über all die Häuser, unter denen es wirklich kein einziges gab, das keinen Kürbis oder eine kleine Hexe oder sonst was auf der Veranda oder dem Fenstersims zu stehen hatte. Ganz Amerika war dem Gruselfieber verfallen. Sogar Charlie hatte sich die Mühe gemacht, eines dieser orangen Monster auszuhöhlen und eine Fratze hineinzuschneiden, bevor er zu Billy gefahren war.
 

Da fiel mir ein … Feierten die Quileute eigentlich Halloween? Ich sollte Jacob bei Gelegenheit mal fragen.
 

Je dunkler es wurde, desto besser kamen all die bösen Gesichter vor den Häusern zur Geltung. Das Kerzenlicht in den Kürbissen flackerte gespenstisch und eine Horrorgrimasse nach der anderen grinste mich diabolisch an. Irgendwie jagte es einem ja schon einen Schauer über den Rücken, und instinktiv schlang ich die Arme um meinen Torso. Meinen Blick konnte ich dennoch nicht abwenden.
 

Und dann sah ich es.
 

Zuerst war ich mir nicht sicher, ob es nicht doch nur eine optische Täuschung aufgrund des Dämmerlichtes gewesen war. Also konzentrierte ich mich, schmälerte meine Augen, wurde langsamer und trat dann dichter an das Haus heran.
 

Da! Schon wieder!
 

Ich hatte mich nicht verguckt. Unter normalen Umständen hätte ich so was für ausgeschlossen gehalten. Aber ich war mit einem Vampir zusammen. Da konnte alles Mögliche real sein. Und das hier gehörte offenbar dazu.
 

Der Kürbis blinzelte.
 

Und es hatte nichts mit dem Licht und irgendeinem Lufthauch zu tun.
 

Ich sah mich kurz um, weil ich mittlerweile direkt vor der Veranda des fremden Hauses war und vor dieser Abnormität hockte, während ich nach einer Erklärung suchte. Aber jetzt so dicht entdeckte ich plötzlich nichts mehr. Gar nichts. Auch das Blinzeln war verschwunden.
 

Seufzend erhob ich mich wieder und drehte mich um. Doch mehr als ein paar Schritte kam ich nicht.
 

„Aber, aber. Warum denn gleich wieder verschwinden?“, hörte ich eine Stimme hinter mir. Schlagartig drehte ich mich um, erwartete bereits eine Person. Nur war niemand dort. Verwirrt suchte ich mein Umfeld ab.
 

„Wo guckst du denn hin? Hier unten!“
 

Da fiel mein Blick abermals auf den Kürbis, dessen Fratze sich dieses Mal deutlich bewegte. Augen, Mund … Sogar das Kerzenlicht kam mir wilder vor, obwohl wirklich nur ein kleines Lüftchen wehte.
 

„Bleib noch ein bisschen. Isabella“, sprach das … Ding. Die Stimme war tief und kratzig. Ich konnte nicht antworten.
 

Ein sprechender Kürbis. Das glaubte mir doch noch nicht mal Edward. Ich blinzelte ein paar Mal, rieb mir die Augen, überprüfte meine Ohren, sah mich noch mal um. Doch als meine Augen wieder nach vorn gerichtet waren, hatte sich nichts geändert. Der Kürbis sah mich immer noch unverhohlen an. Meine Miene schien ihn zu amüsieren, seine ohnehin schon weit nach oben gerichteten Mundwinkel zuckten. Man könnte meinen, der Besitzer dieses Hauses hätte sich am Joker orientiert.
 

„Hast … du …?“, stotterte ich.
 

„Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“ Er/es/was auch immer kicherte. „Soll ich dir was verraten? Damit könntest du sogar recht haben.“ Das Lachen wurde schriller.
 

Meine Augen weiteten sich und meine Stirn legte sich in Falten. „Wie bitte?“
 

Er schlug seine spitzen … Kürbiszähne aufeinander und grinste noch geheimnisvoller; noch schauriger. „Du wirst schon sehen.“ Wie auf Kommando fingen seine Augen an zu leuchten. Nicht metaphorisch gesehen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes. Das Licht dahinter wurde immer heller, erreichte die ausgeschnittene Nase, den geöffneten Mund und verschluckte anschließend den gesamten Kürbis. Das grelle Licht blendete schmerzhaft in den Augen. Reflexartig schloss ich sie und hob meine Arme zum Schutz, während sich um mich herum alles drehte. Ich verlor meinen Gleichgewichtssinn und spürte regelrecht, wie der Boden unter meinen Füßen verschwand.
 

Und dann fiel ich.
 


 

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Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich wieder zu mir kam. Der Boden unter mir fühlte sich kalt und schmutzig an. Asphalt höchstwahrscheinlich, ich lag auf dem Rücken. Ich konnte die Luft spüren, demnach musste ich noch draußen sein.
 

„Isabella? Bist du wach? Mach die Augen auf!“
 

Als ich meinen Namen hörte, blinzelte ich ein paar Mal und reckte meinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. Erst konnte ich nur Schemen erkennen, doch je weiter ich meine Augen öffnete, desto deutlicher wurde die Person.
 

„Angela?“, brachte ich nur mühsam hervor. Mein Schädel brummte und ich fühlte mich immer noch leicht benommen. Sie lächelte mich an. „Gott sei Dank, dir geht’s gut. Du kannst einem wirklich einen ganz schönen Schrecken einjagen.“
 

„Was ist passiert?“
 

Sie sah sich kurz um. „Also, wie es aussieht, bist du mit voller Wucht gegen die Telefonzelle gerannt.“ Ich folgte ihrem Finger, der auf das schmale Glasgehäuse deutete.
 

Angela schüttelte den Kopf. „Wirklich, Isabella. Du überraschst mich immer wieder. So viel Pech wie du kann man doch gar nicht haben. Wie hast du das wieder angestellt?“
 

Ich antwortete ihr nicht, sondern starrte einfach nur auf die Telefonzelle, wobei ich versuchte, mich an die letzten Ereignisse zu erinnern. Aber nichts von einem Zusammenprall. Nur der sprechende Kürbis kam mir wieder in den Sinn, und das grelle Licht.
 

Mein Kopf schoss in die Richtung, in der ich das Haus mit dem besagten Kürbis vermutete. Das Gebäude war tatsächlich dort. Nur das orange Gemüse fehlte.
 

„Was machst du eigentlich hier?“, fragte ich, als mir wieder einfiel, dass Ang selbst auf eine Halloween-Party gehen wollte.
 

„Ich bin zufällig vorbei gekommen“, grinste sie. „Na los, steh auf. Ich begleite dich zu Edward.“
 

Meine Stirn legte sich in Falten. „Musst du nicht woanders hin? … Ich meine, woher weißt du überhaupt, wo ich hin will?“
 

„Wo solltest du an so einem Abend denn sonst hin, wenn nicht zu ihm?“, lachte sie, griff nach meinen Handgelenken und zog mich auf die Beine.
 

Ich musste zugeben, dass sie damit recht hatte. Bei mir musste man wirklich kein Hellseher sein und Angela kannte mich gut genug. Trotz meiner Versuche, sie von ihrem Vorschlag abzubringen, begleitete sie mich. Ich hatte gar keine andere Wahl, als nachzugeben, so fest, wie sie sich bei mir untergehakt hatte und mich förmlich nach vorn zog. Aber Edward würde eh bald hier auftauchen. Und dann konnte sie sich ihrer eigenen Feierlichkeit widmen.
 

Ich wusste nicht, ob es an ihrem Kostüm lag – eine schwarze Kutte, die bis zum Boden reichte und mit seltsamen roten Ornamenten bestickt war –, aber irgendwie kam sie mir merkwürdig vor. Viel fordernder und direkter. Heute wirkte sie überhaupt nicht wie das schüchterne Mädchen, das sie sonst immer war.
 

„Nettes Kostüm“, kommentierte ich ihr Outfit mit prüfendem Blick. Sie grinste mich nur verschlagen an und ich meinte, ein Blitzen in ihren Augen entdeckt zu haben.
 


 

Wir waren schon eine Weile gegangen, als mir auffiel, dass das nicht der Weg zu den Cullens war. „Ich glaube, wir sind irgendwo falsch abgebogen“, blickte ich mich um. In dieser Gegend war es viel ruhiger und auch die Häuser standen weiter auseinander.
 

„Hm? Denkst du? Also ich bin mir ziemlich sicher, dass das hier der richtige Weg ist.“
 

Ich nickte, als mir in der Ferne die Kirche auffiel, und deutete auf sie. „Siehst du? Da hinten ist doch gleich der Friedhof. Edward wohnt am anderen Ende der Stadt. Wir haben uns total verlaufen.“
 

Schon wieder dieses schrille Lachen. „Irgendwie bist du heute zu Scherzen aufgelegt, was? Na, komm. Beeilen wir uns.“ Damit zog sie mich mit sich, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich kam gar nicht dazu, irgendwie zu protestieren, weil ich damit zu tun hatte, mit ihr Schritt zu halten.
 

Als wir endlich zum Stehen kamen, befanden wir uns vor einer Art Villa direkt am Waldrand. Die Mauern waren mit Efeu bewachsen, die Steine selbst hatten eine dunkelrote Farbe. Bei dem Anblick bekam ich Gänsehaut. „Was wollen wir hier?“
 

Angela schüttelte nur theatralisch den Kopf und wollte gerade den massiven Türklopfer – in Form eines … Vampirs (?) – berühren, als wir lautes Gebell hörten. Kurz darauf bekam das Geräusch auch ein Aussehen.
 

Und mir fiel fast die Kinnlade auf den Boden, als ich erkannte, wer da auf uns zugerannt kam. Jacob?!
 

„Jacob!“, quietschte Ang neben mir freudig. Der rotbraune Werwolf blieb vor ihr stehen, hechelte kurz und wollte dann mit seiner Zunge über ihr Gesicht lecken, doch sie wich ihm aus und setzte eine böse Miene auf. „Nana, du weißt doch, was Em mit dir anstellt, wenn du so was machst.“
 

Jacob setzte sich auf seine Hinterpfoten und winselte … Er winselte! Und Angela! Ang kannte Jacob! Und sie kraulte ihn hinterm Ohr. Wusste sie, dass er eigentlich ein Quileute war, der sich nur in einen Riesenhund verwandeln konnte? Oder dachte sie, dass es eben nur ein großer … Hund war? So, wie sich beide benahmen, konnte ich wohl eher letztere Theorie in Betracht ziehen. Aber warum machte Jake so was?
 

Ich war viel zu geschockt, als dass ich irgendetwas machen konnte, außer auf die beiden vor mir zu starren.
 

„Oh, Angela!“, hörte ich in diesem Augenblick aus der gleichen Richtung jemanden rufen, aus der auch Jacob gekommen war. Es war Emmett, und das erste, was mir auffiel, war, dass er die gleiche Kutte anhatte wie Ang, nur dass die Farben getauscht waren. Roter Stoff, schwarze Ornamente.
 

„Emmett“, freute ich mich dennoch, ihn zu sehen.
 

„Hallo Isabella.“ Ich erwartete bereits seine Bärenumarmung, aber nichts geschah. Er stand einfach nur vor uns, die Hände vor sich gefaltet und ein kleines Lächeln auf den Lippen. Sein Benehmen hatte beinahe etwas Priesterhaftes. „Wieso nennst du mich ‚Isabella‘?“ Das war mir schon bei Ang aufgefallen.
 

Er kniff die Augen zusammen und antwortete mir nicht. Stattdessen wandte er sich mit fragendem Blick an meine Freundin, die nur mit den Schultern zuckte. „Sie ist vorhin gegen eine Telefonzelle gerannt.“
 

Als würde das alles erklären, nickte er nur und seufzte dann kopfschüttelnd. „Na ja, das wird ja bald vorbei sein, nicht wahr?“
 

War das wirklich Emmett? Was ist hier eigentlich los? Und wo ist überhaupt Edward?
 

Angela schmunzelte. „Okay, da ich sie sicher hierher gebracht habe, werde ich wieder gehen.“
 

„Ja, gut“, stimmte Em ihr zu.
 

„Wir sehen uns“, drehte sie sich noch einmal zu mir um, dann machte sie sich auf den Rückweg. Etwas zu spät winkte ich ihr hinterher, sie sah es nicht mehr. Als sie weit genug entfernt war, lehnte ich mich ein Stück zu Emmett herüber.
 

„Also, was ist hier los?“, flüsterte ich ihm zu, als könnte noch jemand anderes zuhören. Sollte ich Vermutungen anstellen, würde ich wahrscheinlich sagen, meine gesamten Freunde – Mensch und Vampir – hatten sich zusammengeschlossen, um mir einen Halloweenstreich zu spielen. Einen ziemlich guten, musste ich zugeben, sie legten sich wirklich ins Zeug.
 

Emmett sah mich mitfühlend an. Mitfühlend! Ich wusste gar nicht, dass er so einen Blick draufhatte! „Edward hat dir doch alles erklärt. Oder hat der Zusammenstoß mit der Telefonzelle dein Erinnerungsvermögen beeinträchtigt? Vielleicht sollte Carlisle-“
 

„Nein, nein, schon gut. Alles okay“, ruderte ich sofort zurück. Sollten sie doch ihren Streich spielen.
 

Mein Schwager in spe in Priesteraufmachung lachte. „Du hast vermutlich Recht. Ich würde mich auch nicht von ihm untersuchen lassen wollen.“
 

Meine Augenbraue zuckte bei seinem Kommentar, ich ließ es aber vorerst auf sich beruhen. Vielmehr sollte ich mich um den Wollknäul neben mir kümmern. „Jake, du kannst dich jetzt wieder zurück verwandeln. Angela ist weg.“ Mir war immer noch nicht klar, wie sie es geschafft hatten, meinen indianischen Freund dazu zu überreden, hierbei mitzumachen. Dass er es überhaupt mit ihnen so lange aushielt.
 

Jacob bellte kurz auf und sah mich dann verspielt an, seine Zunge hing aus seinem Mund. Mehr als das tat er nicht und es war der große Vampir, der antwortete. „Ach, Isabella. Weißt du denn nicht mehr, dass sich Jake nie wieder in einen Menschen verwandeln wird?“
 

„Wie bitte?“
 

Em betrachtete mich einen Moment besorgt. „Weißt du wirklich nicht mehr, dass sich ein Quileute nach der Prägung auf sein Herrchen für immer in einen Werwolf verwandelt?“
 

Meine Augen wurden groß. Und innerlich schmunzelte ich. Werwölfe prägten sich jetzt also auf ihre Herrchen. Okay …
 

„Und wer ist sein Herrchen?“
 

Er grinste. Ha! Da war es wieder! Das alte, schalkhafte Grinsen, das ich von ihm kannte. Wenn auch nur für eine Sekunde. Also konnte er sich doch nicht ganz verstellen. „Na ich!“ Der Hund winselte.
 

Ich nickte langsam, bewunderte Jacob für seine unglaubliche Selbstkontrolle, sich ohne Murren einem Vampir unterzuordnen, und beschloss, das Thema zu wechseln. „Wo sind die anderen? Und wo ist Edward? Er wollte mich doch abholen.“
 

„Hm, Carlisle und Rose sind auf dem Friedhof, Alice und Esme verstecken sich im Haus, Jasper rennt seinen Groupies mit seiner neuen Einweg-Kamera hinterher und Edward … Ich glaube, er bereitet sich auf das Fest vor.“
 

Mit jedem weiteren Wort, das er sagte, wuchsen meine Augen. Wie konnte er so ernst bleiben? Nicht mal eine Zehntelsekunde zuckte einer seiner Mundwinkel. Ich konnte mich selbst ja kaum zurückhalten.
 

In diesem Moment hörte ich Schreie ganz in der Nähe. Gleich darauf sah ich eine kleine Gruppe Mädchen die Straße entlanglaufen, die offenbar verfolgt wurden. Und diese Person war kein geringerer als … Jasper Hale. Und er fotografierte. Oh mein Gott, hatte Emmett das etwa ernst gemeint? Mühsam schluckte ich den Kloß hinunter. „Ähm, ist das nicht gefährlich? Ich meine, Jazz meidet doch sonst die Menschen wegen seiner geringen Selbstkontrolle.“
 

Emmett sah mich überrascht an. „Verwechselst du da nicht jemanden? Jazz ist der Ruhepol schlechthin, seit er das Yin und Yang erfolgreich absolviert hat. Esme ist doch diejenige, die sich nicht an den Blutgeruch gewöhnen kann. Arme Frau …“ Er seufzte verträumt.
 

„Esme?“, wiederholte ich schrill. „Esme würde nie jemandem etwas zuleide tun.“
 

„Das erzähl mal den paar Dutzend Kindern da hinten auf dem Friedhof.“
 

Darauf wusste ich nichts zu sagen. Ich wollte eigentlich auch nicht näher darauf eingehen, vielmehr überzeugte mich das nur, dass das hier wirklich ein ganz fieser Streich der Cullens war – fies und gruselig. Stellte sich bloß die Frage, wer sich das ausgedacht hatte.
 

„Du solltest jetzt lieber ins Haus, damit Alice sich deiner annehmen kann.“ Mit seinem Arm deutete Emmett mir an, die Villa vor uns zu betreten, während er sich gleichzeitig Jacob widmete und ihn regelrecht anherrschte. „Zurück in deine Hütte!“
 

Ich erwartete schon, dass er spätestens jetzt ausrasten würde. Aber nichts. Stattdessen trottete er mit hängendem Kopf hinters Gebäude. Mir klappte der Mund auf. Sie mussten ihn mit irgendwas bestochen haben, sonst würde er sich doch niemals auf so was einlassen!
 


 

Das Innere des Hauses war ziemlich düster dekoriert, Spinnweben, Kerzenleuchter, gedimmtes Licht, dunkle Farben und Kürbisse … Jede Menge Kürbisse. War das Absicht oder hatte einer der Cullens einen Fetisch entwickelt? Alice?
 

„Am besten, du gehst gleich zu meiner Schwester, sie müsste schon alles vorbereitet haben“, erklärte Emmett mir und schob mich zur Treppe auf der linken Seite. „Und da du seit deiner Kollision mit der Telefonzelle unter Gedächtnisverlust zu leiden scheinst, sag‘ ich es dir lieber noch einmal: Meide die Küche!“
 

„Warum?“ Davon mal abgesehen, musste er ständig meinen Zusammenprall erwähnen?
 

Er seufzte und fasste sich an die Stirn. „Esme ist dort drin.“
 

„Und?“
 

„Sie kann dich nicht leiden?“, fragte er, als müsste ich doch wenigstens das wissen. Mich schockte dieses Detail – ob Streich oder nicht - mehr, als ich erwartet hätte. „Wieso das denn?“
 

Emmett antwortete nicht gleich, sondern sah mich nur einfühlsam an, ehe er sich näher zu mir beugte. „Esme hasst Kinder. Und du fällst immer noch unter diese Kategorie. Jetzt ab zu Alice.“
 

Er ließ mir keine Möglichkeit, etwas zu entgegnen, sondern schob mich weiter die Stufen hinauf. Allerdings hatte sich der Rest auch schon erledigt, als ich bemerkte, dass Alice mir bereits entgegenkam. So musste ich mich wenigstens nicht allein in dem dunklen Flur da oben zurechtfinden.
 

Als sie aber vor mir stand, blieb mir meine Begrüßung im Halse stecken. Hilfesuchend wand ich mich an Emmett. „Warum ist ihre Haut grün?“
 

Mein Schwager zuckte mit den Schultern. „ Sie hat zu oft Wicked besucht.“
 

„Das Musical?“, fragte ich ungläubig und fing mir prompt ein Augenrollen seinerseits ein. „Die Hexe am anderen Ende der Stadt.“
 

Ach so, die Hexe am anderen Ende der Stadt. Gott, was hatten sie sich denn noch alles ausgedacht? So verrückt konnte man doch unmöglich sein.
 

Alice hakte sich bei mir ein, zwinkerte Emmett kurz zu und schleifte mich dann mit sich. Hier im Dämmerlicht hatte ich es zuerst nicht richtig erkannt, aber jetzt war ich mir ganz sicher, dass sie ebenfalls eine rote Kutte mit schwarzen Ornamenten trug. Und auch die Mädchengruppe und Jasper vorhin. Er mit roter Kutte, die Menschen mit schwarzer.
 

Ich konnte mir nicht helfen, aber das hatte ganz sicher etwas zu bedeuten. Etwas Wichtiges. Dummerweise ließ mich diese Erkenntnis auch langsam an meiner Theorie zweifeln. Ich konnte mir unmöglich vorstellen, dass Edward und die anderen ganz Forks zu so einem Streich überredet hatten.
 

Ob irgendwas passiert war, von dem ich nichts wusste? Oder war das vielleicht nur ein Halloween-Motto, das sich der Bürgermeister ausgedacht hatte? Und warum, verdammt noch mal, war Edward immer noch nicht da?
 


 

Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich in Alice‘ Zimmer, das … sich ziemlich verändert hatte. Die Gemütlichkeit war verschwunden, alles wirkte schaurig. Gut, das ganze Haus, die ganze Gegend war eine andere. Aber hier benahmen sich alle, als würden sie wirklich in dieser Villa wohnen. Ich fragte mich, wie sie überhaupt auf die Idee gekommen waren, sich ein anderes Haus für diesen Unsinn zu suchen.
 

Alice hatte mich in ein seidenweißes, langes Kleid gesteckt, das schulterfrei war und mein Dekolleté ziemlich gut zur Geltung brachte. Die Haare hatte sie offen gelassen und nur ein paar Locken hineingeformt, die nun weich über meinen Nacken fielen. Auch mein Make-up war dezent und kaum sichtbar gehalten. Meine Glieder taten mir vom langen Sitzen weh und als Alice endlich fertig war und mich entließ, streckte ich Arme und Beine richtig durch, bevor ich mich im Spiegel betrachtete.
 

Und das schien das einzige zu sein, das sich an diesem Abend nicht verändert hatte. Alice hatte immer noch das Talent, aus mir einen anderen, hübscheren Menschen zu machen. So gern ich diesen Anblick aber auch etwas länger genossen hätte, ich musste immer wieder meine Schwester in spe anstarren. Diese grüne Farbe … Ich konnte mich einfach nicht daran gewöhnen.
 

„Wie die Unschuld selbst“, riss sie mich mit ihrer Schwärmerei aus meinen Gedanken, während sie ihre Augen nicht eine Sekunde von mir nahm.
 

„Alice? Warum habe ich eigentlich ein weißes Kleid an, obwohl alle anderen in diesen … Kutten herumlaufen?“
 

Sie lachte, als wäre meine Frage vollkommen lächerlich. „Das ist doch offensichtlich. Du bist was Besonderes. Du bist … unser Mittelpunkt. Um dich dreht sich alles!“
 

Ich war versucht, einen Witz über ihre grüne Hautfarbe in Verbindung mit ihrem Kopf zu reißen, entschied mich dann aber dagegen. Ihre Worte waren auf jeden Fall der reinste Wirrwarr.
 

Sie musste meinen Gesichtsausdruck gesehen haben, denn sofort wurde sie ein bisschen ernster. „Edward hat gesagt, dass du das tragen sollst.“ Dann zwinkerte sie mir zu, packte mich abermals beim Arm und brachte mich wieder in die Eingangshalle.
 

Hier unten war gerade niemand außer uns, und weil Alice mir – abgesehen von der Farbe – noch halbwegs normal erschien, nutzte ich meine Chance. „Alice?“
 

„Hm?“
 

„Was ist hier los? Ich meine, warum benehmen sich alle so merkwürdig? Und diese ganzen Kostüme. Ich weiß, dass Halloween ist, aber … ach, keine Ahnung. Forks kommt mir heute einfach … unheimlich vor!“ Meine Stimme wurde zum Ende hin immer weinerlicher, fast schon ein bisschen verzweifelt.
 

„Also erstens: Heute ist Samhain, nicht Halloween. Und zweitens: Forks ist doch wie immer“, zuckte sie ahnungslos mit den Schultern. „Vielleicht ein bisschen aufgekratzt wegen dem Fest, aber sonst … Wie immer.“
 

Frustriert ließ ich meine Schultern sacken. Okay, selbst meine beste Freundin wollte mir nicht beistehen. Aber immerhin hatte ich einen kleinen Hinweis auf die Kostüme bekommen. Das Fest und die Kleider standen im Zusammenhang. Ob die Cullens wohl eine Feier für ganz Forks veranstalteten, anstatt nur für die Familie? Das war jetzt die einzig logische Erklärung, die ich mir selbst zusammenreimen konnte.
 

„Auf geht’s“, flüsterte mir Alice und nickte Richtung Tür. Und plötzlich fiel mir ein Stein vom Herzen, als ich sah, wer dort stand.
 

Ich rannte auf der Stelle los und warf mich förmlich in Edwards Arme, sog seinen Duft ein und fühlte mich auf der Stelle wohler. „Edward …“, seufzte ich, er schmunzelte. „Bist du soweit?“ Ich nickte, benommen von seiner Anwesenheit. Egal, wohin er mit mir wollte, ich würde ihm folgen.
 

„Die anderen sind auch endlich da“, hörte ich ihn leise sagen. Er war noch der alte, ganz sicher. Er sah normal aus und benahm sich auch noch normal. Gut, bis auf die rote Kutte.
 

Ich drehte meinen Kopf kurz nach hinten, um in die Halle zu sehen. Zu Alice hatten sich jetzt noch Emmett, Rosalie, Carlisle und Jasper gesellt. Alle in dem gleichen roten Outfit. Nur Esme fehlte.
 

Ich beschloss, was immer noch auf mich zukommen würde, ich würde nichts mehr hinterfragen. Edward war jetzt bei mir und spätestens morgen würde alles wieder beim alten sein.
 

Plötzlich löste sich mein Verlobter von mir und schritt auf Rose zu. Ich beobachtete, wie er sich ganz dicht vor sie stellte und … an ihr schnüffelte! Irritiert kniff ich die Augen zusammen. Was sollte denn das?
 

Er stemmte seine Hände in die Hüften, senkte den Kopf und atmete tief. „Okay, Rose. Wir können das auf die leichte Tour machen oder auf die harte. Was ist dir lieber?“ Seine Stimme bebte und seine Schwester war deutlich von ihm eingeschüchtert. Nervös ballte sie ihre Hände zu Fäusten. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“
 

Wow! So hatte ich sie noch nie gesehen! So … unterwürfig. Sogar ich als Mensch konnte erkennen, dass sie ein wenig zitterte. Edward hielt ihr seine offene Hand entgegen, ohne etwas zu sagen. Rosalie überlegte wirklich angestrengt. Bis sie ihm nach einer gefühlten Ewigkeit ein kleines braunes Fläschchen gab.
 

„Carlisle, wie konntest du nur?“, warf er seinem Ziehvater vor. „Ich dachte, du passt auf sie auf, wenn du sie mit zu deinen Leichen nimmst. Kannst du mir mal verraten, wie sie an das Nasenspray gekommen ist?“
 

Der blonde Mediziner sah schuldbewusst gen Boden. Dieser Anblick war so ungewohnt von dem sonst so stolzen Vampir. „Vielleicht hab ich mich für ein paar Sekunden zu sehr in meiner Arbeit verloren, dass ich nicht bemerkt habe, wie sie sich etwas aus dem Schrank nimmt?“, versuchte er zu erklären. Was mich aber mehr verwirrte, war Edwards Wut über … was?
 

„Was ist denn mit dem Nasenspray?“, wollte ich wissen und erntete vier verblüffte Blicke. Nur Emmett und Alice schienen nicht mehr überrascht. Em war auch derjenige, der es mir erklärte. „Rose ist süchtig nach Nasenspray. Eigentlich ist sie auf Entzug, aber wie es aussieht, geht es jetzt wieder von vorn los.“
 

Süchtig nach Nasenspray … Ein Vampir … Ja, hätte ich mir auch denken können. Was sonst?
 

„Wieso erklärst du ihr das? Sie weiß das doch“, mischte Edward sich ein und bevor ich etwas sagen konnte, hatte Emmett schon wie so oft davor seine Erklärung geliefert. „Sie ist heute gegen eine Telefonzelle gerannt und hat dadurch womöglich Amnesie erlitten.“
 

Gott, es hörte sich so grotesk an, wenn der sonst kumpelhafte Bär so geschwollen redete!
 

Edward nahm die Information einfach zur Kenntnis, aber dann weiteten sich seine Augen. „Das heißt, sie weiß auch nichts mehr von dem Ritual?“
 

Was für ein Ritual?
 

Sein Bruder schüttelte den Kopf und alle anderen seufzten. „Ich erkläre es ihr später noch mal“, hörte ich meinen Verlobten mehr zu sich selbst sagen, dann wandte er sich wieder Rose zu. Gerade, als er zum Reden ansetzte, schnupperte er abermals an ihr. „Du hast noch eine Flasche bei dir! Her damit!“
 

Hatte ich eben noch gedacht, er hätte sich nicht verändert, so musste ich jetzt meine Meinung ändern. Edward war viel … aufbrausender, leichter reizbar. Überhaupt nicht beherrscht und ruhig. Und Rose hatte Angst vor ihm. Das wirkte so surreal. Sie wich ein paar Schritte nach hinten und schüttelte ihren Kopf. Edward folgte ihr, setzte einen Fuß vor den anderen und … Ich konnte den Bewegungen nicht folgen, so schnell waren sie plötzlich. Rose war ins Hausinnere geflüchtet und Edward, Emmett und Alice folgten ihr.
 

Nur Carlisle und Jasper blieben mit mir in der Halle. Eine unangenehme Stille legte sich zwischen uns, und mir fiel nur ein einziges Thema zum Reden ein, auch wenn ich die Antwort eigentlich gar nicht wissen wollte. „Also, von was für Leichen hast du vorhin gesprochen?“
 

Carlisles Augen leuchteten, ihm schien das Thema zu gefallen. „Die Leichen vom Friedhof, gleich hinterm Haus. Ich experimentiere doch ein bisschen mit ihnen. Aber das scheinst du wohl auch vergessen zu haben.“
 

Jasper rollte mit den Augen. „ Du hast bis heute nicht herausgefunden, was die toten Toten von den lebenden Toten unterscheidet. Ich hab dir schon tausendmal gesagt, dass du nichts finden wirst. Aber wenn du unbedingt die Ewigkeit damit verschwenden willst, nach nichtexistenten Wahrheiten zu suchen …“ Sein Blick fiel auf Carlisles Kutte und ein Grummeln entwich ihm. „Wie siehst du überhaupt aus?“ In einer fließenden Bewegung strich er über die Kleidung seines Vaters. Was ich erkennen konnte, war jede Menge Dreck, die nun zu Boden bröselte. Irgendwie schlich sich die Vorstellung in meinen Kopf, wie Carlisle draußen auf dem Friedhof stand und eine Leiche nach der anderen ausbuddelte. Ein Schauer lief mir über den Rücken und ich konnte einfach nicht fassen, was für abartige Ideen sie sich für diesen Streich ausgedacht hatten. Langsam wurde es wirklich eklig.
 

Vielleicht träumte ich auch nur. In Wahrheit lag ich immer noch auf dem Asphalt, nachdem ich gegen die Telefonzelle gerannt war.
 

„Aber du bist doch trotzdem noch nebenbei Mediziner, oder?“, startete ich einen Versuch. Aber das ungute Gefühl in meinem Bauch bestätigte sich, als er lachte. „Die Lebenden bringen mir nichts, auch wenn es durchaus interessant ist, den Verlauf des Giftes zu verfolgen. Ich will wissen, warum wir leben, obwohl wir gestorben sind, während andere sterben und wirklich tot sind.“
 

„Aber das liegt doch an dem Vampirgift.“
 

Er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als die Person in die Halle trat, die ich als einziges heute noch nicht gesehen hatte. Esme. Allerdings war sie überhaupt nicht wiederzuerkennen. Der liebende Ausdruck war verschwunden, an seine Stelle war ein Gesicht voller Hass getreten. Jede warmherzige Emotion war wie nie dagewesen. Das einzige Feuer, das in ihr loderte, war die Leidenschaft zur Jagd. Ihre dunklen Augen fixierten mich wie die einer Raubkatze kurz vorm Angriff.
 

Und genau in diesem Moment wurde mir klar, dass das alles echt war. Dass sich hier niemand einen Streich ausgedacht hatte, um mich hineinzulegen. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, was genau hier vorgefallen war, wie sich alle so verändern konnten. Vielleicht war ich in eine Art Paralleluniversum geraten, auch wenn ich mich schwer tat, die Theorie zu glauben. Vampire hin und her, es musste ja nicht alles möglich sein.
 

Nur eines hatte sich ganz sicher nicht verändert, und das waren ihre fast unsichtbaren Bewegungen. Ich wusste, egal wie schnell ich versuchte, die Tür zu erreichen, ich würde niemals auch je in die Nähe des Knaufs kommen.
 

Und trotzdem verbot mir mein Überlebensinstinkt jetzt aufzugeben. Also drehte ich mich um, rannte mit all meiner Kraft zum Ausgang und war plötzlich doch entgegen jeder Vermutung in der Lage, das Haus zu verlassen. Ich steuerte den anliegenden Wald an, in der Hoffnung, das Dickicht der Bäume würde es ihr schwerer machen, mich einzuholen – auch wenn ich im Grunde nicht wirklich daran glaubte. Aber es zu versuchen, war immer noch besser, als mich erwischen zu lassen.
 

Mittlerweile war es stockdunkel, die Wärme hatte sich in Schwüle verwandelt und Nebel gebildet. Mir selbst erschwerte das die Flucht, aber ob es auch Vampire aufhielt, bezweifelte ich.
 

Nachdem ich dann jedoch eine Weile gehetzt durch den Wald geirrt war, blühte doch wieder Hoffnung in mir auf. Vielleicht hatten die anderen sie noch rechtzeitig aufgehalten, anders konnte ich es mir nicht erklären.
 

Ich hatte keine Ahnung, wohin ich rennen sollte, ich wollte einfach nur weg von hier. Das war nicht mein Forks, das waren auch nicht meine Freunde. Und schon gar nicht waren das meine Vampire oder gar mein Verlobter. Gut, bei letzterem gab es immer noch die Chance, dass er der normalste von allen war, dass sich seine Grundzüge nicht so abstrakt verändert hatten. Aber so, wie er hinter Rose her war … Als wäre er das Oberhaupt der Familie und nicht Carlisle.
 

„Isabella …“, seufzte jemand.
 

Schlagartig blieb ich stehen und starrte nach vorn. „Angela …“ Mein Kopf wanderte nach links und rechts, aus Panik, einer der anderen könnte mich schon eingeholt haben. „Lass mich bitte durch, ja? Ich muss ganz schnell hier weg.“
 

Sie schüttelte nur den Kopf. „Tut mir leid, das kann ich nicht zulassen. Du weißt doch, wie wichtig diese Nacht für uns ist – oder vermutlich auch nicht. Aber wenn ich dich jetzt gehen ließe, was für ein Vorbild wäre ich Alice dann?“
 

„Alice?“
 

„Meine Schülerin.“
 

„Ich … versteh nicht …“, gab ich verwirrt zurück.
 

Angela seufzte erneut, fasste sich kurz an die Stirn und strich sich ein paar Strähnen hinters Ohr, dann sah sie mich wieder an. „Du weißt nicht mal mehr, dass ‚Angela‘ nur ein Synonym für ‚Wicked‘ ist?“
 

Das Musical … Nein, was war das hier noch mal? Ah, eine Hexe … Eine Hexe am anderen Ende der Stadt. „Du bist diese … Hexe, von der Emmett geredet hat?“
 

„Na, wenigstens das muss ich dir nicht mehr erklären“, atmete sie erleichtert aus und lächelte mich an. „Und jetzt aufauf, wir müssen uns beeilen. Das Ritual fängt bald an und die meisten haben sich schon versammelt.“
 

Meine kurzweilige Verblüffung wich wieder der Angst und mein Körper spannte sich an. „Ich komm nicht mit, Ang. Lass mich einfach gehen, okay?“
 

Sie kam ein paar Schritte auf mich zu und ich wollte schon zurückweichen, aber aus irgendeinem Grund wollte mir mein Körper nicht richtig gehorchen. Und dann stand sie direkt vor mir, sah mir lächelnd in die Augen und strich über mein Haar. „Isabella … Weißt du denn gar nicht mehr, wie wichtig das hier für uns alle ist? Wenn du heute nicht stirbst, dann-“
 

„Stopp!“, schrie ich und das nächste Wort brachte ich kaum über meine Lippen. „Sterben?“
 

Angelas Lächeln wurde breiter. Auch verständnisvoll, ja. Aber auf jeden Fall breiter. Hatte ich vorher Angst gehabt? Nein. Panik, die war ganz sicher dagewesen, weil das alles hier viel zu verrückt war, um wahr zu sein, ich aber dennoch keine Ahnung gehabt hatte, wie ich da hineingeraten war. Aber Angst … solche, wie ich sie nun verspürte, hatte ich vorhin definitiv noch nicht besessen.
 

Ich sollte sterben.
 

Und ganz Forks schien damit kein Problem zu haben. Oder warum liefen alle mit der gleichen Tracht umher? Sogar Edward! Wollte mein Verlobter wirklich, dass ich umgebracht würde? Tränen stießen mir in die Augen und mein Unterkiefer spannte sich an. Was war das für ein verfluchtes Halloween? Wenn ich träumte, dann wollte ich jetzt aufwachen. Sofort!
 

„Awww“, machte Angela und strich mir über die Wange. „Nicht weinen. Das bringt doch nichts. Ich verspreche dir, du wirst es gar nicht merken. Und Edward wird auch bei dir sein, also keine Angst.“
 

„Und …“, schluchzte ich gebrochen. „Und wie … soll ich sterben?“
 

Angelas gerührte Aufmerksamkeit verwandelte sich in kindliche Vorfreude. „Oh, ganz klassisch auf dem Scheiterhaufen.“
 

„Und das soll schmerzlos sein?“, brach es aus mir heraus.
 

„Natürlich! Das wird schließlich kein normales Feuer. Davon mal abgesehen wirst du wohl kaum noch richtig bei Bewusstsein sein, wenn Edward dich erst mal gebissen hat.“
 

„Was?“, riss ich meine Augen auf. Edward würde … er würde mich beißen? Obwohl er sich all die Jahre dagegen gesträubt hatte. Und nun würde er mich ausgerechnet bei so einer Aktion beißen?
 

„Du lügst doch …“, flüsterte ich und unterdrückte die nächste Tränenattacke. Hinter mir hörte ich das Laub rascheln, irgendjemand hatte zu uns aufgeschlossen. Da war Gerede, aber noch zu weit weg, um es verstehen zu können.
 

„Oh, sieht so aus, als hätten die anderen uns fast erreicht“, sagte Angela und war für ein paar Sekunden abgelenkt. Was immer es auch war, das mich wie festgekettet an der Stelle hat stehen lassen, jetzt fühlte sich mein Körper wieder völlig gelöst an und in Sekundenbruchteilen rammte ich meiner ehemaligen Freundin mit voller Wucht die Faust in den Magen. Sie stöhnte auf und bog sich nach vorn, während ich die Chance nutzte, tiefer in den Wald zu stürmen.
 


 

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Laufen …
 

Nicht anhalten …
 

Wenn ich anhalte, erwischen sie mich …
 

Das schwache Licht des Vollmonds machte es mir nicht gerade leichter, einen Weg durch den dichten Wald zu finden. Und der Nebel, der lautlos durch sämtliches Gestrüpp waberte, trug seinen Teil dazu bei, mir die Sicht zu nehmen. Ich lief fast blind geradeaus, tastete mich an den Baumstämmen voran und spürte immer wieder, wie mir das Geäst schmerzhafte Kratzer ins Fleisch schnitt. Mein weißes Kleid war überall gerissen.
 

In der Ferne hörte ich ab und an das Heulen der Wölfe, hin und wieder machte sich auch die eine oder andere Eule bemerkbar. Noch grandioser kann es ausgerechnet an diesem Abend gar nicht laufen.
 

Knacks … Das kam jetzt bestimmt schon alle paar Sekunden vor. Mit jedem Schritt, den ich unternahm, trat ich auf irgendeinen Zweig, der dann ein lautes Geräusch von sich gab. So würde ich es vermutlich nie schaffen, ihnen zu entkommen. Aber Herrgott noch mal, ich musste! Ich wollte nicht sterben. Nicht hier, nicht so. Das war doch lächerlich!
 

„Isabella!“, hörte ich die Stimmen hinter mir. „Bleib stehen, das bringt doch nichts!“
 

Ich antwortete nicht. Mit rasselndem Atem trieb ich mich weiter dazu an, nicht langsamer zu werden. Verdammt, so groß konnte dieser Wald doch gar nicht sein! Wie lange war ich jetzt schon unterwegs?
 

„Isabella!“ Sie kommen dichter!
 

Schneller! Ich muss schneller rennen!
 

Meine Beine fühlten sich an wie Pudding. Jedenfalls das, was ich noch spüren konnte. Würde ich aufhören zu laufen, würde ich wie ein Sack zusammenbrechen, so taub waren sie. Heiß von der Anstrengung und kalt von den Temperaturen. Mein Brustkorb brannte wie Feuer und meine Kehle lechzte nach Flüssigkeit.
 

Abrupt blieb ich stehen, als ich vor mir eine Person aus dem Schatten der Bäume treten sah. Ich riss die Augen auf.
 

„Jessica“, krächzte ich und ging bereits wieder ein paar Schritte vorsichtig nach hinten. „Lauf nicht weg“, säuselte sie mit honigsüßer Stimme. „Du weißt, dass wir das tun müssen. Wir haben keine andere Wahl.“
 

Ich hörte ihr nicht zu, alles, worauf ich mich konzentrierte, war mein Fluchtweg. Der sich allerdings in dem Moment in Luft auflöste, als ich rückwärts gegen jemanden stieß. „Isabella“, hauchte er mir mit seinem heißen Atem ins Ohr, während er meine Handgelenke griff und sie schmerzhaft verdrehte. Es jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken, als er mit seiner Nase meinen Hals auf und ab strich und tief einatmete. „Jammerschade. Wenn du dich damals für mich entschieden hättest, wäre dir das hier heute erspart geblieben.“
 

„Mike, bitte“, flehte ich. Mein ganzer Leib zitterte. „Bitte lass mich gehen.“
 

Seufzend senkte er sein Kinn auf meine Schulter. „Das kann ich nicht, das weißt du. Die anderen warten schon. Aber ich verspreche dir, dass wir es so sanft wie möglich machen werden.“
 

„Bitte“, flüsterte ich noch einmal, wenngleich auch ohne Hoffnung. Mike schob mich langsam nach vorne, tiefer in das Dickicht. Jessica folgte uns.
 

Hilfe! Warum hilft mir denn niemand?
 

Schreien war unnötig, hier würde mich keiner hören. Und wenn, würden sie mir nicht helfen. Hier steckten doch alle unter einer Decke.
 

Was war hier bloß los?!
 

Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis sich das Gestrüpp und die Bäume vor uns endlich ein wenig lichteten. Immer wieder flehte ich die beiden an, mich doch gehen zu lassen. Sie könnten doch einfach behaupten, mich nicht gefunden zu haben, ich würde sie ganz bestimmt nicht verraten. Doch je weiter wir gingen, desto mehr schrumpften meine Chancen – wenn ich denn überhaupt welche gehabt hatte.
 

„Ach, Isabella, hab dich nicht so. Du wusstest doch von Anfang an, worauf du dich einlässt, wenn du dich für Edward entscheidest“, kommentierte Jessica mein Schluchzen. „Er hat von Anfang an die Karten auf den Tisch gelegt. Du kannst jetzt nicht einfach dein Versprechen zurücknehmen, bloß weil du kalte Füße bekommen hast. Das hier ist für uns alle wichtig und wir sind dir alle so dankbar, dass du dich entschieden hast, dich für das Wohl aller zu opfern.“
 

„Was?“, quieckte ich und wollte stehenbleiben, doch Mike drückte mich erbarmungslos nach vorn. „Das muss die Amnesie sein, von der Wicked geredet hat“, meinte er. Jessica seufzte. „Na, schön, ich erklär’s dir. Als du damals nach Forks gekommen bist und dich ~unsterblich in Edward verliebt hast, hat er dir alles offenbart. Das ganze Geheimnis dieser Stadt. Aber das hat dich nicht gestört, du wolltest mit ihm zusammen sein, auch wenn das bedeutete, nur noch für ein einziges Jahr zu leben. Ich habe dich dafür wirklich bewundert. Dass du gleichzeitig dazu beitragen würdest, den Rest der Stadt vor der ewigen Verdammnis zu bewahren, war für dich nur ein nebensächlicher Bonus.“
 

Schockiert von ihren Worten brachte ich keinen Ton heraus. Stattdessen versuchte ich mir immer wieder einzureden, dass das alles nicht echt war. Dass das vielleicht doch nur ein Scherz war, den sie ein bisschen zu ernst nahmen. Nie im Leben würde eine ganze Stadt ein Mädchen für so etwas Lächerliches wie die Verdammnis opfern! Himmel, in welchem Jahrhundert lebten wir denn?
 

„Na los, weiter“, kommandierte Mike und drehte mein Handgelenk noch ein wenig mehr. Ich stöhnte vor Schmerz auf.
 

„Was macht ihr denn da?“, donnerte plötzlich eine Stimme aus dem Nirgendwo, und ich konnte spüren, wie Mike erstarrte. Im selben Moment fing mein Herz wieder schneller an zu klopfen, als ich die Stimme identifizierte. Und die Wut darin. Ich kannte diesen Zorn, und wenn er das bedeutete, was ich vermutete, dann war doch noch nicht alle Hoffnung verloren.
 

„Edward“, wisperte ich hilfesuchend und blickte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen und aus dessen Schatten nun eine Person in roter Kutte trat. Meine Mundwinkel zuckten leicht in die Höhe, aber ich wagte es nicht, mich gegen Mikes Griff zu wehren.
 

„Lass sie auf der Stelle los“, befahl er in ruhigem Ton und Mike tat, wie ihm geheißen. Erst vorsichtig, dann doch etwas schneller entfernte ich mich von ihm und rannte auf Edward zu. Ich ließ mich in seine ausgebreiteten Arme fallen und krallte meine Finger förmlich in seinen Nacken. Ganz eng umschlang er meinen Körper und drückte mich an sich, während er sanfte Küsse auf meine Schläfe und meine Wange legte.
 

Edward war immer noch derselbe. Er war nicht so wie die anderen, er würde mich beschützen, richtig? Ja, vielleicht war er aufbrausender, aber in so einer Stadt voller Verrückter musste er ja anders handeln. Niemals würde er zulassen, dass mir etwas passierte. Nicht Edward.
 

„Wie konntet ihr sie nur so grob behandeln?“, wies er sie zornig zurecht.
 

Mike und Jessica versuchten, sich herauszureden und stolperten über ihre eigenen Worte. „Sie … sie hat versucht zu entkommen und … sie hat Wicked-“
 

„Ruhe! Ich habe nicht nach irgendwelchen Erklärungen gebeten.“
 

Man konnte glatt meinen, Edward hätte die Kontrolle über ganz Forks …
 

„Verschwindet“, sagte er barsch und ich konnte hören, wie ihre Schritte im Laub leiser wurden. Erst als ich sicher sein konnte, mit Edward allein zu sein, hob ich leicht meinen Kopf. „Gott sei Dank bist du hier. Ich dachte schon, ich würde-“
 

„Schhh“, flüsterte er und streichelte mir über den Kopf. „Ich pass auf dich auf. Mach dir keine Sorgen, mein Schatz.“ Seine melodische Stimme beruhigte mein Herz und langsam senkte ich meinen Kopf wieder auf seine Schulter. Fast schon schlaftrunken lauschte ich seinen Worten, die mir wie ein Zauber meine Angst nahmen und in mir mehr und mehr das Gefühl der Geborgenheit weckten.
 

Ich bekam nur am Rande mit, wie Edward mich auf seine Arme nahm und mir „Ich bring dich von hier weg“ zuraunte, bevor er in Windeseile durch die Bäume schnellte. Die kühle Luft, die durch die Geschwindigkeit jetzt noch eisiger wirkte, ließ mich frösteln. Ich schmiegte mich noch enger an Edward und schloss meine Augen, damit mir nicht schwindelig wurde.
 

Mein Zeitgefühl hatte ich längst verloren, deshalb wusste ich auch nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Edward sein Ziel erreicht hatte und mich absetzte. Meine Arme ließ ich um seinen Nacken, ich wollte mich nicht von ihm trennen und seine sichere Gegenwart verlassen.
 

„Bella, es ist alles gut“, versuchte er mich sanft zu beschwichtigen und nur widerwillig gab ich meinen Klammergriff auf. Meine Augen ließ ich jedoch zu. So fühlte ich nur, wie er meine Handgelenke nahm, sie in die Luft hielt und … gegen Holz drückte.
 

„Edward?“, fragte ich unsicher und hob vorsichtig meine Lider.
 

Aber da war es schon zu spät.
 

Edward stand vor mir und mit einer viel zu schnellen fließenden Bewegung hatte er meine Arme und Beine an einer Art großem X festgebunden. Unter mir ein riesiger Berg aus Holz. Das allein jagte mir schon Todesangst ein, aber noch schlimmer war das Meer an schwarzen Kutten unter mir, überall. Jeder einzelne im inneren Kreis hielt eine Fackel in der Hand. Wir waren auf irgendeiner Lichtung, ich stand direkt in der Mitte auf dem Scheiterhaufen und vor genau diesem waren die Cullens in ihren roten Umhängen versammelt. Eine Person in ihrer Mitte stach jedoch heraus, und wenn ich es richtig erkannte, dann war es Angela. Mittlerweile hatte sie keine schwarze Kutte mehr an, sondern eine grüne. Ihre Hände waren in die Luft gestreckt und aus ihrem Mund kamen irgendwelche unverständlichen Wörter, deren Singsang sich wie ein Mantra anhörte, während die Vampire mich mit nichts als purer Erwartung anstarrten. In ihren Pupillen spiegelte sich das Flackern der Flammen.
 

Mit tränenden Augen blickte ich zurück zu Edward. „Was soll das? Warum tust du das?“
 

„Schhh“, wisperte er wieder und strich mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht. „Hab keine Angst. Ich bin bei dir, Bella.“
 

„Edward“, wimmerte ich. „Bitte … mach mich los.“
 

„Das kann ich nicht.“ Mit flehendem Blick sah er mich an. „Versteh doch. Wenn wir das hier nicht tun, dann … dann verwandeln wir uns in blutrünstige-“
 

„Ahhh!“
 

Wir schauten beide nach unten in die Masse. Einer der Leute hatte seine Fackel fallen gelassen und rollte sich nun verzweifelt auf dem Boden, während irgendetwas ständig um ihn kreiste. Etwas Kleines, Dunkles.
 

„Was … ist das?“, wollte ich wissen, doch Edward antwortete mir nicht. Stattdessen brüllte er nach unten, und kurz fiel mir auf, dass Emmett verschwunden war. „Es hat angefangen, wir müssen uns beeilen! Zündet das Holz an. Sofort!“
 

„Wie bitte? Nein, nicht! Bitte, Edward, halt‘ sie auf, ich will nicht sterben! Lass das nicht zu!“, jammerte ich und wand mich verzweifelt am Kreuz. Doch anstatt mir zu helfen, nahm er mein Gesicht in seine Hände und sah mich unendlich traurig an. „Du hättest besser in deinem Dämmerzustand bleiben sollen. Glaub mir, Bella, mir fällt es auch nicht leicht, jedes Jahr aufs Neue eine verliebte Jungfrau zu opfern, die einem Vampir verfallen ist.“
 

„Ein Jahr? Aber wir sind doch schon länger …“, redete ich dagegen, während ich im Augenwinkel fieberhaft registrierte, wie der innere Kreis seine Fackeln aufs trockene Holz warf. Es dauerte nicht mal eine Minute, bis die Flammen sich hochlodernd um uns züngelten und ich die Hitze in jeder Pore meines Körpers spürte. Der Qualm legte sich auf meine Lungen und zwang mich immer wieder zum Husten. Meine Kehle fühlte sich staubtrocken an. Nicht einmal Worte wollten mehr richtig aus meinem Mund kommen. Also starrte ich Edward einfach nur gequält an, während die Schreie um uns herum zunahmen. Außer ihm war der Rest der Cullens mittlerweile verschwunden, dafür aber mehr von diesen fliegenden Dingern aufgetaucht.
 

„Es tut mir leid, Bella. So unendlich leid“, klagte er und küsste jede einzelne meiner Tränen weg. Dann hielt er kurz inne und schloss für einen Moment seine Augen. Seine Züge spannten sich an, als versuchte er irgendetwas zu unterdrücken. Als er es offenbar überwunden hatte, sah er mir wieder fest in die Augen. „Eines musst du wissen. Von allen habe ich dich wirklich geliebt.“ Wie zur Untermalung seiner Worte legte er seine Lippen auf meine und hielt den Kuss, dessen Kühle ich im Kontrast zur Hitze sprichwörtlich mit offenen Armen empfing, für einen unendlich langen Augenblick. Wie ein Ertrinkender klammerte ich mich daran, aber Edward war zu stark, und so entfernte er sich irgendwann wieder von mir.
 

Noch ein letztes Lächeln, dann löste er sich plötzlich direkt vor meinen Augen in Nichts auf. Seine Kutte fiel zu Boden, in der nächsten Sekunde sauste etwas aus ihr heraus. Zuerst konnte ich es nicht ausmachen, doch dann flatterte es direkt vor meinem Gesicht.
 

Eine Fledermaus.
 

Bronzefarben!
 

Ich war kurz dermaßen verdattert, dass ich sogar die Flammen um mich herum vergaß. Das ist es also? Dafür der ganze Aufstand?
 

Allerdings bekam ich im nächsten Moment schon die sengenden Temperaturen der Flammen zu spüren, als mein Kleid Feuer fing und mich unweigerlich aufschreien ließ. Und als wenn das noch nicht genug gewesen wäre, stürzte sich auch noch die Fledermaus direkt auf meinen Hals und … biss zu.
 

Mein zweiter Schrei hallte durch den gesamten Wald und ich nahm nur noch das gleißende Weiß wahr, das mich zu verschlucken drohte.
 


 

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Mein Kopf schmerzte, in meinem Schädel hämmerte es erbarmungslos gegen meine Stirn. Vor meinen Augen tanzten jede Menge Punkte, so viele, dass ich mit dem Verfolgen gar nicht mehr hinterher kam. Ein regelrechtes pinkes Inferno attackierte meine Sehnerven und verursachte nur noch mehr Kopfweh.
 

„Bella, Bella! Hey, hörst du mich?“
 

Jemand rüttelte an meinen Schultern, fasste mir auf die Stirn und hob mich ein wenig nach oben. Ich versuchte meine Augen zu öffnen, brachte es ein Stück weit zustande und erkannte nur verschwommene Umrisse.
 

„Endlich bist du wach“, hörte ich eine vertraute Stimme. Ich öffnete meine Augen gänzlich und erkannte endlich die Person über mir. „Edward“, nuschelte ich noch benommen. Als ich aber realisierte, in wessen Armen ich da lag, ließ ich mich ruckartig aus seinem losen Griff fallen und rutschte ein Stück weg von ihm. Panisch sah ich mich um, blickte an mir herunter, befühlte meinen Körper.
 

Keine Verbrennungsspuren. Ich atmete erleichtert aus.
 

„Bella?“, fragte Edward verwirrt nach und kam zögerlich auf mich zu.
 

„Nicht!“ Hastig streckte ich meine Handfläche nach vorn und brachte ihn damit zum anhalten. Misstrauisch musterte ich seine Erscheinung und fasste mir automatisch an den Hals. Keine Bissspuren. Und Edward hatte keine Kutte an. Ganz normale Kleidung – die, die er immer trug.
 

„Was … ist passiert? Wo ist das Feuer und die Leute?“, wollte ich wissen, während ich mich wieder umsah. Es war die gleiche Stelle, an der ich beim letzten Mal zu mir gekommen war. Fast ähnelte es einem Déjà-vu, nur dieses Mal hatte Edward mich geweckt und nicht Angela.
 

„Ich habe keine Ahnung, was du meinst, aber wenn ich raten sollte, würde ich sagen, du bist gegen die Telefonzelle gerannt. Wundern würde es mich nicht“, antwortete er mit Schalk in der Stimme. Doch ich riss nur panisch die Augen auf.
 

„Bella, geht’s dir gut? Dein Puls ist ungewöhnlich hoch und dein Kreislauf scheint gerade eine Achterbahn zu durchlaufen.“
 

Ich hörte ihm gar nicht zu, ich wollte nur wissen, wo ich war und ob das, was ich eben erlebt hatte, wahrscheinlich doch nur ein Traum gewesen war, obwohl er so verdammt real gewirkt hatte. „Wo ist Angela?“
 

„Ange-“, stutzte er, „keine Ahnung, vielleicht auf irgendeiner Party, so wie alle anderen Heute auch. Bella, ich mach mir langsam wirklich Sorgen um dich. Was ist denn los?“ Wieder kam er ein paar Schritte auf mich zu und wieder rutschte ich von ihm weg. Als ich zur Seite blickte, erkannte ich das Haus, vor dem ich schon einmal gestanden hatte. Und dieses Mal stand der Kürbis noch auf der Veranda!
 

Langsam erhob ich mich, musste mich auf halbem Weg kurz sammeln, weil meine Beine sich so wabbelig anfühlten, ehe ich mit Vorsicht auf das orange Gemüse zuging. Auch ohne nach hinten zu sehen wusste ich, dass Edward mir mit ein bisschen Abstand folgte.
 

Als ich direkt vor dem Kürbis stand, beugte ich mich nach unten und betrachtete ihn genauer. Die Kerze im Inneren war erloschen, kein Licht brachte die Fratze zum Strahlen.
 

Ich musste bestimmt eine Ewigkeit davorgestanden haben, aber ich wollte mich unbedingt vergewissern, dass das alles tatsächlich nur eine Einbildung gewesen war. Gut möglich, dass ich wirklich gegen die Telefonzelle gerannt war. Wahrscheinlich, weil mich dieser Kürbis so abgelenkt hatte.
 

„Bella?“, versuchte Edward es erneut und ich konnte die Frustration in seiner Stimme hören. Ich drehte mich zu ihm um. „Wo wohnt ihr?“
 

„Was?“ Verdattert starrte er mich an. „Das weißt du doch.“
 

„Bitte, Edward.“ Ich musste das einfach prüfen.
 

„Im Wald, die letzte Abbiegung wenn du Richtung Süden die Stadt verlässt.“
 

Ich nickte. „Und wie sieht Alice‘ Hautfarbe aus?“
 

Er zögerte, immer noch nicht ganz sicher, was ich damit wohl bezwecken wollte. „Ähnlich wie meine. Blass eben.“
 

„Was ist Wicked?“
 

„Ein Musical“, lachte er nervös. „Bella, was wird das?“
 

Meine Anspannung wich allmählich und je mehr ich erfuhr, desto sicherer fühlte ich mich, wieder in der Wirklichkeit gelandet zu sein.
 

„Okay, letzte Frage: Carlisle experimentiert nicht zufällig mit Leichen, Esme hasst Kinder, Rosalie ist süchtig nach Nasenspray, Emmett ist ein Priester, Jacob sein Hündchen und Jasper verrückt nach Groupies?“
 

Ich hatte meine Frage durchaus ernst gemeint, aber Edward sah mich an, als hätte ich ihm gerade gesagt, ich sei schwanger. Es dauerte ungefähr drei Sekunden, dann brach er in schallendes Gelächter aus, hielt sich seinen Bauch und krümmte sich so sehr vor Lachen, dass ich für ein paar Sekunden Angst hatte, er würde keine Luft mehr bekommen – was natürlich völlig absurd war. Ich musste zugeben, der Anblick brachte auch mich ungewollt zum schmunzeln. So ausgelassen hatte ich ihn schon lange nicht mehr, wenn überhaupt je gesehen.
 

Irgendwann kam er auf mich zu und dieses Mal wich ich nicht zurück. Wäre er ein Mensch, hätte ich darauf gewettet, dass er nach diesem Ausbruch Tränen in den Augen gehabt hätte.
 

Ohne Vorwarnung nahm er mich in seine Arme und schlang sie um meinen Kopf und meine Schultern, sodass mein Gesicht in sein Shirt drückte. Alle Vorsicht wich der Erleichterung, als ich meinerseits die Arme um ihn wand und mich an ihn kuschelte. Die Nachwirkungen seins Lachanfalls klangen langsam ab, ich konnte noch das leichte Vibrieren seines Brustkorbs spüren.
 

Alles nur ein Traum.
 

„Wirklich, Bella. Bist du förmlich gegen die Telefonzelle gerannt? Denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man so was nur durch einem leichten Zusammenprall halluziniert.“ Behutsam strich er mir über die Stirn und hauchte einen leichten Kuss darauf. Die Kälte war angenehm; hatte sich durch den Unfall doch schon längst eine kleine Beule gebildet. „Aber ich muss zugeben, der Teil mit dem Hündchen hat mir wirklich gefallen.“ Ich hörte sein Kichern und konnte mir das Grinsen ebenfalls nicht verkneifen.
 

„Können wir nach Hause, Edward? Ich bin völlig fertig“, nuschelte ich in seine Kleidung.
 

„Alice bringt mich um, wenn wir nicht auf der Party aufkreuzen.“
 

„Ach, sie hat das bestimmt schon kommen sehen. Sie wird das verstehen. Ich meine, ich hatte einen Unfall. Da sollte ich wirklich nicht auf einer Party umherlaufen.“ Und dann, mehr zu mich selbst fügte ich noch leise hinzu: „Außerdem hasse ich Halloween.“
 

„Gutes Argument“, schmunzelte er, dann drehte er sich langsam zum gehen um und zog mich mit.
 

Ein Schauer lief mir über den Rücken, als mich plötzlich ein eisiger Windhauch streifte und ich jemanden hinter mir lachen hörte. Eine tiefe, kratzige Stimme.
 

Ruckartig drehte ich mich zurück und starrte auf den Kürbis.
 

Nichts.
 

Unverändert. Er bewegte sich nicht und alles an ihm schien normal. Nicht das kleinste Zucken in seinen ausgeschnittenen Mundwinkeln. Hatte ich mir das nur eingebildet? Wegen dem Schock?
 

„Hey, alles in Ordnung?“, erkundigte sich Edward und zog an meiner Hand. „Na komm, ich dachte, du wolltest nach Hause, Isabella.“
 


 


 


 

„Wie hast du mich gerade genannt?“
 

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Ich freu mich über jede Art von Feedback :') (mit Ausnahme von Flames natürlich)



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-12-21T23:50:39+00:00 22.12.2010 00:50
Hi erstmal,
ich bin zufällig auf deine FF gestoßen, hab angefangen sie zu lesen und nicht mehr aufgehört. XD
Also ich muss sagen brilliant geschrieben und echt kreative Ideen.
Aber zu so später Stunde hat es mich tatsächlich ganz schön gegruselt.
Und vor allem der offene Schluss... Echt super!
Arme (Isa)Bella ;)


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