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Zwischenwelten

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Gespräch im Geheimen

Beginn: 08.09.2009

Ende: 13.09.2009
 

Kapitel 7: Gespräch im Geheimen
 

„Er scheint dir ja sehr zu gefallen“, bemerkte er und sah erneut von seinem Buch auf. Der Jüngere hatte das Zimmer erst vor ein paar Minuten verlassen. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, erwiderte der Blonde distanziert, seine mattblauen Augen auf die beschriebenen Seiten gerichtet. „Ich spreche davon“, sagte der Braunhaarige und schlug das Buch zu, „dass du dich für ihn interessierst.“

„Schon möglich“, erwiderte Soray nach kurzem Schweigen und löste damit jeden Zweifel in Nichts auf. Fabio lächelte wissend und strich über die goldenen Lettern, die den Buchrücken schmückten. „Was glaubst du, wann er uns fragt?“

Wie üblich ließ sich der andere Zeit mit seiner Antwort, wählte jedes Wort mit Sorgfalt und Bedacht. „Er wird warten wollen, bis wir die Schule abgeschlossen haben.“

„Es sei denn, es tritt ein unvorhergesehenes Ereignis ein.“

„Es sei denn, es tritt ein unvorhergesehenes Ereignis ein“, bestätigte der Blonde. Fabio lächelte verschwörerisch. „Sollen wir ein wenig nachhelfen?“

Soray kritzelte weiter auf dem Papier herum, das vor ihm auf dem Tisch lag. „Das wäre ein Vertrauensbruch, noch bevor wir es wirklich gewonnen haben. Man sollte eine Beziehung nicht auf einer Lüge aufbauen.“

„Wie poetisch. Ich sehe die Sache allerdings ein wenig anders. Du kannst nichts zerstören was du nicht hast.“

Der Braunhaarige legte seine Lektüre beiseite und sprang vom Bett. Während er näher trat, waren seine lindgrünen Augen unablässig auf seinen Gefährten gerichtet. „Er ist es, nicht wahr?“, fragte er und fixierte den bleichen Nacken des anderen. „Ja“, flüsterte der Blonde. Seine Stimme zitterte bei dem Versuch seine Erregung zu verbergen. „Ich will ihn als Herrn.“

Unnötig zu fragen woher er wusste, dass er der Richtige war. Es war ganz einfach ein Gefühl. Er selbst verspürte es auch, jedoch bei weitem nicht so stark wie der andere. Daher war es eine ganz und gar unnötige Frage – aber er musste sie ihm trotzdem stellen. Sie für sich zu behalten hätte er unmöglich ertragen können. „Warum er? Was ist an ihm so besonders?“

„Alles an ihm ist besonders“, erwiderte er und zog sich ein neues Blatt Papier heran. Fabio schnaubte verächtlich. Was für eine nichtssagende Antwort. „Du wirst gehen, nicht wahr?“

„Ja.“

„Auch ohne mich?“

„...Wenn es sein muss auch ohne dich.“

Die Antwort kam ein wenig verzögert, aber sie war unumstößlich. Er meinte es ernst, kein Zweifel. Der Braunhaarige ballte die Hände zu Fäusten, ließ sie jedoch ungenutzt. Gegen wen hätte er sie auch richten sollen? „So einfach?“

Der Blonde antwortete nicht.

„Warum? Warum fällt es dir so leicht? Unsere Familien sind schon seit Jahrhunderten miteinander verbunden, wir...“

„Fabio“, seine Stimme war ernst, sein Blick streng als er sich zu ihm umwandte. „Hör auf damit. Es ist nur ein Name. Verstehst du das denn nicht? Hör auf, dich an die Versprechen der Vergangenheit zu klammern. Es wird dich nur verletzen.“

Zorn flammte in ihm auf. Wie er so seelenruhig dasaß und über Trennung sprach, als sei es das Einfachste und Natürlichste von der Welt. Als ob es Schicksal wäre! Aber das konnte er ihm nicht vorwerfen. Eben noch hatte er auf die gleiche Weise argumentiert. „Was verbindet dich denn mit ihm, wenn nicht dein Name? Wodurch bist du was du bist, wenn nicht durch deinen Namen?“

Soray Slave sah ihn an, ohne die geringste Gefühlsregung zu zeigen. Einzig seine blauen Augen verrieten, dass er ihm aufmerksam zuhörte – und eine gewisse Betroffenheit. „Ihr habt schon früh damit begonnen, euch eure Herren selbst zu wählen“, bemerkte Fabio mit mehr als nur einem Anflug von Verbitterung.

„Du hast etwas dagegen, dass ich...“

„Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass du deinen Herrn wählst!“, unterbrach er ihn wütend. Seine Augen funkelten zornig. „Aber dass du mich so ohne weiteres verlassen würdest, dagegen habe ich etwas!“

Eine Weile sahen sie einander schweigend an, dann erhob sich der Blonde, ging an ihm vorbei und setzte sich auf eines der Betten. Wieder trafen sich ihre Blicke und diesmal gab es nichts, das sie unterbrochen hätte. „Wann“, fragte er, „habe ich jemals so etwas gesagt?“

Auf dem Gesicht des Braunhaarigen erschien ein trotziger Ausdruck. „Keine Haarspaltereien. Du hast sehr überzeugend deutlich gemacht, dass du mich nicht brauchst.“

„Das ist nicht wahr“, erwiderte Soray, stand auf und ging zu ihm. Er schmiegte sich an ihn, den Kopf an seine Schulter gelehnt. „Ich brauche dich“, sagte er leise und legte seine Hand auf die Brust des anderen, als wolle er den Schlag seines Herzens erfühlen. Und sein Lächeln verriet, dass ihm der freudige Klang nicht entgangen war. Dann wurde sein Gesicht wieder ernst. „Aber du weißt, dass ich auch ihn brauche.“

„Ja, ich weiß“, sagte er ruhig, sein Zorn war fast gänzlich verflogen.

„Ich bin gern mit dir zusammen, aber ich möchte nicht, dass du dich durch einen Namen dazu verpflichtet fühlst. Kein Name soll dich zwingen zu tun was du nicht willst.“

Er löste sich von ihm. „Du wirst doch mit mir kommen?“

Fabio lächelte. Auf sein Wort war Verlass, doch seine Augen und der Klang seiner Stimme sagten ihm so unendlich viel mehr. „Wenn du zu ihm möchtest, dann werde ich mit dir gehen. Und er wird mein Herr sein, wie er dein Herr ist.“

„Du wirst ihn schützen, wie du mich beschützt“, ergänzte der Blonde und sah ihn durchdringend an. „Natürlich.“

Eine Weile herrschte Schweigen.

„Soray.“

„Ja?“

„Warum kannst du nicht mich als deinen Herrn akzeptieren? Was ist es, das mir fehlt?“

Lange sah der andere ihn an, dann schmiegte er sich wieder an ihn. „Es gibt so vieles, das wir nicht tun könnten, wenn wir Herr und Diener wären.“

Fabio bezweifelte es. Zwei auf diese Weise verbundene Personen konnten alles miteinander tun. Obwohl Soray seine Zweifel ganz sicher spürte, ließ er es zu, dass er die Arme um ihn legte. Eine Geste des Vertrauens, das sie niemals in Worte hätten fassen können. „Niemals“, flüsterte der Blonde, „könnte ich so etwas tun, wärst du mein Herr.“

Fabio schüttelte langsam den Kopf. „Deine Familie war in ihrem Denken schon immer sehr unschuldig, wenn es um die Vorstellung von Dienstverhältnissen ging.“

„Wir sind bereit, alles für unseren Herrn zu tun.“

Nein, seid ihr nicht, dachte er, behielt es aber für sich. Sanft strich er dem anderen über das glatte blonde Haar. Ihr seid bereit zu tun, was sich innerhalb eurer Vorstellungskraft befindet. Doch diese Vorstellung basierte auf einem, wenn schon nicht edlen, so doch zumindest verständigen und einsichtigen Herrn. Er wäre nie so weit gegangen es realitätsfremd zu nennen, aber bis zu einem gewissen Grade war es das. Wenn es etwas gab, das außerhalb dessen lag, was sie, aus welchen Gründen auch immer, zu tun bereit waren, dann, das hatten die Erfahrungen in der Vergangenheit gezeigt, läutete es einen langsamen Prozess der Selbstzerstörung ein. Und das einzig probate Mittel dagegen war die Trennung von ihrem Herrn. Und wenn das geschah, dann gab es für sie nur eine einzige mögliche Erklärung – es war nicht der Richtige. Solange sie das glauben konnten, blieben sie am Leben. Taten sie es nicht, starben sie. Selbst dann, wenn der Verlassene davon absah sie ermorden zu lassen. Und obwohl es nur auf sehr wenige zutraf und die meisten bis zum Tode in den Diensten ihres Herrn blieben, hatten diese wenigen Ausnahmen eine gewisse Berühmtheit erlangt und ihnen den Ruf eingebracht, dass ihre Treue den Namen nicht wirklich verdiente. Dass sie vielmehr ein zweischneidiges Schwert war. Fabio teilte diese Ansicht nicht. Die Slaves hatten Charakter, das war alles. Sie waren keine geistlosen Puppen, deren Verdienst sich, bar jeden Gefühls, in bedingungsloser Unterwerfung oder Meuchelmorden zeigte. Sie waren lebendige Wesen und die meisten von ihnen zudem hochintelligent. Und in gewisser Weise bestand ihre Einzigartigkeit gerade darin, wie sie ihr Dienstverhältnis begriffen. Sie waren – die erwähnten Einschränkungen berücksichtigend, aber auch entgegen dieser – bereit alles, absolut alles zu tun, was ihrem Herrn von Nutzen war. Allerdings oblag dies ihrer eigenen Einschätzung. Nicht, dass sie nicht gehorsam gewesen wären – niemand war je mit den Diensten eines Slaves unzufrieden gewesen – aber das Wohl ihres Herrn hatte für sie absolute Priorität. Was erklärte, weshalb sie Verhaltensweisen anderer oder ihres Herrn selbst nur bis zu einem gewissen Grad dulden konnten, sofern diese negative Auswirkungen auf ihn hatten. Und wenn sie der Meinung waren, dass es das Beste sei ihren Herrn zu verlassen, dann taten sie es. Allerdings war der Betroffene für gewöhnlich darüber informiert. Es war so üblich und Teil des Dienstverhältnisses, dass ihr Herr und Meister über alles was sie taten und jeden Ort an dem sie sich aufhielten im Bilde war. Wenn er solche Aussagen jedoch nicht ernst nahm, dann lag die Schuld nicht bei den Slaves. Wenn sie etwas sagten, was selten genug vorkam, dann meinten sie es auch so und handelten dementsprechend. Es sei denn man war wortgewandt und geschickt genug sie davon abzubringen. Ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen, aber die Aussicht auf Erfolg hing davon ab, welche Rolle man in ihrem Leben spielte. Früher einmal waren die Dominions ihre Herren gewesen, doch mittlerweile wählten sie sie selbst aus. Und ironischerweise fiel ihre Wahl so gut wie nie auf einen der ihren. Warum, wusste niemand. Vielleicht standen sich die Mitglieder beider Familien zu nahe, als dass sie ernsthaft ein Herr-Diener-Verhältnis hätten eingehen können. Andererseits waren sie frei in der Gestaltung einer solchen Verbindung. Aber es ließ sich nicht ändern, ganz gleich ob die möglichen Gründe dafür nun überzeugend waren oder nicht. Doch obwohl es so war, obwohl es diese Grenze zwischen ihnen gab, hatte nie jemand die Verbindung, die ihre Namen ihnen eingaben, in Zweifel gezogen. Niemand außer Soray. Ihre Bande hatten sich gelockert, ohne an Intensität zu verlieren. Sie hatten sich gewandelt, verformt, geändert, aber sie waren nicht verschwunden. Doch mit Soray schien die erste Generation geboren, die der alte Pakt nicht kümmerte und die – und das war es wovor er sich fürchtete – auch keinen neuen zu schließen gedachte. Es gab keine Gewissheit über ihr Schicksal, aber womöglich war dies das Ende einer jahrtausendealten Tradition. Fabio war die Tradition an sich nicht wichtig, aber Soray war es. Und dieser uralte Pakt schien ihm die einzige Verbindung zu sein, die er zu dem anderen hatte. Ihre Namen für bedeutungslos zu erklären, hieß die Grundlage ihrer Beziehung abzulehnen. Und die Vorstellung ihn zu verlieren war etwas, das er nur schwer ertragen konnte. Um jemanden gern zu haben, muss man nicht unbedingt bei ihm sein. Wenn man jemanden liebt, ist es nicht so wichtig immer beieinander zu sein. Das hatte Soray gesagt. Damit hatte er begründet, dass es nicht zwingend notwendig sei, dass sie beide gingen, dass er auch ohne ihn gehen würde. Das machte ihm Angst. Wie leicht es ihm zu fallen schien. Dabei ging es hier gar nicht um die Frage des Könnens, sondern die des Wollens. Er WOLLTE nicht von ihm getrennt sein. Dass er es konnte, daran hegte er nicht den geringsten Zweifel. Der Blonde trat von ihm zurück, musterte noch einmal eingehend das Gesicht seines Gegenübers und war schon im Begriff sich wieder seiner Schreibtätigkeit zuzuwenden, als er noch einmal das Wort an ihn richtete. „Was ist das eigentlich für ein Buch, das du die ganze Zeit liest?“

„Die Wanderhure.“

Die blauen Augen des anderen waren starr auf ihn gerichtet, sein Mund einen Spalt weit geöffnet. Dann wandte er sich ruckartig von ihm ab und nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz. Er hatte den Wink sehr wohl verstanden. „Er ist es wirklich“, sagte er noch einmal. Der Trotz, der dabei mitschwang, war für seine Verhältnisse eine ungewöhnliche und starke Emotion. Einzig ein Lachen hätte Fabio noch mehr in Erstaunen versetzt. Der Braunhaarige schwang sich wieder auf sein Bett und nahm das Buch zur Hand. 'Das Buch der tausend Wunder', prangte in goldenen Lettern auf dem Einband. Fabio dagegen sah darin nur ein einziges Wunder. Dass es dieses Buch tatsächlich in die Bibliothek geschafft hatte – ohne eine einzige beschriebene Seite.
 

Kapitel 7 – ENDE



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