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Tatendrang und Revolutionslust

die Abenteuer ernüchterter Animexxler
von

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Unmut

Almuth Elisabeth Freia van Hagen, 16 Jahre alt, Gymnasiastin, Blutgruppe 0, Lieblingsspeise Kürbissuppe, genoss diesen Sonntagnachmittag im tiefsten November zwischen kuscheligen Kissen auf ihrem Bett gelümmelt und mit einer Tasse Kakao auf dem Nachttisch stehend.

Wie man bereits ihren bescheuerten drei Vornamen entnehmen konnte, gehörte sie zu jenen vorbelasteten Kindern, deren alternative, kulturell interessierte und gebildete Eltern möglichst viele ausgefallene und altmodische Namen schenkten, um ebenjene zu erhalten und gleichzeitig ihrem Kind bereits erste, unfreiwillige Individualität zu schenken – so das vorherrschende Klischee.

Bei Almuths Eltern traf diese Beschreibung jedoch sehr gut zu.

Sie selbst war eine jener Jugendlichen, die sich nicht gegen dieses Schicksal gewehrt, sondern sich durch diese Ausnahmestellung in eine bestimmte Richtung entwickelt hatten.

Almuth konnte genausowenig herkömmlich und normal sein wie ihr Name, war aber auch nicht komplett nach den Eltern geraten – ein wenig jugendlich-rebellischen Geist muss man sich ja bewahren.

Auch sie besaß eine etwas freigeistige Haltung, Mut zum Anderssein und eine alternative Einstellung, war vom Äußeren her aber noch weitaus hippielastiger als ihre Eltern geraten und kleidete sich mit Vorliebe in kunterbunten Kleidungsstücken, die natürlich nachhaltig und ökologisch einwandfrei produziert worden waren, gemäß ihrer Überzeugung.

Sie war nämlich umweltpolitisch engagiert, was erst seit Kürze richtig stark ausgeprägt war und von ihrer Seite aus noch mit frischem Idealismus teilweise recht extrem angegangen wurde.
 

Als Ausgleich betrieb sie noch einige andere Beschäftigungen, die nicht unbedingt von dieser Einstellung dominiert wurden, wie jetzt gerade an ihrem Laptop, auf dessen Tastatur ihre langen, hellbraunen Rastazöpfe herniederhingen.

Almuth surfte gerade auf ihrer Lieblingsseite, die sie seit Jahren jeden Tag nach den erledigten Hausaufgaben aufsuchte: animexx.

Was gab es besseres, als nach getaner, intellektuell anspruchsvoller Arbeit durch die vielen bunten Bilder zu stöbern, die Seele beim Lesen von feel-good-Doujinshis baumeln zu lassen oder das neueste Kapitel einer abonnierte Fanfiction zu lesen?

Irgendwann in jüngeren Jahren hatte sie mal Gefallen an der japanischen Kultur und darüber dann zu Manga & Co. gefunden.

Seit ihrem dreizehnten Lebensjahr war sie nun auf der größten deutschen Plattform zu diesen Themen angemeldet.

In dieser virtuellen Welt mit blassblauem Anstrich fühlte sie sich zuhause.

Die Community war wie eine große Familie - wenngleich es zwischen deren Mitgliedern viel Zank gab.

Es gab hier die Zeichner und Schreiber, die nahezu allen bekannt waren aufgrund ihrer Fähigkeiten oder Eigenarten; jene, die vielleicht schon bei einem Verlag veröffentlichten und daher kleine interne Berühmtheiten waren und man jedes Mal, wenn diese ein neues Werk hochluden, wissend lächelte und sich mit einem Gefühl der Vertrautheit dachte „Sieh mal einer an, wieder ein neues Fanart von SkippedLee...!“ oder dergleichen.

Wie oft hatte sie schon gemütliche Abende vor dem Bildschirm verbracht und in den knalligen Colorationen und saftig geschwungenen Linien geschwelgt, die dort zuhauf angeboten wurden. Oder dieses Untergrund-Flair bei den vielen von unbekannten Zeichnern veröffentlichten Doujinshi genossen.

Man konnte alles zeichnen, was man wollte; die Leser hatten nicht selten einen interaktiven Anteil am Geschehen, es wurden die krudesten Stories gesponnen und mit viel Spaß und Humor war man bei der Sache.

Manche selbst erdachten Charaktere entwickelten gar einen gewissen Kult-Status und häufig nahmen all die Kommentatoren regen Anteil an manch dramatischer Wendung in der Geschichte. Rührend, wie viele Emotionen da ausgelöst wurden, wie sehr mancher Charakter den Lesern ans Herz wachsen konnte...

Ja, Emotionen... Einige animexxler teilten ihr Privat- und Innenleben in Form von Bildbeschreibungen, Kommentaren und Weblogs mit den anderen, was eine gewisse Faszination auf Almuth ausübte.

Es reizte sie, Ausschnitte fremder Leben so unmittelbar erfahren und miterleben zu dürfen, oftmals gar sehr intime Ausschnitte, die man im Zuge der Anonymität leichthin freigab.

Manchmal berührte sie diese Offenheit auf ganz eigenartige Weise, und sie fand einige scheinbar Verwandte im Geiste, wenn sie sich selbst in diesen oder jenen geschilderten oder in Bildern ausgedrückten Stimmungen, Situationen und Gedanken wiederfand.

Aber sie ließ es nicht immer wissen, wenn sie sich mit etwas identifizieren konnte, obwohl solche Momente sie ab und an ganz überraschend und unmittelbar ins Herz trafen, sodass sie den Drang verspürte, dieses Gefühl mit jemandem teilen zu müssen, diesen Augenblick nach außen zu tragen.
 

Allerdings ließ sie das meistens bleiben, nicht zuletzt, weil das seltsame Gefühl schnell verflog und es ihr im Nachhinein peinlich war, wie sie reagiert, was sie sich eingebildet hatte. Denn diese Scheinverbundenheit mit im Grunde Wildfremden sowie das Schwärmen davon war mehr als pathetisch und außerdem doch hauptsächlich ihrem Wunschdenken entsprungen.

Die Wirklichkeit sah wahrscheinlich völlig anders aus.

Bestimmt waren jene Personen, denen man sich vermeintlich nahe fühlte, gar nicht so, wie man sie wähnte.

Bleiben würde nur Enttäuschung.

Daher war Almuth froh darüber, dem sie zuweilen überfallenden Mitteilungsdrang bisher nicht nachgegeben zu haben.
 

Es gab jedoch noch andere Gründe, weshalb sie kürzlich immer seltener die Seite besuchte und nur noch wenig Spaß an der Sache empfand.

Alles, was sie einst geschätzt hatte, hatte diesen Reiz verloren.
 

So hatte sie sich nach bereits jahrelanger Mitgliedschaft geborgen in der animexx-Welt gefühlt, routiniert im Umgang damit, erfahren mit den verschiedenen vorherrschenden Meinungen über alle möglichen dort diskutierten Themen, vertraut mit den Kuriositäten des Alltags hier ebenso wie mit den unterschiedlichen User-Typen, denn fast alle ließen sich in irgendwelche Kategorien einordnen.
 

Und es langweilte sie.
 

Mittlerweile hatte sich eine Stagnation eingestellt, eine Übermüdung und Lustlosigkeit angesichts des immer Gleichen. Sie hatte es so satt, stets dieselben Themen und Motive zu sehen und zu lesen, immer dieselben Stile zu betrachten...

„In diesem Manga-Stil sieht immer alles gleich aus!“, stellte sie ernüchtert fest. „Keine Individualität...keine Originalität...keine Innovation.“

Enttäuscht loggte sie sich aus und packte ihren Rucksack für den nächsten Schultag.



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