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Pioggia Aria

von

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Heimkehr

Leonardo fuhr sich mit einem tiefen Seufzen über das Gesicht.
 

Wie spät es wohl inzwischen war? Es musste jedenfalls schon seit längeren Abend sein, ein Blick aus dem hochgeschlossenen Fenster seiner Werkstatt verriet es ihm – oder schlicht die erholsame Ruhe, die hier herrschte, wenn seine Gehilfen einmal nicht wie zwei Elefanten im Porzellanladen quer durch den engen Raum marschierten. Sich zurücklehnend, lies Leonardo den Blick seiner wasserfarbenden Augen einmal quer umher schweifen, ehe sie einen Fokus an dem Blatt Pergament fand, welches neben einem dicken, in schwarzes Wildleder gebundenen Wälzer lag. Er lächelte matt, als es zu sich zog, auffaltete und noch einmal las.
 

Er schrieb eindeutig zu wenig. Und viel zu selten.
 

Natürlich wusste Leonardo, dass Vorsicht das beste Mittel war, ihn so lange wie möglich am Leben zu erhalten. Und natürlich wusste er auch, dass sein bester Freund diesen Kampf mit Überzeugung focht und sich auch durch noch so gutes Zureden kaum davon abhalten lassen würde. Und er wusste auch, dass er ihn trotzdem vermisste.
 

Wenn alles im Leben so einfach sein könnte wie dieser Erkenntnis, dann wäre es wirklich leicht gewesen.
 

Selten verlor sein bester Freund ein genaues Worte darüber, wo er sich befand. So auch in diesem Brief, welchen Leonardo bestimmt schon zum 100. Mal an diesem Tag las. Es waren nur wenige Worte in seiner unglaublich krakeligen Handschrift, aber für ihn war es jedes Mal ein kleines Wunder. Diese Briefe bedeuteten, dass er lebte. Dass er noch atmete und ihn vielleicht bald wieder aufsuchen würde. Allein darauf kam es doch an. Leonardo wunderte sich trotzdem jedes Mal über sich selbst, dass er unruhig wurde, wenn er den Takt seiner Briefsendungen nicht einhielt. Am schlimmsten war es gewesen, als er sich sage und schreibe 3 Monate nicht gemeldet hatte.
 

Leonardo wusste noch ganz genau, dass er in diesen drei Monaten zu absolut gar nichts zu gebrauchen gewesen war. Selbst die Jünglinge, welche meistens sehr effizient dafür Sorge trugen dass er den Kopf frei bekam, konnten diesmal auch mit den geschicktesten Bewegungen herzlich wenig ausrichten. Müde war Leonardo gewesen, müde und antriebslos. Drängende Gehilfen, erzürnte Arbeitgeber und enttäuschte Adelsdamen – Leonardo schickte sie alle wieder heim.
 

Er konnte einfach nicht arbeiten. Es war wie ein Fluch gewesen. Nicht zu brechen, ehe eines Tages dieser eine Brief bei ihm abgegeben wurde und die magischen Worte enthielt, die Leonardo endlich wieder neuen Auftrieb gaben.
 

„Ich komme dich bald besuchen, Leo.“
 

Leo.
 

Wenn es einen Kosenamen auf dieser Welt gab, denn er nicht mit einem missbilligenden Nasekräuseln hinnahm, dann war das „Leo“ aus seinem Mund. Leonardo legte lächelnd den Kopf schief. Er benahm sich wie ein kleiner Junge. Schlimmer noch – er benahm sich wie ein verliebter kleiner Junge. Inständig zu Gott bettend, Ezio möge das niemals herausfinden, stand er von seinem Schreibtisch auf und durchquerte mit wenigen Schritten den Raum.
 

Regen hatte eingesetzt.
 

Die kalte Jahreszeit begann. Leonardo war eigentlich mehr ein Freund des Frühlings und des Sommers. Schillernde Farben, wohlriechende Blumen und schön gekleidete Menschen. Das war sein Zuhause, das war seine Welt. Er liebte das emsige Treiben auf dem Marktplatz, den rauen Umgangston der Händler untereinander, die vielen hübschen Frauen die einander auszustechen versuchten, indem sie ihren Ausschnitt möglichst tief geschnitten trugen. Und natürlich liebte er einfach das Leben an sich. Es war wertvoll. Und kurz. Das war eines der Dinge, an die Leonardo jedes Mal erinnert wurde, wenn Ezio in seinen Räumen stand und ihn flüchtig anlächelte.
 

Er sah ihn gerne lächeln. Es stand ihm. Schließlich war er ja auch ein gutaussehender Kerl. Ein verdammt gutaussehender Kerl, wie Leonardo seit Jahren ins geheimen fand. Er hatte dieses verschmitzte, spitzbübische Charisma eines kleinen Jungen dem man einfach nicht böse sein konnte, aber auch diese ernste, erwachsene Seite die sehr abweisend und distanziert handelte, gab man ihm dazu einen Anlass. Leonardo wusste nicht recht, welche dieser beiden Seite an ihm ihn nun mehr faszinierte. Vielleicht war es aber auch einfach die Mischung. Schon bei ihrem ersten Treffen war er ihm aufgefallen. Groß gewachsen und von schlanker Statur, dunkelhaarig und grinsend, wirkte er wie lebendig gewordene Schatten, die des Nachts den Mond verbargen.
 

Lächelnd lehnte Leonardo die Stirn an die Fensterscheibe, während der Regen dagegen trommelte.
 

Es war so lange her. Er war nicht mehr der 17- Jährige Schwerenöter, dessen liebste Freizeitbeschäftigung es gewesen war, den werten Damen nachzustellen. Er war erwachsen geworden – vielleicht zu schnell. Vielleicht war damals einfach alles zu schnell gekommen. Leonardo hatte nicht einziges Mal erlebt, dass er sich darüber beschwert hatte. Stumm hatte er dieses Schicksal ertragen und sich nach und nach damit abgefunden. Bei jedem ihrer Treffen war ein wenig mehr des Kindes verschwunden und hatte dem Erwachsenen in ihm Platz gemacht. Sie hatten viel geredet, manchmal nur kurz, aber sie redeten immer. Leonardo liebte den Austausch, wenn sie bei einer Flasche Wein zusammen saßen und er seinen Geschichten lauschen konnte. Wenn er erzählte, wie sein Kampf gegen das Unrecht in dieser Welt verlief und Leonardo das oft genug mit einem grimmigen Lächeln zu Kenntnis nahm. Wenn es etwas gab, das Leonardo auf dieser Welt mehr als alles andere hasste, dann war es die Einschränkung der persönlichen Freiheit.
 

Für ihn war er ein bisschen wie der Ritter in der strahlenden Rüstung, der ohne Unterlass gegen die Horden des Böses stürmte, egal wie schlecht es ihm selbst dabei ging.
 

Ohne Pause. Ohne einmal zu Atmen zu kommen.
 

Er hatte oft genug erlebt, dass er einfach in einem seiner weichen Sessel eingeschlafen war. Leonardo saß dann stets die ganze Nacht bei ihm, beobachtete ihn. Und immer dann spürte er, dass er diesen Hitzkopf einfach unendlich gern hatte. Er war einfach anders. Kein wirklicher Held an sich, mehr eine Flamme. Ein lodernde Flamme, dass ein Feuer werden konnte.
 

Ein Feuersturm, der über ihn hinweg fegte und ihn mitriss, bis er zitternd nach Atem rang und ihn einfach nur noch festhalten wollte.
 

Wenn das Liebe war – dann riss sie oft genug an seinen Nerven, an seinem Verstand. Zerrte daran, bescherten ihm eindeutige Träume und ließ die Realität in einem eintönigen Bildnis aus grauen Farbtönen versinken, wenn er nicht bei ihm war. Im Grunde unglaublich. Nach außen hin war Leonardo nämlich genauso so ein Schürzenjäger – nur mehr auf den männlichen Part der Menschheit fixiert.
 

Ob er ihn eigentlich auch ein klein wenig mochte? Natürlich mochte er ihn. Er hatte ihm oft genug gesagt, er wäre sein bester Freund. Und Leonardo hatte es ehrlich gefreut – aber nicht ohne im Hinterkopf ständig die Frage zu behalten, ob es da nicht noch etwas gab, das sie verband. Er war der geniale Erfinder und er der Mörder, der das böse in diesem Land langsam aber sicher zu Fall brachte. Sie waren ein gutes Team. Freunde. Aber auch nicht mehr.
 

Leonardo seufzte leise, lehnte nun sanft die Fingerkuppen der rechten Hand an das kalte Glas. Sein Atem schlug gegen die Scheibe.
 

Schon wieder dieses Thema. Es beschäftigte ihn ein wenig zu sehr in der letzten Zeit, selbst für seinen Geschmack. In letzter Zeit tendierten die Gedanken immer häufiger zu ihm und zu dem, was Leonardo sich wünschte, sie sein könnten. War es denn wirklich so verkehrt? Ginge es nach dem Sinn der Kirche, so hätte er allein dafür, dass er Nasenbluten bekommen hatte, als er ihn nur mit einem Handtuch bekleidet durch seine Werkstatt spaziert war und ihn angegrinst hatte, auf ewig im Fegefeuer schmoren müssen. Leonardo gluckste vergnügt, als er daran dachte. Ja, der Knabe von einst war ein sehr ansehnlicher Mann geworden. Aber es war nicht nur sein Äußeres, was Leonardo bei jedem Treffen aufs Neue faszinierte. Es war seine eiserne Entschlossenheit. Seine Hingabe. Der Wille zum Sieg. Ja, er wollte die Welt verändern. Sie retten vielleicht weniger, aber verändern. Leonardo fand das durchaus positiv.
 

Er war ein Träumer - aber ein Träumer, der Taten sprechen ließ.
 

Der Glaube an einem besseren Morgen konnte in einem Menschen entweder zu etwas größeren, strahlenden machen oder zu einem unverbesserlichen Klugscheißer. Und dann meistens auch noch die Sorte, die früher oder später käuflich wurde. Nein, er würde nie so werden. Er war viel zu geradlinig, zu streng mit sich selbst, zu aufrichtig. Leonardo wusste es immer, wenn er in diese grauen Augen des Anderen blickte. Man sagte, die Augen wären die Spiegel der Seele. Und Leonardo sah eine strahlende, nach Gerechtigkeit strebende Seele, die durchaus ihre Flecken hatte. Blut klebte an ihm.
 

Aber kein Mensch war perfekt.
 

Perfekt sein bedeutete langweile und Stillstand. Leonardo wollte nicht stillstehen. Er wollte laufen. Immer weiter, immer höher. Bis er irgendwann so schnell wie der Wind war, der ihm seine Flügel verlieh. Leonardo wollte ihn nicht fangen. Einen Vogel einzusperren hieß, ihn seiner Freiheit zu berauben. Er würde eingehen. Wie eine Pflanze ohne das notwendige Sonnenlicht. Und ihn nicht mehr laufen, springen oder gar lächeln zu sehen, würde er nicht ertragen. Nein. Er war glücklich, wenn er der Ort sein dürfte, wo er ab und an rastete. Wo er ein Glas Wein trank und dann im Sessel einschlief. Wo Leonardo manches Mal verstohlen das rabenschwarze Haar zurückstrich, über seine Wangen fuhr und die Konturen der Lippen nachzog, überlegte wie sie schmecken mussten.
 

Vielleicht waren sie so warm wie die Stimme, die plötzlich von der Eingangstür zu seiner Werkstattt zu ihm herrüber wehte und ihn endlich wieder vom Fenster aufsehen lies. Dort stand er. Tropfnass, als wäre er durch sämtliche Kanäle Venedigs geschwommen und seine Lippen waren ein wenig Blau angelaufen, aber das Lächeln auf eben jenen war genauso spitzbübisch wie immer.
 

"Da bin ich wieder, Leo."



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von:  ikee
2014-12-22T07:38:28+00:00 22.12.2014 08:38
Echt toll geschrieben Bitte schreib weiter :D
Von:  Nadda
2013-02-22T20:24:16+00:00 22.02.2013 21:24
wundervoll geschrieben x3 einfach nur toll!
Ich wünsche mir sehr das da noch mehr kommt
so süß einfach nur
Von:  the-cooky-girl
2013-02-13T19:14:37+00:00 13.02.2013 20:14
au mein gott ist das nietlich *.*
wie er ihn vermisst und wie er ihn beschreibt einfach nur zum dahin schmelzen finde ich *///*
Deine Schrieb weise ist sorichtig Hammer einfach nur geil :-D
Ich hoffe sehr darauf das es balt weiter geht den das ist einfach nur süß diese Story *.*

lg svenny
Von:  Silliaz
2011-10-25T18:36:43+00:00 25.10.2011 20:36
miiiiiiiep xDDD

schaaaaaaaaaade das es jetzt kein yaoi cap gibt xDDD

also mir gefällt der os sehr gut, leonardos gefühle sind einfach nur wunderschön, wie auch die beschreibung die du uns vorgelegt hast zum lesen :3 *sfz*

los ezio xD reis ihn auf!!! du weißt was du an leonardo hast xDD muhaha

sorry, aber ich liebe die beiden xDD
schreibstil technisch wollte ich noch los werden, schön fließend, lässt sich gut und leicht lesen, was für klares verständnis sorgt :D

ich packs mal in meine favs :D

weiter so^^
Von: abgemeldet
2011-10-09T19:03:08+00:00 09.10.2011 21:03
In diesem OneSot steckt einfach so viel Liebe, so viel Anerkennung einer Person gegenüber, das mir selbst ein Lächeln im Gesicht steht. Die wunderschönen Beschreibungen und ganzen darauf entstehenden Bilder gehen mir gerade sehr nahe... das Kapitel gehört in meine Favoritenliste, aber hurtig!
Was ich sehr an dem blanken Erzählen schätze ist das richtige Maß aus Beschreibung und der Freiheit des Lesers, sich ein eigenes Bild zu machen, da tanzt du genau auf dem schmalen Grad dazwischen, sehr schön!
liebe und gerührte Grüße, auf das hier kannst du stolz sein!
Von:  Schatten_des_Lichts
2010-12-19T16:44:00+00:00 19.12.2010 17:44
deine Geschichte erinnern mich daran, dass Ubisoft uns da wirklich einen Meilenstein hingelegt hat, vielleicht nicht von der Grafik oder dem gameplay her, sondern von den Charaktern, dem Historischen, der Geschichte her!
Die Charakter haben so viele seiten an sich, die du einfach gut beschreiben kannst, die man im Spiel nicht gleich erkennt, die du aber aufgreifst, erkennst und einbaust.
Ich glaube, ich würde gerne so schreiben können wie du, aber dass kann ich nicht und es ist auch gut so, denn eine Geschichte zu lesen, von einem Menschen der gut schreiben kann, der seinen eigenen Stil gefunden hat, dass ist das schönste an Fanfictions, an Geschichten.
Von: abgemeldet
2010-12-09T16:35:47+00:00 09.12.2010 17:35
wooow
echt genial, wie du das geschrieben hast^^
man konnte es sich richtig vorstellen
Von:  Starscourge
2010-11-19T06:22:44+00:00 19.11.2010 07:22
Wah wieder absolut Gänsehaut T__T

Als großer Leonardo Fan hast du genau das ausgedrückt was ich denke >//<


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