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Nippon no Makai

Japans Hölle
von

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Auftrag

Ort: Hölle
 

Eine lange Tafel, in der Mitte zerbrochen. Sieben mehr oder minder erschrockene Gesichter. "Herr, was bei allen Dämonen der Unterwelt tut ihr?!", rief einer der Gäste aus und starrte auf den jungen Mann, der zwischen den beiden Hälften kauerte, mit Teilen des üppigen Mahles bespritzt und den Blick fast stur auf den Boden gerichtet. Der Angesprochene, welcher vor dem Mann stand, hob den Blick und nur einen kurzen Augenblick später war der Gast bemüht, sich wortreich zu entschuldigen. Die tiefschwarzen, unergründlichen Augen des Herrn versetzten ihn in fast panische Angst. "Verzeiht, mein Herr, es ist mit mir durchgegangen", bat er und erhob sich, "Eure Entscheidungen in Frage zu stellen lag nicht in meiner Absicht." Eine tiefe Verbeugung folgte, bei der dem Mann mit den Zornesfalten seine krausen, braunen Haare tief ins Gesicht fielen, bevor er sich wieder setzte und mit nicht minder wütendem Ausdruck wieder den Mann beobachteten, der zuvor das Gleiche gewagt und seines Herren Entscheidung angezweifelt hatte.
 

Eine eisige Stille senkte sich über den Saal. Die Fackeln, die in die Steinwände gerammt waren, spendeten das einzige Licht, welches das Szenario vor den Gästen nur schauriger hatte erscheinen lassen.
 

Der kniende Mann erhob sich langsam, rieb sich über die linke Schulter und befreite sich grob von den Essensresten. Seine langen, schwarzen Haare waren von Soße verklebt. "Entschuldigt, Herr, aber ich wei-" Weiter kam er nicht, denn im nächsten Moment hatte der Herr ihm einen kräftigen Schlag mit dem Handrücken ins Gesicht verpasst. Der Mann taumelte, stützte sich an dem dunklen Holz der ehemaligen Tafel ab.
 

Der Herr, ein weitaus kräftigerer Mann mit kurzen, schwarzen Haaren und einem Ziegenbart, baute sich vor ihm auf. In den Hörnern, die aus seinem Kopf zu wachsen schienen, brach sich der Schein des Feuers. "Du bist nicht hier, um dich mir zu widersetzen, sondern allein, um meine Befehle auszuführen", sprach er mit einer kalten, fast emotionslosen Stimme, "und dein jetziger Befehl lautet: bring seine Tochter hierher. Sofort!" Das letzte Wort donnerte er, sodass es von den hohen Steinwänden widerhallte. Wie um seine Anweisung zu verdeutlichen, packte er seinen Untergebenen an einem Büschel seiner langen Haare und riss ihn endgültig zu Boden. Mit der gleichen eiskalten Stimme wie zuvor fuhr er fort: "Ich denke, ich habe mich deutlich ausgedrückt."
 

"Ja, mein Herr", war die einzige Antwort, die er erhielt, bevor der Mann sich schwerfällig in eine kniende Position brachte, den Kopf gesenkt. Im nächsten Moment löste er sich in schwarzen Rauch auf.
 

***
 

Ort: Erde
 

Ein Blitz durchzuckte den Himmel, fern grollte der Donner, als Make aus dem Fenster des Klassenraumes sah. Nur kurz hielt sie inne, um die dunklen, fast schwarzen Wolken durch das klare Glas zu betrachten, ehe sie ihre Schultasche vom Tisch nahm und sich zum Gehen wandte. Der Klassenraum leerte sich auffallend schnell, denn keiner wollte in den sich anbahnenden Regen hineingeraten. Auch die Schwarzhaarige nicht, weswegen sie sich unter die Schülermasse mischte und mit vielen anderen das hohe Gebäude mit der mittlerweile schmutzigen, grauen Fassade verließ. Die dunkelblaue Jacke, die zu ihrer Schuluniform gehörte, hatte sie schon im überfüllten Flur fest um ihren Oberkörper gezogen. Ein starker Herbstwind begrüßte sie draußen und ließ sie den knielangen Rock mit einer Hand an der Seite zusammenhalten, damit er ihr nicht allzu hoch wehte. Sie fröstelte. Um sich herum vernahm sie die laut schwatzenden Gleichaltrigen, ab und an kreischende Mädchen, noch in der Mittelstufe und mit weitaus kürzeren Röckchen.
 

Der erste Tropfen traf Make im Gesicht, ließ sie ihre Schritte beschleunigen und an anderen Schülern vorbei hasten, der bei diesem Wetter grau und eintönig wirkenden Umgebung keine Beachtung schenkend. Ihr Heimweg war lang und wenn sie noch halbwegs trocken dort ankommen wollte, hieß es, sich zu beeilen. Am Ende des Schulgeländes, welches fast am Stadtrand lag, schlug sie den Weg in ein abgelegeneres Viertel ein. Bisher kannte sie niemanden außer ihrer Adoptivschwester, der ebenfalls dort wohnte.
 

Und eigentlich, so überlegte sie, war es auch egal. Überhaupt war die ganze Schule unwichtig. Wofür brauchte sie das alles? Wozu sollte das gut sein? Geräuschvoll atmete Make aus und schüttelte den Kopf, schloss kurz die schwarzen Augen, setzte dann ihren Weg fort. Eine Weile lief sie auf dem Trampelpfad neben der Landstraße entlang, verlangsamte die Schritte immer weiter, bis man sie für eine gemütliche Spaziergängerin halten konnte. Blassgrünes Gras wiegte sich im abgeflauten Wind neben ihr hin und her, ein paar vereinzelte Büsche rauschten leise und beständig. Nur ab und an sah sie ein Auto an sich vorbeifahren, ansonsten erschien die Umgebung menschenleer, fast tot. Die graue, triste Welt hier draußen zog sie in ihren Bann, sie konnte nicht anders, musste sich umsehen, alles in sich aufnehmen, die Bilder, die sie sah, waren auf eine ihr unerklärliche Art und Weise faszinierend.
 

Erst als ihr Blick sich ein weiteres Mal gen Himmel richtete, nahm sie die Dunkelheit bewusst wahr. Obwohl es erst Nachmittag war, fühlte sie sich, als würde sie nachts umherwandern. Ihr Herz tat einen Sprung, ihre Schritte wurden wieder schneller. Ein weiteres Mal drang Donnergrollen an das Ohr der schwarzhaarigen Oberschülerin, diesmal viel näher als zuvor. Erschrocken riss sie ihre Augen auf, rannte den Weg fast und verwünschte ihren langen Schulweg ein weiteres Mal. Noch lange war sie nicht am Ende der Straße angelangt, an deren Ende sich ganz in der Nähe das kleine Haus ihrer Adoptiveltern befand.
 

Zwar konnte sie die Abzweigung bereits sehen, doch lag sie noch in weiter Ferne.
 

Noch ehe sie einen weiteren Gedanken klar fassen konnte, wurde der Himmel über ihr hell, fast weiß, als etwas wie ein Blitz direkt über ihr durch die Luft zuckte. Einen schrillen, kurzen Schrei ausstoßend hockte sie sich mit geschlossenen Augen nieder, presste die Hände auf die Ohren. Die Schultasche war achtlos neben ihr auf die Erde gefallen, ihre Knie berührten den Boden, als sie sich ihm entgegen beugte, darauf hoffend, das Gewitter möge sie verschonen.
 

Woher diese panische Angst kam, vermochte sie nicht zu sagen, nur dass sie schon ein Leben lang da war. In diesem Moment wünschte sie sich wie selten zuvor Gesellschaft, selbst ihre Adoptivschwester, Namida, wäre ihr jetzt recht. Obwohl sie das andere Mädchen noch nie wirklich leiden konnte. Ironie des Schicksals, dass Namida ausgerechnet diese Woche Ordnungsdienst hatte und erst einige Zeit später nachkommen würde.
 

Der Donner wollte gar nicht mehr aufhören, in ihren Ohren zu dröhnen. Nicht laut oder gar unerträglich, viel mehr angemessen, beständig, fast als ein Teil des normalen Lebens. Makes Atem ging schnell und unregelmäßig, die blassen Lippen zitterten vor Furcht.
 

Erst als ein Schrei durch den Donner an ihr Ohr drang, hob sie den Kopf. Suchend blickte sie sich um, wollte wissen, woher sie Stimme gekommen war. Es hatte nicht ängstlich oder erschrocken geklungen, vielmehr verärgert. Das Mädchen zog die Augenbrauen zusammen, ließ ihren Blick wieder über den Himmel und ihre Umgebung wandern, auf der Suche nach Blitzen und der Person, zu der die Stimme gehörte. Unfähig, sich zu bewegen, als sie die Herkunft dieser gefunden hatte.
 

Über ihr, einige Meter abgehoben vom Erdboden, erblickte sie drei Gestalten. Menschen, erkannte sie, genau wie Menschen sahen sie aus. Einen Moment lang glaubte sie, ihre Augen spielten ihr einen Streich, aber im nächsten wusste sie, dass es real war. Woher dieses Wissen kam, war ihr nicht klar, nur eine Gewissheit hatte sie: so lange sie sich erinnern konnte, war sie überaus bodenständig gewesen. Was auch immer in diesen Minuten sich über ihr abspielen mochte, so hoffte sie, dass es bald vorbei sein und sie alles vergessen können würde.
 

Doch konnte sie ihren Blick nicht von den Personen über ihr abwenden. Was dort geschah, war ihr ein Rätsel. Jedes Mal, wenn die Unbekannten aufeinandertrafen, gab es ein Geräusch wie ein Donner. Keinen konnte sie genauer erkennen, doch eine der Personen schien dunkler zu sein, es fiel ihr schwer, den Unbekannten zu beobachten, während die anderen beiden hell erschienen, wie komplett in weiß gekleidet, fast leuchtend. Mit einem Mal trat Stille ein, in der Nähe der dunkleren Person glänzte etwas und nur Sekunden später leuchtete die Umgebung gleißend hell. Als würde ein Blitz auf die Erde niederfahren.
 

Make, die bisher mit schreckgeweiteten Augen und vor Angst offen stehendem Mund zugeschaut hatte, beugte den Kopf wieder dem Erdboden entgegen, doch unfähig, die Augen zu schließen. Auch ihre Hände pressten sich nicht panisch auf die Ohren, sondern krallten sich auf Höhe ihrer Schlüsselbeine in die Jacke der Schuluniform. "Aufhören", flehte sie leise zu sich selbst, ihre Stimme zitterte und war unnatürlich hoch.
 

Einige Zeit, die die Schwarzhaarige nicht einzuschätzen vermochte, verstrich ohne weitere Donner oder gar Blitze. Das Letzte, was sie hörte, waren zwei dumpfe Geräusche ganz in ihrer Nähe. Mit ruhigem Atmen versuchte sie, ihr rasendes Herz zu beruhigen, als sie den Kopf hob, um sich umzusehen. Ihr erster Blick wanderte gen Himmel, doch dieser war leer. Nur dunkle, bedrohliche Wolken zogen sich darüber, keine Person weit und breit war zu sehen. Auf der Wiese jedoch, die sie wie zufällig mit ihrem Blick streifte, bemerkte sie zwei Körper. Helle Körper. Wie die beiden, die sie eben am Himmel beobachtet hatte. Sie lagen nicht allzu weit entfernt und ihr erster Impuls war, zu ihnen zu laufen und zu fragen, ob alles in Ordnung war. Doch keiner regte sich mehr. Vor dem dunklen Hintergrund erkannte sie erst jetzt die dritte Gestalt, die zwischen den beiden Menschen stand. Zumindest vermutete Make, dass es Menschen waren.
 

Die stehende Person hatte ihr Augenmerk auf die Jugendliche gerichtet und lief nun mit schnellen Schritten auf sie zu, hinter ihm schienen die Körper in einem Licht zu vergehen, sich aufzulösen. Nur wenige Momente später zeugte nichts mehr davon, dass sie jemals real gewesen sein mochten. Wie von selbst kam Make auf die Beine, bemerkte jedoch ihre zitternden Knie. Ein paar Mal schluckte sie kräftig. Als der Unbekannte näher kam, erkannte sie in ihm einen Mann mit langen, schwarzen Haaren, zerzaust von einem imaginären Wind. Sein langer, ebenso schwarzer und eng anliegender Mantel war geschlossen und nur das Ende schlug beim Laufen um seine Füße, die, erstaunlich genug, nackt waren. Je näher er mit seinem federnden Gang kam, desto ruhiger wurde Make. Das Zittern ließ nach und auch ihr Herzschlag beruhigte sich. Unerklärlicherweise.
 

Ein Lächeln, welches man nur als warmherzig beschreiben konnte, breitete sich auf dem Gesicht des Mannes aus. "Da bist du ja!", rief er ihr entgegen und rannte die letzten Meter auf sie zu. "Sie haben dich nicht erwischt, oder?" Ohne eine Antwort abzuwarten, oder gar zu erklären, was er mit dieser Frage meinte, strich er über ihre kurzen Haare und musterte sie eingehend, bevor er geräuschvoll ausatmete. "Nein, zum Glück nicht. Das wird deinen Vater freuen." Er blickte in Makes verwirrtes Gesicht, seine eisblauen Augen schienen nach etwas wie Verstehen oder einer Antwort zu suchen.
 

"Wer sind Sie? Was ist eben passiert?" Die Fragen brachen leise aus der Schwarzhaarigen heraus, ihre Stimme hatte etwas Brüchiges, wie eine uralte Pergamentrolle, die beim ersten Berühren zu Staub zerfallen wollte.
 

Der Fremde griff sich mit einer Hand in die Haare, machte ein undefinierbares Geräusch, während er die Umgebung eingehend betrachtete. "Richtig, darum bin ich ja hier", murmelte er wie im Selbstgespräch, bevor er Make wieder aufmerksam anblickte, "aber du wirst mir nicht glauben." Der Mann, gut einen Kopf größer als Make, sank auf die Knie und verbeugte sich vor ihr. "Mein Name lautet Fuzen, ich bin im Auftrag, dich in die Heimat zu bringen hier, Make Hitonokotai. Was eben passiert ist, ist leicht erklärt. Zwei Diener des Herrn über den Wolken, in deiner Sprache Engel genannt, wollten dich töten, also musste ich einschreiten. Durch einen glücklichen Zufall war ich ebenfalls auf den Weg zu dir." Fuzen blickte zu ihr auf.
 

Von der Begrüßung verwirrt und erschrocken wagte Make es, sich zu bewegen, einen Schritt nach hinten zu gehen. "Sie... brauchen nicht vor mir zu knien. Bitte, stehen Sie auf. Außerdem... ich äh... ich verstehe kaum die Hälfte, was Sie von sich geben", gab sie zu, "und ich glaube auch nicht an Engel. Eigentlich dachte ich... sie wären nur eine Erfindung. Wieso gibt es sie? Warum sollten sie mich töten wollen? Ich bin verwirrt." Die Hände, welche sie bis eben noch immer im Stoff ihrer Jacke vergraben hatte, ließ sie nun langsam neben sich sinken. "Warum?"
 

Der Mann erhob sich wieder, sie nicht eine Sekunde aus den Augen lassend. Sein Lächeln war verschwunden und hatte einem ernsten Ausdruck Platz gemacht. Make konnte nicht einmal schätzen, wie alt er sein mochte, so wandelbar wirkte er mit diesen verschiedenen Gesichtsausdrücken. "Es ist zu viel, um alles zu erklären. Vor allem hier und jetzt, wo sie wissen, dass du hier bist. Dass du lebst. Es ist nicht sicher. Die Kurzform ist, dass-" Plötzlich verstummte er, blickte rechts die Straße hinunter und einen Moment später hatte er sich in einem schwarzen, wabernden Rauch aufgelöst, der langsam mit der Luft zu verschmelzen schien. Make streckte eine Hand nach ihm aus, doch verteilte sie den Rauch nur noch mehr.
 

"Was ist denn? Was soll das?", fragte sie in die aufgekommene Stille hinein, ehe sie dem letzten Blick Fuzens folgte und ihre Schwester die Straße entlangkommen sah. Namida. Ihre Schwester.
 

Das jüngere Mädchen lief schnellen Schrittes auf Make zu, ihre langen, blonden Haare schwangen als Pferdeschwanz hinter ihr hin und her. "Make! Da bist du! Ich habe dich gesucht", rief sie der Älteren zu, als sie näherkam. Ein paar Schritte, bevor sie direkt vor der Schwarzhaarigen stand, blieb Namida stehen. "Mein Gott, was ist denn passiert? Du siehst blass aus", fragte sie und etwas, das Make als echte Besorgnis deuten würde, spiegelte sich im Gesicht ihrer kleinen Schwester.
 

Langsam schüttelte Make den Kopf, versuchte dabei, sich möglichst unauffällig nach dem Mann, nach Fuzen, umzublicken. "Das Wetter... das wird es sein", schloss sie, nachdem sie nichts entdecken konnte und somit gezwungen war, ihre Beobachtungen einzustellen und Namida zu antworten. Es war noch nicht einmal gelogen. "Gehen wir heim. Es fängt bald an zu regnen." Make machte kehrt und lief weiter die Straße hinunter. Ihre Knie waren weich, dennoch zwang sie sich, so sicher wie möglich zu wirken. Trotzdem pochten Fragen in ihrem Kopf. Warum alles real gewesen war, warum es passiert war, neben der Frage, die sie sich ihr Leben lang schon stellte - wer sie wirklich war.
 

***
 

Ort: Himmel
 

Jung, fast kindlich und auf eine undefinierbare Art unreif kam sich Salathiel vor. Irgendwie töricht. "Jeremiel schickt mich", begann er, noch immer kniend und den Kopf nach unten gesenkt, "Ihr wisst, er ist Verkünder. Er sagt, die Zeit, die Bitte zu stellen, sei gekommen." Seine braunen Augen suchten den weißen Marmorboden nach einem Punkt in dem kaum zu erkennenden, hellgrauen Muster ab, den er fixieren konnte. Er fand keinen, so richtete er seine Augen auf die eigene Faust, die geballt auf eben diesem kalten Boden auflag. Auf dem Weg hierher war er so sicher gewesen, hatte die Gewissheit gehabt, seine Zeit sei endlich gekommen. Die Zeit, dem Herrn ein erstes Mal eine richtige Aufgabe erfüllen zu dürfen. Doch wie er hier kniete, seine zierliche Gestalt in dem schlichten, blauen Frauenkleid, die gewellten, dunkelbraunen Haare über den Rücken fallend, vor den größten der beiden Erzengel, da sah er sich als ein ungeduldiges Kind, klein und ungeduldig.
 

Vor ihm, nur drei niedrige Stufen höher, blickte Gabriel nach links. Nur einen kurzen Moment fanden seine Augen die Michaels, der seinen Blick erwiderte. Wie ein stummes Gespräch, ein Übereinkommen mochte es für das Auge eines zufälligen Betrachters wirken. Nach einem kaum merklichen Nicken seitens Michael wandten sie sich beide wieder dem jungen Salathiel zu. "Nun zögere nicht so lange", erklang die helle Stimme Gabriels, der einen Arm auf der ebenfalls marmornen Lehne seines kleinen Thrones abgestützt hatte und mit einer Strähne seines langen, weizenblonden Haares spielte. "Was hast du uns vorzutragen?" Die gewohnte Gereiztheit schwang mit, was Salathiel nur noch nervöser machte.
 

Doch der Jüngste der Erzengel fasste sich ein Herz, holte tief Luft und hob den Kopf, die Augen geschlossen haltend. "Der kindliche Messias der Neuzeit wandelt auf Erden", begann er, im nächsten Moment schalt er sich einen Idioten. Die beiden Höheren wussten bereits davon, da war er sicher. "Ich stelle die Bitte, das Mädchen von der Gegenwart des Hitonokotai zu befreien und in die Heiligtümer des Himmels zu führen. Als 'Führer des Volkes' wies mir einst Jeremiel diese Aufgabe zu und nun ereilte mich die Botschaft, die Zeit sei gekommen."
 

Langsam, zögerlich öffnete er seine Augen und blickte abwechselnd in die Gesichter Gabriels und Michaels. Beide wirkten nicht überrascht, Michael fast schon ungerührt, doch Salathiel war bekannt, dass der, der die Frage in seinem Namen trug, in den seltensten Fällen etwas Annäherndes wie Interesse bekundete. Je länger er auf eine Antwort warten musste, desto nervöser wurde der Braunhaarige wieder und der Zweifel, die Zeit sei doch noch nicht reif, beschlich ihn. Ein Versuch, ihn mit Jeremiels Worten aus seiner Erinnerung auszulöschen, scheiterte.
 

"Jeremiel, der Verkünder", murmelte Michael vor sich hin, ehe er seinen Blick über die schmucklosen Wände gleiten ließ. Schlussendlich fanden seine hellblauen Augen zurück zu dem Jungen vor sich. Die Worte des weisen Engels, der sich in die Abgeschiedenheit geflüchtet hatte, waren Gesetz. Er war der Seher der Zeit, rief sich Michael ins Gedächtnis und war sicher, dass Gabriel dies auch so sah. Darum wandte er seinen Blick nicht zu seinem blonden Gefährten, sondern nickte Salathiel zu. "Hol sie."
 

Einen Augenblick brauchte der kniende Erzengel, um zu begreifen, dass er die Erlaubnis hatte, die ihn so viel Zeit mit Warten und Nichtstun verbringen hatte lassen. Mit zaudern, zögern, mit der Angst, den einmaligen Augenblick der Bitte verpasst zu haben. Doch Michaels Zusage, seine zwei einzigen Worte, die er an ihn gerichtet hatte, waren Bestätigung genug. Auch wenn er nicht lächelte, so zeugte sein Gesicht von Freude, als Salathiel auf die Beine kam und sich verbeugte. "Vielen Dank", brachte er heraus, bevor er sich umdrehte und mit wehendem Gewand versuchte, so bedächtig, langsam wie möglich der großen Tür am Ende des langen Raumes entgegenzugehen.
 

Ein wenig amüsiert klang Michael, als er dem Jüngsten hinterher rief: "Nun mach schnell!" Im nächsten Moment war Salathiel so schnell wie möglich laufend verschwunden, die Tür aus hellem Ahornholz geschlossen. Der Mann mit dem hellbraunen, lockigen Haar wandte sich Gabriel zu. "Waren wir jemals wie er?"
 

Das Schulterzucken seitens des Blonden blieb die einzige Antwort, die er erhielt.



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