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Die Vergessenen Wächter

(KaRe) Der Zauber einer anderen Welt
von

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Sechs Tode sterben

Irritiert stellte Kai fest, wo er war. Er stand mitten in einem Wald, ein zartorangenes Lichtermeer ergoss sich über den weichen Waldboden, das die Sonne durch die bereits verfärbten Blätter der Baumkronen warf. Es war das letzte, was er erwartet hatte. Vor allem, weil er diesen Wald nur zu gut kannte. Die Bäume, die hier standen, die Büsche, die bunten Waldblumen, er kannte alles hier. Der Pfad, der sich zwischen den Stämmen hindurch schlängelte, war er selbst schon einige Male gegangen in letzter Zeit. Es war der Pfad, der ihn direkt zum See bringen würde, direkt zum Tempel in den Bergen, wo Rei wohnte. Doch das war unmöglich. Immer schneller wurden seine Schritte. Das wollte er sehen, mit eigenen Augen. Doch da war er, als Kai den Ast zur Seite zog, um auf den See blicken zu können, mittendrin erhob sich der Tempel aus dem Wasser. Ohne sich die Schuhe auszuziehen, trat er hastig auf den Steg, der ihn zum Eingang bringen würde.

Schwungvoll riss er die Tür auf, schritt durch die Eingangshalle zur Treppe, die ihn nach unten führte. Oben musste er nicht nachsehen, schon von Weitem hatte er gesehen, dass Rei dort nicht war und sollte er tatsächlich hier im Tempel sein, dann unten. Doch noch zögerte er, nahm jede Stufe einzeln. Die Frage, wieso Rei hier sein sollte, brannte in seinem Kopf und unzählige verschiedene Möglichkeiten nahmen in seinen Gedanken Gestalt an, unter anderem, dass Rei zwar in der Schattenwelt gestorben war, aber seine Seele zurück in die reale Welt, zurück in ihre Dimension gegangen war. Er traute diesem Brooklyn nicht, und er glaubte ihm nicht, dass er sich hier im Limbus befinden sollte. Der Limbus war die grauenhafte Vorhölle, ein Ort ohne Ausweg, doch das hier, das waren die grünen Berge in den Tiefen Chinas. Das hier war die traumhafte Realität, der Limbus war der zwischenweltliche Albtraum. Er erinnerte sich an das, was der Hüter der Tore gesagt hatte, dass der einzige Ausweg aus dem Limbus der Tod sei und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er hatte dafür gesorgt, dass Reis Schutzstein zerstört werden konnte. Er hatte sie dem Schwarzen Nichts ausgesetzt, ohne sie darüber aufzuklären und nun, nun wollte er Rei umbringen lassen. Durch ihn. Kai. Es klang logisch. Doch das Warum ließ sich nicht so einfach beantworten.

Seine Hand hatte sich zur Faust verkrampft. Sollte sich herausstellen, dass er mit seinen Vermutungen richtig lag, er würde Brooklyn eigenhändig an die Gurgel gehen. Doch dafür musste er erst Rei finden.

„Rei?“, rief er, als er unten war.

Zu seiner Rechten öffnete sich eine Tür. Dort war Reis Schlafgemach, und durch den Spalt steckte eben dieser seinen Kopf.

„Kai! Gut, dass du wieder zurück bist, hilf mir mal.“

Verwirrt blieb er einen Augenblick stehen, folgte ihm dann jedoch in das Zimmer. Da war Rei, putzmunter und fröhlich, hockte auf dem Boden und wühlte in einem Haufen Dinge, denen Kai jedoch keine Beachtung schenkte. Er lebte. Es ging ihm gut.

„Wie viele Runden hast du denn gemacht? Wir wollten doch noch trainieren“, plapperte er, ohne dass er Kais verwunderten Blick bemerkt hätte und erhob sich, „hier dein –“, doch weiter konnte er nicht sprechen, denn Kai hatte die Arme um ihn geschlungen und ihn an sich gezogen. Ganz dicht, ganz fest. Er presste die Lippen gegen seine. Überrascht riss Rei die Augen auf und hätte beinahe Kais Schwert und den Dolch fallen lassen. Mit solch einer stürmischen Begrüßung hatte er überhaupt nicht gerechnet und erst recht nicht, dass Kai ihn küssen würde.

„Kai, was-?“, wollt er fragen, doch der Krieger schüttelte nur den Kopf.

„Egal, was wolltest du sagen?“

Rei sah ihn fragend an, eine Augenbraue hochgezogen, hob dann aber das Schwert.

„Dein Schwert und der Dolch, wir wollten doch trainieren.“

Kai blickte auf das Schwert. Sein Schwert. Sein altes Schwert. Er griff nach dem Schwert an seinem Gürtel und musste feststellen, dass das nicht mehr da war. Stirnrunzelnd griff er nach den Waffen und folgte Rei nach draußen. Sein altes Schwert war also noch da. Doch das würde auch bedeuten, dass sie weder bei Boris gewesen waren, noch bei Makkusu, Yuriy oder Takao. Die ganze Geschichte hatte nie stattgefunden. Das hier war die Vergangenheit.
 

Auf der Wiese angekommen, forderte Rei ihn zu einem Kampf heraus. Er nickte und hielt das Schwert in beiden Händen, während der Chinese nur mit einem simplen Holzstab bewaffnet war. Kai erinnerte sich an das einzige Mal, als Rei bewaffnet gekämpft hatte. Da hatte er sein Schwert zerbrochen und der erwartete Stich im Herz blieb aus, zu gerne mochte er Boris’ Waffe. Er blickte zu Rei, der tief in die Knie gegangen war und wartete, dass er angriff. Also griff er an. Er sah die Klinge auf Reis Gesicht zurasen, sah Rei im letzten Moment ausweichen.

Schwungvoll ließ er das Schwert mit einer Ganzkörperdrehung weiterschwingen, doch plötzlich war da ein Fuß direkt vor seinem Gesicht. Mit einer freien Hand schob er das Bein zur Seite und blickte direkt in Reis grinsendes Gesicht. Er stieß ihn am Fuß zurück und stürzte sich erneut auf ihn. Etwas notbedürftig wurde sein Schwerthieb mit dem Stab geblockt, hinterließ eine tiefe Kerbe im Holz. Es knackte gefährlich. Rei atmete tief ein. Kai bemerkte den plötzlichen Stimmungswandel. Er hatte das schon einmal gesehen. Er nahm Reis Anspannung wahr, wie sich seine Muskeln zusammenzogen. Er holte aus und Kai entdeckte, was ihm das letzte Mal verborgen geblieben war. Die feinen grünlichen Funken, die er aussprühte. Es war reiner Instinkt, dass Kai seinen Fähigkeiten freien Lauf ließ. Flammen umschlangen die lange Klinge seiner Waffe und zerbarsten das Holz, als wäre es ein Windhauch.

Rei wusste nicht, wie ihm geschah, als Kai das Schwert plötzlich fallen ließ, sich auf ihn stürzte und ihn zu Boden riss. Mit aufgerissenen Augen starrte er ihn an.

„Kai, was war das denn? Wieso kannst du das?“, fragte er perplex.

„Ich kann auch ganz andere Dinge“, raunte Kai ganz dicht an seinem Ohr und er ließ seine Körperwärme bewusst ansteigen.

Da kam ihm in den Sinn, dass Brooklyn seine Fähigkeiten an sich genommen hatte, bevor er durch das Portal hierher kam. Und doch besaß er sie noch. Ihm schoss durch den Kopf, dass das wohl alles nur ein Traum gewesen war. Dass er trotzdem seine Fähigkeiten so gut einzusetzen wusste, ignoriere er getrost.

„Beherrsch dich!“, warnte Rei und holte ihn damit aus seinen Gedankenströmen.

„Wieso?“, grinste Kai lediglich und beugte sich noch etwas tiefer über ihn, ließ seine Lippen an Reis Hals entlang streichen.

Er spürte, wie Rei unter ihm erschauderte und die Hände in seine Arme krallte. Kai konnte nicht anders, er musste ihn küssen. Zu sehr hatte er Angst gehabt, ihn nie wieder sehen zu können, nie wieder diese Haut berühren zu können, nie wieder diese perfekten Lippen fühlen zu können. Er drückte die Lippen auf Reis Mund, der leicht geöffnet war und küsste ihn stürmisch, ließ seine Finger unter das Hemd gleiten und zog ihn in einen Strudel der Leidenschaft. Nach einigen halbherzigen Protestversuchen gab Rei schließlich auf und gab sich ihm hin, vergrub die Finger in Kais Haaren, legte die andere Hand auf seinen Oberarm, wo er langsam unter den Stoff des Ärmels glitt.

Kai rechnete jeden Moment damit, dass Rei abbrach. Doch er tat es nicht. Er gab sich ihm hin, ließ zu, dass Kai ihm das Hemd über den Kopf streifte und er selbst war erregt und überfordert zugleich, denn er war sich sicher, dass Rei dies niemals zugelassen hätte. Sanft fuhr er mit den Fingern über Reis Bauchmuskeln und stoppte abrupt. Beinahe traute er seinen eigenen Augen nicht. Vorsichtig fuhr er mit einem Finger über die vier hellen Narben und spürte deutlich, dass sie sich von der Haut abhoben. Sie waren da, die vier Wunden, die Rei beinahe umgebracht hätten und sofort schwirrten seine Gedanken durcheinander, wenn diese Narben existierten, dann musste doch alles passiert sein, was aber ebenfalls bedeutete, dass er in Betracht ziehen musste, dass er sich hier nicht in der Realität befand. Er ließ die Hand zu Reis Rücken gleiten und spürte auch da die Abhebungen der Narben, da wo die vier Krallen der schwarzen Kreatur ihn durchbohrt hatten.

„Woher hast du die?“, fragte Kai mit rauer Stimme.

„Ist das wichtig?“, flüsterte Rei und zog ihn in einen erneuten Kuss, doch Kai brach ihn ab.

„Ja, für mich schon“, beharrte er und blickte Rei durchdringend an.

„Ich weiß es nicht, ich hatte sie schon immer, seit Geburt. Muss wohl in einem früheren Leben passiert sein“, meinte er schulterzuckend und hob die Hand, um Kais Kopf zu sich zu drehen und ihn zu küssen.

Kai blockte ab. Nein, das konnte nicht sein. Und das hier war unmöglich Rei, denn Rei hätte niemals zugelassen, dass Kai so weit gehen könnte und niemals hätte er so gleichgültig über ein früheres Leben gesprochen. Und doch, die Vorstellung, ihn zu töten, machte ihn verrückt. Seine Finger schlossen sich um den Griff seines Dolches, der in seinem Gürtel steckte.

„Kai, alles in Ordnung?“ hörte er Rei ernst fragen und seine Finger lösten sich wieder.

Nein, zuerst musste er sich vollends sicher sein, dass das hier nicht der echte Rei war.
 

„Rei, was weißt du über den Limbus?“, fragte er beim Abendessen.

Der Chinese ließ seine Essstäbchen sinken und sah ihn stirnrunzelnd an.

„Wieso willst du das wissen?“, fragte er.

„Gibt es eine Möglichkeit, jemanden da raus zu holen?“, überhörte er jedoch die Frage.

„Naja, es gibt diese Vorstellung, dass nur der Tod einen herausholen kann, doch das Problem dabei ist, dass wohl kaum jemand einen Freund töten würde, um zu sehen, ob das wirklich funktioniert.“

„Gefangen zu sein in der Vorhölle, stelle ich mir furchtbar vor. Ich denke nicht, dass es dort besonders schön ist“, suggerierte Kai.

Rei kicherte.

„Es hat nicht wirklich etwas mit der Hölle zu tun, es heißt lediglich so, doch in Wahrheit ist es nur eine Zwischenwelt, wo die Seelen in einer Illusion ihres wahren Lebens dahin vegetieren“, seufzte Rei.

Kais Augenbrauen zogen sich tief nach unten.

„Wieso weißt du das?“, fragte er.

„Ich weiß nicht, ob es stimmt, ich habe es lediglich so gehört.“

„Würdest du wollen, dass ich dich töte, wenn du im Limbus gefangen bist?“, fragte Kai geradehinaus und Rei starrte ihn ungläubig an.

„Was? Natürlich nicht!“

Kais Blick verdüsterte sich. Ein falsches Lächeln legte sich auf seine Lippen. Rei hätte niemals so geantwortet. Niemals. Er hätte ihn sogar mit Sicherheit noch schwören lassen, dass er ihm nicht in den Limbus folgen sollte, würde es einmal dazu kommen. Er erhob sich und stellte sich hinter Rei, beugte sich über ihn und flüsterte ihm ins Ohr.

„Ich werde dich zurück holen, Rei.“

Ohne noch weiter zu zögern, zog er den Dolch und rammte ihn Rei in die Brust. Und dann lag er plötzlich auf weichen Fellen, Rei war ganz dicht über ihn gebeugt, seine hellen Augen schauten ihn erwartungsvoll an.

„Du bist betrunken“, rutschte es ihm aus der Kehle.

„Mag sein“, lächelte er jedoch nur und beugte sich tiefer über ihn, verschloss Kais Mund mit seinen Lippen.

Kai konnte sich nur zu gut daran erinnern, dieser erste Kuss hatte sich ihm ins Gedächtnis gebrannt, jedes Detail war ihm noch im Bewusstsein. Auch die Lippen, die ihn so fordernd küssten, so zart und leidenschaftlich zugleich, etwas rau von der Kälte. Doch die Lippen hier waren keineswegs rau. Sie waren weich und sanft und luden zum Küssen ein. Kai versank beinahe darin, er wollte sich fallen lassen, wollte, dass es nicht mehr aufhörte und doch rief sein Verstand, dass Rei schon längst hätte abbrechen sollen. Und trotzdem, zumindest ein bisschen wollte er dies noch auskosten. Er ließ seine Hand über Reis wohlgeformten Hintern gleiten, den die Felle nun nicht mehr bedeckten, und zog ihn etwas nach oben. Rei stöhnte leise in den Kuss hinein und Kai schmolz fast, als es diesen Laut hörte, nur zu gerne würde er mehr davon hören. Nur zu gerne. Doch das hier war nicht echt. Und obwohl Kai am liebsten alle seine guten Vorsätze über Bord geworfen hätte, wusste er, dass er handeln musste. Er fingerte nach dem Dolch, der neben den Fellen am Boden lag. Diesmal würde es ihm nicht so schwer fallen. Er nahm das Messer fest in den Griff und stach erneut zu, mitten in den Rücken, zwischen die Schulterblätter.

„Verzeih“, hörte er sich selbst sagen und er bemerkte gerade noch Reis verwirrt blinzelnde Augen, bevor er die Lippen auf seine drückte.

Er spürte Reis leisen Protest, der jedoch nach kurzer Zeit versiegte. Tanzmusik drang an seine Ohren und genau vor dem Vorhang, hinter dem sie standen, lachte eine Frau penetrant auf. Kai presste sich näher an Rei, drückte ihn zwischen sich und der Wand ein. Ihre Knie schoben sich ineinander.

„Bitte Rei, lass uns von hier verschwinden“, flüsterte Kai in Reis Ohr.

Er nickte und hintereinander kamen sie hinter dem Vorhang hervor, schlichen sich durch den Tanzsaal und huschten aus der Tür, suchten das Zimmer auf, das Yuriy ihnen zuvor gezeigt hatte. Rei lehnte sich gegen die Tür, die ins Schloss fiel, und blickte ihn an. Kai zögerte. Dieser Rei schaute ihn abwartend und doch etwas zweifelnd an, als würde gleich etwas auf ihn zukommen, das er nicht kontrollieren konnte und das mochte er nicht. Der Krieger hob eine Hand und legte sie sachte an Reis Wange, wollte ihm zeigen, dass er Rücksicht nehmen würde.

„Ich habe nachgedacht“, hörte er ihn flüstern, „du magst recht haben, was das betrifft, aber ich will auf keinen Fall, dass diese Zuneigung auf irgendeine Weise unsere Mission beeinflusst.“

Kai nickte und küsste ihn, diese Worte wollte er hören und die Bedingung, die er gestellt bekommen hatte, war einzuhalten. Er stockte. Nein, er hatte sich nicht daran gehalten. Nur die Zuneigung zu Rei hatte ihn dazu geführt, ihm in den Limbus zu folgen, niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, das bei irgendjemand anderem zu tun. Außerdem hätte Rei nicht gewollt, dass Kai seine Kräfte, geschweige denn sein Leben aufs Spiel setzen würde, nur um ihn zu retten. Und trotzdem konnte er mit gutem Gewissen dahinterstehen. Sie brauchten Rei.

Er küsste ihn auf den Mund und spürte, wie Rei die Leidenschaft vorsichtig erwiderte. Er spürte die Hände im Nacken und halb auf den Ohren und wie sie ihn etwas näher zogen. Ermutigt ließ er die Finger unter das Hemd gleiten und streichelte seinen Bauch. Keine Narbe war zu spüren.

„Wärst du wütend auf mich, wenn ich dir in den Limbus folgen würde?“, fragte Kai flüsternd.

Rei blickte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Wieso solltest du so etwas tun?“, fragte er.

Kai küsste ihn aufs Ohr und flüsterte hinein.

„Um dich dort heraus zu holen.“

„Nein“, sagte er wütend, schubste ihn weg und starrte ihn an, „das wäre zu gefährlich.“

„Und wenn ich genau wüsste, wie man hinein und wieder hinaus gelangt?“, bohrte Kai nach.

Dieser Rei war unglaublich realistisch.

„Woher solltest du das wissen?“

Eine perfekte Illusion. Beinahe.

„Brooklyn“, meinte Kai simpel.

„Du weißt doch, dass ich ihm nicht traue. Du darfst nicht auf ihn hören.“

Kai Augenbraue zuckte nach oben. Es konnte zwar sein, dass die Illusionen stetig besser wurden, vielleicht hatte der Limbus sogar ein eigenes Bewusstsein, doch es konnte ihn nicht täuschen, nicht, wenn es um Rei ging. Mit einer blitzartigen Bewegung zückte er seinen Dolch und trieb ihn ihm in den Bauch.

Kai blinzelte, die Sonne schien ihm ins Gesicht. Um das grelle Licht abzuschirmen, hob er eine Hand vor die Stirn und bemerkte bei dieser Bewegung, dass er Rei im Arm hielt. Dieser wurde gerade wach und lächelte ihn an.

„Guten Morgen“, nuschelte er und strich sich die Haare aus dem Gesicht.

Kai grinste. Er wusste genau, wo er war und nur zu gerne erinnerte er sich an diese erste gemeinsame Nacht in einem Bett. Es war kurz vor Anfang der Mission gewesen.

Rei verzog etwas das Gesicht.

„Was ist?“, fragte Kai.

„Schmerzen“, nuschelte Rei und errötete.

„Wovon?“, fragte Kai überrascht.

„Muss ich das aussprechen?“, murrte Rei.

Kais Mundwinkel verzogen sich. Der Limbus mochte sich zwar seine schönsten Erinnerungen mit Rei ausgesucht haben, doch anscheinend wusste es nicht, dass sie nicht miteinander geschlafen hatten.

„Entschuldige“, flüsterte er mit seinen Lippen auf Reis, dann stach er zu.
 

Mit dem Schwert in der Hand rannte er so schnell er konnte auf Rei zu, hinter welchem sich gerade die schwarze Kreatur aufbaute. Er schrie und sah Rei, der ihn anstarrte, sein Blick schweifte zurück zur schwarzen Kreatur, die den Arm hob. Er konnte schnell genug sein, er musste sich nur beeilen. Seine Schritte wurden länger, kräftiger stieß er sich vom Boden ab. Er hob das Schwert und stieß zu und er hörte einen Schrei, der ihm in den Ohren schmerzte. Doch es war Reis Schrei, direkt neben seinem Ohr und er fühlte warmes Blut über seine Hand strömen. Irritiert blickte er nach unten und sah sein Schwert, wie er es Rei bis zum Ansatz in den Bauch getrieben hatte. Entsetzt ließ er es los und wich einige Schritte zurück. Das wollte er nicht. Er sah, wie Rei an sich hinunterblickte, sich an den Bauch fasste, sah, wie er einsackte und sein Körper ohnmächtig zu Boden ging. Er hatte Rei umgebracht. Nicht das schwarze Wesen war es gewesen, sondern er hatte ihn umgebracht. Alleine wegen ihm war Rei gestorben. Er hatte ihn abgelenkt. Es war seine Schuld.

Immer mehr solche Gedanken strömten in sein Bewusstsein und verzweifelt fiel er auf die Knie und griff sich an den Kopf, der unglaublich schmerzte.

„Was hast du getan, Kai“, hörte er Makkusu anklagend schreien und er sah die beschuldigenden Augen der anderen Wächter, die ihn verachtend anstarrten.

Die schwarzen Gestalten um ihn herum kamen immer näher, bildeten einen Kreis und kesselten ihn ein und die anderen Wächter wandten sich ab, überließen ihm seinem Schicksal, das er verdient hatte. ‚Der Tod ist der einzige Ausweg aus einem Traum’, hörte er plötzlich Reis Stimme in seinem Kopf widerhallen. Das hier musste ein Traum sein. Das konnte nichts anderes sein. Er blickte zu Rei, der tot am Boden lag, die Wächter um ihn herum und seine Faust verkrampfte sich um den Griff seines Dolches. Es war die einzige Möglichkeit. Er musste sich selbst töten. Er biss sich auf die Lippen und rammte sich den Dolch in den Bauch. Stockend atmend blickte er nochmal zu Rei, sah, wie die Welt um ihn herum langsam unscharf und dunkel wurde. Dann war alles schwarz.

Als er die Augen wieder aufschlug, saß er auf der Wiese der heiligen Lichtung, Rei lag vor ihm und Makkusu kümmerte sich mit konzentriert angespanntem Gesicht um seine Wunden. Die anderen Wächter standen um sie herum und warteten.

„Es war zu spät“, hörte er plötzlich Makkusu verzweifelt flüstern und er schlug mit den Fäusten ins Gras. Bittere Tränen strömten über sein Gesicht.

„Aber sieh doch, sein Gesicht.“

Kai starrte auf Reis Gesicht, sah, wie es langsam wieder etwas Farbe annahm, seine Wangen und Lippen wieder durchblutet wurden.

„Nein, ihr versteht das nicht“, schrie der Schamane und er klang furchtbar verzweifelt, „sein Körper lebt, aber seine Seele ist gefangen-“, fing er an, wurde jedoch unterbrochen.

„Im Limbus“, hörte Kai sich selbst sagen und Makkusu nickte.

Als er in die Runde fragte, wer etwas über den Limbus wusste, meldete sich Kyojou eingeschüchtert zu Wort und erzählte ihm die Geschichte, die er schon gehört hatte. Irgendwo hatte er sie schon einmal gehört, doch er konnte sich nicht erklären wo und von wem. Rei war es nicht gewesen, er hätte sich an die Stimme erinnern können.

Willenlos wie eine Marionette fühlte er sich aufstehen und zur kleinen Baumgruppe gehen, hörte sich wütend nach Brooklyn brüllen. Hasserfüllt blickte er ihn an, als er endlich zu ihm heran schritt und er packte ihn sogleich am Kragen, doch Brooklyn lächelte ihn nur an. Dieses widerliche, naive Lächeln. Sein Blick fiel auf den Ring an seiner Hand, die roten Funken leuchteten, viel stärker als die anderen farbigen Splitter im weißen Stein und genau das war es, was ihn verriet. Kais Erinnerung kam zurück. Wutentbrannt schnappte er den Dolch, schubste Brooklyn von sich weg, nicht ohne ihm einen wütenden Blick entgegen zu schleudern. Nur zu gerne hätte er ihn umgebracht. Doch er traute sich nicht, wusste er schließlich nicht, was passieren würde. Mit gezücktem Dolch rannte er zurück zu den anderen Wächtern und wollte sich gerade auf Rei stürzen, da sah er, wie dieser ihn verwirrt anblinzelte. Er sah, wie sich sein Mund zu einer stummen Frage öffnete, doch es war zu spät. Kai konnte nicht mehr anhalten. Mit irren Augen bohrte er die Klinge in Reis Brust, genau dort, wo das Herz war.

Bevor er weiter denken konnte, hörte er einen wütenden Schrei und die heilige Lichtung zerfiel. Funkelnde Kristalle regneten von der Decke herunter, der Boden unter ihm löste sich auf, die Tore verschwammen und alles zerbrach in kleine Splitter, die ins schwarze Nichts entschwebten. Er war müde. So unglaublich müde. Er wollte schlafen. Und doch wusste er, wenn er aus diesem Albtraum entfliehen wollte, musste er es noch einmal schaffen. Er hob den Dolch. Ein letztes Mal.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Jeschi
2012-02-22T16:09:49+00:00 22.02.2012 17:09
Ich wusste doch, dass Brookie einen druchtriebenen Plan hat.
Ich musste den Teil zwar zweimal durchgehen, ehe ich wirklich verstanden habe, was los ist.
Aber jetzt bin ich umso empörter! ^^"
Jetzt möchte ich aber auch wissen, warum Brooklyn das tut!

Boar, das Ganze ist echt heftig.
Aber so langsam komm ich drauf klar.
Mit jedem Mal töten wid es realistischer, weil es auch der Realität näher kommt. Oder? @.@
Jedenfalls~ Das er ihn immer wieder töten muss, ist echt tragisch. x.x
Vor allem, weil er ja immer erst gucken muss, ob es tatäschlich der echte Rei ist oder nicht.
Der arme Kai. Das nimmt ihn doch sicher mit.
Ich wundere mich, dass du bisher nicht darauf eingegangen bist~
Von: abgemeldet
2012-01-04T20:08:35+00:00 04.01.2012 21:08
Also, ich finds ja toll, dass deine Kapitel langsam mal etwas länger werden =)
Dann will ich mich auch gar nicht lange aufhalten ^3^

>„Würdest du wollen, dass ich dich töte, wenn du im Limbus gefangen bist?“
Hä? Den Sinn dieses Satzes kapiere ich jetzt irgendwie nicht @@

Hm, verstehe ich das jetzt richtig und jedesmal wenn Kai Rei tötet kommen sie der Gegenwart näher?
Hm ... irgendwie fand ich das Kapitel cool, aber andererseits hab ich es auch nicht wirklich kapiert @____@
Naja, wir werden sehen, wenn ich demnächst weiterlese XD
Von:  Tokiogirl06
2011-12-03T22:31:57+00:00 03.12.2011 23:31
Hallöchen, klasse Kappi. Bin gespannt wie es weiter geht. schreib schnell weiter.
Von:  Jackie20
2011-12-03T16:58:34+00:00 03.12.2011 17:58
super kapitel
bin mal gespannt ob sie aus
dem limbus rausfinden
ich bin immmer noch sehr gespannt was brooklyn vorhat
hoffe das du schnell weiter schreibst
ist sehr spannend
bai
Von:  Minerva_Noctua
2011-12-03T08:56:34+00:00 03.12.2011 09:56
Es ist wirklich total spannend!
Richtig tolle Idee den Limbus so darzustellen. Ich bin begeistert!
Ich hoffe es geht schnell weiter, ich sitze hier auf Kohlen!
Ganz super klasse Kapitel!

Bye

Minerva


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