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Walkabout

Mein Beitrag zur 8.Taito-Challenge
von

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Kake (Splitter)

Irgendwie will es mir echt nicht in den Kopf, warum die ganze Welt dermaßen verrückt nach dieser dämlichen Mona Lisa ist. Vor dem Bild drängten sich Amis, Europäer, Japaner, Chinesen, und Afrikaner und als wir nach einer halben Stunde Anstehzeit immer noch nicht in die Nähe des begehrten Objekts gerückt waren, zog ich Catherine kurzerhand aus der Schlange und wir guckten uns stattdessen einige der anderen dreihunderttausend Bilder an, die da sonst noch so rumhingen. “Jetzt hast du was, womit du angeben kannst,“ neckte sie mich später, als wir gemütlich unser Eis schleckend am Seine-Ufer entlang schlenderten. “Du warst im Louvre und hast die Mona Lisa nicht gesehen.“
 

“Die kann ich mir auch im Netz angucken.“ Ich brach ein Stück Hörnchen ab und warf es einer Taube hin. “Ich wette, sie war gar nicht Leonardo’s Meisterwerk, sondern nur irgendein Bild, das er einfach so zum Spaß gemalt hat.“
 

“Ist doch immer so mit der Kunst.“ Catherine grinste und reichte ihr Eis an Floramon weiter, das sich fröhlich darüber hermachte. “Das Kunstwerk, wo wirklich dein Herzblut drinsteckt, interessiert keinen, aber irgendwas, was du mal irgendwie gemacht hast, das finden alle toll.“
 

Auch von Versailles war ich zugegebenermaßen nicht besonders begeistert. Diesen ganzen Prunk und Protz fand’ ich einfach nur lächerlich. Was ich aber liebte, war Paris selbst, diese facettenreiche Stadt mit ihren Straßen und Gassen, ihren alten Kirchen und hypermodernen Gebäuden, mit ihrer ganzen Vielfalt aus verschiedenen Epochen. Einmal bin ich schon hier gewesen, als wir Mama’s Gastfamilie besuchten, aber das scheint mir so lange her wie aus einem anderen Leben. Später nach der Scheidung kam Mama nur noch mit Takeru hierher. Nicht, dass ich nicht mitgedurft hätte, aber ich wollte nicht ohne Vater an einen Ort zurückkehren, wo wir mit der ganzen Familie waren. Es fühlte sich falsch an.
 

Ich versuchte mir vorzustellen wie Mama vor zwanzig Jahren dieselben Straßen entlang ging. Laufe ich gerade auf den Fußspuren, die sie hinterlassen hat? In der Traumzeit könnten sich unsere Wege kreuzen und ich könnte eine junge japanische Austauschstudentin sehen, vielleicht mit einer Mappe unterm Arm oder einem Rucksack voller Bücher. Auf dem Bild, das bei Michel und Louise an der Photowand hängt, hat sie einen frechen Kurzhaarschnitt und ein verschmitztes Lächeln und vor ihr steht ein riesengroßes Stück Gâteau au Chocolat.
 

Ich frage mich immer noch, ob sie es damals geschafft hat, diesen Riesen-Kuchen zu essen...
 

Auf dem Eiffelturm waren wir auch, aber nur kurz, denn Catherine bekam einen Anruf von einer Freundin mit Liebeskummer und musste Seelentrösterin spielen. Da ihre Eltern unterwegs waren und sie selbst vielleicht bei besagter Freundin übernachten würde, wollte sie mir ihren Hausschlüssel geben, aber ich lehnte ab und sagte, ich wolle noch jemanden besuchen. Aber eigentlich hatte ich nicht wirklich vor, zu Michel und Louise zu gehen. Was sollte ich ihnen auch erzählen? Mein Brüderchen nannte sie mittlerweile Oma und Opa, aber für mich waren es Fremde.
 

Irgendwann, als im Osten schon der Morgen dämmerte, standen Gabumon und ich vor der Kathedrale von Nôtre-Dame. In den letzten vier Tagen waren wir wohl ein knappes Dutzend Mal daran vorbeigerannt, immer mit der geistigen Notiz im Hinterkopf, dass wir da mal reingehen würden, aber nicht jetzt, denn sie lag ja morgen auch noch auf dem Weg. Im Dämmerlicht sah das Gebäude düster und unheimlich aus, aber auch abenteuerlich. Wäre Taichi jetzt hier gewesen, so hätte er mich an der Hand gepackt und hineingezogen. “Komm, lass uns das entdecken!“
 

Er war immer so lebenslustig, sprühte so vor Energie und Charisma. Ich hab’ ihn heimlich dafür bewundert und auch beneidet. Genau diese Lebensfreude hatte mich aus meinen Depressionen geholt, Koushirou aus seinem Schneckenhaus und Sora aus ihrer Einsamkeit, hatte Mimi ihre Selbstsüchtigkeit vor Augen geführt, mit Jou’s Schwarzseherei aufgeräumt, Hikari den Rücken gestärkt und Takeru endlich das Gefühl gegeben, ein wertvoller Teil einer Gruppe zu sein.
 

Ganz ehrlich, war es ein Wunder, dass ich diesen glubschäugigen Idioten mit seiner Stracheldrahtfrisur und seiner albernen Taucherbrille liebte? Dass ich ihn liebte und dass ich ihn nie wieder gehen lassen wollte?
 

Aber an dem Tag, als ich verstand, dass ich im Begriff war, genau diese Lebensfreunde zu zerstören, wurde mir klar, dass ich vor einer Wahl stand. Der Wahl, entweder zu bleiben und guten Gewissens dabei zuzusehen, wie der Freund, den ich liebte, vor die Hunde ging, oder zu gehen und ihm dieses Schicksal zu ersparen.
 

Zum einen wuchs langsam aber sicher der Druck von außen. Mit dem ersten Typen aus dem Fußballteam, der Taichi als Schwuchtel bezeichnete, prügelte er sich einfach und da er die Rauferei gewann, war nach Fußball-Logik (die ich nie verstehen werde, aber egal) wieder alles im Lot. Aber was würde passieren, wenn sein Team herausbekam, dass er wirklich einen Freund hatte? Würden sie ihm noch erlauben, für Odaiba zu spielen. Und würde er es ertragen, falls nicht? Und was war mit der Schule? Würde sich die Sache mit uns irgendwann herumsprechen?
 

Romantische Beziehungen unter Schülern waren nicht grundsätzlich verboten, es wurde lediglich erwartet, dass wir dezent damit umgingen. Solange man also nicht Hand in Hand durch die Schule lief oder beim heimlichen Rumknutschen im Gang erwischt wurde, gab’s auch keinen Ärger. Im Gegenteil, manche Lehrer freuten sich sogar, wenn sich wieder ein Pärchen gefunden hatte und drückten unter Umständen schon mal ein Auge zu. Aber zwei Jungs konnten wohl kaum mit soviel Rücksichtnahme rechnen. Im Gegenteil, sie würden uns mit Argusaugen überwachen und in jedem Schulterschlag oder Händedruck eine sexuelle Belästigung sehen. Und gerade jemand wie Taichi der offen und ehrlich mit seinen Gefühlen umging, würde fürchterlich darunter leiden.
 

Mein Blick wanderte zu einem Liebespaar, welches Arm in Arm über den Platz ging und schließlich in einer der Seitenstrassen verschwand. Es erschien mir immer noch etwas befremdlich, dass sich in Europa die Paare auf offener Straße küssten. Ein Kuss ist doch etwas Privates, das niemanden was angeht. Das wär’ ja beinahe so, als würde ich Taichi auf offnerer Straße einen runterholen.
 

Hah, ich wette, wenn ich’s täte, dann würden all diese ach so toleranten Europäer allesamt kreischend in Ohnmacht fallen.
 

Bei dieser Vorstellung musste ich schmunzeln, aber das Lächeln blieb mir im Hals stecken. Letztendlich lag es nicht an den Umständen, dass unsere Beziehung zum Scheitern verurteilt war. Letztendlich lag es nur an einem und zwar an mir.
 

Ich mag nach außen hin wie ein netter Kerl wirken, etwas schwarzseherisch und zynisch vielleicht, aber ansonsten ganz in Ordnung. Aber das ist nur die Oberfläche. Darunter lauert ein Abgrund, ein Schwarzes Loch aus Angst, Verzweiflung, Schmerz und gnadenloser Wut, die immer genau die Menschen trifft, die ich am meisten liebe und die am wenigsten was dafür können. Wie oft hab’ ich Taichi diese ganze Wut entgegengeschleudert und wie oft ist er einfach stehen geblieben und hat mich aufgefangen, wo jeder andere schon umgefallen oder schreiend weggerannt wäre. Er war da, war ein Fels in der Brandung. Aber es zerrte trotzdem an seinen Nerven und irgendwann würde es ihn kaputt machen.
 

Es hat ihn damals schon fast kaputt gemacht, als wir unseren fürchterlichen Streit in der DigiWelt hatten. Er hat es mir nie erzählt, aber ich habe es sehr viel später von Sora erfahren und es hat mich wahnsinnig erschreckt. Wie oft würde er mich noch auffangen können? Und wann würde der Moment kommen, an dem er unter dem Gewicht meiner Seele auf den Boden krachte?
 

Und vielleicht nicht mehr aufstand...
 

Ich konnte nicht mehr ruhig hier rumstehen, ich war innerlich zu aufgewühlt. Ich schlüpfte durch die offene Pforte in die Kathedrale und lief ziellos zwischen den wuchtigen Säulen herum. Es war noch dunkel hier drinnen, bis auf die Kerzen, die eifrige Bittsteller angezündet hatten. Ob das etwas half? Keine Kerze, kein Räucherstäbchen, kein Wunsch und kein Gebet hatten damals unsere Familie zusammenhalten können, als sie zerbrach.
 

Und ich gleich mit. Ja, das ist genau das verdammte Problem mit mir, dass ich so unglaublich zerbrochen und zerrissen bin. Ich habe ständig das Gefühl, ich falle auseinander. Ich ziehe eine Spur aus Splittern hinter mir her und ich vergrabe mich darin, damit jeder, der mir zu nahe kommt, sich erst mal kräftig daran schneidet.
 

Ich blieb ziemlich abrupt stehen, denn mein Weg war zu Ende. Vor mir lag nichts als die Wand.
 

In diesem Moment flutete mir von draußen das Sonnenlicht entgegen. Myriadenfach brach es sich in dem riesigen Rosettenfenster vor mir und verwandelte sich in ein buntes Farbenspiel, welches schillernd und funkelnd vor mir herumtanzte. Dieses Fenster bestand nicht aus einer einzigen ganzen Scheibe, es war aus Hunderten winziger Scheibchen zusammengesetzt. Nein, es war nicht ganz. Es bestand wie ich aus Splittern, und es war wunderschön und einzigartig, ganz genau deshalb.
 

Diese Splitter waren nicht dazu da, um jemandem weh tun. Sie waren da, um zu leuchten.
 

Eine Weile stand ich noch wie vom Donner gerührt da, dann ging ich mit schnellen Schritten zum Eingang zurück. Ich musste mir echt Mühe geben, nicht zu rennen, solange ich noch in der Kirche war. Gabumon trabte neben mir her, er konnte meine Aufregung wohl spüren, wusste aber vermutlich nicht, was mit mir los war. Im ersten Moment wusste ich es ja selbst noch nicht, weil das Gefühl, das mich durchströmte, ein sehr unbekanntes war. Erst nach einer Weile konnte ich es wirklich einschätzen.
 

Es war das Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Nicht mit Catherine, Dingo oder Meena, denen ich diese Entwicklung wohl auch mit zu verdanken hatte, aber jetzt brauchte ich jemanden, der mich gut kannte und durchaus eine Portion Yamato’sches Schwarzes Loch vertragen konnte. Jemand, der mir dabei helfen konnte, das Trümmerfeld hinter mir aufzuräumen, diese vielen bunten Splitter zu sortieren und in eine Form zu bringen. Natürlich musste ich das letztendlich selbst tun, aber ich wollte mir Hilfe dabei holen. Und nein, es war kein Zeichen von Schwäche, jemand anderen um Hilfe zu bitten. Endlich hatte ich das verstanden, auch wenn ich wieder mal schwer von Begriff gewesen war.
 

Und warum hat ausgerechnet derjenige, dem ich immer Begriffsstutzigkeit vorwerfe, es schon früher, sehr viel früher verstanden, als ich?
 

In der Métro zog ich Taichi’s Brief aus meinem Geldbeutel, wo ich ihn seit meiner Abreise verwahrt hatte.
 

Yamato –
 

Ich schwanke gerade zwischen “Ich hau dir eine rein“ und “Ich knall dich mit dem Kopf gegen die Wand“, aber beides geht nicht, denn du bist nicht da und kommst auch nicht zu mir. Und zu dir kommen geht auch nicht, weil ich hier rumhängen muss und mit Spritzen zugedröhnt werde.
 

Ich weiß, du gehst weg und ich weiß, dass ich dich nicht aufhalten kann. Ich konnte das auch damals nicht, als du gemeint hast, mich verprügeln zu müssen, weil irgendein dummer Kirschbaum dir Märchen erzählt hat.
 

Nein, ich will das nicht wieder aufrollen. Wenn du mich verletzt, dann kann ich das verzeihen. Aber wenn du meine Freunde verletzt, werd’ ich fuchsteufelswild, und Sora hast du verdammt wehgetan und dafür schuldest du mir was. Und wenn du nur einen Funken Ehre im Leib hast, dann ist dir das nicht egal und du versprichst mir jetzt etwas.
 

Ich verlang’ nicht von dir, dass du hier bleibst. Aber ich möchte von dir, dass du dich nicht in irgendwelchen Höhlen verkriechst und dich selbst bemitleidest. Wenn du gehst, dann geh dahin, wo andere Menschen sind und wo du nicht die ganze Zeit allein bist.
 

Du kannst gerne brüllen und toben und mich als Idioten beschimpfen, wenn du dich dann besser fühlst. Aber gib’ mir einfach dieses Versprechen und steh’ zu deinem Wort.
 

Taichi



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2011-02-20T16:07:28+00:00 20.02.2011 17:07
soo..
das Kapi war bisher das längste ^^ aber auch ein ganz tolles ♥
ich war zwar noch nie in Paris, aber ich denke, dass du die Stadt sehr toll beschrieben ahst..
ich war wirklich baff ^^
'glubschäugigen Idioten' okeii.. das mag Tai sein.. aber er ist immernoch toll ♥__♥
der Brief am ende war wirklich toll eingebaut ^^
alles was da drin stand.. einfach süß +.+
Tai kann ja so sensibel sein <3
Von:  PenAmour
2011-02-20T13:25:19+00:00 20.02.2011 14:25
Da ich in Paris selber unterwegs war, kann ich durchaus sagen, dass du die Atmosphäre der Stadt gut einfasst – als ehemaliger Deutsch-LKler interpretiere auch wieder mehr in das Kunstgespräch rein, als mir lieb ist.
Aber hey, es ist immer gut, wenn der Leser Raum zum interpretieren hat, nicht wahr?! :D
Zum Pairning (was sich bis dato ja nicht angesprochen habe), die Art, wie du es schreibst, wie es sich entwickelt hat usw. ist durchaus nachvollziehbar, ich werde zwar auch in Zukunft kein Taito-Fan sein, aber ich finde es sehr lobenswert, dass du auf die Problematik einer homosexuellen Beziehung anspielst. (die Shonen-Ai sehr stiefmütterlich behandelt wird…)
An der ein oder anderen Stelle wäre es schön gewesen Gatomon etwas mehr einzubinden, denke ich, da ihn das Digimon überallhin begleitet.
Bis dahin
PenAmour


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