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Walkabout

Mein Beitrag zur 8.Taito-Challenge
von

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Ashiato (Fußspuren)

Meena’s Wegbeschreibung auf meinem Handy war ungefähr ebenso hilfreich wie meine hoffungslosen Versuche einen ganzen, nicht-gestammelten englischen Satz über die Lippen zu bekommen, und als ich endlich auf die glorreiche Idee kam, mich in ein Internet-Café zu hocken und eine Runde “Google ist mein Freund“ zu spielen, fiel bei denen der Strom aus. Handy-Netz war sowieso Essig, aussprechen konnte ich “Charanpur“ noch weniger als einen gestammelten englischen Satz, und wahrscheinlich wäre ich sowieso elendig von Mücken gefressen worden, hätte der clevere kleine Bruder der Freundin des Internetcafé-Besitzers nicht so einfallsreich kombiniert, dass dieser komische Ausländer mit dem sprechenden Datensatz an seiner Seite vermutlich auf dem Weg zu der einzigen hier ansässigen Person war, die ebenfalls einen solchen mit sich rumschleppte.
 

Kurz und gut, als eine Viertelstunde später ein Gemüsehändler mir mit seltsam klingenden Brocken aus Hindi und Englisch begreiflich machte, ich solle mitsamt Datensatz auf die Ladefläche seines Trucks hüpfen und es mir zwischen nicht verkauften Kohl- und Rübenkisten bequem machen, fackelte ich nicht lange und spätestens als wir, umringt von einer Schar aufgeregt plappernder Kinder in ein kleines Dorf einfuhren, war mir klar, dass das schon alles seine Richtigkeit hatte.
 

“Yamato,“ quäkte Gabumon mit hängenden Ohren, “sie sollen mich nicht alle auf einmal streicheln, das mag ich nicht.“
 

Klar. Ich schreib’ mal eben “Bitte nicht alle auf einmal streicheln“ in Hindi auf ein Schild und häng’ es meinem Didschi um den Hals.
 

Letztendlich konnte ich die Kleinen ein wenig ablenken, indem ich meine Klampfe auspackte, (die ich eigentlich nicht hatte mitnehmen wollen) und ihnen was vorträllerte. Irgendwann kam dann ein Junge angerannt, der mich an der Hand packte und von der Ladefläche zog. Offensichtlich schienen die hier alle zu wissen, wo ich hinwollte.
 

Meena sah genauso aus wie auf dem Photo, das Hikari mir zu Sylvester gezeigt hatte, allerdings trug sie jetzt keinen Sari, sondern Jeans und eine lange bunte Bluse. Sie schoss sofort lächelnd auf mich zu, umarmte mich als würden wir uns seit Ewigkeiten kennen, und stellte mich anschließend einem ganzen Haufen Leuten vor, die wohl ihre Eltern, Geschwister, Freunde, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen soundsovielten Grades sein mussten. Normalerweise lass’ ich mich nicht gern anfassen und bei vielen Menschen auf einem Haufen nehm’ ich sowieso Reißaus. Aber die Herzlichkeit dieser Familie hatte etwas derart Entwaffnendes an sich, dass ich überhaupt nicht dazu kam, meine üblichen Schutzschilde hochzufahren.
 

In dieser Nacht schlief ich zum erstenmal seit langem ohne Grübeleien und Alpträume und weder das ungewohnte Essen, noch die Tatsache, dass draußen irgendwelches Viechzeug im Gebüsch herumraschelte, konnte mir irgendetwas daran vermiesen.
 

Am nächsten Tag nahm Meena mich mit hoch zu der Quelle, die – soweit ich das verstanden hatte – dem Dorf ihren Namen gegeben hatte. “Charanpur heißt Dorf der Fußspuren,“ erklärte sie mir, als wir gefolgt von unserem Didschi-Anhang den Berg hochkraxelten, ich keuchend und schwitzend, sie nicht im Mindesten außer Atem. “Rama und Sita sind vor langer Zeit in dieses Dorf gekommen und haben ihre Fußspuren im Lehm hinterlassen.“
 

“Okay.“ Mittlerweile hatte ich mich genug an die Sprechweise der Leute hier gewöhnt, um auch wieder auf meine Englischkenntnisse, die ja durchaus vorhanden sind, zurückgreifen zu können. Nicht, dass ich zu diesem Thema besonders viel hätte beitragen können. Schließlich weiß ich von Rama und Sita gerade mal, dass sie so ’ne Art Mischung aus Halbgöttern, Engeln und indischen Nationalhelden sind, und irgendwas war da noch mit ’nem Dämon, der sieben Köpfe hatte. Oder war’n es neun? Ja, ich glaub’ es waren neun. So unwichtige Details merkt sich der Yamato nämlich.
 

Jetzt verstand ich auch, warum es unten im Dorf diese Steine und Anhänger mit Fußspuren drauf zu kaufen gab. Ich hatte mich schon gestern Abend darüber gewundert, warum sich jemand Fußspuren um den Hals hängen oder in die Wohnung stellen sollte. Gut, ich darf nix sagen, wir hatten mal die halbe Wohnung voller Fußspuren. Das war als Vater daheim sein Arbeitszimmer aufgelöst hatte, damit Takeru und ich jeder sein eigenes Zimmer bekommen konnten. Mama strich Takeru’s neues Zimmer in einer babyblauen Farbe an, und als sie nicht aufpasste, tunkten Takeru und ich unsere Füße in den Eimer und tapsten dann auf dem Boden herum.
 

Wir hinterließen zwei Reihen babyblauer Fußspuren quer durch die Wohnung, eine mit großen und eine mit kleinen Füßen. Ich kann sie jetzt noch vor mir sehen, auch wenn ich fast alles andere aus dieser Zeit vergessen habe. Eine Erinnerung ist auch so was wie eine Fußspur, eine Spur, die etwas oder jemand in deinen Gedanken hinterlassen hat. Etwas, das geblieben ist, auch wenn die Uhr sich weiterdreht und die Welt sich verändert.
 

Oben an der Quelle machten wir Rast. Wir hockten uns auf die Steine, aßen die leckeren Samosas, die Meena’s Mutter uns mitgegeben hatte und sahen unseren Didschis beim Spielen zu. Gabumon und PetitMeramon schienen sich prächtig zu verstehen. Soweit mein Englisch es zuließ und soweit sie es nicht ohnehin schon wusste, erzählte ich Meena von unseren Abenteuern. Die persönlichen Details ließ ich allerdings lieber weg, denn ich war gerade mal froh, dass ich nicht ständig daran erinnert wurde.
 

Aber das Bild mit den babyblauen Fußspuren wollte mir nicht mehr aus dem Kopf. Ob Vater schon nach mir suchte? Oder Mama? Glaubten sie meine Erklärung, dass ich was Wichtiges zu erledigen hatte oder machten sie sich Sorgen. Oder beides?
 

Vielleicht war es ihnen auch einfach egal.
 

Ich wollte sie nicht in mir haben, diese Fußspuren, diese Erinnerungen, die so weh taten. Nicht die von Mama, nicht die von meinem Vater, nicht die von Takeru. Nicht die von einer Familie, die es nicht mehr gab, die wir nicht mehr waren. Nicht die von Freunden, die jetzt vielleicht nicht mehr meine Freunde sein wollten und nicht die von Taichi. Ganz besonders nicht die von Taichi.
 

Warum musste ich ausgerechnet jetzt an den Moment denken, als wir uns das erstemal geküsst haben? Ich meine, eigentlich war es eher das zweite Mal, denn unser erster Kussversuch war schon in der DigiWelt, aber der ging ziemlich daneben, weil wir ständig mit den Nasen zusammenstießen. Damals waren wir übereingekommen, dass Küssen eigentlich doof ist und nur was für Mädchen, und dass wir da eigentlich keinen Bock drauf haben. Deshalb haben wir es auch eine ganze Weile nicht mehr versucht.
 

Warum es dann genau an diesem Nachmittag passiert ist, kann, glaub’ ich, keiner von uns beiden sagen. Ich erinnere mich nur daran, dass wir bei mir im Wohnzimmer waren und mit der Playstation 2 spielten, die damals im März grade rausgekommen war. Ich bin eigentlich nicht so verrückt nach Spielkonsolen, aber Taichi sprach seit Monaten von nichts anderem mehr, also ließ ich mich von seiner Begeisterung anstecken und überredete meinen Vater, dass er mir eine kaufte. Taichi war dann auch fast jeden Nachmittag bei mir und wir zockten.
 

Ich sehe noch heute vor mir, wie Taichi bäuchlings auf dem Teppich lag, mit den Beinen in der Luft strampelte, vor lauter Nervosität auf einem knallgelben Quietscheentchen rumkaute und dabei wie wild auf dem Controller herumhämmerte, während sein Charakter auf dem Bildschirm über irgendwelche Kisten hüpfte und dabei sein Schlüsselschwert schwang. Leider waren diese Kisten genau die Stelle an der Taichi jedes Mal scheiterte und so ließ er irgendwann frustriert den Controller sinken, spuckte das Entchen aus, schob mir für alles die Schuld in die Schuhe und fing an, sich mit mir herumzubalgen. Seine Haare kitzelten mich und rochen nach Apfelshampoo. Er guckte mich aus seinen braunen Glubschaugen an und ich weiß nicht, wer wen zuerst packte und warum ich plötzlich seine Lippen auf meinen spürte und warum es sich auf einmal so gut anfühlte, wo es doch eigentlich doof und nur was für Mädchen war.
 

Irgendwann kriegten wir dann beide keine Luft mehr, ließen uns etwas verlegen los und Taichi griff wieder nach dem Controller und zockte weiter, als wäre nichts gewesen.
 

“Wollen wir dann langsam zurückgehen, Yamato?“ fragte Meena und lächelte verschmitzt. “Wir treffen uns gleich noch unten am See mit ein paar Freunden, die dich unbedingt kennen lernen wollen und wir wollen ja schließlich nicht zu spät kommen.“
 

Klasse. Noch mehr Leute.
 

Aber seltsamerweise erschien mir der Gedanke gar nicht so unangenehm.
 

Tsuzuku...



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2011-02-20T15:33:31+00:00 20.02.2011 16:33
mal wieder ein spizen Kapitel ^^
nur habe ich wie Danni auch einige Fragen..
warum ausgerechnet Meena? wie ist ihre Lebenssituation? und so weiter...
erst war ich etwas.. überrascht als da stand, dass sie sich 2 mal geküsst hatten Q_Q aber danach hast du es ja erklärt...
und.. schlimm fand ich es nicht xD
schon süß mit denFußspuren und wie er immer an seine Familie denkt ♥

aber... wie kann er nur so mies zu Gabumon sein? ò.ó das arme ding <3 es ist immer sooooo nieldich zu ihm -.-*
Von:  PenAmour
2011-02-20T12:59:23+00:00 20.02.2011 13:59
Ha, wer hätte gedacht, dass es mir mal bei anderen Fanfics, was nützt, dass ich mich mit den Internationalen Digirittern beschäftigt habe ;D
Wobei ich bei Meena erst unsicher war – da ich sie nur als Mina kenne…
Gabumon als wandelnden Datensatz zu beschreiben, hat mich doch etwas amüsiert. Yamatos etwas sarkastisch-zynischer Charakter gelingt dir durchaus.
Das indische Flair kommt auf jeden Fall rüber, wenngleich ich es als ein wenig schnell empfinde. Ich hätte durchaus noch ein Paar Beschreibungen zu Meenas Lebenssituation als hilfreich empfunden, gerade weil es eine Kultur ist, die Yamato sicherlich fremd ist.
Die kleinen rückblickenden Erinnerungen sind schön und das Bild der Fußspuren natürlich sehr viel sagend und mehrdeutig^^
Bis dahin
PenAmour

Von:  Danni
2010-10-06T02:05:10+00:00 06.10.2010 04:05
Hm... kein Brief...schade... dafür waren meine ersten Gedanken wohl: "Öhm... wie? Was? Wer? Was zum... Ich glaub sie hat nen falschen Text hochgeladen." Hat sich aber dann rausgestellt, dass es doch alles seine Richtigkeit hat, aber... was macht Yamato in Indien? Wie ist er da hingekommen? Warum Indien? ... So viele Fragen ?__?

Aber auch wenn ich den Sinn hinter dem ganzen noch nicht versteh, ist es ein in sich doch sehr stimmiges Kapitel ^-^
Ich hab so gelacht, als Yamato sich an die Geschichte mit den babyblauen Fußspuren erinnert und ich grinse jetzt noch dämlich beim Gedanken daran.

Taichi beim Kingdom Hearts spielen - göttlich. Aber armes Entchen Q_Q''

Apfelshampoo <3

Yamato - der von den ganzen Leuten "überrannt" wird und gar nicht seine Schutzschilde hochfahren kann <3

Ach Mensch... darf ich dir sagen, dass du es nur durch den Prolog geschafft hast, mich wieder total süchtig nach Digimon zu machen? xD'
*sich seit stunden mal wieder didschi-musik reinzieh* gerade läuft Devimons Theme...
Und DU bist Schuld!!! Q__Q

Danke! :D

Irgendwas Geistreiches wollt ich jetzt zum Schluss noch schreiben... aber ich hab's vergessen :x

Na ja, ich bin auf jeden Fall immer noch auf den Rest der Geschichte gespannt.


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