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Die Frau des Henkers

von

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Part 1

Erneut tauchte sie das Leinentuch in die Schüssel mit kaltem Wasser und wrang es aus. Der kleine Junge in dem Bett hinter ihr wimmerte leise.

Vorsichtig strich sie eine seiner hellbraunen Strähnen zur Seite und legte ihm den kühlen Stoff auf die heiße Stirn.

Die Hände im Schoß gefaltet ließ Leonora sich seufzend wieder auf der Bettkante nieder. Ihre schönen dunkelgrauen Augen glitten besorgt über die, vom Fieber geröteten, Wangen des Kleinen. Noch immer hatte sich sein Zustand nicht gebessert!
 

Langsam begann die Sonne unterzugehen. In der karg eingerichteten Stube wurde es dunkel.

Die junge, rothaarige Frau ging ins Nebenzimmer, um drei Kerzen zu holen, sie anzuzünden und auf dem Fensterbrett zu platzieren. Viel mehr Licht wurde dadurch zwar nicht gespendet, aber es war zumindest besser als gar nichts.
 

Mit einem Mal konnte sie hören, wie die Haustür geöffnet wurde und gleich darauf trat eine Frau mittleren Alters zu ihr in das Zimmer.

„Ich bin wieder da Leonora!“, begrüßte sie sie lächelnd, „Mein Mann räumt nur noch eben die Werkzeuge auf!“

Leonora nickte.

Die Ältere kam näher, betrachtete ein paar Augenblicke lang traurig den Jungen und legte ihr dann die, vom Arbeiten rauen, Hände auf die Schultern.

„Ich bin dir so dankbar, dass du dich hier um Tobi kümmerst!“, sagte sie leise, „Dadurch kann ich weiterhin auf dem Feld mithelfen und wir schaffen es vielleicht sogar noch die Ernte rechtzeitig einzuholen!“

„Aber das ist doch selbstverständlich, Sabine!“, die Angesprochene kaute unbehaglich an ihrer Unterlippe, „Du und Thomas, ihr seid doch schon seit Ewigkeiten mit meinem Vater befreundet. Ihr helft und doch auch immer wo ihr nur könnt!“

„Trotzdem!“, Sabine fuhr sich mit der Hand durch die braunen Locken. Sie war erschöpft, das sah man.
 

„Leider ist das Fieber noch kein bisschen gesunken!“, murmelte Leonora schuldbewusst, „Ich glaube ich werde heute doch noch zur alten Wagnerin gehen. Sie hat bestimmt ein Mittel, das dem Kleinen hilft!“

„Möchtest du noch zum Abendessen bleiben?“, bot die Ältere freundlich an.

„Danke, aber mein Vater wartet“, entgegnete sie daraufhin, „und ich möchte nicht zu spät nach Hause kommen!“
 

Zum Glück war Vollmond. So konnte sie sich trotz der Dunkelheit auf dem Weg der am Waldrand entlangführte gut zurechtfinden.

Die alte Wagnerin hieß eigentlich Maria Wagner und wohnte noch weiter abseits von der Stadt als die Bauern. In einer kleinen Holzhütte. Dennoch kannte sie fast jeder – zumindest von den Bauern und ärmeren Leuten - denn Maria Wagner, hatte sich über die Jahren ein unglaubliches Wissen in Sachen Heilkunst angeeignet und war bereit den Menschen damit zu helfen. Wer etwas brauchte, musste zu ihr kommen und selbstverständlich einen kleinen Betrag dafür zahlen oder etwas zum eintauschen mitbringen, so viel wie er eben entbehren konnte. Für viele Leute war dies geschickter, als die teureren Medikamente aus der Apotheke.
 

Leonora ließ ihre Hand in die Tasche an ihrer Schürze gleiten. Zwei Kupfermünzen waren darin, mehr hatte sie im Moment nicht.
 

Vor dem Haus der alten Wagnerin befand sich ein kleiner Kräutergarten und innen war noch Kerzenschein zu sehen.

Leonora klopfte an die Tür. Sehr lange musste sie nicht warten, da wurde auch schon geöffnet. Eine kleine, weißhaarige Frau stand vor ihr.

„Schön dich zu sehen, Kind!“, lächelte sie und ihre blauen Augen strahlten, „Es ist schon sehr spät. Kann ich etwas für dich tun?“

„Ja, bitte!“, antwortete die Jüngere, während sie eintrat, „Der kleine Sohn von Sabine hat hohes Fieber. Die gewöhnlichen kalten Tücher helfen nichts. Hast du etwas da?“

„Ja, ich glaube damit kann ich dir helfen!“, die Wagnerin ging zu einem der drei Regale, in dem so viel unterschiedliches Zeug lag, dass es auf Leonora den Eindruck eines immensen Chaos machte.

„Fieber …“, murmelte die alte Frau nachdenklich, dann schien sie gefunden zu haben, was sie suchte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und griff nach einem Bündel mit getrockneten Kräutern.

„Davon lässt du zwei Blätter fünf Minuten lang in einem Becher mit kochendem Wasser liegen, nimmst sie danach raus und gibst den Trank dem Jungen drei Mal am Tag. Das wirkt meist ziemlich schnell!“, mit diesen Worten reichte sie es Leonora.

„Ich danke dir, Maria!“
 

Eilig lief sie nun nach Hause. Sie lebte alleine mit ihrem Vater auf einem Hof. Bis auf ein paar Hühner und Gänse hatten sie keine weiteren Tiere, lediglich noch ein Feld. Das war nicht viel, dennoch hatten sie noch nie am Hungertuch nagen müssen. Ein wenig zu essen war immer im Haus.
 

So wie auch jetzt.

Ihr Vater saß am Tisch und war gerade damit beschäftigt zwei Scheiben Brot von einem halben Laib abzuschneiden. Leonora setzte sich zu ihm, nahm eine davon in die Hand.

„Du bist spät!“, stellte der Mann fest. „Ich war noch bei der alten Wagnerin und hab Medizin besorgt!“, antwortete sie, nachdem sie den ersten Bissen hinuntergeschluckt hatte.

„Dann geht es ihm noch nicht besser?“, die ebenso dunklen Augen, wie die Ihrigen, hatten einen alarmierenden Ausdruck angenommen, „Du weißt, wie gefährlich Fieber werden kann?“

„Natürlich! Deswegen hab ich ja auch so schnell wie möglich gehandelt!“, seufzte Leonora. Nachdenklich betrachtete sie die kaum angerührte Scheibe Brot, schob sie dann schließlich von sich weg.

„Ich werde ins Bett gehen!“, murmelte sie, stand auf und ging in ihre kleine Schlafkammer.

Das „Gute Nacht!“, welches ihr Vater ihr noch hinterherrief hörte sie schon gar nicht mehr.
 

*
 

Ganz früh am nächsten Morgen machte sie sich daran, den fiebersenkenden Kräutertrunk herzustellen, so wie Maria Wagner es ihr gesagt hatte. Was zum Glück nicht sonderlich kompliziert war.
 

Sabines Augen leuchteten auf, als sie das Tongefäß in Leonoras Hand sah.

„Sie hat dir also tatsächlich etwas für ihn mitgegeben!“, erleichtert trat sie zur Seite, „Komm rein!“
 

„Hallo, Tobi!“, sagte die junge Frau leise, während sie den Kopf zur Tür hereinsteckte. Der Junge lag im Bett, auf seiner Stirn glänzte kalter Schweiß und seine Wangen waren immer noch gerötet. Dennoch hatte er die Augen geöffnet, grinste ihr sogar ein wenig entgegen: „Hallo Leo!“
 

„Ich vermute nicht, dass es sonderlich gut schmeckt!“, sie setzte sich mit der Medizin zu ihm auf die Bettkante, „Aber es wird dir helfen. Ganz sicher!“

Tobi nickte.

Somit legte Leonora die eine Hand stützend an seinen Hinterkopf und führte mit der anderen den Tonbecher an seine Lippen. Der Kleine verzog zwar kurz den Mund, schluckte aber tapfer.
 

Nun schlief er. Tief und fest. Da es bald Mittag sein würde, beschloss die Frau einkaufen zu gehen. Sonderlich viel war nicht mehr im Haus.

Sie nahm sich den kleinen Korb, der auf dem Tisch stand und machte sich auf den Weg in die Stadt.
 

Als sie den Marktplatz erreicht hatte steuerte sie zu allererst den Gemüsehändler an. Vielleicht hatte Tobi heute ja Appetit auf eine Suppe. Ein paar Eier und etwas Brot sollte sie auch noch besorgen.

Leonora war gerade dabei die eben bezahlten Karotten und den Lauch einzupacken, da entstand unter den Leuten plötzlich eine seltsame Unruhe. Leonora wandte sich um, versuchte herauszufinden warum alle mit einem Mal so aufgeregt miteinander tuschelten, als sie den Grund dafür auch schon sah:

Über den Platz kam ein Pferdefuhrwerk gefahren, auf seinem Kutschbock saßen zwei streng aussehende Soldaten in Rüstungen und mit Dolchen am Gürtel. Und in der offenen Karre kniete eine, für Leonora sehr bekannte Person: Maria Wagner!

Ihr Blick wirkte stumpf und leer. Gebrochen. An den Handgelenken war sie mit groben Stricken gefesselt.

Fassungslos hafteten die Augen der rothaarigen Frau an diesem Bild, bis es ihrem Sichtfeld entschwand.
 

„Es ist geschehen!“, rief mit einem Mal jemand verzweifelt aus, „Die alte Wagnerin wurde der Hexerei angeklagt!“



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