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Engelserbe

von

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Kapitel 1

-Kapitel 1-
 

Cylle fand sich am Rande eines Abgrundes wieder. Der Blick ging in alles aushöhlende Leere. Tiefe, schattenartige Schwärze, die sie geifernd ummantelte, nach ihr griff und drohte sie hinab zu zerren in das gallertartige Finster. Es schien dort unten etwas zu leben. Es regte sich und pulsierte im Gleichtakt ihres Herzens. Die Schwärze kroch an den dunklen Schieferfelsen bedrohlich empor, kletterte hinauf zu ihr, während sie nur regungslos da stehen konnte und voller Entsetzen gen Bildnis starrte, welches sich vor ihr auftat.

Das Geräusch von zerborstenem Gestein drang an ihr Ohr, das Kreischen Sterbender, das brachiale Geheul von sich verbiegendem Metall. Und aus der Dunkelheit, dem quellenden Übel, stieß die Spitze eines Fernsehturms, gefolgt von zahlreichen anderen Gebäuden, die in sich zusammen gesackt waren wie Papierschachteln. Autobahnen und Highways lagen zertrümmert vor ihr und schälten sich aus dem dreckigen Unheil, welches jedwedes Geräusch nicht zu ersticken, nein vielmehr zu verdreifachen schien.

Sie konnte die Stimmen der Menschen hören, hörte ihr Klagen, ihr Weinen. Sie konnte vereinzelte, sich regende Punkte ausmachen, die um ihr Überleben kämpften, ehe sie von herab fallenden Gebäudeteilen erschlagen, oder von den Schatten gen Tiefe gerissen wurden. Cylle wurde schlecht bei dem Anblick, doch noch immer konnte sie sich nicht regen, das Bildnis verschwamm trotz der zahlreichen Tränen nicht vor ihren Augen.

Längst hatten sich die Schatten zu ihr hinauf gekämpft und umgarnten ihre nackten Fußgelenke. Jede Berührung schmerzte und verätzte ihr die zimtfarbene Haut. Tief schnitten die Fäden ins Fleisch und zerrissen Aderwerk und Muskeln, während sie sich fast sinnlich an den Schenkeln entlang hangelten. Cylle wollte schreien, doch es war, als füllte Watte ihren Mund, als läge Blei auf der Zunge und in verzweifelter Manier bog sie den Kopf gen Nacken um ein hilfesuchendes Wehklagen gen Himmelszelt zu jammern. Sie erschrak vor dem Bildnis.

Eitrig gelbe Wolkentürme manifestierten sich über der untergehenden Stadt und riesige Vögel mit schwarzen und roten Schwingen stürzten sich wie Falken zu den sterbenden Menschen herab. Näher und näher kamen sie, ehe Cylle vor Entsetzen der Atem still stand, denn diese Wesen dort waren keine Vögel!

Direkt vor ihr bog eines dieser Wesen in den Abgrund, nutzte den Antrieb des Aufwindes um direkt vor ihrer Nase wieder hinauf zu gleiten. Menschlich erscheinende, kalte Augen taxierten sie, als sei sie selbst schuld an all diesem Unheil, welches sich vor ihr erstreckte. Der Körper des 'Vogels' war menschlicher Natur. Straffe Muskeln glänzen im gelb-stichigen Licht, das Haar des Wesens war weiß wie blühender Schloh. Mann oder Frau, sie konnte es nicht gleich erkennen, während das Geschöpf ein grauenvolles Kreischen ausstieß, den kräftigen Arm, wie ein olympischer Speerwerfer empor riss um ihr ohne mit der Wimper zu zucken, die gleißende, wie Licht erscheinende Waffe in das Fleisch den Unterleibes zu rammen.

Sie konnte spüren, wie brennende, schwelende Hitze in sie eindrang und innerlich zerfraß, verkohlte und endlich gelang es ihr zu schreien...
 

Schreiend fuhr Cylle in ihrem Bett auf, der Atem raste und brach hitzig über ihre Lippen. Sie konnte Blut schmecken, hatte sich im Traum wohl die Lippen blutig gebissen.

Sie hechelte vor nackter Panik, die noch immer in ihr schwelte, hastig sah sie sich um, tastete nach der Lampe auf dem Nachtisch um diese zittrig an zu knipsen. Und wieder folgte ein prüfender Blick durch den Raum, denn an ihrer Psyche nagte die unwirkliche Erkenntnis nicht allein im Zimmer zu sein. Doch war sie natürlich allein. Nirgends war etwas aus zu machen, dass nicht in ihr vertrautes Umfeld gepasst hätte. Ihr Bett, ihr Nachttisch, die Lampe, das Buch über das Verhalten von Hunden im Bezug auf Wölfe, in welchem sie noch bis vor wenigen Stunden gelesen hatte. Und ihre Wecker, die mahnend in hellem Neonblau ankündigte, dass es gerade einmal vier Uhr morgens war.

Sie hatte also noch Zeit, wenn sie gleich wieder einschlafen würde, wäre sie später ausgeschlafen, doch wusste Cylle, dass sie nach diesem Traum nicht mehr schlafen könnte.
 

Es war nicht das erste Mal, dass sie dieser Traum heim suchte. Doch von mal zu mal wurde er präziser, detailverliebter und grausamer. Jede Nacht setzte sich ein Puzzelteil mehr dazu, spürte sie sich tiefer in das Geschehen integriert und vor allem erschien ihr alles von Nacht zu Nacht realer und wirklicher.

Tränen brannten auf der Haut ihrer Wangen. Das schwarze, in weiche Locken fallende Haar, klebte ihr im Nacken und auf den Schultern. Kalter Schweiß bedeckte ihren Körper, denn Cylle zog es vor nur in Unterwäsche zu schlafen- sprich: in einem feinen Nichts von Höschen. Nun fror sie jedoch jämmerlich. Die Decke war ihr über die Brüste gerutscht, schlug wellige Falten über ihrem Schoß, während die schlanken Finger der Frau tastend den eigenen Unterleib absuchten. Doch da war keine Wunde, auch wenn sie immer noch glaubte, den brennenden Speer in ihrem Leib zu spüren.

Kopfschütteln. Sie war so eine Närrin, ein kleines Kind.

Da wollte sie unbedingt allein leben, sogar gegen den Willen ihrer Mutter und nun hatte sie den Salat. Denn seit sie nicht mehr die heimischen vier Wände mit dieser teilte, suchten sie diese barbarischen Träume heim.
 

Sie erhob sich tattrig, umarmte sich selbst, während sie schlotternd in die Küche wanderte. Schon am Abend hatte sie den Kaffee vorbereitet, so dass sie nur noch die Maschine anstellen musste, damit das heiße Wasser ihr Überlebenselixier brauen würde. Sie selbst huschte in dieser Zeit ins Bad, schlüpfte aus ihrem Slip und stellte sich unter die Dusche.

Heißes, wohltuendes Wasser benetzte die gebräunte Haut der jungen Frau und nach fünf Minuten hörte das Zittern endlich auf, während sie sich schlaftrunken gegen die kühlen Fliesen des Duschinnenraumes lehnte.

Wie sie solche Tage und Nächte hasste. Morgen bei der Arbeit wäre sie gewiss todmüde und würde sich gar nicht wirklich auf ihre kleinen Patienten konzentrieren können. Dabei war es in ihrem Fall so wichtig, dass sie selbst ausgeglichen war!
 

Cylle arbeitete schon fast zwei Jahre als Tierheilpraktikerin in einer kleinen Praxis unter den Argusaugen ihres Chefs, der keine Minute verstreichen ließ, sich an die junge Mittzwanzigerin heran zu machen. Manchmal glaubte Cylle, er duldete sie nur deswegen in seinem kleinen Reich, weil er sich erhoffte sie eines Tages auf seinem Schreibtisch stoßen zu können.

Allein die Idee war ekelhaft!

Ihr Chef war nämlich alles andere als gut aussehend. Im Gegenteil. Er ging in großen Schritten auf die fünfzig zu, war bierbäuchig und ungepflegt, besaß schütteres Haar und einen dafür beachtlichen Nasenhaarwuchs, der förmlich danach schrie, dass man ihn anstarrte.

Doch kündigen konnte sie nicht, Geld war Geld und sie brauchte es dringen für die Miete- zudem liebte sie die Tiere. Und ihre kleinen Patienten waren ihr ans Herz gewachsen, auch wenn diese zunehmend unruhig wurden in ihrer Gegenwart. Was nicht ungewöhnlich war, denn Hund und Katze spürten eben deutlicher, was in einem vorging, als man es selbst manchmal tat.

„Vielleicht sollte ich mir einfach frei nehmen?“, murmelte die Schwarzhaarige hitzetrunken, während die Finger den Hahn zudrehten und der stete Wasserzufluss abbrach. Wirklich besser ging es ihr zwar nicht, aber zumindest klebte sie nicht mehr, als sie aus der Dusche schritt und sich ein Handtuch um den Körper wickelte.

Nur ein kurzer prüfender Blick in den Spiegel folgte. Auch sie war den Lastern der Frauen nicht ganz abgeneigt. Eitelkeit gehört da wohl ebenso dazu, wie gelegentliche Schokoladenanfälle, die sie eine ganze Tafel vor dem Fernseher verputzen ließ. Cylle war durch ihre Arbeit viel unterwegs, was ihr eine recht gute Figur erlaubte. Der Po war etwas groß, was wohl an den Genen ihres spanischen Vaters lag. Die Taille hingehen war aber äußerst schmal geartet und die Brüste angemessen geformt. Sicher keine Frau, die man von der Bettkante stoßen würde, wenngleich Cylle durchaus hier und da etwas aus zu setzen hatte.

Seufzend raffte sie ihr feucht-schweres Haar, welches sich durch die Nässe nur noch stärker kräuselte und versuchte die wirre Mähne mit einem Haargummi zu bändigen.
 

Langsam und vorsichtig tastete sie sich aus dem Badezimmer, während der markante Kaffeegeruch ihre Sinne berührte und Ruhe über ihre geschundene Seele zauberte. Fast sinnlich schnurrte die junge Frau auf, kaum, dass sie sich das dunkle Gebräu in eine Tasse gegossen hatte, welche sie schützend mit beiden Händen ummantelte um sich daran zu wärmen. Sie zog es vor das Getränk schwarz zu sich zu nehmen, während sie ins Wohnzimmer schlenderte und sich auf dem Fenstersims des gepolsterten kleinen Erkerchens gemütlich machte. Ein Kissen in ihrem Rücken erlaubte ihr eine angenehme Position, während sie den Dampf über der Tasse davon blies und den Blick hinaus wagte.
 

Dunkle Regenschlieren wanderten das kühle Glas hinab, brachen das Licht der Straßenlaternen tausendfach und erlaubten keine klare Sicht hinaus. Dann und wann zog ein Auto an ihrem Haus vorbei, der Gehsteig lag jedoch brach und leer. Wohl kaum einer war um diese Uhrzeit noch in einer abgelegenen Gegend wie dieser unterwegs.

Wieder war es ein Seufzen, das von ihren Lippen floh, kaum dass sie einen kräftigen Schluck des Kaffees genossen hatte. Sie musste nachdenken. Dieser Traum beschäftigte sie zutiefst. Er war zu real um als Hirngespinst abgetan zu werden. Und er kam zu häufig um darin nicht irgendetwas mysteriöses, prophetisches zu erkennen. Sie war dem ganzen Hokus Pokus wie Tarot und Pendeln ja nicht ganz abgeneigt, also warum nicht auch visionäre Träume?

Sie betete wohl, dass sie sich irrte, denn diese Dinge, die sie gesehen hatte müssten nicht in Erfüllung gehen. Wenngleich sie wohl kaum an die Existenz von geflügelten Menschen glaubte- es mussten Engel gewesen sein.

Unwillkürlich sah sie zum Laptop, der auf dem kleinen Schreibtisch des Wohnzimmers ruhte. Zugemüllt mit Papieren, Büchern und diversen Krimskrams. Sie nippte nochmals am Kaffee, ehe sie sich erhob, noch immer nur mit dem Handtuch bekleidet, als sie sich in den weichen, ledernen Drehstuhl setzte und den Laptop aufklappte, ihn startete und den Browser öffnete. Flink tippten die Finger das Wort 'Engel' auf der Tastatur und in das Eingabefeld ihrer Suchmaschine ein.
 

Was sie zu sehen bekam überraschte sie nicht. Das meiste waren wohl esoterische Seiten, über Engelskarten, bis hin zu Engelsorakeln. Diverse Lexika-Einträge, welche die Hierarchien der Engel beschrieben und hier und da kleinere Homepages mit Gedichten über Engel. Meist waren die Vorstellungen dieser Kreaturen zuckersüß, beeinträchtigt von der Puttenära der Renaissance. Hier und da fand sie auch biblische Texte, die ihr durchaus mehr Stoff gaben als die Seiten zuvor. Das Wort Engel leitete sich scheinbar aus dem hebräischen und griechischen ab, bedeutete wohl so etwas wie 'Bote'.
 

Wenn ihr Traum also eine Botschaft in sich trug? Der Gedanke wollte ihr nicht gefallen. Was sollte sie denn tun? Ihren Müll besser trennen? Drei mal täglich beten? Es konnte wohl kaum eine Botschaft solcher Natur sein.

Ebenso interessant schien ihr der kurze Abschnitt über die Höllen-Engel. Engel wie Luzifer, der Morgenstern. Ein Engel, der sich abwand von Gott und der Urvater der Dämonen wurde.
 

Cylle schauderte und klappte den Laptop wieder zu. Dämonen, Engel. Sie sollte sich nicht in diese Sache hinein steigern und lieber wieder zu Bett gehen. Doch gerade als sie sich erhob, schien es ihr als hätte sich ein Schatten am Fenster bewegt. Erschrocken wirbelte sie herum, riss die halb-leere Tasse vom Tisch, die klirrend auf dem Boden zerbarst und die Reste des heißen Kaffees über ihre Waden spritzte. Sie fluchte laut, sprang hastig zur Seite und als sie wieder aufblickte, war da kein Schatten mehr. „Cylle, du wirst langsam verrückt...“, wisperte sie kaum vernehmlich zu sich selbst, ehe sie sich bückte und die Scherben aufsammelte. Sie würde den verschütteten Kaffee noch aufwischen, sich die Beine säubern und dann wieder ins Bett kriechen. Ihren Chef würde sie so gegen sieben anrufen und sich krank melden. Sie brauchte Ruhe, in der Hoffnung ein wenig Schlaf am Tag würde die grausamen Alpträume von ihr fern halten- zumindest hoffte sie das und betete dafür.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-11-14T10:16:11+00:00 14.11.2010 11:16
Dieses Kapitel gefällt mir noch ein wenig besser und wie ich ja schon gesagt habe, ist deine Art zu beschreiben wirklich sehr gelungen!
Bei der Szene mit dem Laptop und dem Traum musste ich allerdings an Twilight denken --> soll nicht heißen, dass du abgekupfert hast, ist ja eine sehr gängige Szene
aber witzig fand ich es schon^^

(wäre es möglich, dass du mir eine ENS schreibst, wenns weitergeht??)


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