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James Norrington

Ⅰ. Ankerlichtung
von

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I. Wiedersehen mit einem Fremden

Die Droschke wackelte brutal, und mehr als die Droschke wackelte nur Alexia auf ihrem Platz zwischen unseren schmerzenden Hinterteilen. Sie quietschte und gluckste vor Aufregung, seit wir losgefahren waren. Ich weiß nicht, wie es um Elizabeth stand, doch meine Ohren vibrierten schon vor lauter Inanspruchnahme. Unsere Köpfe jedenfalls waren müde, doch nur Alexia verfügte über die Muße, unter dem endlosen Scheppern und Rummsen schlafen zu können, wenn sie denn wollte. Die Nacht im Gasthaus hatten wir beiden Erwachsenen damit zugebracht, die weitere Reise zu besprechen und erste Ansätze einer gewissen Sache, von der James noch nichts wusste, von der auch ich an diesem Abend zum ersten Mal erfahren und die mich regelrecht schockiert hatte. Elizabeth selbst zeigte keinerlei Begeisterung, daher lag der Schluss nahe, dass Lord Norrington sich wieder einmal in die unsichtbare Tracht des Organisators geworfen hatte. Bei aller Bedenklichkeit über seine Vorausplanung musste man jedoch zugeben, dass er auch betreffs James Lawrence an alles dachte, um die Zukunft des Jungen sicher zu gestalten.

„Myladies“, tönte eine nahezu gelangweilte Stimme noch über das Schnauben der Pferde und Krachen der Räder hinweg und ließ uns sofort erleichtert aufatmen, „wir sind angekommen.“

Unser Kutscher half Elizabeth in bester Manier auf den Straßenrand, hob Alexia behutsam wie ein Alabasterschälchen hinaus und drückte mir schließlich das schwere Gepäck in die Hände. Die Admiralsgattin legte ihm den Lohn in seine nun Freien, bedankte sich und erntete eine kalte Verbeugung. „Soll ich dir zur Hand gehen?“, fragte sie mich aufmerksam, die ich ihr unter dem Gewicht der Taschen nur noch bis zu den Ellenbogen reichte, doch ich schüttelte mit einem gequälten Lächeln den Kopf. „Das schaffe ich schon. Du passt besser darauf auf, dass du mich in London nicht ganz so behandelst wie eine in einen Schokoladentopf geplumpste Schwester.“ Ich konnte einen sarkastischen Unterton nicht vermeiden und war mir in der nächsten Sekunde selbst fremd. Elizabeth starrte mich nur mit großen Augen an.

Was die Reservierung der Zimmer anbelangte, so ließ sie sich nicht lumpen. Sie hatte ein schönes, großes Haus inmitten der tüchtigen Stadt ausgewählt, ein kleiner Palast beinahe schon, dessen schlicht möblierte, große Räume sich keinen noch so winzigen Lichtstrahl entgehen ließen und die zum erholsamen Verweilen einluden. Sie bat den Jungen unseres Vermieters, dem man ziemlich deutlich ansah, dass er jenseits der scharfen Augen seines Vaters alles andere war als der im adretten Frack mit enger, roter Schleife gekleidete Mustersohn, wie er nun vor uns stand, sogleich die Herren Norrington vor dem Admiralitätsgebäude abzufangen, um ihnen ihre neue Adresse mitzuteilen, und kicherte anschließend mit Alexia im harmonischen Einklang, als sie daran dachte, wie die beiden gucken würden.

„Lass uns spazieren gehen!“, schlug sie mir mit glühenden Backen vor, deren leuchtrote Färbung nur noch von der Purpurnen meiner beiden Backen weiter unten übertroffen werden konnte. „Wir haben noch Stunden bis zur Dämmerung, und davor werden sie ohnehin nicht erscheinen. Es ist lange her, seit ich zuletzt in London war!“

Im Grunde verspürte ich keine Lust, doch ich nickte ihr zuliebe. Wir hatten gemerkt, dass diese Stadt sich Zeit ließ, dem vor der Tür stehenden Winter zu öffnen, und das sollte ausgenutzt werden. Um uns in der lachenden Sonne wohl zu fühlen, tauschten wir sogar unsere Mäntel gegen dünnere aus. In der Stadt oder zumindest in dem Teil der Stadt, den wir passierten, regierte Grau. Hellgraue, dicht an dicht gedrängte Häuser, die zwei Mauern zu beiden Seiten der Kieswege bildeten, die selbst dunkelgrau und breit waren, und weißgraue, schwarzgraue umherwuselnde Umhänge der Bewohner. Eine kaum jemanden aneinanderstoßen lassende Ordnung schien zu existieren, obwohl sie für mich nicht ersichtlich war in dem zielstrebigen Chaos von Fußgängern, Pferden, Vieh und Fahrzeugen. Ein Dunst von Mist, Kaffee und Flusswasser schwebte oberhalb unserer Köpfe, und wir bewegten uns in einem Strom von unverständlichen Stimmen und Geräuschen, die nicht lange benötigten, um selbst uns Gästen von einer weitgehend unberührten Landschaft selbstverständlich zu werden. Von Elizabeth gekonnt fernab der düsteren Gegenden Londons geführt, bekamen wir nichts mit von einem Großen Feuer oder dem Schwarzen Tod, aber ich durchaus auffällige Blicke der fesch gekleideten Bürger, die sofort in eine andere Richtung schnellten, sobald ich sie erwidern wollte. Mir wurde wärmer in meinem nicht billigen, engen Kleid, das Elizabeth mir speziell für diese Reise geschenkt hatte, je länger unser Spaziergang andauerte, und ich wünschte mir, endlich wieder im Hotel zu sein, musste jedoch erkennen, dass wir noch nicht einmal auf dem Rückweg dorthin waren. Nach dem Marsch von einer Stunde nahe der Themse, wo unzählige hohe Schiffsmasten mit eingezogenen Segeln mich daran erinnerten, weshalb wir hier waren, gelangten wir zum Covent Garden, wo so viel Trubel herrschte wie sonst nur unter den Domestiken, wenn James sich das Knie angeschrammt hatte. Von allen Seiten wurden die Besucher des luftarmen Marktes von dem Kreischen der Marktschreier wie von Pfeilen attackiert, überall flüchteten haufenweise Münzen in andere Taschen und wurde um die Preise gefochten. Armeen von Schnäppchenjägern stürmten die bunten Stände, zwangen jeden Widersacher nieder, und es war nicht auszumachen, welche Partei in dieser Schlacht der Wirtschaft gewinnen würde. Als würden sie nicht breiter sein als einen Fuß, schwangen sich Norringtons Frauen durch die minimalen Lücken in der Ansammlung von Feilschern und Sammlern, doch ich konnte ihnen nicht folgen, wenn ich nicht gewalttätig werden wollte. Mein Herz begann zu rasen. Ich machte mir Sorgen, sie ganz verloren zu haben. Weniger Sorgen um ihre Sicherheit denn darum, dass ich niemals allein zurück zum Gasthaus finden würde. Ich stand nicht lange da und sah ihnen mutlos nach, da begannen die Leute mich von meinem großen Platz zu verdrängen. Ich wurde herumgeschubst, mein Ächzen ging unter im Gebrabbel dieser laufenden Striche in ihren wippenden Stoffen, bis mir das Fleisch an allen Gliedern dumpf schmerzte. Und das machte etwas mit mir, das mir fremd war. Ich wurde richtig sauer. Und dann fing ich an, einmal zurückzustoßen. Zweimal, weil es nötig war. Dreimal, weil es einfach nicht aufhörte. Viermal, weil es mir reichte, fünfmal, sechsmal und jedes Mal fester. Mein Gesicht brannte. Und nach dem soundsovielsten Male überraschte mich ein starker Rückstoß, warf mich um. Das Gerede ebbte ab, verstummte, und um mich herum bildete sich ein Maenianum von Schaulustigen, deren aufeinander treffende Blicke der Abschätzung nichts als Zustimmung fanden. Wann immer ich später über diesen Vorfall nachdenken sollte, so hätte ich mir innerhalb einer solchen Situation nur Angst zugestanden, doch stattdessen war da Wut. Wachsende Wut.

„Was gibt’s da zu starren?“, schrie ich bebend in den Kreis um mich, der außer seinen Köpfen nichts bewegte.

„Was macht die Schwarze hier?“, fragte schließlich irgendjemand, der sich nicht in meinem Blickfeld befand, im höchsten Grade der Verwirrung. „Seht Euch das Kleid an! Seide! Ob man da nicht besser einen Wachen informiert?“

„Ja!“, pflichtete einer ihm mit vor Elan triefendem Ton bei. „Vielleicht hat sie jemanden überfallen!“

In der ersten Reihe drehten sich alle Köpfe zu den Seiten, als würde es möglich sein, dass mein vermutetes Opfer zufällig zu ihren Füßen lag. Es stank nach affektierter Betroffenheit. Ehrlich war unter den Versammelten nur eines: Die Abscheu mir gegenüber; der Drang, einen Schandfleck aus der blütenreinen Wäsche zu entfernen, wo es doch unter dem Laken dreckig war. Ich kannte das nicht. Ich kochte. Und ich schwor mir: Würde mich nur einer ganz leicht berühren, ich würde meine Fäuste nicht an mich halten können.

„Was ist das hier für eine Unruhe?“, flog eine Stimme über uns hinweg, und alle Gesichter schossen in dieselbe Richtung, wie Kinder, die befürchteten, bei etwas Verbotenem erwischt zu werden. Kurz darauf ließ ein kollektives Ausatmen die Männer und Frauen um einen Zoll zusammensacken. „Welch ein Glück!“, rief jemand erleichtert. „Sir! Treten Sie heran und sehen Sie doch bitte selbst. Es gibt allen Grund zur Annahme, dass hier ein Verbrechen vorliegt.“

Obzwar ich mir keiner Schuld bewusst war – und dies zu Recht – hatte ich jetzt Angst. Angst, dass die Wachen dieser fremden Stadt genauso einfältig dachten wie seine Zivilisten. Ich wollte James nicht durch die Gitter einer Gefängniszelle begrüßen müssen, mit Tränen in den Augen. Es durfte nicht sein, dass er nach Jahren der Trennung seiner Familie begegnete, und ich war nicht da. Die Schar lichtete sich, sodass jemand hindurchtreten konnte, und ich schaute hinauf in das von einem großen Dreispitz verschattete Antlitz eines hochgewachsenen Mannes, aus dem mich zwei schmale, dunkle Augen streng analysierten. Der Magen zog sich mir schmerzhaft zusammen, und das ungewohnte Mieder raubte mir auf einmal sämtliche Luft. Meine Miene musste blankes Entsetzen gebildet haben. Die Sanftheit der Züge dieses Herren wurde von einem Ausdruck der angeeigneten Härte überspielt, dass selbst die Grübchen, in denen sein von einem feinen Bartschatten umsäumter Mund endete, als auch die ihm den Anschein leichter Ermattung gebenden Fältchen von den Augenwinkeln und den Nasenflügeln aus seine erschreckende Wirkung auf mich nicht zähmten.

Wer war dieser Mann? Und warum befand ich mich wie kurz vor dem Ausbruch in eine Hysterie? Ich wollte nicht, dass er mich gefangen nahm. Er senkte seine Brauen schwer über die schwarzen Wimperndächer seiner Augen, als benötige er eine Brille, um mich riesigen schwarzen Klecks auf dem grauen Boden ausfindig zu machen, dann blinzelte er und sah mich aus zwei bedröppelten Hundeaugen an. Seine Lippen bildeten stumm ein Wort, die untere war dabei unmerklich vorgeschoben, doch ehe sich jemand von uns beiden fasste, traten feste Stiefelschritte an uns heran. Als hätten sie ihn aus einem Dösen gerissen, korrigierte er seine Haltung wie seine Mimik und bat den Rest der Menge ungeduldig, sich aufzulösen. Gemurmel, Gerede, Gebrabbel, der Alltag kehrte zurück.

„Mr Norrington?“ Ich hatte gerade die mir entgegengestreckte Hand des Mannes ergriffen, um mir aufhelfen zu lassen, da entfloh mir alle Kraft, und er musste mich fangen, zog mich in die Gerade mit einer Stärke, die ich seinen filigranen Händen gar nicht zugetraut hätte. Über seine Schulter hinweg sah ich in Lord Admiral Lawrence Richard Norringtons Gesicht, während er mich gerade loslassen wollte, und warf mich mit einem Aufschrei um seinen Hals. Unter meinem ungläubigen „James! James! James! James!“ hörte ich die leicht erhöhte Stimme nicht, die murmelte: „Bitte, Ms Abda. Nicht hier. Bitte…“ Als ich mich soweit entfernte, um ihn anschauen zu können, war mein Blick verklärt. Fünf Jahre lang hatte ich dich entbehren müssen. Fünf Jahre. Und hier stehst du, ganz anders, als ich dich in Erinnerung habe. Erwachsen. Gereift. Ich konnte mich selbst nicht davon abhalten, ihm auf offener Straße einen Kuss zwischen die Augen zu drücken, und glaubte es danach noch immer nicht. Wie habe ich die letzten fünf Jahre ohne dich nur überleben können?

Ein Mädchen kreischte schrill, und ich war bemüht, James loszulassen, damit Alexia ihren großen Bruder überfallen konnte. Sie flog in seine Arme, dass er sich zweimal mit ihr um sich selbst drehen musste, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Er war sichtlich überfordert. Er konnte nicht wissen, weshalb ihn ein wildfremdes Mädchen auf diese Weise attackierte, und auch der Lord, an dessen Seite seine edle Gemahlin strahlend lächelte, äußerte seine misstrauische Irritation, bis auch Elizabeth nicht länger an sich halten konnte und ihn mit stürmischer Leidenschaft küsste. „Es ist dein Kind“, antwortete sie stolz auf seine ungestellte Annahme, und er – trotz der Tatsache ihrer Seitensprünge – glaubte ihr sofort, wenn nicht vor allem aufgrund der einzigartigen Farbe von Haar und Iris. „Deine Tochter.“

Alexia würdigte den Einarmigen keines Blickes. Sie sprang an James’ blauer Fähnrichuniform hinauf, bis er sich zögerlich zu ihr kniete. Endlich auf gleicher Höhe mit ihm, drückte sie ihre Nase an die seine und kicherte verlegen gegen seinen Kragen. Ihre Arme glitten um seinen Hals. „Trag’ mich!“, befahl sie völlig verschämt. „Entschuldigung, Miss, aber das geht nicht“, antwortete er mit rauem, mir völlig fremdem Timbre.

Gemeinsam kehrten wir endlich zurück zur Herberge, aber ich achtete wenig darauf, wohin ich ging, weil es mir nicht gelang, mich lange von James abzuwenden. Alles Kindliche hatte seine Gestalt verlassen, doch es war kein Verlust. Zwar gestattete der Justeaucorps der Marine kaum einen Rückschluss auf seinen Körper, aber die engen, weißen Kniestrümpfe passten sich um zwei schlanke, feste Waden wie eine zusätzliche Haut, und sein Gang war von beeindruckender Eleganz, aber auch von Entschlossenheit. Sein Blick wandte sich nicht ab, erniedrigte sich nicht, wenn uns jemand entgegenkam, und ja, er war hübsch in der strikten Uniform, unter seinem großen Dreispitz, mit der schwarzen Perücke, all diesen fremden Dingen an ihm. Ein wenig, ein ganz kleines Bisschen beneidete ich Alexia Norrington, die im halben Schlaf auf seinen Armen vor sich hin schmunzelte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Daikotsu
2011-03-09T23:32:14+00:00 10.03.2011 00:32
Arme Abda muss sich solch eine Schmach zu Teil werden lassen.
Und ich mag Alexia immer noch nicht, obwohl sie einige Sympathiepunkte in diesem Kapitel für sich einholen konnte. Ich konnte gradezu ihre Stimme in meinen Schädel hören.
Dennoch, ich bin gespannt wie James reagieren wird, bisher war seine Einstellung ja kühl.


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