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Hannibal

Murdoc's brother
von

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Hannibal mit dem roten und dem schwarzen Auge

Prolog

Hannibal mit dem roten und dem schwarzen Auge
 

„Hey, Hans, lass uns nach der Schule noch ein bisschen in den Park gehen, okay?“

Hans, der eigentlich Hannibal hieß und jeden, der nicht zu seinen Freunden gehörte und ihn so nannte, windelweich prügelte, nickte einmal kurz als Zeichen der Zustimmung und boxte Ben noch ein letztes Mal sanft gegen die Schulter, ehe dieser mit all den anderen in den stickigen Klassenraum verschwand. Hannibal hatte schon vor Ewigkeiten damit aufgehört, zur Schule zu gehen, obwohl er recht intelligent zu sein schien. Manchmal –wie heute-, wenn er nichts Besseres zu tun hatte, kam er in einer der beiden großen Pausen vorbei, um sich ein bisschen mit seinen Freunden zu unterhalten, die noch zur Schule gingen. (Das waren übrigens sehr wenige, was allerdings nicht unbedingt daran lag, dass die meisten seiner Kumpane -wie er- seit Monaten ununterbrochen schwänzten, sondern eher an der Tatsache, dass ein gehöriger Teil seiner Freunde und Bekannten ein paar gute Jahre älter waren als er. Einige waren sogar schon achtzehn oder noch älter.)

Hannibal verließ das Schulgebäude, und als er auf dem menschenleeren Schulhof stand und das Geschrei und Gequassel aus den vielen Dutzend Klassenräumen hinter ihm hörte, wusste er nicht, wohin er gehen sollte. Es war noch nicht mal elf Uhr, was bedeutete, dass seine Schulschwänzer-Freunde allesamt noch schliefen, und es musste schon einiges geschehen, damit er freiwillig vor Mitternacht nach Hause ging, wo sein ewig besoffener Vater auf ihn wartete.

Hannibal beschloss, sich in seinem Versteck zu verkriechen und erst wieder hervorzukommen, wenn die Schule vorbei war und er mit Ben in den Park gehen und sich mit ihm die Zeit vertreiben konnte. Ganz am Rande der Stadt -von der Schule aus waren es gute vierzig Minuten Fußweg- befand sich eine alte Müllhalde, die zwar mit einem großen Maschendrahtzaun umschlossen war, sonst aber keinen Schutz vor Menschen wie Hannibal hatte. Nun ja, dachte er sich, es brechen wohl auch nicht allzu viele Leute in eine Müllhalde ein. Jedenfalls gab es dort einen riesigen Haufen von aufeinander gestapelten, verrosteten Karren, Autos, LKWs und Motorräder, der in der Mitte eine ganz kleine Öffnung hatte, gerade so groß, dass sich ein mittelmäßig gewachsener Teenager mit viel Mühe hineinquetschen konnte. In der Mitte dieses Auto-Friedhofes, der sich nie veränderte, denn nie kamen Autos hinzu oder wurden abgeholt, befand sich ein kleiner Hohlraum, eine Höhle, die niemand außer ihm kannte. Das war sein Versteckt und dorthin kam er, wenn er nichts mit sich anzufangen wusste, was in letzter Zeit häufig der Fall war.

Und auch heute hatte vor, sein Versteck aufzusuchen.
 

Ein wohliger Schauer überkam ihn, als er sich durch das Eingangs-Loch gequetscht und in seiner Höhle Platz genommen hatte. Er hatte viel Zeit auf der Müllhalde damit verbracht, Gegenstände zusammen zu suchen, die er als Möbel benutzen konnte, und er fühlte sich in diesem engen Loch zehnmal wohler als zu Hause. Einmal hatte er hier sogar eine Nacht verbracht, weil er sich vor seinem Vater gefürchtet hatte, der eine ganze Ladung Wodka mit nach Hause gebracht hatte. Als er am nächsten Mittag dann die kleine, vom Staat bezahlte Wohnung betrat und seinen Vater, der mit einem Kater auf der durchgelegen Couch lag, fragte, ob er sich denn Sorgen um ihn gemacht hätte –schließlich war er eine ganze Nacht lang weg gewesen ohne Bescheid zu geben oder einen Zettel zu schreiben, und schließlich war er erst dreizehn- da hatte ihn sein Vater nur mit seinen Schweinsaugen angestarrt und verwundert gegrunzt: „Du warst weg, Rotzlöffel?“ Das war der Tag, an dem Hannibal beschloss, dass dieser Ort nicht mehr sein zu Hause war und das war auch der Tag, an dem er sich zum ersten Mal eine Zigarette anzündete.

Er hatte kein Geld für Zigaretten, das hatte er nie gehabt. Er rauchte viel, aber alle Zigaretten hatte er entweder seinem Vater geklaut oder von seinen Freunden bekommen, und er hortete sie wie einen wertvollen Schatz. In einer Ecke seines Verstecks stand ein kleiner Schrank mit vielen Schubladen, den er hier irgendwo gefunden hatte, und in einer davon hatte er einige Dutzend Zigaretten versteckt. Er nahm sich eine heraus, eine der Guten, und zündete sie sich an. Das Feuerzeug hatte er unbemerkt in einem Laden mitgehen lassen, als er dort für seinen Vater einige Besorgungen gemacht hatte. Geld hatte er kaum. Er bekam kein Taschengeld, nicht mal ein bisschen, und seine einzige Möglichkeit an Geld zu kommen bestand darin, seinen Vater oder irgendwelche Passanten zu bestehlen. Meistens war sein Vater der Unglückliche. Nicht etwa, weil er Mitleid mit den bestohlenen Menschen gehabt hätte oder so etwas wie Gerechtigkeitsempfinden besaß, sondern weil sein Vater fast den ganzen Tag betrunken oder bekifft auf der Couch lag, schlief oder Fernsehen guckte, und somit leichter zu bestehlen war.

Er nahm einen tiefen Zug und fühlte sich sogleich besser. Er fühlte sich wohl in seinem Versteck, hier konnte ihm niemand etwas anhaben, ihm konnte niemand wehtun, das hier war sein Ort! Hannibal rieb die geschundenen Füße –es war Sommer und er lief oft barfuß oder in billigen Sandalen umher- an dem weichen, flauschigen Teppich und begutachtete sein Versteck. Er hatte viele alte, sehr dicke Teppiche gefunden, und sich die Schönsten ausgesucht, um sie hier auszubreiten. In einer Ecke stand der Schubladen-Schrank, in einer anderen ein niedriger Tisch mit zwei etwas kaputten, aber an sich recht hübschen Stühlen. Hannibal hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, wieso er sich zwei der Stühle mitgenommen hatte, wo er doch immer bloß allein in seinem Versteck war. Er hatte es einfach getan. Meistens, wenn er im Versteck war, legte er sich auf einen kleinen Hügel bunter Kissen und Decken, die gut die Hälfte des gesamten Platzes einnahmen. Das war seine Wiese, sie war weich und warm und er verbrachte viele Stunden damit, auf ihr zu liegen und seinen Gedanken nachzuhängen.

An einer der Wände, die ja aus Eisen und Gummi bestanden, hatte er eine steinalte Seemanns-Uhr aufgestellt, die man täglich zur genau derselben Zeit aufdrehen musste, damit sie richtig ging. Jetzt war es kurz nach zwölf.

Er warf den Blick an die Decke, entdeckte das trotzige Funkeln eines staubigen Mercedes-Sterns, der ihm nie zuvor aufgefallen war, und fragte sich, ob er ein Tütchen rauchen sollte. Hannibal mochte Gras, und er hatte genug Kontakte, um leicht und billig an welches zu kommen. Gras ließ ihn seine Probleme vergessen und half ihm über langweilige Stunden hinweg. Doch heute entschied er sich dagegen. Er war nicht blöd und auch nicht naiv. Er wusste, dass Drogen gefährlich waren, dass sie einen kaputt machen konnten –siehe sein Vater- und darum achtete er darauf, nicht zu viel zu nehmen und vor allen Dingen nichts Härteres als Gras. Gras war okay, das war nicht schlimm. Er hatte sogar mal gehört, dass es in irgendeinem Land legal war. Holland? War es Holland gewesen? Oder Belgien? Er wusste es nicht mehr genau.

Statt eines Tütchens Gras nahm Hannibal sich eine weitere Zigarette, diesmal jedoch eine, die nicht ganz so gut war, und hielt die ganze Zeit die Augen geschlossen, während er rauchte. Er träumte erst von Fruchteis –er liebte Eis-, dann von einigen seiner Freunde, die er sehr mochte, wie Ben zum Beispiel oder Ian, und dann von seiner Mutter. Er wusste nicht, wie sie aussah oder wie sie hieß, was für ein Mensch sie gewesen war oder wieso sie ihn und seinen Vater verlassen hatte, und darum verbrachte er viele Nachmittage damit, sich eine Traum-Mum zu basteln. Die Traum-Mum war eine sehr hübsche Frau. Sie hatte lange, dunkle Haare wie er selbst und wunderschöne, tiefe blaue Augen. Manchmal stellte er sie sich auch mit anderen Augenfarben vor, mit grünen Augen und ab und zu sogar mal mit roten, aber die Traum-Mum mit den blauen Augen gefiel ihm am besten. Er wohnt mit ihr und Dad in einer hübschen, geräumigen Wohnung, irgendwo in einer Stadt am Meer, und er kommt gerade von der Schule. Sie macht die Tür schon auf, ehe er anklingeln kann und sagt: „Ich habe dich vom Fenster aus gesehen. Wo warst du nur so lange? Ich habe mir Sorgen gemacht!“ Für einen Moment hat die Traum-Mum einen besorgten Gesichtsausdruck, doch dann lächelt sie und sagt: „Ich habe Plätzchen für dich gebacken! Mit den bunten Streuseln, die du so gern magst, ich habe extra welche für dich gekauft!“ Und plötzlich fällt ihm der leckere Geruch nach Gebäck und Zucker auf, der in der Luft liegt. Freudig stürmt er in die Küche, Traum-Mum schaut ihm nachsichtig hinterher und ruft: „Aber pass auf, Hans, das Blech ist noch heiß!“

Sie essen zusammen die Plätzchen, Traum-Mum streicht ihm über die Haare, die er von ihr hat und er spürt die Wärme ihrer Hand und ihren freundlichen Blick auf sich. Später dann kommt Dad von der Arbeit. Er trägt einen schönen Anzug, und lächelt, als er die Wohnung betritt. Erst begrüßt er Hannibal freundlich und fragt ihn nach der Schule, dann wendet er sich an seine Frau, gibt ihr einen Kuss und sagt ihr, wie sehr er sie liebt.

Es gibt Mittagessen, Traum-Mum hat viel Zeit damit verbracht, es zu kochen und Hannibal und Dad finden, dass es herrlich schmeckt und Traum-Mum wird ganz rot vor Stolz. Nach dem Essen spielen sie dann zusammen etwas. Monopoly oder Schach. Hannibal kann Schach spielen, denn Dad hat ihm schon früher gezeigt, wie man die Figuren bewegen muss und welche Züge am klügsten sind. Dann gibt Traum-Mum ihm Taschengeld, viel Taschengeld, und er geht nach draußen und macht etwas mit Ben oder Ian oder Percy. Und wenn er dann abends nach Hause kommt, steht das Abendessen auf dem Tisch. Frisch gekauftes Brot, das duftet, und heißen Kakao für ihn. Er hat eine Tasse, auf der steht sein Name. Hans. Traum-Mum hat sie für ihn gekauft.

Ein kühler Luftzug von draußen wehte in seine Höhle und Hannibal öffnete seine traumverklärten Augen. Es wurde windig draußen, und es dauert nur wenige Momente, dann hörte er dünnen Sommerregen draußen auf den Boden platschen, der aus fest getrampelter Erde bestand, und er hoffte, dass der Regen bald wieder verschwinden würde. Hannibal mochte Regen nicht, außer an sehr heißen Sommertagen; in all seinen Vorstellungen mit Traum-Mum war es schönes Wetter, der Himmel war strahlend blau mit nur ein oder zwei kleinen Wölkchen und man konnte die Sonnenstrahlen auf der Haut brennen spüren. Hannibal schloss zum zweiten Mal die Augen, doch die Geräusche des Regens störten ihn. Er begann „What Will We Do With A Drunken Sailor“ zu summen, das einzige Lied, das er auswendig konnte, weil sie es in der ersten oder zweiten Klasse im Musik-Unterricht gerne gesungen hatten. Hannibal mochte Musik; aber er konnte kein einziges Instrument spielen, obwohl dies wohl eines der ganz wenigen Dinge gewesen wäre, die er gerne gelernt hätte. Der Regen, der nur kurz angedauert hatte, verebbte schnell wieder. Die Sonne zeigte sich, und ein fast unsichtbarer Regenbogen erschien am Himmel. Hannibal kniff angestrengt die Augen zusammen, doch er konnte immer noch nicht erkennen, wie viele Farben es denn nun waren. Trotzdem fand er ihn wunderschön.

Die Seemanns-Uhr zeigte gleich zwei Uhr, und Hannibal stand auf, um zurück zur Schule zu gehen. Um drei war die letzte Stunde zu Ende, und er hatte keine Lust, es sich mit Ben zu verderben, indem er zu spät kam. Er hatte gelernt, dass ewige Unpünktlichkeit Leute nervte. Früher, als er noch zur Schule ging, war er ständig zu spät gekommen, und all seine Lehrer hatte das fürchterlich aufgeregt. Was ihn im Übrigen nicht sonderlich gekümmert hatte. Sollten sich die blöden Lehrer doch aufregen! War ihm doch schnurz! Irgendwann rief der Direktor dann bei ihm zu Hause an, und dann sagte keiner der Lehrer mehr etwas, wenn er zu spät kam. Aber das machte alles nur schlimmer. Hannibal schämte sich für dieses Verhalten der Lehrer, das wohl Mitleid oder so etwas darstellte, denn dass sie eine Reaktion auf das Gespräch mit seinem Vater sein musste, das war glasklar. Und er schämte sich noch mehr für seinen Vater. Bestimmt hatten sie ihn erwischt, als er gerade wieder gesoffen hatte. Natürlich hatten sie das! Der Alte soff doch immer!
 

Es war kurz vor drei, als er endlich den Schulhof erreichte, denn er war langsam gelaufen. Die Stadt, in der er lebte, sah fürchterlich hässlich aus. In den ärmeren Vierteln –in dem ärmsten wohnte er- waren alle Häuser alte Bruchbuden mit abblätternder Farbe und Fenstern ohne Gardinen. In den etwas besseren Vierteln, von denen es wenige gab, standen solide, klotzige Betongebäude, die nicht schön aussahen, in denen man aber zumindest vernünftig wohnen konnte. Hannibal hätte gerne in einem dieser Häuser gewohnt.

„Hey, Hans!“

Es hatte geklingelt, ohne dass Hannibal es bemerkt hatte. Ben und ein anderer Junge, den er nur vom Sehen her kannte, von dem er aber wusste, dass er gut mit Ben befreundet war, kamen auf ihn zugelaufen. Der Junge, der ihn nicht kannte, musterte ihn mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Furcht. Hannibal wusste wie er aussah. Er trug fast ständig –sogar jetzt im Sommer- eine alte, aber coole Lederjacke, die er in der Nähe seines Versteckes gefunden hatte, eines seiner Augen war schwarz und das andere rot –das gefiel ihm besonders-, und er hatte zwei Piercings im Gesicht und sieben an den Ohren. Ein guter Freund von ihm (einer der Erwachsenen) hatte sie ihm zu seinem vierzehnten Geburtstag gestochen, und Hannibal liebte sie! Sie ließen ihn wild aussehen, gefährlich, besonders, und er genoss dieses Gefühl in vollen Zügen. Zu seinem fünfzehnten Geburtstag würde er sich eine Tätowierung wünschen. Er hatte sogar schon ein schönes Motiv gefunden: einen hochfliegenden Adler mit einer Blume im Schnabel.

„Hans, das ist George. Ein guter Kumpel von mir. Er kommt heute mit.“ George war ein dunkelhaariger, schlaksiger Junge mit auffallend großer Nase, die einem verbot, ihn ernst zu nehmen. Hans mochte das Gefühl von Macht und Stärke, das ihm die Blicke dieses Jungen gaben, trotzdem hatte er keine große Lust sich Ben mit ihm zu teilen. Aber was sollte er tun? Würde er Georgieleinchen jetzt wegschicken, würde Ben sicherlich mit ihm gehen, und das wollte Hannibal noch weniger. Also zuckte er nur kurz mit den Schultern, ein Zeichen der Billigung, und sie gingen zu dritt in den nahe gelegenen Park.

Es machte mehr Spaß, als er erwartet hatte. Ben und George grenzten ihn nicht aus, was er befürchtet hatte. Ganz im Gegenteil: Dieser George schien irgendwie überwältigt von ihm, er stellte ihm andauernd Fragen über ihn und sein Leben. Hannibal log meistens und stellte sich sehr cool dar. Was ging diesen Idioten denn auch seinen Vater und Traum-Mum an? Nichts! Er hatte sowieso nicht vor, sich wirklich mit George anzufreunden, obwohl es ihm Spaß machte, seine Fragen mit Lügen zu beantworten und so zu tun, als sei er der Anführer einer riesigen Bande. Hannibal hatte ein gutes Gespür für Menschen; er erkannte leicht, ob jemand gescheit oder ein Trottel war und wofür man ihn vielleicht noch brauchen könnte. Ben zum Beispiel war ein Mittelding zwischen gescheit und Trottel (allerdings mit leichter Tendenz zum Trottel), und man konnte ihn gut als letzte Notlösung gebrauchen, zum Zeitvertreib, wenn sonst niemand Zeit hatte. Nach diesem Muster teilte Hannibal all seine Mitmenschen ein und gab ihnen einen Rang. George war eindeutig ein riesengroßer Trottel (Tendenz zum Mega-Ober-Trottel), so blöd wie er sich bei vielen Dingen anstellte,und so leicht wie er zu belügen war. Hannibal beschloss, George nicht als Freund anzunehmen, ihn jedoch bei der Stange zu halten. Wer weiß, vielleicht würde er ja irgendwann noch nützlich sein. Er schien jemand zu sein, den man schnell beeindrucken konnte; vielleicht schaffte er es, George zum Rauchen zu bringen, sodass er sich jede Menge kostenloser Zigaretten sichern konnte?

„Es ist gleich acht, Hans.“ Ben stand auf und neben ihm erhob sich auch George, der ihn so verschmitzt angrinste, als seien sie zwei verlorene Freunde, die sich endlich wieder gefunden hatten. „Wir müssen jetzt langsam nach Hause. Sonst machen unsere Mütter wieder Ärger.“

„Okay.“

„Äh. Naja, dann … tschüss.“ Ben und George verabschiedeten sich von ihm, und Hannibal gab ihnen beiden leichte Schläge auf die Schultern (George einen etwas härteren, was diesen paradoxerweise jedoch zu gefallen schien; wahrscheinlich fasste er es als Bevorzugung auf, obwohl es eigentlich eine Herabsetzung gewesen war).
 

Und was sollte er jetzt tun? Hannibal hatte keine Lust, den langen Weg zurück zu seinem Versteck zu gehen. Er hätte ein paar seiner Schulschwänzer-Freunde kontaktieren können, aber dafür hätte er zu ihren Wohnungen hingehen müssen, weil er kein Handy besaß, und darauf hatte er auch keine Lust.

Also fasste er einen Entschluss, den er seit ewig langer Zeit nicht mehr gefasst hatte: Er würde heute einmal vor Mitternacht nach Hause kommen! Was wollte der Alte ihm schon antun, so stockbesoffen oder dicht wie er sein würde? Hannibal lachte leise. Vielleicht schaffte er es ja sogar, dem Saftsack etwas Geld oder Zigaretten zu stehlen?

Er wohnte nicht weit weg vom Stadtpark. In einer furchtbar kleinen Wohnung, die sein Vater vom Geld des Staates bezahlte, und die eigentlich nur aus drei kleinen, stickigen Räumen bestand: Dem Wohnzimmer, das mit einer kleine, unsauberen Kochnische auch als Küche fungierte, in dem sich sein Vater fast sein ganzes Leben lang aufhielt, ob er nun schlief, den Fernseher laufen hatte, ein junges Mädel fickte (Hannibal ließ niemals den Gedanken zu, dass er wohl auf die gleiche Weise entstanden war und Traum-Mum in Wirklichkeit eines dieser leichten Mädchen war) oder sich mit irgendwelchen legalen und illegalen Rauschmitteln zupumpte, einem winzigen, dreckigen Badezimmer und einem kleinen Raum, in dem eine Matratze (sein Bett), ein zusammengenagelter Haufen Bretter (seinen Kleiderschrank) und eine solide Holzkiste (sein Schreibtisch) standen. Er mochte sein Zimmer nicht so gerne wie sein Versteck. Aber wenigstens besaß er den Schlüssel.

Sein Vater lag wie gewohnt auf seiner Couch, dem Fernseher gegenüber –es lief ein Porno- und eine Bierflasche in der Hand haltend. Seltsamerweise schien er nicht betrunken zu sein, oder jedenfalls nicht viel. Das beunruhigte Hannibal. Was war los? Waren Bullen aufgetaucht? Oder das Jugendamt?

„Hey, Hans.“ Hannibal konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal mit seinem Vater gesprochen hatte, als dieser nüchtern gewesen war. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann sein Vater überhaupt das letzte Mal nüchtern gewesen war. Sie stritten sich oft und schrieen sich an und prügelten sich, wenn sein Vater oder auch sie beiden stockbesoffen waren, aber ansonsten hatten sie nicht viel miteinander zu tun.

„Ich habe eine Überraschung für dich, Kleines.“ Überraschung? Kleines? Hannibal schluckte, blieb in der Tür stehen und machte sich dazu bereit, jeden Moment die Wohnung so schnell er konnte, wieder zu verlassen. Er wusste von einigen Freunden, besonders von Freundinnen, was solche Worte zu bedeuten hatten. Und er fürchtete und ekelte sich vor dieser Vorstellung. Aber soweit würde sein Vater doch nicht gehen, oder? Klar, er war ein Sozialschmarotzer, ein Säufer und ein Junkie, aber doch kein Kinderficker, oder?

Sein Vater schien diese Angst zu spüren, lachte kurz und meinte dann: „Keine Sorge, Hans, ich tu dir nichts. Ich wollte dir nur was mitteilen.“

„Aha, und was?“ Hannibal machte einen kleinen Schritt zurück und spannte all seine Muskeln an. Sein Körper bebte vor Angst und Misstrauen. Er wusste nicht, wie stark sein Vater war, wenn er nüchtern war, und das war die größte Gefahr.

„Es wird dich sicherlich freuen. Es ist ja für Kinder nicht gut, wenn sie immer so alleine sind. Sagen doch alle immer, hm?“ Hannibal zog einmal kurz die Nase hoch und rechnete sich aus, wo er schnell hinrennen musste, damit sein Vater ihn nicht fand. Zum Versteck war es zu weit. Hatte er Freunde in dieser Gegend? Er dachte scharf nach. Vielleicht konnte er zu Joe gehen?

„Und darum dachte ich mir, ich zeige dir mal, was ich für ein guter Vater bin!“

Hannibals Verdacht schien sich mit jedem Wort mehr zu bestätigen. Sobald sein Vater sich auch nur einen Millimeter rührte, würde er zu Joe rennen, so schnell ihn seine Beine trugen!

„Ich habe dir einen kleinen Bruder gemacht!“

Jetzt! Zu Joe! Schnell, sonst kriegt er dich! Hannibal konnte sich nicht rühren. „Was?!“

Sein Vater zeigte in die Ecke des Wohnzimmers, die am nächsten zur Tür und somit auch am nächsten zu Hannibal war. Auf einem großen Kissen, das eigentlich zur Couch-Garnitur des Alten gehörte und das er in seiner Angst gar nicht bemerkt hatte, lag ein kleiner Säugling. So einen kleinen Menschen hatte Hannibal noch nie gesehen, nicht einmal in den Kinderwägen der Frauen, die er manchmal im Supermarkt traf. Dieses Baby konnte noch nicht alt sein, wahrscheinlich war es sogar erst vor einigen Tagen geboren worden, vielleicht auch erst vor wenigen Minuten, so winzig wie es war. Es hatte einen dünnen, dunklen Flaum Haare auf dem runden Kopf, trug einen hellblauen Strampelanzug mit einem aufgedruckten Flugzeug und Hannibal meinte sogar erkennen zu können, dass es ein rotes und ein schwarzes Auge hatte, obwohl das auf der Entfernung natürlich schwierig war (er hatte sich noch immer kein Stückchen von der Tür wegbewegt).

Die Augen waren der ultimative Beweis, dass dieses Kind von seinem Vater war. Die Augen seines Vaters hatten –genauso wie seine und die des Säuglings- jeweils eine rote und eine schwarze Farbe, und dies war das Erkennungszeichen der „Familie Niccals“. Hannibal wusste nicht, ob sein Vater bei seinen ständigen One-Night-Stands verhütete oder nicht, jedenfalls wurde ihm die Vaterschaft für Dutzende Kinder in der Stadt unterstellt. Wie man hier an diesem Beispiel deutlich sehen konnte, schickte man ihm diejenigen zu, die eindeutig und ohne Zweifel seine waren. Ob er das nun wollte oder nicht.

„Und du wirst dich um den Kleinen kümmern, kapiert? Du wirst ihn füttern und wickeln und was man sonst noch so mit Babys macht. Und wehe ich erwische dich dabei, wie du dich drückst, Rotzlöffel! Dann gibt’s eine Abreibung, die sich gewaschen hat, das verspreche ich dir!“
 

So, das hier ist also endlich der Prolog von "Hannibal". Ich fände es super, würdet ihr mir schreiben, was ihr von ihm haltet und wo ich mich eventuell noch verbessern könnte. ;)
 

bye

sb

Die Qual der Wahl

Kapitel 1

Kapitel 2

Die Qual der Wahl
 

„Hör auf zu schreien! Hör auf! Sei still! Ich habe verdammt noch mal gesagt: HÖR AUF ZU SCHREIEN! DU KLEINER SCHEIßER!“

Murdoc schrie. Er schrie und schrie und schrie und trieb Hannibal in den Wahnsinn. Er hatte keine Ahnung von Säuglingen. Abgesehen von Müttern in Parks und in Einkaufsläden hatte er niemals Erfahrungen damit gemacht, wie man als Erwachsener mit einem Säugling umzugehen hatte. Sollte er ihn auf den Arm nehmen und wiegen? Aber wie nahm man so ein zerbrechliches, kleines Ding richtig hoch ohne ihm wehzutun? Oder musste er gewickelt werden? Aber er hatte keine Windeln da! Hannibal biss sich auf die Unterlippe, um die Tränen zurückzuhalten. Er fühlte sich schrecklich mies. Nicht nur, weil sein kleiner Bruder mit seinem stetigen Geschrei seine plötzlich hundertmal empfindlicher gewordenen Nerven furchtbar strapazierte, sondern auch, weil er sich völlig überfordert mit der Aufgabe fühlte, sich allein um ein kleines Kind zu kümmern.

Warum half ihm denn sein Vater nicht? Der musste doch wissen wie so was ging! Schließlich hatte er es auch irgendwie hinbekommen, ihn großzuziehen. Aber sein Vater war nicht hier. Kaum hatte er ihm mitgeteilt, dass er plötzlich ein großer Bruder war und sich um seinen kleinen Bruder zu kümmern hatte, war er auch schon sogleich aus der Wohnung verschwunden. Hannibal nahm an, dass er sich einen neuen Nachschub an Bier besorgte und dieser Gedanke machte ihn ganz schrecklich wütend. Wieso besoff sich sein Vater lieber, anstatt ihm zu helfen, anstatt sich um seine Kinder zu kümmern?

Was soll’s, dachte er sich schließlich. Sein Vater hatte sich noch nie für ihn interessiert und sich noch nie um ihn gekümmert, und es war wirklich dämlich naiv von ihm, zu glauben wegen eines weiteren Kindes würde sich das von einen auf den anderen Tag ändern. Pah, wozu brauchte er den Säufer denn?! Hannibal war niemals jemand gewesen, der schnell aufgab, und er beschloss, die Herausforderung anzunehmen. Was hatte er auch für eine andere Wahl?

Er versuchte sich an eine Szene zu erinnern, die er gerade erst letzte Woche erlebt hatte. Er war mit einem seiner Freunde –er wusste gar nicht mehr genau, welchem- durch die Innenstadt geschlendert und hatte dort eine Frau Mitte zwanzig gesehen, die einen dunkelblauen Kinderwagen vor sich her schob. Plötzlich fing das kleine Baby im Wagen an zu quengeln und zu schreien, ohne jeden Grund. Die Frau hatte angehalten, das Baby hochgenommen. Wie hatte sie das noch mal getan? Hannibal strengte sich an und versuchte, sich an jede Kleinigkeit ganz genau zu erinnern. Eine Hand hatte sie unter den Kopf des Säuglings gelegt, die andere um seinen Körper. Und dann hatte sie ihn ein bisschen -ganz sanft und vorsichtig- hin- und hergewiegt und ihm leise beruhigende Worte zugeflüstert.

Okay, das konnte doch nicht so schwer sein! Hannibal war nervös und als er auf seine Hände schaute, sah er, dass sie zitterten. Er hatte Angst, Murdoc fallen zu lassen oder ihn falsch anzupacken. Aber was blieb ihm übrig? Ihn hier auf diesem staubigen Kissen liegen lassen bis ihr Vater zurückkam –was getrost erst morgen früh oder sogar Abend sein konnte-, das konnte er ja schließlich auch nicht!

Bleib ruhig, Hans. Bleib ganz ruhig. Mit der einen Hand unter seinen Kopf. Hannibal unterdrückte das Zittern, biss sich auf die Unterlippe bis er meinte Blut zu schmecken, und dann hatte er endlich ganz vorsichtig und so langsam wie in Zeitlupe die Hand an die richtige Stelle gelegt. Gut. Hey; das war doch gar nicht so schwer! Und jetzt die andere Hand. Unter den Körper, den Rücken. Ganz langsam, bloß nichts falsch machen! Es dauert länger als beim Kopf, aber dann hatte Hannibal auch diese Hürde überwunden. Murdoc schrie immer noch, aber nicht mehr so laut wie zuvor. Eigentlich schluchzte er nur noch ein kleines bisschen. Wahrscheinlich ist er froh, dass sich endlich mal jemand um ihn kümmert, dachte Hannibal und konnte ein winzig kleines, glückliches Lächeln nicht ganz unterdrücken.

Aber noch immer lag der kleine Murdoc auf dem Kissen und noch immer hatte Hannibal es nicht fertig gebracht, seinen kleinen Körper hochzuheben, obwohl er den ersten Schritt hierfür bereits getan hatte. Murdoc war ganz warm. Und Hannibal spürte sein Gewicht auf den Händen lasten. So ein Säugling war viel schwerer, als er gedacht hatte. Aber zum Glück hatte er sich durch ständige Prügeleien und auch aus Furcht vor seinem Vater und einigen anderen Feinden ein paar Muskeln antrainiert.

Komm schon. Bei drei! Eins. Hannibal überprüfte noch einmal kurz, ob er seinen kleinen Bruder auch wirklich richtig festhielt und er ihm nicht aus den Händen rutschen konnte. Zwei. Jetzt hob er ihn ganz leicht an, nur ein ganz winzig kleines bisschen. Drei. Langsam, so langsam, dass Hannibal halb glaubte, er würde nicht richtig sehen, hob er Murdoc hoch und drückte ihn sich vorsichtig gegen die Brust.

Hey, das fühlte sich gar nicht so schlecht an. Eigentlich fühlte sich das sogar ganz gut an. Murdoc schrie nicht mehr; er lag ganz still und zufrieden in der Umarmung seines großen Bruders und streckte eines seiner pummeligen, kleinen Ärmchen nach ihm aus. Dann stupste er mit zwei oder drei Fingern gegen Hannibals Nase. Wie zum Einverständnis. Hannibal stellte sich vor, dass nun ein geheimes Abkommen, wie es das nur zwischen zwei Brüdern geben konnte, zwischen ihnen bestünde. Diese Vorstellung machte ihn irgendwie glücklich. Für einen kurzen Moment musste Hannibal an Traum-Mum denken, wie sie ein kleines, niedliches Baby in ihren Armen sanft hin- und herwiegte, schob dieses Bild dann aber schnell wieder in den Teil seines Gehirns, in den er alle Gedanken verbannte, mit denen er sich im Augenblick nicht befassen wollte.

Viel mehr fragte er sich, was er jetzt mit Murdoc anstellen sollte. Der Kleine brauchte doch so viele Dinge, die er nicht besaß. Die Liste, die Hannibal eilig im Kopf überschlug, begann bei einem Kinderbettchen, ging über Windeln und Kleidung und endete bei Babynahrung. Wo sollte er all das Zeug herbekommen? Er hatte kein Geld –sein Vater war schließlich verschwunden und der hatte sein Portemonnaie immer in der Jackentasche stecken- und selbst wenn er es hätte, müsste er den kleinen Murdoc allein lassen, um diese Notwendigkeiten zu besorgen, und wie hätte er das verantworten können? Hannibal malte sich aus, was alles passieren könnte, wenn er seinen kleinen Bruder allein ließ: Es war Sommer, vielleicht starb der Kleine an einen Hitzschlag oder verdurstete, während er Babypuder einkaufte. Wer wusste denn schon, wie viele Grad so ein Säugling vertrug und woher sollte er wissen, wie oft und viel er trinken musste oder überhaupt, wann er das letzte Mal getrunken hatte? Oder möglicherweise kam sein Vater besoffen bis zum Anschlag nach Hause, während Murdoc gerade schrie, und brachte seinen Sohn in seiner Wut um? Die möglichen Unfälle, die geschehen könnten, vervielfachten sich in eine immer größere Zahl, je länger Hannibal darüber nachdachte.

Aber was sollte er anderes tun? Murdoc mit in den Laden nehmen, das konnte er nicht, jedenfalls nicht, wenn er vorhatte zu stehlen. Hannibal fühlte sich wie in einem Teufelskreis. Er konnte Murdoc nicht hier in der Wohnung lassen, aber auch nicht mitnehmen. Er konnte keine Dinge besorgen, die Murdoc dringend brauchte, aber er konnte eben so wenig abwarten und nichts tun. Das unerwartete Hochgefühl, das Hannibal eben ergriffen und beflügelt hatte, war von einer riesengroßen Welle bestehend aus Angst, Sorgen und Schrecken weggespült worden. Was sollte er bloß tun? Am liebsten hätte Hannibal angefangen zu weinen, aber dafür war er viel zu stolz und viel zu stark. Seine Hände begannen zu zittern. Murdoc wimmerte. Er setzte all seine Kraft ein, um sie ruhig zu halten und wiegte Murdoc solange, bis er sich wieder ein wenig beruhigt hatte.
 

Hannibal beschloss, es einfach zu versuchen und mit Murdoc auf dem Arm in den Drogeriemarkt zuspazieren. Wenn er sich unauffällig verhielt, nichts mitnahm was eine knisternde oder große Verpackung hatte und sich an der Kasse vorbei schlich, als hätte er nicht das Produkt gefunden, das er kaufen wollte, dann klappte es ja vielleicht. Es war ein riskantes Unternehmen; Hannibal war sich im Klaren darüber, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht gelingen und er erwischt werden würde, extrem hoch war; aber in seiner Verzweiflung wusste er sich nicht anders zu helfen, als diese Erkenntnis mit aller Kraft zu unterdrücken und wider aller Logik auf seinen Erfolg zu hoffen.

Hannibal hatte noch nie in seinem ganzen Leben einen Drogeriemarkt betreten, obwohl sich der nächste nur ein paar Straßen weiter befand. Wozu auch? Batterien, Kosmetikartikel oder Bio-Lebensmittel brauchte er nicht; um Shampoo, Seife und Duschgel zu kaufen, schickte ihn sein Vater immer in den ganz normalen Supermarkt, weil es dort die günstigeren Artikel gab, und andere Dinge brauchte Hannibal nicht, um sich sauber zu halten.

Er wurde von den Leuten ein bisschen blöd und misstrauisch angestarrt. Musste auch ein komisches Bild sein: Ein von Piercings durchstochener Teenager mit dunkler Lederjacke, der ein niedliches, noch sehr kleines Baby auf den Arm trug. Hannibal versuchte, die Blicke der Menschen zu ignorieren wie er es immer tat, doch heute fiel es ihm aus irgendeinem Grund viel schwerer als sonst. Er drückte Murdoc noch ein kleines bisschen fester an sich und nahm sich vor, diesen Einkauf –halt nein, es war ja ein Diebstahl- so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.

Als er sich dann schließlich in der riesig und unübersichtlich wirkenden Kleinkinder-Abteilung wieder fand, musste er sich eingestehen, dass er wohl doch ein klein wenig länger brauchen würde als geplant. Es gab hier alles. Viele Produkte, die er wohl gut brauchen könnte, die er aber natürlich nicht alle mitnehmen konnte, und noch viele mehr, von denen er nicht wusste, was sie waren oder wozu man sie gebrauchte. Er ermahnte sich, ruhig zu bleiben und nur das Nötigste aus dem Regal zu nehmen.

Gut. Was brauchte er? Automatisch dachte Hannibal an Windeln, doch dann kam ihm die Idee, dass er anstelle der teuren Plastik-Windeln, die es hier nur in riesenhaften Verpackungen zu geben schien, lieber ein paar alte dünne Handtücher von zu Hause nehmen sollte. Die konnte man einfach waschen, wenn sie voll waren und wieder verwenden. Viel praktischer! Außerdem würde er garantiert auffliegen, wenn er eine dieser Monster-Packungen mitnehmen würde!

Hannibal dachte noch einmal scharf nach und stellte dann fest, dass auf jeden Fall einige Packungen Babynahrung unumgänglich sein würden. Er wusste, dass Neugeborene eigentlich von ihren Müttern gesäugt wurden, und darum hatte er die schlimme Befürchtung, dass es vielleicht gar keine Nahrungsmittel für so kleine Säuglinge wie Murdoc gab. Was sollte er dann bloß tun? Er konnte seinen kleinen Bruder doch nicht verhungern lassen, um Gottes Willen! Hannibals Sorge war völlig unbegründet: Nahrung für Säuglinge und Kleinkinder jeder Altersklasse gab es reichlich und –zu seiner großen Erleichterung- auch in Verpackungen, die man ganz leicht unter einer weiten Lederjacke verschwinden lassen konnte. Er suchte sich ein Produkt aus, das „speziell für eine ausgewogene und gesunde Ernährung direkt nach der Geburt entwickelt“ worden war, warf dann kurze, heimliche Blicke nach links und rechts, und als er niemanden bemerkte, stopfte er das Zeug eilig, aber nicht zu auffällig, unter seine Jacke. Es kamen keine Mitarbeiter des Drogeriemarktes, um ihn festzuhalten, und auch sonst geschah nichts Fürchterliches. Okay. Was noch? Er entdeckte im benachbarten Regal noch Babypuder, und steckte auch dieses ein.

Mehr war nicht drin. Sonst würde man die Konturen unter seiner Jacke erkennen können, und das wäre selbstverständlich absolut fatal gewesen! Obwohl… Ganz weit hinten, am anderen Ende des Gangs, gab es ein fantastisches Sortiment an verschieden Schnullern: Blaue, rote, gelbe, grüne, weiße; gestreifte, gepunktete, karierte; große, kleine; welche mit Blumen drauf, welche mit kleinen Herzchen oder ganz anderen, aber nicht weniger freundlichen Motiven (die grünen waren sogar mit kleinen Dinosauriern bedruckt!) Diese Schnuller waren so klein, da konnte er doch getrost noch einen für Murdoc mitnehmen, oder? Das würde bestimmt nicht auffallen!

Gerade wollte er nach einem dieser herzigen Dinger greifen (er hatte sich für den grünen Schnuller mit den Dinos entschieden), als sich eine große, kräftige Hand unwahrscheinlich grob auf seine Schulter legte. Ohscheißescheißescheiße! Langsam, fast wie in Zeitlupe, drehte Hannibal vorsichtig den Kopf um und erkannte hinter sich einen hünenhaften Mann in Uniform des Drogeriemarktes, der ihn böse angrinste. Die Hand lag noch immer auf seiner Schulter. Scheiße. Scheiße! Was sollte er jetzt bloß tun!? Hannibal hatte schon oft gestohlen –öfter, als dass er in einen Laden gegangen war, um dort etwas zu kaufen- doch er hatte es bisher immer so geschickt angestellt, dass er noch kein einziges Mal erwischt worden war. Er spürte plötzlich, wie er von einer Sekunde auf die andere zu schwitzen begann und wie seine Wangen heiß und rot wurden. Scheiße! Hannibal biss sich auf die Unterlippe.

Weglaufen? Das brachte hier nicht viel. Dieser Riese konnte mit Sicherheit zehnmal schneller rennen als er, und außerdem würden ihn wahrscheinlich die anderen Mitarbeiter dieses Marktes fassen, ehe der Ausgang auch nur in Sicht war. Hannibal drückte Murdoc, der die ganze Situation ganz gelassen hinnahm und leise vor sich hinbrabbelte, als sei nichts geschehen, fester an sich. Was geschah mit einem, der beim Stehlen erwischt wurde und für den es keine Möglichkeit mehr gab, sich zu retten?

„Oh, da bist du ja, Jungchen! Dass du aber auch nie auf deine arme, alte Oma warten kannst! Hast du denn wenigstens die Sachen für den kleinen Pete gefunden?“ Eine furchtbar alte, runzlige Frau mit weißem Pelzmantel und plüschiger Handtasche kramte nach ihrer Brille, lächelte kurz, als sie diese endlich in ihrer grässlichen Tasche gefunden hatte und setzte sie sich schließlich auf die von Falten umrahmte Nase. Lange und fast abschätzig begutachtete sie Hannibal und Murdoc und den Mann vom Drogeriemarkt, ehe sie letzterem einen furchtbar bösen Blick zuwarf. Sie stemmte beide Hände in die Hüften, reckte sich in Richtung des Mannes, der mit einem Mal um einige Zentimeter geschrumpft zu sein schien und rief laut: „Was bilden Sie sich eigentlich ein, junger Mann? Lassen Sie bitte sofort meine beiden kleinen Enkel gehen, oder ich informiere umgehend die Polizei!“

Der Mann ließ sofort von Hannibal ab, der die Gelegenheit nutzte und sich schutzsuchend hinter die Kampf-Omi stellte, und machte eine versöhnliche Geste. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, gnädige Frau! Ich konnte ja nicht wissen, dass der Bengel zu Ihnen gehört. Ich habe nur gesehen wie er da Artikel unseres Ladens unter seiner Jacke hat verschwinden lassen. Was soll man denn da bitte denken?“ Hannibal fand, dass der Mann eigentlich Recht hatte und er bekam sogar für einen kurzen Moment ein paar ganz winzig kleine Gewissenbisse, dass die Kampf-Omi ihn jetzt zu Unrecht so zusammenfaltete. Doch so kurz wie dieser Moment angedauert hatte, so schnell war er auch schon wieder verflogen und Hannibal spürte bloß noch ein Gefühl des Triumphs in seiner Brust. Pah! Jetzt hatte sich doch noch alles zum Guten gewendet! Er war ein Superheld, er schaffte einfach alles! Ja!

Der Mann vom Drogeriemarkt war verschwunden und jetzt war Hannibal mit der Kampf-Omi allein (wenn man von dem kleinen Murdoc absah, der ihm in dieser Situation allerdings nicht sonderlich viel helfen konnte). Sie begutachtete ihn erst misstrauisch durch die großen Gläser ihrer Brille, die ihre Augen doppelt so riesig wirken ließen als sie in Wirklichkeit waren, dann schien sie eine Entscheidung gefällt zu haben und lächelte ihn freundlich an. Hannibal fiel eine Wagenladung Steine vom Herzen.

„Da hast du aber noch mal Glück gehabt, Jungchen, dass ich hier in der Nähe war und dir den Hintern gerettet habe, was?“ Sie lachte einmal laut und Hannibal beschloss, dass er die Kampf-Omi und ihr lautes Lachen mochte und dass sie cool war. Die fing sich bald wieder, ihr Lachen verebbte langsam und dann schaute sie wieder Hannibal an. „Nun ja, was soll’s. Diese kapitalistischen Ratten haben’s mehr als verdient: Würden ein armes Würmchen wie den kleinen Pete da doch tatsächlich eher verhungern lassen, als ihm was zu Essen zu schenken!“

„Murdoc.“

„Was ist, Jungchen? Du heißt Murdoc?“

„Nein, nicht ich. Mein kleiner Bruder!“

„Ah. Und wie heißt du?“

„Hannibal.“

„Ohje, was für ein scheußlicher Name! Hannibal…“

„Wieso scheußlich?“

„Kennst du etwa nicht die Geschichte vom Hannibal, der vor ewigen Zeiten einmal versuchte, Rom zu stürzen?“

„Nein.“

„Nun, für diese Geschichte ist später noch Zeit. Jetzt müssen wir uns erst mal um Murdoc kümmern! Ach, weißt du was? Pack einfach alles, was du brauchen kannst, in meinen Einkaufswagen. Der steht da drüben im Gang.“ Sie deutete mit einer kurzen Geste und ohne sich umzudrehen auf den übernächsten Gang. „Hab ihn stehen lassen, als ich dein Problem hier bemerkt habe.“ Sie schaute ihn wieder an, diesmal schien sie auf etwas zu warten und als es nicht geschah, rief sie so barsch wie sie den Mann angeschnauzt hatte: „Worauf wartet du denn noch, Jungchen? Na los, hol ihn schon!“

Hannibal, der sich solch eine Tonlage sonst von keinem anderen hätte gefallen lassen, hastete los und entdeckte schnell den Wagen, der schon gut mit einigen Dosen Katzenfutter gefüllt war. Eine Katze. Ja, das passte irgendwie ganz hervorragend zur Kampf-Omi. Er musste grinsen und schob den Wagen eilig zu ihr zurück.

„Na, geht doch!“ Zum ersten Mal schaute sie statt Hannibal Murdoc an. „Gib ihn mir mal!“

„Äh, was?“

„Bist du etwa schon schwerhörig, Jungchen? Du sollt mir mal kurz Murdoc geben. Und außerdem heißt das wenn schon „Wie bitte?“, kapiert?“

„Wieso?“

„Na, wieso wohl? Weil ich ihn in den Einkaufswagen setzen will! Man kann doch nicht vernünftig einkaufen, wenn man nur einen Arm frei hat!“

Irgendetwas in ihm hielt Hannibal davon ab, Murdoc an jemand anderen weiterzugeben, ganz gleich wie hilfsbereit diese Person war und zu welchem Dank er ihr verpflichtet war. Er kannte diesen kleinen Jungen, den er seit kaum einer Stunde mit sich herumtrug, im Grunde gar nicht, doch trotzdem fühlte er sich für ihn verantwortlich und wollte ihn beschützen – mehr als er jemals irgendetwas anderes auf dieser Welt beschützen wollte.

„Nun gib schon her, Jungchen! Ich fresse ihn schon nicht auf!“

„Kann ich ihn nicht in den Einkaufswagen setzen?“ Jeder Wagen hatte vorne einen kleinen Sitz, in den Eltern ihre Kleinkinder hineinsetzen konnten, um in aller Ruhe einzukaufen und andere Kunden nicht zu stören. Hannibal schien dieser Sitz sehr praktisch –die Kampf-Omi hatte schon recht: Es ging besser, wenn man beide Arme frei hatte- und er musste ja auch wohl lernen, Murdoc selbst hineinzusetzen. Schließlich war die Kampf-Omi bei seinen Einkäufen nicht immer da, um ihm helfen zu können!

„Ist gut, Jungchen! Aber mach schnell! Ob du’s glaubst oder nicht: Sogar eine alte Frau wie ich hat in ihrem Leben noch etwas zu tun!“

„Okay.“ Hannibal klappte den Sitz zielstrebig aus – und stockte dann. Unsicher schaute er zur Kampf-Omi hinüber, die ungeduldig auf ihn wartete und mit dem Fuß auf den Plastik-Boden des Ladens klopfte. „Ich weiß nicht, wie ich das machen muss.“

Die Kampf-Omi wirkte gar nicht überrascht, nur noch etwas mürrischer. Ob sie wohl nur ihre Katze warten ließ? Hannibal fragte sich, ob die Kampf-Omi einen Mann und vielleicht tatsächlich zwei Enkel hatte. Vielleicht hieß einer der beiden ja sogar wirklich Pete?

Ihm wurde plötzlich klar, dass er diese alte Frau nicht kannte. Er wusste nichts über sie, nicht einmal ihren Namen. Wo kam sie her, wie alt war sie, was hatte sie schon alles erlebt? Hm. Aber über Murdoc wusste er im Grunde genauso wenig –eigentlich sogar noch weniger-, fiel ihm auf, jetzt, wo er darüber nachdachte.

„Pack ihn unter den Armen, aber vorsichtig. Und dann setz ihn von oben in den Wagen. Und pass auf seine Beine auf. Los, beeil dich mal, Jungchen, oder ich mache das gleich selbst!“

Hannibal schüttelte schnell und heftig den Kopf. Murdoc abgeben, und wenn es nur für ein paar Sekunden waren, kam gar nicht in Frage! Stattdessen tat Hannibal, was die alte Frau gesagt hatte, packte ihn vorsichtig unter den Armen und achtete streng darauf, dass der Kleine sich nicht wehtat.

„Langsamer ging’s wohl nicht, was?“ Die alte Frau seufzte. „Jetzt müssen wir uns aber ranhalten, Junge!“ Sie holte noch einmal tief Luft, nahm den Einkaufswagen in beiden Hände und blickte dann wieder streng zu Hannibal. „Also, was hast du alles mitgehen lassen?“

Hannibal holte die Babynahrung, das Puder und den grünen Schnuller mit dem Dino-Motiv unter dem Mantel hervor. Dann packte er alles in den Wagen und strich Murdoc einmal sanft über den Kopf. Der fühlte sich noch immer ganz warm an. Ob Babys immer warm sind?

Die alte Frau musterte die drei Artikel und meinte dann: „Du brauchst unbedingt noch mehr Babynahrung, und vor allen Dingen auch eine Flasche, sonst bringt das alles nichts! Und von mir aus pack auch noch eine Rassel oder so was ein!“

Hannibal nickte. Mehr Babynahrung, Flasche, Rassel. „Was ist eine Rassel?“ Die alte Frau schaute ihn zum ersten Mal ein wenig ungläubig über den Rand ihrer Brille hinweg an. Dann sagte sie: „Ein kleines Kinderspielzeug, das Geräusche macht, wenn man es schüttelt. Kennst du das nicht?“

Hannibal schüttelte den Kopf. „Ich zeige es dir.“ Sie schob den Wagen in den nächsten Gang und deute auf ein Regal, das gefüllt war mit Spielzeug für Kleinkinder und Säuglinge. „Du darfst Murdoc auf keinen Fall Spielzeug kaufen, das zu klein ist oder aus kleinen Teilen besteht, die abfallen können. Sonst verschluckt er das noch und kann daran ersticken.“ Hannibal nahm jede Information, die er kriegen konnte, gierig auf und speicherte sie. Kein zu kleines Spielzeug, keine Kleinteile. „Such dir hier was für den Kleinen aus. Da drüben sind die Rasseln, nimm dir eine, die hübsch aussieht. Am besten eine aus Holz, Plastik geht leichter kaputt oder verbeult. Und in Plastik sind wegen der Herstellung auch oft giftige Stoffe enthalten.“ Holz, kein Plastik. Hannibal schaute sich die Rasseln an. Es gab sogar noch mehr Auswahl als bei den Schnullern! Er entschied sich für eine solide wirkende Rassel aus Holz, die blau und grün bemalt und nicht zu klein war. Sie sah wirklich sehr schön aus.

„Los, Junge. Wo hast du die Babynahrung her? Hol noch zwei Packungen!“ Das tat er. Sie erklärte auch hierzu etwas. „Das ist ein Pulver. Du musst es mit lauwarmem Wasser mischen und dann in die Flasche füllen, die wir gleich kaufen werden. Wie viel du nehmen musst und wann steht auf der Verpackung.“ Mit Wasser mischen. Lauwarmem Wasser.

Sie kauften noch zwei kleine Flaschen mit Halbliter-Messlatte –es gab sie nur in Zweier-Packs- und an der Kasse warf die alte Frau ein paar Kaugummis für ihn in den Einkaufswagen. „Aber pass auf, dass der Kleine die nicht in die Finger kriegt! Kaugummi ist nicht gut für Säuglinge. Und du darfst ihm auch kein Eis geben, das verträgt sein Magen noch nicht!“ Kein Kaugummi, kein Eis. Nur die Baby-Nahrung. Lauwarmes Wasser.

Hannibal hatte heute so viel gelernt, dass ihm der Kopf schwirrte. Trotzdem war er froh, diese alte, gehetzte Frau getroffen zu haben. Ohne sie hätte er für Murdoc zum Beispiel keine Flasche gekauft, und wie sollte er ihn füttern ohne Flasche? Er war ihr wirklich sehr dankbar!

„So, hier ist noch eine Tüte. Pack da mal schnell deine ganzen Sachen rein.“ Babynahrung, Puder, Schnuller, Rassel, Flasche, Kaugummis. Zum Glück waren die Sachen nicht schwer, sonst hätte er Probleme damit bekommen, gleichzeitig die Tasche und mit dem anderen Arm Murdoc zu tragen.

Sie hatten zu zweit den Laden verlassen. Sie hatte den Einkaufswagen weggestellt und ihr Katzenfutter in einen Stoffbeutel mit Blumen-Motiv gefüllt, er hatte die Tüte mit den Sachen für das Baby und Murdoc. Jetzt verband sie nichts mehr.

Hannibal wusste nicht recht, was er jetzt sagen sollte, er war niemals zuvor in solch einer Situation gewesen. Die alte Frau unterbrach die Stille. Sie schien es immer noch eilig zu haben. Aber wieso sollte sie sich auch Zeit nehmen für ihn? Er war bloß ein armer Teenager mit einem kleinen Jungen auf den Arm, den sie zufällig im Drogeriemarkt getroffen hatte. Sie hatte ihm geholfen, und jetzt war ihre Pflicht erfüllt.

„So, Jungchen. Viel Glück, ich nehme an, du wirst es noch brauchen in deinem Leben. Pass auf den Kleinen auf so gut du kannst und verlier nicht dem Mut. Das schaffst du schon!“

Trotz dieser aufmunternden kleinen Rede fühlte Hannibal sich noch immer furchtbar überfordert und einsam, aber zumindest hatte er jetzt eine Grundlage, auf die er aufbauen konnte. Babynahrung, in lauwarmes Wasser auflösen, in die Flasche füllen, wann und wie steht auf der Verpackung, Spielzeug aus Holz, nicht zu klein, keine Einzelteile, kein Kaugummi, kein Eis.

„Hier.“ Sie drückte ihm ein paar Scheine Geld in die Hand, und obwohl er nicht genau hinsah, wusste Hannibal, dass es mehr war, als er jemals zuvor in seinem ganzem Leben in seiner Hand gehalten hatte. „Kauf davon einen Kinderwagen oder Kleidung oder irgendetwas anderes für den Kleinen, ja? Meinen Mann wird es zwar nicht freuen, dass das Geld weg ist, aber ich glaube, du kannst es besser brauchen. Aber wehe ich erwische dich dabei, wie du Zigaretten kaufst, Jungchen!“

Sie ging los mit dem Blumen-Stoffbeutel in der Hand und drehte sich nicht mehr um.

Murdoc begann zu schreien. Sie hatte also tatsächlich einen Mann.
 

Ähm, lasst euch bitte nicht durch die Bezeichnung "Kapitel 1" verunsichern, ich war zu blöd, den Prolog als solchen zu kennzeichnen und deswegen ist er jetzt das erste Kappi.^^
 

Hoffentlich gefällt euch das Kapitel! Und hinterlasst brav Kommis, ok? ;)
 

bye

sb

Gewohnheit

Kapitel 2

Gewohnheit
 

Hannibal hatte in einem kleinen Topf, den er zuvor gründlich ausgespült hatte, Wasser für die Babynahrung erhitzt. Auf der Verpackung hatte es zwar geheißen, man sollte es am besten in der Mikrowelle machen, da man dort die Temperatur besser einstellen konnte und somit unnötige Wartezeit durch Abkühlen des Wassers verminderte, aber Hannibal und sein Vater besaßen keine Mikrowelle. In ihrer kleinen Kochnische, die sich in einer Ecke des Wohnzimmers befand, gab es einen Herd plus Ofen, ein Spülbecken und einen Kühlschrank. Das war’s. Hinzu kam, dass der Kühlschrank fast bis zum Rand mit alkoholischen Getränken gefüllt war, und Hannibal war unglaublich froh, dass er nichts, was er für das Baby brauchte, im Kühlschrank lagern musste. Am Ende wäre Murdoc als Säugling noch an einer Alkoholvergiftung gestorben, weil etwas Bier aus einer kaputten Flasche in seine Babynahrung gelaufen war oder so etwas, aber daran wollte Hannibal nicht denken. Er war einfach froh, dass dies nicht der Fall war, und auch, dass er sich deswegen nicht mit seinem Vater streiten musste, der sicherlich eher auf sein zweites Kind als auf ein paar Liter eisgekühltes Bier verzichtet hätte.

Alles, was er im Drogeriemarkt erworben hatte und noch ein paar zusätzliche Notwendigkeiten, die er im Nachhinein von Kampf-Omis Geld gekauft hatte, lagerte sicher und geschützt in seinem Zimmer, das er vorsichtshalber jedes Mal abschloss, wenn er es kurz verließ und sein Vater zu Hause war.

Das Wasser war warm genug. Mit der Zeit hatte er es geschafft, sich fast genau die Zeit auszurechnen, die das Wasser brauchte, um auf die richtige Temperatur zu kommen. Tja, mit etwas Übung und ein paar pfiffigen Ideen konnte man eben auch „unnötige Wartezeit durch Abkühlen des Wassers vermindern“. Er maß die nötige Menge Babynahrung ab –die Kampf-Omi hatte recht behalten, es war tatsächlich ein Pulver, das man mit Wasser mischen musste-, kippte sie in den Topf und verrührte die Flüssigkeit mit einem ebenfalls sauber abgespülten Löffel, bis sie sich bald mithilfe des Wassers tatsächlich in eine Milch sehr ähnlichen Flüssigkeiten verwandelte, die er in die Flasche mit dem Gummi-Mundstück zum Saugen füllte und damit schließlich zu Murdoc wanderte. Es war immer der gleiche Rhythmus, der regelmäßig alle paar Stunden vonstatten ging, und es war Hannibal nicht sonderlich schwer gefallen, sich daran anzupassen, obwohl er es sonst immer gehasst hatte, sich irgendwem oder irgendetwas anzupassen. Das einzige, was schlimm war, war das nächtliche Aufstehen. Murdoc musste auch in der Nacht zwei oder dreimal gefüttert werden, und Hannibal konnte nicht mehr richtig einschlafen, wenn er einmal aufgewacht war, weil Murdoc schrie. Zu Beginn hatte er damit noch fürchterliche Probleme gehabt, hatte tagelang nicht schlafen können, war ständig aggressiv und wütend und genervt und hatte das Schreien von Murdoc sogar ein-, zweimal absichtlich ignoriert, doch inzwischen hatte er sich auch daran gewöhnt. Es war immer noch schlimm und er hasste es immer noch, doch er erkannte die Notwendigkeit und zwang sich jedes Mal mit eiserner Disziplin aus dem Bett. Und um den nötigen Schlaf aufzuholen, legte er sich einfach mittags neben Murdoc ins Bett, wenn dieser sein Mittagsschläfchen hielt. So klappte es ganz gut.

Nachdem die Flasche leer getrunken war, was sehr schnell ging, weil Murdoc ein hungriges Baby war, hob Hannibal ihn hoch, mit dem Köpfchen über sein Schulter und klopfte ihm einmal ganz sacht auf den Rücken. Nach dem „Bäuerchen“, wie es hieß, legte er Murdoc zurück in sein Bett, damit er seinen Mittagsschlaf halten konnte. Es war etwa dreizehn Uhr.

Die beiden teilten sich Hannibals Bett brüderlich, oder besser: seine Matratze, denn ein vernünftiges Bett besaß er ja nicht. Er hatte sich nach einem Kinderbett für Murdoc umgeschaut, doch selbst das günstigste, das er gefunden hatte, konnte er mit Kampf-Omis Geld nicht bezahlen und seinen Vater zu bestehlen, das wagte er im Augenblick nicht, denn der war ganz schrecklich aufgerieben und aggressiv, weil Murdocs stündliches Geschreie ihn nervte und er wollte nicht wissen, was mit ihm geschah, wenn er ihn beim Stehlen erwischte. Das Licht des frühen Mittags stach ihm durch das Fenster in die Augen und veranlasste Hannibal dazu, sie zu schließen. Er konnte hören und fühlen, wie sich Murdoc neben ihm bewegte; er brauchte immer eine Weile, bis er endlich eingeschlafen war und manchmal klappte es auch nur mit viel Geschreie und Geheule. Heute funktionierte es ganz gut, als er ein zweites Mal hinhörte, nahm er nichts mehr wahr. Wenn Murdoc schlief, schien es meist so, als wäre er tot. Man konnte seinen Atem nur dann hören, wenn man ganz nah an ihn heranging und sich tief über ihn beugte. Zu Anfang hatte das große Sorge und Verwirrung in Hannibal wachgerufen, er war alle paar Sekunden zu Murdoc hingerannt und hatte seinen Atem überprüft, um festzustellen, ob er noch lebte, doch inzwischen hatte er sich auch daran gewöhnt.

Er hatte sich an so vieles gewöhnt und sich so vielem angepasst und hatte so viel verändert, so viele Dinge getan, die er hasste und die ihn demütigten. Nur, damit es seinem beschissenen kleinen Bruder gut ging! Das tat ihm leid. Eigentlich war er gar nicht sauer auf Murdoc. Der konnte ja nichts dafür. Der war ja nur ein kleines, armes Ding, das man einfach so und ohne ihn zu fragen hilflos in die Welt gesetzt hatte und das jemanden brauchte, der sich um ihn kümmerte. Dass dieser jemand ausgerechnet Hannibal Niccals war, das hatten ja sich weder Hannibal noch Murdoc ausgesucht. Eigentlich war er wütend auf seinen Vater.

Es war inzwischen einige Zeit vergangen, seit Murdoc bei ihnen abgeliefert worden war, was sein Vater jedoch nicht als Anlass dazu nahm, sich einmal bei der Arbeit zu beteiligen, die so ein kleines Kind aufwarf. Noch immer gab er ihr ganzes Geld statt für Windeln für Bier aus, und anstelle seines Sohnes, den er hüten sollte, hütete er die geile Bedienung in der Kneipe auf der anderen Straßenseite. Hannibal war schrecklich ausgerastet, als er einen ganz neuen Flaschenöffner –aus Metall, in Form einer Frau, die nichts als einen String trug, sogar mit eingebauter, kleiner Lampe, die ihr Licht aus einer bestimmten Körperstelle ausstrahlte- auf dem Tisch hatte liegen sehen. Er hatte sich zurück halten müssen, um nicht so feste wie er nur konnte in den Bildschirm des Fernsehers zu treten, vor dem sein Vater sein Leben lang hockte. Bier, neue Flaschenöffner, einen riesigen Fernseher, Kneipe, Frauen. Klar, dafür hatte der alte Sack Zeit! Aber nicht für seine beiden Söhne!? Hannibal hatte sich dann doch zusammengerissen und den Fernseher nicht kaputt getreten. Das hätte nur noch viel mehr Ärger gegeben.

Hannibal verspürte das unbändige Verlangen, eine Zigarette zu rauchen. Er hatte lange keine mehr geraucht, bestimmt eine Woche schon nicht mehr. In der ewigen Hektik um Murdoc hatte er nicht daran gedacht und es auch nicht vermisst, doch jetzt schien ihn der Wunsch nach Nikotin fast zu übermannen. Seltsam. Hätte er sich jetzt nicht in diesem kleinen Moment der Ruhe neben seinen schlafenden Bruder gesetzt, sondern die vollen Windeln ausgewaschen oder neue Babynahrung gekauft oder den Topf, in dem er die Babynahrung zubereitet hatte, gespült oder irgendetwas anderes getan, was notwendig und anstrengend war, hätte er jetzt vielleicht nicht an Zigaretten gedacht und vielleicht auch den ganzen nächsten Monat nicht. Hätte er dann eines Tages überhaupt gar kein Verlangen mehr nach Zigaretten gehabt? Hannibal hatte sich oft gedacht und eingeredet, er sei nikotinabhängig, körperlich und seelisch, und er könnte gar nicht mehr aufhören – und jetzt hatte er eine ganze Woche lang -oder sogar länger- keine Zigarette mehr geraucht, einfach so. Seltsam.

Er setzte sich auf und beobachtete den vor sich hin schlummernden Murdoc. Der dünne Flaum dunkler Haare, den er besaß, als er ihn das erste Mal gesehen hatte, wie er da auf dem verstaubten Kissen gelegen hatte, war dichter und noch dunkler geworden. Murdoc hatte dicke Haare, die schnell fettig wurden, wenn man sie nicht regelmäßig wusch.

Er trug auch nicht mehr denn hellblauen Strampelanzug mit dem Flugzeug, sondern einen dunkelgelben mit einer braunen Maus drauf, die lustig grinste und winkte. Hannibal hatte ihm den gekauft. Er war sparsam mit Kampf-Omis Geld, und er hatte ihm nicht viel Kleidung kaufen können. Nur drei neue Strampelanzüge –es hatte drei zum Preis von zweien gegeben in dem Laden, in dem er sie gekauft hatte- und zwei Shirts. Mit dem blauen Strampler, den Murdoc bereits bei seiner Ankunft besessen hatte, machten das insgesamt genau sechs Kleidungsstücke. Auf Hosen und Socken hatte er verzichtet. Er hatte nie gesehen, dass ein erst wenige Wochen alter Säugling Hosen trug, und Socken brauchte er nicht, denn schließlich wurde er von Hannibal fast überall hingetragen.

Es war nicht viel, das wusste er, aber wenn man die Kleidung oft und regelmäßig wusch und ein bisschen darauf achtete, nicht jeden Tag das gleiche zu tragen, war das schon in Ordnung. Weder Hannibal noch sein Vater besaßen viel mehr Kleidungsstücke als Murdoc, eine Tatsache, mit der ausnahmsweise einmal sie beide gut zu Recht kamen und die sie nicht störte.

Murdoc war ein sehr niedliches Baby. Wirklich, sogar abgehärtete Straßenjungen wie Hannibal es einer war, fanden, dass Murdoc süß war. Hannibal hatte in letzter Zeit immer in die Kinderwägen von Müttern gelinst, wenn er welche sah, und die umherchauffierten Säuglinge mit seinem Murdoc verglichen; er musste feststellen, dass er außergewöhnlich hübsch war.

Er hatte pummelige Ärmchen und Beinchen und einen ein bisschen hervorstehenden Bauch wie fast alle gesunden Säuglinge, war aber nicht dick. Und er hatte ein schönes Gesicht. Große, leuchtende Augen, einen schmalen Mund mit dicker Unterlippe und eine unglaublich feine Nase. Die meisten Babys hatten platte, unförmige Nasen, die ein bisschen an Höhlenmenschen oder Affen erinnerten, aber Murdocs Nase war ganz anders, viel gerader, viel symmetrischer, insgesamt einfach schöner.

Er fragte sich, wie wohl Murdocs Mutter ausgesehen haben mochte. Er stellte sich vor, dass sie nicht nur Halbbrüder, sondern richtig verwandt wären, obwohl die Wahrscheinlichkeit hierfür sehr gering war. Zum einen war sein Vater ein Gott des One-Night-Stands, für Beziehungen hatte er sich, soweit Hannibal wusste, niemals ernsthaft interessiert, nicht einmal für eine reine Sex-Beziehung, wenn diese länger ging, zum anderen konnte es Hannibal sich beim besten Willen einfach nicht vorstellen, dass eine Frau, irgendeine gottverdammt Frau auf der Welt, diesen Fehler zweimal machen würde. Trotzdem war es ein schöner Gedanke.

Hannibal dachte an Traum-Mum, dachte daran wie sie seine Hand drückte und mit der anderen Murdoc festhielt. Sie wohnen immer noch in diesem schönen Haus irgendwo am Meer, und sie kümmern sich alle zusammen um den kleinen Murdoc. Traum-Mum füttert ihn wie es Mütter wirklich tun und spielt mit ihm, und wenn ihr Vater nachmittags von der Arbeit kommt, kneift er Murdoc sanft in die Wange und sagt, dass er ein sehr süßes Baby ist. Er hat für Murdoc Strampelanzüge und T-Shirts und Socken mitgebracht und ganz viele Rasseln, sie sind alle aus Holz, und für Hannibal hat er neue Hosen und dieses coole T-Shirt seiner Lieblingsband mitgebracht, das er sich gewünscht hat.

Hannibal stand auf, ging zum Fenster und versuchte sich in der spiegelnde Glasscheibe zu erkennen. Seine Nase war furchtbar krumm. Sein Vater hatte sie ihm einmal gebrochen, als er elf war und nicht getan hatte, was er verlangt hatte, und sie war niemals wieder richtig verheilt. Nun gut, er war auch nicht zum Arzt gegangen. Zum einen, weil er nicht wusste, wo hier irgendwo in dieser armen Gegend überhaupt ein vernünftiger Arzt war und zweitens, weil sein Vater den Termin bestimmt nicht bezahlt, sondern sein Geld lieber für Alkohol oder Gras ausgegeben hätte. Also blieb seine Nase krumm.

Murdoc wachte auf. Wenn Murdoc aufwachte, gab er immer zuerst ein leises Geräusch, das wie eine Mischung aus Wimmern und Schluckauf klang, von sich und dann begann er so lange zu schreien bis man ihn in den Arm nahm und ein bisschen wiegte. Hannibal war animiert, als er dieses Geräusch hörte und hastete sofort zu Murdoc, um ihn hochzunehmen, ehe das Geplärr anfing. Sein Vater war zu Hause, entweder er guckte Fernsehen oder ließ die Kiste laufen, während er schließ, und beides waren Tätigkeiten, bei denen er auf keinen Fall gestört werden wollte. Schon gar nicht von dem sirenenartigen Geschrei eines Säuglings!

Murdoc beruhigte sich schnell wieder und wurde ruhig, zum Glück, aus dem Wohnzimmer kam nur ein schlaftrunkenes Grunzen.
 

Am besten, er ging mit Murdoc nach draußen. Es war jetzt Juli, das Wetter war warm, aber nicht unangenehm. Er war schon des Öfteren mit Murdoc draußen gewesen, im Park oder irgendwo anders. Dann hatte er ihn auf die Wiese gelegt und Murdoc hatte sich gefreut, wenn er eine Biene oder einen Schmetterling sah oder etwas anderes, neues, interessantes. Das war gut. Murdoc hätte seinen Spaß mit irgendwelchen Blumen, Hannibal könnte auf der Parkbank unauffällig seine Zigarette rauchen und sein Vater könnte in Ruhe schlafen. Alle wären zufrieden und niemand hätte Ärger mit irgendwem. Perfekt.

Hannibal drehte Murdoc ein Stück, damit er ihn besser mit nur einer Hand fassen konnte und schloss mit der anderen die Tür auf. Sie war grundsätzlich immer abgeschlossen, wenn sein Vater da war, ob nun von innen oder von außen.

Der Alte lag tatsächlich auf seiner Couch, schnarchte ganz entsetzlich laut –und der beschwerte sich über den Lärm, den Murdoc machte!- mit der fast leeren Bierpulle in der Hand. Ein Spuckefaden hing von seinem Mundfaden herab. Hannibal ekelte sich und fragte sich leise, wie so ein schmieriger, dreckiger Typ es nur geschafft hatte, zwei Kinder zu zeugen. Bah, igitt, daran wollte er nicht denken!

Hannibal öffnete die Wohnungstür so leise wie es ihm möglich war und ging langsam die Treppe hinunter. Sie wohnten im zweiten Stock. Das Treppenhaus stank nach Zigaretten, Urin und abgestandener Luft, aber diese Tatsache störte Hannibal längst nicht mehr. Alle Treppenhäuser in der Gegend stanken ganz fürchterlich, weil diese Gegend fast ausnahmslos von Sozialschmarotzern und Arbeitslosen bewohnt wurde und der größte Teil von ihnen sich um Dinge wie Hygiene und Haushalt nicht kümmerte.

Hier in der Nähe gab es einen kleinen Spielplatz mit ein paar Holzbänken am Rande, auf denen sich die Eltern der Kinder niederlassen und Kaffe trinken konnten, während die Kleinen herumtollten. Jedenfalls waren diese Bänke wohl zu diesem Zweck dort hingestellt worden, die Realität sah jedoch völlig anders aus: Eltern von Kindern hatte er noch nie auf ihnen sitzen sehen, höchstens Gruppen von Teenagern, die rauchten –entweder Zigaretten oder Gras- und die schönen Holzbänke mit Graffitis und Kritzeleien beschmierten. Hannibal hatte auch des Öfteren schon auf diesen Banken gesessen. Er erinnerte sich an diesen großen, schwarzen Schriftzug, den er selbst dorthin gekritzelt hatte. Mit einem dicken, schwarzen Stift, Farbspraydosen wie sie manche seiner Freunde besaßen, konnte er sich nicht leisten. Es war der provisorische Name der Bande, mit der er damals unterwegs war. Bloß ein Haufen dreckiger, rauchender Kinder, die sich cool und stark fühlten, obwohl sie kleine Fische, winzig kleine Fische waren in diesem Meer aus Gangs und Banden und Cliquen. Trotzdem war er mit ihnen mitgegangen. Diese Gruppe war nicht sonderlich stark oder bekannt gewesen, aber ihm gefiel dieser Zusammenhalt, dieser Schutz, den sie ihm bot.

Das war lange her. Hannibal setzte Murdoc im Sand ab, nachdem er diesen vorher gründlich nach Glassplittern, Hundekot, Spritzen und anderen schädlichen Dingen abgesucht hatte und setzte sich selbst auf eine der Bänke ganz in der Nähe. Es war die mit dem schwarzen Schriftzug. Hannibal nahm sich eine Zigarette aus der Hosentasche –er hatte immer eine oder zwei für den Notfall dabei, die restlichen lagerte er sicher in seinem Versteck-, zündete sie sich schnell an und genoss das Nikotin in seinen Lungen. Gott, war das ein geiles Gefühl, mal wieder eine vernünftige Kippe im Maul zu haben!

Hannibals Blick fiel auf den schwarzen Schriftzug. Hm. Wie lange war das her? Einige Monate bestimmt schon. Irgendwie vermisste er diese Dinge. Er vermisste es, sich mit seinen Freunden einen Joint aufzubauen und in einer Gruppe von acht oder neun Leuten abends durch die Stadt zu streunen und irgendwelchen Mädchen, die er nicht kannte, hinterher zu pfeifen.

Es schien ihm, als wäre er binnen weniger Monate zu einem alten Mann geworden. Oder zumindest zu einem Erwachsenen. Einem allein erziehenden Vater mit kleinem Kind, dessen altes Leben, das gefüllt war mit Bier und Fernsehen und Freunden und Gras und Zigaretten, plötzlich der Vergangenheit angehörte. Unwiderruflich. Ohje! Er war doch bloß ein kleiner Junge von vierzehn Jahren! Er konnte doch noch nicht erwachsen sein. Er wollte noch nicht erwachsen sein!

Hannibal spürte, wie seine Augen heiß wurden und begannen, heftig zu brennen. Nein, nein, nein! Nicht heulen! Jetzt alles bloß nicht heulen! Hannibal hatte vor Jahren damit aufgehört zu weinen. Weinen war etwas für Mädchen, für Schwächlinge, für Tote. Nichts für ihn, ihn, der nie aufgab, ganz gleich wie schlecht es um die Situation stand.

Die Verzweiflung verwandelte sich in Wut. Nicht heulen, verdammt noch mal!!! Hannibal fasste innerhalb einer Viertelsekunde einen dummen, gedankenlosen Entschluss und drückte sich den noch glühend heißen Zigarettenstummel gegen den Unterarm. Nicht heulen! Sei stark! Hannibal!

Seine Augen brannten nicht mehr. Er zog noch einmal schnell die Nase hoch und damit waren die paar Minuten eben, in denen er sich seiner vollkommenen Verzweiflung hingegeben hatte, für ihn abgeschlossen. Jetzt schmerzte sein Arm, ganz schrecklich, Feuer war eine viel schlimmere Waffe als eine Rasierklinge es je sein könnte, aber mit körperlichen Schmerzen hatte Hannibal kein Problem. Wenn er jetzt gut aufpasste, dass kein Dreck in die Wunde kam und sie sich nicht entzündete, würde sie bald vorüber sein. Es würde eine Narbe bleiben, aber auch das war kein Problem. Hannibal hatte viele Narben. Er war daran gewöhnt. Das war kein Problem.

Murdoc begann zu schreien. Bestimmt hatte er Hunger. Aber nein, er hatte ihn doch eben erst gefüttert. Wahrscheinlich hatte er einfach die Windeln voll. Wieso hatte er auch nicht daran gedacht, welche mitzunehmen!? Hannibal rügte sich für seine eigene Blödheit und schritt schnell zum heulenden Murdoc hin. Er nahm ihn auf den Arm und tröstete ihn ein bisschen und versuchte diesen Ekel erregenden Geruch, den voll geschissene Windeln annahmen, wenn sie nicht sofort ausgewechselt wurden, mit aller Kraft auszublenden, während er zurück zu ihrer Wohnung ging. Dieser Ausflug war viel kürzer ausgefallen, als Hannibal es geplant hatte. Aber eigentlich war er ganz froh über diese Tatsache. Er wollte nicht mehr an den schwarzen Schriftzug denken.
 

Murdoc schrie nicht mehr, sondern wimmerte nur noch leise, wie er es immer tat, wenn man ihn ein wenig hin und her gewiegt und ihm beruhigende Worte zugeflüstert hatte, er aber noch nicht ganz von seinen Bedürfnissen abgelenkt war. Aber zumindest war er ruhig, laut schreiend hätte er ihn nicht mit hoch nehmen können. Ihr Vater schlief ja immer noch. Jedenfalls hoffte Hannibal das.

Er war geschwind oben und legte sich den Plan zurecht, ganz schnell und schnurstracks in sein Zimmer zu gehen, ohne ihren Vater zu beachten, unabhängig davon, ob dieser nun schlief oder wieder aufgewacht war. Er wollte nicht mit ihm reden, so aufgewühlt und durcheinander wie er derzeit war. Der Plan klappte, und Hannibal schloss eilig die Türe, die zu seinem Zimmer führte, hinter sich ab. Jetzt war er –oder besser gesagt: Jetzt waren sie beide- sicher vor dem Alten.

Er knöpfte den Strampelanzug, den Murdoc trug, auf und nahm ihm die volle Windel ab. Igitt! Von all seinen Tätigkeiten, die die Betreuung von Murdoc mit sich zogen, war diese hier die mit Abstand abscheulichste und ekligste! Jemand, der einem kleinen Säugling noch nie die Windeln gewechselt hatte, konnte sich nicht vorstellen, wie diese Angelegenheit stank. Hannibal fand, dass dies der aller schlimmste und fürchterlichste Geruch war, den es auf der Welt überhaupt gab, und man musste bedenken, dass er sich nicht einmal an dem nach Urin stinkenden Treppenhaus störte. Er putzte seinen kleinen Bruder eilig ab, wickelte ihn neu und warf die alte Windeln in den Mülleimer, der bereits fast überquoll vor lauter voll geschissener Windeln.
 

So, Kapitel 2 ist da. :) Ich hoffe, es enttäuscht euch nicht. Und übrigens: Ja, Murdoc wird natürlich noch deutlich wachsen, in den nächsten Kapiteln ist r allerdings noch ein Säugling/Kleinkind. ^^
 

bye

sb

Der Diebstahl

Kapitel 4

Der Diebstahl
 

Die nächsten Tage vergingen, ohne dass Hannibal eine Lösung für sein Problem fand. Er mied die Straße mit dem Haus, hinter dessen Türe er den teuren Kinderwagen entdeckt hatte, und übte mit Murdoc fleißig das Krabbeln. Es war unglaublich, in welch rasanter Geschwindigkeit der Kleine sich verbesserte. War er vor kurzem mit seiner selbst erfundenen Technik, sich an irgendeinem Gegenstand festzuhalten und den Körper nachzuziehen, gerade mal in der Lage gewesen, innerhalb einiger Stunden nur wenige Meter voranzukommen, so schaffte er es jetzt Hannibal ganz schön in Atem zu halten.

Hannibal hatte versucht ihm klar zu machen, dass Murdoc seine Beine benutzen müsste, um sich sicherer bewegen zu können. Er hatte ihm vorgemacht, wie man auf allen Vieren krabbelte, wie man die beiden Beine bewegen musste, und ihm geholfen, wenn er es noch nicht ganz schaffte. Was sehr selten der Fall gewesen war. Eigentlich hatte Hannibal damit gerechnet, dass Murdoc doch mindestens zwei Wochen bräuchte, bis er endlich vernünftig krabbeln könnte, ohne ständig umzukippen oder keinen Atem mehr zu haben. Er irrte sich total! Nachdem Murdoc tatsächlich einmal das grundlegende Prinzip verstanden hatte, war er binnen etwa einer dreiviertel Stunde in der Lage, absolut perfekt und ganz furchtbar schnell zu krabbeln.

Dieser Erfolg hätte ihn eigentlich stolz machen sollen, schließlich war es ein Beweis für Murdocs Geschicklichkeit und Lerneifer, doch aus irgendeinem Grund war dem nicht so. Je schneller und leichter Murdoc die Schritte lernte, die Hannibal ihm zeigte, desto frustrierter wurde Hannibal. Es ging sogar so weit, dass Hannibal ein- oder zweimal aus einer Boshaftigkeit heraus, die nur große Brüder besaßen, es Murdoc besonders schwer zu machen versuchte. Er legte ihm Gegenstände in den Weg, die Murdoc umrunden musste, um weiter zu kommen oder zog ihm manchmal ganz plötzlich ein Beinchen oder ein Ärmchen weg, sodass er umfiel oder ganz schnell reagieren musste, damit dies nicht geschah. (Nachdem er dies ein paar Mal getan hatte, hatte Murdoc den Trick übrigens raus und fiel so gut wie nicht mehr hin, wenn Hannibal diese Gemeinheit auf ihn anwandte.)

Er verstand nicht genau, wieso ihn Murdocs Erfolge so niedermachten. Es gab keine logische Begründung für dieses Verhalten, dieses Gefühl war einfach da und ließ sich nicht vertreiben. Hannibal verstand es selbst nicht genau, jedoch machte er sich auch nicht allzu viele Gedanken um diesen seltsamen und mit Sicherheit bösen Charakterzug von ihm.
 

Murdoc wurde anstrengend und Hannibal wurde mit jedem Tag klarer, dass ein Kinderwagen bald absolut unumgänglich werden würde. Der Kleine bewegte sich ständig aus bloßer Freude über das neu Erlernte von einem Ort zum anderen, tat sich weh, krabbelte bis ihm die Händchen vom rauen Teppichboden wund gerieben waren und blieb mitten im Raum liegen, wenn er müde wurde. Die größte Befürchtung Hannibals war, dass er vielleicht einmal vergessen würde die Türe zu seinem Zimmer abzuschließen und Murdoc blindlings ins Wohnzimmer zu ihrem betrunkenen Vater hinkrabbeln und ihn stören könnte. Er ging so oft wie möglich raus mit ihm, auf den Spielplatz oder in den Park, um ihn auszupowern und anzustrengen, damit er zu Hause möglichst müde war und keine Kraft mehr hatte, um sich viel zu bewegen oder zu schreien.

So auch heute. Er war mit Murdoc auf dem Arm –wogegen sich der Kleine ständig wehrte, doch Hannibal wagte es nicht, ihn auf den dreckigen Straßen krabbeln zu lassen- in den Stadtpark, nur einige Straßen von ihrer Wohnung entfernt, gegangen. Auf der großen Wiese konnte er ihn getrost sich austoben und spielen lassen, solange er selbst nur immer in seiner Nähe war und ein Auge auf ihn hatte. Der Tag war nicht warm, die Sonne sandte kalte Strahlen auf die Erde nieder, die sie nicht erwärmten. Im Park waren mittelmäßig viele Menschen, ein paar ältere Damen mit kleinen Hündchen und zwei oder drei Elternpaare mit Kindern. Murdoc hatte nie mit anderen Kindern Kontakt gehabt. Hannibal hatte keine Freunde mit so dermaßen jüngeren Geschwistern, und die Eltern im Park und auf den Spielplätzen zogen ihre Kinder panisch weg, wenn sie sahen mit wem der kleine Murdoc denn da unterwegs war. Der große Bruder, dreckig, in lumpiger Kleidung, und so viele schreckliche Percings. Nein, mit so einem sollten ihre lieben Kinder bloß nicht in Kontakt kommen!

Hannibal schüttelte darüber nur verständnislos den Kopf mit den schwarzen Zotteln und kümmerte sich eben selbst um eine Beschäftigung für Murdoc. Er hatte sich einen hübschen, sauberen und leeren Platz auf dem Rasen ausgesucht und setzte den warm in Kleidung eingepackten Murdoc dort ab, der sofort im gleichen Augenblick einige hübsche Blumen entdeckte und eilig dorthin gelangen wollte. Hannibal beobachte Murdoc eine Weile, wie er mit den Blumen spielte, die hübsche hellgelbe Blüten besaßen, manchmal sie abriss, manchmal sie streichelte wie ein junges Kaninchen oder einen Hamster, und einmal musste er sogar dazwischen gehen, damit er nicht eine der Blüten abbiss und hinunterschluckte. Dann wurde ihm diese Tätigkeit langweilig. Er schaute sich im Park ein wenig um.

Er entdeckte ein junges Ehepaar mit einen kleinen Kind, vielleicht etwas älter als Murdoc. Das Kind war ein kleines Mädchen, es trug eine rosa Jacke, die viel zu dick war für das Wetter, und blaue Jeans, die unten an einem der Hosenbeine mit einer hübschen Blume bestickt war. Der Vater, der eine modisch-praktische Kurzhaarfrisur besaß, hatte eine große, karierte Decke auf der Wiese ausgebreitet und einen Weidenkorb hingestellt. Hannibal fragte sich, was wohl darin sein mochte. Es war ein sehr großer Korb. Was konnte man denn nur für einen vielleicht zwei- oder dreistündigen Ausflug in den Park alles mitnehmen?! Er jedenfalls hatte bloß eine einzige Flasche gefüllt mit Orangensaft mit, für Murdoc, falls dieser beim Spielen Durst bekommen sollte.

Die Mutter hatte die Kleine genau im Blick, die wohl auch schon krabbeln konnte, sich jedoch aus irgendeinem Grund nicht gleich los bewegte. Das verstand Hannibal nicht; wenn er Murdoc auch nur für einen kleinen Moment losließ, machte dieser sich sofort auf und davon zu dem nächsten Etwas, das sein Interesse weckte. Bei diesem Gedanken warf er einen kurzen Blick zu Murdoc hinüber, dem die Blumen mit den hellgelben Blüten wohl bereits langweilig geworden waren und zu welchen mit rosafarbenen übergewechselt war. Er stellte fest, das alles in Ordnung zu sein schien, dann beobachtete er weiter die kleine Familie.

Endlich bewegte sich das kleine Mädchen. Nicht schnell, sondern langsam und vorsichtig, fast ängstlich. Sie war kaum bis zum Rand der karierten Decke gekommen, steuerte wahrscheinlich die kleine Löwenzahnblume an, die nicht weit entfernt ganz einsam auf der Wiese wuchs, als die Mutter das kleine Mädchen packte, hochhob und wieder auf die Decke setzte. „Nein, nein“, meinte Hannibal zu verstehen und spitzte die Ohren. „Du sollst da nicht hin, Kathleen, Erde ist dreckig und ungesund. Davon wirst du nur krank!“

Hannibal warf wieder einen Blick zu Murdoc. Der saß noch immer zwischen den vielen bunten Blumen, riss eine unten beim Stängel ab, legte sie dann auf den Boden, um etwas abgerissenes Gras über sie zu streuen und lachte und klatschte in die Hände, als er sein sinnloses Werk betrachtete. Erde ist ungesund, sicher, dachte Hannibal ironisch und schaute wieder zu der kleinen Familie. Das kleine Mädchen, Kathleen hatte die Mutter es genannt, tat ihm sehr leid. Bestimmt durfte sie nie richtig spielen und keinen Spaß haben, weil ihre Eltern alles, was sie anfasste, als zu gefährlich befunden. Dieser Gedanke machte Hannibal sehr traurig, als er Kathleen mit Murdoc verglich, doch er sah keinen Grund, einzugreifen oder mit den Eltern zu sprechen. Dieses Kind war nicht seines, er hatte nicht die Verantwortung. Und selbst wenn er versuchen würde zu helfen: Diese spießigen Eltern würden doch sofort weglaufen, wenn er auf sie zulief! Dieser Gedanke machte Hannibal noch trauriger.

Er dachte ein bisschen über diese Familie nach und über sich selbst und Murdoc, als etwas an seinem rechten Hosenbein spürte. Murdoc war zu ihm hin und bot ihm zwei Blumen an, die er gepflügt –oder, wenn er an Murdoc dachte, wohl eher ausgerupft- hatte. Hannibal lächelte und nahm beide an, schnupperte einmal an ihnen und versicherte Murdoc dann, dass dies die schönsten und am besten duftenden Blumen seien, die er jemals in der Hand gehalten hätte, und streichelte Murdoc über den dunklen Haarschopf.

Die Eltern von Kathleen spielten nicht mit ihr. Sie redeten nur Worte mit ihr, die sie nicht verstand, und lobten sie, wenn sie zufällig etwas tat, was ihnen gefiel, und schimpften mit ihr wegen Dingen, die nicht schlimm waren. Hannibal beobachtete dieses Bild noch einige weitere Zeit aus sicherer Entfernung, während Murdoc neben ihm sitzen blieb und fröhlich vor sich herbrabbelte und ab und an die Aufmerksamkeit seines großen Bruders verlangte bei seinen Spielen. Er nahm jedes Detail auf und versuchte sie sich einzuprägen. Die karierte Decke, der Vater mit den kurzen Haaren, das Kind in der zu dicken Jacke, den großen Weidenkorb und die scheltenden Worte der Mutter. Die Familie saß gleich neben einem großen Baum, dessen Äste hoch lagen, und wüsste man nichts über sie und würde man nur dieses Bild sehen, dann würde man sicherlich denken, dass es sich um eine glückliche, perfekte Familie handelte wie es sie in dieser Gegend nur selten gab. Was tat solch eine Bilderbuch-Familie nur in diesem heruntergekommenen, verwahrlosten Stadtteil?

Hinter dem dicken Stamm des Baumes stand halb versteckt ein Kinderwagen aus dunkelblauem Stoff.

Hannibal stockte der Atem. Ein blauer Kinderwagen mit ausklappbarem Sonnenschutz und einem Netz unten für Kleinigkeiten. Er dachte an die Flasche Orangensaft, die er in seiner Jackentasche mit sich herumtrug, dachte an Murdoc, der inzwischen längst wieder weiter weg mit einem kleinen Bäumchen beschäftigt war, und er dachte an Kathleen und ihre Eltern. Es würde doch niemandem schaden, wenn er dieses blöden Kinderwagen stahl. Oder?

Hannibal schaute sich um. Es war etwas kühler geworden, seit sie hier hingekommen waren und er sah weit und breit keinen Menschen. Oder, doch: Weit hinten im Park, von seinem Standpunkt aus kaum mehr als ein paar bunte Flecken zu erkennen, ein altes Ehepaar, das spazieren ging. Aber das würde sicherlich nicht stören. So schnell rennen oder gar eingreifen würden die beiden Alten doch gar nicht können.

Also gab es jetzt tatsächlich nur ihn und die kleine Familie. Keinen Ehemann mit Pistole, keine Nachbarn, keine Türe, die er einschlagen müsste.

Hannibal schluckte.
 

Ein Problem gab es trotz all der günstigen Umstände dennoch: Diese beiden erwachsenen Menschen. Sie waren größer als Hannibal, der Mann sicherlich auch stärker. Er musste hier mit viel Taktik vorgehen und unüberlegtes Handeln vermeiden, das war eindeutig!

Am Besten er lockte die Eltern irgendwie weg. Aber, halt nein. Selbst wenn etwas Ungewöhnliches geschah, würde bestimmt nicht sofort die gesamte Familie nach der Ursache sehen, und noch weniger würde die Familie dann all ihre Habseligkeiten inklusive dieses teuren Kinderwagens einfach zurücklassen.

Wahrscheinlich würde der Mann vorgehen, und seine Frau auf das Kind und die Sachen achten lassen. Das reichte auch schon; der Mann war die größte Gefahr, mit der Frau, die sowieso sehr ängstlich und übervorsichtig zu sein schien, würde er leicht fertig werden.

Das war ein guter Plan. Jetzt brauchte er nur noch etwas, das den Mann fortlockte. Vielleicht irgendein Geräusch? Nein, in einem Park gab es viele Geräusche. Die Familie würde sicherlich glauben, es stamme von einem Vogel oder einem Fuchs und es dabei belassen.

Und es musste absolut sicher sein, sonst war seine einzige Chance für immer vertan, das wusste Hannibal.

Er dachte scharf nach. Was würde den perfekten Vater einer kleinen, spießigen Familie in jedem Fall dazu veranlassen, nachzusehen, was geschehen war? Hannibal versuchte sich in die Situation hineinzuversetzen. Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie er mit seiner lieblichen Ehefrau und seiner kleinen Tochter fröhlich im Park picknickte. Er war stolz auf seine Familie, und auch auf seinen Job und sein Ansehen. Er war ein guter Mensch, besser als all die Sozialschmarotzer, die sich hier auf Kosten des Staates ein schönes Leben machten und sich nicht um ihre Nachbarn und ihre Familie scherten!

Hannibal öffnete die Augen wieder. Er hatte eine Idee. Eine idiotensichere Idee, die jedoch viel Rücksichtslosigkeit und Egoismus forderte. Hannibal war bereit, dieses Opfer zu bringen.

Das alte Ehepaar von vorhin war näher gekommen. Die Frau hatte ihr graues Haar zu einer prachtvollen Frisur hochgesteckt, die ihr faltiges Gesicht seltsam klein und schmal erscheinen ließ, sie war sehr dünn und schmächtig und das enge Kostüm, das sie trug, betonte ihre Schmächtigkeit noch. Als sie näher kam, sah Hannibal, das ihr Gesicht stark geschminkt war, ihr roter Lippenstift stach ihm sofort in die Augen.

Wie viele alte Frauen schien sie dazu bereit zu sein, eine Menge Geld zu investieren, um jünger auszusehen als sie in Wirklichkeit war, anstatt ihr Alter ganz einfach zu akzeptieren und sich nicht so fürchterlich lächerlich zu machen. Nun gut, wenigstens hatte sie keinen dieser kleinen Hündchen bei sich. Hannibal hasste diese Köter. Die kläfften immer ganz schrecklich und zogen wie wild an der Leine, wenn man ihrem Frauchen zu nahe kam, das nervte ihn. Aber diese Hündchen hatten eher die alten Frauen, die allein spazieren gingen. Wahrscheinlich, dachte Hannibal, sind deren Männer gestorben und deshalb suchen sie sich etwas anderes, das ihnen Gesellschaft leistet.

Der Ehemann der Frau wirkte wie ein Sargverkäufer. Er schien den Mut zur Farbe nicht mit seiner Frau zu teilen, sondern war in einen einfachen, grauen Anzug gekleidet und hatte sein spärliches Haar genau in der Mitte gescheitelt. Er lächelte nicht, er wirkte, als könne ihn nur die Aussicht, bald wieder zu Hause zu sein und seine Zeitung in Ruhe zu Ende lesen zu dürfen, trösten.

Bestimmt bedankt der sich noch, wenn er sieht, was ich mit seiner Frau mache, dachte Hannibal wieder und dieser Gedanke lockte ihm trotz dessen grausigen Boshaftigkeit und Taktlosigkeit ein Grinsen auf die Lippen.

Das Ehepaar lief auf einem schmalen, kiesbestreuten Nebenweg des Parks entlang, der direkt an der Wiese, auf der sich Hannibal und die kleine Familie befanden, vorbeiführte und nur durch einiges wildes Gesträuch und Gestrüpp von diesem getrennt war. Absolut perfekt!

Hannibal schaute noch einmal sicherheitshalber kurz nach Murdoc, der spielmüde geworden war und ruhig auf dem Rasen lag, als wäre er eingeschlafen, dann kehrte er diesem den Rücken zu und machte sich auf, in einem augenscheinlich unnötig großen Bogen möglichst unauffällig auf den Weg zu gelangen. Die Frau und ihr Mann gingen nun einige Meter vor ihm, ganz furchtbar langsam war ihr Tempo, wie bei allen alten Leuten, als sähen sie am Ende ihres Lebens keinen Sinn mehr darin, sich zu beeilen, und hatten Hannibal nicht bemerkt. Sie erreichten nun das hohe Gebüsch, das den Weg von der Wiese und der kleinen Familie trennte. Es war mannshoch, und der Vater würde nichts sehen, nur die Geräuschkulisse würde zu ihm hinüberwehen.

Jetzt musste Hannibal handeln, sehr schnell, und alles richtig machen, genauso wie sein Plan es vorsah. Der kleinste Fehler könnte für sein Unternehmen fatale Folgen haben!

Hannibal überwand rennend die letzten paar Meter, die ihn von der alten Frau trennten, und ohne weiter darüber nachzudenken, warf er sich, mit all dem Schwung, den er angesammelt hatte und seinem ganzen Köpergewicht gegen den zierlichen Leib der alten Dame, die sofort, ohne zu schreien und ohne sonst irgendeine Abwehrreaktion zu zeigen, nach vorne hinfiel und längs auf dem steinigen Boden landete.

Sie bewegte sich nicht, versuchte nicht einmal, sich wieder aufzurappeln, sie atmete nicht schwer, sie tat überhaupt gar nichts; ihr Mann stand geschockt neben ihr, sein Mund war weit aufgerissen, doch auch er sagte nichts. Es war, als wäre ein alter Stummfilm abgespielt worden, mit einem hässlichen Inhalt. Doch all dies nahm Hannibal nur am Rande wahr, er hatte kein Zeit dazu, nachzudenken oder zu bereuen oder sich überhaupt irgendein Urteil zu bilden; er ging nahtlos und schnell wie eine Raubkatze in den nächsten Teil seines Plans über.

Erst, als er hinter einem dichten Busch in der Nähe der Familie seine Position bezogen hatte, fiel ihm der Fehler auf. Es hatte niemand geschrieen. Weder die alte Frau noch ihr geschockter Ehemann. Der Vater konnte gar nichts mitbekommen haben!

Hannibal sah nervös zu der kleinen Familie hinüber, die noch immer sorglos und unbekümmert auf ihrer karierten Decke saß, während nur wenige Meter von ihnen entfernt, auf der anderen Seite der wilden Hecke, eine alte Frau bewusstlos, vielleicht leblos, auf dem Boden lag. Der Vater mit der Kurzhaarfrisur hob seine kleine Tochter auf den Arm und strich ihr vorsichtig über den Kopf, als sei sie eine zerbrechliche Puppe, und lächelte glücklich. Die Frau war zum Weidenkorb hinüber gegangen und hatte ihm zwei Brotdosen entnommen, von denen eine geschälte Möhren und die andere Apfelstücke enthielt. Die Dose mit den Möhren hielt sie Kathleen hin, die zögerlich eine herausnahm und an ihr zu knabbern beginn.

Sein Plan war völlig gescheitert, schon im ersten Schritt!

Hannibal musste die Tränen zurückhalten. Er zog laut die Nase hoch, ob er damit seine geheime Position verriet oder nicht, das war jetzt ja auch nicht mehr wichtig, und ein Gefühl der Verzweiflung und Hilflosigkeit, das ihn wie eine große Welle überschwappte, schien ihn fast fortzureißen. Alles war umsonst gewesen!

Genau in dem Augenblick, in dem er beschloss, seinen Plan aufzugeben und hinter dem Strauch hervorzukommen, hörte er wildes Geschrei von der anderen Seite der Hecke. „Hilfe!“ Das war der Ehemann! Hannibal fiel eine Wagenladung Steine vom Herzen. Vielleicht würde ja alles doch noch gut werden? Und er bekäme diesen wundervollen, teuren Kinderwagen!

„Hilfe! Meine Frau! So hilf doch jemand! Bitte! Sie ist überfallen worden, bitte! Hilfe!“ Der war wohl doch nicht so froh über das Schicksal seiner Frau. Hannibal beobachtete, wie der Vater von Kathleen seiner eigenen Frau noch kurz etwas ins Ohr flüsterte, und sich dann sofort auf den Weg machte, um zu helfen und seine Ehre als Bürger dieser Stadt zu beweisen.

Was für ein Idiot, dachte Hannibal. Er konnte hören, wie die beiden Männer kurz über irgendetwas diskutierten, doch sie taten es leise, sodass Hannibal die Worte nicht verstehen konnte. Dann warf er einen Blick zur Frau. Sie war aufgeregt und hatte ihre Tochter fest in eine Umarmung geklammert, gegen die sich das kleine Mädchen nicht wehrte, obwohl ihm der Griff gar nicht zu gefallen schien. Hinter den beiden, hinter dem dicken Baumstamm, sah er den dunkelblauen Kinderwagen.

Hannibal wartete noch einen kurzen Augenblick, maß die Entfernung von ihm bis zum Kinderwagen ab. Dann sprintete er los. Die Mutter mit ihrer Tochter tat nichts. Er hatte den Überraschungsmoment auf seiner Seite; sie war überhaupt nicht in der Lage, irgendeine Reaktion zu zeigen. Ihr hübsches Gesicht wirkte nicht einmal geschockt, höchstens ein wenig verwirrt. Als hätte sie im Lexikon nachgeschlagen und herausgefunden, dass ein Wort ihr Leben lang eine völlig andere Bedeutung hatte, als sie es gedacht hatte. Das war der einzige Vergleich, der Hannibal in der Schnell einfiel.

Er griff nach dem handlichen Lenker des dunkelblauen Kinderwagens, und rannte in Richtung einer kleinen Anhäufung von Kastanien, nicht um sich dort zu verstecken, sondern um von dort aus eine andere Richtung einzuschlagen. So konnte die Mutter von Katleen nicht mehr erkennen, wohin er gegangen war, und es würde ihr nichts bringen, ihrem Mann zu zeigen, in welche Richtung er verschwunden war.
 

Hannibal lief noch eine Weile weiter, bis er wirklich ganz sicher war, dass ihm niemand gefolgt war. Er war außer Atmen, und er kam sich vor wie einer der Diebe in den Krimis, die sein Vater samstagabends gerne anschaute. Aber es war kein schlechtes Gefühl. Ganz im Gegenteil, Hannibal fühlte sich stark. Er hatte es tatsächlich geschafft! Er hatte sich diesen Plan ausgedacht und es hatte geklappt! Er hätte einen Freudentanz aufführen können, so viel Glück pumpte sein Herz gerade in jede kleine Zelle seines Körpers!

Das Umwerfen der alten Dame, der Diebstahl des Kinderwagens, das lange Laufen eben hatten ihm viel Atem gefordert, und Hannibal suchte sich einen versteckten, kleinen Platz zwischen zwei dicken Bäumen und setzte sich zwei Minuten hin, um neue Kraft zu sammeln, ehe er wieder zu der großen Wiese zurückkehren und Murdoc abholen würde. Er rechnete damit, dass die Familie den Park schnell wieder verlassen hatte. Nach zwei solchen Ereignissen innerhalb nur weniger Minuten sehnten sie sich sicherlich nach ihrem trauten Heim mit der abgeschlossenen Haustüre. Jedenfalls hoffte Hannibal das.

Als er schließlich endlich den Rand der Wiese entdeckte –den Kinderwagen hatte er zuvor sehr gut hinter dichtes Gebüsch versteckt- sah er, dass er Recht behalten hatte. Von der kleinen Familie war keine Spur, nicht einmal etwas Abfall oder Reste von irgendwelchen Verpackungen hatten sie hinterlassen.

Murdoc hatte sich, wie es schien, schnell wieder aufgesetzt und saß längst unbekümmert und allein in der Nähe eines kleinen Rosenbusches. Gerade noch rechtzeitig konnte Hannibal ihn dort wegziehen, ehe sich der Kleine die winzigen Hände an den Dornen aufschlitzte. Murdoc verstand nicht, wieso er nicht mit diesen hübschen Blumen spielen durfte, wo er doch sonst alles andere, jede Blume, jeden Baum, jeden Strauch, in diesem Park hatte anfassen dürfen. Er zappelte wild in Hannibals Griff und quengelte. Hannibal ließ sich nicht davon beeindrucken, packte Murdoc einfach noch ein wenig fester, war froh, dass diese Zeiten bald vorbei sein würden, und ging hinüber zu dem Gebüsch, hinter dem sicher und unbemerkt der dunkle Kinderwagen stand. Er legte Murdoc auf die freie Fläche, und die Decke, die sich im Kinderwagen befand und die Hannibal als sauber befand, über ihn. Murdoc wehrte sich heftig gegen diese Behandlung, trat in alle Richtungen, (was ihm rein gar nichts brachte, wie Hannibal grinsend feststellte) und erst als er einige Minuten durch die Gegend geschoben worden war, wurde er endlich ruhig und schlief ein.

Hannibal beschloss, mit seinem neuen Besitz direkt nach Hause zu fahren. Es konnte nichts Gutes dabei herauskommen, wenn er mit einem gestohlenen Kinderwagen an dem Ort des Verbrechens blieb. Das klang gut. „Ort des Verbrechens“. Hannibal hatte diese Wendung aus einem der Samstagabend-Krimis seines Vaters, und ihm gefiel sie. Er fühlte sich wie der größte Meisterdieb des ganzen Landes, und er pfiff den gesamten Weg bis nach Hause „What Will We Do With A Drunken Sailor“.
 

Zum Glück führte keine kleine Treppe zum Eingang des Hauses hoch, in dem er wohnte, sondern lag ebenerdig. Im Hausflur jedoch kam das erste Hindernis auf ihn zu: Sollte er den Kinderwagen mit nach oben in ihre Wohnung nehmen, oder ihn hier im Flur stehen lassen? Hannibal wusste, dass es anstrengend werden würde, diesen Kinderwagen mitsamt Murdoc allein in den zweiten Stock zu tragen. Auf der anderen Seite wohnten in diesem Haus sicherlich auch genug Familien, die diesen schicken Kinderwagen ebenso brauchen könnten wie er. Und in dieser Hinsicht ebenso skrupellos waren wie er.

Hannibal versuchte sich daran zu erinnern, ob in diesem Haus viele Familien mit kleinen Kindern wohnten. Er kannte nur die wenigsten seiner Nachbarn; man mied den Blickkontakt, wenn man sich im Flur begegnete, und grüßte sich nicht. Viele zogen nach wenigen Monaten oder Wochen auch schon wieder aus. Das Haus, in dem er wohnte, war größer als die meisten anderen Häuser in dieser Gegend, doch Hannibal würde es trotzdem nicht als Hochhaus bezeichnen. Es gab ja nicht einmal einen Aufzug.

Es lagen immer drei Wohnungen in einem Stockwerk. Alle waren klein, meist bestanden sie nur aus zwei oder höchstens drei Zimmern. Eine Wohnung lag direkt gegenüber der Treppe, die man hochkam, und dann gab es jeweils noch eine links und eine rechts. Nur in den höheren Stockwerken, wo die Apartments und Ein-Zimmer-Wohnungen lagen, gab es vier oder ganz oben sogar manchmal fünf Haustüren auf ein Stockwerk gelegt.

Die Türe, die zu Hannibals Wohnung führte, lag im zweiten Stockwerk links. Er wusste, dass in eine der anderen beiden Wohnungen eine Mutter allein mit ihrer Tochter wohnte. Es war ein recht hübsches Mädchen, mit langen blonden Haaren, ein oder zwei Jahre jünger als Hannibal, und Hannibal sah ihr gerne hinterher, wenn er ihr im Hausflur begegnete. In der Wohnung, die noch übrig blieb, lebte ein alter Mann, der sich zu wenig wusch und immer fettiges Haar hatte. Hannibal sah ihm im Flur immer nur mit Einkaufstüten oder Bierkästen beladen, und er nahm an, dass er allein lebte. Dann wusste er noch, dass im Stock über ihm eine Familie mit zwei Kindern wohnten, beide im Grundschulalter, und im Erdgeschoss lebte ein Ehepaar mittleren Alters, das er ständig sich streiten und anschreien bis in seine zweite Etage hörte. Über die anderen Bewohner des Hauses wusste er nicht viel. Er sah sie manchmal, wenn sie die Treppe hinunter oder hinaufkamen, aber mehr hatte er mit keinem von ihnen zu tun.

Ein Baby oder Kleinkind hatte er in ihrem Haus noch nie gesehen. Abgesehen natürlich von Murdoc. Hannibal beschloss, dass es ungefährlich sein würde, den Kinderwagen im Hausflur stehen zu lassen.

Er stellte den Wagen in eine Ecke des übersichtlichen Hausflures und achtete darauf, dass er weder die Treppe noch die Briefkästen versperrte. Einen Keller gab es in diesem Haus nicht.

Gerade, als er Murdoc sanft, um ihn nicht zu wecken, aus dem Wagen heben wollte, bemerkte er, dass das Netz unter dem Kinderwagen mit einigen Gegenständen gefüllt war. Er hatte bisher nicht darauf geachtet, war zu sehr mit seinen Problemen und dem Diebstahl beschäftigt gewesen. Hannibal ließ Murdoc noch ein paar Minuten friedlich schlummern und bückte sich stattdessen, um den Inhalt des Netzes zu untersuchen und nachzusehen, ob sich darin nicht etwas finden ließ, was er gebrauchen könnte. Er fand eine Packung Windeln, jedoch eine Nummer zu groß für Murdoc, doch die würde er sich trotzdem auf jeden Fall aufheben, bis er sie gebrauchen konnte. Murdoc wuchs ja schließlich so unglaublich schnell. Dann fand er noch zwei Flaschen mit Mundstück zum Saugen, gefüllt mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, wahrscheinlich Wasser; einen Teddybär aus angenehm weichen Stoff und eine Puppe; Wechselkleidung, jedoch natürlich für Mädchen; ein buntes Halstuch und eine zweite Decke. Hannibal steckte alles ein, was er zu fassen bekam.

Er nahm Murdoc nun tatsächlich aus seinem Kinderwagen, hatte für ihn jedoch nur eine Hand frei, weil er mit der anderen schließlich das ganze Packen Sachen tragen musste, und machte sich langsam auf den Weg in seine Wohnung. Auf der Treppe vom ersten in den zweiten Stock fiel ihm eine der beiden Flaschen aus der Hand, die zum Glück aus Plastik waren, und er musste noch einmal zurücklaufen, als er endlich oben war, um sie zu holen.

Sein Vater war nicht zu Hause. Hannibal wusste nicht, wo er war. Sie schrieben sich gegenseitig nie Zettel oder hinterließen eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter; wenn der andere nicht zu Hause war, war er eben nicht zu Hause. Dann kam er heute Abend wieder. Wenn er heute Abend nicht wiederkam, dann eben morgen. Und wenn er morgen nicht wiederkam, dann eben irgendwann. Oder nie. War ja auch egal.

Hannibal beeilte sich, Murdoc, der nicht aufgewacht war, schnell auf das Bett zu legen. Danach konnte er endlich die Beute aus dem Kinderwagen ebenfalls ablegen. Hannibal räumte alles an seinen Platz, die Packung Windeln zu den anderen Windeln, die er bereits gekauft hatte, und die Puppe und den Teddybären zu der grün und blau bemalten Rassel, und so weiter. Er schüttete die beiden Plastikflaschen aus und spülte sie.

Als alles erledigt und an seinem Platz war, ging Hannibal hinüber in das Wohnzimmer.

Es stank und war unaufgeräumt. Auf dem Boden lagen ausgedrückte Kippen und Müll. Die Couch, auf der sein Vater den größten Teil seines Lebens zubrachte, war übersät mit Flecken. Der Fernseher staubig.

Hannibal öffnete alle Fenster weit, räumte den Abfall weg und fegte den ganzen Raum gründlich durch. Er wischte die Fenster und den Tisch. Dann wandte er sich der kleinen Kochnische zu und putzte den Herd und die Spüle und den Kühlschrank. Nur die oberen beiden Fächer, die mit Bier und Wodka und Wein gefüllt waren, ließ er aus. Er räumte alle Schränke aus, putzte sie innen und räumte den Inhalt dann wieder fein säuberlich ein.

Im kleinen Badezimmer, in dem man sich kaum drehen konnte, schrubbte er Waschbecken, Dusche und Toilette. Und wo er gerade dabei war, noch den Spiegel, der so fleckig und dreckig war, dass man kaum sein Spiegelbild darin erkennen konnte.
 

Ohje, tut mir leid, dass ich letzten Dienstag einfach übersprungen habe; aber jetzt ist mein Kapitel-Vorrat erst einmal aufgebraucht und ich muss schnell neue schreiben. ;) Also, erfreut euch hieran! xD
 

bye

sb

Weihnachten

Kapitel 5

Weihnachten
 

In vier Tagen war Weihnachten. Draußen schneite es nicht, es klatschte bloß eine eklige und kalte Mischung aus Hagel und Regen gegen die Fensterscheiben und ein starker Wind wehte in jeder noch so kleinen Seitenstraße.

Hannibal saß in seinem Zimmer. Murdoc krabbelte auf dem Teppich umher und langweilte sich. Hier gab es keine schönen Blumen, die man ausreißen konnte und keine nasse Wiese unter den Händen, sondern bloß hohe, glatte Mauern aus Stein und Holz, mit denen er nichts anfangen konnte. Hannibal unterhielt den Kleinen so gut es ihm möglich war, kitzelte ihn oder spielte Fangen, doch er merkte schnell, dass es für sie beide nicht dasselbe war, wie wenn sie draußen im Park oder auf dem Spielplatz waren. Er mochte es nicht, den ganzen Tag in seinem Zimmer zu hocken, er hatte es nie gemocht. Lieber war er draußen und zog mit seiner Kumpane durch das Stadtviertel oder saß zumindest bei einem Freund zu Hause. In seinem Zimmer gab es nichts, was ihn lockte, nichts, womit er sich hätte unterhalten können. Er hatte keinen Fernseher, Bücher auch keine, Spiele hatte er nie besessen. Nicht einmal ein klassisches, altes Brettspiel.

Hannibal seufzte und setzte sich auf den Fenstersims, der ein ganzes Stück in sein Zimmer hineinragte und sich gut zum Hinsetzen eignete, auch wenn er ahnte, dass er eigentlich nicht zu diesem Zweck erbaut worden war. Es gab keine andere Sitzgelegenheit im Raum. Draußen war es dunkel, obwohl es nicht einmal sechs Uhr abends war. Der Regen oder der Hagel oder der Graupel oder was auch immer es nun gewesen sein mochte, ließ langsam nach. Hannibal konnte den Wind pfeifen hören und zog sich instinktiv seinen Mantel ein wenig enger um den Körper. Er trug ihn auch Zuhause, weil ihr Vater die Heizungen nie anstellte, nicht einmal im Winter. Kein Geld, hieß es. Hannibal spürte, wie die Wut hochkam, wie jedes Mal bei dieser verfluchten Ausrede. Kein Geld für einen Kinderwagen, kein Geld für Bücher oder Spiele, aber Geld für Bier und Wodka und schöne Frauen, sicher! Er ließ die Fäuste, die er ohne es zu merken geballt hatte, wieder locker und seufzte einmal laut. Es hatte doch keinen Zweck.

Hannibal starrte noch eine Weile aus dem Fenster, spürte wie die Zeit zähflüssig und langsam dahin floss, achtete nicht auf Murdoc, der quengelte und wieder Aufmerksamkeit wollte. Er hatte keine Lust darauf, jede Minute damit zu verbringen, sich um Murdoc zu kümmern. Wenn sie draußen waren, beschäftigte er sich meistens problemlos allein, Hannibals einzige Pflicht bestand im Prinzip nur darin, nur ab und an mal nach dem Rechten sehn und er musste auch nur mit ihm spielen oder mit ihm sprechen, wenn er Lust dazu hatte.

Murdoc kam auf ihn zu gekrabbelt, das wusste Hannibal, obwohl er nicht hinsah, sondern weiter konstant aus dem langweiligen Fenster mit dem immer gleichen Bild schaute. Der Fenstersims war zu hoch für den kleinen Murdoc, und Murdoc konnte sowieso noch nicht stehen. Darum blieb er einfach kurz unterhalb des Simses sitzen und blickte still zu Hannibal hinauf, wie ein kleiner, bettelnder Hund. Hannibal konnte Hunde nicht ausstehen.

Sein Magen knurrte. Hannibal hatte sich noch immer nicht vom Fenstersims wegbewegt. Eigentlich wäre er jetzt in ihre kleine Kochecke im Wohnzimmer gegangen und hätte nachgeschaut, ob sich noch irgendetwas Essbares im Kühlschrank finden ließ, doch er tat es nicht. Vor allen Dingen nicht, weil er Murdoc nicht den Sieg gönnen wollte. Sein kleiner Bruder saß noch immer ungerührt und mit einer faszinierenden Geduld unten auf dem rauen Teppich vor dem Fenstersims. Nun gut, er schaute nicht mehr zu ihm hoch, sondern auf seine zehn Finger, die wohl urplötzlich ganz furchtbar interessant geworden waren, doch er war während der ganzen Zeit nicht einen winzig kleinen Zentimeter in eine andere Richtung gerutscht. Hannibal hielt sich die Hände vor den Bauch und ignorierte das laute Brummen und Kneifen im Magen. Wenn es sein musste, würde er eben die ganze Nacht hier sitzen bleiben, ehe Murdoc nicht endlich aufgab. Insgeheim hoffte er jedoch, dass Murdoc, dieser kleine, fürchterliche Dickkopf, es nicht ganz genauso sah.

Murdoc sah es ganz genauso. Hannibal hatte keine Uhr in seinem Zimmer hängen, doch er ahnte, dass bereit eine sehr lange Zeitspanne vergangen war. Noch immer saß er auf dem harten Fenstersims, sein Hintern begann langsam zu schmerzen und in seinem Rücken spürte er ein unangenehmes Ziehen, und noch immer hockte Murdoc unten auf dem Teppich. Als Hannibal einmal nach unten zu ihm schaute, schien Murdoc den Blick zu spüren und erwiderte ihn. Hätte Hannibal es nicht besser gewusst, hätte er geglaubt, Murdoc grinste siegessicher und aufschneiderisch.

Jetzt war es genug! Hannibal stand endlich von seinem Thron auf, ignorierte die Schmerzen in etlichen Körperregionen und machte sich auf den Weg zum Kühlschrank. Dieser Wettkampf war doch Blödsinn! Er zog einmal schnell die Nase hoch und legte sich irgendwelche Ausreden für seine Niederlage zurecht. Murdoc hatte nur darauf gewartet, dass er wieder mit ihm spielte, das war keine Herausforderung gewesen, kein Wettkampf. So weit konnte der Hosenscheißer doch nicht denken mit seinem Kleinkinderhirn; der Kleine mit seinen paar Monaten da…!
 

Im Wohnzimmer auf der Couch saß sein Vater, kein Wunder, gerade bei diesem Mistwetter. Hannibal hatte keine Lust auf eine Unterhaltung, er hatte schlechte Laune, und er hoffte, sein Vater würde ihn einfach in Ruhe lassen. Im Kühlschrank fand er eine Menge Bier und zwei Flaschen Hochprozentiges. Im untersten Fach lagen ein paar gekaufte Sandwichs in durchsichtigen Folienverpackungen. Er nahm sich zwei davon und steckte sich unauffällig ein Bier in die Manteltasche.

„Hey, Kleiner!“

Hannibal warf einen kurzen Blick zu der Couch hin, sah den Kopf seines Vaters, den er zu ihm umgedreht hatte, und schloss leise die Türe des Kühlschranks. „Was ist?“ Er bemühte sich, deutlich und selbstsicher zu klingen. Sein Vater schien nicht sonderlich betrunken. Er mochte den Zustand des leichten Angetrunkenseins bei seinem Vater nicht, das machte ihn unberechenbar. War er besoffen, konnte er einem nichts antun, dann konnte er nur torkeln und lallen und kotzen. Bloß angetrunken konnte er allerdings noch schnell laufen und zuschlagen, und man wusste nie, was für eine Laune er hatte.

In letzter Zeit war er sehr oft nur angetrunken, oder gänzlich nüchtern. (Ein Zustand, den es niemals zuvor bei seinem Vater gegeben hatte.)

„Bald ist doch Weihnachten, oder?“

„In vier Tagen.“

Hannibal verstand nicht, wieso dies von Bedeutung sein sollte. Er hatte von seinem Vater noch nie zu Weihnachten oder zu einem Geburtstag oder überhaupt irgendwann etwas geschenkt bekommen. Höchstens eine Tracht Prügel.

„Was wünscht du dir?“

Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Hannibal wusste nicht, was er jetzt sagen sollte. War das ein Scherz? Eine andere Möglichkeit fiel ihm kaum ein. Schließlich betonte sein Vater doch ständig und immer, dass man Geld am besten in Bier investieren sollte, statt es für irgendwelche unnützen Dinge aus dem Fenster zu schmeißen. Hatte er seine Meinung geändert? Wieso nur?

„Wie meinst du das?“ Hannibal hatte keine Lust, sich vor seinem Vater lächerlich zu machen, weil er auf irgendeinen blöden Trick hineinfiel oder sich einmal mehr von der Vorstellung hinreißen ließ, er hätte sich doch nun tatsächlich geändert. So blöd und naiv war er längst nicht mehr.

„Wie ich das meine? Sag mal, hat man dir in der Schule denn gar nichts in dein Hirn kloppen können?! Zu Weihnachten schenken Eltern ihren Kindern was, oder? Kannst du noch folgen oder ist das schon zu schwer für dich? Also, was willst du haben?“ Dann fügte er noch hinzu: „Aber nichts zu Teures, kapiert, so viel Geld haben wir nicht, das weißt du, Rotzlöffel!“

Er schien es tatsächlich ernst zu meinen! Hannibal schluckte einmal schwer und versuchte zu fassen, was eben geschehen war. Ein Geschenk, er würde ein Geschenk von seinem Vater bekommen! Vielleicht hatte er sich ja doch geändert… Vielleicht –nein, nein! Hannibal versuchte, einen klaren Kopf zu behalten und logisch zu denken. Nur weil sein Vater ihm ein einziges Mal in seinem Leben etwas schenkte, hieß das doch nicht gleich, dass er zum besten Vater des Monats gewählt werden würde. Wahrscheinlich hatte er einfach bloß ein schlechtes Gewissen, weil er Hannibal ganz allein um Murdoc kümmern ließ und dabei genau wusste, wie anstrengend es war, sich allein mit wenig Geld um einen kleinen Säugling zu kümmern. Schließlich war sein Vater damals in einer ähnlichen Lage gewesen, als er selbst zur Welt gekommen war.

Hannibal durchforstete sein Gehirn nach irgendetwas, das er gut gebrauchen könnte und nicht zu teuer war. Hätte man ihm nach seinem größten Wunsch gefragt, hätte er sich natürlich sofort ein Bass gewünscht, doch das würde bei ihrem Budget nicht drin sein, das war ihm klar. Am besten, er wünschte sich etwas Praktisches, vielleicht etwas, was er für Murdoc gut gebrauchen konnte, gerade jetzt im Winter. Ein Spielzeug oder so etwas. Damit er bei Regen und Unwetter auch drinnen spielen konnte, ohne sich zu langweilen.

„Spielzeug. Kleine Rennautos, oder vielleicht ein Schaukelpferd. Oder… kennst du diese kleinen… wie heißen die noch mal… Bobbi Cars, genau!“ Sein Vater schaute ihn zu erst ein wenig überrascht und zweifelnd an, nickte dann jedoch.

„Und was wünscht du dir?“

„Das habe ich doch eben gesagt.“

„Nicht was Murdoc möchte, sondern was du möchtest, will ich wissen, Rotzlöffel!“

„Ich… ich möchte lieber die Sachen für Murdoc, statt welche für mich.“

Die Stimme seines Vaters klang nun ein wenig genervt. Er schien auf einen Punk hinaus zu wollen, den Hannibal noch nicht verstanden hatte.

„Das Spielzeug für Muds kriegst du auch, das ist kein Problem. Ich hab’ da einen Kumpel, der arbeitet in einer Spielzeugfabrik, da krieg ich das Zeug billig her. Aber ich will, verdammt noch mal, dass du etwas kriegst, und nicht nur dein Bruder, endlich kapiert?“

Hannibal nickte. Er spürte, wie sein Herz in seiner Brust zu klopfen begann. Heute musste sein Glückstag sein!

„Ich hätte gerne neue Schuhe. Welche für den Winter.“ Er trug nicht mehr die Sandalen, die er fast den gesamten Sommer durchgehend an den Füßen gehabt hatte, sondern ein Paar alte Schuhe von ihm, die viel zu klein waren und drückten. Andere, die man im Winter tragen könnte, hatte er nicht.

„Spielzeug und Schuhe.“ Sein Vater sagte die beiden Worte langsam vor sich her, als wären es Fremdwörter, und setzte einen nachdenklichen Blick auf. Dann nickte er wieder. „Von mir aus, das krieg ich hin. Aber erwarte nicht zu viel, Rotzlöffel!“ Er wiederholte den Satz, den er eben schon gesagt hatte: „So viel Geld haben wir nicht, das weißt du! Der Staat zahlt nicht viel, auch wenn du vielleicht was anderes denkst!“

Hannibal gab seinem Vater Recht, ohne darüber nachzudenken, ob er auch der gleichen Meinung war. Das einzige, was im Augenblick für ihn zählte, waren ein Paar Winterschuhe und Spielzeug für Murdoc.

Er verabschiedete sich möglichst freundlich von seinem Vater, der das Gespräch daraufhin anscheinend als beendet ansah und sofort wieder den Fernseher fixierte. Es lief ein Porno, wie immer. Hatte sich wohl doch nicht so viel geändert, wie Hannibal es sich erhofft hatte. Aber was soll’s.

In seinem Zimmer wartete Murdoc. Er saß mitten im Raum auf dem Boden, lutschte seelenruhig an seinem Schnuller und schien froh zu sein, dass sein großer Bruder nicht mehr so still und böse, sondern fröhlich war. Das erste, was er tat, war Murdoc hochzunehmen und sich mit ihm in den Armen um die eigene Achse zu drehen und zu lachen, bis ihm der Kopf schmerzte.

Die nächsten Tage vergingen langsam. Einerseits, weil Hannibal sich vor Vorfreude kaum halten konnte und die Zeit immer langsamer vergehen zu scheint, wenn man ein bestimmtes Ereignis erwartete, und andererseits, weil sich das Wetter nicht besserte und sie beide darum noch immer in ihren wenigen Quadratmetern Kerker festsaßen. Auf eine weiße Weihnacht konnten sie wohl kaum hoffen, aber zumindest hatten sich der Hagel und Graupel verzogen, und es gab nur noch sauberen Regen.

Am Tag vor Weihnachten versiegte der Strom sogar einmal gänzlich für einige Stunden. Hannibal nahm die Gelegenheit nur zu gern wahr, packte sich Murdoc und eine Flasche Apfelsaft und setzte beides in den dunkelblauen Kinderwagen, der unten im Flur stand. Sie fuhren an keinen bestimmten Platz, nur ein bisschen ziellos durch die Stadt, und Hannibal atmete die die noch immer regennasse Luft ein, als wäre es das erste Mal seit Jahren, dass er wieder an die frische Luft kam. An einem winzig kleinen Park, den er nicht kannte, machte er eine Pause und holte Murdoc aus seinem Kinderwagen. Er freute sich über die Wiese, die nass war, und über die Blumen, die nass waren, und krabbelte fröhlich umher und untersuchte jeden Regentropfen auf jedem Grashalm.

Hannibal legte sich mit ausgestreckten Armen auf die Wiese und musste lächeln. Es war lange her, dass er sich das letzte Mal so sehr auf ein bestimmtes Ereignis gefreut hatte, und er mochte dieses Gefühl. Manchmal, in Momenten wie diesem hier, glaube er, dass die Welt es doch gar nicht so böse mit ihm meinte und auch ein armes Kerlchen wie er einmal im Leben Glück haben konnte.
 

An Weihnachten wachte Hannibal so früh auf, dass es selbst für einen Frühaufsteher wie ihn ungeheuerlich erschien, und konnte nicht mehr einschlafen, so sehr er es auch versuchte. Tausende Ameisen schienen in seinen Adern umher zu krabbeln und sein Körper fühlte sich entweder heiß oder kalt an, Hannibal konnte es nicht genau sagen, und seine Hände zitterten so stark, dass er keinen Gegenstand anfassen konnte, ohne Gefahr zu laufen, ihn fallen zu lassen.

Murdoc schlief noch, und Hannibal wollte ihn auch noch eine Weile schlafen lassen. Stattdessen öffnete er die Türe seines Zimmers, die direkt zum Wohnzimmer führte, einen winzig kleinen Spalt und lugte vorsichtig hinaus. Es gab keinen Weihnachtsbaum und keine bunten Lichter und keine Tannenzweige, keine fröhlichen Lieder, keine Liebe und keine große Familie, aber das hatte er auch nicht erwartet. Sein Vater schlief noch, er konnte ihn schnarchen hören.

Und für einen Augenblick kamen Hannibal Zweifel. Vielleicht hatte sein Vater sich ja doch einen bösen Scherz erlaubt, den bösesten, den man sich vorstellen konnte, zu Weihnachten. Vielleicht gab es ja gar keine neuen Schuhe und kein Spielzeug, sondern bloß Wodka und Schnaps und Bier. Vielleicht würde sich sein Vater, wenn er ihn vorsichtig nach den Geschenken fragte, vor ihm aufbauen wie ein wütender Schuldirektor und ihn auslachen, aus vollem Halse.

Das würde er nicht ertragen.

Hannibal schloss die Türe ebenso leise, wie er sie geöffnet hatte, und schlich zum schlafenden Murdoc hinüber. Im Schlaf hatte er noch ein hübscheres Gesicht als sowieso schon. Wieder fiel ihm die gerade Nase auf.

Er weckte Murdoc, obwohl es noch viel zu früh am Morgen war. Er brauchte irgendetwas, das ihn ablenkte von seinen Gedanken und Ängsten. Murdoc war noch müde und ganz verschlafen, als er ihn weckte, und begann leise zu schreien. Hannibal nahm ihn hoch, wiegte ihn sanft hin und her und war froh, dass Murdoc lange brauchte, um richtig wach zu werden und sich zu beruhigen.

Im Badezimmer verplemperte er viel mehr Zeit, als notwendig gewesen wäre. Er badete Murdoc, obwohl es nicht hätte sein müssen, weil sie die ganzen letzten Tage sowieso nur drinnen gewesen waren und es in seinem Zimmer kaum etwas gab, das dreckig machen konnte. Trotzdem tat er es, wusch ihm besonders gründlich die Haare, die ja so schnell fettig werden konnten, und ließ ihn noch ein bisschen länger im warmen Badewasser sitzen, bloß weil Murdoc das gerne mochte. Er spritze ihm aus Spaß ein bisschen warmes Wasser ins Gesicht und beobachtete Murdocs Reaktion, wie er zuerst abwehrend reagierte und die Augen fest zukniff, und es dann seinerseits selber machte und fröhlich umher planschte. Dann trocknete er ihn gründlich ab, und zog ihm frische Kleidung an, die er zuvor extra herausgelegt hatte. Wenigstens an Weihnachten sollte der Kleine doch bitte vernünftig aussehen!

Er wechselte ihm sogar die Windel, obwohl er die Alte gar nicht vollgemacht hatte und der Vorrat an Windeln, den sie noch besaßen, stetig schrumpfte. Aber was soll’s, von irgendwoher würde er schon Neue herbekommen. Zur Not würde er eben irgendjemanden bestehlen und von dem erbeuteten Geld neue Windeln kaufen, das hatte er schließlich auch schon des Öfteren getan.

Als Murdoc schließlich frisch gebadet und neu eingekleidet, die Windeln gewechselt und die Haare ordentlich gelegt waren, war es noch immer erst zehn Uhr morgens.

Es regnete draußen, die Option fiel also schon einmal weg. Ihnen blieb wohl nichts anderes übrig, als tatsächlich wieder in ihrer beider persönlichen Hölle, das Zimmer, zu gehen und dort zu warten, bis ihr Vater aufgewacht war. Hannibal hatte sein Zimmer satt. Er hatte den rauen Teppich satt, er hatte die vergilbten Raufasertapeten satt, die durchgelegene Matratze auf dem Boden, und den Schrank hatte er auch satt!

Er ging zum Fenster und öffnete es. Draußen war es wie immer. Dunkel, kalt, windig, nass. Hannibal beobachtete die gegenüberliegende Häuserfront, doch als er nach einigen Minuten einsehen musste, dass sich dort nichts regte und nichts veränderte, gab er auch diese Tätigkeit auf.

Er beschloss, doch noch ein wenig mit Murdoc zu spielen. Oder eher zu lernen. Wenn der Kleine schon so früh damit begonnen hatte zu krabbeln, warum sollte er dann nicht auf früh laufen lernen, oder zumindest stehen? Das würde sie beide doch zumindest ein wenig ablenken.

Hannibal setzte sich neben Murdoc auf den Boden. Sitzen ohne umzukippen war für den Kleinen längst kein Problem mehr, dabei konnte Hannibal sich gar nicht mehr genau an den Tag erinnern, an dem er das gelernt hatte.

Er nahm Murdocs zierliche Hände in seine eigenen und zog den Kleinen langsam hoch auf die Beine. Das klappte soweit, doch wenn er versuchte, Murdoc selbst einmal sein eigenes Körpergewicht zu tragen, klappte er um und fiel auf seinen Hintern. Hannibal versuchte es noch einige Male, immer wieder mit dem gleichen Ergebnis. Murdoc war nicht einmal in der Lage zu stehen, vom Laufen ganz zu schweigen.

Dann überlegte er sich einige Variationen dieser Technik, die es Murdoc leichter machen könnten. Er zog ihn nur mit einer Hand hoch, oder stützte ihm die Füße, damit er nicht so leicht umfiel; doch es nützte nichts.

In welchem Alter lernten Kleinkinder denn eigentlich das Laufen? Das wusste Hannibal nicht. Murdoc war Anfang Juni geboren worden. Oder eher: Am 6. Juni hatte er ihn auf diesem verstaubten Kissen im Wohnzimmer gefunden, ob er nun auch an diesem Tag geboren wurde, wusste er gar nicht. Jetzt, wo er daran dachte… Er war eigentlich immer vom 6. Juni als Murdocs Geburtstag ausgegangen. Vielleicht war er ja aber in Wirklichkeit schon im Mai geboren?

Nach einigen Überlegungen entschied Hannibal, dass diese paar Tage beim Alter nun auch keine große Rolle spielten. Wenn er also annahm, dass Murdoc Anfang Juni geboren worden war, und heute war Weihnachten, dann… Juni, Juli, August, September, Oktober, November, Dezember… dann war er fast sieben Monate alt. Sieben Monate.

Das ließ sich so leicht sagen. Sieben Monate. Aber Hannibal schien dieser Zeitraum unendlich lang. Sieben Monate! Er versuchte sich daran zu erinnern, wie es gewesen war, ehe er an diesem 6. Juni ins Wohnzimmer gekommen war, wie sein Leben vorher ausgesehen hatte, und er musste feststellen, dass er sich nicht mehr ans Vieles erinnerte. Er erinnerte sich noch an Percy, und an George, den Jungen mit dem dümmlichen Gesicht. Er wusste, dass er damals viele ältere Freunde gehabt hatte, Erwachsene, es hatte Gras gegeben, und Anderes. Sie waren abends um die Häuser gezogen, hatten getrunken und geraucht und Mädchen, die vorbeikamen und einen hübschen Hintern hatten, hinterher gepfiffen. Aber an viel mehr erinnerte er sich auch nicht mehr.

Dafür wusste er noch genau, wann er Murdoc das erste Mal gesehen hatte, wann er das krabbeln gelernt hatte und wie er für ihn diesen Kinderwagen gestohlen hatte. Er wusste, wie man ihm die Windeln wechselte und wie man ihn füttern musste, was er mochte und was nicht. Er erinnerte sich daran, wie sie oft im Park saßen oder auf dem Spielplatz gewesen waren.

Hannibal sehnte sich in Momenten wie diesen, wo er sich erinnerte und verglich, manchmal nach seinem alten Leben, nach den Jungs und dem Gras und den dunklen Abenden. Er war lange nicht mehr abends draußen gewesen, weil Murdoc als Säugling früh schlafen musste. Und er hatte niemanden, der sich um Murdoc kümmern würde, wenn er einmal nicht da war.
 

Sein Vater war endlich aufgewacht. Hannibal konnte seine schlurfenden Schritte hören, die ihn zum Bad führten. Die Vorfreude und die Ameisen und die Hitze und die Kälte und das Zittern waren mit einem Mal wieder da.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sein Vater endlich wieder das Wohnzimmer betrat, obwohl Hannibal wusste, das nicht viel Zeit verstrichen sein konnte. Sein Vater verbrachte nie viel Zeit im Badezimmer. Hannibal drückte langsam die Türklinke hinunter, um seinem Vater ein Zeichen zu geben, und betrat dann das Wohnzimmer. Er hatte Murdoc auf dem Arm, der froh zu sein schien, endlich dem Zimmer entkommen zu sein.

Sein Vater sah aus, wie er immer aussah. Nicht einmal an Weihnachten hatte er sich etwas herausgeputzt. Bartstoppeln überzogen das seit Tagen nicht mehr rasierte Kinn, das Haar hing fettig bis fast zu den Schultern hinunter, und auf der Kleidung sah man deutlich Flecken, die wahrscheinlich von in der Eile verschüttetem Bier herrührten.

Er war in Begriff sich auf seine geliebte Couch zu setzen, wie er es immer tat, und Hannibal hatte die Hoffnung fast schon wieder aufgegeben, bis sein Vater ihn mit einer kurzen, barschen Handbewegung heran rief.

Sein Gesichtsausdruck war das eines Menschen, der sich im Moment unheimlich beliebt und cool fühlte, und Hannibal hoffte von ganzem Herzen, dass dies ein gutes Zeichen war.

„Also“, begann sein Vater seine Rede und klopfte bei diesen Worten mit der Hand neben sich auf die Couch; das Zeichen, das Hannibal sich zu ihm setzen sollte. Er tat es und nahm Murdoc auf den Schoß.

„Heute ist ja endlich Weihnachten und du hast dir ja Schuhe gewünscht und für Murdoc neues Spielzeug.“ Sein Vater war nie ein guter Redner gewesen. Er sprach zu schnell, undeutlich und unangemessen. Hannibal versuchte diese Tatsache für den Moment zu ignorieren und wartete darauf, dass er weiter sprach. Die Hauptsache war, dass er diese Dinge, von denen sein Vater sprach, bekommen würde. Hannibal schaute sich vorsichtig im Wohnzimmer um, hielt Ausschau nach glitzerndem Geschenkpapier oder bunten Schleifen, bis er merkte, wie dämlich das war. Selbst wenn sein Vater das Spielzeug und die Schuhe besorgt hätte, so hätte er sich doch in seiner grenzenlosen Faulheit nicht auch noch die Mühe gemacht, sie einzupacken. Aber die Verpackung war schließlich auch nicht wichtig! Hannibal versuchte sich einzureden, dass für ihn und Murdoc nur der Inhalt zählte, nur, wie viel man mit den Geschenken nun auch tatsächlich anfangen konnte, doch es fiel ihm sehr schwer. Er hätte niemals zugegeben, dass er sich über ein bunt, glitzerndes Geschenkpapier fast mehr gefreut hätte als über das Geschenk selbst. Sein Vater würde sich niemals auch nur ein winziges bisschen mehr Mühe geben als absolut notwendig, er würde sich niemals die kleinsten Umstände machen für seine beiden Kinder. Dieser Gedanke machte Hannibal traurig, doch er verdrängte ihn schnell wieder. Heute war Weihnachten! Er und Murdoc bekamen Geschenke, und Hannibal ermahnte sich dazu, nicht gierig zu sein und nicht zu viel zu erwarten.

Bevor sein Vater weiter sprach, rülpste er laut und Hannibal verzog bei dem Geruch nach Alkohol und faulen Zähnen das Gesicht. „Ich hab den Kram besorgt, den du wolltest. Guck mal da drüben in den Schrank!“ Er deutete auf den niedrigen Schubladenschrank, auf dem der Fernseher deponiert war, und als Hannibal sich nicht sofort dorthin bewegte, versetzte sein Vater ihm einen heftigen Stoß in den Rücken, der Hannibal von der Couch schubste. Er musste Murdoc festhalten, damit ihm dieser nicht vor Schreck aus den Händen fiel.

Er überwand eilig mit zwei Schritten die kurze Distanz bis zum Schrank und kniete sich dann davor nieder. Seine Hände zitterten, als er nach dem Griff der obersten Schublade fasste; er konnte das eiskalte Holz –auch im Wohnzimmer hatte sein Vater darauf verzichtet, die Heizung einzuschalten- an seiner Haut und die Blicke seines Vaters in seinem Rücken spüren. Nach einem kurzen Augenblick, den Hannibal nutze, um die Spucke, die sich in seinem Mundraum gesammelt hatte, hinunterzuschlucken, zog er die Schublade mit einem festen Ruck auf. Darin befanden sich ein Paar Schuhe aus dickem, schwarzem Stoff. Hannibal holte sie aus der Schublade und sah nach der Schuhgröße, die unten auf die Sohle gedruckt war. Zwei Nummern zu klein, aber Hannibal war nicht böse. Schließlich hatte er seinem Vater vergessen, seine Schuhgröße zu nennen, sodass dieser wohl hatte schätzen müssen.

Die zweite Schublade war größer als die erste. Trotzdem bezweifelte Hannibal, dass ein Bobbi Car oder gar ein Schaukelpferd darin Platz gefunden hätten. Als er sie aufzog, war sie leer. Hatte sein Vater das Geschenk für Murdoc vergessen? Oder aus Geldgründen darauf verzichtet? Hannibal wusste nicht, wie er auf diese Enttäuschung reagieren sollte, als er die Stimme seines Vaters hinter sich hörte. „Sag mal, wie blöd bist du eigentlich, Kleiner? Murdocs Geschenk passt doch nicht auch in diesen Schrank. Du Idiot, die Jahre in der Schule sind wohl totale Zeitverschwendung gewesen.“ Sein Vater deutet auf seinen hohen Kleiderschrank, der neben der Couch stand. Hannibal schlurfte hinüber und öffnete ihn kurzerhand. Der Geruch nach ungewaschener, abgetragener Kleidung ließ ihm für einen kleinen Augenblick alle Sinne schwinden. Dann entdeckte er das Dreirad.

Es war gebraucht –der rote Lack blätterte an vielen Stellen ab und eines der Räder war irgendwann einmal geflickt worden- doch Hannibal freute sich trotzdem. Mit einem Dreirad im Gepäck würde die nächste Zeit mit Murdoc viel einfacher sein. Er würde ihn nicht mehr andauernd tragen oder den riesigen Kinderwagen vor sich her schieben müssen, sondern konnte Murdoc einfach in das Dreirad setzen und ihn losradeln lassen. Außerdem konnte sich Murdoc mit diesem Dreirad bestimmt gut selber beschäftigen, sodass er sich nicht ununterbrochen um ihn kümmern musste. Hannibal konnte kaum in Worten zusammenfassen, wie glücklich er sich in diesem Augenblick fühlte. Er machte sich überhaupt gar keine Gedanken darum, ob Murdoc mit seinen sieben Monaten nicht noch zu jung für ein Dreirad war und ob er überhaupt die Kraft besaß, selbst in die Pedale zu treten.

„Danke“, hauchte Hannibal, doch er tat es so leise, dass sein Vater das Wort nicht gehört haben konnte. Es schien ihn auch nicht zu kümmern. Als Hannibal sich umwandte, sah er, dass sein Vater sich wieder dem Fernseher zugewandt hatte, ohne ihn zu beachten. Hannibal wollte sich schon wieder mit den neuen Geschenken in sein Zimmer stehlen, als ihm eine Frage einfiel. Er betrachtete für einen kurzen Moment seinen Vater, der eisern den Bildschirm fixierte, und entschloss sich schließlich dafür, sie zu stellen: „Warum hast du die Geschenke versteckt?“

„Wenn du die sofort gesehen hättest, wär’s doch keine Überraschung gewesen, du dämlicher Rotzlöffel!“
 

Jaja, nach so vielen Monaten melde ich mich endlich mal wieder. Es tut mir sehr leid, dass ich euch so lange haben warten lassen, doch zumindest kann ich sagen: Ich habe jetzt endlich wieder Motivation, an "Hannibal" weiter zu arbeiten! ;)

Viel Spaß beim Lesen! :P
 

bye

sb

Die Familie von der Müllkippe oder Die Raben

Kapitel 6

Die Familie von der Müllkippe oder Die Raben
 

Der Winter ging entgegen Hannibals Erwartungen doch sehr schnell zu Ende. Bereits wenige Tage nach Weihnachten war das Wetter wieder so weit in Ordnung, dass er mit Murdoc hinausgehen konnte, ohne von heftigen Windböen oder Schneestürmen einige Meter nach hinten befördert zu werden. Kalt war es zwar trotzdem, doch mit den neuen Winterschuhen war es erträglich. Natürlich hielten sie nicht wirklich warm –Hannibal überraschte es nicht sonderlich, als ihm die billige Qualität auffiel- doch es war definitiv besser als barfuss oder mit dünnen Sommerschuhen auszuhalten, und weil er nichts für die Schuhe bezahlt hatte und sie nicht hatte stehlen müssen, beschwerte er sich nicht.

Das Dreirad war noch nicht zum Einsatz gekommen. Hannibal hatte Murdoc zwar auf den Sitz gesetzt, noch am gleichen Tag, an dem er es geschenkt bekommen hatte, und Murdoc hatte sich auch ohne Hilfe halten können, doch kamen seine Beinchen noch nicht ganz an die Pedale heran. Er würde wohl noch etwas warten müssen, bis er damit würde fahren können. Hannibal fand das sehr schade, doch als er daran dachte, wie schnell Murdoc wuchs, tröstete ihn dieser Gedanke.

Hannibal ging wieder so oft es ihm möglich war, nach draußen. Sein dreckiges Zuhause und seinen Vater –der sich inzwischen wieder ununterbrochen zukippte- hielt er nicht mehr aus. Damit Murdoc nicht fror, zog er ihm mehrere Kleidungsstücke übereinander an. Das klappte zwar recht gut, doch trotzdem hätte sich Hannibal eine Jacke für Murdoc gewünscht. Er stahl immer mal wieder Kleidung, auch Schuhe für Murdoc –das war unumgänglich, so schnell wie der Kleine größer wurde-, doch eine Jacke hatte er niemals mitgehen lassen können.

Es war Februar, als Hannibal beschloss, endlich einmal wieder sein Versteck zu besuchen. Seit er sich um Murdoc kümmern musste, hatte er nur sehr selten Zeit für sein Versteck und seine Gedanken an Traum-Mum. Er war insgesamt höchstens ein halbes Dutzend mal dort gewesen, und man durfte nicht vergessen, dass er sich seit Anfang Juni, also seit knapp neun Monaten, ununterbrochen um Murdoc kümmerte. Hannibal selbst dachte jedoch niemals darüber nach. Für ihn waren neun Monate eine unvorstellbar lange Zeit, obgleich er sie selbst durchlebt hatte. Es hatte sich viel geändert, seit Murdoc da war. Er rauchte weniger –sowohl Zigaretten wie auch Gras-, ging abends fast gar nicht mehr weg. Zu dem Großteil seiner alten Freunde hatte er inzwischen gar keinen Kontakt mehr. Wie hätte er ihn auch halten können? Er konnte den kleinen Murdoc nicht allein lassen, nicht einmal für ein paar Stunden, und mitnehmen konnte er ihn auch nicht.

Sein Versteck lag so verlassen da wie immer. Niemand würde jemals auf den Gedanken kommen, dass sich unter dem riesigen Berg alter Autos und Motorräder ein Hohlraum befand, selbst Hannibal hatte das Versteck nur zufällig entdeckt, als er sich schnell vor einer Bande Jugendliche, die ihn verfolgte und verprügeln wollte, hatte verstecken müssen. Er legte Murdoc auf die Wiese aus alten Kissen und Decken, und als Hannibal sie näher betrachtete, sah er, dass auf ihnen eine dicke Staubschicht lag. Murdoc musste husten, als auf ihr herumzukrabbeln begann, weil er den Staub aufwirbelte.

Das machte Hannibal traurig. Wieder dachte er an die alten Zeiten. Er dachte an seine Freunde, an die gemeinsamen Abende, den Joint, der in der Runde umging. Er dachte an die vielen verschiedenen Leute, die ihm seine Piercings gestochen hatten, weil er ihnen irgendeinen Gefallen getan hatten oder einfach bloß, weil sie ihn mochten. Ihm fiel wieder ein, dass er sich zu seinem fünfzehnten Geburtstag eigentlich eine Tätowierung hatte stechen lassen wollen. Einen Adler, mit einer Blume im Schnabel. Hannibal fiel plötzlich auf, dass er das Tattoo und auch seinen fünfzehnten Geburtstag –den dreizehnten November- komplett vergessen hatte; auch sein Vater hatte nicht daran gedacht. All diese Gedanken stimmten ihn traurig. Er fragte sich, wie sein Leben ohne Murdoc verlaufen wäre. Wahrscheinlich hätte sich nicht viel geändert. Er hätte weiter die Schule geschwänzt, hätte Gras und Zigaretten geraucht und sich mit irgendwelchen Leuten geprügelt. Wahrscheinlich hätte er auch das erste Mal Sex gehabt.

Hannibal erinnerte sich daran, wie er in der sechsten Klasse einmal Miranda Lewis unter den Rock gefasst hatte. Nicht absichtlich –er hatte damals noch kein richtiges Interesse an Mädchen gehabt, und hatte es auch jetzt prinzipiell noch nicht-, sie war im Flur gegen ihn gelaufen und sie waren hingefallen. Dabei war seine Hand zwischen ihre Beine gerutscht. Nun gut, gab Hannibal zu, vielleicht hatte er es auch herausgefordert, weil er neugierig gewesen war, doch er hatte ihr nicht wehtun oder sie verletzen wollen. Hannibal versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, wie sich Mädchen zwischen den Beinen anfühlten. Es war feucht gewesen. Nicht nass, bloß feucht. Aber nicht von Wasser. Die Flüssigkeit war ein klein wenig dickflüssiger gewesen, fast schon glibberig. Und sie hatte sich in einer Spalte befunden. Hannibal wusste, dass der Mann beim Sex seinen Penis in diese feuchte Spalte steckte. Doch was ein Mann und eine Frau beim Sex fühlten und warum sie überhaupt Sex hatten, wusste er nicht. Es interessierte ihn zum gegeben Zeitpunkt auch nicht.

Hannibal ging zum Schubladenschrank hinüber, weil er sich eine Zigarette gönnen wollte. Als er die Schublade aufzog, war keine da –er musste unweigerlich wieder an Weihnachten denken-, obwohl er sich hundertprozentig sicher war, noch mindestens fünf dort gelagert zu haben. Hannibal wurde nicht wütend, nur misstrauisch. Jemand musste in seiner Abwesenheit in sein Versteck eingedrungen sein. Irgendjemand hatte sein Versteck gefunden! Jetzt wurde Hannibal doch wütend. Dieser blöde Hohlraum zwischen alten Lastern und Motorhauben war der einzige Rückzugsort in seinem Leben, er war sein Versteck gewesen, sein Zuhause, sein Land der Träume. Und nun war hier irgendjemand eingedrungen und hatte seine Zigaretten gestohlen. Seine gottverdammten Zigaretten! Hannibal stieß ein wütendes Knurren aus und trat gegen den Schrank, dessen Schublade sich prompt aus der Halterung löste.

Er beschloss, hier zu bleiben und zu warten, bis die Person noch einmal auftauchte, um sie zu verprügeln. Niemand durfte ungestraft sein Versteck betreten. Niemand! Wegen seines plötzlichen Wutanfalls blickte Murdoc, der bisher versuchte hatte, den Staub von den Kissen abzuwischen, um ihn zu essen, verwirrt zu ihm hinüber. „Glotz nicht so scheiße!“, schrie Hannibal ihn an. Seine Wut wurde immer größer. „Es ist sowieso alles nur deine Schuld! Es ist alles deine Schuld! Deine Schuld, dass ich nicht mehr rauche, deine Schuld, dass ich so viel stehlen muss, deine Schuld, dass ich all meine Freunde verloren habe! Du bist verdammt noch mal schuld daran, dass ich kein eigenes Leben mehr habe! Weil du Windeln und was zu Fressen brauchst, und weil ich mich als einziger um dich kümmern muss! ICH HASSE DICH, MURDOC!“

Murdoc begann leise zu schreien und dann zu weinen. Hannibal hatte ihn seit ihrem ersten Tag nicht mehr so laut angeschrieen. Er hatte stets versucht, sich in Murdocs Gegenwart ruhig zu halten und seine Wut zu kontrollieren. Er hatte sich immer eingeredet, dass Murdoc nicht Schuld war, dass er doch nichts für seine armselige Existenz konnte. Hannibals Wut verflog so schnell, wie sie gekommen war. Er ging zu Murdoc hinüber, der ihn erschrocken anstarrte und nahm ihn auf den Arm. „Du armer kleiner Wurm“, sagte er, und wiegte Murdoc langsam hin und her. „Tut mir leid, dass ich dich angeschrieen habe. Es ist nur so schwierig“, flüsterte er, als wäre es eine Entschuldigung. „Aber“, fügte er leise hinzu, „stell dich schon einmal darauf ein, dass ich in nächster Zeit nicht mehr immer für dich da sein werde. Du musst langsam lernen, allein klar zu kommen. Sei mir nicht böse. Aber ich will auch wieder ein bisschen leben. Okay?“ Er beugte sich zu Murdoc hinunter und schaute ihm in die Augen. Murdoc hob eine Hand und berührte seine krumme Nase. Hannibal dachte wieder an den 6. Juni, an den Tag, an dem er Murdoc zum ersten Mal gesehen hatte. Auch damals hatte er mit seiner winzigen Hand seine Nase berührt. Er hatte es als ein Abkommen gedeutet. Ein Abkommen, das ihr Verhalten zueinander regelte.

„Gut, dass du damit einverstanden bist.“
 

Als Hannibal mit Murdoc im Arm sein Versteck verließ –auch nach einigen Stunden des Wartens war niemand Verdächtiges aufgetaucht, sodass Hannibal sich fast schon peinlich berührt fragte, ob er die Zigaretten nicht irgendwann selbst einmal geraucht und es bloß vergessen hatte- als er hinter einem riesigen Berg Müll eine schmale Rauchschwade aufsteigen sah. Wahrscheinlich von einem kleinen Lagerfeuer. Hannibal hatte niemals erlebt, dass auf dieser Müllhalde jemals Müll verbrannt oder abgeholt wurde. Hier veränderte sich nicht viel. Nur ab und an kamen ein paar Laster vorbei und luden neuen Dreck ab. Alles Mögliche. Abfall aus Privathaushalten, kaputte Möbel, unbrauchbare Elektrogeräte, Fernseher mit eingeschlagenen Bildschirmen und manchmal fand Hannibal zwischen drin auch einen ertränkten Hundewelpen oder eine kleine Katze.

Hannibals Wut wurde wieder größer. Der widerliche Penner, der dort saß, würde mit hundertprozentiger Sicherheit derjenige sein, der in sein Versteck eingedrungen und sein Eigentum gestohlen hatte! Hannibal sprintete los, und während er rannte, stellte er sich vor, wie ein alter Mann mit löchrigen Schuhen dort hinter dem Haufen aus Müll saß und seine Zigaretten rauchte. Er machte sich nichts daraus, dass seine Theorie wahrscheinlich vollkommner Blödsinn war. Und er machte sich auch nichts draus, dass Murdoc in seinen Armen leise zu wimmern begann. Hannibal wollte sich mit irgendjemandem prügeln, er wollte seine verdammte Wut loswerden!

Er erklomm den Unrat-Berg, der ihn und den Obdachlosen voneinander trennte. An kalten Motorhauben und durchgebrochenen Federbetten zog Hannibal sich hoch und versuchte dabei, Murdoc nicht fallen zu lassen. Ein Sturz aus einer solchen Höhe würde ihn das Leben kosten. Doch das war im Augenblick nicht wichtig! Wichtig war nur das Zucken in seinen Fingern, die sich um eine Kehle schließen und zudrücken wollten. Wer würde irgendeinen Obdachlosen von einer einsamen Müllkippe denn schon vermissen? Niemand. Ebenso wenig wie ihn jemand vermissen würde, wenn er stürbe. Oder wenn Murdoc hier hinunter fallen würde.

Am Gipfelpunkt des Berges angekommen, verpuffte Hannibals Wut mit einem einzigen Mal. Als er nach unten blickte, sah er ein kleines Häuflein Menschen, augenscheinlich eine Familie. Er erkannte zwei erwachsene Frauen, einen Mann, einen Jungen, der vielleicht zwei oder drei Jahre älter als er war, und ein kleines Mädchen. Wahrscheinlich waren sie nicht blutsverwandt –nur das Mädchen und die jüngere der beiden Frauen hatten eine ähnliche Haarfarbe-, doch sie verhielten sich so, wie Hannibal sich eine Familie immer vorgestellt hatte. Die ältere Frau befand sich in dem alten, dreckigen Wohnwagen, um den sich die ganze Familie sammelte, und flickte ein paar alte Hosen. Die junge Frau spielte mit ihrer kleinen Tochter ein Spiel; Hannibal erkannte nicht welches, doch beide lachten. Der Junge und der Mann saßen auf zwei Klappstühlen links neben dem Eingang des Wohnwagens und rauchten Zigaretten. Hannibal ahnte, dass sie beide die Diebe waren, doch das interessierte ihn im Augenblick nicht.

Er sank auf die Knie und drückte Murdoc an sich. Dieser Anblick bewirkte ein sehr schmerzhaftes Ziehen in seiner Brust und er konnte Tränen in seinen Augen spüren. Als er das merkte, stand er wieder auf und schüttelte stumm den Kopf. Nur Mädchen weinten, Schwächlinge. Es tat weh, doch Hannibal würde sich nicht von dieser glücklichen, bettelarmen Familie zu Tränen rühren lassen.

Stattdessen beschloss er, den Berg wieder hinabzuschlittern. Er war gerade in Begriff sich umzudrehen, als er hörte, wie eine Stimme laut brüllte. Der Junge war von seinem klapprigen Stuhl aufgesprungen und machte irgendeine Geste. Er wirkte aufgewühlt, als drohte Gefahr, doch als Hannibal sich umblickte, sah er niemanden. Die junge Frau nahm ihre Tochter und flüchtete mit ihr in den Wohnwagen zu der älteren. Der Junge trat schnell das kleine Feuer aus, und er und der Mann positionierten sich draußen vor der Türe.

Endlich erkannte Hannibal den Grund für die plötzliche Angst der Familie. Zwischen einigen großen Haufen Unrat waren drei Jugendliche aufgetaucht. Sie hatten zwei große Hunde bei sich. Hannibal wusste, dass sie nur gekommen waren, um jemanden zu verprügeln. Die Müllhalde wurde nicht bewacht, und schon gar nicht von tätowierten Halbwüchsigen! Hannibal wollte der Familie sofort zur Hilfe eilen, stoppte dann jedoch. Er hatte Murdoc bei sich. Bei dem Gedanken, er könnte von einem der Jungen einen Schlag abbekommen oder gar von einem der Hunde gebissen werden, wurde ihm ganz klamm und kalt. Also bückte er sich, schob schnell ein paar dreckige Lappen und zwei henkellose Eimer zur Seite, und legte Murdoc in die freigewordene Mulde. „Warte hier“, flüsterte er, obwohl es komplett unsinnig war. Murdoc war noch viel zu klein, um ihn zu verstehen. Trotzdem bewegte sich dieser keinen Millimeter. „Ich bin sofort wieder da. Mach keinen Lärm. Sonst kommen die Hunde und bringen dich schneller um, als du „Hoppla“ sagen kannst!“

Dann sprintete Hannibal den hohen Berg aus Müll hinunter, und landete schließlich mitten im Kampfgetümmel. Die drei Halbstarken hatten sich auf den Mann und den Jungen gestürzt, die beiden Hunde umkreisten sie bellend. Zwei der Jungen prügelten auf den Mann ein, der sich so gut es ging zu wehren versuchte, und der dritte nahm es mit dem Jungen auf. Hannibal trug jederzeit ein scharfes Messer bei sich –früher war es dringend notwendig gewesen und bereits öfters zum Einsatz gekommen-, das er nun mit lautem Kampfgeheul zückte.

Er stach es einem der Jungen brutal in den Arm. Blut floss und er konnte Schmerzensschreie hören. Plötzlich war alle Aufmerksamkeit bei ihm. Hannibal gefiel das. Er genoss es, seine Wut auslassen zu dürfen. Es war wie ein Rausch. Hannibal wirbelte mit dem Messer wild um sich. Die Jugendlichen wirkten eingeschüchtert, sie schienen unbewaffnet. Was für ein glücklicher Zufall! Hätten sie alle drei Messer oder gar Pistolen bei sich gehabt, hätte es sehr schlecht um Hannibal gestanden. Hannibal erwischte noch einen anderen Jugendlichen am Rücken, er spaltete dessen Hemd und hinterließ einen sauberen Schnitt in der Haut.

Die Halbstarken schienen einzusehen, dass sie keine Chance hatten. Also schickten sie ihre beiden Köter vor. Hannibal hasste Hunde. Und er hatte Angst vor ihnen. Diese beiden waren besonders groß und fletschten die Zähne. Als sich einer auf ihn stürzen wollte, kam ihm der Junge der Obdachlosen zur Hilfe. Er warf sich seitlich gegen das schlanke Tier. Natürlich machte es dem Hund nicht viel aus, doch zumindest ließ er von Hannibal ab.

Der Junge blickte Hannibal an. Hannibal blickte den Jungen an. Im gleichen Augenblick stürzten sie nach vorne. An den Hunden vorbei, auf die drei Halbstarken zu, von denen zwei verletzt waren und bluteten. Noch ehe sie bei ihnen angekommen waren, nahmen die Drei reißaus. Die Hunde folgten ihnen widerwillig.
 

„Wow“, meinte der Junge dankbar und anerkennend, als die Gefahr vorüber war. Hannibal sah zum kleinen Fenster des Wohnwagens hinüber. Die zwei Frauen und das kleine Mädchen schauten hinaus. Ihre Minen drückten zugleich Entsetzen und Entzücken aus. Als der Mann ihnen ein Zeichen machte, kamen sie ins kalte Sonnenlicht.

Hannibal wischte die blutverschmierte Klinge seines Messers an einem alten Fetzen ab, den er auf dem Boden liegen sah. Dann schaute er zur Familie, die wie zum Verles in einer Reihe nebeneinander stand und ihn anstarrte. Schließlich fiel ihm die junge Frau schluchzend um den Hals. „Vielen Dank“, gluckste sie unter Tränen und drückte Hannibals Kopf an ihren großen Busen. Hannibal wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er hatte sich niemals in einer solchen Situation befunden. Normalerweise hassten ihn alle. Sein Vater, die Lehrer, die kleine Familie aus dem Park, die Ladenbesitzer. Hannibal gefiel dieses Gefühl. Dieses Gefühl, alle gerettet zu haben und nun wie ein Held gefeiert zu werden. Schließlich sagte er irgendetwas wie „Nichts zu danken“ oder „Kein Problem“.

Die Familie lud ihn ein, noch eine Weile bei ihnen zu bleiben. Hannibal tat es gerne. Sie setzten sich zu sechst in einen engen Kreis. Jemand zündete das kleine, wärmende Lagerfeuer wieder an. Sie begannen sich zu unterhalten. Niemand fragte ihn nach seiner Herkunft oder seinen Eltern, seinen Vater. Als er abends wieder bei sich im Zimmer saß, konnte er sich gar nicht mehr genau erinnern, worüber sie die ganze Zeit geredet hatten. Doch er erinnerte sich daran, dass er sich wohl und geborgen und gewollt gefühlt hatte. Hier war er kein Sohn, den man bis auf Weihnachten komplett vergaß und nur des Kindergeldes wegen nicht aus der Wohnung warf, hier war er kein Ladendieb, der vom Kaufhausdetektiv misstrauisch beäugt wurde, hier war er kein Schüler, der die Schule schwänzte. Hier war er Hannibal Niccals, und er war ein Teil der Familie von der Müllkippe!

Irgendwann verengten sich die Augen der alten Frau –als Mary hatte sie sich vorgestellt, doch alle hier nannten sie Old Mary; seit Hannibal dies aufgefallen war, tat er dies auch- und sie setzte einen misstrauischen Gesichtsausdruck auf. „Was ist los?“, fragte der Junge, Robert, alarmiert und blickte in die gleiche Richtung wie Old Mary. Es waren hoffentlich nicht die drei Halbstarken wieder aufgetaucht?!

Auf dem Gipfel des riesigen Bergs Unrat hinter ihnen sah man in der Dunkelheit eine Schar großer Vögel kreisen. Plötzlich sprang Hannibal auf. „Murdoc!“, kreischte er entsetzt. Oh Gott! Er hatte ihn völlig vergessen! Hannibal machte sich eilig auf den Weg und kletterte so schnell ihn seine Arme und Beine den Hügel hinauf. Robert folgte ihm treu. „Was ist los?“, fragte er, „was ist ein Murdoc?“ „Mein kleiner Bruder!“, gab Hannibal mit schriller Stimme zurück. „Ich habe ihn oben zurückgelassen, als ich euch zur Hilfe kam. Oh Gott, hoffentlich haben ihn diese Krähen nicht schon tot gepickt!“ Normalerweise hätte Hannibal seine Ängste niemals einer anderen Person mitgeteilt –wem hätte er seine Sorgen auch schon anvertrauen können? Seinem Vater?!- doch bereits nach wenigen Stunden vertraute Hannibal Robert und der Familie so weit, dass er sich sicher war, sie würden ihn nicht verhöhnen oder sich desinteressiert wegdrehen.

Am Gipfel –am Gipfel sank Hannibal zum zweiten Mal an diesem Tage ehrfürchtig auf die Knie. Er konnte hören, wie Robert neben ihm scharf die Luft aus dem Mund blies bei dem gewaltigen Anblick, der sich ihnen beiden bot.

Murdoc hatte Hannibals Worten gehorcht und sich in all den Stunden, die vergangen waren, kein Stückchen aus seiner Mulde bewegt –Hannibal tat es umso mehr leid, dass er ihn vergessen hatte- und eine riesige Schar großer, schwarzer Vögel lagerte um das kleine Nest. Es waren Krähen oder Raben, Hannibal kannte den Unterschied nicht. Die Vögel standen und saßen in einem Kreis um den kleinen Murdoc herum; ein besonders großes Viech hatte es sich genau neben seinem winzigen, ausgestreckten Ärmchen bequem gemacht und lagerte seinen Kopf auf der Handfläche.

Dann bemerkte Hannibal, dass Murdoc unversehrt schien. Die Haut in seinem Gesicht war nicht von vielen kleinen Löchern durchbohrt, seine Hände nicht blutig aufgerissen, wie er es befürchtet hatte. Stattdessen lachte er. Als er seinen großen Bruder erblickte, hob er die Hand, -und verscheuchte damit den Raben, der seinen schwarzen Kopf darauf gebettet hatte- und ballte die Faust, um sie gleich danach wieder zu schließen. Er winkte Hannibal zu.

„Unglaublich“, keuchte Robert neben ihm, und Hannibal stimmte ihm in Gedanken zu. „Ich hab in meinem ganzen Leben noch nie so was gesehen. Und ich hab sogar schon mal gesehen, wie es ein Mädchen für einen Zwanziger mit einem Hund getrieben hat!“

Hannibal erhob sich und ging mit langsamen, vorsichtigen Schritten auf Murdoc zu. Die Raben beäugten ihn misstrauisch, unternahmen jedoch nichts. Hannibal kam es vor, als wären diese Raben die Beschützer seines kleinen Bruders, doch als Hannibal merkte, wie gruselig dieser Gedanke war, verdrängte er ihn schnell und suchte sich eine realistischere Erklärung. Ein Haufen dreckiger Raben, dachte er also, na und? Es gab mit Sicherheit auf jeder Müllkippe im ganzen Land blöde Raben. Und die hier hatten Murdoc entdeckt. Wahrscheinlich weil sie ihn fressen wollten. Hannibal hob Murdoc aus seiner Mulde und drückte ihn sich an die Brust. Der Kleine war tatsächlich komplett unverletzt.

Plötzlich flog Hannibal ein Schauer über den Rücken, und die feinen Härchen auf seinen Armen und in seinem Nacken stellten sich auf. Er schlitterte mit Murdoc im Arm schnell den Berg hinunter, Robert folgte ihm, und sie beide waren froh, als sie wieder unten bei ihrer Familie waren.

Die junge Frau, Reggie, freute sich über Murdoc. Sie schien überhaupt sehr kinderfreundlich zu sein und bat Hannibal darum, ihn einmal halten zu dürfen. Und Hannibal gewährte es ihr. Er drückte ihr Murdoc in die Hände –nicht einmal der Kampf-Omi hatte er es erlaubt, Murdoc auch nur in den Einkaufswagen zu setzen- und war aus irgendeinem Grund unglaublich froh, dass er ihn nicht mehr halten musste. Hannibal und Robert warfen einen Blick zurück auf den Berg. In der Dunkelheit konnten sie nicht viel erkennen, doch sie waren sich beide sicher, dass die Kolonie von Raben verschwunden war.

Hannibal blieb bis weit nach Mitternacht bei der Familie. Nur einmal kehrte er kurz zu seinem Versteck zurück, um Murdocs Kinderwagen zu holen. Unten im Netz befanden sich ein paar mit Apfelsaft gefüllte Fläschchen und frische Windeln. Mit jeder Minute, die verging, wurde er wehmütiger. Am liebsten wäre er gar nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Er stellte sich vor, wie er mit seiner Familie in dem hässlichen Wohnwagen um die Welt zog. Von einem Ort zum nächsten, doch immer gemeinsam. Reggie würde sich mit ihm zusammen um Murdoc kümmern, sodass er mehr Zeit für sich hätte. Eve wäre seine kleine Schwester und Robert sein großer Bruder, Reggie wäre seine Mutter und Greg sein Vater, Old Mary seine Großmutter oder –ganz so alt war sie nun doch wieder nicht- seine Tante.

Irgendwann sah Hannibal ein, dass er nicht mehr länger bleiben konnte. Ihm wurde ganz kalt in der Brust bei dem Gedanken an seinen Vater, der besoffenen auf der Couch im Wohnzimmer lag und sich Pornos anschaute, an sein kleines, eisig kaltes Zimmer. Er verabschiedete sich liebevoll von der Familie. Noch niemals hatte er irgendwen so sehr gemocht. Und vermisst. Ihm stiegen fast die Tränen in die Augen, doch Hannibal war noch Mann genug, um sie mit aller Kraft zu unterdrücken.

„Komm doch morgen wieder!“, meinte Reggie freundlich, als sie ihn an sich drückte. „Wir werden bestimmt noch etwas länger hier bleiben.“

„Und was ist, wenn die drei Kerle wieder zurück kommen?“, fragte Hannibal. Er wollte nicht, dass seine Familie verletzt wurde. Reggie lächelte gequält. „Solche Leute gibt es überall, Hans. Hier ist es nicht besser und nicht schlechter als anderswo. Also, wenn du es willst, dann bleiben wir gerne noch länger da.“ Hannibal wollte es.
 

Auf dem weiten Weg nach Hause summte er eine fröhliche Melodie, die ihm spontan eingefallen war, und fühlte sich wundervoll. Er nahm sich vor, gleich morgen wieder zu seiner Familie zurückzukehren. Kein Ort auf der Welt schien ihm zu dieser Zeit reizvoller und glücklicher als die alte Müllkippe.

Als er um fast drei Uhr morgens in seiner Wohnung ankam, schlief sein Vater auf der Couch. Hannibal konnte sein lautes Schnarchen hören. Er betrachtete ihn eine Weile, und ging dann in sein Zimmer. Wahrscheinlich hatte der Alte nicht einmal bemerkt, dass er verschwunden gewesen war. Aber dieser Gedanke machte Hannibal nicht mehr traurig. Er musste nur an seine Familie denken, dann fühlte er sich wieder warm und geborgen.

Er bemerkte die kleine Schar großer Raben nicht, die außen auf dem Fenstersims wartete und ihn dabei beobachtete, wie er Murdoc zum Schlafen umzog und sich schließlich selbst neben ihn auf die Matratze legte. Er schlief sofort ein.
 

Und wie versprochen: Kapitel 6. ;)

Ich dachte mir, nach den ganzen mehr oder weniger handlungslosen Kapiteln sollte mal ein klein wenig Äktschön kommen. xD Hoffentlich gefällt es euch trotzdem! :D
 

bye

sb

Neu Gelerntes

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Neu Gelerntes -jugendreie Version-

Kapitel 7

Neu Gelerntes
 

Hannibal verbrachte die nächsten Tage und Wochen und Monate bei seiner Familie. Morgens, nachdem er aufgewacht war, wusch er sich eilig, machte Murdoc fertig und zog dann mit ihm und dem Kinderwagen zur Müllkippe, wo Greg, Reggie, Old Mary, Eve und Robert bereits auf ihn warteten, und kehrte erst spät abends wieder nach Hause zurück. Manchmal blieb er auch über Nacht. Dann schliefen sie zu sechst –mit Murdoc zu siebt- in dem kleinen, alten Wohnwagen. Hannibal gefiel es, dort zu schlafen. Er fühlte sich geborgen zwischen den vielen schweren Körpern, und wenn er sich nachts umdrehte, spürte er eine Hand oder einen Fuß irgendwo. Es war ein sehr schönes Gefühl. Allerdings merkte er schnell, dass es seine Familie beengend fand, wenn er mit ihr dort schlief, doch weil sie nichts dagegen sagte, beschloss Hannibal von selbst, nur ausnahmsweise dort zu übernachten. Er wollte keine Umstände machen.

Hannibal hasste die Abende und die Nächte, die er Zuhause –nein, in der Wohnung seines Vaters verbringen musste-, weil er sich dort einsam und verloren vorkam. Außerdem mochte er seinen Vater nur so selten wie nötig sehen. Inzwischen sprachen sie fast überhaupt nicht mehr miteinander. Wozu auch? Hannibal vermisste seinen Vater kein bisschen, und diesen schien es auch nicht zu stören, dass Hannibal so viel außer Haus war, falls es ihm überhaupt aufgefallen war.

Das einzige, was Hannibal schade fand, war, dass er das hübsche Mädchen aus dem Stockwerk über ihm nicht mehr so häufig sah. Er hatte ihm sehr gerne hinterher geschaut und sich manchmal mit dem Aufschließen der Wohnungstüre besonders viel Zeit gelassen, wenn er merkte, dass es die Treppe hinauf- oder herunterkam.

Trotzdem war das Leben mit der Familie wunderschön. Sie wurden nur selten von irgendwelchen dummen Jugendlichen oder wilden Hunden angegriffen. Und vor allen Dingen konnte Hannibal Murdoc oft in die Obhut von Reggie oder Old Mary geben, sodass er zusammen mit Robert die Müllkippe durchstreifen oder in der Innenstadt leichter Ladendiebstahl begehen konnte. Zuerst war es ihm sehr schwer gefallen, Murdoc irgendjemand anderem anzuvertrauen. Stets war er allein es gewesen, der sich um Murdoc kümmerte, mit ihm spielte und ihn beschützte, er war immer bei ihm, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Doch nach einigen Wochen, die sehr schnell verstrichen, fiel es Hannibal leichter. Und er genoss das Gefühl, ohne Murdoc unterwegs zu sein, in vollen Zügen! Nicht, dass er Murdoc weniger leiden konnte. Ganz im Gegenteil: die viele neue, freie Zeit gab ihm das Gefühl, dass Murdoc kein Zwang mehr war, keine schwere Last. Es fiel Hannibal plötzlich viel leichter, sich über Murdocs unaufhörliches Gebrabbel und seine ersten Laufversuche zu freuen.

Außerdem lernte er viel von seiner Familie. Sie zeigten ihm, wie man sich in einer kalten Nacht am leichtesten warm halten konnte. Am geeigneten waren Zeitungen aus dickem Papier, mit denen man sich einwickelte. Hannibal lernte, wie man erkannte, ob abgelaufene Lebensmittel noch essbar waren und wo man am sichersten welche herbekam. Er hatte vorher jedenfalls nicht gewusst, dass die Müllcontainer so vieler Discounter noch randvoll mit frischen Lebensmitteln und anderen Dingen gefüllt waren. Greg, der ein bisschen boxen konnte, gab seine Tricks an Hannibal und Robert weiter.

Old Mary zeigte ihm, wie man gerissene Kleidungsstücke leicht ausbessern konnte und welche Stoffe am wärmsten hielten. Er lernte von ihr auch, wie man ohne Feuerzeug oder Streichhölzer rasch ein kleines Feuer entzündete und wie man es im Notfall schnell wieder löschte.

Reggie gab ihm Tipps für die Kindererziehung. Sie brachte Hannibal Spiele für Kleinkinder bei und zeigte ihm, wo man auf der Müllkippe schönes Spielzeug fand. Sie erklärte ihm auch, dass er Murdoc niemals schlagen oder absichtlich verletzen durfte. (Hannibal wunderte sich darüber, dass sie ihm diesen Rat gab. Er wäre niemals auf die Idee gekommen, Murdoc etwas anzutun. Zumindest zur gegebenen Zeit nicht.) Und sie zeigte ihm, wie er mit Murdoc und Eve umgehen sollte, wenn die beiden bockig wurden oder zu schreien begannen. Dann durfte er sie bestrafen mit Spielverbot oder In-die-Ecke-stellen, und wenn es besonders schlimm war, durfte er ihnen auch auf die Finger schlagen. „Das wichtigste“, betonte Reggie immer wieder, und strich Eve dabei durch die Haare, „ist die Geduld. Du musst immer geduldig sein, Hans. Du musst warten und schwere Situationen aushalten können.“

Hannibal nahm sich alle Ratschläge, die er bekam, und alles neu Erlernte sehr zu Herzen. Sein Vater hatte ihm niemals irgendetwas beigebracht, und er konnte sich auch nicht daran erinnern, dass er in der Schule jemals etwas so nützliches gelernt hatte wie hier auf der Müllkippe.
 

Nur eine Sache, die Robert ihm zu erklären versuchte, verstand Hannibal eine lange Zeit nicht. „Soll ich dir sagen, wie das mit den Mädchen geht?“, fragte Robert eines nachmittags, als sie beide allein durch die Berge aus Unrat schlenderten und nach Spielzeug für Eve und Murdoc –vielleicht ein Schaukelpferd ohne Kopf oder ein paar Puppen, denen ein Arm oder ein Bein fehlten- Ausschau hielten. „Was meinst du?“, gab Hannibal zurück. Er wusste grob, was Sex war, doch er hatte noch immer kein großes Interesse am anderen Geschlecht gezeigt, obwohl er inzwischen an den fünfzehn Jahren längst vorbei war. Robert blickte ihn skeptisch an. „Na, du weißt schon“, meinte er, und als Hannibal noch immer nicht verstand, worauf er hinaus wollte, beugte er sich leicht zu ihm hinunter und flüsterte aufgeregt: „Na, du weißt schon… Das mit dem Ficken und so!“

Sie setzten sich zu zweit auf eine dreckige Matratze, die sie am Boden fanden. „Klar, schieß schon los“, sagte Hannibal. Es konnte nicht schaden, über diese Sache Bescheid zu wissen, dachte er sich. Und wer wusste es schon, vielleicht würde er ja schneller sein erstes Mal haben als er es jetzt ahnte?
 

[zensiert]
 

Hannibal stellte sich vor, wie er all diese Dinge mit dem Mädchen aus dem dritten Stock tat. Es war eine sehr, sehr schöne Vorstellung. Er konnte spüren, wie sein Schwanz in der Hose ein bisschen steif wurde, wie er morgens manchmal war. „Danke“, sagte er zu Rob, und sie standen beide auf, um weiter zu suchen. „Kein Problem“, gab Robert zurück und grinste dabei schelmisch. „Ein großer Bruder erklärt seinem kleinen Bruder diese Sachen nun mal.“ Hannibal nickte und es gefiel ihm, dass Robert ihn seinen Bruder nannte. Dann dachte er wieder an das Mädchen. Er wusste nicht einmal, wie es hieß, obwohl es bereits seit Jahren Nachbarn waren. Hannibal beschloss, dass er seine erste sexuelle Erfahrung mit diesem Mädchen haben wollte.
 

Als sie zum Wohnwagen zurückkehrten, dämmerte es bereits. Inzwischen war es längst Frühling, doch es wurde immer noch sehr schnell dunkel. Hannibal erkannte, dass Murdoc auf dem Schoß von Reggie saß. Seine Kleidung war fleckig und ungewaschen, sein Gesicht von Staub überzogen, sodass seine fast oliv wirkende Hautfarbe noch dunkler aussah. Hannibal wusste, dass er ähnlich aussehen musste. Seit er mit der Familie unterwegs war, wusch er sich weniger. Hier achtete niemand darauf, alle waren schmutzig und stanken, außerdem flitzte Hannibal morgens so schnell wie möglich aus der Wohnung, sodass er sich meist nur kurz –oder auch gar nicht, wenn er keine Lust hatte- im Bad aufhielt.

„Ich glaube, er ist bald so weit“, gluckste Reggie, als sie ihm Murdoc in den Arm drückte. Sie sprach vom Laufen lernen. Seit einigen Wochen schon übte sie mit ihm das Laufen und sie schien mehr Erfolg zu haben als Hannibal damals. „Er kann schon alleine stehen. Ich wette, in spätestens einer Woche macht er seine ersten paar Schritte. Ich freue mich schon so!“

„Ich mich auch“, erklärte Hannibal und strich seinem kleinen Bruder übers Haar. Er wollte dabei sein, wenn Murdoc seinen ersten Schritt ging. Auch wenn er jetzt mehr Zeit mit Robert als mit ihm verbrachte, hatte er immer noch das Gefühl –und das wohl auch zu recht- er wäre für Murdoc zuständig, seine einzige wirklich feste Bezugsperson. Hannibal beschloss, in den nächsten Tagen wieder mehr mit Murdoc zu unternehmen und mit ihm zu spielen, um nichts zu verpassen. „Na du“, meinte er fröhlich und drehte sich mit Murdoc im Kreis, weil er wusste, dass Murdoc das sehr gerne mochte. Er begann auch gleich zu lachen. „Du wirst langsam groß, kleiner Stinker!“
 

Als er abends nach Hause –nein, in die Wohnung- zurückkehrte, begegnete er im Treppenhaus dem schönen Mädchen aus dem dritten Stock. Bei ihrem Anblick begann Hannibals Herz sofort schneller zu schlagen als sonst, und er presste Murdoc ein klein wenig fester an seine Brust, was dieser mit einem dünnen Krächzen kommentierte. Das Mädchen hatte lange, blonde Haare, die im grellen Neonlicht des Flures leicht grünlich schimmerten, und blaue Augen. Hannibal überlegte sich, wie sie wohl auf seine eigenen, verschiedenfarbigen Augen reagieren würde. Er stellte sich vor, dass sie sie nicht abstoßend fände, sondern schön. Als das Mädchen auf dem Treppenabsatz angekommen war –allem Anschein nach wollte es das Haus verlassen, obwohl es bereits sehr spät abends war, und Hannibal fragte sich unweigerlich besorgt, was sie dort draußen wohl wollte-, kam er nicht umhin, einen Blick auf ihre kleinen Busenansatz und den Bereich zwischen ihren Beinen zu werfen. Plötzlich kamen ihm Roberts Worte wieder in den Sinn. Du kannst deinen Schwanz in der Muschi ganz schnell rein und raus bewegen, das macht dann bei dir ein geiles Gefühl.

Das Mädchen rauschte nervös an Hannibal vorbei. Er konnte ihren lauten, unregelmäßigen Atem hören. Ohne ihn weiter zu beachten oder ihn zu grüßen, verschwand sie hektisch in der Dunkelheit.

Hannibal blieb noch einen kleinen Moment an Ort und Stelle stehen. Er versuchte sich das Geräusch ihres keuchenden Atems im Gedächtnis behalten. Ihn stieß die Vorstellung ab, so rau und brutal mit ihr umzugehen, wie Robert es beschrieben hatte. Bestimmt ging Ficken auch sanfter und schöner, auch für das Mädchen. Hannibal wollte dem schönen Mädchen nicht wehtun.

Er fragte sich, wie sie wohl hieß.
 

Als er die Wohnung betrat, war sein Vater noch wach. Und er lag nicht auf seiner Couch, sondern bückte sich vor dem kleinen Kühlschrank, um sich ein kaltes Bier herauszuholen. Hannibal fühlte sich plötzlich sehr unwohl. Er wusste, dass sein Vater bereits eine Menge Frauengeschichten gehabt hatte. Bestimmt wusste er auch, ob man ein Mädchen auch zärtlich nehmen konnte. Sollte Hannibal ihn fragen? Er biss sich auf die Unterlippe.

Endlich bemerkte sein Vater ihn. „Was glotzt du so, Missgeburt?“, grölte er, und Hannibal konnte seine stinkenden Bierfahne riechen, obwohl sie mindestens drei Meter voneinander entfernt standen. „Ich kann glotzen wie ich will!“, gab Hannibal böse zurück, ohne sich einschüchtern zu lassen. Wenn sein Vater so stockbesoffen war wie jetzt, war er eine leichte Beute. Ungefährlich. Hannibal hätte ihn ohne Probleme grün und blau schlagen können. Und aus irgendeinem Grund juckte es ihm in den Fingern, es tatsächlich zu tun.

„So spricht man nicht mit seinem Vater, du Balg!“, brüllte Jacob und taumelte auf Hannibal zu. Hannibal brachte Murdoc schnell außer Reichweite und Gefahr, indem er ihn vor die Tür zu seinem Zimmer setzte und ihm befahl, sich nicht zu rühren.
 

[zensiert]
 

„Du bist nicht mein verdammter Vater, Jacob“, kreischte er, und fühlte sich dabei unheimlich gut. Hannibal ging zum Kühlschrank hinüber und warf alle Bierflaschen und alles Hochprozentige, was er darin fand, aus dem Fenster. Er konnte hören, wie sie laut klirrend auf dem Asphalt zerbrachen. Als er einen Flaschenöffner auf dem Tisch entdeckte –der, der eine nackte Frau darstellte, mit der Leucht-Funktion- schmiss er ihn hinterher.

So schnell, wie sein Wutanfall gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Doch Hannibal bereute seine Tat nicht. Sein Blick fiel auf den regungslosen Körper von Jacob, der auf dem Fußboden lag. Hoffentlich ist er tot, dachte Hannibal. Wenn er tot ist, dann zerhacke ich seine Leiche und verbrenne sie mit der Familie auf der Müllkippe. Das wird niemandem auffallen. Er geht ja so oder so nie raus.

Hannibal hob Murdoc, der die ganze Szene stumm beobachtet hatte, von seinem Platz vor der Türe auf und strich ihm über den Kopf. Murdoc betrachtete Jacob einen kleinen Moment lang mit ernstem Gesichtsausdruck, als würde er verstehen, was geschehen war. Dann begann er leise zu lachen und in die Hände zu klatschen, als würde er applaudieren. Hannibal wusste, dass Reggie ihm das Klatschen beigebracht hatte; trotzdem fand er die Situation unheimlich. Es erinnerte ihn an die Schar Raben auf dem Müllberg, die er immer noch hin und wieder einmal in Murdocs Nähe bemerkte.

„Na“, meinte er, und verdrängte den Körper seines Vaters und Murdocs kurioses Verhalten, „was hältst du davon, wenn wir beide ein schönes Bad nehmen?“ Er zog sich selbst und dann Murdoc aus, und sie stiegen zusammen in das warme Badewasser. Hannibal wusch sich besonders gründlich, so gründlich, wie seit Wochen nicht mehr. Als er sah, dass das Wasser bereits nach wenigen Minuten tiefschwarz war, ließ er es ablaufen und füllte dann die Badewanne noch einmal auf. Er wollte hübsch wirken auf das Mädchen vom Stockwerk über ihm. Schön und geheimnisvoll.

Hannibal konnte hören, wie sein Vater im Wohnzimmer sich langsam und mit lautem Atem wieder aufrichtete, und er begann leise eine fröhliche Melodie zu summen, während er Murdoc die fettigen Haare wusch.
 

So, nun gibt es Kapitel 7 auch als jugendfreie Version, für die unter 18-jährigen. Die nicht jugendfreien Szenen wurden von mir in den markierten bereichen weggeschnitten.

Falls ihr Fragen zum Kapitel habt oder so, schickt mir einfach eine ENS. ;)
 

An die Freischalter: Ich kann durchaus verstehen, dass die unzensierte Version von Kapitel 7 unter "adult" fällt, wegen der pornographischen und brutalen Stelle. In dieser Version sind diese Stellen weggeschnitten. Ich hoffe also, dass wenigstens diese Version jugendfrei bleibt. :D
 

bye

sb



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Kommentare zu dieser Fanfic (18)
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Von:  TheSixthMonth
2011-05-05T15:20:18+00:00 05.05.2011 17:20
Sooo.... hier meld ich mich wieda! ^____^
Ich konnt alles ohne Probleme lesen! :D

Hm... Murdoc wird a ziemlich schnell groß... und wie alt ist Hanniball jetzt egentlich? Irgendwie hab ich die Zeitspanne total vergessen! >.<
Von:  TheSixthMonth
2011-05-04T12:32:26+00:00 04.05.2011 14:32
Schöööön... Kapitel 7 kann ich nicht lesen. .______________________.
Könntest du mir villeicht in einer groben übersicht erklären, WAS passiert ist? Damit ich dann das achte lesen kann? ^^
Von:  TheSixthMonth
2011-04-03T11:42:52+00:00 03.04.2011 13:42
Das neue Kapitel! *dancesmiie den es hier nicht gibt*

Ich schätze mal, es waren Krähen, Raben gibt es in England nicht... oder? Um ehrlich zu sein habe ich auch keiiiine Ahung! ^_____________________^

Die Familie vom Schrottplatz gefällt mir! :D Ich hoffe, du lässt nichts schlimmes passieren! Denn um ehrlichzu sein hab ich immer davor Angst, dass du in deiner Geschichte IRGENDWAS schlimmes passieren lässt, also etwas furchtbar schlimmes! Das denke ich auch immer beim lesen: "Es soll nichts schlimmes passieren, o gott! wie gehts jetzt weiter?"

So wot? Schreibste nur über murdocs baby und kleinkinds jahre, oder auch wo er villeich schon 6 oder 7 ist? Oo

Freu mich auf das nächste kap! ^______^

LG

Flomy09
Von:  TheSixthMonth
2011-03-28T13:07:45+00:00 28.03.2011 15:07
DAS NEUÄÄÄ KAPIIIITÄÄÄÄÄL!!!!! XD

YAY! WIe schön, dass du weiter gemacht hast! :3

Man, ich muss ehrlich sagen, ich hatte total Angst, dass Sebastian den beiden doch nichts schenkt. Um ehrlich zu sein war ich so überrascht wie hannibal, als ich die texststelle gelesen hab. XD

Wenn du jetzt wieder schreiblust hast, hoff ich doch, dassua auch rasch weiter machst! ^___^

Lg

Flomy09
Von:  AkephalosXx
2011-02-04T16:23:18+00:00 04.02.2011 17:23
So.
Ich mach jetzt keinen so großen Kommi wie die Anderen beiden Q-Q

Egal. Ich finde diese story echt genial... Hannibal ist mir auch sehr sympathisch >_<
Und Murdzi stell ich mir total knuffelig vor.... Ich freu mich schon riesig auf das nächste Kapi.
Der Schreibstil ist super und die Story auch... (um das nochmal zu sagen)
Und.... hannibal klaut einen Kinderwagen und lässt murdoc die ganze zeit alleine im gras hocken XP

Naja.
Jedenfalls freu ich mich >_<
epic story.
*fav*
So. MUAHAHAHAHAha...
*sich hinsetzt und auf nächstes Kapitel wart*
Von:  TheSixthMonth
2010-09-28T20:06:39+00:00 28.09.2010 22:06
Okay, jetzt kommt mein Kommi. *räuper* Erst einmal habe ich mich riiiiiieeeeeesig darüber gefreut, dass es n´ neues gibt! X3 *immer sehnsüchtig auf´s nächste wartet* Zu schade, dass dein vorrat jetzt alle ist! TT_________TT na ja... egal ich kann waten! ^^

Man, ich habe hier richtig bewundert, wie du alles beschrieben hast. Von Hannibals Ängsten, was schief gehen könnte und alles. WOW! Kann ich nur sagen. Ich frage mich allerdings genau wie MudMud, wiso Hannibal sauber macht. Wiso eigentlich? (Ich räume nicht auf, wenn ich ein schlechtes Gewissen habe. Ich entschudige mich einfach so lange, bis der Betroffende TOTAL genervt ist!) Im Übrigen kann ich mir immer noch nicht richtig vorstellen, dass dieses Kleinkind, Murdoc der Säufer und Satansit sein soll, der gerne Frauen aufreiß! O____o Es ist für mich unvorstellbar! >.<

Ich würde mich freuen, wenn du noch schreiben würdest, dass... nee, das ist albern... egal. ich schreibe es einfach mal auf (du darfst lachen):
also, ic würde mich freuen, wenn du schreibt, das Hannibal mitbekommt wie Murdoc berühmt wird und dass sie sich villeiiiiiiiiicht einmal treffen. ^^

Mehr kann ich hier zu net sagen. Man! Warum sind meine Kommis nur so peinlich kurz? HEY! Moment mal! Flomy: das hier ist kein Wettbewerb, wer den längsten Kommi schreibt! O__________o Nun, aber mehr nn ic h net mehr sagen, MudMud hat das ja schon alles getan und ic will mich nicht wiederholen! ^^

Hoffe auf neuese Chap! :D

auch LG

Flom09
Von: Lorne_Malvo
2010-09-28T19:10:45+00:00 28.09.2010 21:10
Woooh O__O
Das Kappi hat's in sich. echt jetzt. Ich habe fast geheult O_O" das schafft man nicht bei mir D: und es ist nicht schlimm, dass du ne Woche übersprungen hast :D Und das warten hat sich allemal gelohnt ^^

Wahrscheinlich hab ich fast geheult, weil mich Hannibal's Situation so mitgenommen. Aus Verzweiflung einen Kinderwagen zu stehlen und ne alte Lady umzurennen q_q als die Alte da so lang ich dachte ich so "scheisse ist die tot? D=" Jetzt meine Frage ...ist sie tot? OO" Wenn ja..ähm, dass hat die Alte ja aber auch nicht wirklich verdient D: gut, sich das gesicht straffen lassen und so ist ja wohl nicht so gut XD um es mal lau auszudrücken. Aber den Tot hat sie doch nun auch nicht verdient O_O aber ich bin sicher, ich übertreibe mal wieder ^^" XD

Wie KleinMurdoc laufen gelernt hat, war schön :3 total schön. die Sache mit dem sabutieren war fies XD aber sowas machen Brüder nunmal und wenn es Murdoc was gebracht hat, ist es ja nur halb so schlimm XD

Und Woow... solche Familien kenne ich. Hab selber ne Bekannte die solche Eltern hat. Die haben ihr auch immer alles verboten und sie angeschnauzt weil sie ihr schönes neues Kleidchen dreckig gemacht hat. >__> *seufzt* Kinder spielen nunmal, da werden sie auch schmutzig, essen dreck oder Blumen D: passiert halt. Dreck reinigt den Magen hab ich mal gehört XD *grinst*

*KREISCH* >////< ganz ehrlich. das war super niedlich, dass mit Murdoc und den Blumen <3 Blümchen für den großen Bruder. Total süß *///* Klein Murdoc ist generell total schnuckelig. </3 *KleinMurdoc druchknuddel*

Die andren Bewohner würde ich eigentlich mal gerne sehen ô.o Ich will wissen wie die so drauf sind D: dieser alte alleinstehende Kerl ist bestimmt'n bisschen so wie Jakob O_O"

Das Ende fand ich..bedrückend .__. da sieht man mal, wie scheisse Jakob drauf ist >.< hat zwei Kinder zuhause hocken und er vögelt wahrscheinlich wieder ein paar Huren oder ist saufen und danach Huren vögeln -__- dieser egoistische Sack. Ich bin stinksauer auf ihn >__< Ich kann verstehen, dass es Hannibal egal ist .__. traurig...ich mag Jakob trotzdem noch T__T bin ich krank oder so? *heul*

Was Hans da am Ende macht erinnert mich daran, was ich mache, wenn ich ein schlechtes Gewissen habe oder so. Will er dadurch den Kinderwagenklau wieder "gut" machen? D: Oder will er einfach nur so ne Art "inneren Frieden" für sich und mit dem Kapitel "Kinderwagenklau" abschließen? Oder er räumt genrell auf, wenn Jakob nicht da ist. o.o ich weiß es ja nicht. D:

Auf alle Fälle ist das Kapitel einfach klasse geworden ^^
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel <3
ich werde warten :3
LG


PS.: Ich habe mir nur wegen deiner FanFiction "What Will We Do With A Drunken Sailor?" angehört XD ich mag es *__* Ich kann verstehen warum Hans es immer singt x3 *es schon seit Stunden hört und singt* Ich hab'n Ohrwurm XD
Von: Lorne_Malvo
2010-09-08T16:18:12+00:00 08.09.2010 18:18
Aww~~♥
ein neues Kapitel *__*
*freuZ*
Die kommen ja schneller als erwartet x3
Mir gefällt das Kapitel super gut b^^d *beide Daumen hoch*

Es ist verdammt süß, wie sich Hans so um Muds kümmert und sorgt und so x3 irgendwann nennt er ihn Papa X'D *grinst*

Am liebensten hätte ich Hans ja unser altes Babybett gegeben D: Wir haben noch eins im Keller stehen(glaube ich) XD und am Besten noch'n altes Bett von mir oder meinem Bruder Dx Man, der Junge verdient doch ein Bett Dx oder wenigstens ne Schlafcouch >< Der tut doch so Gute Dinge T__T
Aber das Bild wie Hans und Muds so im Bett liegen und schlafen... x3 zu süß ♥
Ich persönlich hätte aber auch totale Panik wenn ein Baby neben mir liege würde D: entweder ich würde es zerquetschen(T__T) oder ich hätte Angst, dass es an nem Kindstot stirbt. gib's ja. wenn das Baby am nächsten morgen plötzlich tot im Bettchen liegt.. .__.
Und das Jakob nur wegen Murdoc's Geschrei so mürrisch ist ist ja mal voll die Ausrede ûu der ist doch immer so schlecht drauf..|D~ Auch wenn ich ein Jakob-Fan bin... ich bin total sauer auf ihn -.- blöder Jakob. ob er es wohl jemals lernt? Dx wohl nicht, oder? T__T prällt lieber ein paar Nutten -.- oder Bedienungen... >-> kommt drauf an was für Bedienungen -_- *Jakob verhau*
Ich hätte ja den Fernseher umgetreten D: *hust*

Und Aww~~ >w<
KleinMurdoc in diesen niedlichen Anzügen *__* Das ist ne total süße Vorstellung x3 vielleicht sollte er heute mal sowas tragen |D~~ wäre bestimmt süß ^__^ *lach*
q.q Murdoc war ein hübsches Baby? Davon sieht man heute so wenig T_T auf jeden Fall bei der Nase sieht man's nicht D': schade eigentlich... aber süß dass Hans ihn mit andren Baby's vergleicht x3

Und liebe Hans's Vorstellung von einer perfekten Familie x3 die sind so traurig aber auch total schön <3 sag mal... ist Traum-Dad Jakob? :o das frag ich mich schon die ganze Zeit.

Und das Nase brechen ist wohl sowas wie ne Familientradition, oder? D: Erst bricht Jakob Hannibal die Nase, dann Hannibal Murdoc... hätte Murdoc Kinder, hätte er diesen auch die Nase gebrochen? dafür hat er ja 2D... ûu ähm... ich übertreibe D: XD *drop* .__."

Charas: top *___* Ich liebe es wie du Hannibal und Jakob gemacht hast <3 Da es doch so gut wie garnicht's über ihren Charakter gibt D:
Story: Spitze <3 Es reisst einen einfach mit *-* man will nicht aufhören zu lesen x3

Ich werde auf das vierte Kapitel warten ^w^ Ich freue mich schon tierisch <3
LG

Von:  The-Lightning
2010-09-08T15:29:47+00:00 08.09.2010 17:29
das kapi ist super *3*
gar zuckerschock.
einfach nur süß wie sich hannibal um klein Murdoc kümmert ^^
nur jetzt frage ich mich wie wohl der echte hannibal ist....
er sitzt ja im knast weil er ratkappen gestolen hat.
Würde das der richtige Murdoc lesen würde er sich in grund und boden schämchen X'D
ich kann es kaum erwaten bis Murdoc größer ist und er auch mal Hans zu weißglut bringt.

deine scheibweise gefällt mir super gut. die ist sauber, fehlerfrei und co ^^
wenn ich mal einen Comic raus bringe schreibst du den einfach und ich zeichne XD
Von:  TheSixthMonth
2010-09-08T15:23:37+00:00 08.09.2010 17:23
YEAH! Stylo! N´ neues chap! Du solltest öfeter welche schreiben! (Bitte! Mir ist langweilig!)

Okay, ähm... dieses Kapitel zeigt nur mal wieder, wie schwer es jemand hat, der alleine erziehen muss. wie machste das nur, mit den ganzen beschreibungen? Man könnte denke, Hannibal persönlich hätte die Story geschrieben!


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