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Hannibal

Murdoc's brother
von

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Gewohnheit

Kapitel 2

Gewohnheit
 

Hannibal hatte in einem kleinen Topf, den er zuvor gründlich ausgespült hatte, Wasser für die Babynahrung erhitzt. Auf der Verpackung hatte es zwar geheißen, man sollte es am besten in der Mikrowelle machen, da man dort die Temperatur besser einstellen konnte und somit unnötige Wartezeit durch Abkühlen des Wassers verminderte, aber Hannibal und sein Vater besaßen keine Mikrowelle. In ihrer kleinen Kochnische, die sich in einer Ecke des Wohnzimmers befand, gab es einen Herd plus Ofen, ein Spülbecken und einen Kühlschrank. Das war’s. Hinzu kam, dass der Kühlschrank fast bis zum Rand mit alkoholischen Getränken gefüllt war, und Hannibal war unglaublich froh, dass er nichts, was er für das Baby brauchte, im Kühlschrank lagern musste. Am Ende wäre Murdoc als Säugling noch an einer Alkoholvergiftung gestorben, weil etwas Bier aus einer kaputten Flasche in seine Babynahrung gelaufen war oder so etwas, aber daran wollte Hannibal nicht denken. Er war einfach froh, dass dies nicht der Fall war, und auch, dass er sich deswegen nicht mit seinem Vater streiten musste, der sicherlich eher auf sein zweites Kind als auf ein paar Liter eisgekühltes Bier verzichtet hätte.

Alles, was er im Drogeriemarkt erworben hatte und noch ein paar zusätzliche Notwendigkeiten, die er im Nachhinein von Kampf-Omis Geld gekauft hatte, lagerte sicher und geschützt in seinem Zimmer, das er vorsichtshalber jedes Mal abschloss, wenn er es kurz verließ und sein Vater zu Hause war.

Das Wasser war warm genug. Mit der Zeit hatte er es geschafft, sich fast genau die Zeit auszurechnen, die das Wasser brauchte, um auf die richtige Temperatur zu kommen. Tja, mit etwas Übung und ein paar pfiffigen Ideen konnte man eben auch „unnötige Wartezeit durch Abkühlen des Wassers vermindern“. Er maß die nötige Menge Babynahrung ab –die Kampf-Omi hatte recht behalten, es war tatsächlich ein Pulver, das man mit Wasser mischen musste-, kippte sie in den Topf und verrührte die Flüssigkeit mit einem ebenfalls sauber abgespülten Löffel, bis sie sich bald mithilfe des Wassers tatsächlich in eine Milch sehr ähnlichen Flüssigkeiten verwandelte, die er in die Flasche mit dem Gummi-Mundstück zum Saugen füllte und damit schließlich zu Murdoc wanderte. Es war immer der gleiche Rhythmus, der regelmäßig alle paar Stunden vonstatten ging, und es war Hannibal nicht sonderlich schwer gefallen, sich daran anzupassen, obwohl er es sonst immer gehasst hatte, sich irgendwem oder irgendetwas anzupassen. Das einzige, was schlimm war, war das nächtliche Aufstehen. Murdoc musste auch in der Nacht zwei oder dreimal gefüttert werden, und Hannibal konnte nicht mehr richtig einschlafen, wenn er einmal aufgewacht war, weil Murdoc schrie. Zu Beginn hatte er damit noch fürchterliche Probleme gehabt, hatte tagelang nicht schlafen können, war ständig aggressiv und wütend und genervt und hatte das Schreien von Murdoc sogar ein-, zweimal absichtlich ignoriert, doch inzwischen hatte er sich auch daran gewöhnt. Es war immer noch schlimm und er hasste es immer noch, doch er erkannte die Notwendigkeit und zwang sich jedes Mal mit eiserner Disziplin aus dem Bett. Und um den nötigen Schlaf aufzuholen, legte er sich einfach mittags neben Murdoc ins Bett, wenn dieser sein Mittagsschläfchen hielt. So klappte es ganz gut.

Nachdem die Flasche leer getrunken war, was sehr schnell ging, weil Murdoc ein hungriges Baby war, hob Hannibal ihn hoch, mit dem Köpfchen über sein Schulter und klopfte ihm einmal ganz sacht auf den Rücken. Nach dem „Bäuerchen“, wie es hieß, legte er Murdoc zurück in sein Bett, damit er seinen Mittagsschlaf halten konnte. Es war etwa dreizehn Uhr.

Die beiden teilten sich Hannibals Bett brüderlich, oder besser: seine Matratze, denn ein vernünftiges Bett besaß er ja nicht. Er hatte sich nach einem Kinderbett für Murdoc umgeschaut, doch selbst das günstigste, das er gefunden hatte, konnte er mit Kampf-Omis Geld nicht bezahlen und seinen Vater zu bestehlen, das wagte er im Augenblick nicht, denn der war ganz schrecklich aufgerieben und aggressiv, weil Murdocs stündliches Geschreie ihn nervte und er wollte nicht wissen, was mit ihm geschah, wenn er ihn beim Stehlen erwischte. Das Licht des frühen Mittags stach ihm durch das Fenster in die Augen und veranlasste Hannibal dazu, sie zu schließen. Er konnte hören und fühlen, wie sich Murdoc neben ihm bewegte; er brauchte immer eine Weile, bis er endlich eingeschlafen war und manchmal klappte es auch nur mit viel Geschreie und Geheule. Heute funktionierte es ganz gut, als er ein zweites Mal hinhörte, nahm er nichts mehr wahr. Wenn Murdoc schlief, schien es meist so, als wäre er tot. Man konnte seinen Atem nur dann hören, wenn man ganz nah an ihn heranging und sich tief über ihn beugte. Zu Anfang hatte das große Sorge und Verwirrung in Hannibal wachgerufen, er war alle paar Sekunden zu Murdoc hingerannt und hatte seinen Atem überprüft, um festzustellen, ob er noch lebte, doch inzwischen hatte er sich auch daran gewöhnt.

Er hatte sich an so vieles gewöhnt und sich so vielem angepasst und hatte so viel verändert, so viele Dinge getan, die er hasste und die ihn demütigten. Nur, damit es seinem beschissenen kleinen Bruder gut ging! Das tat ihm leid. Eigentlich war er gar nicht sauer auf Murdoc. Der konnte ja nichts dafür. Der war ja nur ein kleines, armes Ding, das man einfach so und ohne ihn zu fragen hilflos in die Welt gesetzt hatte und das jemanden brauchte, der sich um ihn kümmerte. Dass dieser jemand ausgerechnet Hannibal Niccals war, das hatten ja sich weder Hannibal noch Murdoc ausgesucht. Eigentlich war er wütend auf seinen Vater.

Es war inzwischen einige Zeit vergangen, seit Murdoc bei ihnen abgeliefert worden war, was sein Vater jedoch nicht als Anlass dazu nahm, sich einmal bei der Arbeit zu beteiligen, die so ein kleines Kind aufwarf. Noch immer gab er ihr ganzes Geld statt für Windeln für Bier aus, und anstelle seines Sohnes, den er hüten sollte, hütete er die geile Bedienung in der Kneipe auf der anderen Straßenseite. Hannibal war schrecklich ausgerastet, als er einen ganz neuen Flaschenöffner –aus Metall, in Form einer Frau, die nichts als einen String trug, sogar mit eingebauter, kleiner Lampe, die ihr Licht aus einer bestimmten Körperstelle ausstrahlte- auf dem Tisch hatte liegen sehen. Er hatte sich zurück halten müssen, um nicht so feste wie er nur konnte in den Bildschirm des Fernsehers zu treten, vor dem sein Vater sein Leben lang hockte. Bier, neue Flaschenöffner, einen riesigen Fernseher, Kneipe, Frauen. Klar, dafür hatte der alte Sack Zeit! Aber nicht für seine beiden Söhne!? Hannibal hatte sich dann doch zusammengerissen und den Fernseher nicht kaputt getreten. Das hätte nur noch viel mehr Ärger gegeben.

Hannibal verspürte das unbändige Verlangen, eine Zigarette zu rauchen. Er hatte lange keine mehr geraucht, bestimmt eine Woche schon nicht mehr. In der ewigen Hektik um Murdoc hatte er nicht daran gedacht und es auch nicht vermisst, doch jetzt schien ihn der Wunsch nach Nikotin fast zu übermannen. Seltsam. Hätte er sich jetzt nicht in diesem kleinen Moment der Ruhe neben seinen schlafenden Bruder gesetzt, sondern die vollen Windeln ausgewaschen oder neue Babynahrung gekauft oder den Topf, in dem er die Babynahrung zubereitet hatte, gespült oder irgendetwas anderes getan, was notwendig und anstrengend war, hätte er jetzt vielleicht nicht an Zigaretten gedacht und vielleicht auch den ganzen nächsten Monat nicht. Hätte er dann eines Tages überhaupt gar kein Verlangen mehr nach Zigaretten gehabt? Hannibal hatte sich oft gedacht und eingeredet, er sei nikotinabhängig, körperlich und seelisch, und er könnte gar nicht mehr aufhören – und jetzt hatte er eine ganze Woche lang -oder sogar länger- keine Zigarette mehr geraucht, einfach so. Seltsam.

Er setzte sich auf und beobachtete den vor sich hin schlummernden Murdoc. Der dünne Flaum dunkler Haare, den er besaß, als er ihn das erste Mal gesehen hatte, wie er da auf dem verstaubten Kissen gelegen hatte, war dichter und noch dunkler geworden. Murdoc hatte dicke Haare, die schnell fettig wurden, wenn man sie nicht regelmäßig wusch.

Er trug auch nicht mehr denn hellblauen Strampelanzug mit dem Flugzeug, sondern einen dunkelgelben mit einer braunen Maus drauf, die lustig grinste und winkte. Hannibal hatte ihm den gekauft. Er war sparsam mit Kampf-Omis Geld, und er hatte ihm nicht viel Kleidung kaufen können. Nur drei neue Strampelanzüge –es hatte drei zum Preis von zweien gegeben in dem Laden, in dem er sie gekauft hatte- und zwei Shirts. Mit dem blauen Strampler, den Murdoc bereits bei seiner Ankunft besessen hatte, machten das insgesamt genau sechs Kleidungsstücke. Auf Hosen und Socken hatte er verzichtet. Er hatte nie gesehen, dass ein erst wenige Wochen alter Säugling Hosen trug, und Socken brauchte er nicht, denn schließlich wurde er von Hannibal fast überall hingetragen.

Es war nicht viel, das wusste er, aber wenn man die Kleidung oft und regelmäßig wusch und ein bisschen darauf achtete, nicht jeden Tag das gleiche zu tragen, war das schon in Ordnung. Weder Hannibal noch sein Vater besaßen viel mehr Kleidungsstücke als Murdoc, eine Tatsache, mit der ausnahmsweise einmal sie beide gut zu Recht kamen und die sie nicht störte.

Murdoc war ein sehr niedliches Baby. Wirklich, sogar abgehärtete Straßenjungen wie Hannibal es einer war, fanden, dass Murdoc süß war. Hannibal hatte in letzter Zeit immer in die Kinderwägen von Müttern gelinst, wenn er welche sah, und die umherchauffierten Säuglinge mit seinem Murdoc verglichen; er musste feststellen, dass er außergewöhnlich hübsch war.

Er hatte pummelige Ärmchen und Beinchen und einen ein bisschen hervorstehenden Bauch wie fast alle gesunden Säuglinge, war aber nicht dick. Und er hatte ein schönes Gesicht. Große, leuchtende Augen, einen schmalen Mund mit dicker Unterlippe und eine unglaublich feine Nase. Die meisten Babys hatten platte, unförmige Nasen, die ein bisschen an Höhlenmenschen oder Affen erinnerten, aber Murdocs Nase war ganz anders, viel gerader, viel symmetrischer, insgesamt einfach schöner.

Er fragte sich, wie wohl Murdocs Mutter ausgesehen haben mochte. Er stellte sich vor, dass sie nicht nur Halbbrüder, sondern richtig verwandt wären, obwohl die Wahrscheinlichkeit hierfür sehr gering war. Zum einen war sein Vater ein Gott des One-Night-Stands, für Beziehungen hatte er sich, soweit Hannibal wusste, niemals ernsthaft interessiert, nicht einmal für eine reine Sex-Beziehung, wenn diese länger ging, zum anderen konnte es Hannibal sich beim besten Willen einfach nicht vorstellen, dass eine Frau, irgendeine gottverdammt Frau auf der Welt, diesen Fehler zweimal machen würde. Trotzdem war es ein schöner Gedanke.

Hannibal dachte an Traum-Mum, dachte daran wie sie seine Hand drückte und mit der anderen Murdoc festhielt. Sie wohnen immer noch in diesem schönen Haus irgendwo am Meer, und sie kümmern sich alle zusammen um den kleinen Murdoc. Traum-Mum füttert ihn wie es Mütter wirklich tun und spielt mit ihm, und wenn ihr Vater nachmittags von der Arbeit kommt, kneift er Murdoc sanft in die Wange und sagt, dass er ein sehr süßes Baby ist. Er hat für Murdoc Strampelanzüge und T-Shirts und Socken mitgebracht und ganz viele Rasseln, sie sind alle aus Holz, und für Hannibal hat er neue Hosen und dieses coole T-Shirt seiner Lieblingsband mitgebracht, das er sich gewünscht hat.

Hannibal stand auf, ging zum Fenster und versuchte sich in der spiegelnde Glasscheibe zu erkennen. Seine Nase war furchtbar krumm. Sein Vater hatte sie ihm einmal gebrochen, als er elf war und nicht getan hatte, was er verlangt hatte, und sie war niemals wieder richtig verheilt. Nun gut, er war auch nicht zum Arzt gegangen. Zum einen, weil er nicht wusste, wo hier irgendwo in dieser armen Gegend überhaupt ein vernünftiger Arzt war und zweitens, weil sein Vater den Termin bestimmt nicht bezahlt, sondern sein Geld lieber für Alkohol oder Gras ausgegeben hätte. Also blieb seine Nase krumm.

Murdoc wachte auf. Wenn Murdoc aufwachte, gab er immer zuerst ein leises Geräusch, das wie eine Mischung aus Wimmern und Schluckauf klang, von sich und dann begann er so lange zu schreien bis man ihn in den Arm nahm und ein bisschen wiegte. Hannibal war animiert, als er dieses Geräusch hörte und hastete sofort zu Murdoc, um ihn hochzunehmen, ehe das Geplärr anfing. Sein Vater war zu Hause, entweder er guckte Fernsehen oder ließ die Kiste laufen, während er schließ, und beides waren Tätigkeiten, bei denen er auf keinen Fall gestört werden wollte. Schon gar nicht von dem sirenenartigen Geschrei eines Säuglings!

Murdoc beruhigte sich schnell wieder und wurde ruhig, zum Glück, aus dem Wohnzimmer kam nur ein schlaftrunkenes Grunzen.
 

Am besten, er ging mit Murdoc nach draußen. Es war jetzt Juli, das Wetter war warm, aber nicht unangenehm. Er war schon des Öfteren mit Murdoc draußen gewesen, im Park oder irgendwo anders. Dann hatte er ihn auf die Wiese gelegt und Murdoc hatte sich gefreut, wenn er eine Biene oder einen Schmetterling sah oder etwas anderes, neues, interessantes. Das war gut. Murdoc hätte seinen Spaß mit irgendwelchen Blumen, Hannibal könnte auf der Parkbank unauffällig seine Zigarette rauchen und sein Vater könnte in Ruhe schlafen. Alle wären zufrieden und niemand hätte Ärger mit irgendwem. Perfekt.

Hannibal drehte Murdoc ein Stück, damit er ihn besser mit nur einer Hand fassen konnte und schloss mit der anderen die Tür auf. Sie war grundsätzlich immer abgeschlossen, wenn sein Vater da war, ob nun von innen oder von außen.

Der Alte lag tatsächlich auf seiner Couch, schnarchte ganz entsetzlich laut –und der beschwerte sich über den Lärm, den Murdoc machte!- mit der fast leeren Bierpulle in der Hand. Ein Spuckefaden hing von seinem Mundfaden herab. Hannibal ekelte sich und fragte sich leise, wie so ein schmieriger, dreckiger Typ es nur geschafft hatte, zwei Kinder zu zeugen. Bah, igitt, daran wollte er nicht denken!

Hannibal öffnete die Wohnungstür so leise wie es ihm möglich war und ging langsam die Treppe hinunter. Sie wohnten im zweiten Stock. Das Treppenhaus stank nach Zigaretten, Urin und abgestandener Luft, aber diese Tatsache störte Hannibal längst nicht mehr. Alle Treppenhäuser in der Gegend stanken ganz fürchterlich, weil diese Gegend fast ausnahmslos von Sozialschmarotzern und Arbeitslosen bewohnt wurde und der größte Teil von ihnen sich um Dinge wie Hygiene und Haushalt nicht kümmerte.

Hier in der Nähe gab es einen kleinen Spielplatz mit ein paar Holzbänken am Rande, auf denen sich die Eltern der Kinder niederlassen und Kaffe trinken konnten, während die Kleinen herumtollten. Jedenfalls waren diese Bänke wohl zu diesem Zweck dort hingestellt worden, die Realität sah jedoch völlig anders aus: Eltern von Kindern hatte er noch nie auf ihnen sitzen sehen, höchstens Gruppen von Teenagern, die rauchten –entweder Zigaretten oder Gras- und die schönen Holzbänke mit Graffitis und Kritzeleien beschmierten. Hannibal hatte auch des Öfteren schon auf diesen Banken gesessen. Er erinnerte sich an diesen großen, schwarzen Schriftzug, den er selbst dorthin gekritzelt hatte. Mit einem dicken, schwarzen Stift, Farbspraydosen wie sie manche seiner Freunde besaßen, konnte er sich nicht leisten. Es war der provisorische Name der Bande, mit der er damals unterwegs war. Bloß ein Haufen dreckiger, rauchender Kinder, die sich cool und stark fühlten, obwohl sie kleine Fische, winzig kleine Fische waren in diesem Meer aus Gangs und Banden und Cliquen. Trotzdem war er mit ihnen mitgegangen. Diese Gruppe war nicht sonderlich stark oder bekannt gewesen, aber ihm gefiel dieser Zusammenhalt, dieser Schutz, den sie ihm bot.

Das war lange her. Hannibal setzte Murdoc im Sand ab, nachdem er diesen vorher gründlich nach Glassplittern, Hundekot, Spritzen und anderen schädlichen Dingen abgesucht hatte und setzte sich selbst auf eine der Bänke ganz in der Nähe. Es war die mit dem schwarzen Schriftzug. Hannibal nahm sich eine Zigarette aus der Hosentasche –er hatte immer eine oder zwei für den Notfall dabei, die restlichen lagerte er sicher in seinem Versteck-, zündete sie sich schnell an und genoss das Nikotin in seinen Lungen. Gott, war das ein geiles Gefühl, mal wieder eine vernünftige Kippe im Maul zu haben!

Hannibals Blick fiel auf den schwarzen Schriftzug. Hm. Wie lange war das her? Einige Monate bestimmt schon. Irgendwie vermisste er diese Dinge. Er vermisste es, sich mit seinen Freunden einen Joint aufzubauen und in einer Gruppe von acht oder neun Leuten abends durch die Stadt zu streunen und irgendwelchen Mädchen, die er nicht kannte, hinterher zu pfeifen.

Es schien ihm, als wäre er binnen weniger Monate zu einem alten Mann geworden. Oder zumindest zu einem Erwachsenen. Einem allein erziehenden Vater mit kleinem Kind, dessen altes Leben, das gefüllt war mit Bier und Fernsehen und Freunden und Gras und Zigaretten, plötzlich der Vergangenheit angehörte. Unwiderruflich. Ohje! Er war doch bloß ein kleiner Junge von vierzehn Jahren! Er konnte doch noch nicht erwachsen sein. Er wollte noch nicht erwachsen sein!

Hannibal spürte, wie seine Augen heiß wurden und begannen, heftig zu brennen. Nein, nein, nein! Nicht heulen! Jetzt alles bloß nicht heulen! Hannibal hatte vor Jahren damit aufgehört zu weinen. Weinen war etwas für Mädchen, für Schwächlinge, für Tote. Nichts für ihn, ihn, der nie aufgab, ganz gleich wie schlecht es um die Situation stand.

Die Verzweiflung verwandelte sich in Wut. Nicht heulen, verdammt noch mal!!! Hannibal fasste innerhalb einer Viertelsekunde einen dummen, gedankenlosen Entschluss und drückte sich den noch glühend heißen Zigarettenstummel gegen den Unterarm. Nicht heulen! Sei stark! Hannibal!

Seine Augen brannten nicht mehr. Er zog noch einmal schnell die Nase hoch und damit waren die paar Minuten eben, in denen er sich seiner vollkommenen Verzweiflung hingegeben hatte, für ihn abgeschlossen. Jetzt schmerzte sein Arm, ganz schrecklich, Feuer war eine viel schlimmere Waffe als eine Rasierklinge es je sein könnte, aber mit körperlichen Schmerzen hatte Hannibal kein Problem. Wenn er jetzt gut aufpasste, dass kein Dreck in die Wunde kam und sie sich nicht entzündete, würde sie bald vorüber sein. Es würde eine Narbe bleiben, aber auch das war kein Problem. Hannibal hatte viele Narben. Er war daran gewöhnt. Das war kein Problem.

Murdoc begann zu schreien. Bestimmt hatte er Hunger. Aber nein, er hatte ihn doch eben erst gefüttert. Wahrscheinlich hatte er einfach die Windeln voll. Wieso hatte er auch nicht daran gedacht, welche mitzunehmen!? Hannibal rügte sich für seine eigene Blödheit und schritt schnell zum heulenden Murdoc hin. Er nahm ihn auf den Arm und tröstete ihn ein bisschen und versuchte diesen Ekel erregenden Geruch, den voll geschissene Windeln annahmen, wenn sie nicht sofort ausgewechselt wurden, mit aller Kraft auszublenden, während er zurück zu ihrer Wohnung ging. Dieser Ausflug war viel kürzer ausgefallen, als Hannibal es geplant hatte. Aber eigentlich war er ganz froh über diese Tatsache. Er wollte nicht mehr an den schwarzen Schriftzug denken.
 

Murdoc schrie nicht mehr, sondern wimmerte nur noch leise, wie er es immer tat, wenn man ihn ein wenig hin und her gewiegt und ihm beruhigende Worte zugeflüstert hatte, er aber noch nicht ganz von seinen Bedürfnissen abgelenkt war. Aber zumindest war er ruhig, laut schreiend hätte er ihn nicht mit hoch nehmen können. Ihr Vater schlief ja immer noch. Jedenfalls hoffte Hannibal das.

Er war geschwind oben und legte sich den Plan zurecht, ganz schnell und schnurstracks in sein Zimmer zu gehen, ohne ihren Vater zu beachten, unabhängig davon, ob dieser nun schlief oder wieder aufgewacht war. Er wollte nicht mit ihm reden, so aufgewühlt und durcheinander wie er derzeit war. Der Plan klappte, und Hannibal schloss eilig die Türe, die zu seinem Zimmer führte, hinter sich ab. Jetzt war er –oder besser gesagt: Jetzt waren sie beide- sicher vor dem Alten.

Er knöpfte den Strampelanzug, den Murdoc trug, auf und nahm ihm die volle Windel ab. Igitt! Von all seinen Tätigkeiten, die die Betreuung von Murdoc mit sich zogen, war diese hier die mit Abstand abscheulichste und ekligste! Jemand, der einem kleinen Säugling noch nie die Windeln gewechselt hatte, konnte sich nicht vorstellen, wie diese Angelegenheit stank. Hannibal fand, dass dies der aller schlimmste und fürchterlichste Geruch war, den es auf der Welt überhaupt gab, und man musste bedenken, dass er sich nicht einmal an dem nach Urin stinkenden Treppenhaus störte. Er putzte seinen kleinen Bruder eilig ab, wickelte ihn neu und warf die alte Windeln in den Mülleimer, der bereits fast überquoll vor lauter voll geschissener Windeln.
 

So, Kapitel 2 ist da. :) Ich hoffe, es enttäuscht euch nicht. Und übrigens: Ja, Murdoc wird natürlich noch deutlich wachsen, in den nächsten Kapiteln ist r allerdings noch ein Säugling/Kleinkind. ^^
 

bye

sb



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: Lorne_Malvo
2010-09-08T16:18:12+00:00 08.09.2010 18:18
Aww~~♥
ein neues Kapitel *__*
*freuZ*
Die kommen ja schneller als erwartet x3
Mir gefällt das Kapitel super gut b^^d *beide Daumen hoch*

Es ist verdammt süß, wie sich Hans so um Muds kümmert und sorgt und so x3 irgendwann nennt er ihn Papa X'D *grinst*

Am liebensten hätte ich Hans ja unser altes Babybett gegeben D: Wir haben noch eins im Keller stehen(glaube ich) XD und am Besten noch'n altes Bett von mir oder meinem Bruder Dx Man, der Junge verdient doch ein Bett Dx oder wenigstens ne Schlafcouch >< Der tut doch so Gute Dinge T__T
Aber das Bild wie Hans und Muds so im Bett liegen und schlafen... x3 zu süß ♥
Ich persönlich hätte aber auch totale Panik wenn ein Baby neben mir liege würde D: entweder ich würde es zerquetschen(T__T) oder ich hätte Angst, dass es an nem Kindstot stirbt. gib's ja. wenn das Baby am nächsten morgen plötzlich tot im Bettchen liegt.. .__.
Und das Jakob nur wegen Murdoc's Geschrei so mürrisch ist ist ja mal voll die Ausrede ûu der ist doch immer so schlecht drauf..|D~ Auch wenn ich ein Jakob-Fan bin... ich bin total sauer auf ihn -.- blöder Jakob. ob er es wohl jemals lernt? Dx wohl nicht, oder? T__T prällt lieber ein paar Nutten -.- oder Bedienungen... >-> kommt drauf an was für Bedienungen -_- *Jakob verhau*
Ich hätte ja den Fernseher umgetreten D: *hust*

Und Aww~~ >w<
KleinMurdoc in diesen niedlichen Anzügen *__* Das ist ne total süße Vorstellung x3 vielleicht sollte er heute mal sowas tragen |D~~ wäre bestimmt süß ^__^ *lach*
q.q Murdoc war ein hübsches Baby? Davon sieht man heute so wenig T_T auf jeden Fall bei der Nase sieht man's nicht D': schade eigentlich... aber süß dass Hans ihn mit andren Baby's vergleicht x3

Und liebe Hans's Vorstellung von einer perfekten Familie x3 die sind so traurig aber auch total schön <3 sag mal... ist Traum-Dad Jakob? :o das frag ich mich schon die ganze Zeit.

Und das Nase brechen ist wohl sowas wie ne Familientradition, oder? D: Erst bricht Jakob Hannibal die Nase, dann Hannibal Murdoc... hätte Murdoc Kinder, hätte er diesen auch die Nase gebrochen? dafür hat er ja 2D... ûu ähm... ich übertreibe D: XD *drop* .__."

Charas: top *___* Ich liebe es wie du Hannibal und Jakob gemacht hast <3 Da es doch so gut wie garnicht's über ihren Charakter gibt D:
Story: Spitze <3 Es reisst einen einfach mit *-* man will nicht aufhören zu lesen x3

Ich werde auf das vierte Kapitel warten ^w^ Ich freue mich schon tierisch <3
LG

Von:  The-Lightning
2010-09-08T15:29:47+00:00 08.09.2010 17:29
das kapi ist super *3*
gar zuckerschock.
einfach nur süß wie sich hannibal um klein Murdoc kümmert ^^
nur jetzt frage ich mich wie wohl der echte hannibal ist....
er sitzt ja im knast weil er ratkappen gestolen hat.
Würde das der richtige Murdoc lesen würde er sich in grund und boden schämchen X'D
ich kann es kaum erwaten bis Murdoc größer ist und er auch mal Hans zu weißglut bringt.

deine scheibweise gefällt mir super gut. die ist sauber, fehlerfrei und co ^^
wenn ich mal einen Comic raus bringe schreibst du den einfach und ich zeichne XD
Von:  TheSixthMonth
2010-09-08T15:23:37+00:00 08.09.2010 17:23
YEAH! Stylo! N´ neues chap! Du solltest öfeter welche schreiben! (Bitte! Mir ist langweilig!)

Okay, ähm... dieses Kapitel zeigt nur mal wieder, wie schwer es jemand hat, der alleine erziehen muss. wie machste das nur, mit den ganzen beschreibungen? Man könnte denke, Hannibal persönlich hätte die Story geschrieben!


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