Zum Inhalt der Seite

Hannibal

Murdoc's brother
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Hannibal mit dem roten und dem schwarzen Auge

Prolog

Hannibal mit dem roten und dem schwarzen Auge
 

„Hey, Hans, lass uns nach der Schule noch ein bisschen in den Park gehen, okay?“

Hans, der eigentlich Hannibal hieß und jeden, der nicht zu seinen Freunden gehörte und ihn so nannte, windelweich prügelte, nickte einmal kurz als Zeichen der Zustimmung und boxte Ben noch ein letztes Mal sanft gegen die Schulter, ehe dieser mit all den anderen in den stickigen Klassenraum verschwand. Hannibal hatte schon vor Ewigkeiten damit aufgehört, zur Schule zu gehen, obwohl er recht intelligent zu sein schien. Manchmal –wie heute-, wenn er nichts Besseres zu tun hatte, kam er in einer der beiden großen Pausen vorbei, um sich ein bisschen mit seinen Freunden zu unterhalten, die noch zur Schule gingen. (Das waren übrigens sehr wenige, was allerdings nicht unbedingt daran lag, dass die meisten seiner Kumpane -wie er- seit Monaten ununterbrochen schwänzten, sondern eher an der Tatsache, dass ein gehöriger Teil seiner Freunde und Bekannten ein paar gute Jahre älter waren als er. Einige waren sogar schon achtzehn oder noch älter.)

Hannibal verließ das Schulgebäude, und als er auf dem menschenleeren Schulhof stand und das Geschrei und Gequassel aus den vielen Dutzend Klassenräumen hinter ihm hörte, wusste er nicht, wohin er gehen sollte. Es war noch nicht mal elf Uhr, was bedeutete, dass seine Schulschwänzer-Freunde allesamt noch schliefen, und es musste schon einiges geschehen, damit er freiwillig vor Mitternacht nach Hause ging, wo sein ewig besoffener Vater auf ihn wartete.

Hannibal beschloss, sich in seinem Versteck zu verkriechen und erst wieder hervorzukommen, wenn die Schule vorbei war und er mit Ben in den Park gehen und sich mit ihm die Zeit vertreiben konnte. Ganz am Rande der Stadt -von der Schule aus waren es gute vierzig Minuten Fußweg- befand sich eine alte Müllhalde, die zwar mit einem großen Maschendrahtzaun umschlossen war, sonst aber keinen Schutz vor Menschen wie Hannibal hatte. Nun ja, dachte er sich, es brechen wohl auch nicht allzu viele Leute in eine Müllhalde ein. Jedenfalls gab es dort einen riesigen Haufen von aufeinander gestapelten, verrosteten Karren, Autos, LKWs und Motorräder, der in der Mitte eine ganz kleine Öffnung hatte, gerade so groß, dass sich ein mittelmäßig gewachsener Teenager mit viel Mühe hineinquetschen konnte. In der Mitte dieses Auto-Friedhofes, der sich nie veränderte, denn nie kamen Autos hinzu oder wurden abgeholt, befand sich ein kleiner Hohlraum, eine Höhle, die niemand außer ihm kannte. Das war sein Versteckt und dorthin kam er, wenn er nichts mit sich anzufangen wusste, was in letzter Zeit häufig der Fall war.

Und auch heute hatte vor, sein Versteck aufzusuchen.
 

Ein wohliger Schauer überkam ihn, als er sich durch das Eingangs-Loch gequetscht und in seiner Höhle Platz genommen hatte. Er hatte viel Zeit auf der Müllhalde damit verbracht, Gegenstände zusammen zu suchen, die er als Möbel benutzen konnte, und er fühlte sich in diesem engen Loch zehnmal wohler als zu Hause. Einmal hatte er hier sogar eine Nacht verbracht, weil er sich vor seinem Vater gefürchtet hatte, der eine ganze Ladung Wodka mit nach Hause gebracht hatte. Als er am nächsten Mittag dann die kleine, vom Staat bezahlte Wohnung betrat und seinen Vater, der mit einem Kater auf der durchgelegen Couch lag, fragte, ob er sich denn Sorgen um ihn gemacht hätte –schließlich war er eine ganze Nacht lang weg gewesen ohne Bescheid zu geben oder einen Zettel zu schreiben, und schließlich war er erst dreizehn- da hatte ihn sein Vater nur mit seinen Schweinsaugen angestarrt und verwundert gegrunzt: „Du warst weg, Rotzlöffel?“ Das war der Tag, an dem Hannibal beschloss, dass dieser Ort nicht mehr sein zu Hause war und das war auch der Tag, an dem er sich zum ersten Mal eine Zigarette anzündete.

Er hatte kein Geld für Zigaretten, das hatte er nie gehabt. Er rauchte viel, aber alle Zigaretten hatte er entweder seinem Vater geklaut oder von seinen Freunden bekommen, und er hortete sie wie einen wertvollen Schatz. In einer Ecke seines Verstecks stand ein kleiner Schrank mit vielen Schubladen, den er hier irgendwo gefunden hatte, und in einer davon hatte er einige Dutzend Zigaretten versteckt. Er nahm sich eine heraus, eine der Guten, und zündete sie sich an. Das Feuerzeug hatte er unbemerkt in einem Laden mitgehen lassen, als er dort für seinen Vater einige Besorgungen gemacht hatte. Geld hatte er kaum. Er bekam kein Taschengeld, nicht mal ein bisschen, und seine einzige Möglichkeit an Geld zu kommen bestand darin, seinen Vater oder irgendwelche Passanten zu bestehlen. Meistens war sein Vater der Unglückliche. Nicht etwa, weil er Mitleid mit den bestohlenen Menschen gehabt hätte oder so etwas wie Gerechtigkeitsempfinden besaß, sondern weil sein Vater fast den ganzen Tag betrunken oder bekifft auf der Couch lag, schlief oder Fernsehen guckte, und somit leichter zu bestehlen war.

Er nahm einen tiefen Zug und fühlte sich sogleich besser. Er fühlte sich wohl in seinem Versteck, hier konnte ihm niemand etwas anhaben, ihm konnte niemand wehtun, das hier war sein Ort! Hannibal rieb die geschundenen Füße –es war Sommer und er lief oft barfuß oder in billigen Sandalen umher- an dem weichen, flauschigen Teppich und begutachtete sein Versteck. Er hatte viele alte, sehr dicke Teppiche gefunden, und sich die Schönsten ausgesucht, um sie hier auszubreiten. In einer Ecke stand der Schubladen-Schrank, in einer anderen ein niedriger Tisch mit zwei etwas kaputten, aber an sich recht hübschen Stühlen. Hannibal hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, wieso er sich zwei der Stühle mitgenommen hatte, wo er doch immer bloß allein in seinem Versteck war. Er hatte es einfach getan. Meistens, wenn er im Versteck war, legte er sich auf einen kleinen Hügel bunter Kissen und Decken, die gut die Hälfte des gesamten Platzes einnahmen. Das war seine Wiese, sie war weich und warm und er verbrachte viele Stunden damit, auf ihr zu liegen und seinen Gedanken nachzuhängen.

An einer der Wände, die ja aus Eisen und Gummi bestanden, hatte er eine steinalte Seemanns-Uhr aufgestellt, die man täglich zur genau derselben Zeit aufdrehen musste, damit sie richtig ging. Jetzt war es kurz nach zwölf.

Er warf den Blick an die Decke, entdeckte das trotzige Funkeln eines staubigen Mercedes-Sterns, der ihm nie zuvor aufgefallen war, und fragte sich, ob er ein Tütchen rauchen sollte. Hannibal mochte Gras, und er hatte genug Kontakte, um leicht und billig an welches zu kommen. Gras ließ ihn seine Probleme vergessen und half ihm über langweilige Stunden hinweg. Doch heute entschied er sich dagegen. Er war nicht blöd und auch nicht naiv. Er wusste, dass Drogen gefährlich waren, dass sie einen kaputt machen konnten –siehe sein Vater- und darum achtete er darauf, nicht zu viel zu nehmen und vor allen Dingen nichts Härteres als Gras. Gras war okay, das war nicht schlimm. Er hatte sogar mal gehört, dass es in irgendeinem Land legal war. Holland? War es Holland gewesen? Oder Belgien? Er wusste es nicht mehr genau.

Statt eines Tütchens Gras nahm Hannibal sich eine weitere Zigarette, diesmal jedoch eine, die nicht ganz so gut war, und hielt die ganze Zeit die Augen geschlossen, während er rauchte. Er träumte erst von Fruchteis –er liebte Eis-, dann von einigen seiner Freunde, die er sehr mochte, wie Ben zum Beispiel oder Ian, und dann von seiner Mutter. Er wusste nicht, wie sie aussah oder wie sie hieß, was für ein Mensch sie gewesen war oder wieso sie ihn und seinen Vater verlassen hatte, und darum verbrachte er viele Nachmittage damit, sich eine Traum-Mum zu basteln. Die Traum-Mum war eine sehr hübsche Frau. Sie hatte lange, dunkle Haare wie er selbst und wunderschöne, tiefe blaue Augen. Manchmal stellte er sie sich auch mit anderen Augenfarben vor, mit grünen Augen und ab und zu sogar mal mit roten, aber die Traum-Mum mit den blauen Augen gefiel ihm am besten. Er wohnt mit ihr und Dad in einer hübschen, geräumigen Wohnung, irgendwo in einer Stadt am Meer, und er kommt gerade von der Schule. Sie macht die Tür schon auf, ehe er anklingeln kann und sagt: „Ich habe dich vom Fenster aus gesehen. Wo warst du nur so lange? Ich habe mir Sorgen gemacht!“ Für einen Moment hat die Traum-Mum einen besorgten Gesichtsausdruck, doch dann lächelt sie und sagt: „Ich habe Plätzchen für dich gebacken! Mit den bunten Streuseln, die du so gern magst, ich habe extra welche für dich gekauft!“ Und plötzlich fällt ihm der leckere Geruch nach Gebäck und Zucker auf, der in der Luft liegt. Freudig stürmt er in die Küche, Traum-Mum schaut ihm nachsichtig hinterher und ruft: „Aber pass auf, Hans, das Blech ist noch heiß!“

Sie essen zusammen die Plätzchen, Traum-Mum streicht ihm über die Haare, die er von ihr hat und er spürt die Wärme ihrer Hand und ihren freundlichen Blick auf sich. Später dann kommt Dad von der Arbeit. Er trägt einen schönen Anzug, und lächelt, als er die Wohnung betritt. Erst begrüßt er Hannibal freundlich und fragt ihn nach der Schule, dann wendet er sich an seine Frau, gibt ihr einen Kuss und sagt ihr, wie sehr er sie liebt.

Es gibt Mittagessen, Traum-Mum hat viel Zeit damit verbracht, es zu kochen und Hannibal und Dad finden, dass es herrlich schmeckt und Traum-Mum wird ganz rot vor Stolz. Nach dem Essen spielen sie dann zusammen etwas. Monopoly oder Schach. Hannibal kann Schach spielen, denn Dad hat ihm schon früher gezeigt, wie man die Figuren bewegen muss und welche Züge am klügsten sind. Dann gibt Traum-Mum ihm Taschengeld, viel Taschengeld, und er geht nach draußen und macht etwas mit Ben oder Ian oder Percy. Und wenn er dann abends nach Hause kommt, steht das Abendessen auf dem Tisch. Frisch gekauftes Brot, das duftet, und heißen Kakao für ihn. Er hat eine Tasse, auf der steht sein Name. Hans. Traum-Mum hat sie für ihn gekauft.

Ein kühler Luftzug von draußen wehte in seine Höhle und Hannibal öffnete seine traumverklärten Augen. Es wurde windig draußen, und es dauert nur wenige Momente, dann hörte er dünnen Sommerregen draußen auf den Boden platschen, der aus fest getrampelter Erde bestand, und er hoffte, dass der Regen bald wieder verschwinden würde. Hannibal mochte Regen nicht, außer an sehr heißen Sommertagen; in all seinen Vorstellungen mit Traum-Mum war es schönes Wetter, der Himmel war strahlend blau mit nur ein oder zwei kleinen Wölkchen und man konnte die Sonnenstrahlen auf der Haut brennen spüren. Hannibal schloss zum zweiten Mal die Augen, doch die Geräusche des Regens störten ihn. Er begann „What Will We Do With A Drunken Sailor“ zu summen, das einzige Lied, das er auswendig konnte, weil sie es in der ersten oder zweiten Klasse im Musik-Unterricht gerne gesungen hatten. Hannibal mochte Musik; aber er konnte kein einziges Instrument spielen, obwohl dies wohl eines der ganz wenigen Dinge gewesen wäre, die er gerne gelernt hätte. Der Regen, der nur kurz angedauert hatte, verebbte schnell wieder. Die Sonne zeigte sich, und ein fast unsichtbarer Regenbogen erschien am Himmel. Hannibal kniff angestrengt die Augen zusammen, doch er konnte immer noch nicht erkennen, wie viele Farben es denn nun waren. Trotzdem fand er ihn wunderschön.

Die Seemanns-Uhr zeigte gleich zwei Uhr, und Hannibal stand auf, um zurück zur Schule zu gehen. Um drei war die letzte Stunde zu Ende, und er hatte keine Lust, es sich mit Ben zu verderben, indem er zu spät kam. Er hatte gelernt, dass ewige Unpünktlichkeit Leute nervte. Früher, als er noch zur Schule ging, war er ständig zu spät gekommen, und all seine Lehrer hatte das fürchterlich aufgeregt. Was ihn im Übrigen nicht sonderlich gekümmert hatte. Sollten sich die blöden Lehrer doch aufregen! War ihm doch schnurz! Irgendwann rief der Direktor dann bei ihm zu Hause an, und dann sagte keiner der Lehrer mehr etwas, wenn er zu spät kam. Aber das machte alles nur schlimmer. Hannibal schämte sich für dieses Verhalten der Lehrer, das wohl Mitleid oder so etwas darstellte, denn dass sie eine Reaktion auf das Gespräch mit seinem Vater sein musste, das war glasklar. Und er schämte sich noch mehr für seinen Vater. Bestimmt hatten sie ihn erwischt, als er gerade wieder gesoffen hatte. Natürlich hatten sie das! Der Alte soff doch immer!
 

Es war kurz vor drei, als er endlich den Schulhof erreichte, denn er war langsam gelaufen. Die Stadt, in der er lebte, sah fürchterlich hässlich aus. In den ärmeren Vierteln –in dem ärmsten wohnte er- waren alle Häuser alte Bruchbuden mit abblätternder Farbe und Fenstern ohne Gardinen. In den etwas besseren Vierteln, von denen es wenige gab, standen solide, klotzige Betongebäude, die nicht schön aussahen, in denen man aber zumindest vernünftig wohnen konnte. Hannibal hätte gerne in einem dieser Häuser gewohnt.

„Hey, Hans!“

Es hatte geklingelt, ohne dass Hannibal es bemerkt hatte. Ben und ein anderer Junge, den er nur vom Sehen her kannte, von dem er aber wusste, dass er gut mit Ben befreundet war, kamen auf ihn zugelaufen. Der Junge, der ihn nicht kannte, musterte ihn mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Furcht. Hannibal wusste wie er aussah. Er trug fast ständig –sogar jetzt im Sommer- eine alte, aber coole Lederjacke, die er in der Nähe seines Versteckes gefunden hatte, eines seiner Augen war schwarz und das andere rot –das gefiel ihm besonders-, und er hatte zwei Piercings im Gesicht und sieben an den Ohren. Ein guter Freund von ihm (einer der Erwachsenen) hatte sie ihm zu seinem vierzehnten Geburtstag gestochen, und Hannibal liebte sie! Sie ließen ihn wild aussehen, gefährlich, besonders, und er genoss dieses Gefühl in vollen Zügen. Zu seinem fünfzehnten Geburtstag würde er sich eine Tätowierung wünschen. Er hatte sogar schon ein schönes Motiv gefunden: einen hochfliegenden Adler mit einer Blume im Schnabel.

„Hans, das ist George. Ein guter Kumpel von mir. Er kommt heute mit.“ George war ein dunkelhaariger, schlaksiger Junge mit auffallend großer Nase, die einem verbot, ihn ernst zu nehmen. Hans mochte das Gefühl von Macht und Stärke, das ihm die Blicke dieses Jungen gaben, trotzdem hatte er keine große Lust sich Ben mit ihm zu teilen. Aber was sollte er tun? Würde er Georgieleinchen jetzt wegschicken, würde Ben sicherlich mit ihm gehen, und das wollte Hannibal noch weniger. Also zuckte er nur kurz mit den Schultern, ein Zeichen der Billigung, und sie gingen zu dritt in den nahe gelegenen Park.

Es machte mehr Spaß, als er erwartet hatte. Ben und George grenzten ihn nicht aus, was er befürchtet hatte. Ganz im Gegenteil: Dieser George schien irgendwie überwältigt von ihm, er stellte ihm andauernd Fragen über ihn und sein Leben. Hannibal log meistens und stellte sich sehr cool dar. Was ging diesen Idioten denn auch seinen Vater und Traum-Mum an? Nichts! Er hatte sowieso nicht vor, sich wirklich mit George anzufreunden, obwohl es ihm Spaß machte, seine Fragen mit Lügen zu beantworten und so zu tun, als sei er der Anführer einer riesigen Bande. Hannibal hatte ein gutes Gespür für Menschen; er erkannte leicht, ob jemand gescheit oder ein Trottel war und wofür man ihn vielleicht noch brauchen könnte. Ben zum Beispiel war ein Mittelding zwischen gescheit und Trottel (allerdings mit leichter Tendenz zum Trottel), und man konnte ihn gut als letzte Notlösung gebrauchen, zum Zeitvertreib, wenn sonst niemand Zeit hatte. Nach diesem Muster teilte Hannibal all seine Mitmenschen ein und gab ihnen einen Rang. George war eindeutig ein riesengroßer Trottel (Tendenz zum Mega-Ober-Trottel), so blöd wie er sich bei vielen Dingen anstellte,und so leicht wie er zu belügen war. Hannibal beschloss, George nicht als Freund anzunehmen, ihn jedoch bei der Stange zu halten. Wer weiß, vielleicht würde er ja irgendwann noch nützlich sein. Er schien jemand zu sein, den man schnell beeindrucken konnte; vielleicht schaffte er es, George zum Rauchen zu bringen, sodass er sich jede Menge kostenloser Zigaretten sichern konnte?

„Es ist gleich acht, Hans.“ Ben stand auf und neben ihm erhob sich auch George, der ihn so verschmitzt angrinste, als seien sie zwei verlorene Freunde, die sich endlich wieder gefunden hatten. „Wir müssen jetzt langsam nach Hause. Sonst machen unsere Mütter wieder Ärger.“

„Okay.“

„Äh. Naja, dann … tschüss.“ Ben und George verabschiedeten sich von ihm, und Hannibal gab ihnen beiden leichte Schläge auf die Schultern (George einen etwas härteren, was diesen paradoxerweise jedoch zu gefallen schien; wahrscheinlich fasste er es als Bevorzugung auf, obwohl es eigentlich eine Herabsetzung gewesen war).
 

Und was sollte er jetzt tun? Hannibal hatte keine Lust, den langen Weg zurück zu seinem Versteck zu gehen. Er hätte ein paar seiner Schulschwänzer-Freunde kontaktieren können, aber dafür hätte er zu ihren Wohnungen hingehen müssen, weil er kein Handy besaß, und darauf hatte er auch keine Lust.

Also fasste er einen Entschluss, den er seit ewig langer Zeit nicht mehr gefasst hatte: Er würde heute einmal vor Mitternacht nach Hause kommen! Was wollte der Alte ihm schon antun, so stockbesoffen oder dicht wie er sein würde? Hannibal lachte leise. Vielleicht schaffte er es ja sogar, dem Saftsack etwas Geld oder Zigaretten zu stehlen?

Er wohnte nicht weit weg vom Stadtpark. In einer furchtbar kleinen Wohnung, die sein Vater vom Geld des Staates bezahlte, und die eigentlich nur aus drei kleinen, stickigen Räumen bestand: Dem Wohnzimmer, das mit einer kleine, unsauberen Kochnische auch als Küche fungierte, in dem sich sein Vater fast sein ganzes Leben lang aufhielt, ob er nun schlief, den Fernseher laufen hatte, ein junges Mädel fickte (Hannibal ließ niemals den Gedanken zu, dass er wohl auf die gleiche Weise entstanden war und Traum-Mum in Wirklichkeit eines dieser leichten Mädchen war) oder sich mit irgendwelchen legalen und illegalen Rauschmitteln zupumpte, einem winzigen, dreckigen Badezimmer und einem kleinen Raum, in dem eine Matratze (sein Bett), ein zusammengenagelter Haufen Bretter (seinen Kleiderschrank) und eine solide Holzkiste (sein Schreibtisch) standen. Er mochte sein Zimmer nicht so gerne wie sein Versteck. Aber wenigstens besaß er den Schlüssel.

Sein Vater lag wie gewohnt auf seiner Couch, dem Fernseher gegenüber –es lief ein Porno- und eine Bierflasche in der Hand haltend. Seltsamerweise schien er nicht betrunken zu sein, oder jedenfalls nicht viel. Das beunruhigte Hannibal. Was war los? Waren Bullen aufgetaucht? Oder das Jugendamt?

„Hey, Hans.“ Hannibal konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal mit seinem Vater gesprochen hatte, als dieser nüchtern gewesen war. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann sein Vater überhaupt das letzte Mal nüchtern gewesen war. Sie stritten sich oft und schrieen sich an und prügelten sich, wenn sein Vater oder auch sie beiden stockbesoffen waren, aber ansonsten hatten sie nicht viel miteinander zu tun.

„Ich habe eine Überraschung für dich, Kleines.“ Überraschung? Kleines? Hannibal schluckte, blieb in der Tür stehen und machte sich dazu bereit, jeden Moment die Wohnung so schnell er konnte, wieder zu verlassen. Er wusste von einigen Freunden, besonders von Freundinnen, was solche Worte zu bedeuten hatten. Und er fürchtete und ekelte sich vor dieser Vorstellung. Aber soweit würde sein Vater doch nicht gehen, oder? Klar, er war ein Sozialschmarotzer, ein Säufer und ein Junkie, aber doch kein Kinderficker, oder?

Sein Vater schien diese Angst zu spüren, lachte kurz und meinte dann: „Keine Sorge, Hans, ich tu dir nichts. Ich wollte dir nur was mitteilen.“

„Aha, und was?“ Hannibal machte einen kleinen Schritt zurück und spannte all seine Muskeln an. Sein Körper bebte vor Angst und Misstrauen. Er wusste nicht, wie stark sein Vater war, wenn er nüchtern war, und das war die größte Gefahr.

„Es wird dich sicherlich freuen. Es ist ja für Kinder nicht gut, wenn sie immer so alleine sind. Sagen doch alle immer, hm?“ Hannibal zog einmal kurz die Nase hoch und rechnete sich aus, wo er schnell hinrennen musste, damit sein Vater ihn nicht fand. Zum Versteck war es zu weit. Hatte er Freunde in dieser Gegend? Er dachte scharf nach. Vielleicht konnte er zu Joe gehen?

„Und darum dachte ich mir, ich zeige dir mal, was ich für ein guter Vater bin!“

Hannibals Verdacht schien sich mit jedem Wort mehr zu bestätigen. Sobald sein Vater sich auch nur einen Millimeter rührte, würde er zu Joe rennen, so schnell ihn seine Beine trugen!

„Ich habe dir einen kleinen Bruder gemacht!“

Jetzt! Zu Joe! Schnell, sonst kriegt er dich! Hannibal konnte sich nicht rühren. „Was?!“

Sein Vater zeigte in die Ecke des Wohnzimmers, die am nächsten zur Tür und somit auch am nächsten zu Hannibal war. Auf einem großen Kissen, das eigentlich zur Couch-Garnitur des Alten gehörte und das er in seiner Angst gar nicht bemerkt hatte, lag ein kleiner Säugling. So einen kleinen Menschen hatte Hannibal noch nie gesehen, nicht einmal in den Kinderwägen der Frauen, die er manchmal im Supermarkt traf. Dieses Baby konnte noch nicht alt sein, wahrscheinlich war es sogar erst vor einigen Tagen geboren worden, vielleicht auch erst vor wenigen Minuten, so winzig wie es war. Es hatte einen dünnen, dunklen Flaum Haare auf dem runden Kopf, trug einen hellblauen Strampelanzug mit einem aufgedruckten Flugzeug und Hannibal meinte sogar erkennen zu können, dass es ein rotes und ein schwarzes Auge hatte, obwohl das auf der Entfernung natürlich schwierig war (er hatte sich noch immer kein Stückchen von der Tür wegbewegt).

Die Augen waren der ultimative Beweis, dass dieses Kind von seinem Vater war. Die Augen seines Vaters hatten –genauso wie seine und die des Säuglings- jeweils eine rote und eine schwarze Farbe, und dies war das Erkennungszeichen der „Familie Niccals“. Hannibal wusste nicht, ob sein Vater bei seinen ständigen One-Night-Stands verhütete oder nicht, jedenfalls wurde ihm die Vaterschaft für Dutzende Kinder in der Stadt unterstellt. Wie man hier an diesem Beispiel deutlich sehen konnte, schickte man ihm diejenigen zu, die eindeutig und ohne Zweifel seine waren. Ob er das nun wollte oder nicht.

„Und du wirst dich um den Kleinen kümmern, kapiert? Du wirst ihn füttern und wickeln und was man sonst noch so mit Babys macht. Und wehe ich erwische dich dabei, wie du dich drückst, Rotzlöffel! Dann gibt’s eine Abreibung, die sich gewaschen hat, das verspreche ich dir!“
 

So, das hier ist also endlich der Prolog von "Hannibal". Ich fände es super, würdet ihr mir schreiben, was ihr von ihm haltet und wo ich mich eventuell noch verbessern könnte. ;)
 

bye

sb



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Murdoc
2010-08-26T12:13:22+00:00 26.08.2010 14:13
Whoaaaaaaaaa~ Q_____Q *baff ist*
Darf ich es mit einem Wort beschreiben? >//<
***PERFEKT***
Das Kapitel hat mich wirklich gefesselt und ich will dann nicht wissen wie es mit den nächsten Kapiteln aussieht. xD
Deine Wortwahl, sowie dein Schreibstil ist der Wahnsinn.
Da kann sich FF-Schreiber eine Scheibe von abschneiden. Auf jeden Fall! *-*
Wie detaliert man doch eine Person beschreiben kann. Waow. x3
Du hast Hannibal wirklich perfekt getroffen, genauso wie Sebastian.
Und der Abschnitt mit der Traum-Mum... wunderschön!
Ich hatte selber Tränen in den Augen und kann es mir richitg gut denken, dass sich Hannibal wohl wirklich so eine Familie wünscht. >///<
Also deine Ideen sind echt toll! Und ich bin wirklich gespannt wie es weiter geht. Wie Hannibal sich um Murdoc kümmert. Was der Vater noch alles anstellen wird... etc~
Ich freu mich, dass die FF viele Kapitel hat! ^^
Mach weiter so! Das nenne ich Talent! x3
*wink* C:
Von:  TheSixthMonth
2010-08-25T17:17:16+00:00 25.08.2010 19:17
Ui! Langer Prolog... hä? Keine ahnung wie man das schreibt! >.<
Nun... mir gefällt, dass Hannibal zwei Seiten hat! Die eine mit der Traum Mum und die andere, die beweist das er wirklich der Bruder von Murdoc ist! Ich bin jetzt wirklich mal gespannt, wies weiter geht! X3 warte auf´s nächte Kapiiiiiiiiiiiitel! ^^ :P
Von:  The-Lightning
2010-08-24T14:28:13+00:00 24.08.2010 16:28
klein Hans XD
die FF ist super beschrieben
das mit der Müllkippe da musste ich an Rena aus Higurashi denken oo"
die lungert auch immer auf Müllkippen und sucht nach schätzen.
das mit der Traum-Mum war wirklich traurig.
so ne traum familie will ich auch haben uû
nen traum daddy habe ich ja schon X3
also Jakob hat echt den chara an den ich auch gedacht hatte.
soweit ich weiß fehlt Jakob eine Hand oo"

super FF ^^ bitte schreib schnell weiter.

Von: Lorne_Malvo
2010-08-24T14:06:10+00:00 24.08.2010 16:06
Klasse Idee mal was mit Hans zu machen x3
*freuZ*
und es ist klasse geworden *.*
das bei Hannibals Vorstellung einer perfekten Familie fand ich traurig. .__. und das mit dem Versteck im Boden erinnert mich ein wenig an einem Film den ich vor ein paar Tagen gesehen habe. Aber ich finde diese Idee super ihm einfach eine kleine Zuflucht zu geben.
Jakob finde ich ist auch klasse geworden o.o also vom Charakter her. So stell ich mir den alten Saftsack vor XD

alles im allen'n super anfang für ne klasse FF *.* ich freu mich schon auf's nächste Kappi x3


Zurück