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Die Chroniken von Khad-Arza - Das Blut der sterbenden Welten

Erstes Buch
von

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Kontrolle der Geister

Die Sonne ging nicht auf; an diesem Tag würde die Welt im Schatten bleiben, alle in Vialla spürten es, als es dunkel blieb und das Dröhnen der warnenden Trommeln bereits in weiter Ferne über das gefrorene Land hallte.

Sie kommen. Wir haben keine Zeit mehr... heute wird sich unweigerlich entscheiden, ob Vialla fällt oder stehen bleibt... bringt den Richtigen euren Tod und Schatten, Himmelsgeister.

Dasan Sagal fiel es schwer, seine jüngste Tochter anzusehen, wie sie wie ein Häufchen Elend auf dem Bett kauerte; und es lag nicht daran, dass sie nackt war, den Anblick war er gewohnt. Mit einem Seufzen wandte er den Blick von ihr ab und betrachtete scheinbar interessiert seinen Gehstock.

„Chitra, ich muss jetzt gehen. Ich werde nicht von dir verlangen, als Heilerin Leyya und den anderen zu helfen, verstecke dich mit den Zivilisten. In deinem Zustand wärst du vermutlich ohnehin keine Hilfe. Aber zieh dir etwas an, bevor du gehst. Und tu es rasch, sie werden bald hier sein.“ Er erntete zunächst keine Antwort, und als er es schon aufgeben wollte, sprach sie doch; ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern.

„Lass mich nicht alleine, Vater... nicht du auch noch. Wenn... du da rausgehst... könntest du sterben. Ich will... dich nicht verlieren.“ Er rieb sich die Hand, die den Stock umklammerte.

„Dann ist es mein Schicksal. Ich habe meinem König Treue geschworen und habe nicht vor, das zu brechen. Außerdem habe ich schon eine ganze Weile auf dieser Welt gelebt, es wäre ein würdiger Abgang. - Was nicht heißen soll, dass ich sterben möchte. Allein aus diesem Grund nicht, weil ich die letzte Erinnerung an dich, meine geliebte Tochter, nicht mit so einem Gesicht behalten möchte. Wenn du wieder lächelst, kann ich beruhigt sterben, weil ich weiß, dass du dann auch ohne mich zurechtkommst... du Nesthäkchen.“ Er unterdrückte sein eigenes Lächeln; er hatte sie viel zu gern, um ernsthaft streng mit ihr zu sein, obwohl er es lieber sein sollte.

„Dann lächle ich nie wieder...“, wisperte sie, und er brummte.

„Rede keinen Unsinn, Chitra. Was soll ich tun, dir die Welt zu Füßen legen?“

„Ich vermisse meine Niarih...“, stammelte sie und er sagte nichts, als sie den Kopf senkte und zu weinen begann. „M-meine... kleine Tochter, das... einzige Kind, das ich jemals haben werde... unser Baby! Ich träume nachts von ihr, wie sie den Gefahren ausgesetzt ist, oder wie die Leute von Ela-Ri sie längst...“

„Schluss damit!“, fiel er ihr ins Wort, ungewollt barscher als geplant, und sie hob erschrocken das Gesicht. „Ich spüre den Lebensgeist unserer Tochter irgendwo da draußen, Chitra. Ich weiß, dass sie am Leben ist, ich kann jetzt nicht gehen und sie suchen! Ich trage Verantwortung, Chitra, ich bin es auch dem Rest der Familie schuldig, das beste für alle zu hoffen. Wenn das alles vorüber ist, suchen wir sie! Das verspreche ich dir, Chitra, aber vorher können wir nicht.“

„Sie ist deine Tochter!“, keuchte die Heilerin verstört, „Kannst du wirklich... so ruhig sein, wenn du nichts über ihr Schicksal weißt...?“

„Ich habe viele Kinder, Chitra, ich habe bereits deine Mutter und einige deiner Geschwister verloren, ich weiß sehr gut, wie es sich anfühlt. Aber hier... geht es nicht nur um mich! Hier geht es um das ganze Reich. Was glaubst du, aus welchem Grund Puran seinen eigenen Sohn aufgegeben hat? Er hatte keine Wahl, weil er Verantwortung trägt, sogar noch viel mehr als ich. Glaube mir, Chitra, es ist keine leichte Entscheidung und es ist mir nicht egal, wo Niarih ist! Aber im Augenblick bleibt mir nichts anderes übrig als die Geister zu bitten, sie zu schützen... das solltest du auch tun.“ Er hinkte ein paar Schritte zur Seite und nahm ihre Kleider von einem Sessel, um sie ihr hin zu werfen. „Da, zieh dich an, jetzt. Die Trommeln kommen näher, bevor sie hier sind, solltest du mit den anderen verschwinden.“ Er sah mit Erleichterung, dass sie sich gehorsam fügte und begann, sich anzuziehen. Als sie fertig war und sich erhob, sah sie ihm ins Gesicht und ihre blauen Augen drückten so viel Kummer aus... so viel Angst.

„Vergib... mir, Vater.“, wisperte sie unglücklich und neigte beschämt den Kopf, „Ich bin dir keine gute Tochter gewesen in den letzten Monden. Bitte... komm gesund zu mir zurück... bitte.“ Er seufzte, als sie zu ihm kam und ihn zärtlich umarmte; und er war froh, dass sie ihn auf die Weise umarmte, wie es eine Tochter mit ihrem Vater tun sollte, nicht wie eine Frau, die ihren Mann verabschiedete, wie sie es sonst tat, wenn er im Begriff war, zu gehen. Er wünschte sich, er müsste sie nicht so traurig machen...

„Wenn du keine gute Tochter bist... liegt das daran, dass ich als Vater versagt habe, meine Kleine. Sei tapfer... Vati kommt bald zurück und nimmt dich dann in den Arm.“ Sie musste bitter lachen und er spürte, wie sie zitterte, als sie ihn losließ und sich bebend die Augen wischte.

„Bringst du mir Bonbons mit...?“, schluchzte sie, und er musste ebenfalls grinsen.

„Die roten, die nach Kirsche schmecken. Deine Lieblingsbonbons, Schätzchen. Eine ganze Tüte voll... also sei brav.“
 

Was immer mit Karana geschehen war, Puran hatte es für sich behalten und Sagal, den General und den Soldaten gebeten, es ebenfalls für sich zu behalten. Es wäre nicht gut, wenn Leyya es wüsste... er musste sich auf sie verlassen können, denn ihre Heilfähigkeiten würden an diesem Tag viele Leben retten müssen. Und wenn sie nicht konzentriert war, funktionierte es nicht... und er konnte sich nicht vorstellen, dass sie hart genug wäre, um ihre Arbeit verrichten zu können, während sie fürchtete, dass ihr Sohn tot war. Es fiel ihm selbst schwer... der Herr der Geister klammerte sich an einen winzigen Hoffnungsschimmer in seinem Inneren, dass der Mann von Ela-Ri bloß geblufft hatte, um zu versuchen, sie zum Aufgeben zu zwingen. Er hatte die ganze Nacht versucht, in der Geisterwelt eine Antwort über Karanas Verbleib zu finden, aber die Mächte der Schöpfung hatten ihn eisern angeschwiegen. Er hatte keine Ahnung, ob sein Sohn lebendig oder tot, gefangen oder frei war... alles, was er bei den Geistern gefunden hatte, war Schatten.

Und jetzt blickte er hinauf in den schattigen, düsteren Himmel, unter dem die versammelten Streitmächte aller großen Länder des Reiches jetzt standen und auf die Ankunft der Trommeln warteten. Es schneite und der Wind blies ihnen eiskalt aus dem Osten entgegen. Der Winter war erstaunlich früh erstaunlich kalt geworden in diesem Gebiet... Puran fragte sich benommen, ob das auch zu den seltsamen Katastrophen zählte, die überall auf der Welt aufzutauchen schienen wie Sprösslinge im Frühling. Der Boden unter ihren Füßen war steinhart gefroren und noch von der letzten Konfrontation zerklüftet und uneben. Unter ihnen bebte und grollte die Erde mit den stampfenden Schritten der Gegner, die in weiter Ferne heran kamen. Sie mussten mehr geworden sein, wenn ihre Schritte die Erde so zittern ließen – viele mehr. Wie konnte das sein? Sie hätten reduziert sein müssen... oder sie hatten erstaunlich schnell einen unglaublichen Nachschub an Soldaten aus dem Süden bekommen. Sie selbst waren auch mehr geworden, tröstete der König sich darauf nervös; sie hatten die Truppen von Kisara und Alymja, die Artillerie von Intario, die Reiter von Senjo und die Luftwaffe von Janami. Die Krieger aus Janami waren mächtig, sie waren von allen am diszipliniertesten und auch am gnadenlosesten. Puran erinnerte sich an seinen verstorbenen Freund und Vaterersatz Meoran, der lange dem Militär von Janami gedient hatte; vermutlich war die Armee von Janami die am besten organisierte auf ganz Tharr. Der Mann fragte sich, was mit den Sieben passierte – jetzt, wo Karana und Iana nicht mehr da waren, war vielleicht die ganze Legende für die Katz. Er hatte nicht mehr mit der Seherin oder dem rothaarigen Yarek gesprochen, der sich wohl auch ganz gut auszukennen schien; er konnte nichts weiter tun als zu hoffen, dass die übrigen der Sieben wohlbehalten überleben würden... seine einzige Tochter und sein verbliebener Sohn, der nicht von seinem Blut, aber immerhin im Geiste sein Kind war.

Dann kamen die Gegner über dem Brachland in Sichtweite und Puran verstand, warum ihre Schritte die Erde so erzittern ließen; ungläubig weitete er die Augen bei dem, was sich ihm da eröffnete, und sah alle Schauermärchen über das Reich der Bestienzüchter bestätigt... sie waren wirklich Bestienzüchter.

„Sind das... Nashörner?“, hörte er irgendwo Neron Shai keuchen, „D-das ist nicht deren Ernst!“

„Oh ja, und was für welche.“, sagte Sagal irgendwo anders, „Ein Onkel vierten Grades von mir ist in seinen besten Jahren in Fann von einem Nashorn getötet worden, das Horn ist messerscharf und die Wucht, mit der man von so einem Ruck mit dem Kopf dieses Tieres erwischt wird, ist so gewaltig, dass das Horn einmal quer durch den ganzen Rumpf gejagt wird und hinten wieder heraus schaut. - Ich hoffe, ihr hattet schon gefrühstückt.“

„Verdammt, Sagal!“, jammerte Neron, „Das macht mir Angst!“ Er zeigte nach vorne, „Und das sind doch nicht nur Nashörner, das sind Tiger mit langen Zähnen! Ich dachte, die wären ausgestorben...“

„Und Elefanten...“, stöhnte seine Frau Saja irgendwo weiter hinten, „Ich werd nicht mehr! Die haben sie letztes Mal aber nicht gehabt...“

„Man hebt ja auch das beste für den Schluss auf.“, murmelte Puran vorne und ließ mit einem Zischen das Geisterschwert in seiner rechten Hand erscheinen. Im Stillen dankte er seiner Frau für die widerlichen Knollen, die das Zittern seiner verfluchten linken Hand eindämmten; er brauchte einfach beide Hände. Dieses Mal würde der Bastard kriechen, der den alten König getötet hatte... er wusste, was die tausenden Männer hinter ihm von ihm erwarteten. Er war der Herr der Geister... er war vermutlich der einzige, der eine Konfrontation mit diesem König überleben konnte. Er könnte ihn nicht töten, denn er hatte einst geschworen, nie wieder einen Menschen zu töten, nachdem er im Krieg gegen die Zuyyaner wirklich viele der feindlichen Soldaten erschlagen hatte... aber er konnte ihm Arme und Beine abschlagen und ihm die Augen und die Zunge heraus reißen, bis er keine Bedrohung mehr wäre. Und die Erlösung würde er jemandem anderen überlassen, es gab sicher genug hinter ihm, die im vergangenen Kampf einen Freund, Bruder, Vater oder Sohn verloren hatten, die diese Aufgabe zu gerne übernehmen würden. Er konnte die Gegner jetzt deutlich sehen, vorne an war der Streitwagen des riesigen Königs, der noch verzierter und gefährlicher wirkte als beim letzten Mal. In einer angemessenen Entfernung kam die polternde Armada mit den wilden Bestien zum Stehen; dieses mal kam kein Bote und es gab keine Angebote von Ela-Ri. Puran wusste, dass sie jetzt auf Leben und Tod kämpfen würden... und sie würden nicht aufgeben, bis der letzte von ihnen den Kopf eingebüßt hatte, einschließlich ihrer Nashörner, Säbelzahntiger und Elefanten und was sie sonst noch alles auf Lager haben mochten. Und in Thalurien hatten sie Karana gefürchtet, weil er den Geist seines Hundes Aar angeblich beeinflussen konnte, sodass der Hund seinem Willen folgte... was die Leute in Thalurien wohl zu zahmen Nashörnern, Tigern und Elefanten sagen würden? Aar war nie wirklich von Karana beeinflusst worden, der Hund war ihm einfach treudoof hinterher gelaufen, er hatte Karana aus freiem Willen gehorcht. Puran war sich nicht sicher, ob ein Nashorn ernsthaft freiwillig für Menschen in einer Armee kämpfen konnte; er hatte die riesigen Tiere mit den gewaltigen Hörnern noch nie real gesehen, nur in Bilderbüchern, ebenso die noch größeren Elefanten, deren Stoßzähne so lang waren wie er groß war. Wer unter die gewaltigen Füße eines dieser Tiere geriet, war definitiv nicht nur Geschichte, sondern auch Hundefutter, wenn man ihn danach noch von der Erde abkratzen konnte... wie immer diese Bastarde diese Bestien zu ihren Sklaven gemacht hatten, es war wirklich ein beeindruckender Auftritt... der Mann spürte den Mut seiner Armee hinter sich sinken beim Anblick der Monster. Verdammt, er sollte etwas sagen...

Mit einem Seufzen riss er sein blitzendes Schwert in den Himmel, ehe er die Stimme erhob.

„Männer des Zentrums! Jetzt... ist der Tag gekommen, und die Schatten sind bereits hier! Sie werden nicht weichen, bis wir sie geschlagen haben, also zeigt keine Furcht! Die Geister... von Himmel und Erde werden dieses Land schützen, das sie einst geschaffen haben, genauso wie die Menschen, ihre Kinder, die darauf leben! Möge der Tag noch fern sein, an dem wir alle hier... dereinst mit den Geistern im selben Reich sein werden! Möge der Tag noch fern sein, an dem die Hoffnung stirbt, dieses Land zu verteidigen! Diese Bastarde töteten den letzten König von Kisara, er war ein guter, braver Mann! Ich sage, dieses mal töten wir ihren König! Und am Ende des Tages wird es ihnen leid tun, dass sie sich... mit uns angelegt haben!“ Er hörte, wie die Männer hinter ihm ihre Waffen zogen, während die Gegner sich bereits vorwärts auf sie zu stürzten.

„Tod und Schatten!“, rief der General von Kisara irgendwo und Puran schnappte nach Luft, ehe er das Schwert nach vorne riss und damit das Zeichen zum Angriff gab.

„Tod und Schatten, Männer!“ Und die Soldaten erwiderten mit neuem Kampfgeist den alten Schlachtruf, ehe sie sich gemeinsam voran stürzten, auf die Gegner, das Verderben und die Unsterblichkeit zu.
 

Im Kriegslager war es still geworden, nachdem die Armee aufgebrochen war. Iana lugte vorsichtig durch einen Spalt im Eingang des Zeltes, in dem sie wohnte, an dem Wächter vorbei, der davor stand und nicht zulassen würde, dass sie hinaus kam. Die letzte Nacht hatte sie kaum geschlafen, weil zu viel in ihrem Kopf gewesen war. Jetzt war der Tag gekommen, obwohl es finster war, als hätten die Geister beschlossen, das Tageslicht heute bei sich zu behalten. Ein feiner Schnee rieselte vom Himmel herab auf das leere Lager. Sie war aufgewacht, als sie das Brüllen der wilden Tiere gehört hatte, Geräusche, die sie nicht mal in ihren schlimmsten Albträumen wahrgenommen hatte... was für Bestien es wohl waren, die die Männer mit in die Schlacht genommen hatten?

Eigentlich waren ihr die Bestien egal; es wurde Zeit für sie, von hier weg zu gehen. Sie griff lautlos unter die Matte aus Fellen, auf der sie geschlafen hatte, um die Waffe ihres Vaters hervor zu ziehen, die Karana ihr gebracht hatte. Karana. Sie war verwirrt von seinem Verhalten... sie hatte deutlich gemacht, dass sie ihre Heimat und die anderen nicht verraten würde. Wenn er also wusste, dass sie gegen ihn war, warum brachte er ihr ihre Waffe? Und das war garantiert nicht im Sinne des Königs oder des komischen Blinden, dass sie das Schwert jetzt hatte... entweder war Karana sehr dumm oder sehr klug; sie dachte zum ersten Mal darüber nach, ob er seinen Verrat vielleicht nur vorgetäuscht hatte – ob es irgendetwas gab, das er dadurch erreichen würde. Sie erinnerte sich flüchtig daran, wie für einen winzigen Moment seine Augen wieder anders gewesen waren... wie die Machtgier verschwunden war und wie sie seine Zuversicht gesehen hatte. Es war so kurz gewesen, dass sie gedacht hatte, sie hätte es sich eingebildet... aber je länger sie mit dem Schwert in der Hand da hockte und daran dachte, desto mehr glaubte sie zu wissen, dass es wirklich da gewesen war...

Was sollte sie tun? Auf jeden Fall musste sie hier weg und zurück zu den anderen... dann würde sie sehen, was mit Karana passierte. Und wenn er tatsächlich seine eigene Familie verraten hatte, würde sie ihn töten. Iana erhob sich und verbarg das Schwert hinter ihrem Rücken, als sie durch den Eingang hinaus trat und der Sklave, der sie bewachte, irgendetwas zu ihr sagte, dabei lauernd seinen Speer umklammernd.

Diese Leute fürchten mich aus irgendeinem Grund... sie haben mich nicht angerührt oder haben versucht, mich zu töten. Behalte... Autorität, Akada.

Sie machte ein missmutiges Gesicht und deutete nach rechts, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie sich erleichtern müsste; als er sich schon daran machte, sie gehorsam zu dem Platz zu begleiten, der dafür vorgesehen war, fuhr sie herum und schneller als der Kerl hätte Piep sagen können (hätte er ihre Sprache beherrscht) hatte er das Kurzschwert an der Kehle. Er schnappte nach Luft und ließ augenblicklich den Speer fallen, als Iana ihm boshaft ins Gesicht starrte.

„Rühr... dich nicht vom Fleck, du Missgeburt!“, zischte sie, „Entschuldige, ich will nicht unhöflich sein. Danke für die Gastfreundschaft, aber ich gehe jetzt heim. Wenn du die Klappe hältst, lasse ich dich am Leben... wagst du es, zu schreien, bist du tot.“ Sie fand, dass es wenig Sinn hatte, einem Mann zu drohen, der jetzt nichts verstand von dem, was sie sagte, aber ihre Geste sollte die Drohung deutlich genug machen... und jedes Spatzenhirn würde sich denken können, dass sie ihm sagte, sie würde fliehen. So dachte sie, aber der Sklave erbleichte unter der gebräunten Haut und wimmerte irgendetwas panisches vor sich hin, ehe er rückwärts taumelte und dann laut schrie, um Hilfe zu holen. Iana zischte und wollte schon los rennen, da sah sie aus allen Richtungen andere, übrig gebliebene Sklaven kommen, viele waren bewaffnet, sogar die Frauen hatten Messer aus Knochen und zischten energisch. Iana verdrehte die Augen.

Vergib mir, Mutter Erde, dass ich deine Haut mit dem Blut dieser Widerlinge beschmutzen muss... aber ich kann nicht zulassen, dass Karana mit meinem Lebensgeist davon rennt und damit Unheil anrichtet!

Mit diesen Gedanken sprang sie zurück, als einer der Männer sich mutig auf sie stürzte. Im nächsten Moment hatte das Kurzschwert sauber seine Kehle durchtrennt, worauf der Kerl röchelnd zu Boden ging. Einige Frauen kreischten panisch und die Männer wichen entsetzt rückwärts, als die junge Frau den Kopf wieder hob und sie kalt anblickte.

„So!“, rief sie, „Das habt ihr davon, euch mit mir anzulegen! Wagt es, mir zu folgen oder zu versuchen, mich aufzuhalten, und ihr werdet alle... auf diese Weise sterben! Ihr solltet euch für eure Dummheit schämen, einem solchen König treu zu folgen, der keine Achtung vor euch hat... lauft davon, wenn ihr könnt! Lauft um euer Leben, zurück nach Ela-Ri, und kehrt diesem Reich für immer den Rücken. Dann wird weder euer bestialischer König noch einer von uns euch ein Leid zufügen... ihr dummen Maden!“ Damit spuckte sie angewidert auf die blutige Erde zu ihren Füßen, ehe sie ihre Waffe packte und sich auf den Weg machte. Niemand hielt sie auf; die Sklaven traten fassungslos zurück und machten ihr den Weg frei, während sie ehrfürchtig irgendetwas murmelten, das sie nicht verstand. Sie hätte gerne gewusst, warum sie sie fürchteten... aber um sie das zu fragen hatte sie jetzt keine Zeit. Sie musste sich beeilen... der Weg zur Schlacht hoch war weit.
 

Karana fand sich genial. Das Gefühl der Macht durchfloss seinen Körper und setzte ihn so stark unter Strom, dass er zitterte, während er das triumphierende Grinsen nicht unterdrücken konnte, das in sein Gesicht kroch. Sie hielten ihn für den König – sie erkannten als Erste an, wer er eigentlich war, mit welchem Recht er der größte Herr der Geister aller Zeiten werden würde. Er war ein Sohn der Lyras! Er war ein Nachfahre des Reiches Lyrien, von dem die Alte in Dokahsan erzählt hatte... es war eigentlich ein Jammer, dass sein Großvater es zerschlagen hatte.

Er war verblüfft darüber, was in ihm vorging, als er mit der zweiten Welle an Kriegern gemeinsam mit dem merkwürdigen Seher entfernt vom Schlachtfeld stand und zusah, wie die Bestien und Männer seine eigenen Landsleute unter sich begruben wie Ameisen. Es machte ihn euphorisch... sie würden im Dreck kriechen! Und niemals wieder würde irgendwer an seiner Genialität und Macht zweifeln... dafür würde er sorgen. Sie würden begraben werden unter den Monstern, und er würde sie auslachen. Simu, den Besserwisser, der ja so klug war. Sagal, den Krüppel, der mehr sah als gesund für ihn war, wofür Karana ihn hasste... Neisa, die Hure, die ihm den Rücken gekehrt hatte und stattdessen lieber zu Zoras Derran hielt... er spuckte angewidert auf die Erde bei den Gedanken an sie und stellte noch angewiderter fest, dass die Vorstellung, sie vor sich kniend und um Vergebung flehend zu sehen, ihn sexuell erregte. Oh ja, sie würde ihm nie wieder den Rücken kehren! Und sein Vater... sein Vater, der ihn niemals für voll genommen hatte. Karana zischte und ballte bebend vor der grausamen Macht die Fäuste. Sie würden kriechen und wenn nicht, würden sie sterben! Sie würden sehen, dass er ein Genie war...

Sein Kopf schmerzte heftig, obwohl er versuchte, das Stechen zu ignorieren, wurde es immer heftiger, je länger er da stand und zusah, wie das Gemetzel vor ihnen vonstatten ging. Vor seinen Augen blitzten Bilder auf, die so weit weg zu sein schienen, und dennoch jagten sie ihn und machten ihn wahnsinnig. Er sah Iana... die Frau, die ihm gehören sollte. Er sah die Abscheu in ihren Augen und hörte, wie sie ihn hasserfüllt anschrie...

„Das kann nicht dein Ernst sein! Du verrätst dein eigenes Heimatland, Karana? Das werde ich dir niemals vergeben... niemals.“

Er zischte und fasste nach seinen pochenden Schläfen, weil der Schmerz fast unerträglich wurde. Er spürte, wie der Seher ihn ansah.

„Was denn, kneifst du?“, fragte er Karana mit einem schäbigen Grinsen, „Das wäre schlecht... denn dann müsste ich dich töten.“ Demonstrativ schüttelte er seinen Speer etwas, worauf Karana japsend wieder nach vorne blickte und versuchte, die Schmerzen zu ignorieren. Was sollte das, verdammt? Warum protestierte ein Teil seines Geistes jetzt, wo er endlich soweit gekommen war, seine Macht und Position zu erhalten, die ihm zustand?

Noch nicht. Noch ist es zu früh. Bring sie dichter vor die Stadtmauern... so dicht, dass sie nicht mehr weglaufen können. Dann werden sie knien... die Barbaren aus Ela-Ri. Du willst nicht wirklich deine Familie verraten, Karana... du weißt, dass du es nicht willst.

Er schnaufte – was dachte er da? Das waren nicht seine Gedanken! Das war irgendein Spinner, der versuchte, von seinem Geist Besitz zu ergreifen! Er war der König von Lyrien, verdammt! Wütend fletschte er seine spitzen Eckzähne und versuchte, die drängende Stimme in seinem Inneren in ihre Schranken zu weisen.

Verschwinde aus meinem Kopf, du Heuchler! Das ist meine Macht! Das ist mein Recht! Ich bin der Herr der Geister!

Du bist Herr über gar nichts... nicht einmal über deinen eigenen Geist..., erwiderte die Stimme, und Karana spürte den Zorn in sich hochkochen. Wie konnte dieser Mistkerl es wagen, sowas zu behaupten? Das Rauschen des Blutes in seinem Kopf wurde so laut, dass es die Stimme übertönte, und als die Euphorie und das Gefühl der Macht ihn wieder erfüllten, warf er den Kopf in den Nacken und lachte Himmel und Erde schallend aus.

„Seht ihr?!“, brüllte er und riss die Arme empor, „Ich bin Karana Lyra! Ich bin der Nachfahre der größten Familie von Schamanen! Du hast nachgegeben, du Hurensohn! Haha! Jetzt habe... ich die Macht!“ Er spürte den Schmerz in seinem Kopf brutal zustechen und keuchte, als er fast das Gleichgewicht verloren hätte.

Idiot... nennst deine eigene Frau eine Hure... Kelar.

In dem Moment gab der Blinde neben ihm mit einem Brüllen das Zeichen zum Angriff.

Er würde sie zerschmettern! Er würde keinen dieser Bastarde am leben lassen, und am Ende wäre er allein Herrscher über alles! Er hatte die Macht, Vater Himmel und Mutter Erde an seine Füße zu zwingen, er würde auch Iana auf den Boden zwingen, und Saidah, und Neisa, und seinen großkotzigen Vater, dessen Posten er schon längst inne haben sollte! Die Gedanken machte ihn wahnsinnig und er konnte nicht aufhören, wie ein Irrer zu lachen, als er zusammen mit den anderen Kriegern aus dem Osten hinauf zur Schlacht stürmte, in seinem Kopf nur der bestialische Wille, zu töten. Er wollte sie alle zerfetzen! Er würde den Himmel explodieren und die Erde zerbrechen lassen, wenn er Lust hatte, denn er hatte die Macht, ihnen zu befehlen!

Über ihm grollte der Himmel voller Bosheit, als Karana mitten im Getümmel anhielt, während die Krieger um ihn herum bereits die ersten Widersacher niederschlugen Irgendwo hörte er das Röhren der Nashörner und Elefanten, die mit einem einzigen Schwenk ihrer Köpfe Dutzende Männer in die Luft warfen und an ihren Stoßzähnen und Hörnern aufspießten.

„Sieh mich an! Vater!“, brüllte Karana und riss voller Enthusiasmus die Arme in den düsteren Himmel. Schnee fegte ihm entgegen und pikste ihn ob seiner eisigen Kälte. „Sieh mich an und siehe! Ich habe mehr Macht als du, ja! Ich werde dich... in den Schatten werfen, und niemals wieder wird jemand seinen Sohn nach dir benennen, damit du niemals wiedergeboren wirst! Dafür sorge ich! Geister, kommt in meine Arme! Vernichtet... die Unwürdigen, und lasst keinen am Leben!“ Mit einem mächtigen Donnerschlag fuhr der Wind aus dem Himmel direkt zwischen Karanas Hände und wurde zu einem tosenden, gewaltigen Wirbelsturm, der beinahe den Magier selbst umgerissen hätte. „Sieh mich an... meine Frau!“, zischte er weiter, „Wagst du jemals wieder, zu sagen, ich hätte... diese Macht nicht?! Ich werde dich... zerreißen, Salihah Ekala, Seherin!“
 

Das Donnern ließ die Erde erzittern.

„Karana!“, japste Neisa und sprang von einer plötzlichen Panik ergriffen auf die Beine. Sie sah, wie ihre Mutter und die anderen Heilerinnen sie erschrocken ansahen, dabei nur ganz kurz ihre Arbeit unterbrechend.

„Neisa, träume nicht!“, schrie Leyya sie hysterisch an, „Hier sterben Menschen, wir brauchen jeden einzelnen von uns!“ Neisa wusste das; ihr Herz klopfte so heftig in ihrer Brust, dass sie Angst bekam, es würde explodieren.

„Karana, er ist da, er ist am Leben!“, keuchte sie und taumelte, „Ich weiß es, ich habe es gespürt!“ Aber es war ein komisches Gefühl gewesen... nicht die Freude darüber, dass ihr Bruder lebte, sondern eine kalte, nackte Panik, die tief in ihr schlummerte... ein Teil ihres Geistes, der gewusst hatte, was geschehen würde. Sie sah über den Mauern von Vialla, hinter denen die Heiler bereits voll beschäftigt waren damit, die Sterbenden zu retten, die es schafften, zurück in die Stadt zu gelangen, die Macht der Windgeister, die vom Himmel herab gezogen wurde; war das Karana? War es ihr Vater? Oder der Bestienkönig, der auch Windmagier war? Plötzlich wisperten die Geister in ihrem Kopf und sie taumelte keuchend zur Seite, als sie die Warnungen in ihrem Inneren spüren konnte; Warnungen, die ihre Panik verdoppelten.

„Hüte dich vor dem Monster... vor der Bestie. Lauf, Neisa! Sieh in die Sonne... lauf! Die Bestie wird kommen... und dann ist es zu spät. Lang lebe der König, Neisa.“

Sie rannte los. Sie ignorierte das Rufen ihrer Mutter und der anderen Heiler, sie ignorierte, wie einer sie packte und zurück reißen wollte, als sie vom Boden den Bogen und einen Pfeil aufsammelte, die Waffen eines der Männer, die sie versuchten zu retten. Sie hörte nicht, was die anderen riefen... in ihrem Kopf war nur das Wispern der Geister, in ihrem Geist nur die Panik, die Furcht vor dem, was passieren würde... sie musste sich beeilen! Hinaus aus der Stadt... zu den Männern, die ums Überleben kämpften da draußen. Nach Osten... in die Sonne, die nicht zu sehen war.
 

„Verdammt – war das Neisa?!“, schrie Tayson und duckte sich unter einem angreifenden Kerl hinweg, ehe er herum fuhr und ihn mit seinem Schwert zurück stieß, um ihn mit offener Kehle zu Boden fallen zu lassen. Yarek schnappte hinter ihm nach Luft und sah nach Osten in Richtung des Tores, das in die Stadt führte. Tatsächlich, er sah die helle Kleidung des Mädchens in der Masse verschwinden. Was zum Geier hatte das denn jetzt zu bedeuten?

„Was macht diese Schlampe da?!“, meckerte er darauf, „Sie soll drinnen bleiben, wo sie in Sicherheit ist!“

„Hihi, die Geister der Ahnen treiben witzige Spielchen mit ihnen...“, gackerte Ryanne zu allem Überfluss und der Rothaarige schnaufte, während er zusah, wie die Seherin eine Barriere um sie herum erstellte und somit eine Reihe von Angreifern an dem Schild abprallte.

„Was gibt es da jetzt zu lachen, Ryanne?“

„Neisa hat einen Bogen!“, giggelte die Seherin, „Das ist jetzt aber nicht ihre Urgroßmutter, die mit ihr durchgeht, das ist älter. Passt aber trotzdem...“ Yarek hatte keinen Schimmer, wovon sie sprach; er hatte jetzt keine Zeit dafür, verdammt! Ryanne zeigte nach vorne. „Und siehe... Karana ist auch von den Toten auferstanden! Aber haltet euch fern... er ist jetzt böse. Wir sollten lieber das Nashorn zu Fall bringen!“ Yarek starrte sie an.

„Welches N-...“

„Ein Nashorn!“, schrie Simu in dem Moment von rechts, und der Rothaarige fuhr abermals herum, dabei packte er seine Masamune mit aller Kraft. Aus dem Westen stürmte ein gigantisches Tier auf ihn und die kleine Gruppe der Schicksalskinder zu; die Sieben waren es nicht, im Moment waren es nur die Drei... Simu, Eneela und Thira. Plus Tayson. Der Typ war zwar simpel, aber unkaputtbar, wie Yarek gelernt hatte. Egal, was er machte, Tayson kam einfach immer wieder auf die Beine. Er schlug mit seiner Waffe zwar recht planlos um sich, aber schaffte es dabei tatsächlich, eine Menge Gegner auszuschalten. Er musste ein ziemliches Glück haben.

Der Mann zischte, während sich alle dem brüllenden Nashorn zu wandten.

„Gegen das Vieh können wir mit Nahkampfwaffen nichts ausrichten!“, erklärte er, „Die Haut ist zu dick für Schwerter. Wir bräuchten Speere und eine gewaltige Wurfkraft... oder Magie, um damit fertig zu werden.“ Er sah die drei Frauen an, die bei ihm waren; die einzigen, die der Magie in verschiedener Weise mächtig waren. Eneela war Lianerin... Ryanne konnte versuchen, das Ungeheuer mit Telekinese zurück zu schlagen, und Thira hatte als Zuyyanerin wohl die besten Chancen. „Achtung, es kommt! In Deckung!“, brüllte der Söldner dann, als Ryanne ihre Barriere auflöste und sie alle schreiend zur Seite sprangen. „Eneela! Versuche, eine Lian zu rufen, rasch! Simu, pass auf, dass niemand sie niedertrampelt!“

„Jawohl!“, rief Simu, als das Nashorn brüllend durch sie hindurch rannte, anhielt, sich röhrend umdrehte und mit gesenktem Horn wieder auf die Gruppe zu galoppierte.

„Und Thira, mach es langsamer, wenn du kannst! Wozu ist die Reikyu sonst gut, wenn nicht, um seine Seele zu kontrollieren?!“, fuhr Yarek fort und packte seine Masamune, um nach vorne zu hechten und dem Tier im Vorbeispringen mit dem Schwert ins Hinterbein zu schneiden. Das Nashorn brüllte auf und hielt an, hinkte im Kreis und schnaubte angriffslustig. Die Erde bebte unter den Kameraden und warf sie von den Beinen; nicht jedoch das Tier, das brüllend strauchelte und geifernd herum fuhr, bereits angeschlagen durch die blutende Wunde am Hinterbein. Thira ließ ohne jegliche Emotion ihre Reikyu erscheinen, die Seelenkugel, die jeder Zuyyaner hatte, der zaubern konnte. Yarek hatte größten Respekt vor den unheimlichen Kugeln, die so harmlos und albern aussahen... es waren nur Kugeln. Wie sollte eine Kugel verheerenden Schaden anrichten, hatte er sich als Kind gefragt... aber er hatte in seiner Zeit bei Chenoa vieles gelernt. Unter anderem, dass keine Waffe Tharrs so grausam war wie die Reikyu es sein konnte, wenn man sie gekonnt einsetzte. Die Reikyu ermöglichte es, in den Geist des Gegners einzudringen, ihn zu kontrollieren, sogar seine Erinnerungen komplett zu löschen oder zu verändern. Auf diese Weise machte der Imperator sich die Leute gefügig... er bläute ihnen mit Hilfe von Seelenkontrolle ein, dass sie für das Imperium arbeiten sollten, und wenn ihre eigenen Seelen nicht mächtig genug waren, um dem Eindringling standzuhalten, folgten sie ihm. Chenoa mochte vielleicht die einzige auf Zuyya sein, die der Kontrolle standhielt... was sie noch gefährlicher machte als es der Kaiser war. Yarek war sich sicher, dass er Chenoa nicht zur Feindin haben wollte.

Das Monster hielt an, als Thira es aus ihren roten Augen gebieterisch anstarrte, dabei immer noch die Kugel aus purer, seelischer Macht über ihrer Handfläche schwebend.

„Ein Nashorn ist simpel.“, sagte sie dabei monoton, „Es sieht sehr schlecht, aber es kann gut hören. Ich schalte ihm sein Gehör aus, dann ist es blind und taub. Versuche es dann, Eneela. Aber pass auf den Kopf auf. Er wird herum fahren und orientierungslos mit seinem Horn in der Luft fuchteln. Ich kann ihn nur begrenzt ruhig halten, ich bin noch keine Meistermagierin.“ Yarek sah Eneela nicken und griff selbst die Masamune, während er sich mit Tayson von den beiden Hinterseiten dem Tier näherte, falls es versuchen sollte, nach hinten zu fliehen. Wie Thira gesagt hatte, fuhr der Kopf wild schnaubend empor und Thira zuckte bei dem mächtigen Widerstand gegen ihre Hypnose, während Eneela vor Panik aufschrie, als das Horn sie beinahe aufgespießt hätte. Ryanne verpasste dem ruckenden Kopf einen Schlag mit Telekinese, ohne das Tier zu berühren.

„Unten bleiben, Dickerchen!“, schnaubte sie dabei und das Nashorn brüllte wutentbrannt, ehe es plötzlich mit einer gewaltigen Kraft herum fuhr, den Kopf dabei mit riss und Tayson hinter sich beinahe skalpiert hätte. Der Schwarzhaarige keuchte und stolperte rückwärts, sodass Yarek bereits seine Waffe packte, um dem Kerl zur Hilfe kommen zu können – in dem Moment unterbrach das Rauschen von Wasser sie, als Eneela bebend die Arme nach vorne riss, aus denen das Wasser sprudelte, das sie schon einmal beschworen hatte.

„Weg, Tayson!“, brüllte Yarek, „In Deckung!“ Er hechtete um das Nashorn herum, das wild nach ihm schlug mit dem Horn, während er noch Ryanne packte. Das gewaltige, messerscharfe Horn erwischte ihn am Ärmel, zerriss seinen Mantel und verpasste ihm einen verhältnismäßig harmlosen Kratzer auf dem Oberarm. Er zischte und schlug mit der Masamune nach dem Kopf, erwischte das Tier an der Lippe und hörte das markerschütternde Brüllen, ehe er samt Tayson und Ryanne davon hechtete, als Eneela ihren Fisch mit einer beeindruckenden Wasserwelle über das Tier jagte. Der Druck des Wassers warf das Nashorn auf die Erde und es strampelte und ruckte röhrend mit dem Kopf.

„Töte es, Yolei!“, kreischte Eneela und heulte panisch, während ihre Knie versagten und sie strauchelte, „Ertränke es... vergib uns, Mutter Erde, dass wir den Lebensgeist des Tieres nehmen...“ Die Flutwelle ergoss sich über das Tier und spülte es ein Stück zurück, das Rauschen der Wellen erfüllte das Schlachtfeld, als auch andere Krieger von Ela-Ri von den Wassermassen zu Boden geschmettert und ertränkt wurden; das Nashorn war kräftig, es lebte immer noch und gurgelte unter dem Wasser, es wollte einfach nicht sterben. Yarek schnaufte.

„Thira!“, brüllte er herüber, und die Zuyyanerin ließ die Reikyu verschwinden, ehe sie aus ihrem Gürtel ihre Waffe zog, die bläulich schimmernde Klinge der Kouriha, die sie ohne ein Wort empor riss und mit einem Schwung hinab in Richtung des Nashorns aus der Klinge gewaltige Eissplitter schießen ließ. Die Eiszapfen durchbohrten das Herz des sich wehrenden Tieres und machten seinen Tod kurz und ohne viel Leid. Als es aufhörte, sich zu bewegen, sank Eneela zu Boden und zitterte, während die anderen wachsam wieder herum fuhren, als sich weitere Krieger von allen Seiten auf sie stürzten.

„Verdammt, werden das nie weniger?!“, jammerte Tayson, „Auf in den Kampf, Männer! - Äh, und Frauen. W-was ist mit Neisa, Yarek?!“ Er starrte besorgt nach Osten, wohin die kleine Heilerin vorhin verschwunden war, und Yarek brummte.

„Los, geh ihr nach, rasch. Ich kümmere mich um die anderen hier. Beeile dich und wehe, ihr ist ein Haar gekrümmt!“ So befahl er und Tayson sah zu, dass er weg kam, während Simu Eneela auf die Beine half – vor ihnen bebte die Erde erneut und ein gigantisches Donnern aus dem schwarzen Himmel ließ sie alle nach Süden herum fahren; und erbleichen beim Anblick des Windwirbels, der auf die Erde herab stieß und nur zu dem Zweck gerufen worden war, sie alle in den Himmelsdonner zu jagen. Yarek weitete ungläubig die Augen, als er glaubte, in weiter Ferne Karanas Gestalt erkennen zu können.

„Ist i]er das mit dem Wirbelwind?“, fragte er kalt und Ryanne, die neben ihn kam, kicherte.

„Oh ja. Er ist ein hübscher Mann, oder? Aber halte dich fern, Yarek, schau zu und staune über den Wahnsinn der mächtigsten Geisterkinder.“
 

Die Macht setzte ihn unter Strom. Sie brannte in seinem Geist, hinter seinen Lidern, die er geschlossen hatte, in seiner Kehle, in seinem ganzen Körper. Sie war wie ein mächtiges Feuer, das seinen Leib und seine Seele einnahm, als er den gewaltigen Wirbelwind in seinen Händen hielt und die Kraft des Zaubers ihn beinahe von den Beinen gerissen hätte. Karana spürte den Zorn des Himmel über sich und den der Erde unter seinen Füßen... den Zorn auf jene, die versuchten, sie mit Gewalt in die Knie zu zwingen, die versuchten, das gute Land zu vernichten und zu unterwerfen. Er hatte keine Angst vor dem Zorn der Mächte der Schöpfung! Er war Karana, er war mächtiger als das... er würde sie zerschmettern und dann würde niemals wieder jemand wagen, ihm den Rücken zu kehren! Mit dem Brennen der Macht steigerte sich aber auch der aasige Kopfschmerz, der ihn blendete und jetzt so mächtig wurde, dass er beinahe gestürzt wäre. Ein Licht explodierte in seinem Kopf, als der Schmerz so heftig wurde, dass er stöhnen musste, während er sich mit aller Kraft darum bemühte, den Wind festzuhalten. Er durfte nicht nachgeben! Er durfte der Stimme nicht mehr zuhören, sie machte die Kopfschmerzen! Er wollte kein Gewissen, er brauchte keins! Er war der Herr der Geister... und dennoch kehrte der Schmerz heftiger zurück und machte ihn beinahe wahnsinnig, als er in seinem Inneren gegen sich selbst kämpfen musste – oder gegen einen Teil seines Geistes?

„Beherrsche deinen eigenen Geist, Karana. Wenn du das nicht kannst, wirst du auch kein Geisterjäger.“ Das waren Saidahs Worte... Saidah! Wo war sie...? Er hatte plötzlich Panik, als er um sich herum überall das Brüllen der Schlacht hörte, als überall Männer fielen und Blut spritzte, als Schwerter klirrten und Zauber aller möglichen Elemente die Erde erzittern und den Himmel dröhnen ließen.

Ich... werde... nicht fallen!, schwor er verbiestert, Verschwinde... Geist! Die Macht ist... allein mein, ich teile sie nicht... mit... niemandem!

Er hörte die Stimme wieder, als der Schmerz in seinem Kopf sich anfühlte, als würde er gleich explodieren und ihn töten. Karana schrie und hatte Mühe, den Zauber zu kontrollieren.

Du bist... noch lange kein Herr der Geister. Und große Macht äußert sich anders als durch tödliche Zauber., sagte die Stimme, und Karana stöhnte ermattet, während sein ganzer Körper vor Schmerz brannte und zitterte. Er konnte die Winde, die er gerufen hatte, nicht mehr lange halten... warum zögerte er?

Du bist ein Sohn von Kisara! Das ist dein Land, das sind deine Landsleute, die du hier angreifst! Das ist nicht dein Wille, Karana, das ist der eines alten Geistes, den sie geweckt haben, der nicht dir gehört! Du musst die Kraft haben, ihn zurückzudrängen! Du bist Puran Lyras Sohn, du bist Nachfahre einer großen Familie! Beweise es! Kämpfe dagegen, Karana... dreh dich um. Jetzt.

Er keuchte – er wusste nicht, warum er tat, was die Stimme verlangte. Der Spieß drehte sich um... jetzt war es der Schmerz, der protestierte und sagte, er sollte sie töten, er sollte sie alle vernichten und die Macht an sich reißen... die Stimme, die vom Gegenteil sprach, tat nicht mehr weh. Er sah in den Schatten der Geisterwelt, wie der Windgeist die Hand nach ihm ausstreckte und ihn fröhlich angrinste.

Komm... nimm meine Hand, Karana. Lauf... nicht weg. Du musst jetzt Ela-Ri zerschlagen... irgendwie. Wenn sie nahe genug dran sind. Dann können sie nicht weglaufen und dann werden sie fallen. Vertrau mir!

Was... was soll ich denn tun?! fragte er den Geist panisch, Ich weiß nicht... was ich machen soll!

Beherrsche deinen Geist! Sei eins mit Himmel und Erde, Karana. Das, und nicht das Bringen von Tod und Macht, ist die wahre Aufgabe der Schamanen. Saidah hat es dich doch gelehrt... oder? Gib mir deine Hand. Jetzt!

Er tat es und streckte die Hand nach dem Windgeist aus. Und in dem Moment, in dem er sie ergriff, explodierte der Schmerz mit einem gleißenden Blitzen vor seinen Augen, ehe er den Windwirbel losließ und ihn nach Süden schmetterte, auf die Krieger und Bestien, die noch als Verstärkung kamen.

Fassungslos beobachtete Karana, wie der Wirbelwind eine Schneise in der Erde verursachte und mit einem donnernden Grollen durch die Männer fegte, sie in Stücke riss und empor schleuderte, um sie wieder fallen zu lassen und sie zu zermalmen durch die gewaltige Macht, die entfesselt worden war. Karana spürte das Kribbeln, das jetzt nachließ – er fühlte sich erleichtert, wo er den Druck des Zaubers nicht mehr spüren konnte; und der Kopfschmerz war verschwunden. Ja... so war es gut! Er würde sein Heimatland niemals verraten... er könnte seine Familie nie hintergehen. Und schon gar nicht seinen Vater, den Mann, den er am meisten auf der ganzen Welt verehrte und liebte.

Er spürte, wie jemand hinter ihn trat, und als er sich umdrehte, stand der Seher von Ela-Ri vor ihm. Er musterte ihn einen Moment schweigend, ehe er seinen Speer fest umklammerte und seine milchigen Augen Karana argwöhnisch durchbohrten.

„Das... war die falsche Richtung.“, sagte er scheinheilig, „Du hast die falschen Männer getötet, Sohn des Königs. Dann... lehnst du also die Macht ab, die ich dir versprochen habe, und... stirbst lieber qualvoll.“

„Nein...“, knurrte der Jüngere und hob warnend die Hände, „Du... hast keine Macht über mich, blinder Mann! Komm und töte mich... wenn du kannst! Es wird das Letzte sein, das du tust!“

Der Seher stürzte sich mit dem Speer auf ihn. Karana konnte ihm ausweichen und schleuderte ihm einen Windzauber entgegen, den der Ältere ohne Mühe abfing, ehe er brüllend herumfuhr und abermals mit dem Speer auf ihn einstach. Mit einem Sprung nach hinten riss Karana die Arme empor und der nächste Windzauber traf den Speer des Typen und riss ihn ihm mit einem Schlag aus der Hand. Der Blinde fuhr herum und keuchte, im nächsten Moment schlug Karana ihn mit der bloßen Faust zu Boden und ließ bereits die nächste Katura in seiner Hand entstehen, als er plötzlich selbst von einem Windstoß erfasst und zu Boden geschleudert wurde. Das kleine Windmesser, das der Seher nach ihm geworfen hatte, zerfetzte Karanas Hemd aus Fellen, das er im Kriegslager bekommen hatte, und keuchend landete er auf dem Rücken am Boden, als der Blinde wieder aufsprang und gleich noch einen Zauber nach ihm warf.

„Der Allmächtige... duldet keine Verräter!“, zischte er dabei und Karana schnaubte, rollte sich instinktiv zur Seite und entkam so um Haaresbreite dem Zauber des Mannes, ehe er sich aufrappelte und noch eine Katura nach ihm warf. Doch der Seher sprang mit einem geschickten Sprung nach hinten und griff seinen Speer vom Boden, um ihn wieder zu packen und nach ihm zu schlagen. Er traf Karanas Schulter und der Jüngere schrie, ehe er zu Boden geschleudert wurde und den heißen Schmerz spürte, der sich in Form von Blut über seinen Arm ergoss. Stöhnend fasste er nach der Fleischwunde, die die Klinge des Speers geschaffen hatte, und kam japsend auf die Beine – dem nächsten Windzauber wich er mehr zufällig aus; der Schmerz in seiner Schulter betäubte ihn und war viel zu stark für die kleine Wunde. Die Klinge des Speers musste Zauber oder Gift beinhalten, dachte er sich, als ihm schwindelte und er den nächsten Windzauber des Magiers mit voller Wucht gegen die Brust bekam, was jetzt seine Haut zerriss und ihn mit Wucht zu Boden schleuderte. Karana stöhnte und versuchte, auf die Beine zu kommen, aber was immer seine Wunde so schmerzen ließ, es machte ihm jetzt fast schwarz vor Augen und er keuchte ungehalten, als der Seher plötzlich über ihm stand und mit dem Speer auf sein Herz zielte.

„Ein Jammer... dass dein Leben so früh enden muss... Karana Lyra. Du hast nichts Besseres verdient, Heuchler.“ Und als Karana bereits seinem Tod ins Auge blickte, kam von der Seite plötzlich etwas heran geflogen und traf den Speer des Sehers. Mit einem Krachen zerbarst der ganze Speer bei der Wucht, mit der das unbekannte Flugobjekt ihn getroffen hatte, und Karana kniff japsend die Augen zu, um keine Splitter hinein zu bekommen. Als er sie wieder öffnete, saß der Seher am Boden, zweifellos gleich mit umgeworfen, als der Speer zerbrochen war. Und er starrte mit bleichem Gesicht und weit aufgerissenen, nutzlosen Augen hinauf, während Karana stöhnend versuchte, sich aufzurappeln. Neben ihm in der Erde steckte ein nur allzu bekanntes Kurzschwert – die Waffe, die den Speer vernichtet hatte.

„Iana...?!“, keuchte er benommen, und er hörte die Frau über sich brummen.

„Du bist so nutzlos!“, tadelte sie ihn, „Was kannst du eigentlich alleine, ohne dass ich dich jedes Mal retten muss? Du hohler Vollidiot, du machst echt nur Ärger!“ Er starrte sie an; sie stand direkt vor ihm, und sie hatte nie schöner ausgesehen als in diesem Moment, in dem er die unausgesprochene, unsichtbare Macht in ihrer Haltung sah, diese Macht, die die Männer aus Ela-Ri gefürchtet hatten.

Die Schattenfrau... und Kadhúrem, das Schattenschwert. Es muss wirklich Wille der Geister gewesen sein, dass ich sie getroffen habe...

Und er wusste in diesem Moment, dass er hier richtig war. Nicht an der Seite der Barbaren, sondern auf der Seite von Kisara, von seiner Familie und seiner Frau, Iana. Er liebte sie so sehr in diesem Moment, nur dafür, dass sie lebte, dass er gerne aufgesprungen wäre, sie geküsst und umarmt hätte und ihr die ewige Treue geschworen hätte... Iana hielt ihm ihre Hand hin.

„Steh auf, du Trottel. Du hast mir mein Schwert zurückgebracht... dafür musste ich mich eben revanchieren. Und offenbar hast du immerhin deinen Verstand zurück... Karana.“ Er blinzelte, als sie verlegen lächelte und auch ihr Schwert aufhob, ehe sie den Seher ansah. „Und jetzt bist du dran... alter Mann. Glaube nicht, dass ich Gnade zeigen werde.“

„Nein...“, murmelte der Seher ergeben und hielt ihr bereits unterwürfig die Kehle hin, „Dann haben... meine Visionen mich verraten. Ich träumte von... der Schattenfrau, und dass sie... den Tod bringen würde. Ich habe nicht bemerkt... dass die Geister meinen eigenen Tod gemeint haben.“ Das waren seine letzten Worte, ehe das Schattenschwert seinen Kopf vom Körper trennte.
 

Senator Lyra, der jetzt König war, hatte nicht das Gefühl, gegen den Herrscher des Schattenlandes eine bessere Figur abzugeben als der alte König, obwohl er um einiges größer war als der es gewesen war. Der König von Ela-Ri war dennoch mehr als einen Kopf größer als er selbst, er war sich ziemlich sicher, dass dieser Gigant der größte auf Tharr lebende Mensch sein musste; wie könnte jemand noch größer sein als der?

Er umklammerte bebend seine Waffe, während der riesige Kerl auf ihn herab starrte mit einer Genugtuung und einem Triumph in seiner Mimik, die Puran fast hätte erbrechen lassen, so abscheulich war es. Es würde sich niemand einmischen in die Konfrontation; das war seine Aufgabe. Diesen Riesen zu Fall zu bringen war allein seine Aufgabe, und wenn er scheiterte, wie es sein Vorgänger im Amt getan hatte, wäre die Not groß. Wie sehr er Verantwortung zu hassen gelernt hatte... und trotzdem schaffte er es immer wieder, sich noch mehr davon aufzuhalsen. Er tat es nie absichtlich, aber egal, was geschah, immer lief es darauf hinaus, dass er der Idiot war, der auf alle aufpassen musste... vielleicht hatte er einen übernatürlich ausgeprägten Beschützerinstinkt, der nicht nur seine geliebte Frau und seine Kinder umfasste, sondern noch tausende von Menschen mehr. Wie viele tausend Männer kämpften um ihn herum für das Reich, auf das er jetzt aufpassen sollte? Wie viele dieser Männer vertrauten darauf, dass er diesen Bestienzüchter zu Fall bringen konnte? Die unausgesprochenen Erwartungen machten ihn nervös, fast noch mehr als der Anblick des geschmückten, verzierten Mannes vor ihm, der sich in voller Größe vor ihm aufbäumte und ihn nur anstarrte – ihn allein durch einen Blick seine Macht und seine Überlegenheit spüren ließ. Der Blick wollte ihn in die Knie zwingen, er wollte ihm das Gefühl geben, der Himmel würde auf ihn herab stürzen und ihn unter sich begraben, ihn zerquetschen wie ein lästiges Insekt. Puran Lyra sollte solche Blicke gewöhnt sein... der zuyyanische Imperator, den er einst getötet hatte, bevor Karana geboren worden war, hatte ähnlich geguckt. Und dennoch war er gefallen und seine Macht war am Ende nicht mehr als Staub und Schatten gewesen.

Der Gedanke gab ihm einen winzigen Funken Hoffnung und Vertrauen; es war der einzige Lichtschimmer, an den er sich jetzt klammern konnte, und er musste; andernfalls wäre nicht der Gigant derjenige, der fiele, sondern er selbst. Und er war noch nicht bereit zu sterben, so alt war er nun auch wieder nicht. Und es wäre unverantwortlich, die arme Leyya dermaßen zum Weinen zu bringen; und wie er sie kannte, würde sie weinen, sollte er wirklich fallen. Sie war so jung... er durfte nicht so verantwortungslos sein, sie alleine zu lassen. Da war die Verantwortung schon wieder...

Gebt mir... euren Schutz, Geister von Himmel und Erde... mehr werde ich nicht verlangen. Ich beanspruche keine Macht, ich... bitte euch nur... um euren Schutz. Wir Sterbliche... sind armselige Irre, die sich einbilden, eure Mächte dafür benutzen zu können, sich gegenseitig zu töten. Es sollte das Leben sein, für das... wir die Macht einsetzen, die ihr uns großzügig gewährt... und nicht der Tod.

Er spürte den eiskalten Wind, der ihm ins Gesicht fegte, und beobachtete seinen Gegner, der sich jetzt rührte und seinen Speer kampfbereit in Purans Richtung hob. Er schaltete das Brüllen der Schlacht um sich herum ab und hörte nur noch den Wind, der ihm um die Ohren sauste, und das Wispern der Geister, die darin lebten. Dann atmete er tief die eisige Luft ein, sodass es in seinen Lungen brannte, ehe er den Kopf empor reckte und jede Furcht aus seinem Geist verbannte.

„Komm!“, rief er dann dem gegnerischen König zu, „Du oder ich. Tod und Schatten!“

Die Erde zitterte, als der große König sich mit einem barbarischen Brüllen samt seinem Speer auf ihn stürzte. Puran wusste nicht, ob das Zittern durch die Macht des Typen kam oder noch von den Füßen der Bestien, die durch das Schlachtfeld stürmten und die braven Soldaten reihenweise zerschmetterten. Vielleicht war es auch der Zorn der Erdgeister über das viele, unnötige Blut, das vergossen wurde. Er schnaubte und hechtete zur Seite, um dem Speer auszuweichen, ehe er mit dem Geisterschwert nach seinem Kontrahenten schlug. Der andere König schien nicht erfreut darüber, seinen Gegner so verfehlt zu haben, denn er fuhr wutschnaubend wieder herum und der nächste Schlag des Speers hätte Puran mit voller Wucht aufgespießt, hätte er ihn nicht im letzten Moment mit seiner Waffe abgeblockt, sodass die gewaltige, scharfe Spitze des Speers nur seine Schulter streifte. Der Druck, der auf diesem Schlag lag, war so gewaltig, dass ihm fast die Beine eingeknickt wären, als der Riese sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Speer lehnte und dabei wie ein geiferndes Raubtier die Zähne fletschte. Puran keuchte und spürte den heißen Atem des Kerls, der sich nach vorne beugte, und der faulige Gestank des schattigen Geistes voller Bosheit brachte ihn ins Schwanken.

„Ja, knurre mich nur an wie ein ausgehungerter Köter!“, schnaubte der Mann seinem Gegner entgegen, „Das wird... dir nichts nützen!“ Dann nahm er alle Kraft zusammen, die er aufbringen konnte gegen den mächtigen Körper des Feindes, und stieß ihn und seinen Speer mit einem Schlag seines Schwertes von sich, um zurück zu springen und dem sofort folgenden, nächsten Angriff abermals auszuweichen. Der Feind schrie ihn auf seiner hässlichen Sprache an, aber Puran hatte keinen Schimmer, was er gesagt haben mochte; vermutlich beschimpfte er ihn aufs Übelste, sollte ihm recht sein. Der Speerstoß, der dann folgte, warf ihn von den Beinen, obwohl er nicht ihn selbst, sondern seine Waffe getroffen hatte, die ihm darauf beinahe aus der Hand gefallen wäre. Keuchend rollte der Kleinere sich zur Seite und entging knapp dem nächsten Angriff; Himmel, der war echt schnell... er musste sich beeilen, wieder hoch zu kommen, wenn er nicht wie ein Stück totes Fleisch aufgespießt werden wollte. Aber der Gegner war schneller, Puran Lyra schaffte es gerade eben, sich noch mal herum zu rollen, ehe er in dem Moment, in dem der Kerl brüllend den Speer aus der Erde riss, die er durchstoßen hatte, seine jetzt nicht zitternde linke Hand herum riss und ihm damit eine Katura um die Ohren schlug, die ihn rückwärts stolpern ließ. Den winzigen Moment nutzte der König von Kisara dann, um mit einem Satz aufzuspringen, sein Geisterschwert herum zu reißen und den gigantischen Speer zu erwischen. Mit einem unschönen Geräusch splitterte das Holz des Schaftes und die Waffe zerbrach mit einem Grollen des Himmels.

Der riesige König stand einen kurzen Moment starr und blickte auf den Rest seines zerfetzten Speeres, während sein Gegner keuchend wieder auf den Beinen stand und jetzt das Geisterschwert gen Himmel schwang. Puran beobachtete, wie der Triumph in den Augen des Monsters erlosch; er wich einer gnadenlosen, grollenden Wut, die sich jetzt auf sein verzerrtes Gesicht schlich, und Puran verengte seine grünen Augen zu lauernden Schlitzen, als er den Zorn des Feindes spürte, der sich auf ihn konzentrierte, der nur lebte, um ihn zu zerfleischen. Das war der Moment, in dem er das Gefühl bekam, dass der Bestienherrscher seinen Menschenverstand eingebüßt hatte. Er war jetzt nicht viel mehr als ein wildes Raubtier, eine gefährliche Bestie wie die, die er zu seinen Sklaven gemacht hatte, und genauso dumpf wie seine Sklaven war alles was er im Kopf hatte, ihn zu töten. Mit einem Brüllen, das die Erde erschütterte, warf der Riese den Kopf zurück und rief die Mächte der Schöpfung vom Himmel herab, die Stürme aus dem Schatten, die er beherrschte, bereit, alles zu zerfetzen, was in seine Nähe zu kommen drohte. Puran wusste, wenn er zuließ, dass der Typ so eine Macht heraufbeschwor in seinem Wahn und Zorn, wäre das das Ende. Unter seinen Füßen zerbrach bereits die Erde und ließ ihn schwanken, so sprang er zur Seite und ein Stück vor dem Giganten zurück, der das Gesicht wieder herunter riss und die Arme wüst fluchend in Purans Richtung streckte. Der Kleinere schnappte nach Luft und wich geistesgegenwärtig dem gleißenden Wirbel aus purer, magischer Kraft aus, den der Feind nach ihm schleuderte, ehe er den Gegenangriff wagte und mit dem Schwert, das er trug, das genau wie jeder Zerstörer auch aus nichts anderem als geistiger Macht bestand, nach dem Mann schlug, dessen schwarze Augen ihn benebelt von der Trance der höheren Magie und dem Zorn seines Geistes anstarrten und ihn die schattige, faulige Macht spüren ließen, die der Herrscher inne hatte. Er schleuderte Purans Schwert einen weiteren Windzauber von solcher Intensität entgegen, dass es ein ohrenbetäubendes Dröhnen gab, als beide Zauber aufeinander prallten. Himmel und Erde ergoss sich über Purans Kopf wie ein krachender Abgrund des Todes und warfen ihn zurück zu Boden, wo er hart aufschlug und hustete. Mutter Erde rettete ihm das Leben, als sie in dem Augenblick, in dem das nächste Windmesser auf ihn zu gefegt kam, auseinander brach und ihn in die Tiefe stürzen ließ, sodass der Zauber über ihn hinweg fegte. Er schloss bebend die Augen, während er, ein paar Fuß tief in den Schlund der Erdmutter gesackt, eben jener ehrfürchtig für ihre Hilfe dankte. Und die Mutter Erde erwies sich als seine beste Unterstützung, als sie ihn mit einem grollen aus der Tiefe wieder hinauf ans Tageslicht warf und gleichzeitig unter den Füßen des Gegners auseinander bröckelte, sodass er den Halt verlor und brüllend stürzte. Er stolperte auf dem zerklüfteten, kalten Boden und Puran wusste, dass das vielleicht seine vorerst einzige Chance wäre, ihn zu erwischen, dank der Hilfe von Mutter Erde, deren Geister ihm offenbar gerade sehr wohlgesonnen waren; er dachte kurz an seine eigene Mutter, die Schamanenkönigin Nalani, die große Macht gehabt hatte über die Erdmutter... vielleicht war es auch ihr Geist, der ihm jetzt auf die Beine half, der ihn vorwärts schubste, wie seine Mutter es schon immer getan hatte. Und er riss seine Waffe mit einem Keuchen herum und schleuderte seinerseits die geballte Macht der Geisterwinde mit einem Hieb seines Schwertes auf den Gegner, der sich gerade wieder aufrappelte. Mit einem Krachen aus dem Himmel und einem unschönen, blendenden Blitzen durchschlug das Windmesser dem Feind das rechte Handgelenk.

Das markerschütternde Brüllen des Schmerzes, das der Bestienherrscher ausstieß, erfüllte die eisige Luft im Süden von Vialla. Puran schauderte selbst, behielt das Schwert aber fest in der Hand und schnappte keuchend nach Luft, ehe er einen Blick auf den blutüberströmten Stummel des Unterarms warf, der jetzt noch übrig war. Doch die Schmerzgeister schienen den Mann, der so groß und mächtig war, nur kurz außer Gefecht zu setzen, denn er kämpfte gegen sie an, brüllte und fluchte, ehe er vorwärts stürmte und seine verbliebene Hand empor riss, um einen vernichtenden Geist vom Himmel zu ziehen; Puran riss bereits sein Schwert herum, da schnellte der Kerl mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit frontal auf ihn zu und seine Hand stieß so plötzlich vom Himmel herab auf ihn zu, dass er erst merkte, dass der Kerl ihn an der Kehle packte und locker mit seiner einen Hand von den Beinen riss, als es schon geschehen war. Und er hörte die Flüche und das Reden über Abschaum aus dem Mund des Feindes, der ihn zu sich heran zerrte und ihm wutentbrannt, benebelt vom Schmerz, den er erfolgreich in die Knie zwang, und vom Zorn, ins Gesicht spuckte und dabei die Zähne fletschte. Mit einem gewaltigen Schlag warf er Puran Lyra auf den Erdboden und war dann über ihm, packte mit der Hand seine Kehle und drückte mit einem ungeheuren Zorn zu, bereit, ihn zu erdrosseln als Strafe für die Hand, die er eingebüßt hatte. Senator Lyra konnte nicht atmen, und er strampelte wie ein strangulierter Hase unter dem Kerl am Boden, während aus seiner Kehle nur ein ächzendes Keuchen kam. Er spürte einen grauenhaften Schmerz und das Brennen in seiner Kehle, als der König ihm den Hals zerquetschte, und er war unfähig, überhaupt sein Schwert zu heben ob des gewaltigen Schmerzes, der sich in seinem ganzen Körper ausbreitete und der vor seinen Augen bereits das gleißende Licht tanzen ließ, das man angeblich sehen sollte, bevor man den Tod fand – in dem Augenblick, in dem Puran glaubte, er würde durch eine einzige Hand dieses Kerls erdrosselt werden, ließ der ihn plötzlich los und fuhr schreiend zurück. Der König von Kisara weitete keuchend die Augen, als der Schmerz nachließ, das Licht verschwand und er laut zu husten begann, während der Feind von ihm herunter kippte und schmerzverzerrt brüllte. Er selbst rollte sich röchelnd und hustend zur Seite und hatte das Gefühl, sich gleich die Seele aus dem Leib kotzen zu müssen, ehe er den Kopf hob, um herauszufinden, was eigentlich passiert war.

„Staub und Schatten ist deine Macht, Herr von Ela-Ri, dem Reich der Blutsonne!“, hörte er die scharfe, bekannte Stimme aus einiger Entfernung, „Die Geister folgen nicht jenen, die dem Wahn verfallen, nach der Macht zu hungern!“ Und Senator Lyra traute seinen Augen nicht – denn vor der Mauer von Vialla, in der Hand einen gut gearbeiteten Bogen, stand seine Tochter. Und er stellte mit verblüfftem Entsetzen fest, dass sie eine Frau war... eine erwachsene Frau, kein kleines Mädchen mehr, und sie stand da mit einer solchen Anmut und einer so erwachsenen, reifen Schönheit, wie sie nur eine richtige Frau haben konnte, und er fragte sich, ob das wirklich seine Tochter war, die er dort sah... sein kleines, unschuldiges Mädchen, seine Neisa, die einmal wie ihre Mutter eine große und sanfte Heilerin sein würde... das, was er im Moment vor sich sah, war nicht sanft, sondern hatte die gefährliche, berauschende Macht einer Herrscherin... genau wie der Blick, den sie ihm jetzt schenkte, in dem er nicht den Geist seiner kleinen Tochter erkannte, sondern längst verstorbene Vorfahren seiner Familie.

„N-...Neisa...?!“, keuchte er fassungslos und rappelte sich immer noch hustend auf, während seine Tochter den Bogen plötzlich zitternd fallen ließ – plötzlich war der Moment ihrer Anmut vorüber und sie machte ein erleichtertes Gesicht bei seinem Anblick.

„I-ich habe Stimmen gehört... sie haben nach mir gerufen, ich... ich hatte solche Angst! Sie wollten... d-dass ich komme... Himmel sei Dank bist du am leben, Vati...!“ Er keuchte und fasste verwirrt und beunruhigt nach seinem brennenden Hals und den Blutergüssen, die er dem Kerl und seiner einen Hand zu verdanken hatte, während seine Lungen sich langsam wieder mit Luft füllten. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr und mehr instinktiv fuhr er alarmiert herum, um zu sehen, wie der zornige König mit einem Brüllen den Pfeil aus seinem Rücken riss, den Neisa auf ihn geschossen hatte, um dann mit der Hand in Richtung des Mädchens herum zu wirbeln und einen weiteren, vom Himmel gezerrten Windstoß auf sie zu schleudern. Puran Lyra weitete in Panik die Augen und alles, was in seinem Kopf war, war der Tag, an dem der König starb – der Tag, an dem er zu spät gewesen war, um jenen zu helfen, die er gern hatte. Er wusste nicht, wie er es geschafft hatte, aber dieses Mal war er schnell genug. Mit einem einzigen, brutalen Schlag stieß er das Mädchen zu Boden und riss mit einer Hand sein Schwert empor, um es direkt in den Windzauber zu halten, der krachend zerbrach an der glühenden Klinge. Neisa schrie, als sie zu Boden stürzte, und er bemühte sich, nicht auf sie zu fallen, als er ebenfalls den Halt verlor und schließlich vom Rückschlag der Macht, die sich in beiden gegnerischen Zaubern vereinte, zu Boden geschleudert wurde. Er stieß sich irgendwo den Kopf und für einen Moment war ihm schwarz vor Augen, dann blendete ihn das gleißende Licht eines grauenhaften Schmerzes so sehr, dass er schrie. Er wusste nicht, wo er war, er wollte sich aufsetzen und seine Tochter beschützen, sein kleines Mädchen – er wollte sie anschreien, zu verschwinden, aber er konnte nicht sehen, er konnte nicht mal denken; da war nur der betäubende Schmerz, der ihn gemeinsam mit einem Schwindelgefühl daran hinderte, wieder aufzustehen. Er fasste nach seinem Kopf und fühlte Blut in seinen Haaren – war das sein Blut? Ja, da war irgendwo ein Riss in seinem Kopf, oder nicht? Es fühlte sich komisch an und plötzlich bekam er Panik, ihm könnte das Gehirn aus dem Kopf fallen, und er presste schreiend die Hand auf die klaffende Wunde, während seine benebelten Augen in dem Chaos aus Schmerzen und blutiger Erde nach Neisa suchten – dann hörte er ihre Stimme. Sie heulte.

„Vati! Um Himmels Willen, Vati, halt durch! Oh scheiße... d-dein Kopf... lass los, schnell!“ Er hatte keine Ahnung, warum sie weinte, und er sah nicht ein, die Wunde loszulassen, so wehrte er sich keuchend gegen ihre Finger, die versuchten, seine Hand von der blutenden Wunde zu lösen.

„Hau ab!“, brachte er dann hervor, „Schnell, er wird dich umbringen!“ Er keuchte und schloss bebend die Augen, als der Schmerz ihm fast das Bewusstsein raubte – dann riss er sie wieder auf, als er in der Ferne einen lauten Schrei vernahm, der nicht wie das Kreischen eines Sterbenden klang, sondern wie ein zuversichtlicher Schlachtruf, der keine Gnade kannte. Die anderen Krieger... wie viele wohl noch am leben waren? Irgendetwas schien sie gerade neue Hoffnung schöpfen zu lassen...? Er fühlte die Übelkeit in sich aufsteigen und krümmte sich stöhnend, als Neisa ihn anschrie, er solle die Hand von seinem Kopf nehmen. Ihre Stimme überschlug sich in blinder Panik, während sie heulte und ihn anschrie.

„Du krepierst, wenn ich das nicht sofort heile, du Idiot! Bitte, verdammt noch mal, lass endlich los!“ Dann brach sie das Geheule abrupt ab in dem Moment, in dem ihr Vater seine Augen wieder aufriss und für einen winzigen Moment die drohende Ohnmacht niederzwang, die versuchte, seines Geistes habhaft zu werden. Vor ihnen beiden stand der König von Ela-Ri, und er schnaubte wie ein wütender Büffel, als er hasserfüllt auf sie beide herab starrte. Puran Lyra erkannte verblüfft, dass sein Oberkörper plötzlich zerfetzt war von tausenden, tiefen Schnitten; er musste den Rückstoß des Windzaubers härter abbekommen haben als er selbst. Und jetzt hob er fluchend und brüllend die Hände empor, um seinen Gegner und seine erbleichende Tochter ein für alle Mal zu erledigen – in dem Moment, dem letzten, in dem Senator Lyra noch einen klaren Gedanken fassen konnte, sah er plötzlich den Blitz, der vom Himmel herab fuhr und statt ihm und Neisa den König traf, ihn zurück schleuderte und sie beide außer Gefahr brachte. Das Letzte, was er wahrnahm, ehe er sich dem Schwindel und der Bewusstlosigkeit hingab, war Saidahs Hellebarde von Yamir.
 

Neisa verbat sich, zu heulen – obwohl sie jetzt am liebsten geheult hätte, und nie im Leben war sie glücklicher gewesen, Zoras Derran zu sehen, als in diesem Moment, in dem er plötzlich vor ihr stand, in seiner Hand die gigantische Hellebarde und in seinem Gesicht die pure Autorität eines Geisterjägers – er war zurückgekehrt! Und er war mächtig... sie wäre beinahe selbst ohnmächtig geworden vor Erleichterung, und in ihr Gesicht kroch ein euphorisches Strahlen, als sie in Zoras' Gesicht sah.

„Du bist hier...“, wisperte sie, „D-du hast... du hast Vati und mir das Leben gerettet...“

„Jetzt kümmere dich um seinen aufgeplatzten Kopf, sonst war es das mit deinem Vater!“, rief er ihr zu, „Den großkotzigen Mistkäfer übernehme ich! Und wenn ich Tayson erwische, spieße ich ihn auf, weil er darin versagt hat, dich zu beschützen, dieser Vollidiot... ich hätte dich nie mit dem alleine lassen sollen! Verdammt!“

Neisa wimmerte vor Freude über seine Anwesenheit, aber sie verlor keine weitere Zeit, jetzt endlich ihres Vaters Kopf zu betasten und die Wunde zu schließen, damit er nicht noch mehr Blut verlor; wenn er innere Verletzungen hatte, müsste das ihre Mutter übernehmen, sie war noch nicht stark genug dafür... sie konnte nur provisorisch tun, was in ihrer Macht stand. Als sie die Wunde geschlossen hatte, hob sie den Kopf und sah zum ersten mal die Barbaren aus Ostfann, die sich aus dem Osten kommend wie eine Flutwelle über die Angreifer von Ela-Ri ergossen. Sie bekamen immer mehr Hilfe aus der ganzen Welt! Neisa schöpfte neue Hoffnung, während sie mit dem Kopf ihres bewusstlosen Vaters auf dem Schoß auf der blutigen, zermürbten Erde saß und den Geistern dafür dankte, am Leben zu sein... dann richtete sich ihr Blick auf Zoras, dem gegenüber jetzt der riesige König stand; nach dem Blitz, der ihn getroffen hatte, sah er wirklich nicht mehr sehr gut aus. Und sie war verblüfft, als sie in seinen Augen nicht nur den Zorn und den Wahnsinn bemerkte, als er auf den so kleinen und im Vergleich mit ihm schmächtigen Zoras herab stierte, sondern Furcht. Und plötzlich erinnerte sie sich an die Worte der Seherin:

„Zoras... ist der Seelenfänger.“

Sie schauderte, als sie sah, wie der kleine Magier die Arme in den Himmel riss, dabei den Stab der Waffe festhaltend, in die darauf mit einem Krachen aus dem Himmel ein weiterer Blitz schlug. Sie hatte nie etwas so beeindruckendes gesehen... der Anblick betörte sie und ihr entwich ein fasziniertes Keuchen, als sie die Macht spüren konnte, die Zoras inne hatte... die Macht des Seelenfängers! Die Macht des Todes, eines mächtigen Geistes, der fähig war, die Seelen der Lebenden zu rauben, einzufangen und in die Geisterwelt zu bringen... oder sie zu zerschmettern, wenn sie es nicht wert waren. Erfüllt von einer plötzlichen Euphorie schrie sie auf und umklammerte dabei die Schultern ihres Vaters.

„Bring ihn um, Zoras!“, zischte sie mit dem Gift einer Schlange auf ihrer Zunge, und sie wunderte sich über ihre Bestialität, „Zerfetze ihn, er ist... es nicht wert, diese... Made!“ Und sie spürte die Erde beben, auf der sie saß, und hielt andächtig die Luft an, als der Himmel über ihr grollte und die Blitze aus den schwarzen Wolken zuckten. Sie hörte Zoras, wie er die Mächte der Schöpfung rief und ihnen befahl, ihm zu folgen. Er rief die Schatten aus der Finsternis zu sich, die Mächte von Tod und Verderben, und Neisa konnte nur da sitzen und ihn anstarren – und sie wusste plötzlich, dass er perfekt war. Er war ein bildschöner Mann, während er im Feuer seiner eigenen Macht da stand, Kopf und Arme ehrerbietig erhoben und mit der Stimme eines erwachsenen Mannes hinauf zum Himmel brüllend; und es war eine andere Macht als die, die Karana hatte. Nie zuvor hatte sie den kleinen Mann aus Holia so bewundert wie in diesem Augenblick... „Zoras...!“, sprach sie voller Sehnsucht und Andacht seinen Namen aus, „Zerfetze diesen Bastard!“

Und er gehorchte ihr.

„Geister der Schattenvögel!“, brüllte er in den schwarzen Himmel hinauf, „Dann kommt und nehmt euch meine Seele, die ich euch versprochen habe! Und dafür... kriege ich euren Schatten und eure Macht! Ich bin jetzt der König der vereinten Stämme der Steppe von Fann! Auf meinem Kopf thront der Schädel, der es beweist, so bin ich... der Herr über Tod und Schatten!“ Neisa sah fasziniert zu, wie der feindliche König einen zornigen Versuch startete, seinen viel kleineren und viel mächtigeren Gegner zu erschlagen; doch der Windzauber, den der Kerl nach Zoras warf, zerschmetterte an der Macht der Hellebarde, die Zoras in dem Moment herunter riss, in dem sich die Schwärze des Himmels verdunkelte, bevor der Schatten in Form von Millionen von Geistervögeln vom Himmel herab stürzte und gemeinsam mit dem Blitz den König traf. Und der Herr über das Reich der Bestien versank in den Schatten, die über ihn herfielen wie hungrige Aasfresser, während der Riese schreiend zu Boden ging, erschlagen von der Macht der Schatten, über die er selbst Herr sein wollte. Und als der Schatten verschwunden war, kniete der König am Boden und war damit jetzt etwa auf Zoras' Augenhöhe. Es war erstaunlich, dass er immer noch lebte, obwohl sein Körper nicht viel mehr als ein Haufen blutiger Fetzen war, gebraten vom Blitz und zerfressen von der Macht der Schattenvögel. Zoras schnaubte, als er den Kerl am Haarschopf packte, oder an dem, was davon übrig war, und ihn damit zwang, aufrecht zu bleiben. Seine letzten Worte zum Herr von Ela-Ri waren ohne jedes Erbarmen gesprochen.

„Ich habe... von dir geträumt. Wie war das gleich? Lang... lebe der König. Dein Reich ist gefallen... nur Staub wird übrig bleiben.“

Dann durchschlug die Klinge der Hellebarde ohne weiteres Zögern den Hals des Mannes.
 

Neisa hielt noch immer den Atem an, während sie auf das starrte, was vor ihr geschah – auf das Bild des mächtigen Gegners, der gefallen war... der nie wieder Schaden anrichten würde. Vorsichtig legte sie ihren bewusstlosen Vater auf die Erde und kam zitternd auf die Beine. Der Wind hatte plötzlich nachgelassen; stumm fiel der Schnee aus dem grollenden, schwarzen Himmel auf sie herab, während sie nur Augen für Zoras hatte, der seine Waffe heftig atmend sinken ließ und noch immer am ganzen Körper bebte ob der vorangegangenen Anspannung, die beim Zaubern aufkam. Irgendwo hörte sie die ersten Männer von Ela-Ri, die die Kunde zu verbreiten schienen, dass der König gefallen war, und im Südwesten brach Chaos aus, aber Neisa bemerkte es kaum.

„Du hast ihn erschlagen...“, keuchte sie nur tonlos, doch durch das Getöse der immer noch währenden Schlacht um sie herum ging ihre Stimme im Lärm unter, als Zoras den Kopf in ihre Richtung drehte. Seine schmalen, dämonischen Augen fixierten sie, als sich ihr Gesicht in einer Mischung aus Euphorie, Erleichterung, Furcht und Verehrung verzerrte, und sie sah ihn heftig nach Luft schnappen und seine rechte Hand verkrampft den Stab der Hellebarde umklammern, an deren Klinge das dunkle Blut des Monsters klebte. „Du bist zurückgekehrt... ich... wusste, du würdest zurückkommen!“, wisperte Neisa dann und aus einem Grund, den sie nicht kannte, kamen ihr plötzlich die Tränen. Sie hob schluchzend die Hände an ihr Gesicht und spürte die heiße Flüssigkeit, die aus ihren Augen über ihre schmutzigen Wangen rann. „Du... hast die guten Geister zurück zu uns gebracht, Zoras... dein Zauber muss... wahrlich mächtig sein...“

„Ach, du dämliches Mädchen!“, seufzte er, als er sich ganz zu ihr drehte in dem Moment, in dem sie taumelnd auf ihn zu kam, und er machte drei große Schritte und war dann direkt vor ihr, sodass sie gegen seine Brust kippte und sich keuchend an ihn klammerte – sie wusste nicht einmal, warum sie so froh war, ihn zu sehen... und was in ihr es war, das ihr versicherte, dass sie sich nicht über jeden anderen beliebigen genauso gefreut hätte. Er linste nach Westen, als er ihr Gesicht von seiner Brust zog und ihr einen verblüffenden Blick schenkte, der sie erneut die Luft anhalten ließ – sie hatte so einen Blick noch nie in seinem Gesicht gesehen. Es war nicht der eines bockigen Kindes oder eines arroganten Kriegers, es war nur der Blick eines Mannes... eines hübschen Mannes. „Du hättest nie auf das Schlachtfeld kommen dürfen, dumme Neisa.“, sagte er ernst zu ihr, „Du wolltest doch nicht ernsthaft die Welt für mich retten?“ Sie konnte nur in sein Gesicht starren und lächelte verzerrt, als sie sich an ihr Versprechen erinnerte.

„Das tue ich noch... nächstes Mal dann.“ Er zeigte ihr ein kurzes, flüchtiges Grinsen triumphierender Natur, das sie verblüffte – aber nicht so sehr wie das, was er dann tat, als er ihr Kinn erneut ergriff, es hochzog und sie mit einer Leidenschaft küsste, die ihr den Atem glatt wieder verschlug. Und sie konnte nur starr stehen und am Rande wahrnehmen, wie er sie innig küsste und wie angenehm es sich anfühlte... dann war es auch schon wieder vorbei und sie stolperte hustend rückwärts, während ihr Gesicht errötete und Zoras mit einer ausschweifenden Armbewegung seine Waffe nach Westen streckte. Neisa erkannte erst jetzt, warum, als sie Tayson sah, der von Westen in ihre Richtung gelaufen kam. Lieber Himmel, hatte der das gesehen?! Der Gedanke trieb Neisa die Schamesröte ins Gesicht und sie taumelte, als Tayson näher kam und einen entsetzlichen Eindruck machte. Zoras hielt ihm warnend seine Waffe entgegen.

„Jetzt pack mich nicht an, Tay-Tay.“, schnaufte er, „Das war die Rache dafür, dass du nicht rechtzeitig hier warst, um sie zu beschützen, wie du doch so großkotzig behauptet hast es tun zu wollen! Du solltest mir dankbar sein, dass ich deine Braut gerettet habe, obwohl es mir nicht mal etwas bringt... da war das ja wohl angebracht.“

„Moment mal!“, empörte Tayson sich, „I-ich war doch schon auf dem Weg! Als ich kam, war der König schon erledigt!“

„Ja, weil ich schneller hier war als du, Verlierer. Pass besser auf sie auf, ansonsten verdienst du sie nicht.“ Neisa weitete ungläubig die Augen, als sie Zoras so etwas sagen hörte, und er schulterte seine Hellebarde und verengte die Augen. „Ich verabscheue Männer, die es nicht fertig bringen, ihre Frau selbst zu beschützen... mein Vater hat meine Mutter einfach zu oft im Stich gelassen. Also lass es dir gesagt sein, Tay-Tay.“ Tayson schnaubte abermals und griff nach Neisas Hand.

„Entschuldige, dass ich nicht wie ihr Magier Instinkte habe, die mich genau zur rechten Zeit an den richtigen Ort bringen, ich muss da leider selber denken, um das zu können, und ich werde mein Bestes geben, verlasse dich darauf, Kurzhöschen.“ Zoras feixte.

„Was denn, keine Instinkte? Na ja, vielleicht bist du dann eben nicht der Richtige, um auf die kleine Prinzessin aufzupassen.“ Neisa wollte sich gerade einmischen, aber das erübrigte sich; jetzt brach das Chaos in der Schlacht aus und sie sah mit Verblüffung, wie die Horde der Barbaren von Süden her weiter zusammen getrieben wurde wie fliehendes Vieh. Im Schneegestöber erkannte sie in der Ferne irgendwo fremdländische Banner und ehe sie sich wundern konnte, hatte Zoras neben ihr die Sache bereits erfasst. „Ah, so ein Glück, Chenoa hat ihr Wort auch gehalten, diese verdammte Frau. Da sind die Truppen aus Tejal. Und wenn ich Chenoa erwische, mache ich sie einen Kopf kürzer dafür, dass sie mich nicht vorgewarnt hat, dass ich-... ach... komische Dinge tun musste in Fann.“

Der Tag, an dem Ela-Ri fiel, war ein Tag des Schnees. Und als wollte er all die Toten verbergen, die dieser Tag eingefordert hatte, legte sich der Schnee wie eine weiße Decke über das Schlachtfeld, damit das gefrorene Blut auf Mutter Erdes Haut weg zu waschen versuchend. Der Winter war gekommen... und mit ihm nahte das Ende der Welt.
 


 


 

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Booyah. Nieder mit Ela-Ri. Zoras hatte jetzt nen poser-Auftritt, Ausnahmezustand, Puran, äh, revanchiert sich noch, lol. XD



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Izumi-
2011-06-04T11:51:35+00:00 04.06.2011 13:51
Das epische Endkampf-Blocksatz-oh Gott, es ist so kompliziert wie Harry Potter!-Kapitel of doom, yeah! XD
Okay, die Einleitung beinhaltet quasi (fast) alle Kritik, jetzt zum schönen Teil (oder auch nicht *runterguck*).
Ach ne, ich hab noch etwas: Ich hätte mir mehr Karana gewünscht, war aber so auch okay, es war lang genug.
Insgesamt haben die Lyras ja eher gefailt, Karana musste sich (mal wieder) von Iana retten lassen, und Puran von Neisa und Zoras, das ist irgendwie bitter.
Sehr gut gefallen hat mir, dass auch auf die anderen Mal eingegangen wurde, was bei vorangegangenen Kämpfen ja wenn, dann nur random passiert ist; vor allen Dingen, dass auch Thira mal aktiv etwas gemacht hat.
Was mich allerdings irritiert ist, dass sie die Schicksalkinder in die Schlacht schicken, obwohl sie doch wichtig sind; ich meine, sogar die Frauen, dabei sind die doch alle so bedeutsam? oô
Und, am wichtigsten, hat Ram mitgemacht? Ich kann es mir nicht vorstellen, andererseits wäre es behindert, wenn nicht, ich meine, was ist das für ein Spacko, der auf die Kosten seines größten Feindes lebt und dann nicht einmal für sein Land sterben will? XD
Okay, das war nicht wirklich wichtig jetzt, weiter im Text, wo waren wir? Ach ja, die Nashorn-Szene. Ich möchte erwähnen, dass ich auch geweint hötte, wenn ich so eines hätte töten müssen. XD
Karana war sehr interessant, um mal wieder auf den zurück zu kommen. Er war ja so unglaublich schizo, ich kann sehr gut verstehen, weshalb der solche Kopfschmerzen hatte. Teilweise war es echt verwirrend überhaupt durchzublicken, wer ihn jetzt gerade wie in den Wahnsinn treibt, letztendlich hat aber jede Partei ihres getan, haha. XD
Purans Kampf war letztendlich irgendwie wie schon einmal gesagt mehr fail, ich weiß nicht, ich bin mehr von ihm gewohnt, vielleicht hat es mir aber auch deshalb so gut gefallen... es gefiel mir nämlich sehr, auch wenn ich dauernd dachte, "verdämmt, gleich weint er weil Puran!". Hat er dann aber nicht, er hat anders gefailt. XD
Dann kam Etenia. Eigentlich wusste ich schon, dass sie es war, als Neisa diesen Bogen aufgehoben hat... ich meine, klar. Und sie hat auch so gepost, ganz stilecht, im Gegensatz zu ihrem Vater...
Vielleicht sollte ich aufhören, Puran zu dissen.
Jedenfalls kam dann Zoras und der hat uns dann gezeigt, was einen Mann ausmacht! Jedenfalls nicht Körpergröße und dann gab es Barbarenkönig gegrillt.
Auch wenn ich ja mehr auf Zoras und Sora zusammenstehe, hat mir der Kuss natürlich sehr gefallen, irgendwie auch die Szene danach mit Tayson, aber ich habe die ganze Zeit gedacht - Verdammt, die daddeln herum, während Puran ganz allein bewusstlos herum liegt und jederzeit irgendein Depp kommen und ihn erstechen könnte! XD
Das war etwas fail von denen, aber na ja, hatte Unterhaltungswert. XDDD
Und jetzt bin ich gespannt auf das letzte Kapitel. oô


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