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Die Chroniken von Khad-Arza - Das Blut der sterbenden Welten

Erstes Buch
von

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Schattengeist

Karana erwachte mit einer brennenden Hitze in seinem Inneren und war zu benommen, um festzustellen, wo er war. Er hatte keine Ahnung, wie lange er weg gewesen war; um ihn herum war es dämmrig und er lag auf dem Rücken. Sein Kopf schmerzte höllisch, als er versuchte, die Augen zu öffnen, so schloss er sie mit einem Keuchen wieder und lauschte den fremden, dumpfen Stimmen, die ihn umgaben. Geisterstimmen... er hörte, wie sie zu ihm sprachen, obwohl er Schwierigkeiten hatte, sie zu verstehen. Die Windgeister streiften seine Haut und berührten ihn, ihre dünnen Finger strichen seine Brust hinab und andere fuhren ihm in die Hose. Er stöhnte, als das Brennen in seinem Inneren heftiger wurde. So viele Hände, die nach ihm angelten... die Geister waren unersättlich und er war es auch.

Saidah... er dachte voller Verlangen an die Frau und vergaß für den Moment, dass sie ihm den Rücken gekehrt hatte in Vialla. Jetzt war sie da, er spürte es genau, und ihre Stimme flüsterte ihm seltsame Worte ins Ohr. Ihre Finger berührten und stimulierten ihn und er wand sich keuchend unter ihren sanften Berührungen; sie reichten ihm nicht, er wollte mehr... er wollte sie ganz, er wollte sie für sich, und zwar für immer.

In seine Gedanken mischte sich das Gesicht einer anderen Frau; er erkannte Ianas hübsches, blasses Gesicht vor seinen inneren Augen, und verblüfft stellte er fest, dass er sie auch wollte... er wollte sie beide, Saidah und Iana, weil sie fähig waren, ihm das zu geben, was er verlangte... keine andere Frau, die er in seiner Heimat gehabt hatte, hatte ihm dasselbe Feuer geben können, nicht einmal Niarih, obwohl sie dicht dran gewesen war. Die Gedanken an Saidah und Iana, die jetzt beide bei ihm waren, erregten ihn, und er lehnte stöhnend den Kopf zurück, als er spürte, wie sie ihn in sanfter Intensität stimulierten und wie ihre Finger ihn umschlossen und bearbeiteten. Das war ein Traum... Saidah und Iana würden nie beide zugleich bei ihm liegen. Aber es war ein guter Traum, und er wollte sich nie wieder davon losreißen. Seine Kehle brannte, als hätte er zu viel scharfen Alkohol zu sich genommen, und die Welt drehte sich in schillernden Farben um ihn herum, als er flatternd die Augen öffnete und sich seinem Traum hinzugeben versuchte, der über ihm war und sich bewegte. Die Frauen, die ihn mit geschickten Berührungen erregten, waren weder Saidah noch Iana; jetzt, wo seine Augen offen waren, hatte er keine Ahnung, wer sie eigentlich waren – wo war er noch gleich? Es war egal, sie befriedigten ihn und es war gut... irgendeine Frau kniete nackt über seinem Bauch und kreiste mit den Hüften, gewährte ihm Einblicke, die ihm die Schamesröte ins Gesicht trieben; weiter hinten hockten noch mehr, die ihn berührten, die seine Schenkel streichelten und ihn unter ihren langen, krallenartigen Fingernägeln schaudern ließen vor Erregung. Ihm war schwindelig und in seinem Kopf rauschte das Blut, als er abermals keuchte und spürte, wie ihn eine der nackten Frauen mit der Zunge berührte. Ihm kam in den Sinn, dass das hier falsch war – er kannte die Tussen doch überhaupt nicht, wie konnte er sich ihnen so schamlos hingeben? Wo war er, verdammt? Aber ihre Berührungen und die Nackte über ihm, die den Kopf in den Nacken warf, während sie weiter ihre Hüften bewegte und sich vor seinen Augen mit den Fingern selbst berührte, ließen alle Zweifel in ihm verschwinden. Vielleicht war er tot und die Geisterfrauen im Reich des Himmelsdonners gaben ihm ungefragt die brennende Erfüllung, weil sie genau wussten, dass er gerade danach verlangte... also, so war der Tod etwas angenehmes, musste er sich eingestehen. Und er hielt sich nicht zurück, seine Begierde zu zeigen, als er zusah, wie die Fremde über ihm sich selbst berührte und ihn der Anblick vor Verlangen rasend machte. Er spürte, wie die andere weiter unten ihn in den Mund nahm und ihn auf eine Weise befriedigte, wie er es schon lange nicht mehr erlebt hatte; und es war gut, es entfachte das Feuer und ließ ihn in der Ekstase erzittern, bis er sich unruhig zu winden begann und danach verlangte, es richtig zu tun. Obwohl die Geisterfrauen mit der gebräunten Haut, die nichts trugen außer goldenem, schwerem Schmuck an allen unmöglichen Stellen ihres Körpers, in einer seltsamen Sprache zu ihm redeten, verstanden sie ihn, und seine Lenden erfüllte eine drückende Hitze, als die eine, die ihn gerade noch mit dem Mund liebkost hatte, sich auf ihn setzte und er tief in das weiche, heiße Fleisch eindrang. Er hob ungeduldig die Hände und berührte die andere Tussi, die über ihm kniete, er zog ihre Finger zwischen ihren Schenkeln weg und ersetzte sie mit seinen eigenen, um sie selbst zu berühren, worauf sie über ihm stöhnte und er sah, wie ihre runden Hüften erzitterten. Sie gab sich ihm hin und er sich der zweiten Frau, während die dritte jetzt auf seinem einen Bein saß und sich gegen ihn rieb, sodass er sie auf seiner Haut spüren konnte. Himmel, er wollte tot bleiben; er wollte garantiert nie wieder zurück in die Welt der Lebenden, wenn er jetzt bis in alle Ewigkeit so etwas haben konnte. Der Gedanke erfüllte ihn mit Macht... er mochte Macht, sie ließ ihn vor Erregung noch mehr anschwellen und gab ihm neues Feuer, als er sich keuchend bewegte und die eine nahm, die auf ihm tanzte, so lange, bis das Feuer in seinem Inneren explodierte und die schmerzende Hitze ihn verbrannte. Mit einem leisen Stöhnen ejakulierte er, während er noch die andere berührte, und er hatte das Gefühl, er würde gar nicht mehr aufhören zu kommen, so sehr zitterte er in der Ekstase, die ihn ergriff und forttrug...

Dann sprachen die Geister zu ihm, und sie sprachen in seinem Kopf und auf seiner Sprache.

Bald kommt das Ende der Welt, Karana... mach die Augen auf. Du bist nicht tot...

Er öffnete keuchend und von einer so tiefen Befriedigung erfüllt die Augen, dass er zunächst nur bunte Farben wahrnahm; als er endlich richtig wach war, schwindelte ihm und er spürte eine ätzende Übelkeit, als hätte er eine ganze Nacht durch gesoffen.

Er fand sich splitternackt auf einem Schlaflager liegen, das sich in einem geräumigen Zelt befand, wie er vermutete, als er sich verblüfft umsah. Keuchend setzte er sich auf und sah in der Ecke am Boden des Zeltes drei Frauen hocken, die sich miteinander unterhielten, kicherten und dann ab und zu grinsend zu ihm herüber sahen; er hatte die Frauen nie zuvor gesehen, aber sie waren nackt bis auf den üppigen Schmuck, den sie trugen, und ihre schwarzen Haare waren zusammengesteckt zu eigenartigen Frisuren, geschmückt mit Federn, Knochen und goldenen Ketten. Jetzt wusste er, wo er diese Art von Schmuck schon einmal gesehen hatte, und ein kalter Schauer durchfuhr ihn; das hier war das Lager von Ela-Ri, das Kriegslager. Und die Frauen mussten Dienerinnen des Königs sein – die ihn gerade alle drei auf einmal verdammt noch mal genommen hatten, und wie. Er starrte die Frauen verblüfft an und als sie sich bewegten und ihre nackten Brüste etwas wippten, wurde er schon wieder hart vor Verlangen. Was zum Geier machte er hier? Wo war Iana...? Er sah nach links, wo sich ein fahler Lichtspalt im Zelt auftat, weil der Eingang geöffnet worden war. Darin stand ein groß gewachsener, angezogener Mann, der ihn aus milchigen Augen ansah – der blinde Seher vom Schlachtfeld. Karana räusperte sich, weil es ihm unangenehm war, vor dem alten Geier nackt zu sein – obwohl er blind war, richtete sich sein nicht vorhandener Blick mit einem wissenden Grinsen auf Karanas Unterleib und seine Erektion, und der Jüngere brummte verlegen und versteckte sein steifes Glied hinter seinen Armen.

„Was willst du von mir, blinder Mann?“, fragte er kalt, und der Mann machte eine Handbewegung, die unmissverständlich bedeutete, dass Karana mit ihm kommen sollte.
 

Er bekam eine Hose, die er sich anziehen konnte, damit er nicht nackt durch das Kriegslager gehen musste; die Kleidung war ihm zu groß und vor allem viel zu weit, weil die Männer von Ela-Ri alle größer und kräftiger waren als er selbst. Er hatte sich schon immer ziemlich darüber geärgert, dass er, während um ihn herum alle den Körper eines erwachsenen Mannes bekommen hatten, selbst Simu irgendwie, immer noch so schmal war wie ein heranwachsender Junge. Selbst der kleine Zoras wirkte irgendwie männlicher als er, hatte er manchmal das Gefühl... der war zwar auch dürr, aber das kam daher, dass er nichts zu essen bekam. Er, Karana, konnte essen, bis ihm schlecht wurde, und er war trotzdem so schmal wie ein Paddel.

Du kommst wohl nach deiner Mutter, die ist auch so zierlich.“, hatte sein Vater ihn manchmal aufgezogen, und seine Mutter hatte dann feixend erwidert:

Sei froh, das heißt, dir werden wenigstens keine Brüste wachsen, wenn du nach mir kommst.“ Diese Gespräche waren dann immer in den Beteuerungen des Vaters ausgeartet, dass er ihre kleinen Brüste sehr reizend fand und sie sich nicht selbst immer so schlecht machen sollte, und Karana hatte seinen turtelnden Eltern dann mit den Augen rollend den Rücken gekehrt, während er sich seelisch damit abgefunden hatte, dass sie vermutlich gleich auf dem Flur vor allen anderen übereinander herfallen würden. Inzwischen musste der junge Mann über seine Eltern grinsen, wenn sie sich so eindeutige, verliebte Blicke zuwarfen und sich so albern aufführten; sie hatten immerhin ein sehr intaktes Sexleben, das musste man ihnen lassen. Und er beneidete sie darum... er hatte sich gewünscht, mit Saidah auch einmal so sein zu können, aber inzwischen hatte er nicht mehr das Gefühl, dass das im Bereich des Möglichen wäre.

Iana. Ihm fiel Iana wieder ein, während er, die viel zu große Hose festhaltend, die ihm sonst von den Hüften gerutscht wäre, dem seltsamen Kerl vor sich durch das Lager folgte. Es war eiskalt und der Boden war gefroren; jeder Schritt mit seinen nackten Füßen darauf schmerzte höllisch.

„Wo ist sie?!“, schnappte er dann ergrimmt, „Wo ist Iana?!“ Der Gedanke führte ihn zurück in das Zelt und zu seinem bizarren Traum – der kein Traum gewesen war, denn die drei komischen Frauen hatten ihn tatsächlich befriedigt. Was, wenn man mit Iana etwas ähnliches gemacht hatte...? Der Gedanke machte ihn zornig. Wie konnte es jemand wagen, seine Frau anzurühren? Sie war sein und nur ihm war es vorbehalten, sie zu nehmen, nur er sollte sie berühren dürfen... er wäre beinahe in den Seher hinein gerannt, der plötzlich vor einem größeren Zelt stehen blieb und sich zu ihm umdrehte – dabei grinste er ihn mit seinem blinden Blick herrisch an.

„Niemand rührt die Schattenfrau an.“, behauptete er dann in der Einheitssprache und Karana keuchte; der Mann hatte zwar einen grässlichen Akzent, aber er konnte tatsächlich seine Sprache. Die Schattenfrau? Das verwirrte ihn... das hatte er schon einmal gehört auf dem Hochland. Was war mit Iana...?

„Dann gib sie mir zurück.“, verlangte er, „Sie gehört zu mir.“

„Nicht jetzt.“, sprach der Mann vor ihm, „Du kommst zum König. Benimm dich.“ Mehr sagte er nicht, er drehte sich um und rief etwas zum Eingang des Fellzeltes, vor dem sie standen, das mit Ketten aus goldenen Perlen und Knochen verziert war. Der König... Karana erinnerte sich dunkel an den Kerl, der vor die Armee getreten war, diesen Riesen von Mann, der in seinem Jähzorn seinen Dolmetscher getötet hatte. Der Schamane schluckte verunsichert und spürte, wie der Schwindel in seinen Kopf zurückkehrte. Oh nein, er war noch nicht bereit, zu sterben! Und er sorgte sich um Iana... er wollte sie sehen, er wollte ihr sagen, dass er auf sie aufpasste; auch, wenn sie ihn garantiert verhauen würde, wie sie es manchmal tat, selbst danach sehnte er sich... er keuchte, als der Seher ihn am Arm packte und mit sich durch den Eingang in das Zelt schleifte.

Innen war es schummrig wie in dem kleinen Verschlag, in dem er aufgewacht war; es war nur wesentlich luxuriöser eingerichtet und verziert. Weiche Felle bedeckten den Boden und schützten so seine halb erfrorenen Füße. Am Boden standen Öllampen, die für ein wenig Licht sorgten, und vor ihm auf einer Erhöhung aus Fellen, Knochen und eingefetteten Häuten von merkwürdigen Tieren, die wie alles andere mit Gold und Knochen verziert war, thronte der riesenhafte König von Ela-Ri. Karana keuchte ungehalten. Dem Herrscher zu Füßen räkelten sich ein paar weitere, splitternackte Frauen, die mit den Händen seine Beine streichelten; eine hockte neben dem merkwürdigen Thron und hielt ein Tablett aus Gold, auf dem gebratenes Fleisch lag. Karana fragte sich, was ihn hungriger machte, die Frauen oder der Geruch des Fleisches, irgendwie schien es beides zu sein... der Seher schlug ihn vorwärts auf die Knie und zischte ihn an.

„Knie vor dem Allmächtigen, du Unhold! Wage nicht, seine Mätressen anzusehen mit so einem Blick! Sie so anzusehen ist nur dem König vorbehalten!“ Karana brummte über den Knilch, der trotz Blindheit alles zu sehen schien, während er jetzt am Boden kniete und den Schmerz in seinem Rücken ob des heftigen Schlags noch spüren konnte. Der König sprach; er sprach in seiner eigenen Sprache, aber Karana konnte die Bedeutung der Worte dennoch erfassen.

Lass ihn, Bruder. Er ist nicht als Feind hier. Er weiß es ja nicht besser. Der Sohn des Königs ist hier, um ein Angebot zu hören.“ Karana war verblüfft. Sohn des Königs? Entweder verwechselten sie ihn oder sie bezeichneten seinen Vater als König, weil er der Herr der Geister war... so etwas wie der König der Schwarzmagier.

„Was wollt ihr von mir?“, zischte er und hob den Kopf – um gleich wieder zu Boden gestoßen zu werden. Der Seher hatte ihn getreten und verbat ihm, dem Allmächtigen so ins Gesicht zu sehen. „Und wo ist Iana?!“

Bruder.“, sagte der König in aller Gelassenheit in seiner hässlichen Sprache, „Lass mich sein hübsches Gesicht ansehen...“ Der Seher brummte und packte Karana an den Haaren, um seinen Kopf wieder empor zu zerren, und zornig schlug der Jüngere nach seinem Peiniger.

„Lass mich los, verdammt noch mal!“ Er sah jetzt zischend dem König ins Gesicht, der sich gerade von der nackten Frau mit dem Tablett ein Stück Fleisch geben ließ, das er genüsslich aufaß, während er Karana langsam von oben bis unten musterte.

Ja, du bist ein hübscher Junge.“, erklärte er dann sinnlich, „Du bist ein Sohn eines Königs. Zieh ihn aus, Bruder.“ Karana hustete.

„Was?! Moment, nein! Alter...!“ Er wehrte sich nur kurz, ein Schlag auf seinen Kopf mit dem Speer des Sehers beendete seinen Widerstand rasch und er spürte, wie der Schwindel ihm beinahe schwarz vor Augen werden ließ, als der Typ ihm gehorsam die zu große Hose wieder vom Leib riss und er jetzt nackt vor dem König hockte. Die nackten Frauen am Thron lächelten ihn wohlwollend an, offenbar gefiel ihnen, was sie sahen. Karana errötete. Was sollte das jetzt? Er schauderte und versuchte krampfhaft, sich sein Schamgefühl nicht weiter anmerken zu lassen, obwohl er sich ziemlich wehrlos vorkam, wie ein Hühnchen auf dem Silbertablett – nein, hier wohl eher Goldtablett. Sein Blick wanderte nervös zu dem Tablett der einen Frau und den Fleischstücken darauf, die wirklich gut aussahen... er hatte wirklich Hunger.

Der König erhob sich langsam von seinem Thron und schob seine Mätressen zur Seite, ehe er vor Karana in die Hocke ging und den jungen Mann eingehend betrachtete. Er streckte eine Hand nach seinem Gesicht aus und fuhr ihm mit den Fingern nachdenklich über die Stirn.

Er hat einen mächtigen Geist.“, sagte er zu seinem Bruder und Karana zischte, war aber froh, dass er ihn wenigstens nur an der Stirn angrabbelte und nicht sonst wo. „Er ist widerspenstig. Bist du dir sicher, Bruder, dass er gut ist?“ Der Seher grinste; Karana konnte es spüren, obwohl der Mann hinter ihm stand. Er sprach ebenfalls in der schnarrenden Sprache des Ostens.

Er hat einen starken Geist, weil er viele in sich trägt. Er hat den Geist eines Windherrschers... den Geist eines mutigen Kindes und den Geist eines mächtigen Diktators. Ein Fetzen... einer Seele, die eigentlich im Schatten hätte sterben sollen.“ Der Seher ging hinter ihm in die Hocke und Karana spürte, wie er um ihn herum griff und mit seinen Fingern in seinen Mund fasste. Der Jüngere schnaubte und wollte ihn beißen, aber der Mann hatte kaum Mühe, mit seinen Fingern seinen Mund so zu öffnen, dass er ihn unmöglich wieder schließen könnte, ehe der Typ nicht seine Finger herausnahm. Karana hustete und spürte den Brechreiz in sich aufsteigen. Der komische Kerl fasste nach seinen spitzen Eckzähnen und er erstarrte. „Sieh, Bruder, Allmächtiger. Das sind die Fangzähne des Dämons und der Beweis... für seine Abstammung vom Geist, der niemals hätte wiedergeboren werden dürfen. Wir müssen diesen Teil seiner Seele rufen. Wenn er die Oberhand hat, ist es gut.“ Der König musterte Karana eindringlich, während sein Bruder die Finger aus Karanas Mund zog und der noch immer erfüllt von Übelkeit wild hustete. „Gib ihm... Macht, König. Das gefällt ihm. Dann wird es gut.

„Was habt ihr vor, zum Geier?!“, empörte sich Karana zornig, „Was soll das alles?! Was redet ihr da?!“ Viele Geister? Ein Geist, der nicht hätte wiedergeboren werden dürfen? Er hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Und was hatten immer alle mit seinen Zähnen? Auch Ryanne hatte die interessant gefunden, erinnerte er sich... wozu das alles? Der König erhob sich vor ihm und rückte seine Kleidung zurecht.

Was wird mit der Frau?“, fragte der Seher dann und Karana spannte sich nervös an – Iana! Er wollte sie sehen... verdammt, warum kauerte er hier so unnütz herum? Er musste aufspringen und sie befreien... doch ein Blick in das Gesicht des Königs, ein Blick in seinen tödlichen, machtvollen Geist ließ ihn all seinen Mut sofort vergessen. Er hatte nie im Leben eine Chance gegen diese beiden Männer zugleich, da war er sicher.

Wenn ihr es wagt... Iana ein Haar zu krümmen... dann werdet ihr euch wünschen, niemals geboren worden zu sein, schwor er bitter und teilte dem König seine Worte durch bloße Gedanken mit, unmissverständlich klar machend, dass er es ernst meinte. Der König trat einen Schritt zurück und ließ sich noch ein Stück Fleisch geben.

Bist du sicher, dass sie die Schattenfrau ist? Die, von der wir geträumt haben?“ Der Seher schnaubte.

Ihr Schwert zerbrach nicht an meinem Speer. Und nur ein Schattenschwert kann einer anderen Schattenwaffe standhalten. Nur Kadhúrem, die Schattenklinge aus dem Norden.“ Karana blinzelte. Moment, Schattenschwert? Meinten sie Ianas komisches Kurzschwert?

Sie könnte die falsche Frau sein.“, meinte der König, „Die zufällig das echte Schwert trägt.

Sie ist die richtige Frau. Ich habe es in ihrem Inneren gesehen. Wir sollten sie einsperren. Niemand darf sie berühren, wer es tut, wird sterben. Sie ist mächtig.“ Karana keuchte.

„Dann gebt sie mir zurück!“, verlangte er wütend, „Sie gehört mir!“ Er erntete die stummen Blicke der beiden Männer, dann zog der Seher ihn unsanft auf die Beine, sodass Karana strauchelte. Beinahe wäre er gestürzt. Der König sagte etwas zu seinem Bruder und der Seher sprach in der Einheitssprache zu Karana:

„Gehörst du denn... auch ihr? Weiß sie das?“

„Natürlich weiß sie das, wir haben uns vereint wie Mann und Frau!“, entrüstete der Jüngere sich giftig, „Gebt sie mir. Jetzt.“ Der Seher grinste ein seltsames Grinsen.

„Gut... dann wird es Zeit, ihren Willen zu brechen.“ Während Karana noch ungläubig die Augen weitete über diese Worte, rief der Seher nach Sklaven draußen, die die Schattenfrau zum Zelt bringen sollten.
 

Iana wirkte nicht so, als wäre ihr ein Haar gekrümmt worden. Sie wehrte sich nicht, als die Sklaven sie ins Zelt führten, sie war weder gefesselt noch in sonst einer Weise in ihrer Bewegung beeinträchtigt worden. Karana starrte sie an und sie starrte zurück, als sie nach Luft schnappend in der dämmrigen Erleuchtung des Zeltes stand und die Nase rümpfte. Die Sklaven blieben an ihrer Seite und Karana hatte keinerlei Zweifel, dass sie die Frau aufhalten würden, wenn sie versuchen sollte, zu fliehen. Die Männer wirkten nicht sonderlich furchteinflößend im Vergleich mit dem König und seinem blinden Bruder; groß waren sie alle, aber die Diener waren schmächtiger.

„Was zum Geier wollen die eigentlich?“, fragte Iana ihn dann, „Wieso bist du nackt, haben sie dich etwa wie ein Mädchen genommen?“ Karana errötete.

„Bisher noch nicht... wenn die das wagen, sind sie des Todes, Alter!“ Er musterte sie; sie war komplett angezogen und ihre Kleidung war kaum malträtiert, die Risse, die sie aufwies, stammten eher aus der Schlacht als von den Leuten hier. Der König hatte sich erhoben und trat nun einen Schritt auf Iana zu, musterte sie eingehend und verengte die dunklen Augen zu argwöhnischen Schlitzen.

„Ist der Sohn des Königs dein Mann, Schattenfrau?“, fragte der Seher sie darauf, und Iana zog verblüfft eine Braue hoch.

„Wer?“

„Sie meinen mich...“, stöhnte Karana, „Ich habe ihnen gesagt, dass du zu mir gehörst.“ Iana runzelte die Stirn, nickte dann aber zu seiner Erleichterung; genau genommen war sie nicht seine Frau... aber vielleicht würde es ihnen das Leben erleichtern, wenn sie so tat, als wäre sie es. Aus irgendeinem Grund fürchteten sich die Ela-Ri-Männer vor Iana... Karana begriff nicht, wieso sie sie Schattenfrau nannten. Der blinde Mann feixte, als er in seinen Umhang aus Fellen griff und Ianas Kurzschwert hervor zog, das er auf dem Schlachtfeld an sich genommen haben musste. Karana sah die Frau erbost die Augen weiten.

„Das Schattenschwert...“, keuchte der Zauberer andächtig und betrachtete es eingehend, während Iana zischte und sich die kleinen Härchen auf ihren Armen sträubten. Sie hielt sofort inne, als der Kerl ihr die Waffe plötzlich an die Kehle hielt, und Karana hustete. „Ich frage mich, ob dein eigenes Schwert dich zu töten vermag...“ Iana keuchte und Karana sprang empört auf die Beine.

„Lasst sie in Ruhe, ich warne euch! Wenn ihr es wagt, sie anzurühren...!“ Er spürte im nächsten Moment, wie er gepackt und zurück zu Boden geworfen wurde, und er sah den König, der jetzt angriffslustig die Zähne fletschte – einen Moment später war es Karana, der das Kurzschwert an der Kehle hatte. Er schnappte nach Luft und fühlte sich benommen durch den Sturz. Sein Kopf schmerzte und er zischte.

„Dann vielleicht doch lieber dich...?“, grinste der Blinde über ihm, „Wir werden dir wehtun müssen, um deinen Geist zu wecken... den, der im Schatten hätte sterben sollen.“

Ein schmerzhafter Stoß in Karanas Rippen beendete seine Worte und der Jüngere keuchte, als er den Schmerz wie Feuer in seiner Brust brennen spürte. Er rappelte sich stöhnend auf, bis er saß, dann wurde er vom König an den Haaren gepackt und weiter empor gerissen. Er hörte Iana irgendwo schreien, aber er konnte nicht mehr orten, aus welcher Richtung ihre Stimme kam, als er mit einem gewaltsamen Tritt abermals zu Boden befördert wurde, dieses mal bäuchlings; ein harter Schlag ins Genick ließ ihm kurzzeitig schwarz vor Augen werden.

Er hatte keine Ahnung, wovon sie redeten und was für einen Geist sie meinten. Die Schmerzen flauten ab und hinterließen einen fürchterlichen Brechreiz, sodass er keuchend nach vorne kippte und sich fast übergeben hätte. In seinem Kopf hörte er Stimmen und vor seinen Augen war es plötzlich so finster, als wäre er genau wie der komische Kauz vor ihm erblindet. Ianas Rufen verhallte irgendwo in weiter Ferne, dann hörte er sie nicht mehr. Er fragte sich, ob sie tot war... und Saidah. Wo war Saidah? Die Geister wisperten in seinem Kopf und er nahm nur am Rande seines angeschlagenen Bewusstseins wahr, wie er wieder auf die Knie gezerrt wurde und wie sich ein ungeheurer Druck auf seinen Kopf und seinen ganzen Körper zu legen schien; das hatte er schon einmal erlebt, diese unsichtbare Macht der Geister, die ihn aus dem Himmel zu Boden zu pressen schien und verhindern wollte, dass er jemals wieder aufstand. Er kippte jetzt nach hinten und lag dann keuchend und flach auf dem Rücken, lauschte dem Rauschen seines eigenen Blutes und dem dumpfen Pochen des Schmerzes. Er versuchte krampfhaft und mit einem verzweifelten Stöhnen, sich daran zu erinnern, was er tun sollte... sich daran zu erinnern, was die Macht war, die er inne hatte und die er rufen könnte, um die Schmerzgeister zu verjagen und diese Barbaren dem Erdboden gleich zu machen. Aber durch seinen Kopf rauschten nur Blut und das Gefühl, wieder ohnmächtig zu werden. Er versuchte, sich an Saidah zu erinnern, die ihn gelehrt hatte...

Beherrsche deinen eigenen Geist. Wenn du keine komplette, uneingeschränkte Kontrolle über deinen eigenen Geist hast, kannst du auch kein Geisterjäger sein. Kontrolle, Karana, merke dir meine Worte...“ Doch Saidahs Worte waren so weit weg, sie klangen dumpf und verzerrt, als hätte sie jemand anderes gesagt. Ein Dämon... irgendein Schatten, der seine Seele befiel und der den Schmerz mit einem plötzlichen, viel heftigeren Druck auf seinen Körper explodieren ließ, sodass die Finsternis vor Karanas Augen einem beißend hellen Licht wich, ehe er schrie und die Augen wieder öffnete. Er wurde wieder auf die Knie gezerrt und spürte eine Hand, die sich mit gespreizten Fingern an seine Stirn krallte, als hätte sie vor, ihm das Gehirn auszusaugen. Verschwommen erkannte er das Gesicht des blinden Typen vor sich, der seine Hand auf Karanas Stirn gelegt hatte und seinen Kopf festhielt. Er sagte in seiner eigenen Sprache irgendetwas zu seinem Bruder, der Karana offenbar von hinten festhielt und ihm dabei fast die Arme auskugelte. Es schmerzte und der junge Mann spürte in sich die Verwirrung dem Zorn weichen. Wie konnten sie es wagen, ihn so unwürdig anzupacken? Er verstand die Worte der Männer, obwohl sie nicht seine Sprache sprachen.

Die Geister sagen, es ist gut. Es birgt ein Risiko, was wir tun... sein Geist ist mächtig, wenn er sich losreißt, ist das das Ende.“ Er hörte den König ergrimmt zischen.

Wenn es schiefgeht, Bruder, bist du der Erste, der für diesen Fehler stirbt, das schwöre ich dir. Ich habe kein Erbarmen mit dir, nur, weil du ein besserer Seher und mein Bruder bist.

Karana keuchte in dem schmerzhaften Griff des Typen und versuchte unwirsch, sich zu winden. Da unterbrach der blinde Mann sein Gespräch mit dem König und sah ihn wieder an, dieses Mal zuvorkommend grinsend. Er griff neben sich und hielt ihm die goldene Platte mit den Fleischstücken entgegen, die vorhin die Dienerin getragen hatte.

„Du solltest etwas essen, Sohn des Königs. Du musst wieder zu Kräften kommen. Bediene dich und iss, bis du satt bist.“ Karana schnappte skeptisch nach Luft. Ihm schwindelte und in seinem Inneren pochte noch immer der Schmerz des Drucks, der nachgelassen hatte.

„Bietest du mir vergiftetes Fleisch an, damit du mich los bist?“, schnarrte er erbost und der Seher lachte, nahm selbst ein Stück Fleisch und aß es.

„Sieh her, ich esse es. Es ist nicht vergiftet. Vergib uns die brutalen Schläge, es ist nicht einfach, einen Geist zu brechen... es funktioniert eben nur mit Gewalt.“ Schmatzend hielt er Karana das Tablett wieder hin. Das Fleisch sah gut aus und der Geruch machte ihn hungrig. Mit einem Zischen schnappte er nach den Stücken und schlang eins nach dem anderen herunter. Der Geschmack und die Wärme des Fleisches gaben ihm die Kraft zurück, seine Schmerzen zu ignorieren. Kraft war gut... er linste den Mann vor sich aus seinen grünen Augen argwöhnisch an, als er ihm auch einen Trinkbecher hinhielt. „Gierig bist du wie ein Hund. Schling nicht so, sonst bleibt es dir noch im Halse stecken... trink etwas. Gutes Fleisch... und guter Saft von Beeren. Es wird dir Macht verleihen, Sohn des Königs... Macht ist gut, nicht wahr?“ Karana schnaubte und riss ihm unsanft den Becher aus der Hand, um zu trinken. Es war ein Gemisch aus gegorenem Beerensaft, eigenartigen Kräutern und dem Beigeschmack von ungewöhnlichem Blut. Es brannte wie Feuer in seiner Kehle und er verschluckte sich und hustete, ehe er noch ein Stück Fleisch aß und mit dem Fett das Brennen in seinem Hals etwas linderte. Der Alkohol berauschte ihn; der Mann hatte nicht gelogen, es gab ihm Macht. Macht, die er nie zuvor verspürt hatte, wenn er gegessen hatte. Sie mussten ihr Fleisch und ihren Schnaps mit einem Zauber belegt haben, dass es ihn so betörte... er grinste, während ihm noch der blutige Saft des Fleisches von den Lippen rann, und entblößte seine scharfen, spitzen Eckzähne. In den Augen des Blinden erschien ein seltsames Blitzen, obwohl sie doch eigentlich tot waren. „Ich habe doch gesagt, es ist gut.“, behauptete der Seher zufrieden, „Durch ihr Fleisch und ihr Blut nehmen wir die Macht unserer Gefallenen auf... so nützen uns unsere toten Krieger selbst dann, wenn sie tot sind, indem sie als Fleisch und Suppe dienen und uns Lebenden ihre Macht übertragen... jetzt kennst du das Geheimnis der Macht von Ela-Ri...“
 

Iana kauerte im Schatten des Zeltes, flankiert von den Wachen, die sie zu Boden gestoßen hatten, als sie versucht hatte, Karana zur Hilfe zu kommen. Jetzt hatte sie nicht mehr das Bedürfnis, irgendwem zu helfen, stattdessen wollte sie brechen bei den Worten, die zu ihr drangen, die der hässliche Kerl vor Karana in der Einheitssprache sprach. Und Karana war entweder so berauscht durch irgendwelche Drogen, die man ihm gegeben hatte, oder noch zu benommen von den vorigen Schlägen, um zu kapieren, was er da gierig herunter schlang, als wäre es das beste Fleisch der Welt. Iana verabscheute die Männer dafür, was immer sie mit Karana vorhatten – es konnte nichts Gutes sein. Sie schloss keuchend die Augen und wagte nicht, sich sonst zu bewegen aus Angst, man würde sie dafür aufspießen. Sie betete zu den Himmelsgeistern, dass sie Karanas benebelten Verstand wieder klären würden... sie hatte keine Waffe und allein mit ihren Fäusten würde sie nie all diese Männer überwältigen können. Karana jedoch hatte seine Magie und die Hilfe der Geister... wenn er nicht bald aus seinem Rausch aufwachte, würden sie vermutlich beide hier sterben.

Karana schien weit entfernt davon zu sein, sich zusammenzureißen. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie in sein Gesicht und sah darin die Macht, die sie fürchtete – diesen ätzenden Triumph und Größenwahn in seinen Augen, den sie schon manchmal miterlebt hatte. Jetzt war er mächtiger als je zuvor und fuhr unwillkürlich zusammen, als er den Mund zu einem bizarren grinsen verzog, die Lippen noch rot vom Blut des Fleisches; er schien sie im Schatten der Ecke nicht wahrzunehmen, denn obwohl seine Augen zu ihr sahen, sah er nicht wirklich sie an. Der große König ließ ihn jetzt los und erhob sich, während der Seher das leere Tablett und den Becher wegstellte und etwas auf seiner Sprache in Richtung des Eingangs rief. Als kurze Zeit später das Zelt geöffnet wurde, sah Iana ein paar weitere Sklaven und nackte Frauen herein kommen und sie zog die Brauen hoch.

„Hast du dich nie gefragt, warum sie dich nicht in den Rat der Geisterjäger lassen...?“, hörte sie dann den Seher sprechen, und seine Stimme klang heuchlerisch und war so voller Genugtuung, dass Iana erneut gegen den Brechreiz ankämpfte. „Du hättest doch längst die Macht... deinen Vater in den Schatten zu stellen. Ich habe nach Träumen gejagt und dich gesehen... du bist ein großer Herr der Geister. Willst du nicht wissen, warum sie dich ignorieren...? Warum... dein Vater zornig wird, wenn du es wagst, ihm gegenüber zu viel deiner Macht zu zeigen...?“ Iana beobachtete schockiert, wie Karana das Gesicht verzog und grimmig die Brauen senkte, während einer der hereingekommenen Sklaven dem nackten jungen Mann jetzt einen Umhang aus Fell und Haut umlegte, womit Karana all den angezogenen Leuten gegenüber nicht mehr ganz so albern wirkte. Der Schamane schnaubte.

„Wovon sprichst du?“, schnarrte er den Seher an und der grinste – Iana spürte, dass er grinste, obwohl er ihr den Rücken zudrehte.

„Sie fürchten dich. Sie haben Angst... um ihre Stellung, um ihr erbärmliches Reich... weil sie genau um deine Macht wissen. Weil du sein Blut in dir trägst... sein Blut und seine Macht, die Macht des Herrschers von Lyrien... deines Urgroßvaters.“ Iana erbleichte.

Sie erinnerte sich an die alte Namah, die sie in Dokahsan getroffen hatten. Sie hatte von dem Mann erzählt, der einst die ganze Provinz unterworfen hatte, von einem Mann, den sie Kelar Lyra genannt hatte. Sie wusste nicht, warum sie dieser Name plötzlich so erschreckte... aber nur, als sie an ihn dachte, zog sich in ihrem Inneren etwas zusammen, eine Mischung aus Abscheu und panischer Angst ergriff Besitz von ihrem Inneren. Sie kauerte sich unwillkürlich mehr zusammen, als müsste sie sich schützen.

„Tss...“, hörte sie Karana sagen, und der Ton in seiner Stimme hatte sich verändert. Er klang nicht mehr nach dem berauschten lallen eines Betrunkenen, er war fest und überzeugend, während die nackten Sklavinnen zu ihm kamen und begannen, ihn zu berühren und die Hände routiniert unter den Fellumhang gleiten zu lassen. Iana war viel zu entsetzt von dem Szenario, um an Eifersucht zu denken, obwohl sie genau sah, wie Karana die Berührungen der Frauen genoss und wie sein Mannknochen sich hart aufrichtete, als die Frauen kichernd den Umhang etwas zurück streiften und ihn in Anwesenheit aller zu befriedigen begannen. Er keuchte kurz. „Dann sind sie töricht... wenn sie Angst haben.“

„Vergiss sie.“, sagte der Seher mit beeindruckender Überzeugung in der Stimme, „Vernichte sie... Sohn des Königs. Wozu sollst du vor ihnen knien? Geh mit uns... geh mit Ela-Ri, und der einzige Mann, vor dem du jemals knien wirst, ist der allmächtige Herrscher und König... du kannst haben, was du verlangst. Die Frauen gehören dir, wenn du sie haben willst. Alle und noch mehr... genau wie das gute Fleisch. Genau wie die Macht... alles ist dein. Sind wir nicht gnädig? Sag es.“

„Ich wurde geboren, um einmal zu herrschen.“, sagte Karana, „Ich bin geboren worden, um ein Herr der Geister zu sein... ein Herrscher über Leben und Tod!“ Er lehnte mit einem euphorischen Grinsen auf den Lippen den Kopf zurück und bewegte sich entgegen der aufreizenden Berührungen der Sklavinnen, die ihn bearbeiteten und ihm das Gefühl zu geben schienen, die größtmögliche Macht allein durch die Ekstase eines sexuellen Höhepunktes zu erlangen. Iana war angewidert von den Frauen – und noch viel mehr von Karana, als er in seiner Euphorie den Kopf wieder herunter riss und direkt durch den Seher hindurch in ihre Richtung starrte – jetzt wusste sie, dass er sie sehen konnte. Und in seinen Augen lagen Triumph und Machtgier... seine Augen sagten:

Und du... gehörst mir, für immer und ewig.

Dass er den Verstand verloren hatte, glaubte sie aber erst, als sein Mund Worte sagte, die unmissverständlich machten, was seine Augen gesagt hatten.

„Dann werden... sie knien. Das Reich wird fallen... und sie werden knien... vor dem, der die Macht hat, Leben und Tod zu befehlen.“ Iana schüttelte ungläubig den Kopf. Sie wollte zu ihm rennen und ihn schlagen, ihn anschreien, was er da tat – er verbündete sich mit den Feinden, um seinen eigenen Vater und seinen Bruder, seine Freunde und Landsmänner zu töten? Das konnte nicht sein Ernst sein!

Und vor allem, wofür? Für Macht... und Frauen, die es ihm den ganzen Tag lang besorgen würden.

„Was bist du doch für ein glorreicher... Bastard und Hurensohn, Karana.“, zischte sie erbost über seine Augen, die ihr folgten, als der König den Befehl gab, Iana wegzubringen. Sie spuckte Karana vor die Füße, als sie an ihm vorbei geführt wurde.

„Machtgieriger Hurensohn...“, zischte sie abermals, und sie erkannte in seinen Augen den Wahnsinn, den sie schon oft gesehen hatte – und gleichzeitig eine entsetzliche Macht, die wirklich fähig wäre, sie alle zu vernichten, wenn man sie frei ließ... sie verabscheute ihn in diesem Moment so sehr, dass sie sich wünschte, er würde tot umfallen.
 

Iana fragte sich, warum sie sie hier gefangen hielten. Niemand hatte sie angerührt oder versucht, ihr wehzutun, es sei denn, sie versuchte, wegzulaufen; dann kamen die Sklaven und vereitelten ihren Fluchtversuch. Iana sah die Skepsis und die Furcht in ihren Augen hinter den Masken aus schwarzen Tätowierungen oder Kriegsbemalungen aus Asche; was genau es war, konnte sie nicht sagen, nur, dass die Männer sie anstarrten, als fürchteten sie, sie könnte explodieren und alle vernichten. Sie hatte überlegt, ob sie sich diese Furcht zunutze machen könnte, um zu entkommen, aber ganz so furchtsam waren die Männer dann doch nicht. Sie schienen sich nicht sicher zu sein, ob sie ihren Herrn oder die Frau, die sie bewachen sollten, mehr zu fürchten hatten.

Warum haben sie Angst vor mir?, fragte sie sich, während sie im Inneren eines kleinen, dunklen Zeltes hockte und die Zeit totzuschlagen versuchte. Sie hatte Karana lange nicht gesehen; wie lange, konnte sie gar nicht sagen. Es mochten Tage sein, Wochen, vielleicht aber auch nur ein halber Nachmittag. Nicht, dass sie ihn ernsthaft vermisst hätte... nicht mehr.

Die Gedanken an den jungen Mann verschafften ihr eine ungeahnte Übelkeit und fluchend raufte sie sich die Haare. Was war in ihn gefahren? Das konnte er doch nicht ernsthaft machen... sie fragte sich, was die beiden Männer zu ihm gesagt haben mochten, bevor Iana dazu gezogen worden war; vielleicht hatten sie ihm gedroht, sie zu töten, wenn er sich nicht fügte. Aber selbst in diesem Fall wäre sie ihm böse. Wie konnte er seine eigene Familie verraten, sein eigenes Heimatland? Sie wollte nicht Schuld daran sein, dass er sich gegen diejenigen stellen müsste, die ihn gern hatten... vielleicht war sie das ja auch gar nicht.

Der Eingang des Zeltes öffnete sich und Iana sah auf, auf dem lumpigen Schlaflager sitzend, das man ihr bereitet hatte. Eine Frau schlüpfte ins Zelt und brachte ihr eine Schale mit dampfender Brühe. Sie gestikulierte und wollte offenbar, dass Iana aß, aber die Frau verzog nur zischend das Gesicht.

„Ich esse keine Brühe mit dem Blut eurer Landsmänner, danke. Da verhungere ich lieber. Das ist ja widerwärtig!“ Sie schenkte der Sklavin einen ablehnenden Blick und schob die Schale demonstrativ wieder weg. Die Frau wirkte ratlos und zog die Brauen verwirrt hoch. Abermals bot sie Iana die Brühe an und die Halblianerin stierte sie wütend an. „Ich sagte Nein!“, bellte sie schließlich laut, darauf stellte die verblüffte Frau die Schale auf den Boden des Zeltes und sah augenblicklich zu, dass sie weg kam, in ihren Augen die nackte Panik. Als sie draußen war, jammerte und winselte sie in ihrer grauenhaft klingenden Sprache, und Iana schnaufte. Was waren das für behinderte Leute hier? Schaudernd umschlang sie mit den Armen ihre angezogenen Knie und lehnte den Kopf missmutig darauf. Wenn sie wenigstens ihre Waffe wiederbekäme... solange dieser Sehertyp ihr Schwert hatte, konnte sie ohnehin nicht fliehen. Sie würde nicht ohne die Waffe ihres Vaters gehen... und wenn sie hier sterben würde, sie starb lieber als das einzige Erinnerungsstück an ihn zu verlieren... sie vermisste ihren Vater, fiel ihr in dem Moment auf.

„Wenn du wüsstest, was ich für Dummheiten begangen habe, Vater...“, murmelte sie deprimiert, das Gesicht gegen ihre Knie pressend. „Wie konnte ich Vertrauen haben in einen Mann, der das Potential hat, so... grausam zu werden? Ich habe von Anfang an gespürt, dass Karana schlecht ist! Er ist... herrisch und undankbar und... ich habe es gewusst. Ich hätte klüger sein sollen... aber... aber sag mir, Vater, wenn er doch schlecht war, warum... habe ich mich so an ihn gebunden gefühlt? Warum... war es angenehm... wie seine Frau... zu sein?“ Sie errötete und ihre gemurmelten Worte an die Geister wurden immer leiser, bis sie verstummten. „Es ist irgendetwas... in mir, das ihn vermisst... irgendetwas... das um ihn weint, das ihn wieder haben will... warum will ich jemanden wiedergaben, der mich... und alle anderen in Kisara... so verraten hat?!“ Sie wurde wütend, kauerte sich enger zusammen und zitterte, als ihr kalt wurde. Ihr Vater gab ihr keine Antwort... die Geister schwiegen sie an. Was erwartete sie auch? Sie war nur eine halbe Lianerin. Sie war nichts Besonderes.

Wenn Karana nur unter Drogen gestanden hätte in dem Moment, in dem er gesagt hatte, er würde das Zentralreich zu Fall bringen, hätte sie ihm vergeben können. Aber seine Stimme war so klar gewesen... in seinen Augen war der Nebel verschwunden gewesen. Übrig geblieben war nur eine Angst einflößende, grausame Macht, die in ihm schlummerte... wie eine versteckte, dunkle Seite seines Geistes, die manchmal zum Vorschein trat. Sie fragte sich, was er jetzt machte... vermutlich hatte er Spaß mit seinen Sklavinnen, dieses Schwein. Sie fühlte sich dreckig, als sie daran dachte, dass sie vor kurzem genauso willig und euphorisch wie seine Frau bei ihm gelegen hatte. Wütend wanderte ihr Blick auf die Schale mit Brühe und der Brechreiz in ihrem Inneren wurde heftiger denn je – dann öffnete sich der Eingang des Zeltes erneut. Als Iana empor blickte, hätte sie sich um ein Haar wirklich übergeben.

„Karana...“

„Still, Frau.“, knurrte er sie an, während er gelassen das Zelt hinter sich wieder zuzog, „Du solltest essen. Es ist nicht das, was du annimmst, es ist einfache Markbrühe. Diese Männer fürchten dich, sie würden dir nichts zu essen geben, von dem sie behaupten, dass es ihnen Macht verleiht.“ Sie schnaubte und rappelte sich auf, während sie ihn feindselig betrachtete.

„Warum bist du hier?“, fragte sie kalt, „Darfst du hier sein?“

„Klar. Ich bin der Held, ich darf fast alles, was ich verlange.“ Er grinste sie triumphierend an und sie hätte ihm gerne vor die Füße gekotzt, so abscheulich fand sie ihn in diesem Moment.

„Scher dich weg. Ich brauche deine Hilfe nicht, Karana... du hast genug getan, denke ich.“ Er gluckste und trat auf sie zu, sie wich zurück, bückte sich und griff nach der Schale mit der Brühe. „Wage nicht, mir noch näher zu kommen, Verräter!“, warnte sie ihn erbost, und Karana schnaufte, ehe er seine komischen Eckzähne fletschte wie ein hungriges Raubtier.

„Du gehörst mir, Iana. Hast du das schon vergessen?“ Sie starrte ihn an über diese Frechheit – dann kam er noch näher und voller Zorn warf sie die Schüssel nach ihm. Er wich instinktiv aus und die Schale zerbrach am Boden des Zeltes, wo sich die Brühe über die Erde ergoss. Doch Iana hatte keine Zeit, sich darüber zu ärgern, dass sie ihn nicht erwischt hatte, denn mit einer plötzlichen Geschwindigkeit war er direkt vor ihr, packte sie an den Armen und stieß sie gewaltsam herunter auf das Schlaflager, ehe er sich über sie rollte und sie zischend an den Boden pinnte. Sie schrie und er erstickte ihren Protest mit einem heftigen Kuss. Sie wollte ihn beißen, aber ehe sie dazu gekommen wäre, zog er sich schon zurück und starrte sie finster von oben herab an. Iana wand sich wütend in seinem Griff.

„Geh runter, Karana!“, fauchte sie ihn an, „Wenn du es wagst, es gegen meinen Willen zu tun, wird mein Zorn grauenhafter sein als der der Erdgeister, die dich verfluchen werden, du Bestie!“ Er hielt sie fest und verhinderte, dass sie ihre Arme befreite, ehe er sich wieder über ihr Gesicht beugte und mit der Zunge über ihre Wange glitt.

„Bestie...? Das habe ich... lange nicht mehr gehört. Wie... nostalgisch.“, raunte er, und sie erstarrte, als sie spürte, wie er sich gegen sie drückte. Ein Schauer aus Hitze durchfuhr sie und sie verfluchte ihren eigenen Körper für diesen Verrat – sie wollte das nicht! Nicht mehr... nicht mit diesem Karana, der da über ihr lag. Sie spürte, dass er hart geworden war, und er widerte sie an, sodass sie zornig das Gesicht zur Seite drehte.

„Ich bin nicht dein Spielzeug!“, fauchte sie, „Geh runter, oder es wird dir leid tun!“

„Keine Sorge.“, sagte er dunkel, „Ich habe keine Angst vor dir, du dumme Wachtel.“ Sie weitete die Augen – dann verlor sie keine Zeit mehr damit, sich zu wundern. Mit aller Kraft fuhr sie hoch, entriss sich seinem Griff und schlug ihm mit solcher Kraft ins Gesicht, dass er zu Boden geworfen wurde. Keuchend setzte sie sich auf und stierte ihn an, während er hustete und nach seiner blutenden Lippe fasste. Er musste sich seine eigenen, spitzen Zähne mit voller Wucht in die Lippe gerammt haben bei ihrem Schlag... das Blut rann über sein Kinn und er wischte es benommen mit dem Handrücken weg.

„Wage es nicht... Karana.“, sagte sie noch einmal finster, um ihre Abscheu zu unterstreichen, „Wir sind geschiedene Leute.“

Der junge Mann erhob sich ohne ein Wort und fuhr sich erneut über die blutende Lippe. Dann grinste er; sie schauderte bei dem Blick, den er ihr dann zuwarf. Es war ein Blick, den sie nicht deuten konnte... es war nur für den Bruchteil eines Augenblickes, dass sie das Gefühl hatte, in seine Augen wäre der andere Karana zurückgekehrt... der, den sie lieb gewonnen hatte. Der, zu dem sie sich so hingezogen fühlte... ehe sie es richtig erfassen konnte, war der Moment vorüber und der Schamane wandte sich murrend zum Zelteingang.

„Morgen brechen wir auf.“, sagte er dann kalt. „Morgen... werden sie fallen. Hier, das habe ich dir mitgebracht... enttäusche mich nicht... Hühnerdiebin.“ Mit einer Bewegung zog er etwas aus seinem Gürtel und warf es ihr achtlos vor die Füße, ehe er das Zelt wieder verließ und kein weiteres Wort sagte. Iana schnappte fassungslos nach Luft, als der Gegenstand mit einem Klirren zu Boden fiel und sie ihn erkannte. Es war das Kurzschwert ihres Vaters.
 


 

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whoot XD Iana und Karana herzen!... Nicht! XD



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Decken-Diebin
2012-02-03T14:40:51+00:00 03.02.2012 15:40
Hallelujah... Karana dreht gezwungenermaßen jetzt völlig durch, oder was? XD Ich hab mich wieder ein wenig reingefunden, wuhu...
Aber es ist so antiherz zwischen Karana und Iana, das gefällt mir nicht ._. Die sollen sich lieb haben, wie ich es gewohnt bin... sonst doof, weil antiherz xD
Als ich die Stelle gelesen hab, dass die das Fleisch ihrer gefallenen Krieger essen und ihr Blut trinken, saß ich echt nur da: bäh... bäh... bäääh... bähbähbääääh! Sowas fällt auch nur Linni ein xDD
So, mal schauen und hoffen, dass die beiden sich wieder herzen :D <3
Von:  -Izumi-
2011-05-15T16:31:05+00:00 15.05.2011 18:31
Na, wie dieses Kapi durch die Freischaltung kommt/gekommen ist... XDD
Also, ich fand es geil. Gleich der Anfang so, looool...
Was die Tanten da gemacht haben, wurde auch nicht gesagt, ne? Also, besser gesagt, warum... XD Ob die halt geschickt wurden oder... zufällig vorbei kamen... haha XDDDDD
Und dann looool, der König will ihn nackt sehen, na ja, das wirkt... lustig XDD
Ich meine, gut dass Zoras nicht an seiner Stelle war ó_ô
Jedenfalls... Iana lebt, yai! Und darf zugleich Zeugin davon werden, wie Karana endgültig wahnsinnig wird... was für eine... Ehre... XD
Gebt ihm Macht, alles klar, Karana ist ja irgendwie doch einfach gestrickt... eben ein Kerl, haha. XD
Aber wenigstens auf gute Ernährung achten sie, muahahahaha XDDDDDDD Ich liiiiiiebe Kannibalen!
Iana tat mir dann auch leid, ich meine... aww, sie hatte ihn so lieb und dann wird er... SO XD
Puran tut mir auch leid, aber der weiß ja noch nichts von seinem Glück XD
Zum Schluss dachte ich mir, na, übertreib es nicht, Karana, aber das wurde ja dann doch noch erfolgreich verhindert, gut so.
Und ich mochte diesen derben Kelar/Nalani-Hint da am Schluss, hihi. ^^
Sehr spannend, mochte <3


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