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Die Chroniken von Khad-Arza - Das Blut der sterbenden Welten

Erstes Buch
von

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Die Zeit des Königs

Der Tag war gekommen. Simu spürte es instinktiv von dem Moment an, in dem er die Augen aufschlug, und das Gefühl verfolgte ihn, während er aufstand, sich kurz wusch, anzog und dann das Zimmer verließ, das der König ihm zur Verfügung gestellt hatte. Dass sie im Palast Zimmer bekommen hatten war eine außergewöhnliche Ehre; vermutlich verdankten sie es entweder dem Umstand, zu den Sieben zu gehören, oder dem, dass Puran Lyra noch immer des Königs allerliebster Liebling war, wie es im Volksmund hieß; was allerlei unschöne und anzügliche Gerüchte mit sich gebracht hatte, die Simu immer gegenüber jedem, der ihn danach gefragt hatte, empört verneint hatte. Der König von Kisara faszinierte sich eben für alles, was mit Magiern zu tun hatte, im Gegensatz zu seinem Vater und Vorgänger, wie der blonde Mann aus dem Geschichtsunterricht wusste, und Puran war eben damals, als er als gerade eben erwachsener Mann mit seinen Eltern und den anderen Geisterjägern an den Hof gekommen war, um das Land gegen die Zuyyaner zu verteidigen, der erste Schamane gewesen, mit dem der König wirklich Kontakt gehabt hatte. Simu war felsenfest überzeugt, dass das alles war, was den König und seinen Vater verband, obwohl er sich eingestehen musste, dass der kleine Herrscher wirklich ziemlich fasziniert von seinem viel jüngeren und größeren treuesten Gefolgsmann zu sein schien. Aber es war nicht von Belang, was Simu darüber dachte; was sich irgendwer im ganzen Reich anmaßte, darüber zu denken.

Er wunderte sich ein weiteres Mal über seine angeborenen, ausgeprägten Instinkte für Dinge, die geschahen, als er im Morgengrauen durch die Korridore des Palastes eilte. Es war schon viel los, das Rüsten und Schützen der Mauer hatte die ganze Nacht angedauert. Warum hatte er solche Instinkte als normaler Mensch? Sein Vater hatte sich auch schon als Simu ein Kind war immer darüber gewundert, dass der blonde Adoptivsohn dem leiblichen Sohn Karana, der ein richtiger Magier war, in Sachen Instinkte für Gefahren in nichts nachzustehen schien. Karana hatte das heimlich sehr gewurmt, wie Simu wusste, denn wenn der kleine Prinz Lyra etwas gehasst hatte, dann war es Konkurrenz um seine Stellung gewesen. Simu hatte nie angenommen, ernsthaft eine Konkurrenz zu sein, er hatte es auch nie sein wollen. Um seinen Bruder nicht unnötig zu erzürnen, hatte er seine Instinkte oft vertuscht oder so getan, als wüsste er nichts, damit Karana sich besser vorkam; auf Dauer war es sehr viel einfacher und gesünder, ihm zu geben, was er verlangte, solange man es mit der eigenen Moral vereinbaren konnte. Und Simu hatte kein Problem damit gehabt, so zu tun, als wäre Karana der einzige von ihnen, der genau wusste, was passieren würde. Jetzt konnte er es aber nicht unterdrücken, dazu waren die Dinge zu wichtig und schwerwiegend geworden. Der Krieg war gekommen... und die Existenz der Sieben sollte vielleicht darüber entscheiden, wer ihn überlebte und wer nicht.

Schaudernd erreichte der junge Mann einen der kleinen Hinterhöfe des Palastes, der nach Osten zeigte; er fragte sich, ob seine ominösen Instinkte ihn hergeführt hatten, denn er konnte sich nicht erinnern, den Weg hierher eingeschlagen zu haben. Als er hinaus trat in die eisige Luft, wurde der graugrüne Himmel in Brand gesetzt von der aufgehenden Wintersonne, die sich über den Rand der Welt schob. Gegen das gefährliche Licht blinzelnd erkannte Simu eine einzelne Person auf dem Hof stehen und nach Osten starren; erst beim zweiten Hinsehen merkte er, dass es Thira Jamali war, das grünhaarige Zuyyanermädchen, das aus Intario gekommen war. Sie hatte bisher kaum mit jemandem ein Wort gesprochen und war meistens allein; dass er sie jetzt hier antraf, passte ihm aber ganz gut. Es gab da noch Dinge, die er sie fragen wollte, solange er noch dazu kam.

„Thira?“

Sie schien nicht überrascht, dass er kam, denn sie rührte sich nicht, als er neben sie trat, und schenkte ihm erst dann einen kurzen Blick, als er sie von der Seite anblickte. Ihre roten Augen leuchteten bedrohlich mit dem Sonnenlicht, das auf sie fiel.

„Du spürst es.“, sagte sie monoton und er wunderte sich auch nicht darüber, dass sie das wusste; sie war Zuyyanerin. Zuyyaner wussten immerzu unmögliche Dinge. Etwa wie Sagal, fiel ihm ein, der wäre als Zuyyaner sicher sehr tauglich geworden, wo er doch selbst als Tharraner schon immer viel mehr wusste als gesund für ihn war. „Du spürst... dass der Tag des Blutes gekommen ist. Wenn die Sonne aufgeht... kommen die Trommeln. Das hier ist vielleicht die letzte Gelegenheit, die wir haben, um in Ruhe zu sprechen.“ Er nickte.

„Warum stehst du hier?“, fragte er sie. Sie zeigte ein seltsames Lächeln.

„Ich sehe in die aufgehende Sonne und beziehe die Kraft der Kälte aus dem Morgennebel. Meine Familie... war ein Clan von Eismagiern, Eis ist mein Element. Ich bete... zu Katari, dass er die beschützen soll, die wichtig sind.“ Simu lachte bitter.

„Wenn er schon dabei ist, soll er bitte auch die 'Unwichtigen' beschützen, wir wollen mal keine Auslese betreiben hier. Tayson zum Beispiel, er ist keiner der Sieben, aber er ist ein tapferer Kerl, hinter seiner Dummheit hat er ein gutes Herz. Ich würde es bedauern, wenn ihm etwas zustieße...“ Als erwachsener Mann konnte Tayson sich natürlich nicht davor drücken, der Armee beizustehen; was er auch nicht vorgehabt hatte. Wenn er doch mit tapferen Heldentaten Neisa beeindrucken konnte... Simu empfand es nicht als heldenhaft, eine Schlacht zu schlagen. Aber er wollte ja auch niemanden beeindrucken...

Er seufzte und kam dann zu dem Punkt, der ihm seit Nächten durch den Kopf spukte, seit er Thira zum ersten Mal angesprochen hatte. Vielleicht würden sie sterben... und dann nie wieder dazu kommen, das zu besprechen.

„Du hast gesagt, es wäre glückliches Schicksal, dass wir uns auf diese Weise begegnen. Damals... hast du nur dich und mich gemeint, nicht die anderen. Warum hast du speziell... von mir gewusst?“

„Weil ich es... in der Reikyu gesehen habe.“, antwortete sie und hob ihre Hand, in der die schimmernde Kugel aus dem Nichts auftauchte und über ihrer Hand schwebte. Sie wich ihm aus... Simu brummte.

„Du weißt... etwas über mich, das ich nicht weiß. Du bist Zuyyanerin; du weißt, dass... ich oder meine Eltern vermutlich von Zuyyanern verfolgt wurden, ehe ich zu Lyras kam. Was ist es, das du weißt, Thira? Ich bitte dich, sag es mir. Und wenn es der einzige Gefallen ist, den du mir je erweisen wirst, so wäre ich dir schon sehr dankbar.“

„Du bist ein guter Redner.“, sagte sie, „Du bist eben der Sohn eines Politikers. Oder Ziehsohn, verzeih mir.“

„Das ist nicht die Antwort auf meine Frage, Thira. Warum weichst du aus und sagst nicht einfach, was du weißt?“

„Weil es nicht meine Aufgabe ist, dir das zu sagen. Chenoa weiß es. Chenoa wird es dir sagen, wenn sie zurück ist; wenn die Zeit dazu bleibt. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht viel... alles, was ich dir mit Sicherheit sagen kann ist, dass deine Eltern schon lange nicht mehr leben.“ Er seufzte. Das hatte er schon mit größter Sicherheit geahnt, eigentlich war es nichts neues.

„War der Mann, der mich zu Lyras gebracht hat, als ich ein Baby war, mein Vater? Meine Mutter hat gesagt, er wäre sehr hektisch gewesen, aber sie hat auch gesagt, ich sähe ihm ähnlich.“

„Dann wird er es wohl gewesen sein.“, sagte die Zuyyanerin, ohne wirklich eine Antwort zu geben, „In dem Jahr, in dem du hierher kamst, konnte ich gerade mal laufen, ich erinnere mich nicht mehr daran. Ich kann dir nur raten, bleib am Leben und frag Chenoa. Sie ist die Weise Frau... sie wird es wissen.“ Simu kam nicht dazu, sich über ihre Diskretion zu ärgern, denn er hörte Schritte hinter sich, und als er sich umdrehte, tauchten die übrigen Kameraden bei ihnen auf, allen voran Yarek.

„Da seid ihr ja.“, sagte der Söldner dunkel, „Wunderbar. Wie ich mir habe sagen lassen, geht es los; ich verlange, dass ihr am Leben bleibt.“

„Scherzkeks.“, stöhnte Iana, die sich die schwarzen Haare zusammenband, und Karana brummte.

„Wo steckt eigentlich Zoras?! Den habe ich seit Wochen nicht gesehen! Eigentlich nicht, seit Saidah und Chenoa verschwunden sind...“ Simu blinzelte; jetzt, wo er es erwähnte, der Kampfzwerg war tatsächlich wie vom Erdboden verschluckt gewesen... Ryanne hatte darauf eine Antwort.

„Er ist in den Schatten gegangen... das ist sein Schicksal. Er ist... letzten Endes der Seelenfänger.“ Simu runzelte die Stirn und Karana starrte die Seherin verblüfft an. Sie hatte sich über ihre wenige Kleidung einen Poncho geworfen, sodass sie ausnahmsweise mal angezogen wirkte; sie als Telepathin würde zusammen mit Sagal und anderen ihrer Art eine Schutzbarriere um die Stadt errichten, sodass sie nicht selbst am Kampf beteiligt sein würde, deswegen brauchte sie sich nicht wirklich zu rüsten; wenn jemand die Barriere brechen sollte, könnte sie sich weg teleportieren.

„Er ist weggegangen?!“, fauchte Karana, „Ich denke, er ist einer von uns! Wieso lässt er uns dann im Stich, wenn es wichtig wird?! Dieser Halunke, ich drehe ihm den Hals um!“

„Halt die Backen, Karana!“, stöhnte Yarek, „Ich glaube, es ist schon richtig so, dass er weg ist... Ryanne hat gesagt, er kommt zurück. Warte ab.“ Er ließ Karana meckern und zeigte auf Neisa. „Du bist Heilerin; du tust dich mit den anderen Heilern hier zusammen und ihr teilt euch auf, um euch um Verletzte zu kümmern, dazu seid ihr ja da. Und egal, was mit Tayson passiert, du hast auf dem Schlachtfeld nichts verloren, klar, Neisa?“ Die kleine Heilerin senkte erbleichend den Kopf. Simu musterte sie besorgt, um festzustellen, dass sie ungesund und mager aussah; ob das an der Sorge lag? „Das Mädchen mit den rosa Haaren habe ich schon weggeschickt, die Bewohner der Stadt bringen sich in den Katakomben in Sicherheit, sie soll mit ihnen gehen. Tayson besteht darauf, mit in den Kampf zu ziehen, bitte sehr. Alle anderen tun, was sie tun müssen; Thira, Simu, Karana, Iana und Eneela. Und ich natürlich.“

„Jawohl, General.“, schnaufte Karana verächtlich und Simu sah auf Eneela, die apathisch in die Sonne starrte und am ganzen Leibe zitterte.

„Eneela zieht ins Schlachtfeld?“, wagte er, Yarek zu fragen, „Ist das dein Ernst?“

„Sie beschwört Lians. Das ist nützlich genug. Hast du vergessen, dass sie letztes Mal auf dem Hochland Yolei beschworen hat, die Lian des Wassers?“ Simu zog eine Braue hoch; er erinnerte sich an eine plötzliche Flutwelle... war das eine Lian gewesen?

„Aber das macht sie nicht zur Kriegerin.“, behauptete er ernst, „Ich glaube nicht, dass sie eine Hilfe sein wird. Oder sorge wenigstens dafür, dass sie hinten zur Verteidigung der Mauer bleibt. Für den Fall, dass jemand durch die Reihen kommt, meine ich.“

„Keine Sorge...“, wisperte die Lianerin da und alle sahen sie ungläubig an, als sie ein bizarres, totes Lächeln zeigte. Ihr Gesicht wirkte plötzlich noch bleicher als sonst; Simu sorgte sich ernsthaft um sie. Verdammt, sie konnten dieses Mädchen doch nicht in die Schlacht schicken... „Ich habe keine Angst.“, erklärte Eneela da, „Ich werde... nicht länger in einem Käfig leben und nichts tun können. Ich will etwas tun... und ich will... dass Scharan auf der Ghia hinauf zum Mond Tharr schaut und sieht... dass ich nicht verreckt bin. Ich will, dass er mich sieht und weiß... dass er Angst haben muss... wie ich Angst vor ihm gehabt habe!“ Mit Unglauben beobachtete der Blonde die Nuance in ihrem Blick, die plötzlich auftauchte; eine Nuance der Abscheu und des Widerwillens mit einer gleichzeitigen Entschlossenheit, wie er sie noch nie bei Eneela gesehen hatte. „Ich fürchte... mich nicht!“, wiederholte sie fest und ballte dabei die Fäuste. Simu widersprach ihr nicht... es war ihre Entscheidung. Aber so ganz traute er ihrem plötzlichen Selbstbewusstsein nicht über den Weg... er würde wohl ein Auge auf sie haben müssen, wenn sie kämpften.

Das Geräusch, das ihr Gespräch unterbrach, hatten sie alle schon einmal gehört; es war das Geräusch des Todes. In der Ferne erklang das Trommeln der Armada. Als die Kameraden die Luft anhielten und ganz still waren, spürten sie das Vibrieren der Erde unter dem Stampfen der Krieger, die jetzt marschierten. Im selben Moment hörten sie in der Stadt den schallenden Gong, der den Alarm auslöste und die vereinten Armeen von Kisara, Intario und auch Senjo, dessen Streitmacht einige Tage zuvor eingetroffen war, zur Bereitschaft aufrief. Das Geräusch fuhr ihnen durch Mark und Bein und Simu schloss bebend die Augen, während er sich plötzlich wünschte, wie die Schamanen mit den Geistern sprechen zu können.

Auch, wenn ich kein Schamane bin... wenn ihr meine Worte hört, Geister von Himmel und Erde... beschützt dieses Land, das ihr selbst geschaffen habt... lasst nicht zu, dass die Barbaren es zerstören.

„Auf denn.“, sagte Yarek und steckte sich in aller Ruhe eine Zigarette an, ehe er in die Runde seiner Schützlinge, Tayson und Ryanne blickte, „Tod und Schatten, Freunde. Und wehe, ihr krepiert. Chenoa würde mir die Haut abziehen...“
 

Senator Lyra sah den König des Ostreiches zum ersten Mal, als er umgeben von einer schwer bewaffneten Leibgarde mit seinem Streitwagen vorrückte, um ein paar Worte mit dem Herrscher von Kisara zu wechseln. Der Mann war vermutlich der größte auf der Welt lebende Mann; auf seinem Streitwagen war er so hoch wie eine Hütte, hatte der Herr der Geister das Gefühl, und er sah den König, der neben ihm auf seinem Ross saß, verblüfft die Augen weiten beim Anblick dieses gewaltig großen, verzierten Mannes. Er war geschmückt mit goldenen Ketten, Ohr- und Nasenringen sowie mit einem pompösen Kopfschmuck aus Knochen und Federn. Um seine Schultern lag ein Bärenfell, dessen zottiges, schwarzes Haar im eisigen Wind wehte, als der Kerl umgeben von seiner Garde, die kaum weniger furchteinflößend wirkte als er selbst, vortrat zur vordersten Front seiner Widersacher aus dem Zentrum. Er trug einen goldenen Brustpanzer, der abermals mit lauter überflüssigem Kram geschmückt war, sein Unterkörper wurde von der Vorderseite des Streitwagens und den Wachen davor verdeckt, aber vermutlich trug er auch dort lauter Klimbim. Puran Lyra unterdrückte ein Schnauben; er konnte sich einreden, dass all die glorreiche Aufmachung etwas überzogen und albern war, aber der Kerl war dennoch garantiert nicht als Gegner zu unterschätzen. Nicht, weil er so gigantisch groß war – es war sein Geist, der so eine furchteinflößende Aura verströmte. Der Herr der Geister sah dem König von Ela-Ri nur einen Moment in das mit Asche bemalte oder vielleicht sogar tätowierte Gesicht, in seine schwarzen Augen, die absolut seelenlos auf den Gegnern ruhten, und schon ein kurzer Moment, ein kurzer Blick in seinen Geist reichte, um den Mann unwillkürlich schaudern zu lassen.

Die Seherin hatte nicht gelogen. Das da war ein Mann von monströser Zauberkraft... seine Macht war so groß, dass er das Gefühl hatte, sie sehen oder sogar riechen zu können. Unruhig ballte er seine Hände zu Fäusten und verfluchte sich selbst, als er spürte, wie seine linke Hand unkontrolliert zu zittern begann. Verdammt noch mal, mussten diese Zuckungen gerade jetzt auftauchen... er schnappte nach Luft und versuchte, sich seine Unruhe nicht anmerken zu lassen, während er auf sich die Blicke seiner vier Kollegen spürte, die neben ihm in der vordersten Reihe standen.

„Er beherrscht einen furchtbaren Zauber...“, murmelte Saja Shai irgendwo und der Herr der Geister versuchte irgendwie, alles aus seinem Geist auszublenden bis auf das, was vor ihm lag, worauf er sich konzentrieren sollte. „Ich kann nicht sagen, was es ist, aber es wirkt furchteinflößend...“

„Windmagier.“, hörte Puran dann Henac Emo dazu sagen, „Er ist Windmagier, genau wie unser Häuptling Zitterhand. - Hey, Puran, deine Hand gehorcht dir ja mal wieder im passendsten Moment nicht. Ich gebe dir die Schuld, wenn der Arschsack da mich umlegt...“

„Halt den Mund.“, sagte Tare Kohdar, „Ich lache dich aus, wenn der Typ dich umlegt, Emo. Zeig etwas Rückgrat.“ Puran Lyra schnappte nur bebend nach Luft und versuchte mit aller Macht, die er entbehren konnte, seine zitternde linke Hand zu bändigen; in dem Moment hob der grimmige König von Ela-Ri eine Hand und gab wortlos den Befehl zum Anhalten. Der Streitwagen und die Wächter hielten an und standen jetzt in Hörweite der Verteidiger. Der König von Kisara auf seinem Pferd rührte sich nicht vom Fleck, als wäre er versteinert.

„Mal sehen, was er zu sagen hat.“, amüsierte Henac Emo sich, „Vielleicht dasselbe wie die Zuyyaner damals. Vielleicht wollen sie, dass Kisara ihre Kolonie wird, haha. Das hat schon letztes Mal nicht gezogen, wobei glaube ich niemand von uns so imposant Nein sagen wird wie es Tabari seinerzeit getan hat...“ Tabari. Puran schloss keuchend die Augen, als der Name seines verstorbenen Vaters fiel, und er bat ihn im Inneren, ihm seinen Mut und seine Macht zu leihen... und wenn es nur für diesen Tag war. Er war froh, dass er Saidah weggeschickt hatte... und daran, dass seine Söhne irgendwo in den Reihen hinter ihm standen und ihnen dieselbe Gefahr drohte wie ihm, wollte er gar nicht erst denken.

Mein Vater, Herr der Geister und Großmeister des Windes... ich bitte dich mit allem, was ich habe... wache mit deinem Schwert über meine Kinder und meine Frau, wo immer sie jetzt sein mag. Sag ihnen... dass ich nur lebe, um sie beschützen zu können... denn alles andere ist Schall und Rauch.

Er kam nicht dazu, weiter zu denken oder sich auf den Wind zu konzentrieren, der ihnen mit unnatürlicher Kälte und Schärfe in die Gesichter blies. Das fahle Licht der Sonne, die aufgegangen war und nach Süden zog, wärmte nicht wirklich; es war ein kaltes, tödliches Licht, das nicht von Hoffnung, sondern von Verderben sprach.

„Der König wird Euer Schicksal besiegeln...“

Hinter dem Streitwagen trat ein weniger pompös angezogener Mann hervor; als der König von Ela-Ri in seiner schnarrenden, kehligen Sprache zu reden begann, dolmetschte der Mann, der vorgetreten war.

„Seine Gnaden, der Herrscher des Ostreiches, des Reiches der Blutsonne und der Führer der größten, je auf Tharr gewesenen Streitmacht, sagt, der König von Kisara ist tapfer, dass er es wagt, sich zu stellen. Er sagt, er bewundert diese Tapferkeit und die der Männer, die ihm folgen. Aber euer Heer ist klein und die Menschen sind schwach; schwächer als die, die mit ihm aus dem Osten gekommen sind. Er sagt, der König von Kisara kann seine Waffen niederlegen. Wenn er sich ergibt und vor dem allmächtigen Herrn des Ostreiches niederkniet, wenn er seine Herrschaft über Kisara anerkennt, wird er verschont werden, ebenso alle Männer, Frauen und Kinder dieses Landes. Er wird Verwalter und Heerführer des Landes Kisara sein können, aber dienen wird er dem einzig wahren, dem Allmächtigen, der die Geister von Himmel und Erde an seine Füße zwingen kann.“ Da verstummte der Dolmetscher und der König von Kisara schnappte brummend nach Luft.

„Sag deinem Herrn, dass wir solche Worte schon einmal so ähnlich hörten vor Jahren! Damals waren es die Zuyyaner, die das sagten! Und sag deinem Herrn, dass wir weder eine zuyyanische Kolonie, noch eine Provinz von Ela-Ri werden! Wir sind ein vereintes Reich vieler, freier Länder! Die Männer, die ihr seht, kämpfen nicht für mich, sondern für ihr Heimatland und für die Freiheit! Und wenn es sein muss, tun wir das bis zum bitteren Ende, denn solange auch nur ein Sohn des Reiches hier steht und es verteidigt, hat dieses Reich ein Recht auf Freiheit.“ Die obersten Generäle und Führer, die ihn gehört hatten, brüllten zustimmend und stampften mit den Speeren und Lanzen auf, die sie trugen. Der Dolmetscher schien nicht geneigt, die Worte zu übersetzen, er fuhr stattdessen fort.

„Seine Gnaden sagt auch, dass wenn ihr das Angebot ablehnt, ihr alle einen grausamen Tod sterben werdet, dass es keine Gnade geben wird und der Schatten über euer 'freies Land' fallen wird, von diesem Tage an bis in alle Ewigkeit. Kein Mann, keine Frau und kein Kind wird verschont werden, nicht mal ein Hund. Überlegt euch das gut, Männer von Kisara... vielleicht ist es die letzte Entscheidung, die ihr trefft.“ Der Monarch schnaubte erneut und verschränkte die Arme.

„Ich sage, ich sehe nicht ein, vor einem Mann zu knien, der ja selbst, wenn ich stehe, schon viel größer ist als ich! Solange ich hier König bin, kniet niemand vor einem Heer aus Schattenkriegern! Und wenn meine Zeit kommt, wenn ich falle, dann wird es einen neuen König geben, der genauso wenig knien wird wie ich. Was immer mit mir geschieht, ich habe dafür gesorgt, dass Kisara ein freies Land bleiben wird... dass das Zentralreich ein freies Reich bleiben wird! Lieber sterben wir alle als Männer, die aus freiem Willen kämpfen, als dass wir Sklaven eines... eines Verrückten werden, der sich so bescheuert aufmacht und denkt, er würde mich beeindrucken können, hah!“ Seine letzten Worte ließen durch manche Reihen ein Glucksen fahren. Puran Lyra hatte die Augen geschlossen, spürte aber ganz genau den fassungslosen Blick des Dolmetschers, dem es nicht zu gefallen schien, was er hörte. „Sag es ihm, Übersetzer!“, fuhr der König ihn dann an und der Senator hörte das Klirren, als der König sein Schwert zog als deutlichste Geste dafür, dass er sich niemals ergeben würde, bis ihm jemand den Kopf abschlüge. Hinter ihnen hielten die Männer die Waffen ebenfalls bereit. Nach einer weiteren Aufforderung übersetzte der Dolmetscher kleinlaut die Worte des Königs. Der Herrscher von Ela-Ri gab ein Brüllen von sich, das tief und erschütternd war wie das Brüllen einer gigantischen Bestie; es klang mehr animalisch als menschlich, und in dem Moment, in dem Senator Lyra die Augen wieder öffnete, sah er gerade noch den Speer, den der animalische Herrscher seinem Dolmetscher durch den Brustkorb jagte, mit einer so gewaltigen Kraft im Arm, dass die Waffe fast bis zur Hälfte des Schaftes wieder aus dem Körper hervor trat. Der Übersetzer röchelte und brach in sich zusammen, während der König brüllend seinen Speer wieder hob und ihn schüttelte.

„Das ist aber unklug.“, kommentierte Henac Emo das, „Warum tötet dieser Vollidiot seinen eigenen Mann?!“

„Offenbar ist er der Meinung, dass er so viele Männer hat, dass ihm einer weniger nicht schadet.“, behauptete Neron Shai, und Emo grunzte.

Ich glaube ja eher, er ist Choleriker oder hat Minderwertigkeitskomplexe. Und das bei der Größe, ich will nicht wissen, wie groß sein Schwanz ist.“

„Ach, Emo, warum redest du denn immer nur von Schwänzen?!“, entrüstete sich Neron darauf, „Elende Schwuchtel.“

„Vielleicht hat er ja auch gar keinen, und das bei der Größe.“, feixte Saja, an ihrem Mann vorbei sehend, und Emo schnaubte.

„Gut, also, dann könnte ich sogar verstehen, dass er Minderwertigkeitskomplexe hat.“

„Formiert euch, Männer!“, brüllte der König in dem Moment, „Der Tag ist gekommen! Zeigt keine Gnade, denn sie werden auch keine mit euch haben! Wir werden hier stehen und die Brandung kommen lassen! Männer von Kisara, Männer von Senjo und Intario! Zeigt keine Furcht... im Schatten, denn er wird unweigerlich kommen! Und ich sage, wir werden ihn zerschlagen!“ Mit einem Brüllen riss er sein Schwert in die Luft, während der Streitwagen und die Garde des wütenden Königs von Ela-Ri zurück zu seiner Armada kehrten, wo er seine Krieger ebenfalls in Position brachte und ihnen den unbarmherzigen Angriff und die Vernichtung allen Lebens befahl, wie es aussah. Die Trommeln erklangen und das Beben der Erde wurde so stark, dass Puran kurz um sein Gleichgewicht kämpfte, als die Männer aus dem Ostreich sich brüllend nach Norden stürzten, auf die Armee zu, die dort wartete. Die Soldaten johlten, als des Königs Schwert in der blutigen Morgensonne blitzte. „Tod und Schatten!“, brüllte er, und die Männer erwiderten mit einer Intensität den Schlachtruf, dass der Herr der Geister einen Schauer über seinen Rücken fahren spürte.

„Hurra, es geht los!“, kicherte Henac Emo, der aus seinem Gürtel ein Schwert zog, „Und wer übernimmt den großkotzigen König?“

„Unterschätzt sie nicht.“, warnte Tare Kohdar und schüttelte seine Hände, „Sie sind größten Teils Schamanen wie wir, sie sind gefährlich. Tod und Schatten, Kollegen. - Puran... sag irgendwas, du bist der Ratsvorsteher!“ Puran stöhnte. Mit einer Handbewegung und einem kurzen Blitzen aus dem Himmel ließ er in seiner rechten Hand seine Waffe erscheinen, ein Schwert, das aus der puren, geformten Macht der Himmelsgeister bestand. Es war lange her, dass er seine mächtigste Waffe hatte einsetzen müssen... er hatte sich gewünscht, es nie wieder tun zu müssen.

„Ihr wisst, ich habe geschworen, nie wieder einen Menschen zu töten.“, sagte er dumpf, während die Armada auf sie zu rollte, „Ich kann nicht mehr tun als sie kampfunfähig zu machen. Den Rest muss jemand anderes übernehmen.“ Er erntete Schweigen seiner Kollegen, und ehe Emo irgendeinen dummen Kommentar abwerfen konnte, drehte der Herr der Geister seinen Kopf und sah die vier Kollegen einen Moment an; auf sein Gesicht schlich ein kurzes Grinsen. „Aber ich denke, ihnen Arme und Beine abzuschlagen bringt sie nicht um und ist trotzdem effektiv genug. Und wenn sie dann, ihrer Gliedmaßen beraubt, auf der Erde kriechen und um den Tod betteln... seid doch so gütig und gewährt ihn ihnen... den armen, geistlosen Maden.“ Mit einem Luftholen riss er sein Geisterschwert in die Luft, als aus dem Himmel ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte. „Tod und Schatten, Männer!“
 

Karana war nervös. Und es war nicht die Schlacht, die ihn nervös machte, nicht die Gewissheit, dass er an diesem Ort ganz plötzlich den Tod finden könnte; und wenn nicht er, dann sein Bruder, sein Mädchen, sein Freund Tayson oder sein Vater. Seine Instinkte sprachen zwar von Tod, aber er war sich sicher, dass sie nicht von seinem eigenen sprachen. Und solange er lebte, würde er schon nicht zulassen, dass den anderen etwas zustieß. Und dennoch loderte in ihm eine seltsame Unruhe, die er nicht kannte und die ihn nervös machte.

„...und wenn das Reich fällt, werden sie knien.“

Der junge Mann keuchte und hechtete im letzten Moment instinktiv zur Seite, als er durch seine Vision voller Tod und Macht hindurch den Speer sah, der auf ihn zu geflogen kam und der ihn skalpiert hätte, hätte er sich nicht bewegt. Die Nervosität tief in seinem Inneren mischte sich mit dem betörenden Gefühl der Macht, als er sein klares Denken langsam zurückgewann; und Macht gab ihm die Kraft zum Angreifen. Ohne große Probleme beschwor er in seiner Hand ein Windmesser, das er nach seinem Gegner schleuderte, der ihn mit dem Speer beworfen hatte; der Mann verlor seinen Kopf, ehe er Zeit bekommen hätte, darüber nachzudenken, ob er weglaufen oder kontern sollte.

„Maden!“, zischte Karana und spürte das angenehme, berauschende Kribbeln, das die Macht der Windgeister in seinem Körper verursachte, das ihn von Kopf bis Fuß beherrschte, als er das Schwert zurück an den Gürtel steckte, das er bekommen hatte, um stattdessen beide leeren Hände keuchend dem Himmel entgegen zu strecken. Er hörte das Donnern aus dem Himmel, das das Brüllen der Schlacht übertönte, und in seinen Augen blendete der gleißende Blitz, der aus den wenigen Wolken zuckte.

„Sieh mich an... Vater Himmel!“, keuchte Karana und weitete in seiner Ekstase die Augen, als die Macht durch seinen Körper rauschte und er sich fühlte wie auf dem Hochland – er erinnerte sich irgendwo in seinem Hinterkopf an den dämlichen Speer, der in seiner Schulter gewesen war, und fühlte noch immer den dumpfen Schmerz. Dieses Mal würde er sich nicht der Euphorie verschreiben, sondern Herr über seinen eigenen Geist sein, so, wie Saidah es ihn einst gelehrt hatte. „Saidah!“, schnappte er den Namen seiner Flamme, „Sieh mich an im Geiste, wo immer du jetzt sein magst! Sieh... mich an und du wirst sehen, dass ich es bin, der die Geister von Himmel und Erde beherrscht! Sei... stolz auf mich, Saidah!“ Und mit einem Beben zu seinen Füßen und dem erneuten, lauten Krachen aus dem Himmel riss er seine Hände wieder herab, um die Geisterwinde auf die Erde herunter zu ziehen und sie Tod und Verderben über jene bringen zu lassen, die es wagten, dieses Land für sich zu beanspruchen, das ihnen nicht zustand. Mit einer ungeheuerlichen Kraft fegte der Sturm aus dem Himmel gen Süden über die Reihen der Angreifer, zerfetzte sie wie ein gigantisches Fleischermesser und schleuderte ihre Stücke zurück in den Himmel, als wären sie Fleischopfer. Und Karana zitterte, die Hände noch immer von sich gestreckt, während er die Augen schloss und sich bei Mutter Erde für das Blut entschuldigte, das er auf ihrer Haut vergießen musste. „Ehre die Lebensgeister der tapferen Maden.“, kicherte er dabei, „Damit sie nicht zu Dämonen werden und wieder und wieder zu uns zurückkehren, um uns zu tyrannisieren.“

Auf seine Worte folgte eine Weile der eigentümlichen, angenehmen Ruhe, als es plötzlich vorbei war.
 

Die erste Welle war schnell dahin; Karanas Vater hatte keine Zeit, sich darüber zu wundern, als der Zorn des Himmels über die Angreifer fegte und sie vor den Augen der Verteidiger aus dem Zentrum in Stücke riss.

„Wie diabolisch!“, keuchte der König irgendwo, der inzwischen zu Fuß war, weil sein Pferd beim ersten Angriff getötet worden war. „W-was war denn das für ein Zauber?!“ Puran Lyra keuchte und weigerte sich, in der Masse der Krieger irgendwo nach Karana zu suchen; wenn er genau wüsste, wo sein Sohn war, würde er sich nur noch mehr um ihn sorgen. Es war gut, wenn er ihn nicht beachtete.

„Das war es doch wohl aber nicht!“, schnaufte der Heerführer von Kisara irgendwo hinter dem König, „Majestät, seid auf der Hut! Das war nur die erste Angriffswelle, und ich fürchte, es waren auch die Schwächsten von ihnen, die der protzige Monarch wohl so zum Test zuerst geschickt hat. Jetzt weiß er, dass wir keine Amateure sind, und schickt als nächstes Schlimmeres.“ Er brüllte zurück in die Reihen der Soldaten: „Formiert euch, Himmel noch mal! Das war nicht alles!“ Tatsächlich beobachtete der Herr der Geister jetzt, wie aus dem Süden eine zweite Welle heran marschierte. Sie waren nicht wie Bären gekleidet, aber dennoch genauso groß, und sie trugen blitzblank polierte, goldene Rüstungen, in denen sich das gleißende Licht der Vormittagssonne spiegelte, dass es die Verteidiger blendete. Keuchend hob der Mann eine Hand vor seine Augen, was aber nur wenig brachte – und sie waren verdammt schnell. Sie leuchteten nicht nur grell wie ein Blitz, sie waren einer, als sie von einem Moment auf den anderen plötzlich direkt vor ihnen waren; einen Augenblick später flogen schon die gleißenden, blendenden Lichter der Gegner durch die Reihen der Krieger.

„Achtung!“, hörte er dann Tare Kohdar irgendwo hinter sich, im nächsten Moment sah er rechts eine Wand aus Feuer erscheinen, die die blendenden Goldmänner in Rüstung niederzwang, die versuchten, hindurch zu rennen.

Diese Arschlöcher, war alles, was dem Herrn der Geister ungestüm durch den Kopf fuhr, als er herum wirbelte und mehr zufällig gegen das blendende Sonnenlicht einen der Krieger erwischte, dem er die Beine zerschnitt, worauf er zu Boden stürzte und sodann von seinen Kollegen niedergetrampelt wurde, Diese absoluten Arschlöcher, sie sehen nicht nur albern aus, sie wissen ganz genau ihre Vorteile einzusetzen... solange sie im Süden stehen, haben wir die verdammte Sonne im Gesicht. Wenn das so weiter geht, sind wir erblindet von diesem Licht, ehe die Sonne untergeht!

Er keuchte und schloss die Augen, um sie gegen das grelle Licht zu schützen, das nicht nur ihn selbst, sondern die ganze Armee behinderte. Die Ostmänner mit der Sonne im Rücken hatten es dadurch plötzlich leicht, anzugreifen und die Reihen der Verteidiger plötzlich mit ungeahnter Effektivität zu säubern. Puran war Schamane, er konnte auch mit inneren Augen sehen und so auch mit geschlossenen Augen weitermachen; aber abgesehen von seinen Kollegen und vielleicht Karana war er da auch der einzige, der diesen Vorteil hatte.

Mutter Erde... verschlingen solltest du sie. Ausgefuchste Mistkerle...

Er hörte um sich herum das Krachen des fast unbewölkten Himmel, das Zischen von Feuerzaubern und das Rauschen einer Flutwelle, die irgendjemand heraufbeschworen hatte, vermutlich Saja Shai, und mit einem weiteren Keuchen fuhr der Senator wieder herum, brachte mit seiner Waffe noch einen Mann zu Fall und ärgerte sich über die unnötigen Umstände.

„Nur Ärger hat man!“, murrte er, während er sich nach allen Seiten umsah, die Augen schwerfällig wieder öffnend, und sich dann nach Westen durchzuschlagen versuchte.

„Diese Mistkerle!“, hörte er Neron Shai irgendwo fluchen, „Ich kann, verdammt noch mal, nicht arbeiten so! Nächstes Mal nehme ich mir einen Hut mit!“ Ein Dröhnen aus der Erde und ein folgendes, mächtiges Beben warf die meisten beteiligten beider Fronten von den Beinen, ehe unter ihren Füßen ein Erdspalt aufging, in den viele Kämpfer schreiend stürzten. Fluchend hechtete Puran Lyra zur Seite und riss einen Soldaten aus Intario noch am Kragen zurück, der beinahe in den Spalt gestürzt wäre.

„Pass auf deine Füße auf, junger Mann!“, meckerte er und fuhr nach Westen herum, ehe er brüllte: „Emo! Du elender Saftsack, beweg deinen Arsch hierher, und zwar plötzlich!“ Schneller als gedacht war besagter Emo neben ihm, und der Herr der Geister keuchte erschrocken, als er die süffisante Stimme seines verhassten Kollegen auf einmal neben sich hörte.

„Jawohl, Häuptling Zitterhand? Ganz neue Töne hier, du verlangst nach mir, Puran? Du musst es aber nötig haben.“ Puran spuckte ihm vor die Füße und kniff die Lippen zusammen.

„Ich hasse es, dich für irgendetwas zu brauchen! Aber du... bist hier der Schattenmagier. Also beweg deinen Arsch und mach die Sonne aus. Jetzt!“

„Wenn du mich lieb bittest, vielleicht...“, grinste der Schwarzhaarige, und Puran zischte und hielt ihm grimmig sein Schwert an die Kehle.

„Wenn du erwartet hast, dass ich dir dafür einen blase oder so, vergiss es. Du tust besser, was ich sage, mein Zorn ist fürchterlich, und erst recht, wenn meine verfluchte Scheißhand so zittert, weil das meine Laune grundsätzlich verschlechtert!“

„Schade, hätte ja klappen können.“, kicherte Emo, „Dich vor mir knien zu sehen hätte ich echt begrüßt... wobei ich Angst hätte, dich an meine Eier zu lassen, du bist so gehässig...“

Mach sie aus, verfluchter Bastard!“, fuhr der Herr der Geister ihn an, und er war heilfroh um seine eigenen Nerven, dass der Mistkerl endlich gehorchte, mit dem Schwachsinn aufhörte und die Arme gen Himmel streckte.

„Natürlich, Häuptling, dein Wunsch ist mir Befehl. Und du sagst, dein Großvater Kelar wäre der Tyrann gewesen.“
 

Es wurde dunkel. Iana keuchte und sprang zurück, womit sie dem Beil eines Kerls auswich, der sie angegriffen hatte, ehe sie erschrocken zum Himmel starrte, als plötzlich Schatten über die Ebene fiel und die blendende Sonne verdeckte. Im Nu war es dämmrig im ganzen Land bis hin zum Horizont, und die junge Frau fragte sich fassungslos, ob das jetzt gut oder schlecht war; das fragte sie sich überdies bei jedem Zauber, den sie so am Rande mitbekam, weil sie nie einschätzen konnte, ob es ein Zauber der Feinde war oder ob Karana, sein Vater oder dessen Kollegen ihn gerufen hatten. Das blendende Leuchten der golden gerüsteten Soldaten verblasste im Schatten und machte den Effekt ihrer Rüstung wirkungslos; wer immer hier den Himmel verdunkelte, es kam ihnen zu gute. Iana trödelte nicht lange damit, sich darüber zu freuen, denn nur, weil sie nicht mehr blendeten, waren diese Männer nicht kraftlos geworden. Der, der sie angegriffen hatte, stürzte sich wieder auf sie zu und brüllte, worauf sie abermals zur Seite auswich und mit ihrem wertvollen Kurzschwert nach ihm schlug. Sie verfehlte die Stelle unter seinem Arm, die, wie sie schnell erkannt hatte trotz des Lichtes, eine der Schwachstellen der harten Rüstung war und an der sie ihn leicht verletzen konnte. Stattdessen gab es ein klirrendes Geräusch, als ihr Schwert die Rüstung traf. Iana schnappte fluchend nach Luft und duckte sich unter dem Beil weg, das der Mann in ihre Richtung schwenkte, aber überraschend riss er jetzt eine seiner Hände vom Griff seiner Waffe und schleuderte seiner Gegnerin einen messerscharfen Eiszapfen entgegen, den er aus dem Nichts entstehen gelassen hatte.

„Verdammte Zauberer!“, keuchte die Schwarzhaarige und zischte, als sie sich instinktiv zur Seite warf und der Eiszapfen so nur ihre Schulter streifte. Der Schmerz war auch dabei schon unangenehm genug und sie ohrfeigte sich innerlich, das nicht vorher geahnt zu haben. Irgendwo in der Ferne des Südens hörte sie durch das Schreien der Kämpfer und das Röcheln der Sterbenden hindurch das Geräusch eines Horns, das vermutlich eine weitere Welle des Angriffs ankündigte. Sie fuhr herum und sah eine gigantische Welle von neuen Kriegern über die Ebene zu ihnen kommen; sie trugen keine goldenen Rüstungen, dafür aber Armbrüste von solch furchteinflößender Größe und Schlagkraft, dass die ersten Pfeile schon durch die Köpfe von Männern schossen und sie niederstreckten, als die Schützen noch so weit entfernt waren, dass man nicht mal ihre Gesichter erkennen konnte. Was für barbarische Waffen hatten diese Männer? Direkt neben ihr flog aus dem Nichts mit unglaublicher Geschwindigkeit ein Pfeil durch die Luft und schleuderte einen Soldaten knapp hinter ihr mitten im Rennen zurück und zu Boden, wo er röchelnd der Schusswunde in seiner Brust erlag. Die Frau japste und wirbelte abermals herum, weil der Goldmann, der sie immer noch bekämpfte, jetzt wieder mit seinem Beil auf sie zu kam; im letzten Moment konnte sie den Angriff mit ihrer eigenen Waffe blocken, aber die Wucht des Schlages schmetterte sie auf den Erdboden und das Kurzschwert fiel ihr aus der Hand. Abermals fluchend versuchte sie, sich aufzurappeln, aber das nächste, was sie spürte, war der beißende, kalte Schmerz eines weiteres Eiszapfens, der sich in ihren Oberschenkel bohrte und sie an den Boden nagelte. Sie kippte zurück und starrte mit weit aufgerissenen blauen Augen auf den brüllenden Gegner, der, des Sieges bereits sicher, sein Beil wieder schwang und sich auf sie stürzte.

„Warum, zum Geier, kann ich jetzt nicht eine Lian beschwören?!“, schrie sie in ihrer Hysterie, „Verdammt noch mal!“ Sie riss keuchend ihre Arme zur Seite und versuchte, an ihr Schwert zu kommen, aber es lag zu weit weg – das nächste, was sie mitbekam, war das erneute Brüllen des Gegners, das sich aber verändert hatte; einen Moment später fiel der Mann direkt auf sie drauf und begrub sie unter seinem Gewicht. Das Beil fiel zu Boden und verfehlte um ein Haar Ianas Brustkorb. Verblüfft blieb sie liegen, während der Schmerz ihr Bein betäubte und sie fassungslos erkannte, dass der Typ tot war – auf seinem Rücken klaffte eine beeindruckende Fleischwunde trotz der Rüstung. Das Blut lief an seinem Körper herab und auf die Frau, und japsend versuchte sie, ihn wegzuschieben, bis das Gewicht auf ihr plötzlich verschwunden war. Als nächstes sah sie Karanas Gesicht.

„Dumme Frau.“, schalt er sie, „Was lässt du dich da an die Erde nageln? Wurde ja auch Zeit, dass ich dir auch mal das Leben rette, was wäre ich sonst für ein Mann?“ Sie räusperte sich, als er mit einer simplen Handbewegung einen Windzauber auf die Erde unter ihrem Bein schleuderte; der Boden brach darauf auf und sie konnte ihr von Eis durchbohrtes Bein wieder bewegen; auch, wenn es grauenhaft wehtat, sobald sie es wagte. Keuchend schnappte sie ihr Schwert und ließ sich von Karana auf die Beine helfen. Sie kam nicht dazu, sich zu bedanken, stattdessen schrie sie auf und zeigte hinter ihn; als der Schamane instinktiv ihre Schulter packte und sie beide zur Seite riss, ging einer der todbringenden Pfeile haarscharf an ihren Köpfen vorbei. „Verdammt, nervt doch jemanden anderes!“, brüllte Karana darauf erzürnt, fuhr herum und warf einen weiteren Windzauber nach dem Kerl, der sie angegriffen hatte; und Iana war verblüfft, als sie vor sich plötzlich einen Krieger sah, der sich in seinem pompösen Auftreten, seinem Schmuck und seinem herrischen Blick sehr von den anderen unterschied. In seiner Hand trug er einen Speer, der mit den Schädeln kleiner Nagetiere, Federn und Knochen verziert war. Seine Augen wirkten trübe und milchig, kurz fragte Iana sich, ob er blind wäre – das war unmöglich, ein blinder Mann konnte nicht an so einer Schlacht teilnehmen... das war ausgeschlossen.

„W-was ist denn das für einer?“, hörte sie sich fragen, ehe sie sich zurückhalten konnte, und Karana schob sie hinter sich; verblüfft stellte sie fest, dass er zitterte.

„Das ist der Bruder des Königs. Er ist ihr Seher, obwohl er blind ist, und er befiehlt den Himmelsgeistern. Das ist kein Gegner für dich, Iana... verschwinde, und tu es schnell.“

„Woher weißt du das alles?“, fragte sie verblüfft.

„Ich sehe in seinen Geist... das ist nicht schwer, vergiss nicht, dass ich der Sohn des Herrn der Geister bin.“ Sie schauderte und starrte den Mann vor ihnen fassungslos an; obwohl er offenbar allen ernstes blind war, hatte sie das Gefühl, er sähe sie genau an mit seinen trüben Augen, und es fühlte sich an, als durchbohrte er mit seinem Blick ihren Körper auf noch brutalere Art als der Eiszapfen... nein, er durchbohrte sogar ihren Geist. Ein Schauer durchfuhr sie und sie wäre beinahe gestolpert und hingefallen, als Karana sie plötzlich in einem ungeahnten Beschützerinstinkt weiter rückwärts schubste und sie anbrüllte, sie sollte verschwunden. Er verblüffte sie mit seiner plötzlichen heroischen Ader; wo war denn seine sonstige Überlegenheit und seine Arroganz geblieben?

Er ist der Sohn des Herrn der Geister! Er hat es selbst oft genug gesagt... er wird ja wohl nicht glauben, dass dieser blinde Fatzke ihm gefährlich werden kann?

Das wäre in der Tat ein unnatürlicher Sinneswandel; die Bewegung des Gegners und sein urplötzlicher Angriff beendeten ihre verblüfften Gedanken. Wie ein Raubvogel sich vom Himmel stürzte stieß er hervor mit seinem rasselnden Speer und Karana sprang zurück, stieß dabei gegen die Frau und blockte den Angriff mit dem Schwert, das er trug – oder versuchte es, denn mit einem unschönen Geräusch brach der Stahl seiner Klinge ob der Macht des Zauberspeers. Karana keuchte und Iana stürzte benommen von den Schmerzen in ihren Beinen wieder zur Erde.

„Bist du noch nicht weg?!“, schrie ihr Liebhaber sie an, und als er für einen Moment zurück zu ihr sah, erkannte sie in seinen grünen Augen etwas, das sie noch nie bei ihm bemerkt hatte; blinde Panik. Und nicht etwa Angst um seine eigene Haut... sondern Angst um sie. Sie konnte sich nicht erklären, was es war, das ihr diese Gewissheit gab, aber in dem Moment war es, dass ihr klar wurde, dass er allen Ernstes Panik hatte, ihr würde etwas zustoßen. „Hau endlich ab!“, fuhr er sie an, „Verdammtes Weibsbild, er wird dich töten, wenn du nicht läufst!“

Selbst, wenn sie hätte laufen wollen, ihr Bein hätte ihr den Dienst versagt. Sie schaffte es gerade noch, sich wieder aufzurappeln, als der komische Vogel erneut angriff und Karana mit einem Windzauber gerade noch verhindern konnte, dass der Speer ihn erwischte, aber er stolperte zu Boden und schnappte nach Luft. Die Schwarzhaarige packte ihr Kurzschwert und hechtete so gut sie konnte zurück zu ihm, um einen weiteren Speerstoß ihrerseits mit ihrer Waffe abzuwehren. In der Erwartung, auch es würde bersten unter dem Schlag, war sie erstaunt, als ihre Waffe dem Speer standhielt. Der komische Zauberer sagte etwas auf seiner kehligen Sprache und wirkte gleichzeitig plötzlich furchtsam und doch wild entschlossen; was immer er gesagt haben mochte, irgendetwas schien ihn sehr zu faszinieren oder zu entsetzen... Iana fragte sich, ob es an dem Schwert lag.

„Vergiss es, Vollidiot.“, keuchte Iana in Karanas Richtung, der plötzlich erbleichte, „Ich lasse dich hier nicht verrecken, das würde irgendwie alle anderen Male, die ich dich gerettet habe, umsonst machen... und ich verschwende ungern meine Zeit.“

„Sag mir, dass du mich liebst!“, verlangte er plötzlich und sie hätte fast laut aufgelacht, so sehr erstaunten sie seine komischen Worte. Während sie mit ihrem Schwert den Gegner zurückstieß, rappelte Karana sich auf die Beine und riss die Hände gen Himmel.

Wie bitte?“, schnaubte sie dann, „Wie du willst, ich liebe dich!“

„Verdammt!“, jammerte er, „Ich habe keinen Bock auf diese Scheiße, ich will mich jetzt mit dir vereinen!“ Sie errötete perplex, dachte aber nicht weiter daran und fragte sich, was der Quatsch sollte; wieso wollte er mitten in einer Schlacht plötzlich mit ihr schlafen? War das normal bei ihm...?

Sie kam nicht dazu, weiter zu denken. Das nächste, was sie spürte, war ein wahnsinniger Druck auf ihrem Kopf, der sich anfühlte, als fiele der Himmel gerade auf sie hinab; keuchend gab sie dem schmerzenden Druck nach und stürzte zu Boden, während sie japsend ihre Waffe umklammerte und die Stimme des blinden Typen hörte, sowie Karana, der irgendwo neben ihr nach Luft schnappte und dann ebenfalls wieder zu Boden geschleudert wurde. Vor ihren inneren Augen sah sie plötzlich das Meer... und sie spürte das Zittern der Erde unter sich, auf der sie lag, ehe der Druck auf ihrem Kopf mit einem Krachen zu explodieren schien und es ihr vor den Augen erst weiß, dann pechschwarz werden ließ.
 

Eine eigenartige Warnung der Geister ließ Senator Lyra den Kopf herum reißen, obwohl er sich nicht erklären konnte, was es war; mit einem Mal schmerzte sein Kopf und die Geister des Himmels zischten ihm Worte von Verdammnis zu, die er nicht einordnen konnte. Natürlich sprachen sie davon, sie waren in einem verdammten Krieg! Der Mann bereute den flüchtigen Moment der Unachtsamkeit, als er einen Moment später einen weiteren Kerl auf sich zu kommen sah und mehr durch Glück als durch Verstand den Arm hinauf riss, den dann der heran sausende Pfeil traf, der ihn sonst locker skalpiert hätte. Er keuchte und hechtete zurück, beunruhigt über die eigentümliche Warnung; die Geister waren zwar sadistische Kreaturen, denen es Spaß machte, die Lebenden zu verwirren, aber sie logen nie. Irgendetwas war passiert, das spürte er... aber was es war, konnte er nicht sagen. Sein Gegner stürzte sich auf ihn und brachte ihn zum Stolpern, und als der Mann zu Boden fiel, schlug er dem Angreifer mit seinem blitzenden Geisterschwert gegen die Beine, ehe er sich zur Seite rollte und so gerade noch dem jetzt stürzenden Kerl auswich, der mit zerschnittenen Beinen keine Gefahr mehr war.

Eine weitere Warnung erreichte seine Seele, aber dieses mal war es eine, die er schon kannte.

Der König von Ela-Ri wird Euer Schicksal besiegeln... sieh nach Osten in die Schatten, Puran Lyra.“ Sich rasch wieder aufrappelnd wendete er sich keuchend nach Osten, wie ihm geheißen worden war; er war nicht überrascht, dort in der Ferne den gewaltigen Herrscher des Schattenlandes zu sehen, der im selben Moment vermutlich die gleiche Eingebung gehabt hatte wie er selbst, denn er sah jetzt zu ihm herüber, heraus ragend aus der blutigen Menge der sich bis zum Tod bekämpfenden Männer. Keuchend umklammerte Senator Lyra sein Schwert, während er mit seiner nervös zitternden linken Hand den Pfeil aus seinem Oberarm zerrte, der eine schmerzende, aber ungefährliche Wunde hinterließ.

„Ich verfluche dich, Bestienkönig.“, sagte er langsam zu sich und heftete seinen starren Blick auf den gigantischen Kerl; er selbst war ein großer Mann. Aber der überragte ihn um sicher zwei Köpfe, wenn nicht mehr. Und er schien in der ganzen Schlacht kaum einen einzigen Kratzer davongetragen zu haben. Puran spürte die Macht seines Geistes über die weite Entfernung hinweg und fragte sich, während er zornig versuchte, seine linke Hand zu bändigen, die ihren eigenen Geist zu haben schien und deren Zittern immer heftiger wurde, was der König dort wohl in seiner Seele sah, wenn er ihn ansah. Einen würdigen Gegner oder doch eher leichte Beute? Er mochte der Vorsteher des obersten Rates sein, aber vor dem Antlitz dieses Monstrums fühlte er sich plötzlich wie ein kleiner Junge in Erwartung einer Tracht Prügel von seiner zornigen Mutter.

Nur, dass seine Mutter ihn eigentlich nie verprügelt hatte...

Der Gegner lächelte ein bizarres Lächeln – und als er sich bewegte, packte der Kleinere schon seine Waffe fester, aber der Riese wandte sich nach Norden und von ihm ab.

„Was denn, und jetzt kehrst du mir den Rücken, nachdem du so herausfordernd geguckt hast? Feige Schlange...“, brummte der Herr der Geister, ehe er ebenfalls nach Norden sah und erkannte, was die Aufmerksamkeit des Giganten von ihm abgelenkt hatte. Vor ihm stand jetzt der kleine König von Kisara, der gegen den anderen Herrscher wie ein Zwerg wirkte. Tapfer Schwert und Schild erhoben stellte er sich dem übermächtigen Kerl und zeigte keine Furcht, obwohl er sicher welche haben musste; der Gegner war ein Magier, und er war letztendlich nur ein einfacher Mensch.

„Nur, weil ich kleiner bin als du, heißt das nicht, ich würde kneifen! Du beanspruchst mein Land, mein Reich – und ich werde es verteidigen, wie es meine Pflicht als König verlangt! Du... bist mein Gegner, du riesiger Hornochse!“

In diesem Moment war es, dass Puran Lyra die Warnungen von Tod und Verderben erst richtig begriff. Und in diesem Moment war es, dass er sich wünschte, er könnte sich teleportieren wie die Telepathen. Er war nicht schnell genug...

Mit einem hysterischen Keuchen hechtete er los in die Richtung der beiden Monarchen, stieß irgendwo Tare Kohdar zur Seite, der ihm in den Weg kam, und stach irgendeinen zufällig auserwählten Gegner nieder, vor seinen Augen nur das Bild der beiden Könige, der eine sicher doppelt so groß wie der andere.

Nein! Verdammt, lasst mich durch! Aus dem Weg, ihr Missgeburten!“, schrie er panisch, während er rannte und hinter sich Tare Kohdar irgendetwas rufen hörte, was er nicht verstand. Aus dem Himmel krachte es und er spürte das Zittern seiner linken Hand, als er sie in seiner Panik hinauf riss. Er wusste schon in dem Moment, in dem er darin einen Windwirbel aus bebender, geistiger Macht entstehen ließ und ihn in aller Verzweiflung nach dem großen Monsterkönig schleuderte, dass er versagen würde – er stolperte, als einer der Ela-Ri-Krieger sich seitlings auf ihn warf und ihm mit seinem blutigen Schwert ins Bein stach. Seine zitternde, verfluchte Hand hatte mit dem Zauber den Bestienherrscher nicht getroffen, der fuhr nur in dem Moment herum, in dem Puran Lyra keuchend mit dem Schwert im Bein zu Boden stürzte; der Mann, der ihn angegriffen hatte, wurde von irgendjemandem anderes getötet und zu Boden geschleudert.

Hustend riss der Senator die Waffe aus seinem schmerzenden Bein und rappelte sich heftig nach Luft schnappend auf – er spürte die Blicke aus den schattigen Augen des gegnerischen Königs auf sich, der jetzt einen mächtigen Schritt auf ihn zu trat; wenigstens hatte er seine Aufmerksamkeit von dem kleinen König ablenken können...

„Er wird Euer Schicksal besiegeln... ich habe nicht gesagt, dass Ihr sterben müsst, Senator Lyra.“

In dem Augenblick packte der große Kerl ihn am Kragen und riss ihn ein Stück empor, bis er sein Gesicht so dicht vor Purans senkte, dass der Herr der Geister seinen Gestank nach Blut, Tod und Schweiß riechen konnte; und den Gestank seiner verfaulten Seele, die nichts kannte außer Schatten und Machtgier. Die Seele eines Monsters...

Er fragte sich, wie er bitte sehr nicht sterben sollte – dieser Moment war doch wie zum Sterben gemacht. Er konnte sich nicht bewegen in dem grausamen Griff des Kerls, der ihn anstarrte und direkt in seine Seele sah... in die einzige Furcht, die er in diesem Moment verspürte, die nicht die Furcht vor dem Tod war.

Wenn er unseren König zu Fall bringt, sind wir erledigt.

„Nimm mich!“, keuchte er dem Gegner entgegen und war sich sicher, dass die Geister ihm seine Worte übersetzen würden. „Töte mich, Unhold. Bin ich es nicht, den du fürchtest...? Wir sind beide Windmagier und du bist ein Herr der Geister, genau wie ich. Also, worauf wartest du noch?“ Der Mann sprach. Puran konnte kein Wort von dem verstehen, was er sagte, und er beneidete seinen Sohn und seine verstorbene Mutter für ihre angeborene Sprachbegabung, die er selbst nie besessen hatte. Und die Geister verrieten ihn in dem Moment, in dem der große König ihn mit einem gewaltigen Schlag zurück zur Erde stieß, in einer Heftigkeit, dass Puran Lyra irgendeine seiner Rippen brechen spürte und vor Schmerz aufschrie. Dann sprach der Mann erneut – und plötzlich benutzte er, wenn auch in starkem Akzent, die Worte der Einheitssprache.

„Lang... lebe der König, Puran Lyra.“

Zu spät sah Senator Lyra geblendet von den grauenhaften Schmerzen seiner gebrochenen Rippe seinen eigenen König, der den Großen von der Seite angriff und mit seinem Schwert tief in dessen Oberschenkel schlug, worauf die einzige, klaffende Wunde auf dem Körper des Riesen entstand. Den König von Ela-Ri bedurfte es nur einer Handbewegung, um seinen kleineren Gegner von sich weg zu Boden zu schleudern, und einer zweiten, um seinen blutigen Speer herum zu reißen und den kleinen Monarchen damit aufzuspießen wie ein Stück Fleisch.
 

In dem Moment war es, dass der Himmel über dem Reich zusammenfiel. Es gab ein markerschütterndes Beben und das Tosen eines mächtigen Donnerschlags, während plötzlich wahnsinniger Lärm und erneutes Schlachten von Südwesten her ertönte. Puran Lyra hörte den Lärm nicht. Er wusste nicht, wie er es, angeschlagen wie er war, geschafft hatte, auf die Beine zu kommen. Er wusste nur, dass er plötzlich wieder stand, dass er mit einem lauten Schrei sein Geisterschwert herum riss und sich auf den König von Ela-Ri stürzte. Das Schwert zog eine tiefe Schnittwunde quer über das tätowierte Gesicht des Kerls, der darauf brüllend zurück fuhr und seinen Speer zurück riss. Dann strauchelte Senator Lyra und die betäubenden Schmerzen kehrten zurück, die ihm jeden Atemzug zur Folter machten. Er stürzte keuchend auf den mit Blut besudelten Erdboden, während der große König über ihm in den Himmel hinauf ragte wie ein gigantischer Felsen. Sich das blutüberströmte Gesicht haltend stierte er voll von Hass, Rachedurst und erfüllt von seiner bösen, schattigen Macht auf seinen Kontrahenten hinab – dann fuhr er plötzlich herum nach Südwesten und schien entsetzt über das, was er dort sah. Mit einem wütenden Brüllen zog er sich zurück nach Südosten und Puran beobachtete fassungslos und halb ohnmächtig, wie die feindlichen Krieger ihrem Herrscher folgten und sich ebenfalls zurückzogen.

„Sie geben auf, hahaha!“, hörte er irgendwo Neron Shai jubeln, „Feiglinge, Verlierer! - So ein Glück, sind das die Leute aus Alymja?! Purans Cousine war offenbar fleißig... die kamen gerade zur richtigen Zeit!“

Der Herr der Geister hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Keuchend versuchte er, sich aufzurappeln, strauchelte aber sofort wieder und gab es auf, um dann auf allen Vieren und mit dem Gefühl, jeder Zeit an den Schmerzen zu verrecken, in Richtung des kleinen Königs krabbelnd, der am Boden lag. Er röchelte und zuckte; der gigantische Speer des Monsters musste seine Lunge verletzt haben, und als der Senator seinen Vorgesetzten erreichte, spuckte dieser Blut, während seine Hand unruhig umher irrte.

„S-Senator... Ihr seid... ja noch... am Leben. So ein... Glück!“

„Um Himmels Willen!“, jammerte Puran und presste seine eigene Hand auf seine übelst schmerzende Brust, ehe er das Geisterschwert verschwinden ließ. „S-sie sind weg! Majestät, sie sind weg! Jemand wird einen Heiler rufen...“

„Das... ist wohl überflüssig... haha...“, machte der König und röchelte erneut; Senator Lyra schrie. Verdammt, das durfte doch nicht wahr sein! Jetzt kamen auch andere zu dem tragischen Szenario. Neben ihm tauchten Henac Emo und Tare Kohdar auf, ihm gegenüber fiel der General aus Kisara neben dem König auf die Knie.

„Majestät!“, schrie er dabei, „Um Himmels Willen! - Einen Heiler!“

„Lasst... General.“, stöhnte der König, „Meine Zeit ist gekommen. Hat das nicht die Seherin... gesagt? Die Zeit... des Königs.“

„Aber was sollen wir denn ohne König?!“, rief Tare Kohdar bestürzt, und Puran Lyra schnappte fassungslos nach Luft.

„Es wird... doch einen geben.“, keuchte der Monarch, „Ich habe eine... Verfügung hinterlassen. Ich hatte... keine Nachkommen oder Verwandte... ich habe... also eine schwere Entscheidung treffen... m-müssen.“ Er hustete und bebte am ganzen Körper, und unruhig tastete seine Hand über den harten Erdboden, bis er Senator Lyras Knie erreichte und sich daran festhielt. „Gebt mir... Eure Hand, Senator...“, keuchte er, „Bitte... ein letztes Mal. Ihr wart... mir immer ein treu ergebener... höflicher Untertan. Obwohl Ihr... so viel Macht habt... h-habt Ihr Euch trotzdem dem Befehl eines viel schwächeren... Mannes verschrieben. Tut mir... den Gefallen... es ist das letzte Mal, dass ich etwas von Euch... verlange. Aber es... w-war die einzig richtige Entscheidung...“ Puran keuchte und nahm gehorsam die Hand des sterbenden Mannes.

„Himmel, Majestät!“, jammerte er aufgelöst, „Redet doch nicht so, natürlich gebe ich Euch meine Hand! Ich gebe alles, wenn Ihr am Leben bleibt!“ Er war im Stillen froh, dass Henac Emo ausnahmsweise mal seine Schnauze hielt. Der König lächelte verzerrt von Todesqualen, die er erleiden musste durch den Schmerz.

„Nein... das meine... ich nicht. Ihr... seid der Einzige... der diesem König... den Garaus machen kann. Ihr seid der... H-Herr der Geister. Nur Ihr könnt das... beenden... deswegen seid Ihr der einzige... der... meine... Nachfolge übernehmen kann. Das ist... der letzte Befehl, den ich... Euch gebe... Senator... nein... mein König.“

Die letzten Worte, die der kleine König von Kisara sprach, sprach er andächtig und voll von der tiefsten Bewunderung, mit der er sein halbes Leben lang zu Puran Lyra hinauf gesehen hatte, solange er ihn kannte. Als er die Augen schloss und zu zucken aufhörte, waren die Männer um ihn herum ganz still. Puran war nicht fähig, zu atmen oder gar zu begreifen, was der Mann, dem er immer gedient hatte, da gerade gesagt hatte. Er hielt noch immer seine Hand und war benommen von den Schmerzen seiner Wunden; das nächste, das er mitbekam, war der fassungslose Blick des Generals, der ihm gegenüber hockte.

„Ein... ein Magier als König!“, japste er, „Das... das ist unverantwortlich. Das... gab es noch nie. Das ist doch gar nicht zulässig!“

„Es war der letzte Befehl deines Königs, Hornochse.“, schnarrte Emo irgendwo, doch an Puran gingen alle Worte vorbei. „Willst du dich dem widersetzen? Hüte besser deine Zunge, bevor Puran sie dir abschneidet...“ Die Männer begannen zu reden und nach und nach versammelte sich die ganze Armee um sie herum. Senator Lyra konnte nicht sprechen. Er konnte nur da sitzen, sich wundern, warum er noch immer bei Bewusstsein war, und fassungslos auf den im Tode lächelnden König herab blicken, dessen erkaltende Hand er immer noch in seiner hielt. Und er fragte sich... wie sehr konnte ein Mensch von einem anderen begeistert sein, dass er sein ganzes Werk, sein ganzes Hab und Gut ihm allein anvertraute?

Die Erkenntnis des Verlustes des gutmütigen kleinen Mannes schmerzte ihn heftiger als die im Kampf erhaltenen Wunden. Und es tat ihm leid, ihm niemals wirklich gesagt zu haben, wie sehr auch er seinen König immer bewundert hatte... der Schmerz war so heftig, dass er nicht an sich halten konnte und zu weinen begann.
 


 


 

_________________________

Lang lebe König Puran. XD



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Decken-Diebin
2011-04-10T14:29:20+00:00 10.04.2011 16:29
...Puran weint, weil Puran. q___q
Oh Em Ge, irgendwie habe ich das jetzt nicht erwartet. Dass Puran König wird. Okay, als der eigentliche kleine König gestorben ist und seinen Nachfolger erklären wollte, war es klar - weil Puran - aber vorher hätte ich das nicht erwartet... Das ist so anders. o_O
Die Schlacht war toll. Beziehungsweise toll beschrieben. Die blendende Sonne erinnerte mich an eine Geschichte einer Freundin, ich kann dir davon erzählen, wenn du magst. ^^ Zumindest war das alles sehr realistisch erzählt, so kann eine Schlacht tatsächlich ablaufen, auch mit der ersten und der stärkeren zweiten Welle... passt.
Dass Karana mal wieder nur an Sex denkt, ist... lustig XD Aber so süß, er hat kein Bock auf Kämpfen, er will nur seine Iana. <3
Sehr gut beziehungsweise lustig fand ich ja die Szene, wo die Geisterjäger sich erstmal über den König, seine Größe und seinen Schwanz unterhalten! XDDD Irgendwie ist das mal wieder typisch unsere Geisterjäger, die haben sich auch nie verbessert, die sind in jeder Generation so xD
Also, aw, mochte Kapi ♥ Auch wenn König tot, und weint, weil Puran. D:
Von:  -Izumi-
2011-04-06T13:58:35+00:00 06.04.2011 15:58
Jetzt hätte ich in meiner Hysterie beinahe vergessen, einen Kommi zu schreiben, Alter.
Zunächst noch einmal, weil ich es nicht oft genug loswerden kann:
ANTIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII!!!! *brutal auf Tasten hau*
Ich wusste es ja an sich schon mit dem Titel. Aber ich dachte mir: Nein. Wir brauchen den König später ja noch. Wer soll das denn sonst sein, das wäre doch blöd.
Hm. Ja. Denkste Izzy.
Aber langsam mal. Die Schlacht war wie immer episch und cool.
Ich muss dich an dieser Stelle ganz besonders dafür loben, wie du sie aufgezogen hast; ich weiß jetzt nicht, ob das spontane Eingebungen waren, jedenfalls wirkte das alles sehr wohl durchdacht, tatsächlich wie von einem Kriegsstrategen (glänzende Rüstungen, wtf.)
Das bringt mich schon zu meinem lieben Freund Emo, der es doch tatsächlich schaffte, einige Lacher in das Kapi zu bauen. Der kann es eben einfach.
Ich war btw. ziemlich gerührt von Karana... ich meine, ja, lol, er erzählt Iana mitten während der Schlacht, dass er mit ihr schlafen will, alles klar, aber irgendwie hatte es etwas niedliches, liebevolles an sich...
Und ja, dann kam es ja auch schon.
Der König. Mein aller absolutestes Lieblingschara ever, du hast ihn tot gemacht. *dir einen Stuhl an den Kopf werf* </3!
Ja, es war jetzt nicht wirklich überraschend, eigentlich hat der Titel es schon verraten, aber dennoch.
Ich verstehe das Verhalten von ihm übrigens sehr gut, ich meine, klar hatte er keine Chance, aber es war einfach seine Pflicht, sich seinem Gegner in dieser Weise in den Weg zu stellen... aww, er war cool.
Und erst darauf habe ich gecheckt, was Puranchen nun blüht, das ergab sich ja dann. XD
War ja an sich klar, dass er nur Puran wählen konnte, er liebt ihn ja so abgöttisch... bzw. hat.
Und andererseits, es ist so urtypisch, Puran, der einfach nur seine Ruhe haben und ganz normal leben will, schaukelt sich - mal wieder - immer mehr hoch; immerhin ein Gutes hat es für ihn: Noch wichtiger und mächtiger kann er eigentlich gar nicht mehr werden. XD
Was natürlich nicht hatte fehlen dürfen - und auch nicht gefehlt hat: Weint weil Puran. Aber mit Recht.
Btw. bevor ich es komplett vergesse, ein Herz für Simu.


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