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Die Chroniken von Khad-Arza - Das Blut der sterbenden Welten

Erstes Buch
von

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Die Seherin

Wenn man den Berichten der vereinzelten Flüchtlinge aus Dhimorien Glauben schenkte, stand das Zentralreich vor einer Katastrophe. Die Armada, mit der der Herrscher des Ostreiches Ela-Ri in Dhimorien eingefallen und mit der er es erobert hatte, war demnach unwahrscheinlich groß und bediente sich grauenhafter Mächte der Magie. Die Flüchtlinge, die es mit Mühe und Not und in großer Eile in die Reichshauptstadt Vialla geschafft hatten, machten in ihren Erzählungen zu großer Wahrscheinlichkeit alles noch dramatischer als es ohnehin war, aber die Schilderungen waren trotz Bedachtes dieser Tatsache beunruhigend und jagten dem König von Kisara und all seinen Ratsmännern einen eisigen Schauer über den Rücken. Dass es wirklich zur Konfrontation mit Ela-Ri käme, war unbestreitbar und niemand zweifelte daran, dass eine Regelung ohne Gemetzel und Blutvergießen möglich war.

Senator Lyra verfluchte die Himmelsgeister, die sich in ihrer schlechten Laune dazu herabließen, ihm zu sagen, dass nicht allein der Osten die Schatten schickte, die sie zu fürchten hatten, aber leider nicht weiter offenbarten, was es sonst noch gab, was ihn beunruhigte. Was immer es war, es hatte ihm in den Tagen, seit die Seherin aus Fann vor dem Senat auf dem Tisch getanzt hatte, jegliche Ruhe geraubt, und das verbesserte seine Laune auch nicht wirklich. Die Sache mit Ela-Ri war grauslich genug, wäre Dhimorien nicht gefallen, wäre er schon seit zwei Tagen daheim bei seiner Frau und müsste nicht rastlos im Palast von Vialla umher rennen. Die Geister schwiegen ihn beharrlich an, egal, wie er es wendete und egal, was er sie fragte; es war, als hätte sich die gesamte Welt gegen ihn verschworen. Dabei ging es Ela-Ri mit Sicherheit nicht um ihn, es hätte ihn gewundert, wenn der Herr des Ostreiches seinen Namen gekannt hätte.

In seine verbitterten Gedanken vertieft wäre er beinahe in den König persönlich hinein gerannt, der ihm auf dem breiten, marmornen Korridor entgegen geeilt kam.

„Herr, Vorsicht, rennt mich bitte nicht um!“, japste der Monarch noch rechtzeitig und Puran Lyra fluchte ungehalten über seine eigene Unvorsicht, ehe er sich ehrfürchtig vor dem Mann verneigte, der um einiges kleiner und älter war als er selbst.

„Vergebt mir, Majestät... es scheint, meine Instinkte versagen mir ihren Dienst. Offenbar werde ich langsam alt.“ Der König zeigte ein verzerrtes Schmunzeln – wäre die Lage des Reiches nicht so furchtbar gewesen, hätte er jetzt vermutlich gelacht. Senator Lyra kannte den König von Kisara seit vielen Jahren – zu seinem Vorteil war der amtierende Herrscher von Kisara sehr angetan von Magiern, obwohl er selbst keiner war, was dem jüngeren Mann schon seit all den Jahren eine Art Ehrenplatz im Senat bescherte – und viele feindselige Blicke der übrigen Senatoren, die behaupteten, er hätte sich die Gunst des Königs magisch herbei geschmuggelt. Als Vertreter des obersten Rates der Schwarzmagier war er einer von nur drei Schamanen im Senat des Königs, außer ihm gab es noch einen Vertreter der Telepathen und einen Vertreter des Heilerrates. Nur war er im Gegensatz zu den anderen beiden Männern nicht nur Vertreter eines Magierrates, sondern tatsächlich Senator der Provinz Thalurien, was ihn zeitgleich zum Vertreter des Rates von eben dort machte. So sehr Puran Lyra seine wirklich sehr angesehene Position auch in Ehren hielt, wenn die Geister so bockig waren wie in diesen Zeiten, verfluchte er sie mitunter.

„Nicht doch, Ihr müsst Euch nicht entschuldigen, Herr.“, sagte der König gerade zu ihm, und der Schamane seufzte und richtete sich wieder auf. „Wenn Ihr alt werdet, was werde dann ich? Ihr seid doch nicht mal vierzig.“

„Aber so gut wie.“

„Sei es drum, Herr, ich kam, um Euch aufzusuchen.“ Senator Lyra zog die Brauen zusammen und räusperte sich, bevor er sich abermals kurz verneigte.

„Wie kann ich Euch dienen, mein König?“

„Dieses ganze Desaster hat alles aufgehalten. Ihr solltet zurück in Eure Provinz kehren und in Taiduhr Bescheid geben. Die Nachrichten über Dhimorien verbreiten sich natürlich schon von selbst... aber wir werden mehr als nur Boten brauchen, und mehr als Nachrichten, um zu verhindern, dass Ela-Ri bei uns einfällt. Himmel noch mal, und ich habe gedacht, der Krieg gegen Zuyya vor Jahren wäre genug für meine Regierungszeit... dem ist wohl nicht so. Geht, Herr, ich habe Euch eine Kutsche bereit gestellt. Aber vermutlich werde ich Euch bald wieder hier brauchen... und vermutlich werde ich mir wünschen, dass Ihr Eure Kollegen, die Geisterjäger, ebenfalls versammelt, denn in diesen Tagen könnten wir jede Hilfe der Himmelsgeister gebrauchen.“

„Ich werde tun, was immer Ihr verlangt, mein König. Ich fürchte nur, die Geister sind launisch. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll... es gibt schlechte Zeichen. Furchtbar schlechte... leider kann ich nicht genau sagen, was sie bedeuten, weil die Geister mich unentwegt anschweigen. Seid auf der Hut, Majestät... schlimme Dinge kommen auf uns zu mit den Schatten aus dem Osten. Und von woher auch sonst noch.“ Der König schenkte seinem Untertan einen langen, stummen Blick, ehe er nickte und bei Seite trat.

„Ich danke Euch wie immer demütigst für Eure Unterstützung, Senator Lyra.“, versetzte er dann und neigte den Kopf, „Ich wüsste nicht, was ich ohne Euch hier täte. Ihr seid ein Segen für unser Reich.“

„Nicht zu viel der Ehre, mein König. Ich tue, was ich kann, aber letzten Endes bin auch ich nur ein Mann.“

„Oh nein.“, entgegnete der Monarch verdutzt, „Ihr seid mehr als das! Ihr seid ein Herr der Geister. Ihr seid nicht einfach nur ein Mann. Und Ihr habt schon einmal quasi einen Krieg für uns entschieden, als ihr den zuyyanischen Kaiser vernichtet habt.“ Puran Lyra, der bereits im Begriff gewesen war zu gehen, drehte jetzt noch einmal den Kopf und seufzte tief.

„Das waren andere Zeiten. Bitte verlasst Euch nicht auf mich allein, mein König... ich bin jetzt Politiker und kein Feldherr. Ich tue, was in meiner Macht steht, damit die Geister von Himmel und Erde uns helfen, den Schatten abzuwehren und zurück in den Osten zu schicken. Seid Euch dessen sicher, Majestät, wir finden schon eine Lösung. Wo wir gerade darüber sprechen, habt Ihr seitdem die seltsame Wahrsagerin aus Fann gesehen? Sie schuldet uns noch Antworten, denke ich. Sie sprach von... Den Sieben. Und niemand hier scheint zu wissen, was sie gemeint hat, mich eingeschlossen.“ Der König runzelte die Stirn.

„Das ist wahr. Ich habe Gelehrte Bücher wälzen lassen, auch Bücher über Prophezeiungen, aber wenn in einer Prophezeiung überhaupt die Zahl sieben vorkam, dann hat es uns nicht weitergeholfen. Es ging sicherlich nicht um sieben Teelöffel.“

„Es gibt... eine Prophezeiung über sieben Teelöffel?“, fragte der Jüngere perplex und der Herrscher zuckte die Achseln.

„Offensichtlich, ich habe auch nie davon gehört.“ Er kratzte sich am Kopf, ehe er fortfuhr. „Nein, Herr, die Seherin habe ich seit dem Tag nicht mehr gesehen, aber ich habe gehört, sie soll noch in der Stadt geblieben sein. Soll ich sie rufen lassen, auf dass Ihr sie noch einmal fragen könnt? Immerhin ist sie auch Magierin, wie Ihr, und... vielleicht könnt Ihr mehr mit ihren Worten anfangen...“ Der Senator machte eine abwinkende Handbewegung.

„Macht Euch nicht zu viel Mühe, Majestät. Aber falls sie Euch zufällig über den Weg läuft, schenkt Ihr Tee und Kuchen auf meine Kosten, damit sie lange genug da bleibt, bis ich sie erwische.“ Mit einer letzten, höfischen Verbeugung machte er sich letztlich daran, zur Kutsche zu kommen, die im Hof stand und die ihn nach Thalurien bringen sollte, heim zu seiner Familie. Wobei er der auch nur sehr kurz die Ehre erweisen können würde, bevor er weiter in die Provinzhauptstadt Taiduhr musste... mitunter hasste er die Verantwortung, die er so trug.
 

Der Kutscher, der auf dem Bock im Regen saß, grüßte ihn mit einem verhaltenen Lächeln, als der Mann aus dem Palast geeilt kam. Der Mann hatte ihn schon öfter nach Thalurien kutschiert, wenn der König ihm eine Kutsche zur Verfügung gestellt hatte. Der verstohlene Blick, den er ihm jetzt zuwarf, machte Senator Lyra etwas stutzig, aber wirklich erschrecken tat er sich eigentlich erst, als er die Tür der Kutsche öffnete und darin schon jemand saß.

„Da seid Ihr ja endlich, ich habe schon ewig gewartet! Der Hanswurst da vorne wollte mich erst nicht rein lassen, aber wozu kann ich mich teleportieren?“

Puran Lyra schnappte nach Luft und fuhr sich japsend durch die braunen Haare.

„Himmel und Erde!“, rief er erschrocken, „Was im Namen von allem, das heilig ist, machst du hier?!“ Vor seinen Augen, gemütlich in seiner persönlichen Kutsche nach Thalurien, räkelte sich halb nackt wie letztes Mal die blonde Seherin aus Fann. Sie strahlte ihn amüsiert an, überschlug die Beine und rückte etwas zur Seite auf der gepolsterten Bank.

„Wollt Ihr nicht herein kommen und Euch setzen? Wir müssen uns beeilen, rasch. Ich habe Dinge, die ich Euch zeigen möchte.“ Er zischte und errötete gegen seinen Willen.

„Kein Bedarf, gnädige Frau, ich bin verheiratet.“

„Wo denkt Ihr denn hin?“, kicherte sie, „Sind in Kisara alle so spießig? In Fann, wo ich geboren wurde, ist es normal, so wenig zu tragen...“

„Wir sind aber nicht in Fann!“, brummte der Senator, räusperte sich und stieg letztlich doch ein, schlug die Tür hinter sich zu und ließ sich mit bravem Abstand neben die Seherin auf die Bank fallen. Er klopfte vorne gegen die Scheibe, damit der Kutscher die Pferde antrieb, und als das Gefährt sich in Bewegung setzte, rieb die halb nackte Seherin sich die Oberarme.

„Ja, ich merke schon. Mir ist furchtbar kalt! In Fann ist es wärmer. - Ach, Mist verdammter, jetzt habe ich vergessen, was ich Euch sagen wollte!“ Er stöhnte.

„Und dafür lasse ich mich darauf ein, hier neben dir nach Thalurien zu fahren? Himmel noch mal, wenn meine Frau das sieht!“

„Also wirklich, ich habe Euch nicht angerührt.“

„Aber lüstern angesehen, ich habe das genau gemerkt!“

„Wundert Euch das? Ihr seid ein bildschöner Mann. Und das in Eurem Alter.“

„Danke, verkneif dir jetzt besser die fehlplatzierten Komplimente, bevor ich ärgerlich werde. Was ist es, das du mir sagen willst, Seherin?“ Er schielte die junge Frau an, die sich aufsetzte, sich schüttelte und sich die blonden Locken raufte. Blonde Haare waren überdies extrem ungewöhnlich für eine Frau aus Fann. Ihre Haut war gebräunt, wie es dort in der Wüste normal war, aber ihre Haare und die blauen Augen wollten so gar nicht zum typischen Erscheinungsbild einer Fannerin passen.

„Ich weiß nicht mehr, was ich sagen wollte!“, jammerte sie neben ihm und trampelte dabei mit den nackten Füßen auf dem Boden der Kutsche herum, „Mir ist kalt und ich habe keine Ahnung, was ich hier soll! Eben war doch noch alles da!“

„Willst du mich verarschen?!“, keuchte der Mann, „Was soll das Theater?“ Doch statt zu antworten jammerte sie nur weiter und er fragte sich verblüfft, ob sie es wirklich einfach vergessen hatte. Als sie weiterhin nölte, band er sich murrend seinen schwarzen Umhang ab und warf ihn ihr über.

„Da, nimm den, dann hast du warm, aber in Lorana will ich ihn wieder haben!“ Er sah, wie sie ihn verblüfft ansah, dann lachte sie amüsiert, wickelte sich in den Stoff und wirkte somit auch gleich viel artiger, weil man bis auf ihre Füße und ihr Gesicht keine Haut mehr sah. So kalt war es nun wirklich nicht, der Sommer war noch nicht mal ganz vorüber. Er warf einen Blick aus dem Fenster der Kutsche hinaus; sie hatten Vialla jetzt verlassen und kamen auf die Landstraße nach Westen. Nach einer Weile des Schweigens wandte Puran Lyra sich abermals an die Seherin. „So, ist dir wieder eingefallen, was du mir zu sagen hast?“

„Was?“, schrie sie und fuhr zu ihm herum, ihn blöd anstarrend, „Wie, eingefallen? Wovon sprecht Ihr?“ Ungläubig starrte er sie an.

„Du verarschst mich, oder? Ich gebe dir eine letzte Chance. Ob dir eingefallen ist, was du mir sagen willst! Du hast vorhin gesagt, du hättest mir Dinge zu zeigen.“

„Um Himmels Willen, wer seid Ihr überhaupt?“, japste die Blonde neben ihm, ohne den Blick von ihm zu wenden, der definitiv von absoluter Dummheit zeugte – meinte die das wirklich ernst? Sie schien lange und angestrengt nachzudenken, ehe sie ihn angrinste: „Wollt Ihr mit mir schlafen?“

„Anhalten!“, schrie Senator Lyra fuchsteufelswild, und augenblicklich bremste der Kutscher. Es gab einen gewaltigen Ruck, durch den die blonde Seherin von der Bank geworfen wurde und gegen das vordere Fenster stieß. Sie japste dabei, ehe sie zu Boden polterte, und als der Mann sie an seinem eigenen Umhang packen und rausschmeißen wollte, traf ihn der diabolische Blick aus ihren Augen – mit einem Mal sah sie ihn an mit diesem Blick, den sie auch im Senat gehabt hatte. In ihren Augen war die Weitsicht einer richtigen Seherin wieder zu erkennen – die definitiv eben weg gewesen war.

„Hütet Euren Zorn, Senator Lyra, spart ihn Euch lieber für einen anderen Zeitpunkt und eine andere Person auf. Ihr werdet derer genügend treffen... im Schatten.“

Der Mann keuchte und ließ sie augenblicklich los, ehe er zurück auf die Bank sank und sie fassungslos ansah.

„Was... was geht hier vor?“, stöhnte er verwirrt, „Eben... eben wusstest du nicht, wer ich bin!“ Sie rappelte sich auf und setzte sich wieder ordentlich hin, ehe sie an das Fenster klopfte, damit der Kutscher den Weg fortsetzte.

„Rasch.“, sagte sie mit derselben, benebelten Stimme wie der aus dem Ratssaal, „Keine Zeit zu verlieren, Herr. Der Schatten wird kommen... und er bringt uns das Ende der Welt.“

„Das hast du schon mal gesagt, das kenne ich. Was meinst du damit?“, fragte der Mann unwirsch und beobachtete skeptisch, wie sie sich zu ihm umdrehte und ihn wissend angrinste.

„Der König von Ela-Ri ist Schamane wie Ihr und ich. Und er ist ein furchtbarer Schamane, er kann die Geister von Himmel und Erde zu seinen Knien zwingen, wenn ihm danach ist... das flüstern die Himmelsgeister in meinen Träumen. Ich habe ihn gesehen. Er ist groß und furchtbar. Er wird kommen und Euer... Schicksal wird er besiegeln... Puran Lyra, Erbe des Ruferclans.“ Der Mann sagte nichts.

„Heißt das, ich werde durch seine Hand sterben?“, fragte er dann trocken und die Seherin zischte.

„Das weiß ich nicht. Ich sagte, er besiegelt Euer Schicksal, aber nicht, dass dieses Schicksal Euren Tod beinhaltet.“

„Wird er nach Kisara kommen mit seiner Armee?“

„Kommen!“, raunte sie Frau und warf den Kopf dabei in den Nacken, „Kommen wird vieles, Herr! Die Schatten kommen aus dem Osten... und die Schatten kommen aus dem Westen.“

„Aus dem Westen?“, fuhr er ihr dazwischen, doch sie riss den Kopf wieder herunter und durchbohrte ihn mit dem Blick einer Seherin, mit Augen, die ihm direkt in die tiefsten Tiefen seines Geistes starren konnten.

„Ich habe von vielen Dingen geträumt, als ich in Vialla war... von Feuer und Blitzspeeren... und vom furchtbaren Schatten des Himmels, der kommt. Die Sieben kommen. Ich habe sie gesehen... im Westen habe ich sie gesehen.“ Das war ein gutes Thema.

„Wer sind die Sieben? Und was sind sie? Antworte, Frau!“ Die Seherin zeigte lächelnd ihre makellosen Zähne.

„Sie sind auserwählt, um die Zerstörung von Khad-Arza zu verhindern. Sie sind noch jung... sie haben keine Ahnung. Nehmt mich mit in Euer Heimatdorf. Dort werden wir ihnen begegnen und ich werde sie Euch vorstellen.“

„Und die retten uns vor Ela-Ri?“, fragte der Senator verdattert, „Sieben... junge Menschen, die wir in Lorana treffen?“

„Nein.“, gluckste die Seherin wissend, „Nicht vor Ela-Ri. Sie retten uns vor dem Ende der Welt. Es war Wille der Geister... sie haben es mir gesagt, als ich noch klein war.“

„Und wie zum Geier sollen sie das machen?“, japste er, „Du löst keine Rätsel, sondern bringst neue, Seherin! Wieso eigentlich die Zerstörung von ganz Khad-Arza? Heißt das, Ela-Ri hängt mit allen drei Welten zusammen, mit Ghia und Zuyya genauso wie mit Tharr? Das ist unmöglich!“ Im selben Moment gab es einen neuen Ruck, der durch die Kutsche ging, als sie durch ein Schlagloch in der Straße fuhren, und beide Insassen wurden empor geworfen, worauf Puran Lyra ärgerlich fluchte. Er hasste diese Straße. Als er wieder zu der blonden Sehern sah, starrte sie ihn fassungslos mit geweiteten, blauen Augen an. Der wissende Blick war verschwunden.

„Wohin fahren wir eigentlich?“, wollte sie wissen, „Fahren wir nach Tejal? Da wollte ich schon immer mal hin, da gibt es goldene Paläste, das ist bestimmt aufregend!“ Der Herr der Geister sparte sich einen Kommentar und lehnte sich mit einem resignierten Stöhnen zurück. Offenbar war ihr Gedächtnis kaputt und ging immer dann aus, wenn er es brauchen konnte. Was für eine seltsame Person sie doch war, diese Seherin.

„Wie ist dein Name?“, fragte er so genervt in der Hoffnung, dass sie den noch wusste. Ausnahmsweise mal enttäuschte sie ihn nicht.

„Ryanne vom Stamm der Yalla.“, stellte sie sich amüsiert vor, „Wir haben in Fann keine Nachnamen, wir nennen stattdessen unseren Stamm. Und wer seid Ihr?“ Er seufzte tief und wünschte, die Fahrt wäre bald vorüber.

„Ich bin Puran Lyra. Freut mich auch.“
 

Ihre Sehkraft blieb verschwunden, obwohl sie noch durch mehrere Schlaglöcher fuhren und dabei durchgeschüttelt wurden – das Beben brachte ihren Verstand nicht zurück, es macht Puran Lyra nur Kopfschmerzen. Was das Geplapper der ahnungslosen Frau neben ihm auch nicht besser machte. Er war heilfroh, endlich Lorana zu erreichen, als es draußen langsam dunkel wurde. Die Luft war schlecht, als der Kutscher auf Befehl vor dem Eingang des schlichten Dorfes anhielt. Es lagen Schatten in der Luft, der Herr der Geister konnte sie genau spüren.

„Da wären wir.“, brummte er, während er die Tür aufstieß und sich an die blonde Seherin wandte, „Gib mir bitte meinen Umhang wieder... wir finden sicher eine Bleibe für dich für die Nacht.“

„Ist ja toll, ich wollte schon immer mal nach Thalurien!“, flötete sie, schälte sich artig aus dem schwarzen Umhang, gab ihn ihm zurück und hopste auf ihrer Seite aus der Kutsche. Dann begann sie mit sich selbst zu reden und die Landschaft zu loben – zwischendurch sprach sie auch von Flammen im Süden, aber ihre Stimme blieb die einer nervigen Göre und hatte nichts mehr von dem unheimlichen Wissen, das irgendwo in ihrem seltsamen Geist schlummerte. Puran Lyra verdrehte die Augen und hörte ihr nicht weiter zu, während er auch ausstieg und dem Kutscher das übliche Trinkgeld gab.

„Morgen gehe ich nach Taiduhr.“, erklärte er dabei, „Wenn der König mich braucht, bin ich vermutlich dort.“

„In Ordnung, ich werde es ausrichten, Herr.“, sagte der Mann auf dem Bock, während sie in der Ferne hinter der Kutsche die Seherin quatschen hörten. „Herr, vergebt mir die Frage, aber... mit wem spricht sie da?“

„Wenn ich das wüsste. Ich wundere mich schon mehr darüber, woher sie den vielen Atem für so viele Worte nimmt. Oder warum sie nicht heiser wird, sie redet jetzt den halben Tag... eine sehr merkwürdige Person. Wo hat der König die nur aufgegabelt?“

„Na, in Fann.“, sagte der Kutscher, „Ich habe gehört, sie soll die fähigste Seherin des Zentrums sein. So hat man ein Kommando nach Fann geschickt, um sie zu suchen, und sie wusste schon vorher, dass jemand aus Kisara käme, was die Gerüchte wohl bestätigt.“

„Also mir macht sie Angst!“, zischte der Herr der Geister, „Sie sieht mich an wie meine Großmutter, ich weiß nicht, ob mir das gefallen will.“ Er lauschte kurz und blinzelte dann, ehe er um die Kutsche herum lugte. „Warte mal – jetzt ist sie ja still?“ Beide Männer schwiegen und lauschten, aber die Stimme der Seherin war nicht zu hören. Der Senator ging um das Gefährt herum und spähte auch hinein – Ryanne der Yalla war verschwunden. „Das ist doch nicht ihr Ernst jetzt!“, empörte der Mann sich, „Ich ertrage die gesamte Fahrt dieses Gequatsche und dann teleportiert sie sich weg?! Das – das... ich drehe gleich durch, ich drehe einfach durch!“ Der Kutscher wollte etwas sagen, aber nicht er war es, der darauf antwortete, sondern eine ebenfalls vertraute Stimme hinter ihm.

„Macht Euch nichts draus, Herr. Sie wird wieder auftauchen, wenn Ihr es nicht erwartet, so fürchte ich. Außerdem passieren hier eigenartige Dinge, während Ihr fort seid.“ Der Herr der Geister drehte genervt den Kopf und seufzte erleichtert, endlich einen angemessenen Gesprächspartner zu finden, als er hinter sich den Kopf des Sagal-Clans erblickte. Seufzend verabschiedete er den Kutscher, der darauf den Weg zurück nach Vialla antrat, während der Mann vor dem inoffiziellen Herrn des Dorfes – oder der Provinz – den Kopf neigte. Eigentlich war Dasan Sagal abgesehen von seiner Familie von nichts Oberhaupt, aber dank seiner unendlich vielen Beziehungen und Stränge, die einfach in ganz Thalurien verliefen und er somit über alles, was geschah, stets die Kontrolle behielt, hatte er im Volksmund den verdienten Beinamen des Herrschers von Thalurien.

„Was meint Ihr damit, Sagal?“, fragte Puran Lyra ihn unwirsch, „Ihr wusstet, dass diese komische Seherin mit mir käme? Und verschwände?“

„Ich wusste, dass sie käme, ja. Ich kann Euch nicht viel über Ryanne Yalla erzählen, aber eines solltet Ihr wissen, wenn Ihr mit ihr sprecht. Ihre Sehkraft hatte sie von Geburt an, und es ist eine mächtige Sehkraft, wie es der Abstammung der Ekalas würdig ist. Ihr kennt den Ekala-Clan, den Telepathenclan, dem Eure Großmutter angehörte... die ihrer Zeit die Seherin Salihah war.“ Der Senator schauderte.

„Sie stammt vom selben Clan? Kein Wunder, dass sie mich an meine Großmutter erinnert.“ Dasan Sagal drehte den Kopf nach Osten.

„Es muss wohl Wille der Geister sein, dass sie ihre eigene Sehkraft nicht richtig kontrollieren kann und sie andauernd zeitweise vergisst. Geduld solltet Ihr haben... das werden wir alle brauchen in der nächsten Zeit. Unheil kommt über das Dorf, ich kann es in allen Knochen spüren.“ Dabei klopfte er mit seinem als Statussymbol getarnten Gehstock gegen sein hinkendes Bein, „Selbst hier.“ Puran Lyra verengte die grünen Augen nachdenklich zu Schlitzen.

„Unheil? Was passiert hier, Sagal...? Ihr seid doch derjenige, der immer alles zuerst weiß...“

„Ja. Normalerweise schon – und dieses Mal nicht. Das ist es, was mich beunruhigt. Aber die Geister schweigen mich an – und meine Verwandten im Westen tun es ebenfalls, ich habe kein einziges Sterbenswort zu hören bekommen. Es ist als... hätten die Geister sie erblinden und verstummen lassen. Ganz plötzlich... einfach so.“
 

Senator Lyra wollte weder an die komische Seherin denken noch an die beunruhigenden Nachrichten des Sagal-Oberhauptes, als er endlich nach Hause kam und seine zierliche kleine Frau ihm stürmisch um de Hals fiel. Sie erzählte irgendetwas, dass die Kinder zusammen mit Tayson und irgendeinem Lianermädchen nach Aduria gegangen wären, eigentlich ging auch das an ihm vorbei. Er war verdammt noch mal zu Hause, und vermutlich würde er das auch nur für diese eine Nacht sein – eine einzige Nacht, in der er zum letzten Mal die drohenden Schatten zur Seite schieben konnte, um ein letztes Mal einfach nur daheim zu sein und sich ganz seiner Gattin zu widmen. Eigentlich war es da sogar passend, dass die Kinder gerade außer Haus waren. Wer wusste schon – wenn es war, wie die Seherin gesagt hatte, und der König von Ela-Ri sein Schicksal besiegelte, vielleicht starb er ja doch... wann hatte er dann noch mal die Gelegenheit, mit seiner Frau das Bett zu teilen?

„Du hast mir wahnsinnig gefehlt, Liebster...“, seufzte Leyya unter ihm, während ihre Hände seine Haut in Flammen setzten und ihre so vertraute, liebevolle Stimme ihn zum Zittern brachte. „Ich habe geglaubt, noch eine Nacht ohne dich halt ich nicht aus, Puran.“

„Frag mich mal.“, stöhnte er, ehe er sich herunter beugte und sie verlangend auf die Lippen küsste. „Sprich nicht mehr, Liebes...“

Sie sprach nicht mehr, und er tat es auch nicht, während sie sich vereinten und sich voll und ganz dem Liebesspiel hingaben, als hätten sie sich seit ewigen Jahren nicht mehr gesehen. Er hörte sie unter sich keuchen und spürte ihre schlanken Arme, die sie um seinen Hals legte, um ihn zu sich herab ins Bett zu zerren. Sie ließen sich Zeit, es war schließlich niemand im Haus außer ihnen, niemand, den sie stören könnten, und niemand der sie unterbrechen könnte. Senator Lyra fragte sich, ob seine Frau ebenfalls spürte, wie die Schatten kamen... vermutlich tat sie das, wenn auch nicht so intensiv wie die Telepathen oder Schwarzmagier. Und sie beide wussten, dass es das letzte Mal war, dass sie sich so liebten, ehe die Finsternis über das Zentrum käme. Er würde seine Frau vermissen... sie war ein Teil von ihm und es machte ihn auf Dauer verrückt, von ihr getrennt zu sein.

Jetzt war sie noch hier... jetzt war sie hier und lag in seinen Armen, presste ihren kleinen, zierlichen Körper gegen die Hitze seines eigenen, als er sich zum letzten Mal mit einem resignierten Keuchen über sie beugte und sich in ihr erleichterte. Sie war so schön warm... seine hübsche, kleine Leyya. Er hatte keine Lust, nach Taiduhr zu fahren.
 

Obwohl er seine Frau bei sich hatte, konnte Puran nur wenig schlafen in der Nacht. Der Morgen graute noch nicht mal, als er es aufgab und sich murrend aus dem Bett aalte. Er hatte ein schlechtes Gefühl... offenbar waren die Geister nicht gewillt, ihm eine Nacht Ruhe zu gönnen. Sie wisperte fremdartige Worte in seinem Kopf, aber dass es um Unheil ging, verstand er auch so. Schatten kamen... was hatte die Seherin gesagt? Was war im Westen?

„Puran... was ist los?“, wisperte seine Frau müde, als er unruhig nach seinen Hosen suchte, die er in der Eile zuvor irgendwo auf den Boden geworfen hatte. Sie setzte sich auf und gähnte. „Der Morgen ist noch nicht mal angebrochen...“

„Ich weiß... aber irgendwie komme ich einfach nicht zur Ruhe. Schlaf weiter...“ Er fand seine Kleider und zog sich halbwegs an, während seine zierliche Gattin sich an den Bettrand schob und abermals gähnte.

„Nein, jetzt bin ich ja beunruhigt... machst du Kaffee, wenn du hinunter gehst?“ Er nickte nur und fuhr sich mürrisch durch die Haare, ehe er einen Blick aus dem Fenster warf. Es war noch dunkel draußen. Es machte ihn verrückt, genau zu spüren, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, aber es nicht genau orten zu können... die Geister von Himmel und Erde schienen sich nicht nur gegen die Sagals verschworen zu haben. Er seufzte wortlos und verließ das Schlafzimmer, während Leyya ebenfalls begann, ihre Kleider zu suchen.

Im Dunkeln die hölzerne Treppe herab taumelnd und sich langsam in Richtung Küche vor tastend bemerkte der Mann erst, als er unten angekommen war, dass in der Stube aus unerfindlichen Gründen noch Licht brannte. Vielleicht waren die Kinder zurückgekommen, fiel ihm ein, und er stellte verdutzt fest, dass sie ganz schön lange in Aduria unterwegs waren – es war doch schon fast wieder Morgen...? Als er jedoch die Wohnstube betrat, erwartete ihn eine Überraschung.

„Guten Morgen, Senator. Oder ist es noch Gute Nacht, immerhin ist es noch dunkel... aber die Hälfte der Sieben wird bald eintreffen, da dachte ich, ich komme vorsorglich!“

Der Mann blieb wie angewurzelt in der Stubentür stehen und starrte auf die blonde Seherin, die gemütlich auf der Couch saß und aus einer Tasse trank, als wäre es vollkommen normal, dass sie da war – in seinem Haus, einfach so, mit seiner Tasse, auf seiner Couch, ohne auch nur ansatzweise um Erlaubnis gefragt zu haben – weiter denken konnte er nicht, weil ein empörtes Zetern seiner Frau oben ihn aus seinen Gedanken riss.

„D-das ist nicht dein Ernst!“, keuchte er noch, dann ertönte lautes Poltern auf der Treppe und Leyya kam im Nachthemd herab gestürzt, in ihrer Hand war sein schwarzer Umhang.

„Puran!“, fauchte sie, „Warum, zum Geier, sind auf deinem Umhang blonde Haare?!“ Er fuhr zu ihr herum und wollte gerade zum Sprechen ansetzen, da sah sie auch in die Stube und wurde augenblicklich blass. „Moment – wer ist das denn?!“

„Leyya – warte, lass mich erklären, das ist nicht so, wie du denkst...“

„Um Himmels Willen, Puran!“, japste seine Frau fassungslos und starrte abwechselnd die Seherin und ihn an, „Das glaube ich einfach nicht – wer ist die Frau?! Deren Haare irgendwie zu denen auf deinem Umhang passen...“

„Ja, das sind auch ihre Haare...“

„Und zugeben tust du es auch, ich fasse es nicht!“

„Leyya, Himmel noch mal, sie ist eine Seherin aus Fann und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie sie hier reingekommen ist!“

„Eine Seherin aus Fann also!“, schnaufte Leyya Lyra empört, „Blond! Mit großen Brüsten! Und du Lügner hast mir immer erzählt, du stehst auf kleine Brüste wie ich sie habe!“ Er verdrehte die Augen – wie konnte jemand nur so viel falsch verstehen? Was dachte sie von ihm, nachdem sie seit über siebzehn Jahren verheiratet waren? Zeit, sich darüber aufzuregen, was für einen Unfug seine Gattin redete oder was diese dreiste Frau aus Fann in seiner Stube verloren hatte, bekam er allerdings auch nicht, denn just in diesem Moment schenkte letztere ihm einen wissenden Blick aus ihren eigenartig violetten Augen, Leyya ignorierend.

„Ah, sie sind da... keinen Moment später als erwartet.“

„Wovon redet sie, wer ist da?!“, keifte Leyya und zerrte an Purans Arm, in dem Augenblick polterte es hinter ihnen und die Haustür flog mit einem lauten Krachen auf. Puran Lyra hatte irgendetwas Furchteinflößendes erwartet bei den Worten der Frau aus Fann – und war umso erleichterter und auch verblüffter, als durch die Tür seine drei Kinder und Tayson kamen; bei ihnen waren Karanas Hund und ein fremdes Mädchen, das unverkennbar eine Lianerin sein musste. Der Hund bellte und Karana schnappte nach Luft.

„Huch!“, machte er, „Ihr seid ja alle wach?! Um Himmels Willen, Vati! D-die Bauern aus Kamien, sie haben das Lianerdorf überrannt!“
 

Senator Lyra war überzeugt davon, dass zu viel auf einmal passierte. Erst nahmen die Schlächter aus Ela-Ri Dhimorien ein, dann verfolgte ihn eine Seherin aus Fann aus eigenartigen Gründen, dann kamen seine Kinder aus Aduria und erzählten von grauslichen Überfällen auf die Dörfer nahe der Grenze. Er fragte sich, ob er nicht doch nicht träumte und gleich aufwachen würde, als er zusammen mit seiner Familie und den übrigen Leuten in der Stube stand und sich berichten ließ, was seine Kinder beobachtet hatten. Er suchte in dem Gesicht seines einzigen biologischen Sohnes nach irgendeinem Zeichen des Scherzes, irgendeinem Zeichen der Trunkenheit, die erklären könnte, warum er so etwas sagte... aber sein Verhalten schien absolut ernst zu sein, er machte keine Witze. Ebenso wenig das wimmernde Lianermädchen, das auf der Couch kauerte und von Simu mit Tee und Decken versorgt wurde. Und ebenso wenig seine Tochter, die sich allen ernstes von Tayson einen Arm umlegen ließ, was sonst nicht ihre Art war, während sie apathisch in die Luft starrte.

„Noch mal langsam, Männer aus Kamien haben die Grenze überfallen und das Dorf niedergebrannt?!“, keuchte er dann, als Karana schwieg, und er sah rein instinktiv zu der Seherin aus Fann. „Wusstest du das, Seherin?“

„Seherin?“, wunderte Tayson sich, der als einziger den Ernst der Lage nicht zu begreifen schien und selig Neisas Oberarm streichelte. „Häh, die Frau ist eine Seherin?“

„Was? Wer?!“, staunte Ryanne Yalla neben Puran auf der Couch und sah zu der Lianerin, „Sie ist eine Seherin?! Oh mein Himmel, ist ja aufregend!“ Der Herr der Geister stöhnte.

„Oh nein, sie hat ihr Gedächtnis schon wieder verloren...“

„Was?!“, zischte seine Frau, „Was ist denn das jetzt für eine komische Geschichte, sie ist nicht mal wirklich eine Seherin?“

„Doch, aber sie vergisst es mitunter – du glaubst mir kein Wort, oder?“

„In der Tat, Liebster.“

„Wie auch immer – wieso wusste Sagal das nicht vorher, wie er alles vorher weiß?“, mischte Simu sich ein, der Neisa mit sanfter Gewalt aus Taysons Arm entfernte und ihr stattdessen auch eine Decke umlegte. „Das ist merkwürdig...“

„Ja, in der Tat.“ Der Senator erhob sich und ignorierte die quasselnde Seherin, die versuchte, die Aufmerksamkeit des jammernden Lianermädchens zu bekommen. „Wenn die Männer aus Kamien über unsere Grenzen herfallen, ist das quasi eine Kriegserklärung – wobei ich nicht sicher bin, ob der König von Senjo davon etwas wusste. Wie auch immer, ich muss nach Taiduhr, um mit dem Senat zu sprechen, wir müssen auf der Stelle etwas tun, um sie aufzuhalten – sie werden so weiter machen, wenn wir nichts unternehmen.“

„Und dann kommen sie hierher... und bringen die Flammen über Lorana!“, stöhnte Neisa, die bedrohlich schwankte und von Simu festgehalten wurde, „Ich weiß, dass sie kommen, Vati! Geh nicht fort, bitte!“ Er seufzte nur und warf einen Blick auf seine schmollende Frau, dann auf Karana, der plötzlich die Augen weitete und erbleichte.

„Du gehst jetzt fort?“, fragte er dabei dumpf, „Was machen wir, falls sie wirklich kommen?“ Sein Vater drängte sich an ihm vorbei in den Flur.

„Sprich mit Sagal, das ist seine Sache hier. Aber meine Sache ist die Provinz, ich bin dafür verantwortlich, dass hier alles läuft. Und was im Westen läuft, sollte nicht laufen, das ist das Problem. Leyya... komm bitte zu mir, mein Liebes.“

Leyya Lyra machte ein unwirsches Gesicht, als sie ihn in den Flur begleitete und er seinen Umhang von der Treppe nahm, den sie dort liegen gelassen hatte. Er war weder angemessen gekleidet noch gekämmt, um vor den Senat zu treten, aber auf derlei Kleinigkeiten musste er wohl verzichten; dafür war keine Zeit.

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, ich würde dich betrügen, oder, Leyyachen?“, murmelte er dumpf, als er sich den Umhang überwarf und mit den Fingern genervt seine Haare kämmte. „Ich habe jetzt leider keine Zeit, dir das zu erklären, so gern ich das würde. Wenn ich mir beim Schmied ein Pferd leihe, bin ich bis zum Morgen in Taiduhr, ich muss wirklich los.“ Sie seufzte und griff seinen Umhang, als er sich abwenden wollte.

„Ich habe Angst...“, wisperte sie tonlos, „Passiert hier wirklich so Schlimmes?“ Puran Lyra seufzte und schloss sie in die Arme, ehe er ihr Gesicht hochzog und ihre Stirn küsste.

„Ich werde die Geister um Gnade bitten... sei tapfer. Am besten, ihr verschwindet von hier, weit weg... wenn von Südosten Ela-Ri kommt, solltet ihr so weit wie möglich fort von hier. Am besten geht ihr zu meiner Cousine nach Yiara rauf, weiter nördlich könnt ihr kaum kommen. Da seid ihr weit weg von Thalurien und von Kamien oder Ela-Ri...“

„Was?“, keuchte sie, „Wir sollen weg?“

„Es würde mir schlaflose Nächte ersparen, wenn ich euch bei Alona in Sicherheit wüsste... ich bitte dich, Liebes. Geht noch heute, wer weiß, wann die aus Kamien hier sein können... sieh mich an.“ Sie tat es, als er mit beiden Händen ihre Wangen erfasste, „Tu, was ich sage, Leyya. Bitte. Ich kann euch hier nicht beschützen... die Zeichen sind schlecht, es kommen böse Dinge auf uns zu. Ach ja, und wenn die Seherin ihr Gedächtnis zurück bekommt, frag sie, wer jetzt die Sieben sind, von denen sie dauernd redet.“

„W-was? Puran, welche-...“ Weiter kam sie nicht, weil er ihr mit einem innigen Kuss das Wort abschnitt. Sie rührte sich zunächst nicht, gab dann aber doch dem Druck seiner Lippen nach, bis er den Kuss schließlich löste und ihr seufzend durch die langen, dunklen Haare strich.

„Tu, was ich sage. Ich... ich vermisse dich, Leyya.“ Ein weiterer Kuss besiegelte seinen Abschied, bei dem er spürte, wie seine kleine Frau vor Furcht erzitterte. Als Puran Lyra seine Gattin losließ und aus der Haustür ging, wusste er, dass er sie fürs Erste zum letzten Mal gesehen hatte.

„Der König von Ela-Ri wird aus dem Schatten kommen und Euer Schicksal besiegeln... Senator Lyra.“
 

In der Stube der Familie Lyra ging ein wildes Durcheinander los, als der Familienvater das Haus in aller Eile verlassen hatte. Karana schnappte unsicher nach Luft und lehnte sich an die Wand, während Neisa irgendwo neben ihm hysterisch zu fluchen begann und über Kopfschmerzen jammerte. Er hörte ihr nicht zu – hängen geblieben waren nur ihre letzten Worte zu ihrem Vater.

„Und dann kommen sie hierher... und bringen die Flammen über Lorana!“

Die armseligen Sterblichen... die kommen und Schatten bringen. So, wie Niarih gesagt hat... verdammt, das war es, was sie gesehen hat.

Er fuhr zusammen, als er spürte, wie er angestarrt wurde, und zum ersten Mal, seit er heimgekehrt war, nahm er die blonde, halb nackte Frau auf der Couch wirklich wahr, die jetzt direkt in sein Gesicht sah – es war ihr Blick, der ihn zusammenfahren gelassen hatte, bemerkte der jung Mann verdattert und suchte in ihren erstaunlicherweise leicht lila schimmernden Augen nach irgendeiner Antwort.

„Wer genau ist das jetzt eigentlich?“, hörte er Tayson neben sich fragen, und dann sprach die Fremde – als sie es tat, verstummten plötzlich alle anderen im Haus, selbst Aar war ganz ruhig, während er sich an Karanas Füßen zusammenrollte.

„Da seid ihr, ich habe darauf gewartet, dass ihr kommt. Deswegen bin ich ja hier... weil es hieß, ich würde euch hier treffen... Schicksalskinder.“

Alle, eingeschlossen die wieder in den Raum gekehrte Leyya, starrten die Frau verblüfft an. Karana versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, aber die beunruhigenden Vorahnungen schwirrten weiterhin durch seine Gedanken und ließen ihm keine Ruhe.

„Wer bist du?“, fragte er und versuchte, sich Autorität zu verschaffen als Vertretung seines stolzen Vaters. Die Frau räkelte sich zufrieden auf dem Sofa, worauf der Schamane von Tayson neben sich ein entzücktes Grinsen wahrnahm.

„Mein Name ist Ryanne vom Stamm der Yalla. Ich bin aus Fann gekommen, euretwegen.“, entgegnete die Frau mit einem so wissenden und gleichzeitig grausigen Lächeln auf den Lippen, dass es Karana einen eisigen Schauer über den Rücken jagte – wobei der Anblick ihrer üppigen, weiblichen Rundungen eher einen heißen Schauer auslöste. „Die Geister von Himmel und Erde haben beschlossen, Sieben auszuerwählen, deren Bestimmung es ist, Khad-Arza vor der Zerstörung zu bewahren.“

„Was, Khad-Arza?“, schnappte Simu von irgendwo, „Das hat doch aber nichts mit Kamien zu tun?“ Ryanne der Yalla riss ihren Arm in seine Richtung, um ihn zum Schweigen zu bringen.

„Sei still, ich spreche jetzt! Ihr seid noch nicht vollständig, aber ein Großteil von euch ist... hier anwesend. Ich habe eure Gesichter gesehen in meinen Träumen, lange bevor ich sprechen konnte. Jetzt, wo ich euch sehe, weiß ich, dass ihr die Schicksalskinder seid... auserwählt, das alles hier zu beenden. Und meine Bestimmung ist es... euch das nahezulegen.“ Sie lächelte auf ihre mysteriöse Weise, als sie der Reihe nach Simu und Eneela, dann Neisa, ihre Mutter, Tayson und Karana anblickte. „Schatten kommen...“, wisperte sie, „Und Krieg wird es geben... zu der Zeit, zu der Vater Himmel und Mutter Erde ihren Zorn über unsere Welt ergießen... ist die Zeit der Sieben Schicksalskinder gekommen.“ Sie erntete eisernes Schweigen. Schließlich sprach Karana, der dabei die Hände zu festen Fäusten ballte vor Anspannung. Er spürte, dass etwas in seinem Kopf schmerzhaft pochte; etwas, das verhinderte, dass er die Worte der komischen Frau für einen üblen Scherz hielt. Wäre es ein Scherz, würden seine Instinkt nicht Alarm schlagen und ihn warnen... vor einer Zukunft, die er sich nicht selbst ausgesucht hatte. Es waren die Geister gewesen, die ihm vorbestimmt hatten, was einst aus ihm werden würde.

„Mit Feuer und Schatten, Karana... kommt das Ende der Welt. Und wenn das Reich fällt, werden sie kriechen... dann werden sie alle kriechen.“

Panisch stolperte er ein paar Schritte in Richtung Stubentür. Der Hund erhob sich alarmiert und die anderen sahen ihn an, während er erbleichte und keuchend nach seinem Kopf fasste.

„Du weißt es, oder, Karana?“, flüsterte die Frau aus Fann grinsend, „In dir drin hast du es schon... immer gewusst. Du bist schließlich der Sohn des Herrn der Geister.“

„Schweig!“, fuhr er sie an, „Nein, du... hast keine Macht über mich, und auch die Geister werden mir nicht sagen, wohin ich zu gehen habe! Zerfetzen... werde ich die Bastarde aus Kamien, die es wagen, uns so schamlos hinterrücks anzugreifen! Zerfetzen werde ich sie, hörst du, Weib?!“

„K-Karana!“, keuchte seine Mutter neben ihm und griff nach seinem Arm, und wutentbrannt riss er sich los und fauchte sie an wie ein wildes Raubtier, dabei seine spitzen Eckzähne entblößend. Leyya Lyra erbleichte und fuhr zurück, während die anderen nur ungläubig starrten – allein die Fannerin grinste noch immer. Ihr Lächeln verschwand, als er sich in den Flur aalte und versuchte, zur Tür zu kommen – sobald er ihr den Rücken kehrte, hörte er sie mit scharfer Stimme sprechen.

„Willst du davonlaufen, Karana? Nicht ich bin es, die Macht auf dich ausübt, sondern die Geister des Schicksals. Wenn du dich weigerst, wird Khad-Arza wohl sterben... ist das dein Wunsch? Das Bündnis dreier Welten zu vernichten?“ Karana zögerte – seine eigene Antwort überraschte ihn selbst heimlich mehr als alle anderen, die hinter ihm erschrocken die Luft einzogen.

„Dann sei es so! Wenn ich allein die Macht besitze, drei Welten zu vernichten, nenne ich das wahre Glorie, Seherin aus Fann.“ Das gesagt machte er Kehrt und verließ mit großen Schritten gefolgt vom Hund das Haus.
 


 


 

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ähm... yeah xD



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kimiko93
2010-11-01T08:59:08+00:00 01.11.2010 09:59
Hnn... Ryanne ist toll. Ehrlich. Sie hat 'n bisschen sehr viel von Dori aus findet Nemo, aber sei's drum. Sie ist toll. Vor Allem zusammen mit Puran XDDD

Ansonsten... Yay, ein Expositionskapitel, hurra. The plot thickens, und so. Foreshadowing en masse. Und Kelar!Karana strikes again, nur leider zum falschen Zeitpunkt... Hnnn...


uns jetzt nochmal ein yay für den knuffigen König. Yay!
Von:  Decken-Diebin
2010-09-18T14:52:44+00:00 18.09.2010 16:52
Wow, Ryanne ist tatsächlich komisch... aber sie ist wiederum cool so. Auch dass sie nicht weiß, was sie überhaupt weiß und so, manchmal, das gibt ihr doch den gewissen Kick. Daher kommt die Spannung! xD Ansonsten könnte sie ja gleich alles rausplaudern...
Aber in gewisser Weise merkwürdig, dass sie soviel weiß oô... Ich frag mich grad, was Chenoas Rolle sein wird xD
Ich muss schon sagen, dass jetzt bereits ziemlich viel am Anfang gesagt wird óo Hm. Mal sehen, wie es sich weiter entwickelt, immerhin müssen einige Rästel ja vorerst noch Rätsel bleiben und so...
Auf jeden Fall mochte ich das Kapitel, es wirft mal wieder schön viele Fragen auf <3
Von:  Miralana
2010-09-17T18:11:39+00:00 17.09.2010 20:11
Oh mein Gott. Also erstmal Ryanne ist so hammer geil. Ihre Attacken, da hab ich mich so drüber schlapp gelacht. Irgendwie scheinen ja alle Seherinnen so zu sein. Nix vergisst mitunter auch, wer sie ist und was sie sagen wollte. XD
Auf jeden Fall bin ich mal gespannt, wie es weiter geht. Und mir tut Yarek jetzt schon leid, auch wenn er noch nicht aufgetaucht ist. Wenn der Ryanne am Hals hat und die ihr Gedächtnis verliert...
Oh, oh, oh.
Und Puran war cool, wie er auf Ryanne reagiert hat. XD

Emo! Emo! Emo!
Von:  -Izumi-
2010-09-17T10:40:09+00:00 17.09.2010 12:40
Erst einmal ein fettes Herzi für den König <3
Ich meine, er ist SO süß, er liebtPuran XDD
Ach ja, und auf den komischen König von Ela-Ri bin ich ja mal gespannt óo
Und dann, Ryanne <3 Sie ist die Härte, ich mag sie, sie gefälltmir so <3
Und sie steht irgendwie auch auf Puran XD Die arme Leyya, sie tat mir voll Leid óo
Ich finde diese ganzen Andeutungen und so ja toll <3 Ryanne ist ja eine echt eine Checkerin... ich muss nochmal erwähnen, dass ich sie mag!
Und am Ende war Karana wieder so ein bisschen Kelar... awww, ich mag das, ich mag das sehr <333
<333

Ganz schön kurzer Kommi, sorry óo


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