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Das Neue Leben

Nach dem Erwachen
von

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~ Rückkehr ~

Auf seinem langen Weg über die Hügel und Ebenen des schlafenden Landes bemühte Kamijo sich, seine Gedanken zu ordnen und einen klaren Kopf zu bewahren. Während die Landschaften unter und neben ihm so schnell vorbeizogen, dass die Umgebung zu einem einzigen endlosen dunklen Vorhang verschwamm, dachte er daran, was gerade, und vor allem, was lange Zeit zuvor geschehen war. Die besondere Sternformation, welche nur einmal in tausend oder zweitausend Jahren, so genau wusste er es selbst nicht, am Himmel erschien, hatte die Erinnerungen an die damaligen Geschehnisse zurückgebracht.

Sein Ziel hatte er fest vor Augen, er sah es jetzt ganz klar in seinen Gedanken, als hätte sich eine dicke Staubschicht von einem alten Gemälde gehoben. Würden die anderen auch hier sein? Hatten auch sie die Sternformation bemerkt und ihre Erinnerung an jene schicksalhaften Zeiten zurückerlangt? Kamijo wusste, dass er nur eine Antwort auf diese Fragen bekommen würde, wenn er zum Ort des Geschehens zurückkehrte. In Wahrheit hoffte er, dass nur ein einziger kommen würde ... nur der eine von den vieren, deren Schicksale unwiderrufbar miteinander verknüpft waren. Aber er wusste natürlich, dass dies niemals eintreten würde ... sie alle würden kommen. Der Gedanke daran entlockte ihm ein leises, ungewolltes Knurren und ein schweres, ungutes Gefühl machte sich in ihm breit.

Angesichts der Ereignisse vergaß er sogar seinen Durst nach Blut. Er hatte lange nicht mehr getrunken, doch dies war im Moment eine seiner kleineren Sorgen., denn er hatte gelernt, den Durst zumindest für eine gewisse Zeit zu unterdrücken. Und das war gut so, wie sich nun herausstellte.
 

Nach einiger Zeit schärften sich seine ohnehin schon wachsamen Sinne angesichts der Spannung, die in der Luft flimmerte, noch mehr. Fast war es, als würden die Bäume ehrfürchtig Platz machen und dem erhabenen Reisenden den Weg freimachen. Oder war es die Furcht, die sie zurückweichen ließ? Vor Kamijos Augen tat sich endlich die Lichtung auf, zu der es ihn so unaufhaltsam zog. Er hielt inne und betrachtete jenen Ort, den er schon so lange vergessen gehabt hatte, und der trotz der langen Zeit, die verstrichen war, nichts von seinem Zauber verloren hatte. Umrankt von altem Efeu und noch viel älteren Bäumen erhob sich hier ein dunkles Schloss aus dem Boden, dessen wahres Ausmaß der Wald rings herum zu verschlingen schien und nicht einmal der blasse Mond konnte dessen wahre Erscheinung preisgeben. Vielmehr verwandelten die Bäume seinen Schein in ein Spiel aus silbrigem Licht und schwarzen Schatten. Steinerne Wasserspeier hockten auf den Dachfirsten und glotzten böse herab auf jeden, der sich diesem unheimlichen Gebäude näherte. Für Kamijo jedoch waren sie der Willkommensgruß, den er schon so lang nicht mehr vernommen hatte. Der Gedanke an damals war so überwältigend, dass erneut Tränen in seine Augen traten. Langsam und bedächtig schritt er heran und versuchte, die Umgebung mit all seinen Sinnen zu erfassen. War er etwa ganz alleine hier? Einige Raben umkreisten die Türme, die über die Wipfel der Bäume hinausragten. Das Tor aus massivem Holz, das seine besten Tage schon lange hinter sich hatte und schutzlos den Pflanzen und der Verwesung ausgesetzt war, war einen kleinen Spalt breit geöffnet. Aber das musste nichts bedeuten.

„Hier bist du also, Ort des Schicksals ...“, raunte er in die Nacht hinein. „Noch immer bist du wunderschön ... so wie damals ...“

Wie ein Windhauch huschte er durch das Tor und betrat die riesige Eingangshalle. Wilde Rosen hatten diesen Ort erobert und sich untertan gemacht. Kamijo sah es mit Verwunderung – und gleichzeitig mit verzücktem Stolz, denn es trug nur noch mehr bei zu der Schönheit seines Anwesens. Die Staubschicht, welche die Spiegel und Kronleuchter eingehüllt hatte, schimmerte geisterhaft im hereinwabernden Mondlicht. Ohne den Staub aufzuwirbeln schritt Kamijo die knarrenden Stiegen hinauf. Es kostete ihm große Mühe, die Ruhe zu bewahren, denn seine Anspannung war inzwischen ins Unerträgliche gestiegen. Er wollte ihn wiedersehen ... nach so langer Zeit war seine Sehnsucht jetzt so plötzlich und so stark, dass sie den alten, ansonsten so beherrschten Vampir mühelos unter Kontrolle hatte.

Vor ihm lag eine weitere Tür. Er glitt hindurch und blickte sich um. Der große Ballsaal war ebenfalls mit Rosen verwachsen und die Kerzenleuchter, die auf den Tafeln und an den Wänden hingen waren schon ewig nicht mehr entzündet worden. Ein fremder und doch vertrauter Anblick für Kamijo – doch mit einem Mal durchfuhr ihn eine Ahnung, die ihn zusammenzucken ließ. Mit leuchtenden Augen sah er sich um und suchte die Schatten um ihn herum nach einem Zeichen ab, das ihm verraten könnte, dass er nicht allein war. Er sehnte sich nach einem Zeichen.

„Seid gegrüßt, Herr!“, durchbrach eine Stimme die Dunkelheit, und obwohl es nicht mehr als ein Murmeln war, schien es Kamijo, als holte ein gellender Glockenschlag das Schloss aus seinem langen Schlaf. Sein Blick huschte zu den langen Fenstern, die knapp unter der Decke waren und das Mondlicht nur sehr zögerlich in den Saal fallen ließen. Dort, auf einem der steinernen Simse, zeichnete sich vor dem bunten Fenstergläsern die schwarze Silhouette eines Mannes ab, der aufrecht und anmutig auf Kamijo hinabblickte.

Dieser begann zu lächeln – nicht etwa erleichtert, oder gar freudig, sondern kalt und herablassend – und entblößte seine langen, spitzen Eckzähne, was seinem ohnehin schon makellosen Gesicht noch mehr Schönheit verlieh. „Also ist die Zeit tatsächlich gekommen“, sagte er und konnte nicht ganz seine Enttäuschung verbergen. „Und ich sehe ... mit Freuden ... dass nicht nur ich den Ruf vernommen habe.“

Der Mann stieß sich kraftvoll vom Fenster hinab und landete fast ohne Geräusch auf dem vermoderten Teppich. Dann trat er langsam aus den Schatten auf Kamijo zu und verbeugte sich elegant, ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht, das seine wahre Identität verriet.

„Ich grüße dich, Yuki“, sagte Kamijo und wandte sich mit einem leisen Rauschen ab. „Es ist schon verdammt lange her, seit wir diese Mauern betreten haben.“

„Viel zu lange“, stimmte Yuki zu. „Und nun sind wir also endlich hier, Herr. Glaubt Ihr, dass die anderen auch kommen werden?“ Auch wenn Kamijo aus Yukis Worten heraushörte, dass er sich bemühte, die Ruhe und vermeintliche Freundlichkeit zu wahren, die Vergangenheit konnte niemand ungeschehen machen.

„Sind sie noch nicht hier?“, fragte er knapp. Lieber hätte er ihn wutentbrannt gefragt, wieso zum Teufel er gekommen war, und ihm gesagt, dass es nicht er war, den er treffen wollte, natürlich wusste er, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte, sie beide bedeuteten sich wenig, beide warteten sehnsüchtig auf jemand anderen. Doch gegen das Schicksal waren selbst sie beide machtlos.

„Wären sie gekommen, hätte ich sie sicherlich bemerkt.“ Yukis Blick und Tonfall waren fast unmerklich niedergeschlagen. Kamijo war natürlich klar, warum dies so war.

„Verstehe ...“, sagte Kamijo und wandte den Kopf zur Seite. „Natürlich werden sie kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wer weiß, wo sie sich zuletzt aufgehalten haben.“ Er verdrehte die Augen.

In diesem Moment zerbarst die Tür zum Ballsaal, schleuderte krachend gegen die lange Tafel und riss Kerzenhalter und Holzsplitter mit sich. Die zwei Anwesenden fuhren herum und starrten mit glühenden Augen und kampfbereiten Mienen in den Türrahmen. Eine zierliche Gestalt stand dort, die Hand zu einer vermeintlich vornehmen Geste erhoben, ihr prachtvolles Gewand war mit edlen Mustern und Rüschen in den Farben des Eises bestickt – doch es war über und über mit Blut besprenkelt. Ein dünnes rotes Rinnsal zog sich von den Mundwinkeln über den Hals und verschwand in dem Kragen.

„Teru!“, donnerte Kamijo wutentbrannt und seine weißen Augen fixierten ihn. „Dies ist nicht dein Schloss! Hör auf, es in Trümmer zu legen!“

Teru zeigte sich unbeeindruckt. Seine Miene war die reine Unschuld, doch die Spuren seines letzten Opfers zerstörten dieses Bild erbarmungslos. Es war ein bizarrer, fast verstörender Anblick.

„Seltsam, mein Herr, dass Euch das noch kümmert ...“, säuselte er und schritt fast schwebend in den Saal.

Kamijos Blick verfinsterte sich noch mehr und seine weißen Augen glitzerten eisig. Ihm war im Moment vollkommen egal, ob sein ehemals so prächtiges Schloss nun eine unversehrte Flügeltür mehr oder weniger hatte. Der wahre Grund für seine Wut, die in ihm loderte, war seine gewaltige Sehnsucht, die allmählich auch eine brennende Trauer mit sich brachte. Wieso nur war er noch nicht hier? All die Hoffnung, die ihn zuvor angetrieben hatte, begann erbarmungslos zu schwinden und ließ stattdessen Verzweiflung zurück.

Als er sich mit leerem Blick zu den beiden anderen umwandte, sah er, wie Teru mit einem einzigen kraftvollen Satz auf einen der hochgelegenen Fenstersimse sprang und dann geradewegs durch das berstende Fenster nach draußen in die Nacht verschwand. Leise fielen die bunten Glasscheiben wie ein farbig funkelnder Regen hinab auf den staubüberzogenen Boden.

Kamijo musterte Yuki, der mit ihm allein in dem riesigen Ballsaal zurückgeblieben war. Dieser hatte sich abgewandt und schien tief in sich versunken zu sein. Angesichts dieses Anblicks konnte Kamijo nicht umhin, ein kleines bisschen Verständnis für seinen Schicksalsgefährten zu empfinden, so ungern er sich das auch eingestand. Seine Gedanken entfernten sich immer mehr aus dem Schloss und der Gegenwart und schweiften zurück in die Vergangenheit ... als alles noch in Ordnung gewesen war, denn er war bei ihm gewesen und der Rest der Welt war für sie beide zu einer Belanglosigkeit geworden.

Und nicht nur Kamijo, sondern auch Yuki wartete sehnsüchtig auf die Ankunft einer einzigen Person, alles andere war den beiden im Moment vollkommen gleich ... ~

...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Forest_soul
2011-02-02T20:57:27+00:00 02.02.2011 21:57
Ein wunderbarer Einstieg in die Geschichte.
Ich bin schon total gespannt, wie es weitergeht, auch wenn ich mir schon vorstellen kann, auf welche beiden Herren Kamijo und Yuki warten ;)
Die Idee hat auf jeden Fall viel Potenzial.
*knuffel* und lg


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