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Rumo und die Wahrheit der Alchimisten

von

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Abgezockt

Für eine ganze Weile geschah gar nichts. Smeik saß regungslos auf dem Boden und starrte ins Nichts, Rumo hatte die Stirn gegen die Wand gelegt und die Augen geschlossen und der Mensch verharrte ungerührt auf seinem Stuhl.

Dann, nach einer schieren Ewigkeit bewegte sich die Haifischmade. Er griff nach der Stuhllehne seines Stuhls und zog sich langsam und schwerfällig daran hoch. „Ich habe verloren“, hauchte er, immer noch völlig überfordert mit der neuen Situation. „Ich habe verloren. Einfach so. Verloren.“ Rumo wagte es nicht sich umzudrehen und seinem Freund ins Gesicht zu sehen. Er hatte sich das letzte Mal so elend gefühlt, als sie beide in Hel festsaßen, so völlig ohne Halt und Zukunft. Smeik war das passiert, was jedem Spielsüchtigen früher oder später passierte: Er hatte sich um Haus und Hof gespielt. Natürlich, es gab noch die Lügenduelle, von denen sie auch vor der Zeit des Rumotron gut hatten leben können, aber auch hier zeichnete sich jetzt ein Problem ab. Wenn heraus kam, dass der Betreiber sämtlicher Lügen-Wettbüros sein eigenes Kasino verzockt hatte – nun, harmlos ausgedrückt war das nicht gerade die beste Methode der Werbung. Langsam aber sicher wurde Rumo die wirkliche Tragweite der Konsequenzen bewusst und das besserte seine Laune nicht gerade. Smeiks Ruf in Atlantis war ruiniert. Sein Kopf sank noch ein paar Zentimeter tiefer.

Hinter ihm rang der Besiegte immer noch um Fassung. Inzwischen hatte er es geschafft sich auf dem Holzstuhl nieder zu lassen, sein Jackett zu richten und nach einer neunen Phogarre zu wühlen, an der er nun zog wie ein Kind an einem Strohalm in einem leeren Glas. Der Mensch beobachtete jede seiner Bewegungen, sagte aber nichts und blieb auch sonst völlig bewegungslos, ganz so als wolle er seinem Gegenüber als Geste der Gnade Zeit zur Beruhigung einräumen.

Smeik ließ den Kopf hängen, holte einige Züge lang tief Luft – ohne Phogarre – und richtete sich dann wieder auf. Etwas auf seinem Gesicht, in seiner Haltung, dem Ausdruck in seinen Augen hatte sich verändert. Die pure Verzweiflung war stählerner Härte gewichen, vergleichbar mit einem verletzten Tier, das sich noch einmal mit doppelter Kraft und unbändigem Siegeswillen zum Kampf aufrichtet.

„Rumo“, sagte er ruhig und versammelt, „heb die Karten auf.“

Rumo tat, wie ihm geheißen und kroch zwischen Tisch und Stühlen umher, um die verstreuten Spielkarten aufzulesen. Er hatte keine Ahnung was Smeik vorhatte und ehrlich gesagt wollte er es auch gar nicht wissen. Nach seiner Einschätzung konnte es nicht viel besser werden – wahrscheinlich aber auch nicht mehr viel schlimmer.

Nachdem er das letzte unter dem Tisch hervor geklaubt hatte, zählte Rumo kurz die etwas ramponierten Blätter in seiner Hand. Sie waren vollzählig, also reichte er sie seinem Arbeitgeber, der sie ihm grimmig aus der Hand zog.

„Und nun stell dich wieder da hinten auf“, wies Smeik seinen Leibwächter an. „Noch haben wir nicht alles verloren, ich hole uns da wieder raus.“ Er drehte sich zu dem Menschen um, der immer noch schwieg, jetzt aber bedrohlich schmunzelte. Offenbar hatte Smeiks Ankündigung ihn belustigt.

„Nun, Volzotan, sprechen Sie aus, was Ihnen auf der Seele liegt. Wir sind bereit, uns Ihr Angebot anzuhören.“

Der nunmehr ehemalige Kasinobesitzer atmete noch einmal tief durch, dann kehrte das Grinsen zurück. „Nun, wie wäre es, wenn ich Ihnen etwas als Einsatz biete, das Wertvoller ist als alles, was Sie sich in ihren wildesten Träumen vorstellen können? Wenn ich etwas habe, wonach sich jeder Mensch, jedes zamonische Wesen die Finger leckt, was jeder verzweifelt sucht aber kaum einer, sagen wir nahezu keiner, je findet.“

Der Vorvorletzte lehnte sich zurück, Skepsis zeigte sich auf seinen eingefallenen Zügen. „Was bitte sollte das sein?“

Smeiks Grinsen nahm ungekannte Ausmaße an, sodass man nahezu jeden Zahn seines eindrucksvollen Gebisses in voller Pracht blitzen sah. Er beugte sich weit über den Tisch, als ginge es um eine brisante Verschwörung. „Ich, mein Lieber, rede von nichts geringerem als dem Geheimnis des ewigen Lebens.“

„Das besitzen Sie nicht. Das besitzt niemand.“

„Wie ich bereits sagte“, erläuterte Smeik eifrig, „dieses Geheimnis ist so geheim, dass es eigentlich niemand je in die Finger bekommen hat. Ich aber hatte das Glück einst von einem Eydeeten mit Wissen infiziert zu werden, wie Ihnen mein Sicherheitschef ohne Zweifel gerne bestätigen wird. Neben allerlei anderem, eher nebensächlichem Zeug habe ich damals auch diese uralte alchemistische Formel erfahren dürfen, die mir von diesem Zeitpunkt an wie ein Kochrezept im Kopf herum spukt. Für Sie, werter Herr, wäre ich bereit, diese Formel aufzuschreiben.“

Nun beugte sich der der Mensch ebenfalls vor und taxierte Smeik mit seinen Blicken wie ein Boxer seinen Gegner vor einem wichtigen Kampf. „Und wieso, frage ich Sie haben sie bis jetzt noch keinen Profit aus der Formel geschlagen? Das Geheimnis für sich zu behalten und letztendlich ungenutzt mit ins Grab zu nehmen, nur weil es vielleicht die richtige Sache ist – das passt nicht zu Ihnen, Volzotan. Also nennen Sie mir einen Grund, warum ich Ihnen glauben sollte.“

Rumo hatte so eine Ahnung, worauf das ganze hinauslaufen würde. „Sagt Ihnen der Name ‚subkutane Todesschwadron’ etwas, Menschenwesen?“, fragte er deshalb von seiner etwas abseits gelegenen Position aus.

Smeik und der Mensch sahen ihn abschätzend an, wobei wohl beiden sehr unterschiedliche Gedanken im Kopf herumgingen. Während der Mensch offensichtlich einzuschätzen versuchte, ob der massige Wolpertinger ein vertrauenswürdiger Gesprächspartner war, schien es Smeik eher um die Frage zu gehen, ob Rumo ihn mit seinem Einmischen unterstützte oder eine Gefahr für seinen Plan darstellte. Doch bevor er etwas dagegen tun konnte, hatte sein Spielpartner zu sprechen begonnen.

„Ja, Wolpertinger, ich kenne die subkutane Todesschwadron. Doch jetzt drängt sich mir die Frage auf, woher dir dieses Virus bekannt ist. Ich schätze du verstehst, dass ich mich bei all den kursierenden Legenden wohl kaum auf ein in den Raum geworfenes Wort verlassen kann.“

Rumos Blick wurde hart und ernst. Hier ging es um seine Vergangenheit, genau genommen um den Teil, an den er sich nicht wirklich gern erinnerte. „Ich war in Hel als die Krankheit dort ausbrach. Meine Verlobte ist daran gestorben.“

„Hel … eine Tote, ja das klingt durchaus plausibel“, sagte der Anführer der Vorvorletzten anerkennend. „Nun war ich selber auch bereits ein ums andere Mal in Hel und weiß einiges über die Stadt. Unter anderem auch, dass kaum ein Obenweltbewohner, der sich dorthin verirrt hat, je zurück gekehrt ist, was deine Geschichte wiederum recht unglaubwürdig macht. Wie wäre es, wenn du mir ein Detail über Hel verrätst, das hier in Obenwelt nicht zum Mythos geworden ist.“

Rumo hatte keine Zweifel daran, dass der Mensch in engem Kontakt zu der Hauptstadt von Untenwelt stand, zwielichtig genug dafür wirkte er allemal. Er überlegte kurz und erwiderte dann: „Es ist zwar keine direkte Information über Hel, aber vielleicht sagt es Ihnen trotzdem etwas: Ich habe General Ticktack getötet.“

Diese Worte hatten in der Tat ihre Wirkung. Rumos Vermutung, der Mensch könne etwas über den General der Kupfernen Kerle wissen, hatte sich augenscheinlich als richtig erwiesen, denn dieser war abrupt zurückgewichen, die Hand an der großen Narbe auf seiner Wange. Das erklärte dann auch deren Herkunft.

„General Ticktack… ja, das sagt mir etwas…“ Täuschte sich Rumo oder lag tatsächlich so etwas wie Furcht in der Stimme des stoischen Menschen? „Nun gut, ich glaube dir, dass du in Hel warst und somit auch, dass dir die subkutane Todesschwadron bekannt ist. Aber jetzt erkläre mir bitte, was das ganze mit dem Geheimnis des ewigen Leben zu tun hat.“

Der Wolpertinger warf einen Seitenblick auf Smeik, der ihn mit großen Augen anstarrte. ‚Mach jetzt keine Fehler’ schien er ihm sagen zu wollen, ‚mach keine Fehler, oder wir sind weg vom Fenster’. Rumo atmete ein und hielt für einen Moment die Luft an, dann setzte er zu seinem Trumpf an. „Ich habe Ihnen gesagt, dass meine Verlobte damals an dem Virus verstorben ist…“

Er griff in seine Lederjacke, zog ein kleines Pergament aus der Innentasche, auf dem ein einfaches Bleistift-Portrait zu sehen war und hielt es dem Vorvorletzten hin. „Das ist sie. Sehen Sie auf das Datum, das der Künstler darunter gesetzt hat. Dazu sollten Sie wissen, dass ich vor etwa drei Jahren in Hel war.“

Das Datum auf dem Foto war das von vor drei Monaten. „Sie lebt“, fügte Rumo an. „Sie lebt und Smeik hat sie ins Leben zurückgeholt, obwohl die subkutane Todesschwadron erwiesenermaßen unheilbar ist.“

Sekundenlang betrachtete der Mensch das Bild ohne sich in irgendeiner Weise dazu zu äußern. Dann gab er es seinem Besitzer zurück. „Du weißt, dass ich jetzt infrage stellen könnte, ob es sich bei diesem Bild wirklich um deine dir Versprochene handelt, oder?“

Rumo öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch der alte Mann winkte ab. „Lass nur, Wolpertinger. Das ganze führt zu nichts. Ich werde euch glauben und euch euer Geheimnis setzten lassen.“

Smeik drehte sich überrascht zu seinem Gegenspieler um. „Wie bitte?“

„Vorausgesetzt, natürlich, Sie sind weiterhin bereit darum zu spielen.“

„Na…na…natürlich“, stammelte die Haifischmade und begann mit zittrigen Fingern die Karten auszuteilen. „Also setzte ich mein Geheimnis gegen das Rumotron?“

Der Mensch nickte nur und nahm seine Karten auf.

Rumo zog sich wieder zurück. Die Gefahr war noch keinesfalls abgewendet, aber immerhin hatten sie so einen Aufschub bekommen, wenngleich er auch nicht wirklich wusste, wieso. Und wenn es Smeik dieses Mal gelang richtig zu zählen, dann hatten sie eine reelle Chance das Rumotron zurück zu gewinnen.

‚Löwenzahn? Zähl bitte mit okay?’, fragte Rumo in Gedanken. ‚Ich halte diese Spannung sonst nicht aus, dieser ganze Mathe-Kram ist mir viel zu kompliziert.’

„Klar Chef, kein Problem“, antwortete Löwenzahn fröhlich und verstummte dann, um zusammen mit seinem Besitzer dem Spielverlauf zu folgen. Grinzold hatte sich schon lange ausgeklinkt, das bloße Erwähnen von Zahlen hatte ihm Kopfschmerzen bereitet, was recht erstaunlich war, denn faktisch gesehen hatte er keinen Kopf mehr.

Sämtliche Anwesende im Raum verfielen in konzentriertes oder nervöses Schweigen, das einzige, was noch zu hören war, war Smeiks schnaufender Atem, der gegen die Karten vor seinem Gesicht schlug. Er war jetzt konzentrierter, das war deutlich zu erkennen, dennoch bebte sein ganzer Körper unter der Anspannung, die ihn in festem Würgegriff hatte und ihm die Luft abschnürte.

Rumo konnte nichts weiter tun als auf die Kommentare von Löwenzahn zu warten, die dieser dann und wann geradezu beiläufig von sich gab und von denen der Wolpertinger neunundneunzig Prozent nicht verstand. „Gut, gut… siebenunddreißig und zwei … bleiben noch achtzehn Drittel wenn der Rumo auf das Pik fällt und das Herz günstig kommt … ich verstehe, ich verstehe.“ ‚Ich nicht’, merkte Rumo an, doch er wurde ignoriert.

„Och nein, was soll denn jetzt das Ril? Wir hätten ein Quirtaton oder ein Kreuz gebraucht. Hähä, das macht es interessant, wirklich interessant.“

‚Das ist ja schön und gut, Löwenzahn, aber könntest du mir bitte sagen, wie es steht?’ Nervös, wie er war, konnte Rumo beim besten willen keinen Quälgeist, gebrauchten der mit seinen Kartenkenntnissen angab.

„Nun“, begann Löwenzahn nachdem er einmal theatralisch geseufzt hatte, um sein Missfallen über die Degradierung seiner Fertigkeiten auszudrücken, „die Sache ist ziemlich eindeutig.“

Rumo knurrte leise. ,Komm zum Punkt!’

„Smeik verliert.“

„WAS?“

Dieses Mal hatte er es laut gesagt. Alle Blicke im Raum richteten sich auf ihn und der Wolpertinger wäre am liebsten im Boden versunken. „Tut mir Lied“, murmelte er kleinlaut. „Weiß auch nicht, was das sollte…“

Dem Menschen schien das zu genügen, er wandte sich wieder seinen Karten zu. Smeik jedoch musterte Rumo eindringlich. „Was ist los, Junge? Stimmt irgendetwas nicht? Wenn dich etwas beunruhigt, kannst du es ruhig aussprechen.“

Rumo trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Was sollte er tun? Sollte er Smeik sagen, dass er grade auch seinen letzten Trumpf verloren hatte? Dass das Spiel für ihn bereits aussichtslos war und er im Grunde sofort aufgeben könnte? Sicher nicht. Außerdem gab es immer noch die Möglichkeit, dass Löwenzahn sich irrte. Oder?

„Nichts, Smeik. Es ist alles in Ordnung, ich… ich bin nur etwas nervös.“

Smeik lächelte. „Verständlich. Aber jetzt versuche dich bitte zusammen zu reißen, immerhin steht wortwörtlich einiges auf dem Spiel.“

Der Leibwächter nickte und lehnte sich gegen die Wand, um etwas Gewicht von seinen Beinen zu nehmen, die sich aus irgendeinem Grund nicht mehr wirklich standfest anfühlten. Er beschloss vorsichtshalber nicht mehr mit Löwenzahn zu reden solange er sich mit den Menschen und Smeik in einem Raum befand. Es war besser auf Nummer sicher zu gehen, auch wenn sich sein Wegbegleiter kurz über das Übergehen seiner Person beklagte.

Wie sich herausstellte, hatte Löwenzahn sich nicht geirrt.

Das Spiel dauerte noch genau drei Runden bevor Smeik erneut die Karten aus der Hand glitten und er den Kopf auf den Tisch fallen ließ. Er schlug vier seiner Arme über seinem Scheitel mit der Haifischflosse zusammen und begann leise zu schluchzen. „Nein… nein, das darf doch nicht wahr sein. Wie konnte das passieren, was habe ich nur…nein, nein, nein!“

Rumo wandte sich wieder ab. Das war einer der schlimmsten Tage seines Lebens, sein bester Freund hatte nicht nur sein Kasino und damit seinen Ruf in Atlantis sondern jetzt auch sein größtes Geheimnis verspielt und jetzt waren sie drauf und dran wirklich vor dem Nichts zu stehen. Niemand konnte sagen, wie genau die Konsequenzen Aussehen würden, wenn sie das Rumotron verloren, wahrscheinlich mussten sie sogar die Stadt verlassen.

Für Rumo selber gab es natürlich noch die Möglichkeit nach Wolperting zu gehen – dort würde er sogar ein relativ schönes Leben führen können – doch Smeik war dort nicht willkommen und seinen Freund im Stich zu lassen kam für ihn nicht mehr infrage.

Vielleicht sollte er die Menschen doch umbringen. Immerhin hatten sie im Gefängnis ein Dach über dem Kopf.

Da das Spiel offensichtlich vorbei war, erhob sich der Anführer der Vorvorletzten von seinem Stuhl und strich sich sein Gewand glatt. „Also gut, ich denke, es ist an der Zeit, dass Sie uns unseren Gewinn übergeben, Volzotan.“ Er streckte seine Knochige Hand aus. „Wenn ich bitten dürfte? Die Besitzurkunde und die Formel, wie es abgesprochen war.“

Smeik sprang auf und taumelte zurück. Er war auf einmal noch blasser gefunden als sowieso schon und keuchte wie nach einem Marathon. „Mo…Moment! So…so schnell geht das nicht! Ich muss mich erst an alle Details erinnern und sie aufschreiben und… und…“ Smeik rang nach Worten, versagte aber offenbar kläglich und verstummte.

Der Mensch ging auf ihn zu und baute sich vor ihm auf, trotz seiner geringen Körpergröße und der hageren Gestalt eine imposante, geradezu bedrohliche Erscheinung. „Ihrem Stammeln entnehme ich, dass Sie die Formel nicht wie angegeben besitzen?“

Das letzte Bisschen Farbe war aus Smeiks Gesicht gewichen, er sah aus wie ein wandelndes Gespenst. „Doch, doch, natürlich besitze ich die Formel“, stammelte er ängstlich. „Ich muss nur….“

Das narbenverzerrte Antlitz des Vorvorletzten war jetzt nur noch Zentimeter von dem der Haifischmade entfernt, eine unverhohlene Drohung lag in der Luft und Rumo konnte nichts dagegen tun, er war wie gelähmt von den unbeschreiblichen Ereignissen. „Hören Sie zu, Volzotan“, begann der Menschenmann und betonte jede Silbe extra deutlich, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, „ich mache Ihnen ein Angebot. Mir ist es im Grunde völlig egal, ob sie die Formel besitzen oder nicht, ich habe, was ich wollte. Aber ich möchte auch keinen Hehl daraus machen, dass mich die ganze Unsterblichkeitsgeschichte interessiert. Und wenn Sie es schaffen, mir innerhalb von – sagen wir – drei Wochen dieses von Ihnen so hochgelobte, große Geheimnis des ewigen Lebens zu beschaffen, wäre ich bereit Ihnen im Austausch Ihr Rumotron und Ihre Würde zurück zu geben. Wir betrachten die erste Runde als null und nichtig und ich halte mich von dem Zeitpunkt an aus Ihren Geschäften heraus. Nun, was sagen Sie?“

Smeik konnte nichts weiter tun als zu nicken und geschockt vor sich hin zu starren, angesichts ihrer derzeitigen Lage schien es sich doch um ein faires Angebot zu handeln, das ihnen immerhin so etwas wie Gnadenfrist gewährte.

Rumo teilte diese Ansicht und trat auf die Menschen zu. „So sei es also“, brachte er mühevoll hervor. „Wünschen Sie einen Vertrag?“

Der Vorvorletzte schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Ich erwähnte ja bereits, dass wir unsere Mittel und Wege haben zu bekommen, was man uns versprach.“

Rumo war sich ziemlich sicher, dass der Mensch in diesem Punkt die Wahrheit sagte, also beschränkte er sich auf ein „Ich verstehe“ und öffnete dann die Tür des kleinen Zimmers. „Darf ich Sie hinaus geleiten?“

Wieder verneinte der Mensch. „Ich denke, wir werden den Weg hinaus schon selber finden.“ Er griff nach einer der Gefäße mit den Leuchtquallen, die Rumo und Smeik benutzt hatten, um den Weg her zu leuchten. „Sorgen Sie lieber dafür, dass Ihr Vorgesetzter – oder sagen wir Ex-Vorgesetzter – seine Fassung wieder findet, bevor sein letzter Rest Würde auch noch den Bach hinunter geht.“ Mit einem letzten, amüsierten Blick auf die am Boden zerstörte Haifischmade verschwanden die Vorvorletzten in den Kellergang, wo ihre Schritte sich langsam mit dem schwach hinunter klingenden Lärm der Eingangshalle mischten.

Als er sich sicher sein konnte, dass die seltsamen Besucher im Getümmel der anderen Gäste verschwunden waren, ließ Rumo sich mit dem Rücken an der Wand zu Boden gleiten. „Da haben wir aber verdammt noch mal Glück gehabt“, seufzte er und fuhr sich mit der Pranke über den Schädel.

Smeik warf ihm von der Seite einen viel sagenden Blick zu. „Wenn du mit ‚Glück’ meinst, dass uns noch drei Wochen bleiben, bis wir endgültig ruiniert sind, ja dann haben wir Glück gehabt.“

Der Wolpertinger war verdutzt. „Wieso das? Sie haben uns doch angeboten uns das Rumotron zurück zu geben, wenn wir ihnen die Formel geben. Und selbst wenn du dich nicht mehr einhundert Prozent erinnerst, werden drei Wochen doch sicher locker ausreichen, um alles Nötige zusammen zu kratzen und aufzuschreiben, oder?“

„Was?“ Smeik sah Rumo ungläubig an und begann dann aufgebracht im Raum auf und ab zu laufen. „Verstehst du denn nicht, Rumo? Ich habe die Formel nicht, ich kenne das Geheimnis des ewigen Lebens eben so wenig, wie du! Das alles war nichts weiter als ein einziger großer Bluff.“

Jetzt war es an Rumo verblüfft zu sein. Er sprang auf und stellte sich seinem umherlaufenden Freund in den Weg. „Wie…? Aber ich dachte… Du hast doch auch Rala zurück ins Leben geholt. Natürlich weißt du, wie das Funktioniert, erzähl keine Lügen! Ich habe mich auf dich verlassen, jedes Wort von mir war ernst gemeint!“

„Selbiges gilt leider nicht für das, was ich gesagt habe“, gab Smeik resignierend zu und ließ sich wieder auf den Holzstuhl fallen, der unter dem plötzlichen Gewicht bedrohlich knackte. „Ich war es im Grunde gar nicht, der deine Freundin wieder belebt hat. Das waren die unvorhandenen Winzlinge, sie wissen, wie es funktioniert, zumindest auf mechanischem Wege. Hast du das vergessen?“

Hatte er. Aber noch war Rumo nicht bereit aufzugeben. „Dann fragen wir sie eben, diese unvorhandenen Winzlinge. Sie kennen dich, sie werden dir verraten, wie es geht, wenn du ihnen erzählst, was auf dem Spiel steht, da bin ich mir sicher.“

„Wenn ich dich kurz in deinem Enthusiasmus bremsen darf, mein Freund“, sagte Smeik, der das müde Lächeln der Verzweifelten lächelte, „aber diese Kreaturen heißen sicher nicht ‚unvorhandene Winzlinge’, weil sie so groß und leicht zu finden sind. Ich weiß nicht einmal, wie sie aussehen, geschweige denn, wo sie sich im Moment aufhalten, falls sie überhaupt noch existieren. Glaub mir, wenn du mich fragen würdest, wonach ich lieber suchen würde, nun, ich würde mich eher zehn Mal für die Nadel im Heuhafen entscheiden. Immerhin besteht da eine realistische Chance, diese innerhalb eines Lebens zu entdecken.“

Rumo stolperte und sank wieder in seine Position auf dem Boden mit dem Rücken zur Wand zurück. Und genau so fühlte er sich im Moment auch. Offenbar gab es keine Möglichkeit dem Unvermeidlichen zu entrinnen. In drei Wochen würden die Vorvorletzten mit wer-weiß-welcher Verstärkung in Atlantis aufkreuzen und sich das Rumotron und somit Smeiks komplette Existenz unter den Nagel reißen. Sein Ruf war damit ein für alle Mal ruiniert, alles, was er dann noch machen konnte, war Zeitungen und Flugblätter austragen. Und um ehrlich zu sein: Mit seiner jetzigen Körperfülle war Smeik nicht gerade prädestiniert für diese Art der Arbeit.

„Gibt es denn gar nichts, was wir tun könnten?“, fragte der Wolpertinger, der bereit war, sich an jeden, noch so kleinen Strohhalm zu klammern. „Was ist mit Kolibril? Kann er die Winzlinge nicht finden?“

Die Haifischmade schüttelte den Kopf. „Völlig unmöglich. Er wusste zwar von ihrer Existenz, aber soweit ich weiß bin ich der einzige, der ihnen je begegnet ist. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er auch nichts über ein irgendwie geartetes Geheimnis wusste, das das ewige Leben betrifft.“

„Dann ist es also aussichtslos?“

Smeik antwortete nicht. Er starrte gedankenverloren vor sich hin, ganz so als suche sein Hirn verzweifelt nach einer Lösung für ihr das Problem, dass sich mit jeder Sekunde bedrohlich auf sie zuschob. Das hier war Zamonien, der Kontinent auf dem nichts unmöglich war. Da sollte so etwas wie die Unsterblichkeit keine große Sache sein, oder? Es musste doch irgendwo jemanden geben, der sich mit einer solchen Formel auseinander gesetzt hatte! Erfolgreich, wenn möglich.

Smeik überschlug alles, was er über Alchemie wusste, im Kopf – es war wesentlich weniger als er gedacht hatte, jetzt, da er dieses Wissen tatsächlich einmal zu brauchen schien. Da gab es Formeln zur Heilung der verschiedensten Krankheiten, Rezepte zum Kochen von Gespenstern – wozu brauchte man bitte ein gekochtes Gespenst? – und Anleitungen zum erstellen der unterschiedlichsten Tinkturen, die das Leben zwar verlängern, aber es nicht endlos machen konnten.

Alles in allem war kaum etwas Brauchbares dabei und auch sein Wissen über die bekanntesten lebenden und legendären – also bereits toten – Alchemisten half ihm nicht wirklich. Klar, viele hatten es immer wieder versucht, aber soweit er von Kolibril informiert worden war, hatte es keiner je geschafft, etwas Verwendbares hervor zu bringen.

Smeik vergrub den Kopf in den Händen. War da wirklich gar nichts? Irgendetwas regte sich in seinem Unterbewusstsein und versuchte sich an die Oberfläche seines Denkens zu kämpfen, etwas wichtiges, etwas von Bedeutung. Es war nicht Kolibril, aber es hatte mit ihm zu tun… nein … nicht direkt, aber doch genug, um die Erinnerung in ihm wachzurufen.

Smeik sprang auf als die Erkenntnis ihn erwischte wie ein Blitz einen metallenen Fahnenmast. „Natürlich! Wenn es jemanden gibt, der etwas darüber weiß, dann ist er es!“

Rumo fuhr hoch. „Wer? Sag’s mir, ich werde ihn finden!“

Die Haifischmade wirkte nun wieder gewohnt siegessicher. „Kennst du diesen Typen, der das Lexikon geschrieben hat?“

„Nachtigaller?“

Smeik nickte aufgeregt. „Genau der!“, sagte er und packte Rumo an den Oberarmen. „Falls es in Zamonien überhaupt jemanden gibt, der etwas über das ewige Leben weiß, dann ist es dieser alte Exzentriker, da bin ich mir sicher. Nach allem, was ich über ihn gehört habe, soll er über sieben Gehirne verfügen. Kolibril hielt ihn zwar für einen Quacksalber, aber wenn man unsere Situation bedenkt, ist es vielleicht genau das, was wir jetzt brauchen.“

So mitgerissen begann Rumo allmählich ebenfalls Blut zu lecken, an der Idee schien tatsächlich etwas dran zu sein. Auch er hatte bereits von Nachtigaller gehört – wer in Zamonien hatte das nicht – und war relativ überzeugt davon, dass er eine Kompetenz in Sachen ungeklärte Geheimnisse darstellte.

Smeik war bereits wieder voll in seinem Element. Jetzt ging es um Strategie, um eben jene Strategie, die sie brauchen würden, um den eremitischen Eydeeten zu erreichen und ihn gleichzeitig davon zu überzeugen, ihnen sein Wissen anzuvertrauen. Und das ganze innerhalb von drei Wochen. Die Haifischmade angelte nach der dritten Phogarre dieses Tages und streckte sie sich an, während er nach dem verbliebenen Glas mit der Leuchtqualle griff und sich anschickte, das Spielzimmer zu verlassen. „Folge mir, Rumo, ich spüre, wie in meinem Hirn ein Plan Gestalt annimmt.“

Wie von einer unsichtbaren Macht gezogen eilte Smeik aus dem Zimmer und den Kellergang entlang, dicht gefolgt von seinem Leibwächter. Es ging die Treppe hinauf, quer durch die Eingangshalle zu einem der Fahrstühle und dann zurück ins Obergeschoss, aus dem sie gekommen waren.

In der luxuriösen Chefetage des Rumotrons angekommen machte sich der Noch-Besitzer des Kasinos an einer der Haifischmaden-Büsten zu schaffen, er untersuchte sie kurz, fand dann einen in den Rücken der Goldfigur eingelassenen Schalter und legte ihn um.

„Eines meiner kleinen Geheimverstecke“, sagte er und zwinkerte Rumo zu, der etwas verwirrt in der Tür des Büros stehen geblieben war. „Für meine etwas anderen Schätzchen.“

Die Statue glitt samt Sockel beiseite und eine in den Boden eingelassene Mechanik hob einen kleinen gläsernen Kubus aus der Versenkung, in dem eine Phiole mit roséfarbener Flüssigkeit auf einem schwarzen Kissen lag. Das Gefäß war verkorkt und zusätzlich mit einem Draht zugebunden, wohl um den Korken am Platz zu halten. Die ganze Konstruktion wirkte sehr elegant und gepflegt, daher vermutete Rumo, dass es sich bei dem Inhalt des Fläschchens um etwas Wertvolles handeln musste, auch wenn es eher aussah wie ordinärer Wein. Andererseits konnte Wein selber bei Zeiten auch sehr teuer sein…

Doch es war kein Rebensaft, der dort munter vor sich hinschwappte, wie Smeik ihn sogleich aufklärte. „Das, mein Freund, ist die Essenz der Goldrose, eines Gewächses, das vor etwa zehn Jahren in Zamonien ausgestorben ist. Ich habe das Glück eines der letzten Exemplare dieses auf die Flasche gezogenen Wunders zu besitzen.“ Er winkte Rumo zu sich heran, damit dieser die Flüssigkeit näher beäugen konnte. „Mit diesem unscheinbaren Säftchen kann man so ziemlich alles brauen, was sich ein kreativer Geist ausdenken kann, es ist der ultimative Katalysator, wenn du so willst.“

Rumo spürte, wie sich ihm eine Frage aufdrängte. „Und warum hast du nicht dieses Zeug gesetzt, als es drauf ankam? Offenbar ist es ja auch etwas ziemlich Besonderes.“

„Das kann ich dir erklären.“, sagte Smeik. „Dieses Mittel ist, so wie es ist, völlig wertlos.“

„Aber du hast doch gerade…“

„Bitte unterbrich mich nicht“, wurde der Wolpertinger von seinem Freund zurechtgewiesen, „ich wollte mich dir gerade erklären.“ Die Haifischmade holte Luft, um erneut anzusetzen. „Also: Dieses Mittel ist, so wie ich es hier besitze völlig wertlos, da es sich hierbei lediglich um einen Teil der Essenz handelt. Um ihre Einnahmen zu verdoppeln kamen einige findige Alchimisten vor vielen Jahren auf den Gedanken die Wirkstoffe der Goldrose zu trennen und paarweise zu verkaufen. Hatte man nur eine der Flüssigkeiten, sah man sich gezwungen die andere ebenfalls zu erwerben, um etwas damit anfangen zu können.

Heute ist dieses Essenz jedoch, wie bereits erwähnt, sehr selten und jeder Alchimist leckt sich die Finger danach Beide zu besitzen. Und jetzt kommt das Beste!“ Smeik griff nach der Phiole und hielt sie gegen das Licht, sodass sich die Sonnenstrahlen, die durch das große Fenster hinter seinem Schreibtisch hineinfielen, im semitransparenten Liquid brachen. „Nachtigaller erwähnt in seinem Lexikon, dass er ebenfalls im Besitz einer Goldrosenessenz ist. Und nach dem, was er darüber berichtet, zu urteilen, handelt es sich um das notwendige Gegenstück zu eben dieser hier.“ Er schwenkte das Glasgefäß beinahe zärtlich und Rumo beobachtete, wie Sonnenflecken über die Wände des Büros tanzten.

„Und ich soll dieses Gegenstück für dich besorgen?“

„Nicht ganz, mein Lieber“, grinste Smeik. „nicht ganz. Ich selber kann mit den Essenzen wenig anfangen, die hier war lediglich als Geldanlage gedacht. Nein, was ich von dir möchte ist, dass du Nachtigaller aufsuchst und ihm ein Geschäft vorschlägst.“ Mit einer einzelnen geschickten Bewegung ließ er die Phiole in die Brusttasche von Rumos Jacke gleiten. „Dieses Wundermittelchen“ – er klopfte sanft auf das Fläschchen – „gegen all seine Informationen über das ewige Leben. Das sollte genügen, um den alten Kauz davon zu überzeugen mit der Sprache rauszurücken.“

Rumo blickte hinab auf seine Brust, wo sich seine wertvolle und scheinbar doch wertlose Fracht befand. „Und wo finde ich Nachtigaller?“

Smeik glitt hinter seinen Schreibtisch und in den maßgefertigten Stuhl. „Das ist nicht wirklich einfach, aber für dich, der du in Hel warst, sicherlich kein Problem. Er lebt zurückgezogen in seiner Nachtschule inmitten der Finsterberge. Scheinbar verfolgt er irgend so eine seltsame Theorie, nach der die Finsternis den IQ steigert, oder so etwas, aber was weiß ich. Viel wichtiger ist, dass er sich eigentlich ständig dort aufhält, du kannst ihn also kaum verpassen.“

Rumo seufzte. Die Finsterberge, das wohl gefährlichste Gebirge Zamoniens. Aber warum nicht? Er hatte schon so ziemlich alles überlebt, was es zu überleben gab, da sollte das, wie sein Freund sehr richtig angemerkt hatte, ja wohl kein Problem sein.

Wohl wissend, dass ihm ohnehin kaum eine bis gar keine Alternative blieb, nickte der Wolpertinger und zog unwillkürlich seine Lederjacke enger um den Oberkörper. „Okay, Smeik, ich werde es tun. Ich wollte ja ohnehin mal wieder aus Atlantis heraus und etwas frische Luft schnappen. Wie es scheint bekomme ich jetzt meine Gelegenheit dazu.“ Er schwieg kurz und fügte dann an: „Ich nehme nicht an, dass du mitkommen wirst, oder?“

Wie erwartet schüttelte die Haifischmade den Kopf. „Seien wir ehrlich, Rumo, ich würde dich aufhalten. Geh du dich ruhig austoben, ich werde derweil hier die Stellung halten.“ Bei seinen letzten Worten hatte er theatralisch einen Handrücken an die Stirn gelegt und Rumo neckisch zugegrinst, sodass dieser nicht anders konnte als ebenfalls zu lächeln. „Und jetzt raus mit dir, Junge, und rette mein Kasino.“

Als der Wolpertinger den Raum verließ fühlte er sich ein klein wenig wie Ritter Hempel, der zu einem seiner großen Abenteuer aufbrach.



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