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Deepening Friendships

Auf einem Ausflug der jungen Pros bilden und vertiefen sich Freundschaften [HikaAki]
von

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Der fünfte Mai II

Ich liebe die Kindergartestreits der beiden... <3

~x~

"Komm, hilf mit!" forderte Touya ihn auf. Hikaru hatte seine Arme auf den Tisch gelegt und den Kopf darauf gebettet. Er war kaputt, obwohl sie bisher nicht viel gemacht hatten.

Im Aquarium hatten sie noch die restlichen Becken gesehen, Touya hatte ihm ein paar neue Fische gezeigt, etwas erklärt und ihn herumgeführt, bis sie durch waren. Danach waren sie zu Touya gefahren, Hikaru musste feststellen, dass ihm die Gegend überhaupt nicht mehr bekannt vorkam. Vermutlich wäre er wieder an der gleichen Ecke abgebogen wie beim letzten Mal, als er Yashiro falsch geführt hatte.

Touya war gerade dabei, Mittagessen für sie zuzubereiten. Er machte einfachen, gebratenen Eierreis. Er stellte seinem Gast ein Glas Eistee vor die Nase und stand dann weiter am Herd.

"Geht es dir nicht gut?" fragte Touya. Hikaru rollte den Kopf hin und her und fragte sich, ob es wirklich wie ein Kopfschütteln aussah. "Mir geht es gut", sagte er schließlich. Er fand es fast rührend, dass der andere sich um ihn sorgte. Die Stille zwischen ihnen war nicht unangenehm, aber Hikaru wollte sie trotzdem brechen. "Warum kannst du gut kochen, Touya? Hat deine Mutter dich immer zum Mitmachen gezwungen?"

"Ganz im Gegenteil. Sie weiß nichts davon. Wenn ich alleine war und kein Pro hier war, habe ich nur die Hälfte der Zeit Kifus studiert. Die andere Hälfte habe ich Filme oder Shows gesehen. Kochshows. Und irgendwann habe ich aus Langeweile selbst etwas gekocht. Aber nicht oft. Go geht immer noch über alles."

Hikaru lächelte innerlich. Nunja, wenigstens letzteres wusste er schon. "Ich bin kein guter Koch", sagte er in die Stille.

"Was du nicht sagst." Oh, diese Ironie, dachte Hikaru und ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. "Es ist auch kein Wunder, schließlich ist deine Mutter meist zu Hause und kocht für dich. So sah es zumindest heute aus", setzte Touya hinzu. Er plazierte einen Teller vor Hikarus verschränkten Armen. Dieser sah auf und setzte sich aufrecht hin.

"Können wir nicht vor dem Fernseher essen?" fragte Hikaru.

Touya sah ernst auf. "Es ist nicht gesund, abgelenkt zu essen."

Hikaru verdrehte die Augen. "Ist ja gut, Mama. Aber gegen eine Partie Go ist doch nichts einzuwenden?"

"Da ist man also nicht abgelenkt?"

"Man, Touya!"

Er bekam keine Antwort, als Touya unbeeindruckt seinen Reis aß. Hikaru seufzte schließlich und machte es ihm nach. "Aber danach spielen wir?" fragte er kleinlaut. Touya sah auf und nickte. Gemeinsam aßen sie schweigend ihren Reis. Hikaru fühlte sich wie in einer Ehe, dachte er flüchtig, in der er mit seiner sittsamen Frau still am Tisch saß. "Würdest du es mir auch verbieten, wenn wir zusammen wären?"

Touya hielt im Kauen inne und sah ehrlich übertölpelt aus. Hikaru verzog keine Miene, obwohl er gern hämisch gegrinst hatte. Schließlich schien Touya tatsächlich nachzudenken. "Gehen wir mal von einer harmonischen Beziehung aus -" Hikaru verzog den Mund. "- dann nehme ich an, du wüsstest, wie du deinen Willen durchkriegst, und wann ich dir nichts abschlagen könnte. Also vermutlich nicht."

Hikarus Gesicht hellte sich auf. "Wann könntest du mir nichts abschlagen?"

"Pfft, als ob ich dir das sagen würde. Bitte, so verzweifelt bin ich nun auch nicht." Sie lachten beide und auf Hikaru wirkte es bizarr, wie sie darüber scherzen konnten. Touya nahm ihm den Teller ab, der mittlerweile leer war und räumte ihn weg, während Hikaru ihm zusah und darauf wartete, dass Touya ihn zu seinem Zimmer leitete. Er erinnerte sich zwar noch dunkel an das Haus der Touyas, aber weil er wusste, dass der andere viel auf Etikette gab, ging er nicht vor zu dessen Zimmer. Der Gastgeber ergriff seine Hand und leitete ihn. Hikaru fand es seltsam, dass er sich fast schon an die Berührungen Touyas gewöhnt hatte. Das ging ihm definitiv zu schnell.

Sie begannen eine Partie, Hikaru war Weiß. Touya drängte ihn mit schnellen Zügen in eine Partie, die fast Speed-Go war. "Nur zum Einstimmen", kommentierte er. Ihre nächste Runde setzten sie auf eine Stunde an. Hikaru versank ganz in seiner üblichen Strategie und fühlte sich unheimlich wohl darin. Er verteidigte seine gesicherten Gebiete und attackierte sobald er sich sicher fühlte.

Für eine Stunde existierte nichts um sie herum, nur das Goban vor ihnen und weiße und schwarze Steine, das einzige Geräusch das Knallen der Steine auf Kaya. Hikaru kam es vor, als hätte er die ganze Stunde die Luft angehalten. Sie schenkten sich nichts auf dem Brett, Touya griff aggressiv an und drang in Hikarus eigentlich sichere Areale vor, drängte Hikaru zu reagieren, forderte ihn heraus, manchmal spielerisch. Hikaru machte es ihm nicht leicht, er verteidigte genau an der richtigen Stelle, baute seine Konturen aus, unterbrach, sobald er konnte, Touyas Versuche, seine Steine zu verbinden.

Als er den letzten Stein legte, stieß er einen Atem aus, der schon viel zu lange angehalten wurde. Er konnte nicht genau schätzen, wie es ausgegangen war. Gemeinsam schoben sie die Steine herum und zählten. "Ein halbes Moku..." sagte Touya und Hikaru wusste, dass er verloren hatte. Er biss die Zähne zusammen und verzog den Mund. Er hatte sich so gut gefühlt, und doch hatte es nicht gereicht. Er sah zu Touya und erkannte, dass dieser gerade das erste Mal seine verkrampften Hände entspannte und ebenfalls tief ausatmete.

Hikaru rutschte von seinen Knien und kreuzte die Beine vor sich, während er etwas an das Brett rückte und auf eine Stelle zeigte. "Hätte ich diesen Zug gelassen und stattdessen meine Steine verbunden, dann hättest du hier keine Angriffsfläche gehabt."

"Es war ein guter Zug. Damit hast du mich in die Enge getrieben."

"Das wollte ich aber damit gar nicht. Ich wollte mein Areal auf der linken Seite ausweiten." Er deutete auf die Stelle, wo die Steine gelegen hatten. "Dein Zug hier hat mich leider überrumpelt."

"Damit hatte ich gerechnet."

"Was soll das denn wieder heißen?? Tu nicht so, als ob du besser bist als-"

Ihre Lippen trafen hart aufeinander. Touya hatte Hikarus erhobene Hand am Handgelenk gegriffen und mit der anderen das Goban zur Seite geschoben und kniete nun über ihm. Der Kontakt dauerte lange genug, dass Hikaru Zeit hatte darüber nachzudenken, in welche Richtung er entweichen oder Touya davonstoßen konnte - er könnte ihn nach rechts auf das Goban schubsen, ihm einen Stoß vor die Brust verpassen und rückwärts stoßen oder unter dem Jungen seitlich durchtauchen. Als er sich schließlich für den Schlag vor die Brust entschieden hatte, hatte Touya schon sein anderes Handgelenk gegriffen und auf den Boden gedrückt. Als sie sich trennten sah Touya ihn mit aufgerissenen Augen an.

"Was guckst du denn so?" fragte Hikaru angriffslustig. "Ich müsste es sein, der geschockt tut." Der Fakt, dass Touya praktisch auf Hikarus Knien hockte, machte Letzteren nicht unbedingt versöhnlicher.

"Es tut mir leid. Ich schätze, ich habe mich überwältigen lassen."

"Ich glaube, ich war es, der sich hat überwältigen lassen", erwiderte Hikaru ironisch, einen Blick auf ihre Position werfend. Touya machte keine Anstalten, sich weg zu bewegen, er sah seinen Gegenüber nur weiter halb geschockt an und mittlerweile auch halb ... irgendetwas Unidentifizierbares, von dem Hikaru gar nicht wissen wollte, was es war.

"Das wollte ich schon so oft tun." Die Worte waren nur gemurmelt, aber sie hingen zwischen ihnen im Raum.

"Oft?" Hikaru konnte nicht anders. Er wusste nicht warum. Vermutlich, weil Touyas Zuneigung zu ihm etwas war, was er sonst von niemandem bisher erfahren hatte. Es war neu, es war ungewohnt und er kam sich... seltsam gemocht vor. Geschmeichelt, wenn auch peinlich berührt.

"Nach jeder Partie."

"Auch wenn ich geschrien habe?"

"Da nur noch mehr."

"Du bist wirklich seltsam, Touya. Und sollte man sich den Kuss beim ersten Date nicht aufheben, bis man sein Herzblatt nach Hause gebracht hat?" Touya ließ sich zurücksinken und saß nun auf Hikarus ausgestreckten Unterschenkeln. Nicht mehr ganz so nah und ungewohnt wie vorher, musste Hikaru sich eingestehen, und seine Handgelenke waren auch wieder frei, sodass er sie reiben konnte.

"Du hast den Tag wohl falsch verstanden. Das hier ist ein Tag, wie wir ihn als Paar-" Wieder verzog Hikaru den Mund bei dem Wort. "-verbringen würden. Es simuliert nicht, dass ich noch um deine Zuneigung kämpfen muss. Das wirst du später noch oft genug sehen, glaube ich. Ich will dir zeigen, was du verpassen würdest, solltest du mich wirklich ablehnen."

"Du klingst ganz schön überzeugt davon, dass ich irgendwann nicht widerstehen kann." Hikaru schob Touya von sich runter und rieb sich nun auch die Unterschenkel.

"Überzeugt vielleicht nicht. Hoffnungsvoll wohl eher." Er nahm Hikarus Hand und berührte die Handfläche mit seinen Lippen.

"Touya!"

Dieser verdrehte die Augen. "Auf einmal findest du es schlimm, ja?" Hikaru schubste ihn und Touya knallte geräuschvoll gegen das Goban. Der Blonde stand auf und stapfte aus dem Zimmer, während der andere sich mühsam aufrichtete und sich die Hände rieb, mit denen er sich beim Fallen abgefangen hatte. "Warte! Hey!" Doch Hikaru war schon beim Eingang und kickte seine Hausschuhe von den Füßen.

Touya erreichte ihn, als er dabei war, seine Turnschuhe anzuziehen und er hielt Hikaru zurück. "Warte, Shindo, lass uns reden."

Hikaru funkelte ihn an. "Reden oder ...?"

"Reden."

Hikaru schürzte die Lippen und kam schließlich zurück. Sie setzten sich in Touyas Zimmer aufs Bett und Touya hielt beträchtlichen Abstand. "Warum wolltest du gehen?"

Er sah Touya an. "Das fragst du noch? Ich meine, du hast dich über mich lustig gemacht!"

"Es lag also nicht am Kuss?"

Hikaru wurde rot vor Wut, mehr allerdings auf sich selbst. Stimmt, warum hatte er diese Reaktion nicht schon da gezeigt? "Du bist es, der die ganze Zeit sagt, das ist dein Tag. Ich werde mein Versprechen nicht brechen." Aber das Versprechen war, Touya diesen Tag zu schenken. Wenn er ihn mit Füßen trat, würde er sich das nicht gefallen lassen. Die Jungen beäugten sich eine Weile, bis Touya schließlich seufzte.

"Ist ja gut, tut mir leid, du brauchst mich nicht so böse anzustarren." Touya hob beschwichtigend die Hände. "Vielleicht ist es besser, wenn wir jetzt zum Schrein gehen?" Hikaru nickte nur. Alles, was nicht mit zu viel Körperkontakt zu tun hatte war generell okay, dachte er. Also verließen sie Seite an Seite das Haus und Touya führte ihn zu einem Schrein ganz in der Nähe. Sie durchschritten das Torii und Hikaru sah sich interessiert um. Es war ein kleiner Schrein, vermutlich war dies früher die Residenz einer adligen japanischen Familie gewesen.

Touya überließ ihn sich selbst und sah sich derweil Glücksbringer an. Hikaru stand am Fuße des Schreins und dachte an Sai. Er dachte an den letzten fünften Mai, an dem Sai verschwunden war. An die Verzweiflung, die ihn überkommen hatte, die Sehnsucht, die Angst, die Unsicherheit, an alles, was Sai vorher bekämpft hatte durch seine pure Anwesenheit. Hikaru fragte sich, wie andere Go-Spieler so weit gekommen waren ohne solch starke Unterstützung wie er sie von Sai bekommen hatte. Nicht nur das, Sai war sein Tutor und Vorbild gewesen. Wegen Sai hatte er Go begonnen und wegen Touya hatte er nach Höherem gestrebt. Er wollte Sai nicht als Sprungbrett betrachten sondern als einfach alles. Als Weg, als Steine, als Wegweiser, als Ziel. Die Tränen rollten, ohne dass er sie bemerkte und er war froh, dass Touya ihn allein gelassen hatte.

'Sai, ich spiele für dich Go. Ich spiele, weil ich weiß, dass du stolz auf mich bist, dass dein Go weiterlebt in mir, ich spiele, damit du nie vergessen wirst.' Er wischte die Tränen fort und sah in den Himmel. "Sai..." flüsterte er leise, immer wieder, immer wieder, bis er das Gefühl hatte, der Name des Geistes würde von den Bäumen aufgenommen und fortgetragen.

Schließlich ging er zu Touya, der an einen Pfeiler gelehnt auf ihn wartete. Hikaru stellte sich zu ihm und sie sahen sich kurz in die Augen. "Hier", sagte Touya und hielt ihm einen Talisman vor die Nase. Misstrauisch nahm er ihn an und drehte ihn um. 'Erfolg' war in Kanji darauf geschrieben. "Damit du bald Shindo Honinbou bist." Touya hielt einen zweiten Erfolgs-Talisman in der Hand, den er sich selbst gekauft hatte. Hikaru sah darauf und blickte fragend auf. "Damit ich, bis du Honinbou bist, alle anderen Titel innehabe." Er deutete ein selbstbewusstest Lächeln an und steckte Hikaru an.

"Als ob das je passieren wird."

Sie tauschten noch einen Blick und Hikaru kam sich vor wie ein kleiner Junge.

"Bist du fertig hier?" fragte Touya. Hikaru nickte und mit einem Umweg gingen sie schweigend zu Touyas Haus zurück. Ein Blick auf die Uhr sagte Hikaru, dass es vier Uhr nachmittags war. "Was machen wir jetzt?"

Touya überlegte eine Weile. "Ich habe für später etwas geplant, aber für die Zwischenzeit habe ich mir ehrlich gesagt nichts weiter überlegt, außer Go spielen."

"Dann lass uns noch eine Partie spielen. Wenn du dich zusammenreißt!" Hikaru sah ihn streng an und Touya musste die Augen verdrehen. Also saßen sie schließlich wieder in Touyas Zimmer und vor dem Goban, das vorher herumgeschoben und -geschubst worden war.

Hikaru fühlte sich gut. Nigiri, er war schwarz. Zug um Zug folgten und für ihn existierte nur das Goban. Er ließ sich überschwemmen von dem Gefühl, das Go für ihn war. Überwältigend und beruhigend, wie der Ozean. Wie Sai.

"Ich gebe auf." Touya sah auf, als Hikaru sprach. Die Augen des anderen fragten, warum er es jetzt schon ließ. Doch Touya war ihm wieder einen Schritt voraus, er wusste es einfach, er hatte es in jedem der letzten Züge gemerkt. Er zeigte auf den rechten mittleren Stern. "Hier hast du zu aggressiv angegriffen."

"Überhaupt nicht. Hätte ich hier gesetzt, hätte ich dich noch viel eher unter Zugzwang gesetzt."

"Dann hättest du aber dieses Auge hier verloren."

"Quatsch, das war mit diesen Steinen gesichert."

"Ich weiß ja nicht, was du gesichert nennst, aber das hätte ich auch aufbrechen können."

"Das sagt sich jetzt so leicht, aber du hast es schließlich nicht getan."

"Es hat sich ja keine Gelegenheit gegeben!"

"Das zeigt doch, dass es gesichert war."

"DAS ZEIGT ÜBERHAUPT NICHTS!!" Hikaru zeigte wütend auf die Steine, die sie gerade besprochen hatte. Bevor er sich versah hatte Touya wieder sein Handgelenk umfasst und sie froren beide ein, sahen sich überrascht an. Touya hatte gar nicht gemerkt, wie er nach der Hand des anderen gegriffen hatte, es war ein einfacher Impuls gewesen, über den er nicht nachgedacht hatte. Er ließ los und dachte, wie leicht so ein Streit doch vergessen werden konnte.

"Tut mir leid, ich habe nicht nachgedacht."

Hikaru schnaubte. "Erzähl mir was Neues."

"Ich will noch eine Partie."

"Das ist nichts Neues."

~x~

Hikaru hätte kaum überraschter sein können. Bevor sie gingen, enthüllte Touya, was Hikarus Mutter ihm mitgegeben hatte: es war Hikarus Anzug, den er im Hokutopokal getragen hatte. Touya befahl ihm praktisch, diese formelle Kleidung zu tragen und Hikaru wunderte sich nur noch mehr. Er fühlte sich unwohl, denn er musste zugeben, dass man ihm seinen Wachstumsschub in dem Anzug ansah. Er brauchte definitiv bald einen neuen. Touya beäugte ihn gründlich und was auch immer er gesucht hatte, er schien es zu finden, denn er nickte und ging in Richtung Tür.

"Wohin gehen wir, Touya?"

"Sei nicht immer so neugierig."

Wieder nahmen sie die Bahn in die Innenstadt. Sie standen nahe der Türen und schwiegen während der Fahrt. Touya leitete ihn schließlich nach draußen und durch Tokyos Straßen. Hikaru war überrascht, als sie vor einem Restaurant hielten.

"Wir sind da."

"Das hier?"

Touya nickte. Das Gebäude war eher dunkel gehalten, hinter den gläsernen Türen sah Hikaru schwere Vorhänge, die keinen Blick in das Innere erlaubten. Er spürte Touyas Hand leicht auf dem Rücken, die ihn mit sanftem Druck aufforderte, einzutreten.

"Willkommen, haben sie reserviert?" Hikaru wusste nicht, woher die Stimme kam, es war viel zu dunkel. Touyas Hand war noch immer zu spüren. Ohne diese hätte er sich vermutlich etwas verloren gefühlt in diesem stockdusteren Raum.

"Ja, auf Touya."

"Gut. Bitte fürchten sie sich nicht, sie werden jetzt zu ihrem Tisch geführt. Vertrauen sie unseren Kellnern."

Hikaru spürte eine andere Hand, leichter, aber größer als Touyas, die seinen Arm ertastete. Sie führte seinen Arm durch den eigenen und leitete ihn an der Seite der unbekannten Person weiter in das Restaurant.

"Wo sind wir hier?" fragte er verwirrt.

Die Stimme neben ihm war weich, sie stammte offensichtlich von einer Frau. "Hat Ihr Begleiter Sie noch nicht eingeweiht?" Er hörte ein Lächeln heraus.

"Nein, offensichtlich nicht."

"Unser Restaurant heißt 'Carpe Diem' und ist ein sogenanntes Dunkelrestaurant." Während sie das sagte, leitete sie ihn zielsicher an anderen Tischen vorbei, die Hikaru manchmal streifte und von denen er leise Unterhaltungen hörte. "Unser Personal besteht aus blinden und sehbehinderten Menschen, die es gewohnt sind, in ihrem Alltag im Dunkeln zu tappen. Sie werden ein französisches Menü zu sich nehmen, bei dem Sie sich ausschließlich auf Ihren Geruchs- und Geschmackssinn verlassen müssen. Es soll Ihnen, natürlich nur sprichwörtlich, die Augen öffnen zu ihren anderen Sinnen. Bitte setzen Sie sich."

Unsicher ertastete Hikaru vor sich eine Sitzbank. Er glitt hinein und rückte etwas, als er Touya neben sich spürte. "Möchten Sie Getränke bestellen?"

Touya bestellte für Hikaru eine Cola und für sich ein Wasser. Er kannte seinen Rivalen gut genug, um wenigstens das zu wissen. Sie saßen in Schweigen bis ihre Getränke gebracht wurden. Hikaru merkte, dass ihre Knie sich federleicht berührten und verlagerte sein Gewicht etwas. Er war nicht sicher, wie er sich im Dunkeln verhalten sollte. Sich auf den Tisch stützen, gerade sitzen, sich zurücklehnen? Nicht, dass es irgendjemand sah, also entschied er sich dafür, sich etwas in die Bank rutschen zu lassen und bequem zu sitzen.

"Warum sollte ich hierfür einen Anzug tragen, Touya? Man sieht uns doch gar nicht."

"Es ging mir ums Prinzip. Immerhin sind wir mittlerweile Personen des öffentlichen Lebens, gerade hier in der Nähe trifft man öfter Pros oder Reporter." Hikaru verdrehte die Augen und dachte dann, dass Touya es ja gar nicht sehen würde. Egal, dann eben nur für sich.

"Warst du schonmal hier?"

"Nein. Aber Ogata-san hat es mir empfohlen, als er mal in etwas redseliger Stimmung war."

Hikarus freches Grinsen war zu hören, als er sprach. "Mich wundert nicht, dass Ogata-san sich lieber im Dunkeln trifft. Dann ist der Schock für sein Gegenüber nicht so schlimm." Touya erwiderte nichts und Hikaru stieß ihn in die Rippen.

"Au..." murmelte der andere und rieb sich die Seite.

"Du weißt doch, du musst immer auf der Hut sein. Nicht nur im Go."

Touyas Stimme klang etwas genervt. "Du hast gut reden, wo du mich noch nicht geschlagen hast." Hikaru verkniff sich eine Geste, die in der Dunkelheit sowieso verschwendet gewesen wäre.

"Du weißt ganz genau, dass wir einander fast ebenbürtig sind." Touya nickte und Hikaru merkte es daran, dass die Haare des anderen gegen seine Schultern streiften. Anscheinend hatte auch Touya es sich bequem gemacht. "Ich freue mich schon darauf, wenn ich endlich in den hohen Dan-Bereichen bin. Ich kann es kaum abwarten, anderen wirklich guten Pros auf dem Brett zu begegnen."

"Es wird dich sicher voranbringen." Was war dieser Unterton? Touya klang so förmlich wie sonst auch, aber etwas hatte sich eben falsch angehört. Hikaru fragte sich, was den anderen an seiner Aussage stören könnte. Was war falsch daran, sich bessere Gegner zu wünschen? Er seufzte, als er es erkannte.

"Du wirst immer mein Ziel bleiben, Touya." Dieser entspannte sich etwas neben ihm. Seine Schultern sackten etwas zusammen und Hikaru wusste, dass er den richtigen Punkt getroffen hatte.

"Tut mir leid, ich bin zu egoistisch."

Hikaru schüttelte den Kopf nachdrücklich. "Im Gegenteil. Ich könnte es auch nicht akzeptieren, wenn du jemand anderen als Rivalen anerkennen würdest. Unser Go existiert füreinander und nur gemeinsam wird es wachsen." Es war nichts Neues. Sie wussten es beide, schon so lang, dass ihre Wege nur gemeinsam zum Erfolg führen würden.

Der erste Gang wurde aufgetragen, eine Suppe, deren Namen Hikaru kaum verstand. Es war gar nicht so schwer, sich zurechtzufinden, wie er gedacht hatte. Sein Essen roch würzig und schmeckte noch besser, als er erwartet hatte. Gierig schlang er Löffel um Löffel hinunter, froh darüber, dass es dunkel war, denn sonst hätte Touya ihn wieder getadelt. Der immer gesittete Touya.

Schließlich wurden die Teller abgetragen und Touya griff Hikarus Hand, als wäre es ganz normal. "Wie stellst du dir eine Beziehung vor?" fragte Touya ihn. Er seufzte und dachte, dass er natürlich um so eine Unterhaltung nicht herum kam. Typisch sein Glück.

"Ich stelle mir keine Beziehungen vor, Touya", gab er zu. "Denn ich bin in niemanden verliebt." Es kam keine Reaktion, keine die er im Dunkeln bemerken konnte. Er wollte gar nicht wissen, wie Touyas Gesicht im Moment aussah. Nach einiger Zeit hörte er den anderen trocken schlucken.

"Ich denke immerzu an dich", sagte Touya irgendwann, aber ergänzte nichts mehr. Stattdessen lenkte er das Gespräch auf Go, ein Thema, bei dem sie sich beide wohl fühlten. Es dauerte nicht lange, bis sie lebhaft Partien aus dem letzten Tengen-Turnier besprachen. Ogata hatte auch dort teilgenommen und alle Vorrunden ohne Probleme passiert.

~x~

"Was für einen Film willst du sehen?" Ihre Schultern berührten sich, als sie vor einem Regal in der Videothek standen. Hikaru sah sich einige der Filme an, wählte schließlich einen koreanischen Actionfilm, ohne sich genau anzusehen, worum es ging.

Ihr Essen war in angenehmer Atmosphäre weitergegangen. Sie redeten angeregt durch die letzten zwei Gänge und blieben noch etwas länger, wobei sie zwei Flaschen Wasser leerten. Als sie vor die Tür gegangen waren, war es bereits dunkel gewesen, doch Hikarus Augen hatten trotzdem geschmerzt von den grellen Lichtern der Tokyoter Innenstadt, die ihnen entgegengestrahlt hatten. Sie waren, immer noch von Partien schwärmend, zurückgefahren und waren in die Videothek gegangen.

Touya griff auf dem Weg zur Kasse nach Popcorn und zahlte für beides, dann gingen sie zu ihm, immer noch von Go redend. Er schob den Film in den DVD-Player im Wohnzimmer und bedeutete Hikaru, sich auf die Couch zu setzen, während er das Popcorn in der Küche in eine Schüssel umfüllte. Hikaru fiel auf, dass der Junge müde wirkte. Es war nicht offensichtlich, nur kleine Zeichen, wie seine angespannten Schultern und das leichte Stirnrunzeln, die Bände für ihn sprachen.

Schließlich saßen sie nebeneinander auf dem Sofa, Touya so aufrecht und förmlich wie immer, Hände lose auf seinen Oberschenkeln liegend, während Hikaru bequem die Beine gekreuzt hatte und leicht Touyas Bein mit seinem Knie berührte. Hikaru genoss den Film, es war genau so etwas zum Abschalten, wie er es mochte. Viele Waffen, viel Bewegung, viel Action, kaum Handlung, ein Film dem man einfach nur zusehen konnte, ohne über ihn nachzudenken.

Er sah Touya an, der etwas ungeduldig aussah. Seine Hände waren verkrampft, als müsse er sich zusammenreißen. Hikaru überlegte, was es sein konnte. Zu entspannt, um genervt zu sein, dachte er, es müsste etwas mit ihm zu tun haben. Ein Paar, eine Couch, ein Film. Vermutlich überlegte Touya gerade, mit welchem abgedroschenen Trick er den Arm um Hikaru legen konnte.

Hikaru kicherte und Touya sah ihn stirnrunzelnd an. Ihre Blicke trafen sich und Hikaru fühlte sich in seiner Vermutung bestätigt, als Touya zögerte, sich wieder abzuwenden. Er dachte, es wäre seltsam, wahrscheinlich müsste Touya sich strecken, um überhaupt über seine Schultern zu kommen, noch dazu waren sie um einiges breiter als Touyas. Vermutlich würde es aussehen, als nähme ein zierliches Mädchen seinen Freund in den Arm.

Oh Gott, dachte Hikaru, das wäre vermutlich ziemlich peinlich. Er sah herüber und machte schließlich das Einzige, was ihm die Peinlichkeit ersparen würde: er legte Touya den Arm um die Schultern. Der andere versteifte sich für ein paar Sekunden, bevor die Spannung aus seinen Armen floss und er an Hikaru rückte. "Das wird das einzige Mal sein", murmelte Hikaru und Touya lehnte als Antwort den Kopf in die Kuhle unter Hikarus Schlüsselbein.

Hikaru seufzte und ließ es geschehen. Er verfolgte den Film und kommentierte ihn ab und zu, wenn er etwas besonders lustig oder interessant fand. Irgendwann reagierte Touya nicht mehr. Nicht, dass er vorher viel erwidert hatte, es war eher ein Nicken, Schulterzucken oder dumpfer 'Hm'-Laut gewesen. Schließlich kam nicht einmal das und Hikaru machte sich leicht von dem anderen los. Er war tatsächlich eingeschlafen. Hikaru zuckte die Schultern und sah erst den Film zu Ende, bevor er Touya mühevoll in dessen Zimmer schleppte und auf den Futon legte. Irgendwo auf dem Weg war Touya aufgewacht und als Hikaru nun gehen wollte, hielt er ihn am Arm fest.

"Touya, der Tag ist vorbei. Ich gehe nach Hause."

"Nein", murmelte Touya schlaftrunken und es klang fast weinerlich. "Nein, der Tag ist um Mitternacht zu Ende." Hikaru suchte eine Uhr, doch fand keine. So weit davon entfernt waren sie vermutlich nicht einmal.

"Touya, meine Mutter wundert sich bestimmt schon, wo ich bleibe."

"Ich habe ihr gesagt, du übernachtest hier." Touya hatte Glück, dass er die Augen noch zu hatte, sonst wäre er unter Hikarus entnervtem Blick vermutlich zusammengezuckt. Er griff mit seiner zweiten Hand auch nach Hikaru. "Bitte bleib."

Er seufzte. "Das ist das erste und letzte Mal."

"Ich hoffe nicht", nuschelte Touya und ließ ihn los. Hikaru seufzte noch einmal und ging dann zu Touyas Kleiderschrank, aus dem er sich ohne zu fragen einen dunklen Pyjama nahm. Der Stoff fühlte sich zwischen seinen Fingern angenehm an und er dachte sich, wenn er schon gezwungen wurde, hier zu schlafen, dann konnte er das auch ruhig in Touyas besten Schlafsachen tun. Also zog er sich um und mit einer gewissen Ahnung, dass es das war, was Touya wollte, legte er sich neben den Dunkelhaarigen. Dieser seufzte erleichtert und drehte sich zu ihm herum, um seinen Kopf gegen Hikarus Oberkörper zu drücken. "Du riechst so gut..."

"Schlaf gefälligst", meinte Hikaru grantig und nutzte seinen Unterarm als Kissen. Touya brauchte nicht lange, um tatsächlich einzuschlafen, schon bald hörte Hikaru seinen gleichmäßigen Atem, der auch ihn beruhigte. Mit der Frage im Kopf, ob das nun halbwegs behaglich oder einfach die unangenehmste Situation seines Lebens war, schlief auch er schließlich ein.

~x~

Hikaru erwachte, als Touya sich neben ihm im Schlaf bewegte. Er öffnete die Augen und war sofort hellwach. Der Vortag sprang ihm aufdringlich ins Gedächtnis und er sah auf den Jungen neben sich. Er legte das Kinn auf Touyas Stirn und sah aus dem Fenster. Die Sonne würde bald aufgehen. Also war es vielleicht um vier. Der fünfte Mai, Sais Tag, Kindertag, ihr einziges Date, war um. Hikaru dachte an die schnulzigen Filme, die er sich vor Jahren ab und zu Akari zuliebe mit dem Mädchen angesehen hatte. Da waren die Liebenden am Morgen in den Armen des anderen erwacht, meistens gleichzeitig und hatten sich glücklich angelächelt. Hoffentlich hegte Touya diese Hoffnung nicht. Ihre Arme waren zumindest nicht um den jeweils anderen gewickelt, stellte Hikaru erleichtert fest.

So vorsichtig er konnte stand er auf und legte die Decke wieder über Touya. Der Junge hatte sich ihm am Vortag fast komplett offenbart - was er mochte, wie er war, wie sehr er ihn mochte. Doch Hikaru fühlte sich nicht anders, keine Schmetterlinge oder irgendetwas anderes. Er zog sich an und legte Touya den Pyjama, den er geliehen hatte, zusammengefaltet auf einen Stuhl. Ohne einen Blick zurück verließ er Touyas Zimmer, suchte seinen Rucksack, zog seine Straßenschuhe an und war aus dem Haus.



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