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Teamwork

von

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Als Johannes am Abend des 21. Juni aus seinem nahezu komatösen Schlaf erwachte und auf die Uhr sah, fiel ihm gleich zweierlei auf. Erstens, so stellte er fest, ging die Uhr nicht und zweitens, und diese Erkenntnis überraschte ihn trotz ihrer Skurrilität weitaus weniger, lag er an der Decke, genauer genommen auf seiner Bettdecke, die an seinem Bett zu kleben schien, welches wiederum kopfüber im Zimmer hing. Natürlich hätte auch sein können, dass er einfach das hatte was landläufig "ein Knick in der Optik" genannt wurde, doch dass seine Haare, die etwas länger waren als die des Durchschnittsmannes, geradewegs zum Boden, also der ihm entgegengesetzten Seite des Zimmers, hingen, ließ ihn vom Gegenteil ausgehen.

Auch das wäre noch anders erklärbar gewesen, doch sobald er seinen Arm unter der Bettdecke heraus zog, war es, als zöge eine unsichtbare Kraft sie in ebenjene Richtung, in die auch sein Schopf zeigte.

Vorsichtig strampelte Johannes seine Beine ein Stück von der Decke frei, doch als er auf ihr zum Fußende seines Bettes krabbeln wollte, um bei einem Sprung auf den Füßen landen zu können, stellte er fest, dass die Fallhöhe ihm doch zu groß war, und so ließ er von seinem Plan ab und kroch, einer Schlange gleich, zurück in seine Ausgangsposition.

Nun wollte es jedoch der Zufall, dass die Weltkarte, die er nach der abendlichen Lektüre auf seinen Nachttisch gelegt hatte, ihm just in diesem Moment ins Auge fiel, und er streckte die Hand aus um sie zu ergreifen, doch anstatt sie zu packen öffnete er, wie von einer höheren Macht instruiert, den Mund und befahl ihr zu fliegen.

Jeder, der schon einmal auf einer Weltkarte geritten ist, wird den leicht unsteten Schritt der Gattung kennen, die, mal zur Linken, mal zur Rechten torkelnd, in ihrer Vorwärtsbewegung mehr einem Blatt im Wind denn einem sicheren Gefährt ähnelt, gleichwohl die Zuverlässigkeit und Ortskenntnis, die sie dabei an den Tag legt, von keinem neumodischen Gerät zu überbieten ist, und so kam es, dass Johannes, als er nach einer nahezu halsbrecherischen Kletteraktion endlich auf seinem Reittier saß, sich zufrieden umsah und beschloss, hinaus auf die Straße zu reiten. Als Kartenreiter, die Hand oben an der Falz, dem einfachsten Zaumzeug, drehte er sich beschwerlich die Treppe hinab; unten aber stieg seine Karte auf, prächtig, prächtig; Kamele, niedrig am Boden hingelagert, steigen, sich schüttelnd unter dem Stock des Führers, nicht schöner auf. Hoch wurde er bis zur Höhe der ersten Stockwerke gehoben; niemals sank er bis zur Haustüre hinab. Und außergewöhnlich hoch schwebte er vor dem Kellergewölbe der Monsterfabrik, in dem ein Professor tief unten an seinem Tischchen kauerte und schrieb.

"Professor", rief er so laut er konnte, während die Karte in der eisigen Kälte erzitterte und seine Hosenbeine im kalten Wind schlackerten, "Professor, hören Sie mich! Ich brauche Ihr Mathebuch!"

Doch der Professor hörte ihn nicht, und so stieg er, unter großen Mühen ob der schwindelnden Höhe, von seiner Karte, klappte sie zusammen und schob sie, widerstrebend und doch in der Gewissheit, dass es Not tat, in seine Jackentasche, in der er noch einige weitere Dinge erspüren konnte, die er alle dort nicht zu finden erwartet hatte; einen Knopf, den er als jenen identifizierte, den seine Frau vor einigen Tagen verzweifelt gesucht hatte, da er der Bettwäsche gefehlt hatte, sowie einen Stift, den er für seine Tagebuchnotizen zu benutzen pflegte; daneben ein benutztes Taschentuch und eine Feder, deren Kiel bereits einen Knick vorzuweisen hatte.

"Professor", wiederholte er, ungeduldig an die Scheibe klopfend, als er den Schock über das plötzliche Auftauchen all dieser Gegenstände verwunden hatte, "Professor! So öffnen Sie doch!", und der Professor, der von seiner Lektüre, einem dicken Wälzer über die Aufzucht von Gargoylen, nur ungerne längere Zeit abgehalten wurde, öffnete missgelaunt das Fenster.

"Was ist los?", fragte er ungehalten und musterte Johannes mit einem Blick, der gleichzeitig alles und nichts zu sagen schien, "was treibt dich zu meinem Fenster, der Professor, den du suchst, ist schon lange nicht mehr hier. Denn es begab sich in jenen Tagen, dass der Professor der Mathematik in das Reich des Unwissens kam und sich von mir dort seines Wissens enteignen ließ. Und sobald er aus dem Wasser des Vergessens stief, sah er den Himmel sich öffnen und den Geist wie eine Taube auf sich herabschweben. Und eine Stimme erscholl aus den Himmeln: 'Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.' Seit jenem Tag, und der Stunden verstrichen seither viele, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Der vor dem du stehst, ist der Gott der Unwissenheit, der Gott des Fremdenhasses und der Dummheit, der Arroganz und der Fehler."

"Nun", wunderte sich Johannes, der von diesem Gott noch nie gehört hatte, "wenn Ihr der Gott der Unwissenheit seid, was führt euch dann dazu, ein Buch über die Aufzucht von Gargoylen zu lesen?"

"Erstens, mein Sohn, interessiert es mich außerordentlich, denn nicht alle Unwissenheit ist aus der Ignoranz geboren, und zweitens suchte mich vor nicht allzu langer Zeit die Langeweile auf, eine hässliche alte Vettel, die mit ihren Versuchen, mich zu beeinflussen, jedoch leider Erfolg hatte. Außerdem, ein Teil davon, ein Gott zu sein, bedeutet auch, Dinge zu tun, die dich zerstören. Es ist das gleiche wie ein Mensch zu sein. Wir sind alle im gleichen Kreislauf gefangen."

Johannes nickte. Er verstand nur die Hälfte von dem, was der Professor, der nichts anderes als ein Gott war, ihm zu erklären versuchte, doch es erschien ihm klüger, zu nicken und nicht zu zeigen, dass er nicht begriff. Der Mann war unberechenbar und sicherlich verwirrt und er wollte vermeiden, Probleme mit ihm zu bekommen.

"Können Sie mir sagen", fragte er schließlich, "wie ich den Professor finden kann?"

"Das ist eine Sache", antwortete der Gott, "die du selbst herausfinden musst." Mit diesen Worten reichte er Johannes einen Heldenratgeber, den aufzuschlagen er ihn regelrecht drängte, woraufhin eine Doppelseite zum Vorschein kam, auf der die Grundausrüstung eines jeden Helden aufgezählt wurde. Als Johannes die notwendigen Requisiten überflog, wurde ihm mulmig zumute, und er fing an, sich an der Nase zu kratzen, wie andere Tiere sich zu putzen beginnen wenn sie nicht sicher sind, was zu tun ist.

"Ich habe gar kein Schwert", wandte er schließlich ein, "nur einen Knopf, einen Stift, ein benutztes Taschentuch und eine zerknickte Feder, deren Herkunft ich nicht ganz zu erklären vermag."

"Das macht rein gar nichts." Der Gott wischte den Einwand beiseite und schüttelte den Kopf über so viel Unwissenheit, was angesichts der Tatsache, wer er war, leicht ironisch war. "Die Feder ist mächtiger als das Schwert", fügte er hinzu, "und außerdem werde ich dich persönlich begleiten. Natürlich sollten wir eigentlich vier Kinder und ein Hund sein, das ist die richtige Anzahl für ein Abenteuer, aber wir müssen es eben mit dem schaffen, was wir haben. Außerdem", so fuhr er fort, "bist du am Tag der Sommersonnenwende geboren, und egal was wir tun, was schief gehen kann, wird schief gehen. Eine Feststellung, die schon einige vor dir machen mussten und die alles unberechenbar werden lässt, unabhängig von dem, was zu tun gedenkst."

Johannes wagte zu widersprechen. "Der Heldenratgeber sagt etwas ganz anderes", warf er schüchtern, doch mit fester Stimme ein, "er behauptet, Vorbereitung wäre alles!"

"Er lügt", antwortete der Gott schlicht und ergreifend. "Ja, sehen wir der Tatsache ruhig ins Gesicht: Alle gute Literatur lügt. Beziehungsweise: Gute Literatur lügt gut, schlechte Literatur lügt schlecht - aber die Unwahrheit sagen beide. Schon der bloße Vorsatz, die Wahrheit in Worte fassen zu wollen, ist eine Lüge."



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2010-05-09T09:28:23+00:00 09.05.2010 11:28
Morgen!

Fängt schon gut an. *sich die Hände reibt*
Aber du, wenn er auf der Bettdecke liegt, warum muss er seinen Arm darunter hervorziehen? Und wenn er seine Beine freikämpft, wieso fällt er dann nicht gleich runter, wie sein Arm es prophezeit, der ja, sofort nach Befreiung von der Decke, hinunterbaumelt?

Jeder, der schon einmal auf einer Weltkarte geritten ist,
Bisher leider nicht, das steht aber auf meiner Liste zu erledigender Dinge, bevor ich sterbe.

Und wo schläft seine Frau eigentlich?

Auch dir hinterlasse ich einen kargen Kommentar, ebenso wie abgemeldet, nicht nur, weil du die vierte bist, sondern auch wegen der Vorgaben. Die Zitate hast du sehr gut eingebettet. Du hast schöne Schachteln gebastelt, auf die ich schon einige Tage verzichten musste - Der Erzähler der Nacht war nicht das, was dieser Titel verspricht.

Danke,
Gaemon
Von: abgemeldet
2010-05-03T16:08:36+00:00 03.05.2010 18:08
Also, ich muss schon sagen: Es ist genial.
Mehr Worte finde ich einfach nicht...

Gruß, Schoko

PS: Ich finde das Ende toll, so wie es ist. :)
Von: abgemeldet
2010-05-02T18:29:39+00:00 02.05.2010 20:29
Huhu,
Oh, ein leibhaftiger Wichteln, ein Fabeltier! *___*

atürlich hätte auch sein können, dass er einfach das hatte was landläufig "ein Knick in der Optik" genannt wurde
Fehlt da nach dem "hatte" ein Komma?

gleichwohl die Zuverlässigkeit und Ortskenntnis, die sie dabei an den Tag legt, von keinem neumodischen Gerät zu überbieten ist
Wäre auch noch schöner, wenn eine Karte sich verfliegen würde!

woraufhin eine Doppelseite zum Vorschein kam, auf der die Grundausrüstung eines jeden helden aufgezählt wurde.
Für Helden mit Minderwertigkeitskomplexen, die sich klein schreiben?
Interessant!

sich an der Nasse zu kratzen, wie andere Tiere sich zu putzen beginnen wenn sie nicht sicher sind, was zu tun ist.
Nase?

Schon derbloße Vorsatz, die Wahrheit in Worte fassen zu wollen, ist eine Lüge.
Da fehlt ein Leerzeichen, oder?

Toll! <3
Wieso das Ende? Ich find es so gut, der letzte Satz, das letzte Zitat, ist doch wie ein Ende, finde ich! Das sind Pratchett und Moers, oder? Ich mag es, wie deine Geschichte anfängt, da sie anfängt, wie Sachen eben so anfangen: Mit dem Aufstehen. Deine Sätze sind herrlich lang, und alles ist herrlich bizarr, gleichzeitig jedoch doch ein wenig alltäglich, weil es ja nichts ist, was man nicht verstehen könnte.

Ich mag es auch, wie du die Sachen alle ineinander gebacken hast, das ist wirklich toll!
Es ist auch toll, wie sich Normal- und Kursivtext abwechseln, und wie man durch die langen Sätze scheinbar mitfliegt, sogleich drinsteckt...

Wenn du also sagst, das wäre noch nicht alles gewesen, dann bin ich einfach mal gespannt, was da noch kommen mag.
Liebe Grüße, Polaris


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