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Abseits des Weges

Erinnerungen sind wie Fragmente
von

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Nolan in gutem Hause

Die Kavalleristenschüler waren diese Besuche bereits gewohnt. Mindestens einmal im Monat fuhr eine Kutsche in den Ort ein, hielt neben dem Übungsplatz der Kavallerie und blieb dann eine ganze Weile da stehen. Manchmal fuhr sie weiter, manchmal suchte ein livrierter Diener den Ausbilder auf, um diesem etwas zuzuflüstern. Im Anschluss wurde einer der Auszubildenden rausgewunken und dann... Nolan wusste nicht, was dann geschah und Frediano, der schon ein paarmal mit einem dieser Adeligen mitgegangen war, erzählte es ihm nicht.

Landis, der noch nie dabeigewesen war, murrte allerdings etwas davon, dass Adelige sich einen Bräutigam für ihre Töchter aussuchten. Da Kavalleristen einen guten Ruf in Király genossen und noch dazu Aussichten auf einen hohen Posten im Königshaus hatten, waren sie natürlich die beste Wahl – und wie Richard immer sagte, war es wichtig, die Jungen so früh wie möglich als Heiratskandidaten auszuwählen, ehe sie sich eine andere Freundin suchten und sich mit dieser jede Menge Verantwortung aufluden.

An diesem Tag war es wieder einmal soweit.

Mitten während des Trainings fuhr die Kutsche vor und hielt am Rande des Übungsplatzes. Nolan beachtete sie wie üblich nicht weiter und konzentrierte sich darauf, die vorgegebenen Bewegungen zu wiederholen. Eigentlich war Konzentration da schon gar nicht mehr nötig, er beherrschte das alles im Schlaf, aber er hatte einmal gemerkt, dass er wesentlich cooler – das Wort war ihm von Asterea beigebracht worden – aussah, wenn er sich konzentrierte oder zumindest so tat als ob. Und noch dazu hielt es ihn vom Nachgrübeln ab.

Erst als dieser Diener in sein Blickfeld trat, unterbrach er sich selbst. Es war als ob er in diesem Moment eine Vorahnung hätte, die sich kurz darauf auch bestätigte, als der Ausbilder ihn zu sich winkte. Dennoch rührte er sich kein bisschen, sondern erwiderte nur den Blick des Mannes als wartete er darauf, dass der Diener tatenlos von dannen zog und ihn zurückließ.

Landis stieß ihm seinen Ellbogen in die Rippen. „Los, geh schon. Dann kannst du dir selbst ansehen, was da vor sich geht.“

Zwar war Nolan immer ein äußerst begehrter Kandidat gewesen, doch bislang war er entweder für zu jung oder zu ungeschliffen befunden worden oder Frediano hatte einfach den Vorzug bekommen. Diesmal aber betraf es wirklich ihn und dennoch konnte er sich kaum rühren.

Erst auf eine erneute Aufforderung von Landis („Ich werde warten und du erzählst mir dann, wie es war, also geh schon“), setzte er sich in Bewegung. Der Diener musterte Nolan aus der Nähe und nickte dann zufrieden, ehe er ihn weiter mit sich winkte.

Der Auszubildende folgte ihm mit einem äußerst unguten Gefühl im Magen. Seine Mutter hatte ihm früher oft von Leuten erzählt, die Kinder entführten, um sie dann zu als Sklaven oder Attentäter zu verkaufen. Er warf einen weiteren Blick zu dem Diener und fragte sich dabei, ob dieser wohl selbst als Kind gekauft worden war oder ob er in der Lage war, so etwas zu tun. Allerdings war dieser Mann einer von der Sorte, bei denen man den Glauben bekam, sie waren schon in dem Alter auf die Welt gekommen und niemals ein Kind gewesen.

An der Kutsche angekommen, warf Nolan noch einmal einen Blick zurück als hätte er das Gefühl, dass er nie wieder nach Cherrygrove kommen würde, wenn er nun einstieg. Landis winkte ihm zu, als er das bemerkte, was Nolan den nötigen Mut verlieh, in das Gefährt einzusteigen.

Die gepolsterte Sitzbank war überraschend weich und gefiel ihm auf Anhieb, weswegen er im ersten Moment nur damit beschäftigt war, über das Polster zu streichen.

Das leise Lachen ihm gegenüber, ließ ihn aufblicken und die Person, die dort saß, neugierig mustern. Es war eine ältere Dame, die ihm auf Anhieb sympathisch war, schon allein weil ihre grünen Augen vor Schalk leuchteten und ihr inzwischen weiß gewordenes Haar kraus geworden war und ihn an seine Großmutter erinnerte. Eine solche Frau würde doch mit Sicherheit keine Kinder – oder Jugendliche, wie in seinem Fall – verkaufen, oder?

Gut, dass das Aussehen täuschen konnte, hatte nicht zuletzt Kieran ihm wiederholt und immer wieder erklärt, selbst in seinen späteren Lebensjahren, vermutlich in Anbetracht eines solchen Ereignisses, aber nett aussehende alte Damen konnte Nolan einfach nicht als potentiellen Feind betrachten, vor dem man sich in Acht nehmen sollte. Stattdessen erwartete er jeden Moment, dass sie ihm frische Plätzchen anbieten würde, auch wenn es in der Kutsche nicht im Mindesten danach roch.

„Verzeih, dass ich dich einfach so aus deinem Training herausgeholt habe, junger Freund. Dürfte ich deinen Namen erfahren?“

Kieran, so wusste Nolan, hätte die Dame höflich darauf hingewiesen, dass es sich gehörte, sich selbst vorzustellen, wenn man erfahren wollte, wer sein Gegenüber war, aber er selbst kümmerte sich nicht weiter darum: „Ich bin Nolan.“

Die Kutsche setzte sich mit einem heftigen Ruck in Bewegung, fuhr dann jedoch erstaunlich gleichmäßig, wenn er gleichzeitig daran dachte, wie sehr man auf dem Rücken eines trabenden Pferdes durchgeschüttelt werden konnte.

„Das freut mich sehr, Nolan“, sagte die Dame. „Mein Name ist Patricia O'Brien.“

„Der Name klingt edel.“

Warum sollte er sich nicht einfach so verhalten, wie er es immer tat? Wenn sie schon Interesse an ihm hatten – warum auch immer – würden sie ihn auch mit seinem echten Charakter noch interessant finden, davon war er überzeugt.

Sie lachte amüsiert. „Das sollte er besser auch. Weißt du, warum ich dich mit mir nehme?“

„Landis hat gesagt, die Leute nehmen einen mit, um herauszufinden, ob sie dazu taugen, ihre Töchter zu heiraten.“

„Dieser Landis muss ein intelligenter Junge sein. Aber in diesem Fall geht es nicht darum.“

Nolan rutschte ein Stück näher zur Tür, das Gesicht ein wenig blass. „Ihr werdet mich aber nicht entführen und verkaufen, oder?“

Da sie seinen Gedanken nicht so recht folgen konnte, sah sie ihn nur fassungslos an. „A-aber nein, natürlich nicht. Ganz im Gegenteil, ich wollte dich eigentlich behalten.“

Sein Misstrauen schwand nicht, sondern erhöhte sich sogar noch einmal. „Bitte?“

„Oh, nicht so wie du denkst, Nolan. Ich möchte dich adoptieren. Deine Großeltern haben mir von deinem traurigen Schicksal berichtet, als sie mir Stoffe lieferten.“

So war sie also auf ihn gekommen – aber dennoch fand er, dass sie ihn dann auch anders hätte ansprechen können. Dann hätte er nicht so viel Angst haben müssen.

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“

Mit fünfzehn empfand er sich bereits zu alt für eine Adoption und noch dazu hing er inzwischen an seiner Unabhängigkeit, an seinem Zuhause und vor allem an Cherrygrove. Eine Adoption allerdings setzte oft voraus, dass man das alles hinter sich ließ.

„Sieh dir erst einmal an, wo du leben würdest, ehe du dich entscheidest.“

Da es nicht schaden konnte und Landis am Ende sicherlich Details erfahren wollte, gab er seufzend nach und lehnte sich wieder ein wenig zurück.

Frediano war von seinen Ausflügen auch immer wieder zurückgekehrt, also konnte Nolan das auch, kein Problem, alles bestens, nicht wahr?

Der Rest der Fahrt verlief schweigend, was für Nolan ein Gräuel war, weswegen er sich wünschte, Landis hätte mit ihm kommen können. Er wusste nicht, was er mit einer Frau, die er nicht kannte und die ihn wie einen Welpen behalten wollte, reden sollte. Was interessierten Frauen in ihrem Alter?

Doch als er schon gar nicht mehr daran glaubte, dass sie ankommen würden, hielt die Kutsche wieder. Er wusste nicht genau, wo sie sich befanden, aber wirklich notwendig war das auch nicht, denn als er aus der Kutsche stieg, entdeckte er eine geradezu riesige Villa in einem nicht minder großen Park, der mit farbenprächtigen Blumen gefüllt war.

„Das gehört alles Euch?“

Patricia nickte mit unverhohlenem Stolz. „Mein Großvater hat sich dieses Grundstück mit sehr harter Arbeit verdient. Aber außer mir gib es niemand mehr, der das alles einmal erben könnte.“

„Aber wenn Ihr so viel Geld habt, müsste es dann nicht mindestens einen Nachfahren geben?“

Ihr Stolz wandelte sich in Bitterkeit, offensichtlich war das ein sehr empfindliches Thema für sie. Da er wusste, wie furchtbar einen empfindliche Themen deprimieren konnten, beschloss er, nicht näher darauf einzugehen und lief stattdessen auf die Eingangstür zu, die ihm sofort von einer Dienerin geöffnet wurde.

„Natürlich bin ich nicht den ganzen Tag alleine“, sagte Patricia darauf. „Ich habe jede Menge Dienerschaft, die gemeinsam mit mir im Haus lebt.“

„Na, immerhin~ Besser als allein zu sein.“

„So wie du?“

Er blickte sie verständnislos an. Sicher, die meisten Menschen mochten denken, dass er ohne seine Eltern allein war, aber das stimmte so nicht. Immerhin waren da noch Landis, Asterea und Richard und so ziemlich alle anderen Einwohner von Cherrygrove. Er war weder allein noch einsam – und er kannte sehr wohl den Unterschied zwischen diesen beiden Wörtern.

„Bei mir ist alles in Ordnung. Ich habe genug Freunde und Ersatzverwandte... sozusagen.“

Immerhin gab es keinen Ersatz für verlorene Verwandte, aber ein besseres Wort wollte ihm trotz seines reichhaltigen Vokabulars einfach nicht einfallen.

Wenn er so darüber nachdachte, hatten seine Großeltern es möglicherweise immer darauf abgesehen gehabt, dass er eines Tages von Adeligen adoptiert werden würde und deswegen war er gezwungen worden, all diese Wörter zu lernen. Allerdings gefiel ihm diese Aussicht nicht sonderlich.

Nolan begrüßte die Dienerin an der Eingangstür lächelnd, was sie ebenso erwiderte. Die Eingangshalle war riesig, wie er gleich darauf staunend feststellte. Eine geschwungene Treppe führte zu einer Galerie hinauf, mehrere Türen in die unterschiedlichsten Richtungen waren zu sehen. In Nolan erwachte bei diesem Anblick der Wunsch, alles sofort genauestens zu erkunden – bis ihm einfiel, dass Landis nicht bei ihm war.

Frediano glaubte, dass Landis einen schlechten Einfluss auf Nolan auswirkte, aber dieser empfand es vollkommen andersherum. Ohne seinen besten Freund fühlte Nolan sich vollkommen lustlos und ohne jeden Elan – Asterea hatte einmal bemerkt, dass dies offenbar ein Anzeichen von Depressionen und die bei ihm kein sonderlich großes Wunder wären – da blieb ihm oftmals nur, sich lieb und nett zu verhalten, um nicht noch Ärger dafür zu bekommen.

Patricia lächelte ihm zu und begann damit, ihn herumzuführen. Jeder Raum schien ihm imposanter als der vorige, so dass er gar nicht mehr aus dem Staunen herauskam; der Blick auf den blühenden Park, in dem es sogar ein Wasserbecken gab, faszinierte ihn und das Zimmer, das für ihn bestimmt wäre, war zwar bis auf Bett, Schrank und Tisch vollkommen leer, aber dafür geradezu riesig.

Er glaubte, sich schon fast an den Gedanken, dort zu wohnen, gewöhnen zu können.

Als der Abend anbrach, führte Patricia ihn in einen Raum, den sie Porträtsaal nannte und der seinem Namen alle Ehre machte. An den Wänden hingen Gemälde, die offenbar sämtliche Vorfahren dieser Familie zeigten. Selbst wenn es erst Patricias Großvater zu verdanken war, dass sie einen gewissen Reichtum angehäuft hatten, so schienen selbst dessen Vorfahren und Geschwister nicht sonderlich arm gewesen zu sein.

Patricias Gemälde zeigte sie als junge Frau in den Zwanzigern, sie war für sein Empfinden eine wirklich hübsche Frau gewesen, was sich auch nach all den Jahren immer noch ein wenig in ihrem Gesicht spiegelte. Der Mann neben ihr schien ihr Gatte zu sein und er wirkte wie jemand, den Nolan mit Sicherheit gemocht hätte.

Das Bild neben ihrem zeigte eine junge braunhaarige Frau, die ihre Tochter sein musste. Sie wirkte äußerst glücklich, genau wie der schwarzhaarige Mann neben ihr, der Nolans Blick auf sich zog. Etwas an diesem Mann kam ihm seltsam vertraut vor, obwohl er sich sicher war, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben. „Wer ist das?“

Er zeigte auf den Mann, worauf sich Patricias Blick verfinsterte. „Das war der Verlobte meiner Tochter. Sein Name war Farran – aber er verschwand vor ihrer Hochzeit, um bei einer anderen sein zu können und brach ihr damit das Herz.“

So glücklich wie die beiden auf dem Bild aussahen, fiel es ihm schwer, sich vorzustellen, dass dieser Farran das tun könnte. Aber wieder dachte er an Kierans Worte, dass der äußere Eindruck täuschen konnte – und ironischerweise war er selbst mit der ungeahnten Kraft in seinem schmächtigen Körper das beste Beispiel für seine eigenen Warnungen gewesen.

„Er brach ihr das Herz“, wiederholte Nolan leise und bedrückt.

„Mein armes Mädchen warf sich daraufhin von dem höchsten Turm, meines Hauses...“

Ihr Blick so wie ihre Stimme wurden eiskalt. „Und danach folgte mein Gatte ihr – seitdem bin ich hier allein.“

Bei ihrer Erzählung überkam Nolan ein seltsames Gefühl, das seine Brust zuschnürte. Es erinnerte ihn ein wenig an das Gefühl, das ihn heimsuchte, wenn er ein schlechtes Gewissen hatte. Nur dass er in diesem Fall nicht im Mindesten wusste, warum gerade ihn das traf.

„Das Ironische an der Sache ist“, fuhr Patricia mit belegter Stimme fort, „dass er das Mädchen danach ebenfalls sitzenließ, noch dazu mit einem kleinen Kind.“

„Wie furchtbar...“

„Männer wie Farran sind furchtbare Geschöpfe, die das Leben von Mädchen zerstören, wohin auch immer sie gehen. Ich werde ihm nie vergeben.“

„Würde ich an Eurer Stelle auch nicht“, stimmte er zu.

Etwas derart Unmoralisches und Verletzendes, ganz und gar nicht Heldenhaftes, würde er nur vergeben, wenn sich der Täter reuevoll entschuldigen und Besserung geloben würde. Fragte sich nur, ob der Täter das ebenfalls als böse ansah und deswegen überhaupt in Erwägung zog, sich zu ändern.

Aber da er diesem Farran wohl ohnehin nie begegnen würde, musste er sich keine Sorgen darum machen. Sollte er ihn aber jemals treffen, so beschloss er, würde er ihm eine ausgedehnte Moralpredigt über das richtige Verhalten Frauen gegenüber halten.

„Nun, jetzt kennst du meine Familie“, sagte Patricia schließlich, um das Thema zu wechseln. „Wollen wir essen gehen?“

Nolan nickte freudig und folgte ihr wieder mit knurrendem Magen. Farran und dessen deprimierende Geschichte hatte er fast sofort wieder vergessen.
 

So gut und reichhaltig wie an diesem Tag hatte Nolan schon lange nicht mehr gegessen. Der Koch musste in seinen Augen ein wahrer Zauberer sein – und wieder bedauerte er, dass Landis nicht hatte mitgehen können. Mit Sicherheit hätte es ihm mindestens genausogut, wenn nicht sogar noch besser, geschmeckt.

„Nun, mein Lieber, wie sieht es aus?“ Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas und blickte ihn neugierig an. „Hast du dich schon entschieden?“

„Für mich gab es nie etwas zu entscheiden“, erwiderte Nolan sofort, auch auf die Gefahr hin, sie zu enttäuschen. „Ich werde Cherrygrove nicht verlassen.“

„Aber wenn ich dir versichere, dass du deine Ausbildung fortsetzen kannst?“

Er schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Es geht mir gar nicht um die Ausbildung.“

Auch wenn diese ihm viel Vergnügen bereitete, trotz der manchmal anstrengenden Zeiten, besonders wenn es ums Lernen ging. „Cherrygrove ist meine Heimat, die will ich nicht einfach verlassen. Alle dort sind meine Familie und sie werden bestimmt enttäuscht sein, wenn ich gehe.“

Tatsächlich wirkte sie enttäuscht, weswegen er sofort noch etwas hinzufügte: „Aber ich besuche Euch so oft Ihr wollt! Und Ihr könnt auch immer zu mir kommen, wenn Ihr wollt!“

Zu seiner Erleichterung lächelte sie darauf. „Du bist ein interessanter Junge, genau wie deine Großeltern gesagt haben. Aber findest du es wirklich gut, deine Zukunft von all diesen Leuten abhängig zu machen? Wenn du mein Sohn werden würdest, könntest du alles haben, wann immer du wolltest und müsstest dir nie mehr Gedanken um etwas machen.“

„Das klingt langweilig...“, urteilte er. „Was ist das Leben wert, wenn wir alles bekommen, was wir wollen?“

Da sie ihn nur ratlos ansah, wusste er, dass er sich weiter erklären musste: „Das ganze Leben ist voller Entbehrungen und Leid gepflastert – aber nur so können wir das Gute schätzen! Wenn immer alles nur gut wäre und wir alles kriegen würden, könnten wir uns gar nicht mehr freuen, weil wir es ja nicht anders gewohnt wären.“

„Und so etwas weiß du schon in deinem Alter?“

Sie wirkte amüsiert und Nolan hatte nicht wirklich das Gefühl, dass sie ihn ernstnahm. „Mein Vater hat mir das beigebracht...“

Wenn er so darüber nachdachte, hatte Kieran ihm sehr viele Dinge für sein Leben beigebracht und egal wie sehr er von ihm in den letzten Jahren gehasst worden war, ein wenig vermisste er ihn. Richard versuchte zwar, ihm ein Vater zu sein, aber manchmal wünschte er sich dennoch, mit Kieran über manche Dinge sprechen zu können. Auch wenn er und Richard seit ihrer Jugendzeit immer Freunde gewesen waren, so unterschieden sich ihre Erfahrungen und Meinungen doch ein wenig voneinander und durch seine Erziehung fühlte Nolan sich eher zu den Erfahrungen Kierans hingezogen. Er war inzwischen sogar überzeugt, dass sein Vater seine Gründe für die Gewalt gegen ihn gehabt hatte und ihm diese nur verschlossen geblieben waren, weil sie nicht mehr miteinander sprachen.

Ihr mitleidvoller Blick ließ ihn den Kopf abwenden, um sie nicht ansehen zu müssen.

„Nun, ich kann dich nicht zwingen, bei mir zu bleiben. Wenn du das wünschst, lasse ich dich natürlich zurückbringen.“

„Vielen Dank.“

Er neigte den Oberkörper leicht, um sich vor ihr zu verbeugen, ohne dabei aufzustehen. Sie lächelte wieder. „Keine Ursache. Auch wenn du mein großzügiges Angebot ablehnst, so sollst du doch wissen, dass meine Tür dir jederzeit offensteht. Du kannst gern jederzeit herkommen, wenn du möchtest“

Er bedankte sich noch einmal, so höflich wie er es von seiner Mutter gelernt hatte – immerhin war sie für seine Manieren zuständig gewesen.

Patricia nickte noch einmal und aß dann weiter als hätte das Gespräch eben nicht stattgefunden.
 

Gelangweilt sah Nolan auf dem Heimweg aus dem Fenster, aber außer Dunkelheit war nicht sonderlich viel zu sehen. Noch immer hing er mit seinen Gedanken an dem riesigen Haus und dem Treffen mit Patricia. Er wusste selbst, dass ihm eine unvergleichliche Chance entgangen war, aber es gab für ihn einfach keinen Grund, Cherrygrove zu verlassen, selbst wenn er die Ausbildung hätte fortführen können. Er wollte nicht gehen, nicht solange alles so... perfekt war und solange er gute Erinnerungen mit diesem Ort verband.

Das Licht einer Laterne lenkte seine Gedanken auf diesen Fleck und er musste nicht erst lange überlegen, um zu wissen, wer dort stehen könnte.

Hastig bat er den Fahrer der Kutsche zu halten und sprang hinaus, kaum dass die Räder stillstanden. Er verabschiedete sich freundlich von dem Fahrer und lief dann die letzten Schritte zu dem mit einer Laterne wartenden Landis, der sofort lächelte, als er seinen Freund erkannte. „Und? Wie war es?“

„Wahnsinn~ Du hättest dieses riesige Haus oder den enormen Park sehen sollen!“

Nolan breitete die Arme aus, ohne damit im Mindesten auch nur ansatzweise die Größe davon beschreiben zu können. „Und das Essen erst! Das war richtig lecker, kein Vergleich zu dem, was Tante Asti kocht!“

„Als ob die kochen könnte“, erwiderte Landis schmunzelnd. „Und die Tochter? Wie sah die Tochter aus?“

„Oh... die war schon tot.“

Seine Worte kamen so banal hervor, das Landis nur verwirrt die Augenbrauen heben konnte, so dass Nolan hastig hinzufügte, dass es um eine Adoption und keine Heiratsvermittlung gegangen war.

„Und? Wann kannst du umziehen?“

Er wirkte recht interessiert, im Gegensatz zu ihm, so dass es ihm fast schon Leid tat, als er den Kopf schüttelte. „Ich habe abgelehnt.“

„Warum?“, fragte sein Freund fassungslos, sein Mund blieb ihm offen stehen.

Nolan überlegte, ihm alles zu erklären, was er zu Patricia gesagt hatte und hinzuzufügen, dass ihm ohne seinen besten Freund, mit dem er Tag und Nacht herumhängen konnte, langweilig geworden wäre, aber er beließ es beim reinen Gedanken. „Ich bin glücklich genug hier.“

Ihm war klar, dass Landis keine Ahnung hatte, wovon er sprach, aber er war die Erklärungen Leid, weswegen er nichts mehr hinzufügte, sondern nur lächelnd mit den Schultern zuckte.

„Oh Junge, ich glaube, du weißt dein Glück gar nicht zu schätzen.“

„Du musst gerade reden“, erwiderte Nolan. „Wer von uns hat denn seine tollen Eltern?“

„Oh, DAS sagst du nur, weil sie nicht deine Eltern sind.“

Beide lachten einstimmig und gingen dann gemeinsam weiter ins Dorf hinein.

„Kann ich heute bei dir übernachten? Ich glaube, meine Eltern sind ziemlich sauer, dass ich den ganzen Abend hier draußen auf dich gewartet habe.“

„Das musst du nicht erst fragen, Lan. Du kannst jederzeit bei mir übernachten.“

Landis bedankte sich glücklich und begann wie erwartet, nach Details des fremden Anwesens zu fragen, die Nolan ihm auch nur allzugern gab. Doch egal wieviel er erzählte und wie begeistert Landis von alldem war und inständig darum bat, selbst auch mal hingehen zu dürfen, Nolan bereute keine einzige Sekunde, dass er das Angebot abgelehnt hatte. Weder in diesem Moment, noch den Rest seines Lebens.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-09-22T10:48:51+00:00 22.09.2011 12:48
Sooo~ Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich dieses Kapitel herbei gesehnt habe. <3
Weil Nolan und so. :D
Ist der Kleine bei dem Steckbriefbild etwa Nolan? Der sieht so Awwwwww~ aus. *q*

> Während eines Trainings wird Nolan von einer Kutsche abgeholt.
Nolan, man steigt nicht in fremder Leute Autos ... äh, Kutschen! D<
Wer weiß, was die mit dir anstellen könnten? Q___Q

> Nolan wusste nicht, was dann geschah und Frediano, der schon ein paarmal mit einem dieser Adeligen mitgegangen war, erzählte es ihm nicht.
Hm ... das macht mich jetzt schon sehr neugierig. =)
Mensch, Fredi, warum erzählt er nichts? Vielleicht darf er auch nicht? Hm~

> dass Adelige sich einen Bräutigam für ihre Töchter aussuchten.
o___Ô
Und da nimmt man sich nicht Nolan? Ich bräuchte gar nicht suchen, ich würde sofort ihn mitnehmen, hehehe~

> An der Kutsche angekommen, warf Nolan noch einmal einen Blick zurück als hätte er das Gefühl, dass er nie wieder nach Cherrygrove kommen würde
Kann ich verstehen, das gleiche Gefühl hätte ich wahrscheinlich auch. :,D
Aber Fredi ist ja auch immer zurück gekommen, also keine Panik~

> aber nett aussehende alte Damen konnte Nolan einfach nicht als potentiellen Feind betrachten
Es sei denn, sie leben in einem Knusperhäuschen und geben dir ganz viele Süßigkeiten zu essen. D:

> Nolan rutschte ein Stück näher zur Tür, das Gesicht ein wenig blass. „Ihr werdet mich aber nicht entführen und verkaufen, oder?“
Awwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwww~ Q//////Q
*diese Szene anlieb*

> „A-aber nein, natürlich nicht. Ganz im Gegenteil, ich wollte dich eigentlich behalten.“
Hee, No ist meiner! DX
... Direkt nach Nadia versteht sich. :,D
Klingt jetzt im ersten Augenblick so, als würde sie No selbst als Sklaven behalten wollen, wenn man von seiner Befürchtung ausgeht. XD

> „Oh, nicht so wie du denkst, Nolan. Ich möchte dich adoptieren.
o____Ô *sprachlos ist*
Nolan in einer edlen Familie? Ob das gut geht? :,D

> Frediano war von seinen Ausflügen auch immer wieder zurückgekehrt, also konnte Nolan das auch, kein Problem, alles bestens, nicht wahr?
Genau, ganz meine Rede. =3
Also schau dich ruhig ein wenig um und steck dir zwischendurch eine Vase oder so was ein, die reichen haben genug davon. >D

> Immerhin waren da noch Landis, Asterea und Richard und so ziemlich alle anderen Einwohner von Cherrygrove.
Ja, alle lieben Nolan! X3

> Frediano glaubte, dass Landis einen schlechten Einfluss auf Nolan auswirkte, aber dieser empfand es vollkommen andersherum.
Es ist immer wieder lustig, zu lesen, dass die einen meinen, Lan wäre schlecht für No und andere wiederum denken, No wäre schlecht für Lan. :,D
Dabei hätten den beiden was besseres doch gar nicht passieren können. =3

> Ihr Blick so wie ihre Stimme wurden eiskalt. „Und danach folgte mein Gatte ihr – seitdem bin ich hier allein.
Oh ... die Arme, das ist schrecklich. =(

> aber da er diesem Farran wohl ohnehin nie begegnen würde
Das bezweifle ich irgendwie. :,D

> Wenn du mein Sohn werden würdest, könntest du alles haben, wann immer du wolltest und müsstest dir nie mehr Gedanken um etwas machen.“
Damit wäre No sicherlich nicht zufrieden, er ist schließlich ein Kämpfertyp und ein Held. ^^

> „Oh... die war schon tot.“
.... XDDDD
Entschuldige, aber das hört sich im ersten Augenblick so lustig an. :,D
So nach dem Motto: Die war so unzufrieden mit mir, dass sich mich gar nicht erst treffen wollte, sondern lieber gleich das zeitliche gesegnet hat. XDDD
Das ist eigentlich nicht zum lachen, aber ... :,D

> „Oh, DAS sagst du nur, weil sie nicht deine Eltern sind.“
XDDDDDDDDDD
Also ich hätte Asti und Richard sehr gerne als Eltern gehabt. =3
Obwohl ich weiß, dass sie sicher auch andere Seiten aufziehen können, vor allem Asti war ja am Anfang nicht so nett zu Lan. :,D

Ich finde es so rührend, dass Nolan sich entschieden hat, in Cherrygrove zu bleiben. <3
Er weiß eben zu schätzen, was er hat und braucht keinen Reichtum, er ist wirklich ein guter Junge, auf ihn kann man nur stolz sein. Ich weiß, warum ich ihn so sehr mag, hihi. ^-^
Ich fand die Idee und den Besuch jedenfalls interessant und bin erstaunt, dass man in der Form mal interesse an ihm gehabt hat. :,D
Und Farran ... ist ein *Piep*. DX
So was macht man einfach nicht, aber vielleicht gab es ja auch gute Gründe, also sollte man lieber abwarten, ehe man ihn gleich verurteilt. No wird dem schon auf den Grund gehen, irgendwann. >D
Also ... *Hände aufhalt* Neeext, please~ ^o^


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