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Hidden Flowers III

Die letzte Reise
von

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Jenseits der Stille

A/N

Herzlich willkommen zu einer neuen Ära Hidden Flowers! *lach* Ich freue mich, wenn jemand hierhergefunden hat. Alte und neue Bekannte sind gleichermaßen gern gesehen und sollen hier herzlich willkommen geheißen werden. Ich hoffe, die Geschichte ist das, was ihr erwartet, und wenn nicht, dass ihr vielleicht Gefallen daran findet.
 

Für alle, die schon etwas länger dabei sind: Circa zwei Jahre sind nach Yukas und Shikarus JouNin-Prüfung vergangen... Und obwohl die beiden nach wie vor die Hauptfiguren sind, werden noch weitere altbekannte Charaktere diesmal eine wichtige Rolle spielen! Es sind unter anderem meine Lieblinge dabei^^
 

Nun, genug geredet. Vorhang auf für den dritten und abschliessenden Teil von Hidden Flowers!
 

~***~
 

Prolog - Jenseits der Stille
 

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches
 

Die grüne Lichtung, weit entfernt vom Stöhnen und Wimmern der Kranken war eine Oase der Ruhe und der Stille.
 

Leise betrat die Frau die Lichtung und legte eine Hand an die dunkle Rinde eines Baumes. Rau und fest - und voll mit Leben. Langsam begannen die Blätter, einen sanften Rotschimmer anzunehmen. Die Zeit der flammenden Bäume würde bald beginnen.

Vorsichtig liess sich neben dem Bach auf den weichen Grasboden sinken. Sie trank, so viel sie konnte, schöpfte mit beiden Händen daraus und wusch sich ihr Gesicht. Ihr Spiegelbild weckte widersprüchliche Gefühle in ihr. Noch immer waren ihre Augen von einem hellen, leuchtenden Blau, ihr Gesicht noch immer blass und umrahmt von ihrem schulterlangen, blonden Haar wie von einem Heiligenschein. Aber auf den zweiten Blick bemerkte man die Falten, die sich um ihre Augen eingegraben hatten - Zeichen der Müdigkeit - oder der Zug der Erschöpfung, der um ihre Mundwinkel lag. Ino strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr zurück und wunderte sich, was Andere noch in ihr sahen - was Shikamaru noch in ihr sah. Sie seufzte leise.

Langsam war die eine Stunde vorbei. Yukatsuki würde sich schon Sorgen machen.
 

Yukatsuki... Dieses Kind.

Obwohl sie nicht einmal halb so alt war wie Ino, war sie bereits erwachsen... Und dennoch kam Ino nicht umhin, die Adoptivtochter des Hokage als Kind zu betrachten. Sie war so humorvoll, so offen, manchmal ein bisschen naiv und viel zu ernst für ihr Alter... Alles, was Ino gerne gewesen wäre. Yukatsuki war ein gutes Mädchen. Derjenige, der sie einst heiraten würde, konnte sich glücklich schätzen.

Und da dieser Gedanke geradewegs zu ihrem eigenen Sohn führte, musste sie lächeln.

Der Junge war eine merkwürdige Mischung aus ihr und aus Shikamaru geworden. Shikaru brauchte nichts zu sagen. Die Blicke, die er Yukatsuki zuwarf, sagten genug für Inos mütterliche Instinkte - aber weil sie seine Mutter war, wusste sie auch, dass es nur Blicke waren. Nicht mehr.
 

Mit lautem Krächzen flog ein schwarzer Rabe über ihren Kopf hingweg und riss sie aus ihren Gedanken. Ino legte den Kopf in den Nacken und verfolgte seinen Flug über die Baumwipfel hinweg. Der blaue Himmel - unter dem selben Himmel war auch Shikamaru irgendwo unterwegs.
 

Shikamaru.
 

Der Himmel war blau. Das heisere Krächzen des Raben zersplitterte die Stille in tausend spitze Scherben. Kurz schloss Ino die Augen und atmete tief durch. Dann erhob sie sich und wandte sich den Weg zurück, den sie gekommen war. Nicht nur Yukatsuki und Shikaru warteten auf sie, sondern auch Menschen, die ihre Hilfe brauchten.
 

Ein Schatten zog vor die Sonne.
 

Erschrocken blieb Ino stehen, aber alles um sie herum war schwarz geworden. Helle Schlieren begannen langsam und dann immer schneller vor ihren Augen zu drehen. Gleichzeitig wurde ihr kalt - so kalt, dass sie begann, unkontrolliert zu zittern. Sie versank in einem Meer aus Finsternis und Kälte, unfähig, sich zu rühren, unfähig zu schreien. Ein Gewicht auf ihrer Brust wurde schwerer und schwerer - und als ihre Hände vor die Augen riss, verstand sie endlich, dass die Dunkelheit nicht wirklich war. Es war sie selbst, der schwarz vor Augen geworden war. Taumelnd trat sie einige Schritte vor - und ein stechender Schmerz durchfuhr sie mit einem Übelkeit erregenden Gefühl. Unter ihr knickten ihre Beine ein, sie liess sich auf den Boden sinken. Shikamaru... Shikamaru! Er war nicht hier. War das jetzt ihr Ende?
 

Ino kannte dieses Gefühl. Und sie kannte diese Schmerzen. Sie hatte immer gewusst, dass sie eines Tages zurückkehren würden... Dass sie sie seit Shikarus Geburt nicht mehr gespürt hatte, hatte Erleichterung hervorgerufen, aber dennoch war sie sich sicher, dass es nicht ewig so bleiben würde. Sie hatte ihre Bedenken mit niemandem geteilt. Warum auch? Sie wollte Hinata keine Sorgen machen - und auch Shikamaru nicht.

Shikamaru...

Beim Gedanken an ihren Ehemann bäumte sich etwas in ihr auf.

Es war ein ungleiches Kräftemessen, denn der Feind, gegen den Ino zu kämpfen hatte, war ihr eigener Körper und sie war geschwächt durch die anstrengende Arbeit der vorhergehenden Tage. Die Augen geschlossen und die Zähne zusammengebissen, das Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes verzogen, konzentrierte sie die kümmerlichen Reste ihres Chakras auf die Aufgabe, den Schmerz zurückzudrängen, der in flammenden Wellen durch sie hindurchjagte. Ihre Hand verkrampfte sich im Stoff ihres violetten Tops und der grünen Weste, als nichts geschah.

Es war schwer, sich zu konzentrieren, wenn etwas so schmerzte... Shikamaru. Shikaru. Inoshia... Sie wünschte sich zurück nach Hause - und wusste im selben Augenblick, dass es keinen Unterschied gemacht hätte. Hinata wäre in Konoha gewesen... Doch den besorgten Gesichtsausdruck der Ärztin sehen zu müssen, wäre zu viel für Ino gewesen. Diese Mischung aus Sorge, Selbstvorwürfen - und dem allerschlimmsten: Mitleid.
 

Inoshia. Sie hatte sich nicht einmal von ihrer Tochter verabschieden können... Sie konnte jetzt nicht aufgeben.

Quälend langsam sammelte sie erneut die kümmerlichen Reste ihrer übriggebliebenen Kraft und konzentrierte jede Faser ihres Wesens auf ihr Innerstes. Das schwarze Loch, welches in ihr herrschte, kannte sie zu gut... Sie wusste, jegliches Chakra würde an es verschwendet sein. Stattdessen fokussierte sie ihre Aufmerksamkeit auf ihre Nervenbahnen. Noch einmal fuhr das Gefühl des Schmerzes wie ein scharfes Schwert durch sie hindurch, und sie biss sich auf die Lippen, bis sie salziges Blut schmeckte.

Langsam, viel zu langsam, liess der Schmerz nach, als Ino ihren Körper betrog. Er würde erneut zurückkehren, wieder mit aller Gewalt über sie hereinbrechen, das wusste sie. Bis dahin war sie hoffentlich wieder in der Lage, genug Chakra schmieden zu können... Zweieinhalb Tage langer Reise und fast zwei Tage harte Arbeit hatten ihre Reserven beinahe zur Gänze aufgebraucht.
 

Zitternd erhob sie sich und musste sich an einem Baum abstützen. Gut, dass niemand - Yukatsuki oder Shikaru - sie gesehen hatte... Sie war vermutlich wieder leichenblass. Sie konnte nichts tun. Nichts gegen ihre Blässe, nichts gegen den bitteren Geschmack der Niederlage in ihrem Mund, nichts gegen ihre verkrampften, zitternden Hände. Hätte sie gekonnt, hätte sie gelacht, aber es kam nur ein trockenes Geräusch aus ihrer Kehle. Sie sollte den Menschen dort helfen - aber sie hatte nicht einmal die Kraft, sich selbst zu helfen.

Wind fuhr durch die Baumkronen und blies ihr einige Haare ins Gesicht. Mühsam hob sie eine Hand und strich die Strähnen beiseite. Vom schwarzen Raben, der zuvor über der Lichtung gekreist hatte, war nun nichts mehr zu sehen. Oder zu hören...
 

Plötzlich wurde sie gewahr, wie still es geworden war. Keine Vögel sangen. Der Wind schwieg. Misstrauisch blickte Ino sich um.

"Ist da jemand?", fragte sie in die Stille rings um sie hinein. Niemand antwortete ihr.

"Ich weiß, dass ihr da seid! Zeigt euch!"

Es waren mehrere Menschen.

Und mit dieser Erkenntnis setzten bei Ino ihre Instinkte ein: Angst, Schmerz und Schwäche waren wie weggeblasen. Ruhig richtete sie sich auf und lauschte in den Wald hinein, der sie umgab. Ihre blauen Augen blitzten konzentriert, ihre linke Hand hielt sie absichtlich im Schatten ihres eigenen Körpers, damit die Angreifer nicht sehen konnten, dass sie bereits drei Wurfmesser in der Hand hielt. Sie war sich mittlerweile ziemlich sicher, dass sie es mit fünf oder sechs Gegnern zu tun hatte. Sie kamen von allen Seiten, schlichen sich lautlos an sie heran. Vosichtig bewegte sich Ino weiter nach rechts, bis sie die harte Rinde des großen Baumes in ihrem Rücken spüren konnte. Die Wand im Rücken hieß normalerweise, dass ihr kein Fluchtweg blieb, aber es war ihr lieber, wenn sie sich sicher sein konnte, dass niemand sich hinter ihr würde anschleichen können. Ohne zu blinzeln, starrte sie in das grüne Dickicht des Waldes.
 

Ein Ast knackte.
 

Ino runzelte die Stirn. Natürlich hatte sie die Gegner schon entdeckt - aber wussten diese das? Die blonde Kunoichi knirschte mit den Zähnen. Fünf Gegner – Das bedeutete Schwierigkeiten. Normalerweise wäre es für einen Konoha-Nin zwar schwierig, aber nicht unmöglich, es mit fünf Gegnern gleichzeitig aufzunehmen - aber sie war... Im Nachteil.

Mehr als jeden anderen wünschte sie sich in dem Moment Shikamaru an ihre Seite. Ihren langjährigen Partner, ihren Gefährten, ihre zweite Hälfte... Er hätte mit Sicherheit bereits die Situation analysiert, eine Strategie entwickelt und einen Weg gefunden, ihre und seine Fähigkeiten so effizient zu koordinieren, dass ein Sieg über fünf Angreifer eine Leichtigkeit gewesen wäre. Aber wie es aussah, war Shikamaru nicht da und sie musste sich auf sich selbst verlassen...
 

Der Angreifer von links, der die Lichtung zuerst erreichte, wusste nicht, wie ihm geschah. Plötzlich flogen drei Wurfmesser auf ihn zu. Gekonnt sprang er zurück - da nagelten ihn die nächsten drei Messer an den nächsten Baum hinter ihm. Im Schatten der ersten Messer hatte er sie nicht kommen sehen...

Früher hätte die junge Ino für das "Nicht-Nachfragen-Einfach-Erledigen-Prinzip" des Kampfes plädiert. Aber sie war nicht mehr jung und heute war nicht Früher. Mit hektischen Bewegungen versuchte der Angreifer, sich von dem Baum zu befreien - ergebnislos. Ohne ihn zu beachten, zielte Ino ihre nächsten Wurfsterne auf den nächsten Angreifer - und sah sich plötzlich umringt von vier Shinobi, die nach ihr traten, stachen und schlugen. Anscheinend versuchte man sie kampfunfährig zu schlagen, ohne sie allzusehr zu verletzen... Was bedeutete, dass man sie entführen wollte.

Und das war das Letzte, was Ino wollte. Sie versuchte mit aller Kraft, sich zu halten.
 

Aber sie merkte sie deutlich, dass sie an Kraft verlor. Ein Messer traf sie und hinterliess eine flache, aber lange Schnittwunde in ihrem rechten Arm. Sie bemerkte den Schmerz nicht. Sie spürte die Angriffe mehr, als dass sie sie sah... Ein Gegner kam auf sie zu und sie riss das Bein hoch, um ihn zu treten, und biss die Zähne zusammen, weil es sich anfühlte, als bewege sie sich langsam und schwerfällig wie ein Walross. Ihr Fuß traf auf Widerstand und ein erschrockener, spitzer Schrei erklang. Inos Tritt warf ihn zwei Meter nach hinten, wo er mit dem Rücken auf die Erde prallte und aufstöhnend liegen blieb. Sofort liess ein Anderer von ihr ab, um nach dem Verletzten zu sehen. War das das Verhalten von Shinobi? War es nicht Pflicht, zuerst die Gegner zu erledigen, bevor man sich um die eigenen Verletzten kümmerte? Und sowieso - hatten sie nicht bemerkt, dass Inos Tritt unmöglich genug Kraft beeinhaltet haben konnte, um einen Mann zu töten?

Drei Gegner hatten sich in einem Kreis um sie aufgebaut. Verbissen sammelte die das noch verbliebene Chakra unter ihren Fußsohlen, stellte fest, dass es nicht genug war, und katapultierte sich trotz allem in die Luft. Sie schlug ein Salto und kam ausserhalb des Kreises der Gegner wieder auf, den Rücken gegen einen anderen Baum gepresst. Sie konnte Shikamaru praktisch sagen hören, dass sie sich selbst in die Ecke trieb... Schwer atmend blieb sie stehen, die Füße verlagert, die Hände abwehrend gehoben.
 

Blitzschnell reagierten ihre drei Gegner und wirbelten herum. Dabei rutschte dem einen Angreifer die Kapuze vom Kopf. In einem Atemzug nahm Ino das Gesicht in sich auf, registrierte den Ausdruck auf dem Gesicht und die Haltung der restlichen vier Kämpfer. Dann schnellte ihr Blick herum, um den am Boden liegenden Gegner anzusehen, der vom Fünften gehalten wurde. Auf seine Ellenbogen gestützt, war auch seine Kapuze verrutscht, genauso wie die der Person, welche ihm geholfen hatte. Lange, braune Haare fielen ihr in die Augen, als sie Inos Blick böse erwiderte.

Es herrschte völlige Stille auf der Lichtung.

Absolut perplex starrte Ino ihre Gegner an, dann setzte eine schreckliche Erkenntnis ein. Sie hatte gegen sie gekämpft? Unfähig, etwas anderes zu tun, öffnete sie ihren Mund.

"Aber ihr... Ihr seid doch...!"
 

Etwas raschelte in der dichten Krone des Baumes über ihr. Ino hatte keine Zeit mehr ihre eigene Unachtsamkeit zu verfluchen geschweige denn zu reagieren... Ein Schlag traf mit brutaler Präzision ihren Kopf.
 

Unheil verkündend kreiste der schwarze Rabe über der Lichtung und krächzte.
 


 

~ Ende des ersten Kapitels ~

An jedem Tag

Kapitel 1 - An jedem Tag
 

Konoha-Gakure, Erster Tag des Herbstes, Vormittag
 

Das Wetter war schön. Die Sonne leuchtete über den Dächern des Dorfes.

Der Sommer war schön gewesen. Es hatte weder Dürren noch Überschwemmungen gegeben und die Ernte war eingebracht.

Konoha-Gakure war schön. Die Häuser, geschmückt und geputzt, erstrahlten im festlichen Kleid... Sogar an die Tür der leerstehenden Villa am südlichen Ende des Dorfes hatte eine achtsame Person einen Blumenkranz gehängt. Der Herbst konnte kommen.
 

Am aufgeregtesten waren die Kinder. Bereits seit Tagen waren sie wie vom Floh gestochen herumgesprungen, hatten geschrien und gelacht (vielleicht hatte die Tatsache, dass sie aufgrund der allgemeinen Vorbereitungen zwei Tage lang von der Schule befreit worden waren, einen großen Anteil an ihrer Aufregung), hatten alles und Jeden zur Eile getrieben und im Weg herumgestanden. Natürlich unter dem Vorwand, dass sie nur helfen wollten.

So manch ein Shinobi hatte genervt die Augen verdreht und entweder gebetet, dass er niemals selbst solch enthusiastische Kinder haben würde oder gedankt, dass er keine eigenen Kinder hatte... Oder dass sie bereits selbst alt genug waren, dass sie selbst diesen Gedanken nachhingen. Dem allgemeinen, fröhlich-hektischen Chaos war jedoch niemand entkommen.
 

-
 

„Anko-San!“

Shikaru Nara bog gerade rechtzeitig um die Ecke, um zu sehen, wie Mitarashi Anko an ihm vorbeifegte, einen Arm voll Schriftrollen vor sich herbalancierend. Hinter ihr her kam Ashuria, die Assistentin des Hokage, und bekam die Frau mit den stacheligen Haaren in dem Moment zu fassen, als diese ausrutschte und sich sämtliche Rollen über die Straße verteilten.

„Verdammte Scheiße!“, fluchte die Lehrerin und mühte sich ab, dem Griff der jüngeren Frau zu entkommen. „Was willst du irre Briefmarkenaufkleberin von mir?“

Ashurias Augen blitzten bedrohlich auf. „Anko-San...“

„Ich bringe sie ja schon zurück, Hölle und Verdammnis! Lass mich endlich in Frieden!”

Ashuria fing Shikarus amüsierten Blick auf und verschränkte die Arme. „Ich warte.“

„Ja, ja“, brummte die Frau missmutig und liess eine Rolle fallen bei dem Versuch, zwei andere aufzuheben. „Du verstehst einfach keinen Spaß.“

Der dunkelhaarige Shinobi nickte den beiden Frauen zu, steckte die Hände wieder in die Hosentaschen und folgte dem Verlauf der Straße. Wahrscheinlich wollte er nicht wissen, worum es gerade gegangen war...

KLATSCH!
 

Mit einem merkwürdig gedämpften Geräusch lief eine sich bewegende Ziegelmauer in ihn hinein und sorgte beinahe dafür, dass er sich auf dem Boden wiedergefunden hätte - hätte er nicht einen Schritt zurück getan und sich an der Mauer festgehalten.

"Kariha!", ertönte eine ihm nur zu bekannte Stimme. "Schau, was du angestellt hast - du kannst echt nicht lenken!"

Unter dem bemalten Stoff kam ein kleines Mädchen zum Vorschein, welches verlegen zu Shikaru aufsah.

"Das tut mir furchtbar leid, Sensei! Ich konnte einfach nichts sehen!"

"Schon gut", sagte der, während er seine jüngste Schülerin musterte. "Ist bei euch alles in Ordnung? Minato? Gosaburo?"

Ein schwarzer und ein grüner Strubbelkopf tauchten aus dem merkwürdigen Gefährt auf.

"Alles klar, Sensei!", tönte es synchron. Die beiden Freunde grinsten sich an. "Das war einfach cool!"

"Stimmt gar nicht", wehrte Kariha ab. "Wir sind voll in den Sensei reingedonnert!"

"Ja, eben!"

"Was ist das da eigentlich?", fragte Shikaru.

"Das ist ein Teil für das Theaterstück der Akademie!", erklärte Kariha stolz. "Iruka-Sensei hat uns gesagt, wir sollen die Reriquiten zum großen Platz bringen."

Requisiten? Wahrscheinlich, damit ihr euch dabei die Hacken ablauft und weniger hibbelig seid, dachte sich Shikaru - hütete sich jedoch, den Gedanken zu äußern. Stattdessen hob er Kariha hoch und setzte sie auf den mit Stoff verkleideten und mit Rädern versehenen Balken. "Na dann - ihr werdet fahren und ich lenke. Wenn ich euch aus den Augen lasse, geschieht doch nur wieder ein Unglück."

"Cool!", freuten sich die Jungs und schlüpften wieder unter den Balken. "Los gehts!"

"Nicht so schnell!"

"Jippieh!" Kariha auf dem Balken warf die Arme in die Höhe und fiel beinahe hinunter.

Und das gesamte Gefährt setzte sich erneut in Bewegung.
 

-
 

Die Braut, mit hochgesteckten, blauschwarzen Haaaren und leuchtenden Augen, war unübersehbar der Mittelpunkt des gesamten Raumes. Sie schien aus jeder Faser ihres Körpers zu strahlen, ein Licht, welches Yukatsuki beinahe blendete.

Henara trug bereits ihr Hochzeitskleid, ein enganliegendes Modell mit einer kleinen Schleppe, welches hervorragend mit ihrer gebräunten Haut und ihrem blauschwarzen Haar harmonierte. Die kurzen Ärmel bestanden aus hauchdünner Spitze, welche in weichen Wellen über ihre Schultern fiel, und ein schwarzes Band schlang sich um ihre Hüfte. Der Rock war nicht weit, aber lang. Im Gehen schlug er feine Wellen um ihre Beine. Auf einem Stuhl in einer Ecke des Raumes lag ein unförmiger, weißer Umhang, den niemand weiter zu beachten schien.
 

Außer ihr waren ihre vier besten Freundinnen anwesend.

Die fünf waren bereits Freundinnen gewesen, seit sie denken konnten: die sture, willensstarke Henara, die immer alles besser wusste, die exotische Tellia mit ihren silbernen Haaren und ihren halbmondförmigen Augen, deren Zynismus fast schon an Menschenhass grenzte, Yukatsuki, die jüngste und schüchternste von allen Fünfen, mit ihren goldenen Augen und dem roten Haar - die trotz allem einen Mob mit einem einzigen Blick zum Schweigen bringen konnte, und die Inuzuka-Zwillinge Haruka und Sakura. Die von ihrem Vater lediglich die Augenfarbe geerbt hatten und so anders aussahen als er, so dass er seiner Frau scherzhaft vorwarf, sie hätte seine Gene unterschlagen. In Wildheit und Ausgelassenheit jedoch standen die Zwillinge ihrem Vater in Nichts nach. Ihre beiden Herdehündinnen Kisa und Isa hatten die Beiden glücklicherweise auf dem Hof gelassen - wo die Hündinnen ausgelassen mit den Pantoffeln des Oberhauptes spielten. Yuka hoffte nur, während sie einen Blick aus dem Fenster warf, dass Haruka und Sakura weit weg sein würden, ehe Henaras Vater die Katastrophe bemerkte.

"Ich werde bestimmt niemals heiraten", sagte Tellia in dem Moment und lehnte sich auf ihrem Sessel nach hinten, wo sie trotzig die Arme verschränkte. "Ich weiß nicht, warum du das tust, Henara. Du bindest dich an jemanden - und das Nächste, was du weißt, ist, dass du das Haus nicht mehr verlassen kannst, ohne ihm Bescheid zu sagen..."

"Nur, weil deine Mutter nie geheiratet hat!", rief Sakura empört aus und Haruka ergänzte wie immer ihre andere Hälfte: "Fang gar nicht erst an, Tellia.“

„Nicht ihr auch noch! Meine Mutter hat das Recht, für sich selbst zu entscheiden, und..."

Begütigend legte Henara ihr eine Hand auf den Arm.

"Tel, sie kritisieren deine Mutter doch nicht. Wir mögen sie sehr - das weißt du!"

Beruhigt nahm Tellia ihre Teetasse auf und trank einen Schluck von dem duftenden roten Tee. Ihr entschuldigendes Lächeln erreichte die Zwillinge, die daraufhin Yuka wissend angrinsten. Tenten Ama hatte, zum Missfallen der Ratsversammlung, den Vater ihrer Tochter niemals geheiratet... Noch schlimmer: sie hatte seine Identität niemals preisgegeben. Der Hokage hatte - obwohl er diesen Posten damals noch nicht bekleidet hatte - die Diskussion und die üble Nachrede zum Schweigen gebracht und nicht zugelassen, dass man Tenten von Konoha ausstieß. Er hatte es niemals bereut. Die Expertin in Waffenkunde war heute die Leiterin der Forschungsanstalt in Konoha und wenn er sich nicht irrte, würde ihre Tochter diese Position bald übernehmen...

"Mama hat immer erzählt, dass Papa ihr nur einen Heiratsantrag gemacht hat, weil Akamaru sie sofort akzeptiert hat", lachte Haruka laut auf. Sakura prustete in ihren Tee.

"Ja, er hat es nie überwunden, dass eine Suna-Nin zu ihm sagte "Hör schon auf, dich so aufzuführen" - und schon lag er am Boden und liess sich kraulen!"

"Wer - euer Vater?"

"Nein - Akamaru!" Jetzt lagen sie vor Lachen beinahe auf dem Boden.

"Dann hat Kiba-Sensei ja Glück gehabt, dass Yuzuriha-San sich entschlossen hat, in Konoha zu bleiben", sagte Yuka und atmete tief durch. Der Gedanke an ihren ehemaligen Lehrer und dessen riesigen Hund, vor dem sie sich früher immer hatten verstecken müssen - zu Trainingszwecken - rief gerade einen unerträglichen Lachreiz in ihr hervor. Haruka brach erneut in schallendes Gelächter aus.

"Naja - Mama hat gesagt, dass sie den Regen in Konoha mit Sicherheit besser verträgt als Akamaru die Hitze in Suna!"

Es dauerte eine Weile, bis sich die Fünf beruhigt hatten.

"Wo ist Shi eigentlich?", fragte Yuka schliesslich. Das Bild ihres schlanken, hochgewachsenen ehemaligen Teamkollegen stand ihr deutlich vor Augen. Shi: Immer schweigsam, immer kühl, immer wachsam und bereit zum Kampf...

"Wenn mir jemand mal gesagt hätte, du und Shi, ihr würdet heiraten..."

Henara senkte den Kopf, als leichte Röte ihr ins Gesicht kroch.

"Ich weiß nicht, wo er gerade ist", sagte die verträumt. "Aber Kiju ist auch da. Und Shikaru wird später dazustoßen."

"Er hat nur zwei Trauzeugen?"

"Hey, schliesslich ist Henara die Außnahme, nicht die Regel!“

Yukas Blick war währenddessen in den Tiefen ihrer Teetasse verschwunden, als sie ihren eigenen Gedanken nachhing. Sakura pikte ihr mit einem Finger in die rechte Seite und sie schrak hoch und hätte beinahe den Tee verschüttet.

"Was?"

"Shikaru wird auch da sein", blinzelte die eine Zwillingsschwester verschwörerisch. "Freust du dich schon?"

Yuka blinzelte verwirrt.

"Warum? Natürlich freue ich mich, ihn zu sehen."

"Ach, Yuka", seufzte Haruka theatralisch. "So wirst du niemals einen Mann abbekommen."

Yuka lief blutrot an.
 

-
 

Der ehrwürdige Hokage der Sechsten Generation, Nachfolger der legendären Heilerin Tsunade, Oberhaupt des Dorfes Konoha-Gakure und stärkster Shinobi des Feuerreiches, stand mit dem Rücken zur Tür seines Büros und starrte auf die Bilder seiner Vorgänger. Fünf Generationen von Hokage waren Naruto Uzumaki schon vorausgegangen, die nun ernsthaft seinen Blick erwiderten.

Die Namen der Personen auf den Bildern waren berühmt. Jeder Hokage hatte große Taten vollbracht. Konoha hatte Kriege und Frieden, Dürren und Überschwemmungen, Tod und Geburt erlebt, Geiselnahmen, Misstrauen und Hass... Und im Laufe der Zeit war die Bevölkerung zusammengewachsen, hatte sich gegenseitig Kraft und Trost gespendet und niemals die Hoffnung verloren. Und zum größten Teil war das der Verdienst ihrer Führer gewesen.

Seufzend wandte der hochgewachsene Mann sich ab und strich sich durch seine verstrubbelten Haare.

Verglichen mit den anderen Hokage schien Naruto weniger damit zu tun zu haben, den Dorfbewohnern ein Vorbild zu sein, als dafür zu sorgen, dass alles seinen gewohnten Gang nahm - trotz diverser Schwierigkeiten. Verglichen mit den anderen Hokage hatte Naruto wenig erreicht und noch weniger aufgebaut.

"Es tut mir leid, Tsunade-Sama", sagte er und beugte den Kopf in Richtung des Bildes von einer schönen, blonden Frau, die auf ihn hinabzulächeln schien.

"An jedem Tag frage ich mich, wie du wohl gehandelt hättest... Und trotzdem werde ich es nie so gut schaffen wie du."

"Das würde ich nicht sagen, Naruto", ertönte eine Stimme hinter ihm und der Hokage lächelte, ohne sich umzudrehen.

"Kakashi..."

"Ich dachte nicht, dass ich dir das einmal sagen würde... Aber du denkst zu viel nach."

Der Mann mit der grünen Weste, den silberweißen Haaren und der Maske, die sein halbes Gesicht bedeckte, trat aus dem Schatten der Tür.

"Du wusstest doch, dass ich da war, oder?"

Naruto zuckte die Schultern. "Und wenn ich es wusste?"

Unter der Maske war das Lächeln bloß zu erahnen. "Dafür habe ich es dir beigebracht, nicht?"

Für einen Moment herrschte Stille. Dann straffte Naruto die Schultern.

"Was gibt es, Kakashi?"

Der JouNin zuckte nun ebenfalls die Schultern.

"Ich wollte nur sehen, was du so machst. Bald beginnt die Zeremonie - als Hokage solltest du nicht zu spät kommen."

"Danke für deine Sorge", sagte der Hokage lakonisch. "Kann ja sein, dass ich manchmal nicht so rechtzeitig da war - aber zu solchen Zeremonien bin ich immer pünktlich gewesen."

"War ja auch nur so ein Gedanke..."

Kakashis Blick wanderte, Narutos folgend, ebenfalls hinauf zu den Bildern der Hokage.

„Ich weiß nicht, ob Andere diese Menge an Verantwortung hätten tragen können", sagte er leise. " Du machst deine Aufgabe sehr, sehr gut, Naruto. Sie wäre stolz auf dich."

Naruto wandte sich brüsk ab und nahm ein Stück Papier in die Hand, welches er konzentriert musterte. Kakashi beobachtete ihn.

"Eine Verbindung zwischen Hochzeits- und Gedächtniszeremonie." Er grinste. "Das ist ja mal was."

Misstrauisch beobachtete Naruto, wie Kakashi die rechte Hand hob - und dann wuschelte der JouNin dem Hokage wie ein kleines Kind durch die Haare. Empört sprang der zurück.

"Was soll das denn!"

"Nicht so trübselig, Naruto. Die Leute vertrauen auf dich - du musst lächeln."

Das Grinsen unter der Maske war unübersehbar und unwillkürlich musste auch Naruto grinsen.

"Schreib mir nicht vor, was ich zu tun habe!"

Sein Lächeln war das des kleinen Jungen, der sich vorgenommen hatte, Hokage zu werden, und Kakashi spürte den Stolz in sich aufsteigen. Sein Blick fiel auf ein anderes Photo, an der gegenüberliegenden Wand. Rosafarbene Haare, schwarze, kühle Augen, ein breites Grinsen... Team Sieben. Er und Naruto waren die einzigen, die heute noch hier waren.

"Sie hätten sich sicherlich gefreut, diesen Tag zu erleben", sagte er leise.

Naruto hörte ihn nicht, denn er hatte den Raum durchquert und war in den weißen Mantel geschlüpft. Schwer und vertraut fiel der Stoff auf seine Schultern. Kakashi bemerkte, wie sich seine Haltung veränderte: er stand jetzt viel gerader und selbstbewusster da als vorhin noch.

"Wir müssen los."

Der Shinobi drückte dem Mann vor ihm den ebenfalls schweren Hut auf den Kopf und zog ihn über die Augen, sodass der ehrwürdige Hokage gegen das Sofa stolperte und beinahe darübergefallen wäre.

"Wir sind stolz auf dich, Naruto. An jedem Tag. Sakura, Sasuke, Tsunade... Und ich. Und jetzt geh da raus und halte die Zeremonie ab - so knapp wie möglich. Wir wollen die Hochzeit und das Fest erleben. Ich habe gehört, die neuen GenNin haben ein Theaterstück eingeübt... Das will ich mir nicht entgehen lassen!"

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht und einem letzten Blick auf die Bilder folgte der Hokage seinem ehemaligen Lehrer aus der Tür und die Treppe hinauf, welche auf das Dach des Haupthauses führte. Als die Tür sich mit einem leisen Klicken schloss, blieben die Toten nicht allein zurück, sondern folgten ihnen still und lächelnd hinaus, um der Zeremonie beizuwohnen die zu ihren Ehren stattfand.
 

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Ende des ersten Kapitels

Schmetterlingsträume

Konoha-Gakure, Erster Tag des Herbstes, Abend
 

Langsam versank die Sonne hinter dem Horizont, beleuchtete im roten Schein die große Dachterrasse des Haupthauses von Konoha-Gakure und wärmte mit ihren letzten Strahlen die erwartungsvollen Gesichter der versammelten Menge. In den länger werdenden Schatten der großen Bäume standen sie, alle Bewohner des Dorfes: Große und Kleine, Junge und Alte, Männer und Frauen. Auf der anderen Seite des Halbkreises standen vier stolze Gestalten der Bevölkerung gegenüber, in weiße, lange Mäntel gehüllt. Fünf der Sechs Clane Konohas wurden hier repräsentiert: Akimichi, Hyuuga, Inuzuka, Nara und Yamanaka.
 

*
 

Ino Yamanaka fühlte sich in ihrem violetten Kleid und dem langen, schweren Mantel ihres Clans wohl.

Noch wohler hätte sie sich gefühlt, wenn Shikamaru als Repräsentant des Nara-Clanes neben ihr gestanden hätte... Schwer hingen die beiden Lederbänder um ihren Hals und erinnerten sie daran, warum sie hier war. Warum sie alle heute hier waren.

Heute war ein guter Tag.

Das Gefühl der Zerbrechlichkeit, welches sie bereits seit Jahren begleitete, hatte sich in einen finsteren Winkel ihres Kopfes zurückgezogen, lauernd, aber nichtsdestotrotz beinahe verschwunden. Sie richtete ihre Konzentration auf den Gedanken, dass Shikamaru heute oder morgen aus Suna-Gakure zurückkehren würde... Sie hatte sich daran gewöhnt, dass er niemals nur ihr gehörte. Wenn der Hokage ihn brauchte, war er wieder unterwegs - egal, ob er nur wenige Stunden zuvor nach Hause gekommen war oder eigentlich Urlaub hatte. Manchmal verschwand er und nur der Hokage und er wussten, wohin. Manchmal tauchte er ebenso plötzlich wieder auf... Ein Teil von ihm würde immer Diplomat bleiben - weil es das war, womit er seiner Heimat am Besten dienen – und sie dabei beschützen – konnte. Ihm zu sagen, dass sie nicht beschützt werden wollte, war sinnlos. Da schaltete der so intelligente Shikamaru auf kindisch. Wenn er da war, konnte sie darüber lachen, aber wenn er nicht da war, dann...

Heute jedoch stand sie hier, an ihrer eigenen und an seiner Stelle, um den Hals das Lederband mit dem Symbol seines Clans, und es war als stünde er neben ihr und lächelte sie an.

Ino liess ihren Blick über die versammelte Menge schweifen. Sie konnte weder ihren Sohn noch ihre Tochter ausmachen.

In der Menge entstand ein kleines Gewühl, und eine junge Frau nahm, noch leicht nach Atem ringend, ihren Platz in den Menschenreihen ein. In Inoshias langen, blonden Haar steckte eine tiefblaue Blüte. Shikaru war vermutlich bei Shishiro.

Das altbekannte Gefühl des Stolzes wallte in Ino auf. Ihre Kinder. Ihre beiden geliebten Kinder. Ihr ganzer Stolz und vielleicht das Einzige in ihrem Leben, das sie perfekt nennen konnte...

"Sinnlos", hörte sie Shikamarus Stimme, als stünde er neben ihr. "Hör auf, dir um solche Sachen Gedanken zu machen! Konzentrier dich..."
 

Und in die plötzliche Stille, welche sanft wie Seide auf die Versammlung fiel, trat der Hokage der Sechsten Generation aus der Menge heraus und in die Mitte des Kreises hinein. Die Zeremonie begann.
 

Zuerst hallten Namen durch die warme Abendluft, gesprochen von einer klaren und tragenden Stimme. Der Zettel in der Hand des blonden Mannes mit dem Flammenzungenmantel blieb unberührt, als er an die Toten erinnerte, die ihr Leben für ihre Heimat gegeben hatten. Aus seinem Munde gesprochen, klangen sie wie die Namen von geliebten Freunden, selbst der älteste.
 

Es war eine lange Liste.
 

Selbst die kleinen Kinder blieben stumm, während sie ehrfürchtig lauschten, wie Geschichten, die sie nur aus dem Unterricht oder von bloßen Erwähnungen her kannten, plötzlich vor ihnen Gestalt anzunehmen schienen. Der Hokage bewies, wie viel Macht im Namen eines Menschen war.
 

Schliesslich verklang der letzte Name, und noch immer blieb es still.

Für einige Zeit überliess der Hokage es den Menschen, die Anwesenheit der Toten in sich aufzunehmen. Dann nickte er den vier Oberhäuptern zu, und wie eine Person traten sie gemeinsam einen Schritt nach vorne. Nicht einmal Neji Hyuuga lächelte nicht, als die Aufmerksamkeit der Menschen sich auf sie richtete. Dies war eine Gedenkzeremonie. Die Toten wünschten es nicht, dass man ununterbrochen trauerte.
 

Ino machte den Anfang.
 

Als sie an den Tisch trat, stieg ihr der betäubende Geruch der verschiedenen Blüten in die Nase. Der Duft erinnerte sie so sehr an ihre Kindheit, dass ihr beinahe Tränen in die Augen gestiegen wären. Hastig unterdrückte sie den Impuls. Ganz besonders fiel ein Strauß weißer Lilien in ihr Auge, als sie schliesslich davor stand. Zusammengehalten wurde er durch ein blassrosafarbenes und ein tiefblaues Band. Sakura, dachte Ino und schloss kurz die Augen. Sasuke... Sie konnte das Lächeln ihrer besten Freundin und ihrem Ehemann beinahe spüren.

Ich bin glücklich... Jetzt musst du es auch werden, Ino. Versprich es mir.

Ich bin glücklich, dachte Ino und öffnete die Augen wieder. Ein lautloses Lächeln bereitete sich über ihre Lippen aus und sie zog einen der beiden abgenutzten Lederbänder über den Kopf, welche sie um den Hals getragen hatte. Die Wärme ihres Körpers hatte sich auf den silbernen Anhänger in Blütenform übertragen. Angenehm warm und schwer lag er in ihrer Hand.

Vorsichtig legte Ino es auf den Tisch vor ihr, inmitten zwischen die Blumen und die Kerzen. Dann trat sie einen Schritt zurück und verbeugte sich.
 

Yamanaka. Das Gedächtnis Konohas.
 

Dann nahm sie auch den zweiten Anhänger. Die Kanten des silbernen Hirschgeweihs bohrten sich in ihre Handfläche. Und wieder war es, als stünde Shikamaru neben ihr und als wäre es seine Hand, die ihre nun vorsichtig ergriff und das Relikt neben das ihre auf dem Schrein platzierte. Ino lächelte, wiederholte die rituelle Verbeugung und trat zur Seite, um Neji Hyuuga Platz zu machen.
 

Nara. Die Beschützer aus den Schatten.
 

Hinata Hyuuga folgte den Bewegungen ihres Ehemannes mit den Augen, als er aus dem Halbkreis vortrat. Der zeremonielle Mantel bauschte sich in der Brise. Wie auch Ino vor ihm, nahm er eine Kette von seinem Hals. Anders als die des Nara- und des Yamanaka-Clanes war die Kette der Hyuuga aus einer einzigen, feingliedrigen, Silberkette gefertigt. Manchmal überlegte Hinata, ob ihre Vorfahren das Lederband durch eine Silberkette ersetzt hatten, um sich von den anderen Clanen Konohas abzusondern - oder ob diese eine Silberkette durch ein Lederband ersetzt hatten, um zu zeigen, wie sehr sie sich vom Hyuuga-Clan unterschieden.
 

Hyuuga. Bewahrer der Tradition.
 

Neji hob nach der Verbeugung seinen Blick und ihre Augen trafen sich. Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen und für einen Augenblick blieb die Zeit stehen, für einen Augenblick gab es nur sie beide und ihr gemeinsames Versprechen, sich immer zu lieben, ihren gemeinsamen Wunsch, eine Familie zu führen und ihre Kinder zu beschützen - ihr Versprechen, zusammenzubleiben. Dann gesellte sich Neji zu Ino und das nächste Oberhaupt trat vor.
 

Inuzuka. Späher und Jäger.
 

Kiba Inuzuka trat vor, von einem bis zum anderen Ohr grinsend. In seinem Gefolge tappste sein riesiger Hund Akamaru, der ebenfalls zu grinsen schien. Der silberne Anhänger in Form eines Pfotenabdrucks glitt zwischen die Blüten und blitzte in einem letzten Strahl der Sonne auf, bevor er zum Liegen kam. Bei Kibas Verbeugung, stürmisch und tief, stiess Akamaru ein heiseres Bellen aus. Yuzuriha, mit ihrem aschblonden, langen Haaren und ihren dunklen Augen, kicherte beim Anblick ihres Ehemannes, der statt dem üblichen Ledermantel den weißen, ehrfurchtgebietenden Mantel des Oberhauptes trug. Dieser verlieh ihm einen Ausdruck an Gesetztheit, Erhabenheit und Würde - Eigenschaften, die im krassen Gegensatz zu dem stacheligen, braunen Haar und den blutroten Fangzähnen auf seinen Wangen standen. Grinsend erwiderte ihr Mann ihren Blick, ehe er zu den wartenden Oberhäuptern zurückkehrte und versuchte, so erhaben wie nur irgends möglich auszusehen. Choji Akimichi nahm seinen Platz ein.
 

Akimichi. Herren über die weiten Felder, die die Bewohner Konohas mit Nahrung versorgten.
 

Auf halbem Wege zum Schrein blieb der stämmige Mann stehen und drehte sich zu Ino um, der er kurz zunickte. Beide dachten an Menschen, die heute nicht mehr da waren... Und an Menschen, die heute einfach nicht da waren. Beinahe gleichzeitig flogen ihre Blicke über die Menge und hefteten sich auf eine kleine, schlanke Frau mit langen, schwarzen Haaren. Als sie den Blick der ehemaligen Schüler des Mannes bemerkte, den sie geliebt hatte, zogen sich ihre Mundwinkel ein wenig nach oben. Als sich auf Kurenai-Sans Gesicht ein zaghaftes Lächeln auszubreiten begann, atmeten sowohl Ino als auch Choji auf. Dann drehte Choji sich um und setzte den Weg zum Schrein fort.
 

Akimichi. Herren der Felder.

Aburame. Wächter der Luft.

Uchiha. Bewahrer des Friedens...
 

Beim letzten Namen trat niemand vor.
 

Minutenlang dauerte die Stille auf der Plattform an, während der Wind über die Menschen hinwegfegte. Und als der Hokage der Sechsten Generation erneut vortrag, lagen alle Augen nur auf ihm. Lächelnd liess er seinen Blick über die Versammelten schweifen, und jeder Einzelne hatte das Gefühl, direkt angesehen zu werden. Jeder Einzelne wusste: er gehörte dazu.

"Das sind wir", sagte der Hokage leise, aber seine Stimme war klar und verständlich.

"Das ist Konoha-Gakure."

Und alle Menschen um ihn herum brachen in Jubel aus.
 

*
 

Naruto trat lachend zurück und drehte den Kopf, um Neji Hyuuga zuzunicken, der zu seiner Rechten stand. Ausdruckslos - aber nicht ausdruckslos genug, um das Lächeln vor seinem Vorgesetzten verbergen zu können - nickte der zurück und trat erneut einige Schritte in den Kreis. Das Jubeln der Menge wurde, wenn möglich, noch lauter... In dem langen, weißen Mantel und mit seinen im Wind flatternden, langen schwarzen Haaren war Neji Hyuuga eine imposante Erscheinung. Langsam hob er die Arme – und rechts und links von ihm entstanden zwei Spaliere. Tuschelnd machten die Menschen Platz und reckten die Hälse, wohl wissend, was jetzt kam, und eifrig darauf bedacht, alles genau im Auge zu behalten.
 

Zu ihrer Rechten schwebte Henara Hyuuga durch das Spalier, gehüllt in ein - unförmiges, sackähnliches - Etwas.

Die Farbe ihrer Bedeckung war nicht ansatzweise zu benennen: eine eher dreckige Mischung aus weiß, beige, braun, gelb und grau. Ihr Gesicht lag im Dunkeln, in den Schatten unter dem kaputzenähnlichen Stoff über ihrem Kopf - selbst ihre Haare waren verdeckt. Hätte man nicht gewusst, um wen es sich - nach Ausschlussverfahren: Tellia, Yukatsuki und die Zwillinge, die Brautjungfern, waren da - handeln musste - sie hätte jeder Mensch sein können. Doch ihr weicher, schwebender Gang war unverkennbar der einer Hyuuga.
 

Shikaru Nara kannte die Hochzeitstradition des Hyuuga-Clans und war deshalb nicht weiter überrascht, dass er keine Braut weit und breit erkennen konnte - zumindest keine Braut in passendem Brautkleid. Die Braut war jedoch auch nicht die Person, die seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Sein Blick lag eher auf der letzten, kleinsten Gestalt, die den drei anderen Brautjungfern folgte. Wer hatte beschlossen, sie in ein fast cremeweißes Kleid zu stecken? Sie bemerkte nicht, dass er sie beobachtete. Ihr Blick war überall zugleich: wachsam, aber heiter. Überall - bis auf bei ihm.
 

*
 

Yuka spürte seinen Blick mehr, als sie ihn sah. Lächelnd schaute sie in eine andere Richtung.
 

*
 

Ihr Vater erwartete sie mit stolz gestrafften Schultern. Neben ihm wirkte ihre Mutter winzig - sie war etwas mehr als einen Kopf kleiner als er. Liebevoll lächelte sie ihrer Tochter zu, trat einen Schritt nach vorne und umarmte sie. Dann löste sie sich von ihr und trat einen Schritt zurück, und Henara stand allein vor ihrem Vater.

Eine Erinnerung durchfuhr sie: Henara als kleines Mädchen, sieben Jahre alt, und ihr Vater, ebenso vor ihr stehend wie heute. Damals hatte er ihr erklärt, dass er sie immer lieben würde, ganz gleich, ob sie gut oder schlecht kämpfen konnte, ob sie kurzes oder langes Haar hatte und ob sie Erbin des Clans war oder nicht... An seine Worte erinnerte sie sich nicht genau, aber an seine Miene, als er ihr eine Last von den Schultern nahm, von der sie nicht gewusst hatte, dass sie sie trug.

Neji richtete sich auf und sah über ihren Kopf hinweg in die Menge.

"Ein Kind unseres Clans verlässt die Geborgenheit seiner Familie."

Wie alt diese Worte doch waren.

Henara sah an ihren Eltern vorbei und sah vor ihrem inneren Auge das Bild ihres Adoptivbruders - das Bild des Mannes, den sie liebte und dem sie heute folgen würde, wohin immer er sie bringen würde. Erstaunt von der Intensität des Gefühls sah sie zu Boden. Wann hatte sich die Geschwisterliebe in Liebe gewandelt? Sie konnte es nicht sagen.

"Als Kind meines Clans verlasse ich meine Familie."

Ihre Stimme zitterte leicht.

"Ich folge dem Weg, den ich erwählt habe. Ich weiß, dass meine Entscheidung die Richtige war. Ich erbitte den Segen meines Clans, den Segen meiner Vorväter und den Segen meines Vaters."

Die weißen Augen ihres Vaters schienen sich in ihre Seele zu bohren. Dennoch sprach er die Menschen um ihn herum an, ohne seine Tochter aus den Augen zu lassen.

"Sie erbittet unseren Segen", sagte er.

Alle Menschen fielen in den abschließenden Segenschor ein.

"Der Segen deiner Eltern, deiner Familie, deiner Freunde und all derer, die dich lieben und achten, sei mit dir, Kind des Clans. Wie Schmetterlinge ihre Flügel ausbreiten, so mögest auch du deine Flügel ausbreiten, um zu fliegen und zu leben - der Zukunft entgegen."

Henara umarmte ihren Vater. Völlig außerplanmäßig. Erschrocken riss das kampferprobte, kluge und erfahrene Oberhaupt seine Arme hoch, als wüsste er nicht, was er mit ihnen machen sollte - und dann legte er sie um die Schultern seiner Tochter und drückte sie fest an sich. Ein Seufzen ging durch die Menge.

Als sie sich schliesslich wieder voneinander lösten, behielt Neji Hyuuga eine Hand auf der Schulter seiner Tochter und wandte sich erneut an das Publikum.

"Wir rufen Denjenigen, den meine Tochter erwählt hat."
 

Durch das linke Spalier trat Shishiro Uchiha.

Sein schwarzes Haar was ungebändigt wie eh und je und seine grünen Augen blitzten eher reserviert als verliebt. Aber er trug das zeremonielle Gewand der Uchiha mit einer solchen Würde, dass kein Zweifel an der Richtigkeit seines Handelns zu erkennen war. Sein Blick lief über die Anwesenden und blieb auf Henara liegen.

Und etwas geschah, das Yuka in Laufe der Jahre noch kein einziges Mal bei der beherrschten und stolzen Henara gesehen hatte: Henaras Gesicht verfärbte sich blutrot. Das gebräunte Gesicht der Tochter der Hyuuga blühte auf wie eine Blüte in der Frühlingssonne und unwillkürlich streckte sie Shi eine Hand entgegen. Ohne zu zögern, nahm der ihre Hand und - lächelte sie an.
 

*
 

Neji betrachtete seinen Adoptivsohn mit einer merkwürdigen Faszination.

War das noch der Säugling, den seine Frau aufgenommen hatte? Den sie gemeinsam geliebt und erzogen hatten? Der kühle Junge, der den Raum verliess, wenn Henaras Freundinnen quietschend vor Begeisterung mit ihm sprechen wollten? Shi unterbrach seine Gedanken.

"Ich bin gekommen, um dieses Kind des Clans mit mir zu nehmen."

Neji fragte mit hochgezogenen Brauen: „Bist du nicht selbst ein Kind des Clans?"

Leicht amüsiert verfolgte er mit, wie auch Shishiros Augenbrauen seinen Haaransatz erreichten. Diese Frage stand nicht im Protokoll, und das wusste er, und das wusste auch Shi. Wie würde sein Sohn reagieren? Da senkten sich dessen Augen.

"In meinem Herzen werde ich es immer sein, Vater. Doch durch mein Blut bin ich an einen anderen Clan gebunden."

Neji merkte selbst kaum, wie sich das Gewicht, welches er mit sich herumtrug, seit Shi und Henara ihre Absichten kundgegeben hatten, zu heiraten, endlich löste. Tief atmete er aus und sah Shishiro an. Ein Mann stand vor ihm, jung an Jahren, aber weise und erfahren genug, um an dem festzuhalten, was er wünschte... Und genauso bereit, loszulassen, wenn es sein musste. Neji musste sich keine Sorgen darum machen, dass die gemeinsam verbachte Kindheit seiner Tochter und dieses Mannes ein Hindernis darstellen würde. Er musste sich überhaupt keine Sorgen machen.

Du hast den Test bestanden, mein Sohn.

"So sei es. Shishiro Uchiha, ich übergebe dir, im Namen der Hyuuga, Henara, Kind unseres Clans, welches du dir zur Frau und welche dich zum Mann gewählt hat. Zusammen sollt ihr in Zukunft leben, zusammen eure Entscheidungen fällen und euch gemeinsam Allem stellen, was kommen mag. Ihr habt unseren Segen..."

Und dann legte er, entgegen den Protokoll, eine Hand auf Henaras und eine Hand auf Shis Arm.

"Ihr seid die Zukunft, ihr gemeinsam", sagte er leise. "Macht etwas daraus."

Dann trat er zurück und überliess Shishiro und Henara die Bühne.
 

Unter dem aufbrandenden Jubel der Zuschauer drehte sich Shishiro Uchiha zu seiner Frau um. Auf seinen Lippen lag ein winziges Lächeln. Vorsichtig nahm er den schweren Stoff, der Henara einhüllte, in die Hand – und als der graue Stoff von ihr abfiel kam darunter eine wunderschöne Henara in ihrem hellen Kleid zum Vorschein, mit Blumen im Haar und glänzenden Augen, die aufjuchzte und ihm um den Hals fiel. Die Sonne blitzte zum letzten Mal auf, bevor sie endgültig hinter dem Horizont verschwand, und in einem einzigen Aufflackern entzündete sich ein Feuerwerk an Feuer und Farben.
 

*
 

In dem Gebrüll, Geklatsche und Gejohle, das nun aufkam, fragte sich Naruto Uzumaki vergeblich, ob er nun eigentlich das Oberhaupt des mächtigsten Ninja-Dorfes der fünf Kontinente oder nur ein drittklassiger Karnevalsprinz war. Da Sprechen unmöglich war, vertraute auf das Wissen, das Shinobi gewisse Dinge bereits in der Grundschule lernten, und bewegte lediglich die Lippen:

"Möge das Fest beginnen!"
 

*
 

Erster Tag des Herbstes, später Abend
 

Leise wandte sich der hochgewachsene, blonde Mann vom Fenster ab und liess sich in einen Sessel sinken.

"Na denn", murmelte er leise und nahm einen Schluck aus einem bereitstehenden Glas. Ein leises Lachen ertönte.

"Du wirst alt, Papa. Du redest mit dir selbst."

Geräuschlos glitt Yukatsuki zur Tür herein. Sie hatte ihr elegantes Kleid gegen eine weiße Bluse eingetauscht, über der sie ein grünes Top trug, und einen schlichten Rock angezogen.

"Wieso nicht? Solange du da bist, um meinen Platz einzunehmen..."

"Mach keine Witze", sagte sie und liess sich in den zweiten Sessel sinken. Naruto ersparte sich die Antwort, dass er es durchaus ernst gemeint hatte. Für eine Weile schwieg er und gab so ungewollt dem rothaarigen Mädchen einige Sekunden, um ihn genau zu beobachten. Was Yuka sah, gefiel ihr weniger: Obwohl er noch immer genauso aussah wie früher, schien Erschöpfung aus seinen Augen zu sprechen. Und aus seinen Bewegungen...

"Papa - hast du keinen Hunger?", fragte sie, um sich selbst und auch ihn abzulenken. Naruto sah erschrocken auf.

"Natürlich - was bin ich für ein Idiot! Erst lade ich dich zum Essen ein und mache dann keine Anstalten, dir etwas anzubieten... Lass uns uns unter das Volk mischen und uns etwas Essbares besorgen!"

Mit einem liebevollen Stubs bedeutete Naruto seiner Tochter lächelnd, voranzugehen.
 

*
 

Sie war, dachte Ino spöttisch, wahrscheinlich die einzige Person in ganz Konoha, die gerade nicht am Feiern war.

Von ihrem Aussichtspunkt auf der großen Mauer hatte sie einen perfekten Ausblick auf die "Festmeile" des Dorfes - auf die lange Straße, welche vom Haupthaus zum Tor führte. Auch in einigen Nebenstraßen war viel los: Lichter, Stimmen und Musik vermischten sich zu einer Geräuschkulisse, an die sie sich schnell gewöhnt hatte. Die Lichter erhellten ihre Umgebung ausreichend, für ihren Geschmack sogar viel zu viel... Im sanften Abendwind schloss sie die Augen und ignorierte das Lachen der Shinobi aus dem Wachturm.
 

... Und sie schrak hoch.

Es war still in Konoha, vielleicht Vier Uhr Morgens.

Etwas war falsch.

Vorsichtig erhob sie sich aus ihrer kauernden Stellung und erschrak, weil ihre Muskeln zunächst gegen die grobe Behandlung protestierten. Sie biss die Zähne zusammen und sah sich um. Konoha lag - nun endlich schlafend - unter ihr, die Lichter erloschen, die Musik verstummt. Lediglich die ewig brennenden Lampen innen und außen am Stadttor spendeten ihr Licht... Und ein schmaler Schein aus einem Fenster des großen Haupthauses. Ino verspürte Erleichterung. Im Ernstfall war Naruto also dort.
 

Ein metallischer Duft lag in der Luft, unangenehm und bekannt. Ino hob die Nase und sog die frische Nachtluft vorsichtig ein - und spürte, wie sich ihr Herz schmerzhaft zusammenzog.

Blut.

Unverkennbar Blut. Sie kannte den Geruch. Am gesamten Körper angespannt, ging sie leise auf der Mauer entlang, die Augen konzentriert auf die nur langsam weichende Dunkelheit außerhalb Konohas gerichtet. Als sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, welche hinter dem Schein der Lampen herrschte, sprang ihr mit aller Klarheit ein Bild aus ihrem Gedächtnis entgegen, welches sie verdrängt hatte.

Wie sie auf der Mauer gestanden hatte, vor 18 Jahren, und auf einen übel zugerichteten Shinobi hinunterstarrte... Und dann feststellte, dass sie ihn kannte. Die blonden Haare, die zerzaust abstanden, verklebt mit Dreck und Blut... Die grüne Weste und die Art, wie sein Stirnband seine Haare halbwegs zu bändigen versuchte... Naruto, so schwer verletzt, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte, ein Bündel im Arm.

Und dann, ebenfalls ohne Vorwarnung, klärte sich das Bild vor ihr auf und Ino erkannte, dass es keinesfalls Naruto war, sondern ein junger Mann, kaum mehr ein Kind. Wie tot lag er auf dem Weg zum Tor. Eine Hand war hilfesuchend ausgestreckt. neben ihm lag eine blutverschmierte Schriftrolle. Ino sah, wie der Junge ein letztes Mal seinen Kopf hob.
 

Seine flehenden Augen bohrten sich in die ihren und seine gesprungenen Lippen bewegten sich, aber kein Wort war zu hören. Nur der Wind rauschte plötzlich laut und bedrohlich in ihren Ohren - oder war es ihr eigenes Blut? Und ehe sie reagieren konnte, sank sein Kopf nach vorne und schlug hart auf dem Boden auf.

*

*

*

Ende des Kapitels

*

*

Die Pflicht, die innerlich zerreißt

Konoha-Gakure, Zweiter Tag des Erntefestes, Zwei Stunden nach Mitternacht
 

"Es ist spät", sagte Naruto zu seiner Adoptivtochter. "Bist du gar nicht müde?"
 

Yukatsuki lächelte und setzte sich in der Sofaecke, in der sie saß, wieder zurecht.

"Nein. Ich könnte ewig hierbleiben."
 

Der blonde Mann beobachtete, wie sie sich wieder in ihr Buch vertiefte. Dann stand er lautlos auf, um einen Tee zu kochen.
 

~*~
 

Shikaru Nara konnte nicht schlafen, also wachte er.

Irgendwann, spät Abends, war er nach Hause zurückgekehrt und lauschte, auf dem Bett liegend, noch der Musik, die durch sein Fenster hineindrang. Doch irgendwann verstummten auch die letzten Klänge und langsam erloschen die Lampions und Laternen. Irgendwann fiel auch er in einen leichten Schlaf...

Und abrupt schrak er hoch und wusste nicht, warum.

Von einer inneren Unruhe getrieben, verliess er das Haus, wanderte durch die dunklen und stillen Straßen des Dorfes. Jetzt, wo sich wieder Dunkelheit und Stille um ihn schlossen, hatte er das Gefühl, wieder atmen zu können.

Im kleinen Wachhaus neben dem Tor brannte eine einzelne Laterne, die die Schatten von zwei Wächtern an die Wand warf. Seufzend stellte Shikaru den Sakevorrat ausserhalb der Reichweite der kleinen Laternenflamme und pustete diese aus. Gerade wollte er as Wächterhaus wieder verlassen, als ein leises Geräusch an seine Ohren drang.
 

Schnell kletterte er die Stufen zur Mauerkrone hinauf und versuchte, in das halbe Zwielicht am Boden vor der Mauer hinunterzublicken. Er konnte jedoch nur die Umrisse einer dunklen Gestalt erkennen und wünschte sich, er hätte die Laterne mit hinaufgenommen...
 

"Wer ist da?", fragte er scharf und angespannt.

Und herauf klang eine Stimme, die er von überall her erkannt hätte, die ihm seit seiner Geburt bekannt war.
 

"Ich bin es, Shikaru. Machst du mir bitte auf?"
 

"Mum?", fragte er ungläubig. "Was machst du da? Ist etwas passiert?"

"Mach mir nur auf, ja?"
 

In ihrer Stimme klangen verschiedene Untertöne mit, die er nun registrierte: Wut, Niederlage, Schuld... Und Sorge. Nun ebenfalls sehr besorgt, sprang Shikaru geschickt von der Mauer und öffnete die kleine Tür, welche geschickt in das große Tor integriert worden war. Ihm entgegen blickte seine Mutter, ihr schönes Gesicht müde, ihr goldenes Haar zerzaust. Ihr zarter Körper trug die Last eines Menschen - eines Toten. Ihr schönes, violettes Festkleid war nass - dunkle Flecken prangten darauf. Aber der Geruch passte nicht zu Wasser... Shikaru sog erschrocken die Luft ein.

Das war kein Wasser, es war Blut.
 

"Mum!"
 

~*~
 

Irgendwann wäre Yuka - trotz des duftenden, süßen Tees, trotz der Gesellschaft ihres geliebten Vaters und trotz der interessanten Lektüre wahrscheinlich doch eingeschlafen. Ab und zu begannen die Buchstaben vor ihren Augen zu verschwimmen und sie ertappte sich einmal dabei, dass sie einen halben Absatz gelesen hatte, ohne ihn wirklich aufzunehmen. Aber Einschlafen hätte bedeutet, den Tag mit ihrem Vater endgültig für beendet zu erklären.

Doch dann durchdrang eine leise, harte Stimme ihre friedliche Stille, und sowohl Yuka als auch der Hokage blickten erstaunt auf.

"Was soll ich denn im Krankenhaus? Mir geht es gut. Und ich muss es doch am Besten wissen!"

"Aber, Mum..."

"Kein Aber!"
 

Kurz herrschte Stille.
 

Dann klopfte es energisch, aber leise, an der Tür, und Ino Yamanaka war hereingeglitten, ohne überhaupt eine Antwort abzuwarten. Respektvoll blieb sie an der Tür stehen.

"Entschuldigt mich bitte, ehrwürdiger Hokage..."

Bei ihrem Anblick sprangen sowohl Yuka als auch ihr Vater erschrocken auf.

"Ino!", rief der Hokage entsetzt und nahm mit einem Blick ihr Bild in sich auf:

Blass wie Porzellan, mit harten, wütenden Augen, die den darunterliegenden Schmerz gut versteckten, den er jedoch dennoch bemerkte, mit ungekämmen, zerzausten und verklebten Haaren, in ihrem violetten Festkleid - und über und über mit Blut bedeckt.

"Mir geht es gut", sagte sie verlegen und zog die Schultern in einer Geste der Verteidigung hoch. "Das ist nicht mein Blut."
 

"Ino", sagte der Hokage leise und Yuka gab ihm neun von zehn Punkten auf der Skala: er hatte fast erfolgreich geschafft, jede Anspannung, jede Sorge um die Frau vor ihm und Angst vor dem Unbekannten, was - so weit er wusste - seine Heimat bedrängte - aus seiner Stimme zu verbannen. "Was ist passiert? Wer ist verletzt? Wie schlimm ist es?"
 

"Schlimm", sagte Ino mit der für sie typischen schonungslosen Offenheit. "Er ist tot."

"Wer?"

An der Art, wie er sich durch die Haare strich, konnte Yukatsuki erkennen, dass ihr Vater am liebsten jedes einzelne Wort aus der Ärztin herausgeschüttelt hätte. Sie liess prüfend ihren Blick zu der blonden Frau gleiten und stellte mit einem Stich der Besorgnis fest, dass diese blasser war, als gut für sie sein würde. Leise machte sie einen Schritt auf ihren Vater zu und suchte seinen Blick.

"Natürlich", sagte er sofort. "Ino - setz dich erstmal, ja?"

Wenn sie erleichtert war - Yuka war sich fast sicher, dass sie einen Funken Erleichterung in ihren Augen gesehen hatte - liess sie es sich nicht anderweitig anmerken.

"Erwartest du eine Nachricht?", fragte sie stattdessen und zog eine blutdurchtränkte Schriftrolle aus ihrem Kleid. Shikaru runzelte die Stirn, als sie das Oberhaupt und ihren Vorgesetzten dutzte, aber dem schien es nicht weiter aufzufallen. Stirnrunzelnd nahm er die Rolle.

"Was ist denn nun geschehen?"
 

Ino fixierte einen Punkt irgendwo hinter ihm und begann ausdruckslos, aber perfekt, einen Bericht abzugeben. Die Besorgnis im Blick des Hokage vertiefte sich, als sie zum Ende kam.
 

"Du hast niemanden sonst gesehen?"

"Das sagte ich bereits."

"Wie alt war diese Wunde?"

"Einige Stunden alt. Er muss noch einige Meilen weiter gelaufen sein - es war nicht genug Blut um ihn herum, als dass er es alles vor unserem Tor verloren haben könnte."

"Wer auch immer ihn angegriffen hat - er muss demnach nicht unbedingt in nächster Nähe zu uns sein."

"Oder die Angreifer sind es, wollen uns aber weißmachen, sie seien es nicht", warf Shikaru ein. Yuka, die ebenfalls so etwas hatte sagen wollen, klappte geräuschlos den Mund wieder zu.

"Nun", sagte er Sechste Hokage nachdenklich, "Wenn der Bote tot ist, werden wir von ihm nichts mehr erfahren."

Vorsichtig rollte er die Schriftrolle, steif von Blut, auf.

"Mal sehen, was das hier uns erzählt."
 

~*~
 

“Eine Seuche”, sagte Naruto schliesslich müde und lehnte sich in seinen Sessel zurück. “In diesem Dorf geht eine Seuche um, nach dem, was ich aus der Nachricht erkennen kann. Und sie fragen ausgerechnet uns um Hilfe.”

“Und das ausgerechnet jetzt”, sagte Yuka und sprang unruhig auf. “Wo ist die Leiche?”

“Im Krankenhaus – in der Leichenhalle”, sagte Shikaru und erwiderte ihren Blick, bis sie die Lippen zusammenkniff und sich zu ihrem Vater herumdrehte.

“Quarantäne. Sofort. Für die Leiche – und für uns.”

“Das ist nicht nötig”, sagte Ino leise. “Der Junge war nicht krank – was ihn umgebracht hat, war die Verletzung und keine Krankheit. Ich habe es nachgeprüft.”

Alle sahen sie an.

“Also stellt er keine Gefahr da?”, hakte der Hokage nach. Die Ärztin zögerte.

“Das würde ich nicht sagen”, sagte sie. “Er muss in jedem Fall untersucht werden. Aber wir... Es ist unwahrscheinlich, dass ich mich infiziert habe.” Warum wohl. Bei der Menge Antibiotika, die Hinata in sie investiert hatte.

“Wir müssen ihnen helfen”, sagte Shikaru sachlich. Ein merkwürdiges Gefühl schoss in ihr hoch: wollte er ihren Vater – den Hokage – kritisieren?

“So einfach ist das nicht!”, blitzte sie ihn an. “Wo willst du denn die Leute hernehmen? Ein Arzt muss dahin und ein paar Leute, die ihm assistieren, ein Wissenschaftler und ein paar Seuchenexperten, um herauszufinden, was für eine Krankheit es ist und wie sie sich ausbreitet, ein paar Shinobi, die auf sie aufpassen...” Sie machte eine weit ausholende Geste zum Fenster. “Unsere Leute aber sind alle da draußen! Und – nun ja...”

“Anderweitig beschäftigt”, konterte Shikaru trocken und wunderte sich ein wenig über ihre Heftigkeit.

“Aber ich bin hier.”

“Soll das eine freiwillige Meldung sein? Spinnst du? Meinst du, das reicht?”

“Yuka...”

Beruhigend legte Naruto ihr eine Hand auf die Schulter. Sie fuhr auf und blickte ihn um Bestätigung heischend an.

“Du hast ja Recht – so wie er.”

“Und?”, fragte sie, spöttischer als beabsichtigt. “Was will er machen? Ganz allein hinreisen? Die Kranken versorgen, die Angehörigen befragen, die Umwelt untersuchen – das Standard-Antiseuchenprogramm alleine durchführen?”

Ruhig begegnete der junge Mann ihrem Blick.

“Ein bisschen Hilfe könnte ich doch schon gebrauchen.”

“Oh, um Himmels Willen!”, rief der Hokage gereizt aus und umrundete seinen Schreibtisch, um sich in den Stuhl fallen zu lassen. “Hört schon auf – ich muss mich konzentrieren!”
 

Gehorsam hielten Yuka und Shikaru den Mund.

Ino gedachte sich nicht einzumischen.
 

“Den Hilferuf können wir nicht ignorieren”, sagte der Hokage schliesslich leise und stapelte einen Stoß Akten von einer Seite des Tisches auf die Andere.

“Das tun wir immer, Papa”, sagte Yuka. “Wir helfen immer, wo wir können. Wir schicken Leute hin, wo immer sie gebraucht werden. Denkst du nicht, dass man mittlerweile langsam denkt, dass man Konoha-Gakure herumkommandieren kann? Irgendwann wird man anfangen, uns Verrat vorzuwerfen, wenn wir nicht gerannt kommen, um Brände zu löschen. Irgendwann wird man uns zur Last legen, dass wir immer helfen!”

Der Hokage schüttelte den Kopf. “Das wird nicht geschehen, Yuka.“

“Du bist zu nett!”, antwortete sie. “Du kannst einfach nie Hilfe verweigern.”

“Wir werden zuerst Kundschafter hinschicken, in Ordnung? Wir können in den nächsten zwei Tagen nicht genug Experten zusammenziehen, aber Beobachter können schnell dort sein...”

“Shikamaru ist unterwegs. Kiba, Shino und Tenten brechen Übermorgen früh auf, Lee ist hier eingespannt, Hana gerade auf dem Rückweg von Kumo, Yamato hat die Beobachtungsmission in der Hauptstadt... Neji...”

Ino schüttelte stumm den Kopf, und Naruto blinkte, weniger überrascht als amüsiert.

“Was – suchst du jetzt für mich aus, wer gehen wird?”

“Du hast doch schon entschieden, wer geht.” Sie begegnete seinem Blick ruhig.

Naruto seufzte leise und gab ihr Recht. Er hatte schon entschieden. Wer hatte je gesagt, dass das Dasein eines Hokage immer angenehm und leicht war? Besonders an Tagen wie Diesen fragte er sich immer wieder, wie seine Vorgänger mit dem Wissen gelebt hatten, dass sie jeden Tag Entscheidungen trafen, die das Leben einzelner Menschen aufs Spiel setzten. Doch als er die Augen wieder öffnete und die drei Menschen vor ihm ansah, blitzten sie hart. In seiner Stimme klang die gesamte Autorität mit, die er als Oberhaupt des Shinobidorfes trug.

Diese Autorität liess Yuka vergessen, dass der Mann vor ihr der Selbe war, der sie als kleines Mädchen lachend und schreiend durch die Straßen des Dorfes gejagt hatte, während ihm die Ältesten mißbilligend nachsahen. Sie liess Ino vergessen, dass er früher immer diesen gräßlichen, orangenen Kampfanzug getragen hatte und es immer geschafft hatte, in jedes verfügbare Fettnäpfchen zu treten. Und sie liess Shikaru davon absehen, sich Gedanken darüber zu machen, ob die Strategie, die der Hokage gerade geplant haben musste, genauso gut war die die, welche er schon seit einigen Minuten fertig in seinem Kopf herumtrug.
 

Die Autorität, mit der er sprach, liess keinen Zweifel daran, dass er wie kein Zweiter für den Titel des Hokage geeignet war.
 

“Ihr drei werdet als Beobachter nach Xefua reisen. Ihr werdet die Lage in dem Dorf mit eigenen Augen ansehen und beurteilen, Erste Hilfe leisten und Informationen sammeln und nach 48h Augenthalt im Dorf dieses wieder verlassen. Eure Hauptpriorität ist es, mir und dem Rat Bericht zu erstatten. Ihr werdet keine Risiken eingehen und keine Zeit verschwenden. Ist das verstanden?”

Die drei Shinobi nickten stumm.

“Bei eurer Rückkehr werden wir beraten und festlegen, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden müssen.”

Er nahm Ino scharf ins Visier, doch dann milderte sich sein Ausdruck. Und Ino spürte das vertraute Gefühl der Wut in sich aufsteigen, welches immer dann in ihr hochkroch, wenn sie bevorzugt behandelt wurde. Aber dann erinnerte sie sich daran, dass sie mit Naruto aufgewachsen war – und dass er es nur gut meinte.

“Ich weiß”, fiel sie ihm ins Wort. “Ich bin vorsichtig.”

Shikaru und Yuka schauten überrascht von der Ärztin zum Hokage und zurück. Der Blick des Oberhauptes wurde noch sanfter.

“Das wollte ich nicht sagen, Ino”, gab er leise zurück. “Ich wollte nur sagen... Mach dir keine Gedanken wegen des Jungen. Du hast dein Bestes getan.”

Blind starrte sie zu Boden und verfluchte seine Gabe, immer Genauestens zu wissen, was in den Menschen vorging. Hasste sie mit der selben Intensität, wie sie ihm dafür dankbar war. Verfluchter, verfluchter, lieber Naruto.
 

“Die strategische Planung über Informationssammlung und alles Weitere übernimmst du”, wandte er sich schliesslich wieder an Shikaru. Sein Tonfall war wieder völlig nüchtern. Ein Blick streifte Yuka – und diese verdrehte die Augen leicht. Das sollte wohl ihre Zustimmung sein, dachte er, leicht amüsiert.

“Ino behält die Oberaufsicht über die medizinischen Dinge”, fuhr er fort. “Und du, Yukatsuki – du bist ihr Schild.”

Bei seinen letzten Worten erschauerte Ino.

Als Mutter konnte sie sich nur zu gut vorstellen, welche Gefühle Naruto bei diesen Worten gemartet haben mussten: Er hatte gerade seine eigene Tochter als Leibwächterin für sie und Shikaru mit auf die Reise geschickt. Schon oft hatte man in der Vergangenheit die bittere Erfahrung machen müssen, dass Shinobi, die sich unter Zeitdruck voll und Ganz auf eine Aufgabe konzentrierten, nicht auch noch ihre Aufmerksamkeit auf ihre Umgebung richten konnten. “Denkst du auch, dass es sich um eine Falle handelt?”
 

Erstaunt sah er auf. Konnte man ihm seine Gedanken so deutlich ansehen?
 

“Solltet ihr nach Ablauf der Frist – die Hin- und Rückreise einberechnet – nicht zurück sein, schicke ich sofort Anbu los. Bis dahin müsst ihr durchhalten.”
 

Und wenn Yuka, Ino und Shikaru der Ernst der Lage nicht schon lange klar gewesen war – spätestens jetzt hätten sie ihn begriffen.
 

Konoha-Gakure, Zweiter Tag des Erntefestes, 3h nach Ankunft der Botschaft
 

Als Yuka den Labortrakt mit der Leichenhalle des Krankenhauses von Konoha betrat, wusste sie schon längst, dass sie nicht die einzige Person in den dunklen Hallen war. Durch das kleine, quadratische Fenster in der Stahltür leuchtete Licht heraus und verscheuchte einen winzigen Abschnitt der Dunkelheit auf dem langen Flur. Shikarus Mutter drehte sich um, als die Tür sich fast lautlos schloss, und sah ihr entgegen.

Wie angewurzelt blieb Yuka stehen.

Das blonde, struppige Haar, die blauen Augen, die nun starr und leblos an die Decke starrten...

Mit Gewalt drängte sie die Bilder zur Seite, die auf sie eingestürmt kamen.

“Ino-San”, sagte sie leise, um ihr Erschrecken zu verbergen. “Sie sollten sich noch etwas ausruhen.”

Wie ertappt liess die Ärztin die Hand sinken, die an ihrer Schläfe gelegen hatte.

“Ja, das sollte ich wohl tun”, sagte sie zerstreut und wandte sich zur Tür. “Wir sehen uns dann am Treffpunkt. Gute Nacht, Yukatsuki. Oder besser – guten Morgen.”
 

Leise fiel die Tür ins Schloss und die Stille umgab Yuka plötzlich drohend. Ohne nachzudenken, wirbelte sie herum und stürmte aus dem Krankenhaus. Niemand begegnete ihr auf der dunklen Straße.
 

In ihrer eigenen Wohnung angekommen, rollte sie sich auf ihrem Bett zusammen, ohne sich die Mühe zu machen, ihr Festkleid abzulegen oder ihre Schuhe auszuziehen, und presste die Augen fest zusammen. Dunkelheit und Stille schlugen über ihr zusammen. Sie liessen sich ebensowenig vertreiben wie die Geister.

*

*

*

Ende des Kapitels

*

*

~Author´s Note~
 

Die Gedanken, die Yuka hegt, kommen nicht von ungefähr.

Mit Sicherheit hat jeder schon einmal davon gehört, dass in den letzten Jahren vermehrt Deutsche in östlichen Ländern entführt und als Geisel festgehalten wurden. Viele der Opfer wurden nach langen, schwierigen Verhandlungen von der deutschen Bundesregierung befreit, in dem der Krisenstab sich dazu bereit erklärte, hohe Summen an die Entführer zu zahlen.

Diese “gewaltlose” und für die Geiseln ungefährlichere Methode hat leider zur Folge, dass Deutschland mittlerweile als Land gilt, welches durch Geiselnahmen “erpresst” werden kann. Eine Entführung von deutschen Staatsbürgern hat keine militärischen Züge zur Folge, keine Razzien, keine Vergeltungsschläge – man kann im Gegenteil sogar gut Geld an ihnen verdienen.

Mit Sicherheit hat die Bundesregierung nur das Beste für die Menschen, die Geisel und die Bevölkerung im Sinn. Dennoch werden Stimmen laut, dass man nun endlich einmal zeigen müsste, dass Deutschland kein leichter Goldesel ist.
 

Das ist also Yukas Dilemma: Ist Konoha-Gakure jederzeit bereit, zu helfen, wo Hilfe von Nöten ist, macht es sich dennoch angreifbar. Ist einmal keine Möglichkeit da, Beistand zu leisten, werden natürlich alle negativen Folgen an ihr hängen bleiben. Hier stellt sich dem Hokage und dem Rat von Konoha die Frage: Prinzipien folgen und helfen, wo immer man um Hilfe gebeten wird, ohne Verweigerung? Oder Nein sagen und riskieren, dass man schlecht dasteht – dafür aber selbst keine Schäden davonträgt?

Das Spiel beginnt

Irgendwo, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Aufbruch aus Konoha: 10h30min
 

Es machte Yuka Spaß, mit Shikaru zu streiten.

Aus verschiedensten Gründen... Aber vor allem, weil ihre Auseinandersetzungen sowohl intelligent als auch äußerst zivilisiert waren.

Eigentlich war es nicht einmal wirklich ein Streit.

Man konnte es am ehesten noch als eine Art Wettbewerb bezeichnen, in welchem sie sich gegenseitig Ideen, Theorien, Hypothesen und Tatsachen zuwarfen, eine Weile damit jonglierten, sie ummodellierten und zurückgaben. Auch Shikaru schien es nicht allzu mühsam zu finden, denn wenn er auch lange Zeit Schweigen bewahrte, bevor er sich zu antworten bequemte, so hatte er doch bisher jedes Mal geantwortet. Yuka war erstaunt, dass es ihnen gelang, nach einer Schweigepause nahtlos wieder an ein Gesprächsthema anzuknüpfen, als hätten sie die ganze Zeit darüber gesprochen. Selbst nach Stunden der Reise hielt der Drang, sich mit Shikaru zu unterhalten, weiter an. Oder lag es nur daran, dass sie das Schweigen, in welches sich seine Mutter gehüllt hatte, als zu abgrundtief empfand?
 

Seit ihrem Aufbruch am frühen Nachmittag – ungewöhnlich für Shinobi, die sich normalerweise beim ersten Tageslicht auf den Weg machten, aber durchaus verständlich für Menschen, die vor wenigen Stunden erst erschöpft in einen unruhigen Schlaf gefallen waren – waren sie durch den dichten Wald gereist, welcher Konoha umgab. Urchins Rute peitschte ausgelassen. Der silberweiße Schattenwolf, welcher Shikaru überallhin begleitete, hatte wie selbstverständlich die Führung übernommen.

Yuka atmete tief ein, roch den düsteren, feuchten Geruch des Waldbodens und der Blätter der Bäume über ihr. Schützend wie eine Decke umgab sie der Duft ihrer Heimat. Heute reisten sie nach Südosten, hinein in dem immer tiefer werdenden Wald des Feuerreiches. Sie lächelte unwillkürlich. Sie war wieder unterwegs.

“Gott”, sagte Ino urplötzlich in einem Tonfall, der annehmen liess, dass sie sich an etwas erinnert hatte. Shikaru vor ihr bremste so abrupt ab, dass seine Mutter und Yuka beinahe in ihn hineingelaufen wären, hätten sie nicht in letzter Sekunde angehalten.

“Was?”, fragte er und wandte sich seiner Mutter zu. Auch Yuka sah sie an, aber Ino schüttelte nur den Kopf.

“Ich habe etwas im Labor herumliegen lassen... Es ist nicht weiter wichtig.”

“Es betraf diese Mission nicht?”

Fast musste sie lächeln, als sie die Professionalität auf dem Gesicht ihres Sohnes sah. Wie lange war es her gewesen, dass sie mit ihm geübt hatte, Missionen zu planen... Nun plante er sie ohne ihre Hilfe und führte sie selbständig aus.

“Nein.”

“Dann...”

“Auf dein Zeichen.”

Ino lächelte Shikaru zu und sah, wie sich seine Mundwinkel ebenfalls unwillkürlich hoben. Das warme Gefühl verdrängte die Wut auf sich selbst – dass sie so dumm gewesen war, die Akte für alle sichtbar auf dem Labortisch hatte liegenlassen. Die drei Shinobi setzten sich erneut in Bewegung.
 

Konoha-Gakure, Zweiter Tag des Erntefestes, Später Vormittag

“Frau Doktor?”

Die Stimme erklang leise und schüchtern von der Tür ihres Arbeitszimmers her und Hinata Hyuuga drehte sich um.

Beinahe hätte sie heute Morgen verschlafen. Aber als sie gegen Elf Uhr Vormittags ins Krankenhaus kam, stellte sie überrascht fest, dass Ino bereits dagewesen sein musste und sämtliche Tätigkeiten bereits übernommen oder verteilt hatte. Die wenigen Schwestern, Pfleger und Ärzte, die das Pech hatten, an diesen Festtagen arbeiten zu müssen, nahmen ihr Los mit stoischer Miene an.

Neji hatte gemuffelt (weil Muffeln die einzige Reaktion war, die er bemerken liess, wenn er schlecht gelaunt war), sie solle jemand Anderes die Drecksarbeit machen lassen. Aber nun war sie nun einmal hier und ein ansehlicher Stapel Akten schmückte ihren Schreibtisch. Und neben dem Stapel fand sie einige hastig hingekritzelte Zeilen von Ino, den offiziellen Freistellungsantrag und das Auftragsformular mit dem Siegel des Hokage. Frustriert seufzte sie, zog den Schichtplan zu Rate und sah, dass Ino ihre heutige Schicht Arashi zugeteilt hatte – einer stolzen, intelligenten Frau, die viel kälter wirkte, als sie war. Also war dafür gesorgt.
 

Mit Verachtung machte sie sich an den liegen gebliebenen Papierkram und unterbrach ihre Arbeit nur, um erschrocken auf die Station 4-a zu stürmen, weil der Feuermelder losgegangen war. Der Zwischenfall enthielt einen Gaskocher und mehrere Packungen Instant-Nudelsuppe und Hinata machte sich die geistige Notiz, festzustellen, was den Patienten überhaupt vorgesetzt worden war. Dann kehrte sie an den Schreibtisch zurück und arbeitete sich durch weitere Akten, bis ein leises Klopfen sie unterbrach.

“Frau Doktor?”

Miruki, eine Schwester, so schüchtern, wie sie lang war (also sehr schüchtern), blinzelte durch den Türspalt und wurde rot, als Hinata sich ihr zuwandte.

“Diese – Äh, dieser Ordner lag heute morgen im Labor... Mitten auf dem Tisch, neben dem CPR-Gerät... Es steht kein Name darauf, deshalb... Deshalb... Ich dachte, Sie wissen bestimmt, wem der gehört.”

Hinata lächelte und stand auf, um ihrer Assistentin entgegenzugehen.

“Danke schön”, sagte sie zu Miruki und nahm die dargebotenen Akten. Ein Blick auf das Deckblatt liess sie die Stirn runzeln: Wenn man vom Teufel sprach... Das war Inos Patient, ein brauner Pappordner, auf dem in ihrer gleichmäßigen, klaren Handschrift eine Zahlenfolge und ein Kürzel notiert worden waren. Das Stirnrunzeln vertiefte sich: Warum hatte sie den Namen des Patienten nicht darauf geschrieben? Sie blätterte hindurch und die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Nur eine Akte, die Ino verschlüsseln würde – natürlich ihre eigene. Und was Hinata auf dem Papier vor ihr sah, gefiel ihr gar nicht.

“Wo ist sie?”, entfuhr es ihr, schärfer als beabsichtigt. Miruki fuhr erschrocken zurück.

“Wer, Frau Doktor?”

“Entschuldige”, sagte die Ärztin ruhiger. “Ino – Doktor Yamanaka.”

“Sie ist nicht da. Sie hat heute morgen den Freistellungsantrag vorbeigebracht. Ich habe ihn ganz oben auf Ihren Schreibtisch gelegt.”

Hinata fuhr sich mit der Hand durch ihr langes, blauschwarzes Haar und seufzte.

“Natürlich, die Mission. Mein Fehler...”

Der Gedanke liess sie erstarren. Schnell schlug sie den Ordner noch einmal auf und überflog einige Passagen und Röntgenaufnahmen. Als sie endlich wieder aufblickte, stand eine Mischung aus Zorn und Sorge in ihrem Gesicht.

“Diese dumme...”

Sie verbiss sich die letzten Worte.

“Ich muss mit dem Hokage sprechen.”

“Sie können aber jetzt nicht weg”, rief Miruki so erschrocken aus, dass ihre Stimme im Büro widerhallte.

“Sie sind heute die einzige Ärztin!”

“Ach ja.”

Hinata schloss die Augen. Typisch – wenn Probleme kamen, dann niemals nur ein einzelnes Problem auf einmal. Sie konnte spüren, wie etwas ihr entglitt, wie eine wichtige Kleinigkeit sich ihr entzog... Es gab im Moment nichts, was sie in Inos Fall tun konnte. Sie konnte nur hoffen, dass es ihr gut ging.

“Also”, sagte sie und lächelte Miruki an. “Dann wird es wohl bis morgen warten müssen.”
 

Suna-Gakure, Mittag, Zweiter Tag des Erntefestes in Konoha

“Es freut mich, dass wir das geklärt haben, Diplomat.”

Der große, in weite, weiße Gewänder gehüllte Mann mit dem Turban auf dem Kopf verbeugte sich tief.

“Im Namen des Kazekagen und des Rates von Suna-Gakure darf ich Unsere Freude darüber ausdrücken, dass diese komplizierte Angelegenheit nicht zu einem Bruch zwischen Uns und Unserem wertvollen Bündnispartner Konoha-Gakure geführt hat. Zugegebenermaßen, wir waren ein wenig in Sorge, wie Konoha-Gakure die Neuigkeiten aufnehmen würde...”

“Ich kann Ihnen versichern, Ratsmitglied, dass Konoha vollstes Verständnis für Sunas Zwiespalt aufbringen kann”, gab sein Gesprächspartner zurück und richtete sich auf.

“Dass ein gefährlicher Verbrecher dem berüchtigten Gefängnis des Wüstendorfes entkommen konnte, ist ein Grund zur Besorgnis. Es ist selbstverständlich, dass Konoha alle zur Verfügung stehenden Kräfte einsetzen wird, um dabei zu helfen, den Entflohenen so schnell wie möglich wieder in sichere Verwahrung zu bringen. Im Namen des Hokage kann ich sagen, dass Suna nicht als Schuldiger für dessen Entkommen angesehen wird.”

“Wir wissen dies zu schätzen”, sagte das Ratsmitglied des Windreiches und klang gequält. “Es ist tatsächlich anzunehmen, dass der Gefangene Hilfe von Ausserhalb erhielt, denn allein ist es sicherlich...”

Er stockte. “Unmöglich” erschien auch Shikamaru nicht als das richtige Wort, um die Ausbruchschancen eines Schwerverbrechers aus dem Wüstengefängnis zu beschreiben, aber geduldig wartete er ab, bis der Mann vor ihm ein besseres Wort gefunden hatte und fortfuhr:

“Kaum durchführbar.”

„Ich werde so schnell wie möglich abreisen, um in meiner Heimat die notwendigen Schritte einleiten zu können.”

Das Suna-Ratsmitglied trat um den runden Tisch herum und streckte eine Hand aus. Shikamaru stand auf und drückte die dargebotene Rechte im Einverständnis. Zum letzten Mal ergriff sein Gegenüber das Wort.

“Wir schätzen Ihre reaktionsschnelle Handlungsbereitschaft, Diplomat. Suna möchte Ihnen hiermit noch einmal ihren Dank ausdrücken. Ich hoffe nur...”

Er warf einen Blick zu dem großen Panoramafenster.

“Dass Ihr wirklich so schnell wie möglich abreisen könnt.”

Ja – diese Hoffnung hegte er selbst auch.

“Bitte entschuldigt mich nun, Diplomat. Ihre Wohnung steht Ihnen selbstverständlich zur Verfügung, so lange Ihr euch in Suna-Gakure aufhaltet. Noch eine angenehme Zeit bei uns.”

“Auf Wiedersehen, Ratsmitglied.”
 

Kaum waren die letzten Förmlichkeiten ausgetauscht, rauschte der Turbanträger hinaus, hinterliess einen schalen Nachgeschmack von durchdiskutierten Tagen, kaum einer Pause und des frühen Aufstehens nach einer mehrtägigen Reise. Der Diplomat von Konoha-Gakure stand eine Zeit lang still da, dann drehte er sich seufzend zum Fenster um, welches einen Blick auf die Dächer der Häuser von Suna-Gakure, die Wüste hinter den Mauern des Dorfes und den in der Wüste tobenden Sandsturm freigab. Shikamaru Nara, Oberhaupt des Nara-Clanes von Konoha, war nun fast 50 Jahre alt. Die Zeit hatte feine Falten in die Haut um seine Augen eingegraben, sein dunkles Haar war streng zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und hier und da wurde es von silbrigen Linien durchzogen. Aber noch immer hielt er seine Schultern aufrecht und gerade. Shikamaru lehnte seine Stirn an das kühle Glas des Fensters und starrte hinaus in das Toben des Windes und des Sandes vor der Stadt. Nein, unter diesen Bedingungen konnte er nicht reisen, dessen war er sich bewusst. Gleichzeitig drängte es ihn danach, wieder nach Hause zurückzukehren.

Konoha-Gakure...

Hätte ein zufällig Vorbeikommender den Raum betreten und hätte Shikamaru dort zufällig stehen sehen, wäre ihm vielleicht – wenn er ein guter, geschulter Psychologe war – aufgefallen, dass die scheinbar nichtssagende, steife Miene weit mehr ausdrückte als nur Heimweh. Und wenn es ein wirklich guter Psychologe war, hätte er auch den Grund dafür nennen können: Die absolute Loyalität, die Shikamaru gegenüber seines Vorgesetzten und seiner Heimat verspürte – und die tiefe Liebe zu seiner Frau.
 

Konoha-Gakure, Zweiter Tag des Erntefestes, Nachmittag

“Naruto.”

Der Hokage sah von seinem Schreibtisch auf. In der Tür stand eine kleine, zierliche Frau in einem schwarzen, knielangen Kleid. Auch ihre Haare waren schwarz. Rote Augen fixierten ihn, ohne zu blinzeln.

“Hey, Kurenai”, antwortete Naruto lächelnd. “Was machst du hier? Warum bist du nicht auf dem Fest?”

“Das gleiche könnte ich dich fragen.”

“Hm. Ich könnte sagen, dass ich arbeite.”

“Hmmm... Und ich könnte sagen, dass das eine Ausrede ist.”

“So, könntest du.”

Beide lächelten schwach.

“Wie geht es Rin und Kakashi?”, fragte der blonde Mann schliesslich. Kurenai sah auf ihre Hände hinab.

“Es geht ihnen gut”, sagte sie schliesslich und fügte widerstrebend hinzu: “Ich weiß, ich sollte dir danken, dass...”

„Ich will nichts davon hören ”, sagte Naruto. Erleichtert sah sie ihn an.

“Ich gehe dann auch wieder. Ich wollte wollte nicht stören, aber deine Tür war offen, da dachte ich...”

“Du störst mich ja nicht. Dir noch einen schönen Tag.”

“Gleichfalls.”

Wie ein Schatten verschwand sie, wie sie gekommen war. Naruto ging zu einem Buchregal und zog eine Schriftrolle heraus. Ohne sie anzusehen, warf er sie zu einigen anderen Rollen und liess sich wieder in seinen Sessel fallen.

Yuka, Shikaru und Ino waren unterwegs nach Xefua. Kiba, Shino und Tenten würden morgen aufbrechen, um einen Konvoi in die Schneefellberge zu begleiten, Hana und Genma würden erst in einigen Tagen wieder zurück sein. Yamato und Raidou waren unterwegs... Er würde Shizune loseisen müssen, um den Botengang der Prinzessin von Yaiminosho zu erledigen, und Ebisu konnte vielleicht für drei Tage die Akademieklasse übernehmen, damit Iruka-Sensei einigen Fürsten als Berater dienen konnte. Ibiki und Anko würde er einfach dazu abkommandieren, mit einigen der unreiferen ChuuNin nach Suna-Gakure zu reisen. Ibiki hatte Erfahrung im Umgang mit Verbrechern und Anko war, wenn sie sich Mühe gab, eine recht gute Anführerin... Notfalls konnten sie noch Riku, Tellia, Kiju und Samuel und Nathanel, die Brüder aus Kiri, die bei ihnen Unterschlupf gefunden hatten, mitnehmen. Blieben noch... Im Geiste ging er die Liste durch. Blieben noch Neji, Shishiro, Inoshia, Yuzuriha, Sakura und Haruka, Kakashi und Kurenai. Hoffentlich kamen Hana und Genma schnell wieder... Er würde einfach hoffen müssen, dass er mit den wenigen Leuten, die ihm noch blieben, eine Großmacht wie Konoha würde aufrecht erhalten können. Warum kamen Probleme alle immer auf einmal?

Die Schriftrolle flog zurück in das Regal. Ungelesen.

Naruto konnte sich nicht helfen. Er hatte das Gefühl, als befänden sich endlich alle Spielfiguren an der richtigen Stelle, um das Spiel zu beginnen. Aber welches Spiel es sein würde – und am Wichtigsten: Wer die Spieler waren – das konnte er nicht sagen.
 

Irgendwo, Norden des Feuerreiches, Zeit seit dem Aufbruch aus Konoha: 20h45min

Stille lag über der Lichtung, die Shikaru ausgewählt hatte, um dort die Nacht zu verbringen. Scheu sah Yuka zu Ino-San hinüber, die neben dem kleinen Feuer saß, ihre Knie an die Brust gezogen, und in die tanzenden Flammen starrte. Die roten Lichter reflektierten sich in den unglaublich blauen Augen, Schatten flossen über ihr Gesicht wie Wasser. Und die Spannung in ihren Schultern zeigte Yuka deutlich, dass sie jederzeit bereit war, aufzuspringen und die Gruppe der Reisenden gegen jedwede Angreifer zu beschützen – was nicht ihre Aufgabe war, sondern Yukas.
 

Yuka fand die Frau – schön.

Das kurze, im Feuer glitzernde Haar, das ausdrucksstarke Gesicht, die zart anmutenden Schultern... Die blauen Augen, die blitzten und dennoch wirkten, als seien sie traurig und die sich ebenso schnell in zwei stahlharte Dolche verwandeln konnten.

Etwas raschelte im Gebüsch und Yuka spannte sich an – aber dann wusste sie, wer sich ihnen näherte, und blieb sitzen. Shikaru trat aus dem Gebüsch und in den Kreis ihres winzigen Feuers. Ino stand auf, nahm ihrem Sohn den Topf mit Wasser ab und platzierte ihn über dem kleinen Feuer. Shikaru liess sich stumm neben sie sinken und beobachtete ihre Bewegungen.

“Soll ich die letzte Wache übernehmen?”, bot Yuka schliesslich an.

Ino nickte zustimmend. Auch Shikaru schien einverstanden, denn er sagte: “Dann übernehme ich die zweite Wache. In Ordnung?”

“In Ordnung”, sagte Ino-San leise. Ihre Stimme war melodisch und leise.

“Dann lege ich mich schonmal schlafen”, sagte Yuka. Niemand antwortete. Schon eine schweigsame Familie, dachte sie sich. Gerade als Mutter und Sohn begannen, sich leise zu unterhalten, dämmerte sie hinüber ins Reich der Träume. Die leisen Stimmen begleiteten sie im Schlaf. Und dann...
 

... Dann rüttelte sie jemand an der Schulter, und schweißgebadet fuhr Yukatsuki hoch. Die Schreie aus ihrem Alptraum hallten noch in ihrem Kopf nach, ihre Hände zitterten. Ihre Augen brauchten einige Sekunden, um sich an die halbe Dunkelheit um sie herum zu gewöhnen. Shikaru sah sie mit gerunzelter Stirn an und zog seine Hand zurück.

“Was ist los?”, fragte sie. Ihre Stimme klang heiser.

“Du hattest einen Alptraum”, sagte Shikaru leise und runzelte die Stirn. Erst hatte sie ruhig geschlafen, dann begonnen, sich unruhig hin- und herzuwälzen. Aber kein Laut war über ihre Lippen gekommen – und das war es, was ihm am meisten Sorge bereitet hatte.

“Bin ich schon dran?”

“Nein.”

Sie ging nicht darauf ein, dass er sie geweckt hatte. Sie sagte nichts weiter. Sie wirkte, als sei sie nicht anwesend... Ein ziemlich erschreckender Gegenteil zu der bodenständigen und starken Yukatsuki, die er kannte.

Seine Blicke folgten den ihren zu der zusammengerollt daliegenden Gestalt auf der anderen Seite des nun nur noch leise flackernden Feuers. Nur die blonden Haare der Ärztin waren erkennbar.

“Wenn ich früher Alpträume hatte, hat meine Mutter mir immer Geschichten erzählt”, sagte er plötzlich leise. Yuka wandte sich ihm zu, aber er schien durch sie hindurchzublicken.

“Irgendwie waren es besondere Geschichten. Sie waren immer wahr... Und wenn ich auch manchmal nicht wusste, worum sie handelten, ich wusste doch immer, dass die Menschen, die in ihnen vorkamen, wirklich waren. Sie hatten diese Geschichten alle erlebt. Und sie kannte sie alle...”

“Erzähl mir eine von den Geschichten.”

Shikarus Kopf fuhr zu ihr herum und er sah sie zweifelnd an.

“Nein – das kann ich nicht. Das sind doch ihre Geschichten... Du musst sie selbst fragen.”

Yuka umschlang ihre Beine mit beiden Armen und schüttelte den Kopf.

“Vielleicht fragst du sie einmal für mich? Aber nicht heute – ein anderes Mal. Kannst du mir nicht irgendeine andere Geschichte erzählen?”

“Ich glaube nicht, dass ich das kann. Ich meine...”

“Bitte.”

Shikaru kämpfte mit sich. Aber in ihrer Stimme lag etwas Flehendes, so dass er keine andere Wahl hatte.
 

”Niemand hätte je gedacht, dass Yuzuriha einmal ihre Heimat verlassen würde. Ein Kind der Sonne, des Sandes und des Windes war nicht für andere Welten gedacht als für seine eigene. Aber der Wüstengott des Schicksals hatte ihre Lebenswege bereits bei ihrer Geburt beschlossen – und sie würden sie an einen Ort führen, den die wenigsten Wüstenbewohner in ihrem Leben jemals gesehen hatten...

In den Wald.”

*

*

*

Ende des Kapitels

*

*
 

Und hier beginnt das, was ich zu Anfang versprochen habe... Lasst euch überraschen. Ich würde mich freuen, wenn ich einige Meinungen zu hören bekäme, allerdings rechne ich nicht damit, also...
 

Genau. Das nächste Kapitel ist ein "Märchen", eine Geschichte innerhalb der Geschichte. Es werden noch einige weitere folgen. Manche handeln von eigenen Charakteren, so wie diese nächste, manche von bekannten Charakteren aus Naruto... Ich hoffe, es gefällt euch. Bis zum nächsten Mal.

1. Nacht - Wüste und Wald

Sie war nicht groß.

Ihr Haar war wüstenblond, so blond, dass es schon fast weiß wirkte. Ihre Augen waren rot, wie die aller SunaNin.
 

Yuzuriha Himeno war 22 Jahere alt, und ihre schwarze Weste und das rote Stirnband mit dem silisierten Zeichen für Sand und Sonne wiesen sie als Kunoichi aus dem Dorf versteckt im Sand aus. Überprüfte man ihren Ausweis, würde man erfahren, dass sie eine JouNin war, und fragte man sie direkt, würde sie hinzufügen, dass sie in ihrem Dorf für die Pflege und Aufzucht der Wüstenfalken zuständig war, den kleinen, drahtigen Botenvögel, die Suna anstelle der ansonsten üblichen Tauben verwendete.

Jetzt zuckte sie nur mit den Schultern. Sie trug heute keine Uniform. Ihre nackten Arme und Schultern waren von unzähligen, hauchfeinen Narben bedeckt, die die scharfen Schnäbel der stolzen Vögel ihr zugefügt hatten. Mit einem Funkeln in den Augen sah sie ihre Freundin Kathara an.
 

„Was heißt hier „Verbannung“? Ich freue mich darauf!“
 

Kathara verdrehte – ihre Verzweiflung war nicht gespielt – die Augen.
 

„Du bist in Suna-Gakure geboren und hast dein ganzes Leben hier verbracht. Was willst du in Konoha-Gakure? Das Dorf hinter den Blättern? Die haben da in einer Woche so viel Regen wie wir im ganzen Jahr! Die bauen Häuser, die sind so hoch, wie unser Haupthaus lang ist! Sie essen merkwürdiges Zeug, das sie Gemüse nennen - wie willst du das überleben?“
 

Yuzuriha hatte ruhig zugehört. Dann stand sie auf und umarmte ihre Freundin.

„Mach dir doch nicht solche Sorgen!“, bat sie. „Ich bin nicht mehr das kleine Kind, das du aufziehen musstest. Das ist die Gelegenheit für mich, dieses Dorf, von dem alle immer reden, mit meinen eigenen Augen zu sehen! Von allen Falkenpflegern hat der Kazekage ausgerechnet mich ausgesucht, um nach Konoha zu gehen und den Leuten zu helfen, ihre eigene Falkenzucht zu begründen! Ausgerechnet mich, Kath!“

In den Armen der jüngeren Frau wurde Kathara weich.

„Erwarte nicht zu viel, ja? Es ist auch nur ein Dorf.“
 

-V-
 

Der Wald war ein Wunder.

Belustigt beobachtete der altgediente Suna-Nin, wie Yuzuriha alle neuen Eindrücke auf einmal zu verarbeiten versuchte. Noch niemals hatte sie so viele verschiedene Pflanzen an einem Ort gesehen, so viele Tiere, all die Farben... Der Wind, der durch die Kronen strich, die Art, wie das Licht durch die Blätter fiel...

„Yuzuriha!“, rief der Mann leise. „Wir müssen weiter!“

Er unterbrach sich, als Yuzuriha plötzlich den Kopf schief legte und eine Hand hob. Auch er hörte es.
 

Das Geräusch.
 

Es bestand aus einem rhythmischen Trommeln, einem gehetzten, sich rasend schnell nähernden Klang, der drohend auf sie zuhielt. Begleitet wurde es von einer Art Krachen und Knacken, als bräche eine Herde Antilopen ohne Rücksicht auf Verluste durch das Dickicht... Und dann kam der dunkle, raue Laut dazu, den der Mann nicht sofort identifizieren konnte. Erst nach einigen Schrecksekunden machte er den Laut als den aus, der er auch war: Ein dunkles, heiseres, drohendes Bellen erhob sich aus den Tiefen der Kehle eines ihm völlig unbekannten, wilden Tieres, welches eindeutig auf sie zuhielt!

Mit einem einzigen Satz warf er sich vor die junge Frau, die so wichtig für das Bündnis zwischen Konoha und Suna war, und packte mit beiden Händen seine Wurfsterne. Das Bellen erklang erneut, viel näher, viel zu nah. Die Sterne glänzten tödlich von dem Gift des stachelschwänzigen Skorpions. Das Trommeln kam näher, hatte sie beinahe erreicht, und noch immer stand Yuzuriha stocksteif hinter ihm, einen Ausdruck höchster Konzentration auf dem Gesicht. Keine Bewegung, die er in den Augenwinkeln sehen konnte, deutete darauf hin, dass die Frau sich zur Flucht wandte. Nein – sie zog nicht einmal ihre Waffen!

Stattdessen sagte sie nur leise: „Das ist ein Wolfshund!“

Verfluchte Akademiker!
 

Aus dem Gebüsch drang ein weiß-graues Ungetüm hervor.
 

Es war dreimal so groß wie eine ausgewachsene Hyäne. In seiner Schnauze blitzten tödlich die großen, tödlichen Reißzähne als das Monster in einem einzigen Sprung vor ihm auf der kleinen Lichtung landete und in Angriffshaltung schlitternd zum Stehen kam. Der Shinobi blickte dem Ungeheuer in die Augen und sah seinen Tod in den dunklen Tiefen.

„Mistvieh!“, brüllte der SunaNin wütend und hob beide Hände zum Wurf. Die Hinterbeine des Ungeheuers beugten sich, als es mit einem haarsträubenden Knurren zum Sprung ansetzte – und eine Stimme erklang.
 

„Mach Platz!“
 

-V-
 

„Tsunade-Sama!“

Kiba Inuzuka stürmte in das Büro seiner Hokage, völlig außer Atem und mit dem üblichen stacheligen Haar. Das Lederband mit dem pfotenförmigen Anhänger, welches ihn als Oberhaupt seines Clanes auszeichnete, tanzte auf seiner Brust. „Hokage-Sama! Akamaru hat im Wald Fremde gewittert – ohne Zweifel SunaNin! Die haben doch irgendetwas...“

Er stutzte.

Der Raum war leer.
 

-V-
 

Ein wenig verloren stand Yuzuriha vor den großen Toren von Konoha-Gakure, denn ihr Begleiter hatte darauf bestanden, außerhalb der schützenden Mauern auf die Antwort der Hokage zu warten. Er hatte sie hier abgesetzt wie ein Bündel Gepäck, ging ihr durch den Kopf. Kein SunaNin hielt sich gern freiwillig für eine längere Zeit im Land des Feuers – im Land der Wälder – auf, und noch wenigere betraten gern das Dorf hinter den Blättern. Sie konnte nicht verstehen warum... Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben, und ihre Augen strichen suchend von Rechts nach Links.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine amüsierte Stimme von Oben. Auf dem Wehrgang hinter den Mauern lehnte ein Shinobi, mit schwarzem Haar und einer breite Narbe über seiner Nase. Das Grinsen auf seinem Gesicht sagte ihr, dass er sie nicht als Gefahr betrachtete, ob sie nun das Stirnband des Wüstendorfes trug oder nicht.

„Yuzuriha Himeno, aus Suna-Gakure“, stellte sich Yuzuriha vor und registrierte die harte Aussprache, die im Vergleich zum weichen, singenden Akzent der Wüste grob, aber nicht abstoßend klang.

„Die Hokage erwartet mich.“

Der Mann musterte sie von oben bis unten, sein Gesicht hatte jeglichen scherzhaften Ausdruck verloren. Auch seine Stimme klang ernst und vorsichtig, als er fragte: „Haben Sie ein Empfehlungsschreiben?“ Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Nein.“

Der Mann drehte sich zur Seite, an der ein weiterer Wächter in grauer Uniform aufgetaucht war.

„Sie will zu Hokage-Sama, Kotetsu, hat aber kein Empfehlungsschreiben.“

Der Angesprochene zuckte bedauernd die Schultern. „Dann dürfen wir sie nicht hereinlassen, Izumo.“

Für einen Moment war Yuzuriha wie erstarrt. Dann kochte die Wut in ihr hoch.

„Ist das die berühmte Gastfreundlichkeit Konohas, von denen alle reden?“, fauchte sie wütend. „Ich bin zwei Tage lang gereist, um mit euch zu arbeiten, und ihr lasst mich nicht einmal durch das Tor? Was soll ich tun – mich auf Waffen kontrollieren lassen? Euch etwas vortanzen?“

Die Männer warfen sich grinsend einen Blick zu.

„So gern wir dieses Angebot auch annehmen würden – Hokage-Sama würde uns die Hölle heiß machen“, sagte Izumo zwinkernd und winkte einer Person am Boden, worauf das Tor sich langsam öffnete. „Zum Haupthaus geht es immer die Straße hinunter. Am Großen Platz ist es das höchste Gebäude. Das Büro von Hokage-Sama ist im Obersten Stockwerk – Fragen Sie einfach, wenn Sie es nicht finden.“

Erleichterung durchfuhr Yuzuriha, aber sie liess sie sich nicht anmerken. Sie stemmte lediglich die Hände in die Hüften und starrte die Wachen weiterhin herausfordernd an. „Und was ist mit der Waffenkontrolle?“

Kotetsu grinste noch breiter. „Wir gehen beide davon aus, dass Hokage-Sama sich gegen dahergelaufene Suna-Nin wie dich zu verteidigen weiß“, sagte er. „Behalte sie ruhig. Du hast sowieso keine Chance.“

„Danke!“, funkelte sie zurück. „Vielen Dank auch!“

Während sie die Straße hinunterging, hörte sie hinter sich die Männer leise reden. Sie konnte nicht verstehen, was sie genau sagten, aber sie hatte das Gefühl, dass sie die erste Prüfung in den Augen der KonohaNin bestanden hatte. Und es war ein gutes Gefühl.
 

-V-
 

Vorsichtig schaute Yuzuriha durch die geöffnete Tür des Raumes, der kein anderer als das Büro der ehrwürdigen Hokage der fünften Generation sein konnte. Sowohl die Aufschrift an der Tür als auch die Bilder an der Wand bestätigten ihr dies. Aber der Raum war leer.

Bis auf eine Person, die in dem großen Sessel hinter dem Schreibtisch saß und darin wippte, die Beine auf den Tisch und die Hände in den Schoß gelegt. Yuzuriha holte tief Luft und klopfte energisch.

„Entschuldigen Sie!“

Der Schreibtischsessel fuhr herum und liess sie einen Blick auf das Oberhaupt des Dorfes hinter den Blättern werfen.
 

Tiefbraune Augen musterten Yuzuriha überrascht, braunes Haar fiel ungekämmt in die Augen des Mannes, der wahrscheinlich in Yuzurihas Alter war und auf dem wichtigsten Stuhl des Dorfes saß. Rasch nahm er die Beine vom Tisch und setzte sich auf. Rechts und Links unter den ausdrucksstarken, dunklen Augen waren blutrote Fangzähne aufgemalt. Das war der Hokage? Sie wusste, dass der Kazekage der jüngste der Dorfoberhäupter war, aber sie hätte niemals gedacht, dass auch in Konoha, dem stärksten aller Shinobi-Dörfer, ein so junges Oberhaupt an der Macht war...

„Guten Tag. Mein Name ist Yuzuriha Himeno. Der Kazekage schickt mich, mit den besten Empfehlungen, um in Konoha-Gakure bei der Aufzucht der Wüstenfalken zu helfen.“

Noch immer starrte der Fremde sie verwundert an. Dann aber blitzte ein schelmisches Lächeln über sein Gesicht, er sprang auf und kam ihr um den großen Schreibtisch entgegen, um ihre Hand zu packen und enthusiastisch zu schütteln.

„Natürlich, natürlich! Wir haben Sie bereits erwartet! Willkommen in Konoha-Gakure!“
 

-V-
 

Eine SunaNin, dachte Kiba verwundert.

Das musste einer der beiden Fremden sein, denen Akamaru heute vormittag im Wald begegnet war! Sein Blick wanderte immer und immer wieder über die junge Frau vor sich. Sie sah so anders aus als die SunaNin, denen er bisher begegnet war, ihr fehlte der verbitterte, feindselige Zug, den viele ältere Shinobi trugen, wenn sie KonohaNin begegneten, oder die Aura von Überlegenheit, die jüngere Shinobi trugen wie einen Panzer. Für eine SunaNin war sie zu klein, ihr Haar zu weiß und ihre Aura viel zu freundlich. Die Frau faszinierte Kiba auf eine Art und Weise, wie er sie noch nie gespürt hatte. Deshalb sprang er auf und packte ihre Hand – und war überrascht, die Schwielen zu spüren, die von harter Arbeit zeugten. Sein Blick strich über ihre Arme – sie hatte Muskeln. Als er aber ihre Narben sah, stutzte er. Woher zum Teufel kamen die?
 

-V-
 

Der Hokage packte Yuzurihas Hand fester, als nötig gewesen wäre, aber sie erwiderte den Druck selbstbewusst. Sie hielt still, als er sie von Kopf bis Fuß musterte, und spürte seine Verwirrung, als er ihre Narben bemerkte, die Auszeichnungen, die sie als Falkenmeisterin auswiesen.

„Die Botenfalken – ja, natürlich! Sie werden sicherlich bald schlüpfen – die Eltern brüten noch.“

Merkwürdige Methoden hatten die Leute hier, dachte Yuzuriha befremdet. Wurden die Falken hier wirklich von den Elternvögeln ausgebrütet? Die Wahrscheinlichkeit, dass diese überzählige Küken aus dem Nest warfen, war so viel höher.

„Aber so lange können Sie sich ja die Zeit nehmen, Konoha ein wenig genauer kennenzulernen!“, fuhr der Hokage fort. „Und wenn Sie Zeit und Lust haben, können Sie auch anderweitig aushelfen! Die Familie Inuzuka züchtet Wolfshunde, müssen Sie wissen, und ein neuer Wurf wird gerade entwöhnt...“

Vorsichtig lächelte Yuzuriha.

„Natürlich helfe ich gerne, wo ich kann...“
 

Kiba feixte. Das Mädchen hatte bestimmt noch nie einem ausgewachsenen Wolfshund gegenübergestanden!
 

„Aber werden Wolfshunde nicht nach der Entwöhnung auf eine bestimmte Person geprägt, mit denen sie ihr Leben lang zusammenarbeiten?“
 

Yuzuriha sah erstaunt zu, wie das Lächeln auf dem Gesicht des Hokage einfror, als sie die Frage stellte.

„Woher... Woher...“

War der Hokage Konohas wirklich so dumm, dass er weder wusste, wie man Falken noch Wolfshunde aufzog? Bei Falken war das verständlich, schliesslich war diese Vogelgattung in Konoha nicht heimisch. Aber die Wolfshunde entstammten einer uralten Linie, die aus den Ursprüngen des Shinobi-Dorfes stammte, und ihm musste doch bewusst sein, dass er absoluten Unsinn daherredete. Oder stellte er sich absichtlich dumm, um sie auf die Probe zu stellen?
 

„Kiba Inuzuka!“, donnerte eine eindrucksvolle Stimme durch den Raum. Ihr Tonfall forderte unbedingten Gehorsam, und Yuzurihas Gegenüber schien um Zentimeter zu schrumpfen. Das musste die ehrwürdige Hokage sein, durchfuhr es Yuzuriha.

Die Frau war ebenso beeindruckend wie ihre Stimme. Langes, goldblondes Haar floss ihr den Rücken hinunter und sie trug über ihrer schlichten Kleidung einen weißen, langen Mantel, deren Saum mit tanzenden, blutroten Flammenmustern verziert war. Diesen zog sie nun aus und warf ihn achtlos über die Lehne des Schreibtischsessels, in den sie sich darauf sinken liess. Yuzurihas Gegenüber drehte ihr stocksteif den Kopf zu.

„Was glaubst du, was du da tust?“, verlangte die Hokage zu wissen und stützte das Kinn auf ihre Hände. Ihre Augen blitzten frostig.

„Oh, ehrwürdige Hokage...“ Der Mann mit Namen Kiba Inuzuka – der Clan, welcher die Wolfshunde züchtete, hieß Inuzuka, durchfuhr es Yuzuriha plötzlich – trat automatisch einige Schritte zurück.

„Ich wollte nur... Ich wollte nur berichten, dass Shinobi aus Suna in unser Territorium eingedrungen sind und Akamaru sie gestellt hat. Und dann kam diese Frau hier...“

„Vor der du dich zum Affen gemacht hast, wie ich annehme!“

Das einseitige Gespräch wurde durch ein lauter werdendes Trommeln im Flur unterbrochen, und mit einem freudigen Aufjaulen stürmte ein riesiger Wolfshund durch die offene Tür. „Akamaru!“, ertönte die Stimme der dunkelhaarigen Assistentin unfreunlich. „Raus hier, aber plötzlich!“

Der Hund kam schlitternd zum Stehen und bellte laut. Kiba deutete auf seinen Hund. „Sehen Sie, Hokage-Sama, Akamaru...“

Und der Hund sprang Yuzuriha an und begann, begeistert ihr Gesicht abzulecken.
 

Kiba sah aus, als habe ihn ein Blitz getroffen, als Yuzuriha den Hund von ihren Schultern schob. „Jetzt mach nicht so ein Theater“, sagte sie lachend und der Hund legte sich vor ihr auf den Rücken und hechelte fröhlich.

„Ah“; sagte die ehrwürdige Hokage lächelnd und sank in ihren Sessel. „Scheint, als habe der Kazekage genau die richtige Person geschickt, um uns zu helfen! Sie haben eine Hand für Tiere, nicht wahr...?“

„Yuzuriha Himeno“, stellte Yuzuriha sich erneut vor und richtete sich von Akamaru auf. „Vielen Dank, dass ich hier sein darf. Es ist mir eine Ehre.“

„Die Freude ist ganz auf unserer Seite“, erwiderte die Hokage. Wenn sie freundlich schaute, war in ihren Augen kein Funken des Stahls zu erkennen, mit dem sie Kiba zuvor gemustert hatte. „Die ersten Falkeneier im Inkubator zeigen Anzeichen, dass sie bald schlüpfen werden“, fuhr sie fort. „Bis dahin haben Sie die Gelegenheit, sich Konoha-Gakure genauer anzuschauen. Ihnen wird eine kleine Wohnung zur Verfügung gestellt werden, in der Sie hoffentlich alles finden werden, was Sie benötigen... Sie werden sich mit der Ihnen zur Verfügung stehenden Ausrüstung vertraut machen wollen. Zögern Sie nicht, anzusprechen, sollten Sie noch anderweitige Dinge benötigen. Sie sind unsere Expertin hier und wir hoffen, dass Sie sich bei uns wie zu Hause fühlen werden!“

Schon besser, dachte Yuzuriha leise lächelnd und legte die rechte Faust auf ihr Herz.

„Vielen Dank, ehrwürdige Hokage.“

Die Hokage überraschte sie, in dem sie die uralte Ehrbezeugung Sunas korrekt beantwortete. Dann fiel ihr Blick auf Kiba Inuzuka, der gerade versuchte, sich unauffällig zu entfernen.

„Inuzuka!“

„Ja?“ Der Mann stand wie festgefroren.

„Da du scheinbar nichts besseres zu tun hast, als unsere Gäste durch den Kakao zu ziehen, wirst du jetzt sicherlich nichts dagegen haben, Yuzuriha-San durch Konoha zu führen und ihr ihre Wohnung und den Aufzuchtturm für die Falken zu zeigen...Und wenn so etwas wie gerade eben noch einmal vorkommt, dann kannst du was erleben!“

Ihre blaugrünen Augen funkelten. Yuzuriha hätte beinahe gelacht, als sie erkannte, wie viel Spaß die Hokage hatte. Kiba Inuzuka nickte gehorsam.

„Ja, Hokage-Sama!“
 

„Anscheinend brauche ich Ihnen ja nichts mehr zu erzählen, was die Hundezucht angeht“, sagte der Mann, nachdem sie das Büro verlassen hatten, und wandte sich ihr zu. Yuzuriha grinste.

„Nein. Aber ich könnte Ihnen noch eine Menge über die Falkenzucht erzählen“, setzte sie hinzu und beobachtete fasziniert, wie sich auf dem Gesicht des Mannes ein breites Grinsen ausbreitete.

„Miss – Sie haben Humor, auch wenn Sie aus Suna kommen. Tut mir leid, das eben... Willkommen in Konoha!“

„Ich bin Yuzuriha“; stellte sie sich noch einmal vor und schüttelte die die Hand, die er ihr entgegenstreckte.

„Kiba“, antwortete er. „Und Akamaru kennen Sie ja schon. Also dann – zeige ich Ihnen einmal unser Reich!“
 

Das war der Beginn ihrer Zeit in Konoha.
 

-V-
 

„Und wie geht die Geschichte weiter?“, fragte Yuka, als Shikaru schwieg. Der zuckte die Schultern.

„Wie alle Geschichten, die so ähnlich verlaufen“, sagte er schliesslich knapp.

„Erzählst du morgen eine Geschichte?“

Yuka zuckte zurück. „Ich kenne keine Geschichten.“

„Doch, kennst du.“

„Nein.“

Wieder schwiegen sie sich an, die Dunkelheit und die Stille eine unüberwindliche Mauer zwischen ihnen beiden.

„Oder nur traurige Geschichten“, sagte sie schließlich, beinahe unhörbar.

Shikaru lächelte in sich hinein. „Dann eben eine Traurige.“

*

*

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Ende des Kapitels

*

*

Xefua

Irgendwo, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Aufbruch aus Konoha: 67h12min
 

Reisen, stellte Shikaru nach zwei Tagen fest, hörte dann auf, schön zu sein, wenn man begann, sich zu fragen, wann man endlich da sein würde.
 

Die Reise begann langsam, aber sicher, an seinen Nerven zu zerren. Bäume und Strauchwerk zogen vorüber, die Sonne schien warm auf das grüne Blätterdach und heizte die Erde auf, aber dennoch war die Luft darunter angenehm kühl und schattig. Ein einziger Blick nach hinten zeigte ihm, dass seine Mutter und Yuka noch immer in der selben Formation wie zu Beginn ihrer Reise dahinflogen. Urchin, der Schattenwolf, welcher in langen Sätzen vor ihm durch die Schatten der Bäume driftete, wandte sich zu ihm um, als könne er seine Gedanken hören – was in gewisser Weise auch stimmte – und japste. Der Laut klang, als würde er lachen, und von hinter ihm erklang Yukas leises Kichern.
 

„Was ist?“, brummte er, ohne sich umzusehen. Er konnte das Lächeln seiner Mutter fast spüren. Es war warm und liebevoll, das Lächeln, mit dem sie ihn betrachtet hatte, seit er denken konnte, und er war froh darüber, es wieder zu sehen. Sie war so still gewesen in den letzten Tagen. Ob es daran gelegen hatte, dass sein Vater nicht dagewesen war? Oder war sie einfach nur von der Arbeit im Krankenhaus erschöpft gewesen? Er konnte es nicht sagen. Ein ungewisses Gefühl überfiel ihn jedes Mal, wenn er sie ansah. Er konnte es nicht erklären, genauso wenig wie das große, schwarze Loch, welches er vor sich sah, wenn er sie mit seinem Chakra-Sinn sondierte. Wie lange dieses Loch schon dagewesen war, wusste er nicht, eines Tages war es ihm einfach aufgefallen.

„Sie meint, dass man dir auch so ansehen kann, was du denkst, ohne dich zuerst fragen zu müssen“, erklärte Ino. Shikaru schnaubte.

„Warum sagt sie das nicht selbst?“

„Weil es Wichtigeres gibt“, erklang die Stimme seiner Partnerin von hinter ihm ernst. „Wir sind nämlich da.“

Das Dorf Xefua schob sich aus dem Boden wie ein sekundenschnell wachsender Baum.
 

Der hölzerne Zaun wirkte aus der Nähe bei Weitem nicht so wehrhaft und wirksam, wie er hätte sein müssen. Ein einziger, schiefer Wachturm ragte am Tor au, und Rauch stieg aus einigen Schornsteinen, das einzige Zeichen dafür, dass das Dorf bewohnt war. Es ertönte kein Laut, als sich Shikaru, Ino and Yukazuki langsam dem Dorf näherten.

„Standardprozedur bei potenziell infizierten Gebäuden und Dörfern“, sagte Ino-San und holte dreimal Mundschutz aus ihrer Ausrüstungstasche. Eine davon gab sie Shikaru, eine Yuka, die letzte stülpte sie sich selbst über den Mund. Ihre blauen Augen blickten stahlhart. Am Rande nur nahm Yuka war, wie sehr sich ihre Stimmung gewandelt hatte: Sie würden nun an die Arbeit gehen. Shikaru stand gerade aufgerichtet und mit abwesendem Blick neben seiner Mutter, im Geiste bereits die nächsten Schritte planend. Ino war voll und ganz in die Rolle der Ärztin gewechselt, deren Aufgabe es war, Menschen zu helfen und ihr Team so gut wie möglich vor der Ansteckungsgefahr zu schützen. Ein stahlharter Unterton klang in ihrer Stimme mit.

„Wir suchen zuerst das Oberhaupt des Dorfes. Nichts wird angefasst oder angenommen, nichts gegessen und niemand auch nur berührt, bevor ich mit jemandem gesprochen habe und weiß, was los ist, ist das klar?“

Yuka nickte zustimmend. Shikaru ebenfalls.

„Gut.“ Ino wirkte angespannt, aber ruhig. „Shikaru?“

Ihr Sohn übernahm die weitere Planung.

„Yuka – du hilfst Yamanaka-San. Ihr beide findet hoffentlich Leute, die euch irgendwie helfen können. Aber was auch immer passiert, Yuka – lass sie nicht aus den Augen, klar?“

Yuka nickte, als er sie nocheinmal daran erinnerte, wie wichtig es war, dass Ino-San nichts geschah.

„Ich werde mir das Dorf genauer ansehen“, fuhr er fort. „Fragt ihr auch, so viel es nur geht. Wir müssen herausfinden, was genau hier passiert ist. Sonst noch etwas?“

Stumm schüttelten seine Begleiterinnen den Kopf.

„Also gut. Machen wir uns bemerkbar.“
 

Konoha-Gakure, Dritter und letzter Tag des Erntefestes, 38h seit Ankunft der Botschaft

Am liebsten hätte Hinata Hyuuga mit dem Fuß aufgestampft wie ein kleines Kind und wütend aufgeschrien, sich auf den Boden fallen lassen und mit den Fäusten auf ebenjenen gehämmert, bis alle kamen, um zu sehen, was los war.

Aber das konnte sie als Leiterin des Krankenhauses von Konoha, als Oberhaupt des Hyuuga-Clans und als gestandene und respektierte Frau nicht tun.

Stattdessen lächelte sie freundlich und machte gute Miene zum bösen – wenn dies auch nicht absichtlich – Spiel.

„Ihre Frau wird wissen, wann es soweit ist, verlassen Sie sich da auf sie. Und seien Sie ganz unbesorgt.“

Vielen Dank, Frau Doktor“, sagte Herr Shitake und schüttelte ihr überschwenglich die Hand. „Es tut mir leid, dass wir Ihnen auch heute wieder Ihre kostbare Zeit stehlen mussten. Aber Sie verstehen sicher...“

Natürlich“, nickte sie.

Was sie verstand, war, dass die Sorge um Ino jetzt bereits seit zwei Tagen in ihrem Hinterkopf vor sich hindämmerte. Zwei Tage, in denen das Sommerfest in Konoha weiterging, die Menschen ausgelassen feierten und die wunderschöne Jahreszeit genossen, zwei Tage, in denen ihre beste Ärztin auf eine Mission geschickt worden war, obwohl sich ihr Gesundheitszustand bedenklich verschlimmert hatte. Jeden Moment konnte es soweit sein und Anstrengung und Stress der Mission würden einen Zusammenbruch hervorrufen. Natürlich konnte es sein, dass sie - Hinata – sich irrte, aber sie hatte immer nach der Grundregel gelebt, nur Risiken einzugehen, wenn es sich wirklich nicht vermeiden liess. Ärzten wurde diese Grundregel eingetrichtert, bis sie danach lebten. Schon seit zwei Tagen suchte Hinata verzweifelt nach einer freien Stunde, um mit Naruto – mit dem Hokage – zu sprechen, aber jedes Mal, wenn sie hinüber ins Haupthaus hatte gehen wollen, war Herr Shitake mit seiner Frau hineingeschneit, hatte seine Sorge zum Ausdruck gebracht und sie gedrängt, Ultraschallfotos und Untersuchungen reihenweise zu wiederholen – und außer ihr durfte es niemand tun. Oder sie hatte sich unbedingt irgendetwas anderes anschauen müssen, welches keinen Aufschub duldete, in ihrer Mittagszeit hatte sie Akten sichten müssen, und wenn sie schliesslich Abends müde ihr Büro abschloss, dann wusste sie, dass, obwohl im Fenster noch Licht brannte, es nun zu spät war. Und zu Hause konnte sie ihn nicht aufsuchen. In diese Lage wollte sie ihn nicht versetzen, das konnte sie ihm nicht antun.

Also lächelte sie freundlich, verabschiedete Herrn und Frau Shitake, machte das Licht in ihrem Büro aus und verschloss die Tür, winkte den Schwestern von der Nachtschicht zu und machte sich auf den Weg durch die hellen Straßen nach Hause. Musik floss durch die Nacht. Konoha wusste nichts von den Sorgen, die sie plagten. Morgen würde sie zu ihm gehen, nahm sich Hinata beim Anblick des einsamen, erleuchteten Fensters im Haupthaus vor.
 

Xefua, Norden des Feuersreiches, Zeit seit Aufbruch aus Konoha: 67h15min

Niemand reagierte.

Weder auf ihr erstes Klopfen noch auf die wiederholten Versuche, auf sich aufmerksam zu machen.

Yukatsuki, Shikaru und Ino-San standen vor dem Tor und warteten vergeblich.

„Versuchs nochmal“, sagte Ino-San.

„Ist da jemand?“, rief Shikaru laut. „Hallo?“

Ein Knirschen in der Tür lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ein kleines Schiebefenster, welches sich knirschend öffnete. Ein einzelnes grünes Auge starrte die Shinobi durchdringend an.

„Wer seid ihr und was wollt ihr?“

„Wir kommen aus Konoha-Gakure“, sagte Shikaru vorsichtig und hob beide Hände. Die Stimme hatte schrill geklungen. Nun verlor sie den Klang ein wenig, klang aber noch deutlich unfreundlich.

„Was wollt ihr?“

„Eine Bitte um Hilfe hat uns erreicht“, gab der junge Mann zurück und lehnte sich ein wenig zurück, damit die Person ihn besser mustern konnte. „Deshalb sind wir hier.“

Die Gestalt hinter der Tür musterte sie gleichermaßen kritisch wie spöttisch. „Das ist die gesamte Hilfe, die ein großes, wichtiges Dorf wie Konoha-Gakure erübrigen kann? Zwei Frauen und ein Junge?“ Ein heiseres Lachen erklang. „Drei Menschen werden wohl kaum etwas ausrichten können gegen das, was uns quält, Kleiner. Was soll das – Bitte um Hilfe? Nicht von uns. Garantiert nicht.“

Die Schiebetür knallte zu.

Verblüfft und mit gerunzelter Stirn sahen Ino-San, Shikaru und Yuka sich an, dann zuckte die Ärztin die Schultern und klopfte erneut.

„Verschwindet! Geht zurück dahin, woher ihr gekommen seid!“, erscholl es bestimmt. Yuka konnte wusste nicht, ob sie beleidigt oder belustigt sein sollte, Shikaru ging es ähnlich. Nur Ino-San sah aus, als betreffe sie die Angelegenheit nicht.

„Mir reichts“, sagte Yuka und wandte sich fragend an Shikaru. „Darf ich?“

Der zuckte die Schultern und nickte.

Yuka spannte sämtliche Muskeln an, schloss die Augen und setzte in einem einzigen Sprung über das Tor hinweg ins Innere des Dorfes. Ihre geräuschlose Landung war nicht hörbar, hingegen der Schrei der Entrüstung und Überraschung, welcher aus dem Dorf erscholl. „Ich hatte gesagt, ihr sollt verschwinden!“

„Woher wusstest du, dass sie das tun würde?“, wandte sich Ino mit hochgezogenen Brauen an ihren Sohn. Der zuckte erneut die Schultern. „Wir arbeiten schon länger zusammen.“
 

Im Inneren des Dorfes war es genauso gespenstisch still wie außerhalb der Mauern.

Yuka hatte mit ihrer Einschätzung Recht gehabt: nur wenige, kleine, aber liebevoll gezimmerte Häuser standen hier, Rauch quoll aus den Schornsteinen, aber ansonsten wirkte es verlassen. Die alte Frau stand wütend einige Schritte von ihr entfernt, ihre Hände in die Häften gestemmt. Sie war nicht groß, aber sie wirkte fit für ihr Alter. Ihr Haar war silbergrau und zu einem langen, dünnen Zopf geflochten, sie trug ein schlichtes, schwarzes Kleid und eine weiße Schürze mit passender Haube.

Ihre grünen Augen funkelten Yuka wütend an, aber diese hatte nicht vor, sich Angst machen zu lassen, und hielt der Frau eine Schriftrolle unter die Nase.

„Bitte sehen Sie sich das hier an. Es erreichte Konoha vor ungefähr zwei Tagen.“

Misstrauisch nahm die Frau das Papier an sich. Einige Zeit lang versenkte sie ihre lange Nase in das Dokument, während sie konzentriert las, ihre Augen kurzsichtig zusammengekniffen.

„Tatsächlich“, sagte sie schliesslich. „Unterzeichnet mit dem Siegel von Xefua. Dennoch kann ich beschwören, dass er nicht von uns ist.“

„Könnte es sein, dass der Dorfälteste von Xefua das Dokument ohne das Wissen der Bewohner abgeschickt hat?“

Darauf lachte die Alte auf. „Ausgeschlossen, mein Kind, das würde ich doch wissen.“

Es dämmerte der Kunoichi. „Sie sind die Dorfälteste, habe ich recht?“

„Kluges Kind“, lobte die Frau und legte den Kopf schief. „Du verstehst schnell. Wie heißt du?“

„Yukatsuki von Konoha“, sagte diese und beugte in einer Geste des Respekts den Kopf.

„Aber nicht aus Konoha“, sagte die Frau. „Nicht wahr?“

Yuka erstarrte. „Wie...“

„In dir fliesst Blut, welches älter ist als das der Konoha-Shinobi“, fuhr die Frau fort. „Mein Name ist Camille, Älteste des Dorfes Xefua. Oder von dem, was noch davon übrig ist.“

Sie deutete über ihre Schulter, aber Yuka konnte die rastlose Sorge in ihren scheinbar sorglosen Gebahren erkennen.

„Jetzt, da geklärt wurde, dass der Brief nicht wirklich von uns kam... Würdet ihr alle die Güte haben, wieder zu gehen?“

„Brauchen Sie hier denn keine Hilfe?“, fragte Yuka zurück – eine rein rhetorische Frage, das wussten beide. Jeder Baum, jeder Strauch, jede Einzelheit im Anblick des kleinen Dorfes schien geradezu nach Hilfe zu schreien.

Camilles Schultern sackten nach unten.

„Tja“, seufzte sie leise. „Ich kann wirklich nicht behaupten, dass ich nicht ein wenig Hilfe gebrauchen könnte. Auch, wenn es hoffnungslos ist... Ja, du und deine Begleiter, ihr dürft hinein und euch umschauen, und wenn ihr helfen könnt, dann nehme ich diese Hilfe gerne an. Aber...“ Sie erhob warnend einen ausgezehrten Finger. „Erwartet nicht zu viel.“
 

Konoha-Gakure, Dritter und letzter Tag des Erntefestes, 40h nach Ankunft der Botschaft

Der Junge sah dem Hokage wirklich zum Verwechseln ähnlich, dachte Ashuria, als sie in weißer Laborkleidung, mit Mundschutz und Handschuhen über ihm stand. Das grelle Neonlicht der Laborbeleuchtung warf harte, schafte Kanten auf das junge Gesicht und die strohblonden Haare. Der geschulte Psychologe in ihr war sofort auf den Grund gekommen, weshalb man ihnen gerade diesen Jungen als Boten hatte schicken wollen: Kein Bewohner von Konoha-Gakure konnte ihn ansehen, ohne an das Oberhaupt erinnert zu werden.

Aber selbst dieses Wissen verringerte nicht die Angst in ihrem Herzen.
 

Xefua, Norden des Feuerreichs, Zeit seit Aufbruch aus Konoha: 67h32min

Als Ino, die lautlose Yukatsuki im Schlepptau und in Begleitung von Camille die erste Hütte betrat, überfiel sie das bekannte, verhasste Gefühl der Nutzlosigkeit mit aller Macht.

Sie verdrängte es, so gut sie nur irgends konnte, und trat näher, um ihre Umgebung genauestens zu sondieren: Sauber waren drei Bettenlager nebeneinander errichtet worden, auf dem drei Menschen lagen und scheinbar ruhig schliefen. Der Zustand der Laken und Kissen deutete darauf hin, dass sie oft gewechselt wurden, auf dem ansonsten leeren Tisch neben dem Kamin standen Becher mit Wasser und eine Schüssel mit einem Lappen. Und trotz der Ruhe und der Sauberkeit im Raum trug die Luft den Geschmack von Angst und Hilflosigkeit, von Schmerz und Krankheit. Vorsichtig beugte Ino sich über die erste Person, fühlte den unregelmässig schlagenden Puls und hörte den keuchenden Atem. Die Stirn des Mannes war fieberheiß, auch die anderen beiden Personen schienen zu glühen.

„Schlafen sie immer so tief?“, fragte Ino leise Camille.

Die sah sie spöttisch an. „Sie schlafen nicht, Liebes. Ich habe sie in ein Koma versetzt. So ist es einfacher.“ Ino bemühte sich, ihren Unwillen nicht zu deutlich zu zeigen, und legte einer Frau vor ihr die Hand auf die Stirn.

„Ich werde sie wecken.“

„Wenn du dir das antun willst“, sagte Camille und zuckte die Schultern. „Was wird nur euch modernen Kurpfuschern heutzutage an der Akademie beigebracht, dass ihr nicht einmal natürlichen Schlaf von künstlich induziertem Koma unterscheiden könnt?“

Ino wies nicht darauf hin, dass diese Methode so veraltet war, dass sie gar nicht mehr zur Anwendung kam, und liess ihr Chakra fliessen. Ihre Finger formten mehrere komplizierte Zeichen, dann flüsterte sie ein Wort und ein goldenes Licht flammte Sekundenlang auf, bevor es wieder verschwand.

Die Augenlider der Frau flatterten, als sie langsam begann, ihr Bewusstsein wiederzugewinnen.

„Wie ist ihr Name?“, fragte Ino Camille. „Rafaelle“, erwiderte die.

„Rafaelle“, sagte Ino leise ins Ohr der Frau vor ihr. „Können Sie mich hören?“ Langsam strich sie mit den Händen über das Gesicht, dann über die Arme der Frau. „Wie geht es Ihnen?“

Ruckartig öffnete die Frau die Augen und stierte Ino blicklos an.
 

„Sie hat Schmerzen“, sagte Yuka leise. Zu ihrer Überraschung lachte Camille heiser, aber traurig auf. „Schmerzen sind gar kein Ausdruck. Hätte ich sie nicht alle ins Koma fallen lassen, hätten sie sich vor Schmerzen heiser geschrien.“

Die Augen der Frau, die Ino geweckt hatte – ebenso grün wie Camilles – bewölkten sich wieder, als sie sich aufbäumte. Yuka sprang hinzu, um Ino zu helfen sie am Boden zu halten.

„Halt sie fest“, instruierte die Ärztin. Sie arbeitete schnell und konzentriert, schaute in Mund, Nase und Ohren der Patientin und hörte den Herzschlag ab. Yuka benötigte all ihre Kraft, um die Patientin festzuhalten.

„Was sagt sie?“, fragte sie, als die Frau immer und immer wieder das selbe Wort ausrief.

„Sie ruft ihren Sohn“, sagte Camille knapp. „Er ist tot.“

Erleichtert lehnte Yuka sich zurück, als Ino die Untersuchung beendete und die Frau mit einigen Fingerzeichen und einem erneuten gemurmelten Wort wieder in das Koma versetzte. Rafaelle blieb liegen wie tot, nur ihr schwerer Atem, ihr Puls und ihre fieberglühende Stirn gaben noch den Hinweis, dass sie krank war. Obwohl sie die Methode niemals gutgeheißen hatte, Menschen der Gefahr des künstlichen Komas auszuliefern, war Ino froh darüber, es anwenden zu können. So schnell und vorsichtig wie es ging, löste sie auch die Jutsus der beiden verbleibenden Personen, untersuchte sie mit Yukas Hilfe und liess sie wieder in den Schlaf fallen.

„Was kann ich tun?“, fragte das Mädchen sie mit bittendem Blick.

„Pass auf“, sagte die Ärztin und beugte sich über Rafaelle. „Ich gehe davon aus, dass du die grundlegende Erste-Hilfe-Ausbildung besitzt. Ich zeige dir jetzt, welche Rezeptoren du außer Funktion setzen musst. Es sind leider gerade die, die besonders tief liegen, und es sind permanente Reizleiter – deshalb brauchst du ziemlich viel Chakra. Aber zusammen sollten wir es schaffen.“

Sie seufzte fast unhörbar und sah einige Sekunden lang ins Leere. Yuka hielt den Atem an – die Berührung von Ino-Sans Hand liess ihre Befürchtungen endlich deutlich zu Tage treten.

„Okay“, sagte die Ärztin. „Wir machen Folgendes...“

Blaues Chakra flackerte konzentriert aus ihren geschulten Händen, vermischte sich mit Yukas und drang in Rafaelles Körper ein. Yuka schloss die Augen und überliess Ino-San die Führung. Die Ärztin wusste genau, was sie tat: kaum hatte sie die Quelle des Schmerzes gefunden, blockierte sie sie und beide spürten, wie sich der Körper der Frau entspannte.

„Gut“, flüsterte eine Stimme neben Yukas Ohr. „Sehr gut. Jetzt nur noch die Synapsen blockieren – Sehr gut.“

Ino-Sans Chakra zog sich zurück und langsam fand Yuka in die Realität zurück. Sie schlug die Augen auf und blickte direkt in Ino-Sans blaue Augen hinein. Die Ärztin nickte knapp und beugte sich bereits über den Mann, der neben Rafaelle lag.

„Du nimmst sie“, sagte sie und deutete auf die Frau auf der anderen Seite. Wortlos stand Yuka auf, umrundete das Krankenlager und kniete neben dem nächsten Patienten nieder.
 

„Ihr könnt eine der leerstehenden Hütten beziehen, wenn ihr wollt“, sagte Camille viele Stunden später und wischte sich ihre Hände an ihrer blütenweißen Schürze ab. Ino seufzte und stand vorsichtig auf. Sie war todmüde – der Chakraverlust und die andauernde kniende Haltung forderten ihren Tribut. Yukatsuki sahe ebenfalls müde aus, wenn auch nicht so tot wie sie selbst aussehen musste... Als sie aufsah, trafen ihre blauen Augen Shikarus braune.

„Und?“, fragte sie. „Was hast du herausgefunden?“

Der Shinobi antwortete nicht sofort.

„Die Krankheit scheint im Wasser zu sein“, sagte er bedächtig. „Camille ist die Einzige, die sie nicht hat – sie musst eine Art Immunität entwickelt haben.“

Die nickte erschöpft. „Ja – darauf sind wir auch schon gekommen. Ist dir sonst noch etwas aufgefallen?“

„Ihr habt keine Kinder und junge Leute im Dorf, nicht wahr?“

Camilles Blick wurde traurig, dann abweisend. „Sehr richtig.“

„Sind sie tot?“

„Ja.“

Shikaru nickte ruhig und machte Anstalten, seiner Partnerin und seiner Mutter hinaus in die Dunkelheit zu folgen. „Gute Nacht, Camille.“

*

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Ende des Kapitels

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Analyse

Xefua, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Aufbruch aus Konoha: 74h05min
 

Die alte, leere Hütte war staubig und dunkel. Und leer.
 

Ino liess sich leise seufzend mit dem Rücken zur kalten Wand auf dem Boden nieder und schloss die Augen. Ihre Chakrareserven waren vollständig aufgebraucht und der seit Wochen in ihrem Kopf pochende Schmerz hatte eine neue Intensität erreicht. Langsam bohrte er sich ihr Rückgrat hinunter...
 

Ein Rumoren liess sie aufblicken.
 

Yukatsuki hatte eine der Lampen, die Camille ihnen gegeben hatte, entzündet, und nachdem die Flamme sich beruhigt hatte, brannte sie mit einem stetigen Schein. Das unermüdliche Mädchen liess sich ebenfalls auf dem Boden nieder und begann, aus ihren Vorräten eine Mahlzeit zuzubereiten.

Nach einer Weile öffnete sich die Tür mit einem Quietschen und Shikaru kam herein, die Arme voller Holzscheite. Er häufte sie kunstgerecht in dem Kamin an der anderen Wand auf, schob ein wenig Papier in die Ritzen und entzündete es. Dann liess er sich neben Yuka auf den Boden sinken und beobachtete ihre Bewegungen.

Schliesslich drehte sich das Mädchen zu Ino um.

„Kommen Sie, Ino-San“, sagte sie sanft. „Sie müssen etwas essen.“

Aufseufzend quälte Ino sich an der Wand hoch, liess sich neben ihren Sohn sinken und versuchte die Übelkeit zu ignorieren, die durch ihren Körper schoss. Ich bin so etwas einfach nicht mehr gewöhnt, sagte sie sich leise und anklagend. Der warme Tee tat gut, aber mehr als ein Stück Brot brachte sie nicht hinunter. Shikaru und auch Yukatsuki aßen mit Appetit. In einvernehmendem Schweigen beendeten sie ihre Abendmahlzeit und unterhielten sich nur über Blicke. Es hatte auch für Ino eindeutig den Anschein, als verbände die Beiden mehr als nur eine lange Partnerschaft – aber sie würde sich hüten, auch nur ein Wort zu sagen. Schliesslich, nachdem Shikaru gedankenverloren für mehrere Minuten in seine Tasse gestarrt hatte, beendete er das Schweigen.

„Ein merkwürdiges Dorf, nicht wahr?“

Yuka nickte zustimmend. „Es gibt hier anscheinend nur noch ältere Leute, Menschen zwischen 28 und 70 Jahren. Aber keine Kinder.“

„Ja“, nickte der braunhaarige Shinobi zustimmend. „Ob es diese Krankheit war?“

„Das muss nicht sein“, sagte Ino leise. „Es ist ein zunächst langsam fortschreitendes, dann schnell entwickelndes Virus. Alle Patienten besitzen die selben Symptome: Fieber, Schmerzen und langsames Versagen der Muskeln. Wenn ich eine Prognose machen müsste“ – sie setzte kurz aus und dachte nach – „Dann würde ich sagen, die Menschen fällen im nächsten Stadium der Krankheit entweder in ein Koma, oder...“

„Oder es gibt kein nächstes Stadium“, sagte Yukatsuki. Ino nickte schwer.

„Was bedeutet das?“, fragte Shikaru.

„Das bedeutet, diese Krankheit kann nur den Tod nach sich ziehen.“

Sie alle schwiegen einen Moment lang.
 

Merkwürdig, dachte Yuka, wie sehr die Ohnmacht der Menschen in solchen Momenten deutlich wurde.
 

„Ich habe die Wasserversorgung und die Lebensmittel geprüft“, sagte Shikaru schliesslich und brach das unangenehme Schweigen. „Ich müsste sie in einem Labor untersuchen. Da wir hier keines haben, werde ich die Proben mit Urchin nach Konoha schicken. Je schneller sie dort sind, desto besser. Das Wasser zeigt eine hohe Konzentration von Schwermetallen. Eine solche Vergiftung kann tödlich sein, sie setzt die Signalweiterleitung im Körper teilweise oder ganz außer Kraft und blockiert die Muskeln. Das würde die Gliederschwäche der Patienten erklären, und den unregelmäßigen Puls. Aber das Fieber deutet darauf hin, dass es sich nur um eine simple Vergiftung handelt... Da steckt mehr dahinter.“

„Fieber tritt immer dann auf, wenn der Körper versucht, sich von Giftstoffen oder Viren zu befreien“, widersprach Ino-San. „Aber im Großen und Ganzen hast du Recht. Auch die Tatsache, dass diese Menschen unvorstellbare Schmerzen leiden... Was können wir tun?“

Zum ersten Mal in ihrem Leben sah Yuka Shikaru Nara nicht nur hilf- sondern auch völlig ideenlos.

„Ich weiß es nicht“, sagte er und hob die Hände in einer Geste der Hilflosigkeit. „Ich weiß einfach nicht mehr weiter.“

„Wir sollten Camille auf jeden Fall fragen, wie sich die Krankheit ausgebreitet hat“, sagte sie. „Dann finden wir mit Sicherheit heraus, wie und wo sie begonnen hat.“

Shikaru stand auf.

„Ich bitte sie darum, herzukommen. Wartet eben.“
 

Während der Shinobi aus dem Haus verschwand, stand Yuka auf und entnahm ihrem Reisebündel eine Rolle Pergament und Kohlestifte. Dann liess sie sich wieder neben Ino-San nieder und sah die Frau durchdringend an. „Geht es Ihnen gut?“

Bisher hatte sie Shikarus Mutter nur vom Sehen gekannt. Allerdings gehörte Ino-San zu den wenigen Kunoichi, die eigentlich jeder in Konoha kannte: sie gehörte zur Generation des Hokage, war mit ihm aufgewachsen und hatte an seiner Seite gegen die Akatsuki gekämpft. Sie war, wie auch Haruno Sakura, von der Fünften Generation unterrichtet worden. Sie war einige Jahre lang Mitglied der Anbu gewesen, hatte viel Zeit als Agentin und Assistentin des Leiters der Spezialeinheit gedient und war nebenbei eine der wichtigsten Ärzte des Dorfes. Das alles half Yuka jedoch nicht, sie so gut einzuschätzen, wie es ihr normalerweise bei Menschen gelang, mit denen sie einige Zeit zusammenarbeitete. So konnte sie zum Beispiel auch nicht sagen, was genau es war, das sie bei Ino Yamanaka-Nara störte, aber irgendetwas war... falsch.

Ein schwaches Lächeln überzog das eigentlich sehr schöne Gesicht der Ärztin und sie blickte auf.

„Ich bin etwas erschöpft. Aber es geht mir gut, Yukatsuki, keine Sorge.“

Die Hand, die sie auf Yukas Schulter gelegt hatte, sank langsam zu Boden, und sie schloss die Augen wieder. Besorgt legte Yuka ihre Hand auf Ino-Sans Stirn, aber sie war angenehm kühl, Kein Fieber, dachte sie erleichtert und streckte ihr Chakra aus, um tiefer zu fühlen. Doch plötzlich schoss Ino-Sans Hand nach oben und umklammerte ihr Handgelenk wie ein Schraubstock.

„Nein!“, zischte die Frau sie wütend an und unter ihren blonden Haaren schimmerten ihre blauen Augen zornig. Erschrocken fuhr Yuka zurück, aber ihre Hand liess sich nicht befreien.

„Ent... Entschuldigen Sie“, stammelte sie. „Ich wollte nur...“

Ino-Sans Blick wurde von einer Sekunde auf die Nächste wieder sanft. „Nein, Yuka, mir tut es aufrichtig leid. Aber wie ich schon sagte – mir geht es gut. Kein Grund zur Sorge.“

Yuka nickte, einen Kloß im Hals, sodass sie nichts hätte sagen können, selbst dann nicht, wenn sie gewusst hätte, was man in solchen Situationen sagte. Denn die kurze Berührung der Hand der Ärztin hatte gereicht, um ihr zu zeigen, was sie hatte sehen wollen – oder besser, nicht hatte sehen wollen. Was sie gehofft hatte nicht sehen zu müssen: Ino Yamanaka war unheilbar krank.
 

~*~
 

„Kommen Sie doch herein“, ertönte Shikarus Stimme aus dem dunklen Durchgang des Hauses und nach einigen Sekunden erschienen er und Camille von Xefua im Lichtschein des behaglichen Kaminfeuers. Damit war die Stille, die Yuka als höchst unbehaglich empfunden hatte, gebrochen, und erleichtert liess sich Yuka wieder auf ihren Platz sinken. Langsam kam Camille näher. Ihr schwartes Kleid hatte sie gegen ein gemustertes Nachthemd ausgetauscht, darüber trug sie einen abgewetzten roten Morgenmantel. Missbilligend blickte sie über den Rand ihrer Brille hinweg Ino an.

„Die Nacht ist zum Schlafen da. Habt ihr das in Konoha nicht so gelernt?“

Dennoch liess sie sich ächzend auf dem einzigen Hocker im Raum nieder, den Shikaru ihr höflich hinschob. Ino lächelte, eine Mischung aus Ingrimm und Verlegenheit.

„Wir haben leider nicht viel Zeit zum Schlafen“, erinnerte sie vor allem ihre jüngeren Teamkollegen an das Ultimatum, welches ihnen der Hokage gestellt hatte. Camille seufzte und zog den Morgenmantel enger um sich.

„Nun ja. Was wollt ihr wissen?“

„Wir werden ein Schema erstellen“, antwortete Ino. Yuka neben ihr griff zu Papier und Stiften, bereit, alles mitzuschreiben. „Wir müssen herausfinden, wann und wie sich diese Krankheit ausgebreitet hat. Wer wurde zuerst krank? Was war diese Person von Beruf? Wen von den anderen Erkrankten kannte sie ebenfalls? All solche Dinge. Die kleinste Information könnte wichtig sein.“

„Mein Gedächtnis ist leider nicht mehr so gut wie früher“, seufzte Camille. „Aber ich werde mich bemühen. Wie begann es... Das war an einem normalen Nachmittag. Da war...“
 

~*~
 

Konoha-Gakure, Dritter und letzter Tag des Erntefestes, Abend, 43h nach Ankunft der Botschaft
 

Heimkehr, glückliche Heimkehr.
 

Die Zeilen eines alten Kinderliedes spukten Shikamaru Nara im Kopf herum, als er die Mauern des ehrwürdigen Dorfes Konoha-Gakure endlich wieder vor sich aufragen sah. Oh Heimkehr...

Sanft schob sich der Mond hinter einer Wolke hervor und zeichnete weiche Silhouetten auf die Gebäude. Im Büro des Hokage brannte noch Licht. Shikamaru sehnte sich danach, nach Hause zu gehen, endlich wieder im eigenen Bett schlafen zu können – und seine Familie wiederzusehen. Aber das Pflichtgefühl liess ihn die Gegenrichtung einschlagen. Er wusste, Naruto war oft noch bis spät in die Nacht im Haupthaus, und Sunas Nachricht war wichtig.
 

~*~
 

„Nanu? Ashuria? Du bist ja noch da!“
 

Hinata kam zum abrupten Halt, als das Licht hinter den langen Fenstern zum Laborkomplex sah. Ashuria, die Assistentin des Hokage, sah vom Mikroskop auf. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, wirkte allerdings nicht so, als ob sie vor Müdigkeit umfallen würde. Manchmal fragte Hinata sich, ob diese Frau wirklich ein Mensch war: sie sprach so viele Sprachen, dass die Ärztin längst aufgehört hatte, sie zu zählen, hatte einen Abschluss in Biologie, Physik, Biochemie und Medizinwissenschaften, war eine Meisterin im Nah- und im Schwertkampf und eine der besten Anbu des Dorfes – und fand nebenbei noch Zeit, dem Hokage mit all dem Schriftkram zur Hand zu gehen, der sich im Laufe der Wochen vor ihm aufstaute.

Ashuria lächelte ihr zu, und plötzlich war Müdigkeit in ihrem Blick.

„Ich bin gleich fertig. Ich will nur noch herausfinden, was der Virusbestandteil im Gift ist.“

„Gift?“

Das Lächeln wurde freudlos. „Entschuldigen Sie bitte, ich präsentiere lieber vollständige Ergebnisse. Aber ja, es ist eine Mischung aus einem Gift und einem Virus, zu einer Art Immunotoxin verschmolzen, das darauf schliessen lässt, dass es künstlich synthetisiert wurde. Virenphagen haben das Toxin auf eine nie gesehene Weise in ihre eigene DNA integriert und damit auch in die DNA des Jungen. Dem Hokage muss ich es auch noch mitteilen.“

Ich bin unterwegs zu ihm, ich kann ihm darüber berichten“, schlug Hinata vor. „Gut“, willigte Ashuria ein und zog sich gedankenverloren die Handschuhe von ihren Händen. Hinata unterdrückte das Gefühl, dass es der Assistentin nicht zu gefallen schien, wenn sie Naruto noch so spät abends aufsuchte. Abgesehen davon, dass es unter normalen Umständen wirklich nicht angebracht war, hatte sie jedoch schon genug Zeit vertan... Sie musste endlich mit ihm über Ino sprechen.

„Du solltest trotzdem bald Feierabend machen“, wies sie sie nichtsdestotrotz freundlich an. „Müde und Überarbeitet hilfst du uns überhaupt nicht, weißt du.“

Tatsächlich lächelte Ashuria ihr zu.

„Ich werde daran denken.“ Damit drehte sie sich um, warf die gebrauchten Handschuhe in den dafür vorgesehenen Abfallbehälter und nahm sich ein Paar Neuer.

„Oh, oh“, murmelte Hinata besorgt und sah zu, wie sie hinter den Laborgeräten und Utensilien verschwand. Sie hätte härter durchgreifen müssen, sowohl als Kollegin als auch als Leiterin des Krankenhauses. Sie hätte ihr befehlen sollen, nach Hause zu gehen... Allerdings hörte Ashuria nur auf die Befehle einer Person.
 

Und zu der war sie gerade unterwegs.
 

*

*

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Ende des Kapitels

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Sturm

Konoha-Gakure, Dritter und letzter Tag des Erntefestes, 43h nach Ankunft der Botschaft
 

Ein kurzes, leises Klopfen an der Tür seines Büros liess Naruto aus seiner Lektüre aufschrecken.

Und sich wünschen, er wäre längst nach Hause gegangen.

Jahrelang gut versteckt gehaltener Schmerz drängte sich innerhalb von Sekunden zurück an die Oberfläche, brannte in jeder Faser seines Wesens – und wurde mit disziplinierter Gewalt wieder unterdrückt. Er war der Hokage der Sechsten Generation.

Er lächelte.

„Guten Abend, Hyuuga-San“, sagte er und erhob sich von seinem Sessel. „Kommen Sie doch herein.“

Die Frau betrat sein Büro beinahe zögerlich, doch dann wurden ihre Schritte fester und sie wurde wieder zu der Person, die er kannte. Dennoch wirkte ihr Lächeln gequälter als seines.

„Guten Abend, Hokage-Sama. Ich...“

„Naruto“, unterbrach er sie rasch. Er hatte die Förmlichkeit nie geliebt, und seinen Titel aus ihrem Mund zu hören war schmerzhafter als alles andere.

„Dann bin ich aber Hinata, ja?“, gab Hinata zurück und auf einmal war ihre Anspannung verschwunden. Das war Naruto. Er hatte sich überhaupt nicht verändert. Bevor er antworten konnte, fuhr sie auch schon fort: „Ich bin wegen Ino hier.“

Verwirrt runzelte Naruto die Stirn. „Worum genau geht es denn?“
 

Und plötzlich platzte es aus Hinata heraus.

Es war nicht das Gespräch, welches sie schon lange hätten führen müssen. Es war nicht das Thema, über das sie sich längst hätten aussprechen müssen und welches beide geflissentlich gemieden hatten. Es war die falsche Zeit, es war der falsche Ort – aber es war eine Konfrontation zwischen zwei Personen, die einander schon vor langer, langer Zeit hätten konfrontieren müssen.

„Wie konntest du sie nur gehen lassen? Sie ist schwer krank – das weißt du doch! Das sieht doch jeder, auch, wenn sie es verstecken will – nur du mal wieder nicht! Hast du ihre letzten Hirnscans gesehen? Ein Wunder, dass sie nicht vor Schmerzen schreit! Und du schickst sie auf eine Mission in ein Seuchengebiet?!“
 

Zuerst war Naruto einfach nur platt.

„Eigentlich“, antwortete er verwirrt, „Hat sie von sich aus angeboten, die Mission als leitende Ärztin zu begleiten.“

Hinatas weißen Augen funkelten ihn über den Tisch hinweg wütend an. „Sie hat darauf bestanden? Man schickt keinen Spielsüchtigen in die Stadt der Glücksspiele, auch, wenn er darauf besteht! Anscheinend hat sie vor, das Ganze zu einer Selbstmordmission ausarten zu lassen – und du lässt das auch noch zu? Zeigst du so den ach-so-herrlichen Schutz, den ein Hokage seinem Volk angedeihen lässt? Oh Gott, dann können wir alle darauf verzichten!“

Krachend knallten seine Hände auf den Tisch, als er aufsprang und sie kalt anfunkelte. Das war es, was sie zurückschrecken liess: er explodierte nicht. Sein Blick war eiskalt, kälter als ein Schneesturm im Winter, und seine Stimme ebenso. Aber er explodierte nicht.

„Und wie stellen Sie sich das vor? Soll ich mir von jedem meiner Shinobi eine komplette, aktualisierte und beglaubigte Krankheitsliste vorlegen lassen? Wenn ich diese Menschen hinausschicke, dann vertraue ich darauf, dass jeder einzelne von ihnen mit dem ihm gegebenen, gesunden Menschenverstand gesegnet ist, der ihn selbst entscheiden lässt, ob das Wagnis einer Mission für ihn vertretbar ist oder nicht. Wenn ich nicht darauf vertrauen kann, dass man mir die Wahrheit über den Zustand meiner Leute sagt – worauf dann?“

Auf den Tisch flog ein brauner Aktenordner, abgewetzt vom langjährigen Gebrauch. Inos kleine Handschrift kennzeichnete ihn mit einer Reihe von Zahlen. „Schau dir das an!“

Ruhig schlug Naruto den Order auf und starrte unbewegt auf das MTR auf der ersten Seite.

„Und was wollen Sie, dass ich da sehe?“

Jetzt stampfte Hinata wirklich mit dem Fuß auf. „Hör endlich auf, mich zu siezen! Ich will, dass du es dir ansiehst!“

„Ich bin kein Mediziner!“, rief Naruto aus, und eine Note Verzweiflung kroch in seine Stimme und fügte der kühlen Fassade erste leichte Risse zu.

Einen Augenblick lang starrte sie ihn über seinen Schreibtisch hinweg nur an, dann senkte sie ihren Blick, merkwürdigerweise beruhigt von der Sorge, die sie in seinen Augen sah.

„Ihre Krankheit meldet sich wieder, anscheinend schon seit Wochen. Sie hat es gut versteckt, das MRT ist vom Anfang des Monats. Sie hat wahrscheinlich Kopfschmerzen und die anderen Symptome kommen wahrscheinlich auch wieder. Diese Mission...“

Ihre Simme drohte zu versagen. „Diese Mission könnte ihre letzte sein, verstehst du?“

„Das habe ich wirklich nicht gewusst“, sagte er leise und angespannt. „Wirklich nicht.“

Sie glaubte ihm.

„Es tut mir leid, dass ich gesagt habe, dass du ein schlechter Hokage bist“, sagte sie schließlich. „Dass du nicht loyal bist und deine Pflicht nicht erfüllst... Das ist nicht wahr.“

„Danke“, sagte er in einem Ton der amüsierten Resignation. „Und du bist die beste Ärztin in Konoha. Du verstehst, warum ich dich nicht schicken konnte.“

„Ino ist doch genauso gut.“

„Ja, aber Ino ist nicht die Oberärztin.“

Er hatte Recht.

Er hatte immer Recht.

„Was mache ich jetzt?“, fragte sie schließlich, und beide waren sich bewusst, dass es eine rein rhetorische Frage war.

„Du musst gar nichts tun“, sagte Naruto und strich sich mit beiden Händen durchs Haar, sodass es noch schlimmer abstand als gewöhnlich. „Yuka und Shikaru sind ja bei ihr. Sie passen schon auf sie auf. Mach dir keine Sorgen.“

Als Hinata realisierte, dass er sie duzte, hätte sie beinahe begonnen, zu lachen und gleichzeitig zu weinen.

Ein leises Räuspern an der Tür liess sie herumfahren. Auch Naruto sah erstaunt auf. „Heute bekomme ich aber viel Besuch...“

Er brach ab, als er sah, wer in seiner Tür stand.

„Ich störe nur ungern das Gespräch, aber da es sich um meine Frau handelt, von der ihr sprecht, würde ich wirklich gerne wissen, was es mit dieser Selbstmordmission in Seuchengebiete auf sich hat. Und wenn möglich, ziemlich schnell.“
 

Unter anderen Umständen hätte Shikamaru die zwei Paar Blicke, die ihn erschrocken ansahen, als lustig empfunden. Unter anderen Umständen wäre er entsetzt gewesen von dem Ton, den er selbst angeschlagen hatte.

Allerdings schien der Hokage heute milde gestimmt zu sein, wenn seine Untergebenen ihn kritisierten.

„Shikamaru. Ich schätze, dich erst zu fragen, was Suna bereits gegen ihre Situation unternommen hat, ist zwecklos. Komm herein. Keine Sorge – Ino geht es gut, zumindest war es so, als sie von hier aufbrach. Sie ist unterwegs mit Shikaru und Yukatsuki...“

„Mich interessiert eher, wohin und weshalb sie unterwegs ist“, unterbrach Shikamaru.

„Hyuuga-San“, sagte Naruto. „Könntest du Shikamaru berichten, was du weißt? Ich bin dafür wahrscheinlich denkbar ungeeignet.“
 

Shikamaru hörte schweigend zu, wie Hinata für ihn noch einmal Inos Zustand zusammenfasste.

„Sie schien unbedingt gehen zu wollen, weil...“ Hilfesuchend warf sie Naruto einen Blick zu, der ergänzte: „Weil sie sich schuldig fühlte, dass sie den Boten nicht hatte retten können.“

Shikamaru starrte den Hokage eine Zeit lang mit steinernem Gesicht an, dann wandte er sich ab. Es gefiel ihm nicht, dass noch jemand außer ihm Ino so gut lesen konnte. Aber Naruto war nicht umsonst Hokage geworden.

„Klingt ganz nach Ino“, bestätigte er knapp und sah auf, aber Naruto winkte sofort ab.

„Nein, kommt nicht in Frage. Ich brauche dich hier. Und Ino würde mich umbringen, wenn ich dich hinterherschicke, nur weil du dir Sorgen um sie machst.“

Da war was dran, dachte Hinata, gegen ihren Willen amüsiert. Dann fiel ihr Ashuria ein.

„Da ist noch was“, sagte sie. „Ashuria hat beinahe herausgefunden, was den Tod des Jungen verursacht hat: Es ist ein Immunotoxin aus einem Schwermetall und einem Virus, wobei der Virus durch seine eigene Verbreitung im Nervensystem das Schwermetall weiterträgt. Man müsste also nicht nur ein Gegengift, sondern auch ein Antivirus entwickeln.“

„Vielleicht sollten wir eine Probe des Immunotoxins nach Suna-Gakure schicken“, überlegte Naruto.

„Nein, das würde nichts bringen. Sie haben kaum fortschrittlichere Methoden als wir. Außerdem haben sie einen nur eingeschränkten Bedarf an Heilkräutern und Ähnlichem, und den brauchen sie für sich selbst.“

„Und außerdem hat Suna andere Probleme“, warf Shikamaru ein. Der Hokage sah ihn entsetzt an und bedeckte dann seine Augen mit einer Hand. „Noch mehr? Um Gottes Willen. Ist es wichtig oder kann ich mir erst Morgen darüber Gedanken machen?“

Shikamaru überlegte kurz.

„Das hat Zeit bis Morgen.“

„Dann macht es euch sicherlich nichts, wenn ich euch nun hinauswerde“, sagte Naruto, lächelte aber.

„Nein, natürlich nicht“, sagte Hinata. Ihr Blick wanderte zur großen Uhr an der Wand: es war lange nach Mitternacht.

„Gute Nacht, Naruto“, sagte sie leise. Shikamaru folgte ihr. Die Tür zum Büro des Hokage fiel mit einem leisen Laut hinter beiden ins Schloss.
 

Hinata machte sich auf den Heimweg und kam nicht umhin, den Stachel des Mitleids zu unterdrücken: sie und Shikamaru kehrten in ein Haus zurück, in dem normalerweise – wenn alle Angehörige anwesend waren – laut und freundlich und lebendig war. Naruto blieb nachts in seinem Büro, aus dem die Geister der verstorbenen Hokage nicht vertrieben werden konnten... Und wie immer sagte sie sich mit einem schlechten Gewissen, dass es eigentlich ihre Schuld war.
 

Xefua, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Aufbruch aus Konoha: 77h
 

„Na also“, seufzte Yuka und blickte zufrieden, wenn auch müde auf das in ihrer winzigen Schrift vollgeschriebene Blatt Papier hinunter. Camille sah so aus, als würde sie gleich einschlafen, Ino fühlte sich ähnlich. Shikaru stand mit den Händen in den Taschen neben der Tür, wo ihm die frische Nachtluft einen klaren Kopf bescherte.

„Ist es gut?“, fragte die alte Frau schliesslich.

„Wunderbar“; sagte Yuka nun und lächelte stolz. „Ich bin keine Biochemikerin, aber ich weiß, wann ich auf den Grund der Tatsachen stoße.“

„Na also“, brummte Shikaru und kam hinüber. Sanft nahm er Camille beim Arm. „Ich bringe Sie zurück zu Ihrem Haus. Sie müssen müde sein.“

„Müde ist gar kein Ausdruck, junger Mann“, brachte die alte Frau heraus und stützte sich auf ihn. „Aber was solls. Man hilft, wo man kann.“

„Vielen, vielen Dank“, sagte Yuka. Die Analytikerin in ihr zog die letzten Schlüsse und liess sich zufrieden zurücksinken.

„Und Gute Nacht.“

Shikaru verschwand mit ihr und Yuka wandte sich zu Ino-San um, die während der letzten halben Stunde an der Wand gelehnt hatte, die Augen geschlossen.

„Ino-San?“, fragte sie leise. „Wir sind fertig.“

„Kopfschmerzen“, stöhnte die Frau so leise, dass Yuka sich vorbeugen musste, um sie zu verstehen. Schnell holte sie eine Flasche sauberen Wassers und löste eine Schmerztablette darin.

„Hier“, sagte sie und liess die Ärztin trinken. Dann liess sie ihr Chakra fließen und verfuhr genau so, wie Ino-San es ihr am Morgen gezeigt hatte: Sie blockierte die Schmerzrezeptoren, vorsichtig, bis sich der verkrampfte Körper der Frau entspannte. Dann nahm sie deren Decken, bereitete sie auf dem Boden aus und kehrte zu ihr zurück. Sie hätte es nicht gedacht, aber es gelang ihr ohne Probleme, sie hochzuheben. Wie dünn die Ärztin war! Vorsichtig legte Yuka sie auf ihre Decke und breitete eine zweite auf ihr aus. Ino-San schlug die Augen auf.

„Bitte, sag ihm nichts“, flüsterte sie so flehentlich, dass Yukas Herz sich zusammenzog. Sie nickte mit zugeschnürter Kehle. Die Frau schloss die Augen und schlief ein.

Minuten später war auch Shikaru wieder da. Stumm rollte er sein Lager auf der anderen Seite des Raumes auf und beobachtete, wie Yuka das selbe tat. Schliesslich herrschte Stille, nur im Feuer krachten leise einige Scheite.

„Gute Nacht, Yuka.“
 

Stille.

Zwei Paar tiefer, ruhiger Atemzüge erfüllten bald den Raum. Yuka lag nur noch kurz wach, dann fiel auch sie in einen tiefen Schlaf.

*

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Ende des Kapitels

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Gesetz der Gleichzeitigkeit

Xefua, Norden des Feuerreichs, Zeit seit Aufbruch aus Konoha: 89h34min
 

„Careen?“, flüsterte der Mann und hustete dann keuchend. „Nein“, gab Yuka ebenso leise zurück und lächelte. Ihr Patient seufzte und schloss die Augen. Sein Atem wurde ruhiger, als er in den Schlaf hinüberglitt. Nach nur fünf Stunden Schlaf waren sie und Ino-San wieder aufgerüttelt worden: Camille rief hilflos nach ihnen, weil die Chakrablockade, welche sie auf die Schmerzrezeptoren der Kranken gelegt hatten, so weit ausgedünnt war, dass die ersten Kranken nicht mehr ruhig schliefen und sich hin und herwälzten. Den beinahe noch schlafenden Shikaru im Schlepptau, hatten sie sich wieder aufgerafft und sich wieder an die Arbeit gemacht.
 

Mittlerweile, nach fast acht Stunden, hatte Ino-San eine Möglichkeit gefunden, die Vermehrung der Viren so weit zu verlangsamen, dass die Krankheit zumindest zeitweise aufzuhalten zu sein schien. Dies jedoch änderte nichts an der Tatsache, dass sich das Gift bereits im Organismus der Menschen befand.
 

~***~
 

Besorgt hatte Yuka beobachtet, wie die Ärztin im Laufe des Tages immer blasser und stiller wurde.

Ihre Hände, die Patienten sanft behandelten, als wären sie zerbrechliche Blumen – diese Hände begannen nun nach den Anstrengungen so stark zu zittern, dass selbst Ino-San es nicht mehr ignorieren konnte.

„Brauchen Sie eine Pause?“, fragte Yuka schliesslich. Ino seufzte leise und nickte, beinahe wiederstrebend.

„Das wäre vielleicht das Beste.“

Yuka richtete sich aus ihrer knienden Position am Boden auf. „Okay.“

Von unten her starrte Ino sie merkwürdig an. „Ich will allein sein“, sagte sie und umklammerte den Anhänger, der an einem Lederband um ihren Hals hing. Ihre Knöchel färbten sich weiß, so fest war der Griff.

Unglücklich sah Yuka sie an.

„Lass mich allein“, bat Ino-San und sah sie flehentlich an. Yuka schwieg. Sie hatte ihre Befehle – Schild und Schatten. Die Ärztin war das wichtigste Mitglied des Teams. Und sie war krank.

„Bitte, Yukatsuki“, wiederholte Ino-San wieder. „Nur für eine Stunde. Ich respektiere die Befehle des Hokage. Aber ich werde verrückt, wenn ich noch länger so eingeengt werde.“ Sie bemerkte den verletzten Blick des Mädchens.

„Ach Kind.“ Ihre Stimme wurde sanft.

Yuka hatte bereits nachgegeben, das sah sie an der Art, wie die Schultern des Mädchens fielen und sie den Kopf sinken liess.

„Nur für eine Stunde.“

Erleichtert nahm sie nun endlich die dargebotene Hand und liess sich hochziehen.

„Bis gleich.“

Yuka sah ihr nach und seufzte. Dann rief sie die Elementardrachen.
 

~***~
 

„Mum!“

Yuka fuhr auf, als Shikaru in das Haus gestürmt kam und sich nach allen Seiten umsah. „Yuka, komm schnell!“

In Sekunden hatte sie die Tasche, welche ihre Ausrüstung enthielt, gepackt und lief hinter ihm her.
 

Konoha-Gakure, Vierter Tag seit der Ankunft der Botschaft, Morgens
 

Durch ein lautes Krachen geweckt, schreckte Naruto Uzumaki, Hokage der Sechsten Generation, aus seinem Schlaf auf dem Sofa in seinem Büro auf. Draußen auf dem Platz schien etwas vor sich zu gehen, was viel Lärm und noch mehr Geräusche beeinhaltete, und irritiert rieb er sich die Augen.

„Ashuria? Was ist los?“

Stille antwortete.

Langsam setzte Naruto sich auf. Wieviel Uhr war es nur? Ein Blick auf die Wanduhr bestätigte: Es war längst Zeit für ihn, den täglichen Verwaltungspapierberg des Dorfes in Angriff zu nehmen. Draußen begann das Dorf mit dem Aufräumen nach dem Fest. Im Licht der Morgensonne glänzte der Erdboden vom nächtlichen Regenguss.

Naruto trat vom Fenster zurück und sah erneut auf die Uhr. Wo Ashuria nur blieb? Pünktlichkeit war neben ihren weiteren Qualitäten eine der Dinge, die sie auszeichnete – die sie besonders auszeichnete. Merkwürdig, wunderte er sich. Wie lange war sie bereits seine Assistentin? Mehr als zehn Jahre. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sie jemals unpünktlich gewesen war.

Dann fiel ihm ein, dass Hinata Hyuuga ihm berichtet hatte, dass Ashuria vermutlich die ganze Nacht im Labor gewesen war. Was auch bedeutete, dass Ashuria die allerneusten Informationen bezüglich des Virus haben musste... Und genau in diesem Moment brauchte Naruto nicht nur Kaffee, sondern auch gute Neuigkeiten. Deshalb schloss er die Bürotür hinter sich und machte sich auf die Suche nach seiner Assistentin.
 

~***~
 

Inoshia Yamanaka schaute gerade von einigen Grünpflanzen auf, als die Türglocke des Blumengeschäfts melodisch bimmelte. Hinein spazierte ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann mit der obligatorisch grünen Shinobiweste.

„Guten Tag! Was kann ich für Sie... Papa!“

„Shia“, grüßte ihr Vater sie zurück, knapp wie immer.

Sie lächelte und fuhr in ihrer Arbeit fort.

Shikamaru wandte sich um, um seinen Blick über die Umgebung streifen zu lassen. Er kannte jede einzelne der Pflanzen im Raum – ebenso wie Ino jede der Pflanzen kannte.

„Warum bist du hier, Papa?“, fragte Inoshia, während sie weiterhin silbernen Kletterwein mit dünnen, grünen Schnüren an einem Klettergatter befestigte.

„Nur so“, behauptete Shikamaru. Sie beobachtete aus den Augenwinkeln heraus, wie ihr Vater durch den Laden wanderte und seinen Blick über die Blumen schweifen liess. Wieder herrschte Ruhe im Geschäft.

Und Inoshia fragte sich nicht zum ersten Mal, wen Shikamaru sah, wenn er sie ansah: seine Tochter – oder seine Frau.
 

Xefua, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Aufbruch aus Konoha: 89h55min
 

„Was ist los?“, stiess Yuka atemlos hervor und liess sich neben der Patientin auf die Knie fallen. Camille stand daneben und sah bitter auf sie herab.

„Es ist geschehen“, sagte sie leise, und Yuka stieg der Geschmack bitterer Galle in die Kehle. Es war geschehen – das hieß, die Frau war nun ins Koma gefallen und schlief nun einen Schlaf, aus dem sie vermutlich nicht wieder erwachen würde. Yuka biss die Zähne zusammen und sandte ihr Chakra in einem einzigen, blauen Strom in die Frau. Komm zurück, formten ihre Lippen lautlos, als sie die Augen schloss und in das eintauchte, was manche Menschen die Seele nannten. Komm zurück!

Ihre Stimme hallte in einem leeren Raum wider.
 

Vergeblich.

Sie konnte nichts mehr finden, kein Zeichen von Individualität, kein Rest von Leben. Nur Dunkelheit lauerte im Körper der Frau, ächzende, beängstigende Leere, die plötzlich von allen Seiten auf Yuka einströmte und sie zu erfüllen drohte. Hastig zog Yuka sich zurück und liess sich, noch immer mit geschlossenen Augen, auf ihre Fersen zurücksinken. Shikaru hinter ihr stand starr und stumm. Schließlich öffnete sie die Augen und sah auf Rafaelle nieder, deren Brust sich kaum noch hob und senkte.

„Es tut mir leid um deine Schwester“, sagte sie leise zu Camille. Die nickte nur und strich mit einer Hand sanft über das ausdruckslose Gesicht.

„Sie war immer so schwach“, sagte sie heiser. „Bei der Geburt ihres Kindes dachte man, sie würde sterben, aber sie weigerte sich. Sie tut es auch jetzt noch. Schwache Menschen können so unglaublich stark sein.“

Yuka stand vorsichtig auf und wurde sich plötzlich bewusst, wie viel Chakra die kurze Reise ins Innere der Frau gekostet hatte. Schwankend streckte sie die Hand aus und hielt sich an Shikaru fest.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte der besorgt und packte ihren Arm.

„Ja“, sagte sie und wandte ihm den Rücken zu, um den Raum zu verlassen. Nur eine Sache auf der Welt gab es, das sie tun konnte, um ihre eigenen Schuldgefühle – egal wie irrational – zu vergraben: Arbeit.
 

Aber draußen angekommen blieb sie wie angewurzelt stehen.
 

Der Teil ihres Geistes, der über die Elementardrachen mit Ino-San verbunden war, begann plötzlich, Alarm zu schlagen. Aufkeuchend taumelte sie, als sie in Sekundenschnelle erlebte, was der Ärztin zustiess: Stechender Schmerz im Kopf, der sich über das Rückgrat hinaus in Schultern, Arme und Rücken ausbreitete, liess sie sich zusammenkrümmen und ihr schwarz vor Augen werden. Keuchend versuchte sie Luft zu holen und sank zu Boden, hilflos bemüht, kein Geräusch von sich zu geben. Die Wellen des Schmerzes schien kein Ende zu nehmen, und doch wusste sie, dass dies nur der Bruchteil der Intensität dessen verspürte, was Ino-San wahrnahm. Vorsichtig versuchte sie, die Bindung zu lockern, während sie gleichzeitig nichts mehr wollte, als der kranken Frau ihre Schmerzen abzunehmen. Die Ärztin litt so sehr, dass Yuka die Tränen in die Augen schossen. Sie blieb, wo sie war – auf den Erdboden – und weinte leise, während die Ärztin die von ihr entwickelte Methode der Schmerzrezeptorunterdrückung langsam und qualvoll anwandte, erschöpft von der harten Arbeit. Langsam liess der Schmerz nach und sowohl Ino-San als auch Yuka hockten auf ihren Fersen, zitternd und tränenblind – als Yuka plötzlich spürte, wie sich jeder Muskel im Körper der Ärztin aufbäumte und in Bereitschaft versetzt wurde.
 

Sie sah die Gegner nicht, gegen die die Ärztin sich zur Wehr setzen musste. Stattdessen verfolgte sie, wie Ino-San sich innerhalb von Sekunden kampfbereit machte, wie schnell ihre Reflexe zum Einsatz kamen, die sie jahrelang trainiert hatte.

Aber Yuka wusste, dass die Kampfbereitschaft der Ärztin nicht helfen würde. Von dem, was sie wage wahrnahm, waren die Gegner in der Überzahl, und Ino-San war müde und geschwächt. Sie konnte gar nicht gewinnen, aber sie kämpfte, wehrte sich mit allem, was sie hatte – Wissen, Erfahrung, mentale Stärke -
 

Und abrubt wurde die Verbindung unterbrochen und Yuka war allein.

*

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Ende des Kapitels

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Loyalitäten

Xefua, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Ankunft: 31h26min
 

Yuka hörte einen hohen, schrillen Laut, langgezogen und qualvoll, und erst als Shikaru und Camille aus dem Haus gestürmt kamen bemerkte sie, dass sie selbst es war die schrie.
 

Ein leichenblasser Shikaru packte sie an den Schultern und schüttelte sie, aber erst nach einer Weile drangen seine Worte zu ihr durch. „Yukatsuki! Was ist los? Antworte!“

In die folgende Stille hinein starrte sie ihn an. Sorge war in sein Gesicht geschrieben, Sorge um sie, Sorge, die sie nicht sehen wollte, weil er sie nie wieder ansehen würde, wenn er erfuhr, was sie getan hatte – was sie zugelassen hatte – und weil das letzte, was sie in seinen Augen sehen wollte, ganz sicher kein Mitleid sein sollte.

Ino-San war tot, und es war ihre Schuld. Yuka schluchzte auf und presste beide Hände vor ihr Gesicht.

„Shikaru – es tut mir leid – es tut mir so leid!“

„Yuka, das mit Rafaelle wäre auch meiner Mutter passiert. Das ist nicht deine Schuld!“

Durch einen Tränenschleier hinweg sah sie ihn an. „Nein, nicht Rafaelle – deine Mutter! Deine Mutter ist – sie ist...“

Shikaru packte ruckartig ihre Handgelenke und zog ihre Hände von ihrem Gesicht weg. Sein Griff war hart und schmerzhaft.

„Was ist mit ihr?“

„Sie wollte eine Pause machen – sie ist weggegangen – nur für eine Stunde! Ich habe sie überwacht, die ganze Zeit, aber dann ist sie angegriffen worden und dann...“
 

Yuka brachte es nicht über sich,ihn anzusehen. Ihr Blick blieb auf den Boden gerichtet. Als er nichts sagte, sah sie ihn schliesslich an und erschauerte. Sein Blick war eiskalt und hart.

„Wo?“
 

Yuka senkte ihren Blick wieder und Shikaru sah Verzweiflung in ihrem Ausdruck. Gewaltsam unterdrückte er die Taubheit, die in seinen Gliedern aufsteigen wollte und die aus der Sorge und der plötzlichen, überwältigenden Angst um seine Mutter herrührte.

„Wo?“, fragte er und versuchte sich zu sammeln, er musste nachsehen gehen, er würde es nicht glauben, ehe er es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Yuka kniete noch immer vor ihm. Sie machte Anstalten, aufzustehen, sank aber wieder zurück. Shikaru sah sie an und blickte in ein schmerzverzerrtes Gesicht – erst da wurde ihm klar, dass er ihr Handgelenk noch immer fest umklammert hielt. Yuka gab keinen Laut von sich. Er liess ihre Hand so schnell los, als habe er sich an ihr verbrannt. Die roten Striemen um ihr Gelenk brannten sich in sein Gedächtnis ein, sodass er sich abwenden musste, weil er sich anwiderte.

„Zeig es mir“, befahl er rauh.
 

Irgendwo, Norden des Feuerreiches, Nachmittag
 

Von den Eindrücken, die Ino-San wahrgenommen hatte und unbewusst an sie weitergegeben hatte, setzte sie sich selbst ein Bild zurecht und folgte den subtilen Spuren, die selbst Shikaru nicht mehr wahrnahm.
 

Blind folgte der ihr durch den Wald und konnte und wollte nicht glauben, was angeblich passiert sein sollte. Nein, seine Mutter war nicht – konnte nicht! tot sein. Wie sollte er das seiner Schwester erklären? Seinem Großvater? Und am allerschlimmsten: seinem Vater?
 

Plötzlich blieb Yuka abrupt stehen. Ohne sich umzudrehen, sagte sie: „Hier.“
 

Der Shinobi sprang zu Boden. Er sah eine kleine Waldlichtung mit einem einzigen, dünnen Flusslauf – eine Insel inmitten des Waldes. Seine Mutter hatte ein Paradies gefunden und war dort gestorben.

Shikarus rastloser Blick fegte hin und her, über die Lichtung und zurück, und sah...

Niemanden.

Nichts.
 

Nicht einmal eine Leiche.
 

Shikaru Nara überfielen mehrere Gefühle gleichzeitig.

Er versuchte sie erst gar nicht voneinander zu trennen: Da waren zuallererst Dankbarkeit für die Tatsache, dass seine Mutter noch am Leben war, Erleichterung, dass man nirgendwo Blut sah und es ihr vermutlich gut ging, Glück, Erleichterung, dass er seinem Vater die schlechte Nachricht nicht zu übermitteln brauchte.

Tief atmete er ein und strich sich über das Haar.

„Das macht das Ganze natürlich kompliziert“, murmelte er und drehte sich zu Yuka um. Die stand hinter ihm, ihren Kopf gesenkt. Shikaru hatte in den letzten Tagen bemerkt, dass die Beziehung zwischen seiner Mutter und Yuka enger geworden war. Entsprechende Gefühle spiegelten sich auf dem schönen Gesicht seiner Partnerin.

„Es tut mir leid“, sagte sie wieder. Ihre goldenen Augen vermieden den Blickkontakt.

„Ich hätte sie nicht aus den Augen lassen dürfen. Ich werde die volle Verantwortung auf mich nehmen.“

Überrascht starrte Shikaru sie an.

Der traditionelle Satz, mit dem ein Untergebener einem Vorgesetzten einen Fehler eingestand und die Schuld auf sich nahm, klang völlig fehl am Platz. Yuka sah aus wie ein verwundeter Vogel – und plötzlich konnte er sich nicht mehr daran erinnern, warum er so wütend auf sie gewesen war, so wütend, dass er auf dem gesamten Weg kein einziges Wort mit ihr gesprochen hatte. Aber sie trug ebenso wenig die Schuld wie er.

„Ich nehme an, es war eine gezielte Entführung“, sagte er langsam. „Was bedeutet, dass sie etwas mit ihr vorhaben, und wenn sie uns nur zu einer bestimmten Reaktion zwingen wollen. Ich werde Urchin nach Konoha schicken. Wir werden uns wohl verspäten.“

Der Blick seiner Partnerin wurde hart.

„Es ist meine Schuld, dass sie ungeschützt war. Ich habe Mist gebaut. Du bist Teamleiter, dir wurde befohlen, morgen zurückzukehren. Du musst in Konoha dabei helfen, die Informationen auszuwerten.“

Shikaru wollte sagen, dass er auch eine Pflicht gegenüber seiner Familie hatte, aber Yuka liess ihn nicht aussprechen. „Ich werde Ino-San finden und sie zurückbringen.“

Ohne ihn anzusehen, wusste sie, dass er sie anstarrte. Dann schüttelte er den Kopf.

„Ich bin der Teamführer, das hast du selbst gesagt. Wir brechen Morgen auf und suchen sie – zusammen. Urchin bringt die Informationen nach Konoha. Er wird uns entgegenkommen. Heute Nacht werden wir uns ausruhen.“

Er spielte darauf an, dass sie sich heute zu sehr verausgabt hatte, und Hass quoll in ihr herauf. Nicht auf Shikaru, sondern auf sich selbst.

„Habe ich mich klar ausgedrückt?“

Steif nickte sie zum Zeichen, dass sie seine Befehlsgewalt akzeptierte, wenn sie schon seine Entscheidung nicht guthieß.

Shikaru trat einen Schritt vor und tat etwas, was er bisher noch nie getan hatte: er berührte ihr Gesicht. Genauer gesagt, er hob ihr Kinn an, sodass sie gezwungen war, ihn anzusehen. Seine braunen Augen bohrten sich unerbittlich in ihre.

„Du wirst keine Alleingänge beginnen, weder heute noch morgen. Du ruhst dich aus und dann machen wir uns zusammen auf die Suche. Hast du mich verstanden?“

Yuka schlug die Augen nieder.

„Ja.“
 

Xefua, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Ankunft: 35h06min
 

„So, Urchin“, sagte Shikaru leise und überprüfte zum letzten Mal den Transportbehälter am Halsband des Schattenwolfes.

„Nach Konoha. Du weißt Bescheid?“

Der Schattenwolf japste zur Bestätigung, fuhr Shikaru mit der rauhen, nassen Zunge über die Hand und sprang. Gerade noch konnte Shikaru ihn sehen, wie er pfeilschnell durch die Luft schoss, dann verschwand er im Schatten eines Hauses und tauchte nicht wieder daraus hervor. Fasziniert, selbst nach Jahren, blieb Shikaru einige Sekunden lang stehen und sah ihm nach. Dann wandte er sich um und ging schnellen Schrittes zurück zu dem Haus, in dem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten.

Yuka lag dort bereits auf dem Boden, in ihre Decken gerollt, und starrte abwesend ins Feuer. Die goldenen Pupillen glänzten – sie wirkte mehr wie eine Katze denn je. Und sie musste müde sein. Sie hatte den gesamten Tag damit verbracht, Kranke zu untersuchen und mit Camille zu pflegen, ihnen zu Trinken zu geben, sie zu waschen und die Bettrollen neu zu richten. Und trotz allem war es ihnen nicht gelungen, einen Weg zu finden, wie diese Menschen geheilt werden konnten... Shikaru seufzte und liess sich ebenfalls auf seinem Lager nieder. Sie mussten nach Konoha. Dort, mit den geeigneten Laboren und Forschungsmethoden und dem Hintergrundwissen der Ältesten und der Forscher, würden sie vielleicht eine Möglichkeit finden, wie man diese Seuche heilen konnte... Aber sie konnten nicht zurück.

Trotz der Wärme im Raum schauderte Yuka und rollte sich enger in ihre Decken ein. Er versuchte, ihren Blick einzufangen, aber sie wich ihm beharrlich aus. Vermutlich war sie einfach erschöpft.

„Gute Nacht“, sagte er leise. Beim Klang seiner Stimme zuckte sie ein wenig zusammen und er runzelte die Stirn. „Ruh dich aus.“
 

Yuka antwortete nicht, sondern drehte sich auf ihrem eigentlich bequemen Lager hin und her. Irgendwann hörte sie ihn erneut seufzten und blieb wie angewurzelt liegen.

„Kannst du nicht schlafen?“, fragte er leise. Sie schüttelte den Kopf, bis ihr einfiel, dass er die Bewegung wahrscheinlich gar nicht sehen konnte. „Nein.“

Es raschelte, als er sich aufsetzte. „Du könntest mir eine Geschichte erzählen.“

„Was?“ Vor Schreck klang ihre Stimme heiser. Ein leises Lachen drang zu ihr herüber.

„Komm schon.“

Yuka schwieg eine Weile.

„Du hast Glück mit deinen Eltern“, sagte sie schließlich leise.

Überrascht blickte er sie an. Im Licht der glühenden Scheite des Feuers sah er nur ihr Profil. „Warum?“

„Sie lieben sich, oder nicht?“

Langsam sank er in seine Decken zurück. „Inoshia hat einmal gesagt, wenn die beiden in einem Raum seien, wäre es, als wären alle anderen Menschen von der Erde verschwunden.“

Inoshia hatte bitter geklungen.

„Sie sind glücklich zusammen“, sagte Yuka. „Sie können zusammen sein. Wenn Liebe immer so einfach wäre, wären viele Menschen glücklicher. Nicht alle Geschichten sind glücklich.“
 

Liebe musste eine wirklich komplizierte Sache sein, dachte Naruto Uzumaki, während er dem bunten Treiben der Menschen auf den Straßen von Konoha von seinem Aussichtsplatz über den Granitgesichtern der vorangegangenen Hokage aus zusah. Denn wenn Liebe einfach war – warum sprachen dann alle Menschen andauernd davon?

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Ende des Kapitels

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4. Nacht - Für alle Vergessenen und Verlorenen

Liebe musste eine wirklich komplizierte Sache sein, dachte Naruto Uzumaki, während er dem bunten Treiben der Menschen auf den Straßen von Konoha von seinem Aussichtsplatz über den Granitgesichtern der vorangegangenen Hokage aus zusah. Denn wenn Liebe einfach war – warum sprachen dann alle Menschen andauernd davon?

Und warum gab es so viele unglückliche Menschen?

Nun, ab und an schien es Ausnahmen zu geben. Manche Menschen schienen miteinander glücklich zu sein, scheinbar endeten nicht alle Ehen damit, dass die Kinder den Eltern die Kehlen aufschlitzten und ihre Heimat verrieten.

Aber dennoch kam es dem 18-jährigen Shinobi mit dem ewig strubbeligen Haar so vor, als wäre die Liebe für einen Großteil des Unglücks und des Leids auf der Welt verantwortlich.
 

Nach naheliegenden Beispielen brauchte er nicht einmal lange zu suchen. Sie befanden sich direkt vor seinen Augen, aufgereiht und ordentlich. Wenn er wollte, konnte er sie nach dem Alphabet sortieren.
 

Da waren zum Beispiel Asuma- und Kurenai-San.

Die dunkelhaarige, stille Frau war nie wieder die Selbe gewesen, seit Team Vier an einem regnerischen Herbsttag mit dem kalten, blutigen Körper ihres Lehrers nach Konoha zurückgekehrt waren. Weil sie ihn geliebt hatte – den ewig mürrischen, kettenrauchenden Shinobi.

Oder Jiraiya und Tsunade.

Dass Jiraiya es beharrlich vermied, bei dem Dorfoberhaupt vorzusprechen, obwohl er sonst niemals Frauen aus dem Weg ging – das sagte Naruto alles. Das sagte vermutlich jedem Dorfbewohner etwas, nur Tsunade schien es nicht zu begreifen... Deshalb war Jiraiya vermutlich auch immer unterwegs, überall in den Reichen, nur nicht hier.

Diese Liste hätte Naruto noch eine Weile weiterführen können, bis er am Ende unweigerlich zu den Personen kam, die ihm am Nächsten standen: Sasuke und Sakura.
 

Naruto stützte sein Kinn auf seine Hand.

Seit über acht Jahren war und blieb Sasuke nun verschwunden. Er war gescheitert, als er versucht hatte, ihn aufzuhalten. Dann hatten sie ihn gemeinsam gesucht, Sakura und er. Sasuke hatten sie nie gefunden, aber er hatte niemals aufgegeben. Sein bester Freund war da, irgendwo da draußen, und er war eine Gefahr – eine Gefahr für sich selbst.

Naruto hätte nie gedacht, dass er das einmal sagen würde, aber der Uchiha fehlte ihm. Er vermisste den arroganten, hochnäsigen, einzelgängerischen, verschlossenen, schweigsamen Freund mehr als alles andere.

Merkwürdigerweise war es Sakura, der es vermutlich am Besten getan hätte, Sasuke einfach totzuschweigen, die immer und immer wieder mit den alten Geschichten und dem Weißt-du-noch-damals begann. Und Naruto, der jedes Mal am liebsten losgestürmt wäre, um ihn zu suchen, wenn Sakura die alten Wunden mit Genuss aufriss und ihm bewies, dass sie selbst nach acht Jahren noch die selben Gefühle für ihn hegte wie früher, brachte es einfach nicht übers Herz, sie zu unterbrechen und zu schreien, dass er nichts mehr hören wollte. Dass er die Erinnerungen am liebsten aus seinem Gedächtnis und aus seinem Herzen herausreißen wollte – denn Sakura konnte er nicht verletzten. Und außerdem wäre es eine Lüge gewesen.
 

Konoha-Gakure, drei Monate zuvor
 

“Es ist immer ruhig hier oben“, sagte eine Stimme hinter ihm, und Naruto drehte sich um.

Sakuras Haare flatterten im Wind und sie strich sich eine Strähne aus den Augen. Wenn überhaupt möglich, war sie in seinen Augen in den Jahren nur noch schöner geworden. Ihre grünen Augen blitzten noch immer, ihre Lippen lächelten... Aber das Lachen erreichte ihre Augen nicht mehr.

Als Schülerin von Tsunade-Sama war sie inzwischen neben der Hokage und deren Assistentin eine der fähigsten Ärztinnen in Konoha. Durch ihre Arbeit im Krankenhaus war sie oft beschäftigt. Dennoch fand sie immer Zeit, um Naruto aufzusuchen. Es war, als verbände sie ein Band, welches sie immer wieder zusammenbrachte, sie daran hinderte, loszulassen und zu vergessen.
 

Die dritte Jahreszeit lag im Sterben. Kinder begannen bereits, kleine Schneemänner aus Stoff und Papier ins Fenster zu hängen, um um Schnee zu bitten. Sakura fröstelte und zog ihren Schal enger um sich.

„Frierst du nicht?“

„Nein.“

Eine Zeit lang schwiegen sie beide und sahen auf die Gipfel der Bäume unter ihnen hinab. Schwarz und kahl reckten sie ihre Äste dem grauen Himmel entgegen.

„Hat Hinata etwas zu dir gesagt?“, fragte Sakura plötzlich und betrachtete ihn von der Seite. Naruto fuhr misstrauisch auf.

„Warum?“

„Sie war so... so komisch in der letzten Zeit. Ziemlich... aufgelöst.“

„So“, gab Naruto wortkarg zurück und betrachtete einen Schwarm Graugänse, die gegen Süden flogen, eine straffe V-Formation. “Was soll das mit mir zu tun haben?“

Sakura machte ein missbilligendes Geräusch. „Also bitte, Naruto, sei nicht dumm. Immer, wenn Hinata aufgelöst ist, hat es etwas mit dir zu tun. Bitte behaupte nicht, du hättest das noch nicht gemerkt.“
 

Da war es wieder: Er war dumm. Naruto, der Dummkopf, der Idiot. Sakura mochte seine beste Freundin sein – aber genau wie Shikamaru und Kiba und Neji und alle anderen dachte auch sie, er sei dumm. Der dumme Naruto, der nichts merkte. Kannten sie ihn nicht besser? Nur ein Idiot würde so etwas tun, hatte Jiraiya-Sama damals gesagt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Naruto akzeptiert, dass er nun mal ein Idiot war. Wenn es hieß, dass man ansonsten einen Freund im Stich lassen würde, dass man sonst sich selbst und andere belügen musste, dann war er lieber dumm. Merkte wirklich niemand, dass er viel mehr verstand, als er bereit war zuzugeben? Nein, niemand merkte das, nicht einmal Sakura, die ihn von allen am Längsten kannte. Nur eine Person traute ihm Intelligenz zu – und das war Hinata.
 

Ihre Stimme war leise gewesen, sehr leise, fast ein Flüstern, aber bar jeglicher Verlegenheit, die er früher in ihrer Stimme hatte vernehmen können. Was sie ihm genau gesagt hatte, wusste er nicht mehr, denn es war die Aussage, die zählte: Ich weiß, dass du nicht dumm bist. Ich glaube an dich. Und: Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt.
 

Wie hatte er es nicht sehen können? Wie hatte er es übersehen können? Es war so deutlich gewesen, in jeglicher Hinsicht. Da war sie wieder, die Unsicherheit, das Gefühl, welches sich verräterisch in ihm breit machte und alles andere ausblendete. Er verdiente sie nicht. Dieses süße, kleine Mädchen, das alles tat, um ihm zu gefallen. Das davonlief, sobald er sich näherte, und dennoch seine Nähe suchte. Warum tat sie das alles für ihn? Warum glaubte sie an ihn, half ihm, sorgte sich um ihn? Auf seine eigene, unnachahmliche Weise konnte er es verstehen: Weil sie ihn liebte. Aber wusste sie nicht, dass alle Menschen, die ihn geliebt hatten, tot waren? Was erwartete sie von ihm? Was konnte er ihr geben? Er hatte nichts zu bieten, nichts, was dieser zarten, schönen Frau gefallen könnte. Nicht einmal sein Name war von Bedeutung, verblasste zu Nichts neben der Bedeutung des Ihrigen.

Liebte er sie?

Fragen. Fragen, Zweifel, Angst – alles baute sich vor ihm auf wie eine unüberwindliche Mauer, drohend und lauernd. Sakura zu lieben war so viel einfacher, so viel sicherer, denn sie würde seine Gefühle niemals erwidern.
 

Sakura betrachtete ebenfalls die Zugvögel und seufzte leise.

„Es sind morgen genau acht Jahre.“

Und da waren sie wieder – auf altem, schmerzhaften, unvermeidlichen, bekannten Terrain.
 

Konoha-Gakure, drei Monate später
 

Naruto betrachtete den Schnee, der leise fiel. Die Hokage der Fünften Generation saß noch immer ausdruckslos an ihrem Schreibtisch, das Kinn in die Hände gestützt.

„Seit zwei Monaten?“ Seine Stimme klang fern. „Warum weiß ich davon nichts?“

Der ruhige Blick aus den eisblauen Augen bohrte sich in seinen. „Kannst du dir das nicht denken?“

„Nein, Verdammt!“, explodierte er. Unglaube wurde glühend heiße Rage. „Warum zum Teufel sagt man mir nicht, wenn meine beste Freundin vermisst wird? Warum behaupten alle, sie käme bald zurück, wenn sie in Wahrheit schon seit zwei Monaten verschollen ist? Warum sagt man es mir nicht, wenn von ihrem Team nur noch ein Mitglied halb tot zurücklehrt? Seit wann betrachtet man mich, als sei...“

Tsunade-Samas Blick musterte ihn, durchschauten ihn, als sei er aus Glas.

„Gestern hat das Rettungsteam Tsubasa gefunden, das dritte Mitglied des Teams. Er ist tot. Es ist anzunehmen, dass auch Sakura tot ist.“

Sie sprach die Worte kühl und sachlich aus. Sie hatte in ihrem Leben bereits mehr verloren als nur eine Schülerin. Wortlos starrte Naruto sie an. Wortlos starrte sie zurück, bis er auf dem Absatz kehrt machte und zur Tür zurückging. In der Tür blieb er stehen, den Rücken zu ihr.

„Ich nehme an, dass die Suche nicht fortgeführt wird“, sagte er tonlos.

„Nein“, bestätigte die Hokage.
 

Neji Hyuuga starrte wortlos auf die Person, die vor ihm stand. Naruto Uzumaki grinste ihn schief an.

„Darf ich reinkommen?“

Nejis Reaktion bestand darin, die Brauen wortlos hochzuziehen und die Tür zu seinem Zimmer weiter zu öffnen. Der blonde Shinobi schlüpfte herein.

„Danke“, sagte er und schüttelte verneinend den Kopf, als Neji ihm mit einer Handbewegung andeutete, sich zu setzen. „Ich gehe gleich wieder.“

Eine Sekunde herrschte Schweigen, dann drehte Naruto sich zu der Person um, die in den letzten Jahren so etwas wie ein Freund für ihn geworden war. Die Worte fielen in der Stille schwer zu Boden.

„Ich gehe weg.“

Nejis Brauen verschwanden unter seinem Haaransatz.

„Sakura wird seit zwei – fast drei Monaten vermisst. Einer ihrer Teamkollegen ist tot, der andere wurde schwer verletzt. Alle gehen davon aus, dass auch sie tot ist.“

In seiner Stimme klang etwas Seltsames mit: Eine Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung – und Wissen.

„Ich bin mir sicher, dass sie da draußen irgendwo ist. Ich gehe sie suchen. Egal, ob es nach dem Kodex verboten ist oder nicht – das ist mein Weg.“

Das ist mein Ninja-Weg.

Naruto, so jung und doch so stolz und entschlossen. Der erste Mensch, der ihn Respekt gelehrt hatte, der ihm gezeigt hatte, dass man selbst sein Schicksal bestimmte. Neji öffnete den Mund, um ihm etwas zu sagen, von dem er noch nicht sicher war, was es sein würde, aber Naruto fiel ihm ins Wort.

„Ich möchte dich um etwas bitten.“

Er stockte und setzte erneut an.

„Neji, bitte... Würdest du an meiner Stelle auf Hinata aufpassen?“
 

Absolute Stille folgte seinen Worten. Der weißäugige Hyuuga war zu verblüfft, um irgendetwas zu sagen. Dass seine Cousine den chaotischen Shinobi vor ihm liebte, das wusste er schon lange. Aber seit wann wurden ihre Gefühle erwidert?

„Warum?“, fragte er flach.

„Sie passt nicht gut genug auf sich selbst auf.“ Da konnte Neji nur zustimmen. „Und... Wenn ich nicht zurückkomme...“

„Weißt du etwas, das ich nicht weiß?“

„Ich weiß, dass du immer auf sie Acht gegeben hast. Ich muss gehen – und wenn ich weiß, dass du für sie da bist, dann bin ich beruhigt.“

„Was empfindest du für sie?“

Narutos Stimme wurde leise, aber sie war fest. „Ich liebe sie. Aber ich kann Sakura nicht im Stich lassen.“

Du hast bessere Augen als ich. Ob Naruto ihn, Neji, fragte, weil er sein – Nejis – Herz kannte? Aber bevor er fragen konnte, war Naruto wieder zur Tür gegangen. „Ich verlasse mich auf dich.“

„Ich habe dir nichts versprochen, Naruto.“ Nejis Stimme klang hart. Narutos Augen blitzten genauso erbarmungslos zurück.

„Aber du wirst es tun.“ Seine Stimme passte nicht zu dem Blick. Sie klang flehend. „Bitte.“

Langsam nickte Neji.

„Danke“, sagte Naruto erleichtert. „Wir sehen uns dann.“
 

Er verschwand im Schatten. Und Neji Hyuuga kam nicht umhin, das Gefühl zu haben, dass Naruto wusste, dass er nicht mehr zurückkehren würde.
 

Vollmond.

Hinata liebte den Vollmond. Und sie liebte den Garten bei Vollmond. Der kleine, zugefrorene Teich mit der steinernen Bank... Eingehüllt in ihren warmen Mantel, stand sie am Ufer, so still wie eine Statue. Und plötzlich stand eine Gestalt vor ihr.

„Hinata“, sagte Naruto leise und trat aus dem Schatten der großen Platane zu ihr. „Danke, dass du gekommen bist.“
 

Der Mond spiegelte sich in ihren weißen Augen. Hier, wo nur sie beide anwesend waren, waren sie so viel offener, so viel selbstbewusster, und er liebte sie dafür nur umso mehr.
 

„Warum wolltest du mich hier treffen?“, fragte sie leise und wusste nicht, ob sie glücklich oder traurig sein sollte. Sein Gesicht trug beide Emotionen offen zur Schau und ihr Herz schlug schneller. Naruto sah sie unglücklich an.

„Ich werde Konoha verlassen. Ich wollter nur zuvor mit dir sprechen.“

Ihr Herz setzte aus. „Konoha verlassen?“, echote sie ungläubig.

„Ja. Sakura wird vermisst. Ich muss sie finden.“
 

Hinata sah auf ihre Hände hinab, in den warmen Handschuhen, die sich ineinander verknoteten. Also hatte er es endlich erfahren. Es war ihr ein Rätsel gewesen, wie Tsunade-Sama dies so lange vor ihm hatte geheim halten können. Und wie immer kam der Sturzbach der Gefühle, als sie hörte, wie er ihren Namen aussprach. Sakura. Sie konnte nicht gegen sie gewinnen.

„Ich möchte, dass du etwas weißt“; sagte Naruto leise und sie hob ihren Blick. Seine Augen waren dunkel. „Dein Vertrauen und deine Unterstützung haben mir immer dann wieder Mut gemacht, wenn ich aufgeben wollte. Deine Freundschaft hat mir mehr bedeutet als alles andere. Dafür danke ich dir.“

Ihr Herz schmerzte. Die Worte, die sie sich immer gewünscht hatte von ihm zu hören, kamen nun, nur mit dem Wort „Freundschaft“.

„Und ich möchte, dass du etwas weißt.“ Seine Stimme wurde ein Flüstern. „Hinata. Ich liebe dich.“
 

Er hatte es Neji gesagt, er hatte es ausgesprochen, und er wusste, es war wahr. Sakura war seine erste Liebe gewesen, ein Schutzwall, ein Ideal. Aber Hinata liebte er, mit jeder Faser seines Herzens.
 

Ihre weißen Augen starrten ihn an, schimmernd vor Tränen. Sie brauchte nicht auszusprechen, was er bereits wusste, und er lächelte sie liebevoll an. „Und da ich jetzt gehen muss... Darf ich dich um etwas bitten?“

Hinata nickte, hob eine Hand und berührte sein Gesicht. Er legte seine Hand auf ihre.

„Wenn ich in einem Jahr nicht wieder zurück bin – dann vergiss mich. Warte nicht auf mich. Du hast bereits zu lange warten müssen.“

Sie riss ihre Hand weg. Ihre Augen schimmerten wütend. “Nein. Niemals!“

Seine Stimme war flach. „Doch.“ Seine Hände waren zu Fäusten geballt. „Hinata, du sollst dein Leben nicht mit Warten verbringen. Du verdienst es, glücklich zu sein.Versprich mir, dass du nicht warten wirst.“

„Niemals, Naruto. Ich liebe dich – ich habe schon lange gewartet. Es macht mir nichts aus.“

„Nein.“ Seine blauen Augen glitzerten. „Das wirst du nicht. Ich bin es nicht wert, dass du meinetwegen auf ein glückliches Leben verzichtest. Aber...“ Er zögerte. „Ein Jahr lang. Würdest du ein Jahr lang auf mich warten?“
 

Es tat weh. So glücklich und zugleich so verzweifelt zu sein tat so weh. Sie lächelte unter Tränen. „Ich werde warten.“

Sanft berührten seine Hände ihr Gesicht. Sie waren kalt, aber sie schrak nicht zurück. „Dann werde ich mich beeilen“, murmelte er.

Hinata schloss die Augen. Wie ein Windhauch berührten kalte Lippen ihre – weich und sanft – und dann war er fort.
 

„Das ist das Ende der Geschichte“, sagte Yuka erschöpft und schloss die Augen, als Shikaru eine ganze Weile nichts sagte. Der schnaubte.

„Das ist kein Ende.“

„Eigentlich schon.“

„Was ist dann passiert?“

Yuka seufzte. „Nicht jede Geschichte hat ein Happy End.“

„Wann ist er zurückgekommen?“

„Dreieinhalb Jahre später. Wie es weitergegangen ist, weißt du doch auch.“

„Hinata-San hat Neji-San geheiratet. Naruto wurde für tot erklärt. Nach drei Jahren kehrte er zurück. Sasuke und Sakura kamen wieder. Aber was ist dazwischen passiert? Was hat er die drei Jahre lang gemacht?“

„Das ist eine andere Geschichte. Zu lang für heute.“
 

Shikaru schwieg eine Weile. „Deshalb sagst du also, Liebe sei kompliziert.“ Er überlegte wieder. „Ich verstehe, was du meinst. Aber was war mit Sasuke und Sakura?“

„Die Geschichte darf ich nicht erzählen“, sagte Yuka. „Vielleicht...“

„Vielleicht?“

„Vielleicht erzählt deine Mutter sie.“

„Hm.“ Er fragte nicht weiter. Dann sagte er: „Aber nicht jede Liebesgeschichte hat ein trauriges Ende.“

„Für einen Mann scheinst du Liebesgeschichten sehr zu mögen.“

Shikaru lachte leise.

„Es stimmt. Du kennst wirklich nur traurige Geschichten.“

*

*

*

Ende des Kapitels

*

*

Kontrollverlust

Konoha-Gakure, Fünfter Tag seit Ankunft der Botschaft, Vormittag
 

„Ich würde jetzt gerne schreien“, sagte der ehrwürdige Hokage der Sechsten Generation, an niemand Bestimmtes gewandt.
 

Die weißen, sterilen Wände schlossen ihn schonungslos ein. Nicht einmal das große Fenster trug dazu bei, sein Gefühl der Klaustrophobie zu lindern. Im Raum gegenüber, eben so steril und einfallslos, konnte er Ashuria auf dem Bett liegen sehen. Die Sauerstoffmaske verdeckte ihr Gesicht. Ihre langen, schwarzen Haare umgaben sie wie eine Halo.

„Wie bitte, ehrwürdiger Hokage?“, fragte eine zuvorkommende, körperlose Stimme durch die Lautsprecher an der Decke. „Brauchen Sie etwas?“

„Ja, meine Freiheit“, knurrte der Mann.

„Ich fürchte, das ist das Einzige, das wir Ihnen nicht gestatten können, solange uns die Testergebnisse nicht vorliegen“, kam die Stimme zurück. „Sie wissen doch, solange...“

„Ja, ja“, unterbrach Naruto missmutig. „Könnten Sie sich vielleicht darauf konzentrieren, herauszufinden, ob ich nun infiziert bin oder nicht? Damit ich mich wieder daranmachen kann, die Lage im Dorf unter Kontrolle zu bekommen!“

Die körperlose Stimme wurde steif. „Wir tun unser Menschenmöglichstes, um...“

„Ich weiß.“

Der Hokage seufzte. „Achten Sie nicht auf mich.“

Es knackte und wurde still.

„Ich wüsste gern, was ihr sagen würdet, wenn ich hier drin verschimmeln würde“, murmelte er leise in sich hinein.

„Wie bitte, ehrwürdiger Hokage?“

Naruto seufzte lautlos und versuchte, die Angst, die sein Herz eiskalt umklammert hatte, in den Hintergrund zu schieben. Unablässig wanderte sein Blick zu der schlanken Gestalt im Nebenraum.

„Nichts. Mir gehts gut.“
 

Konoha-Gakure, 24h zuvor

„Ashuria?“

Die Tür zur kleinen Wohnung seiner Assistentin fand Naruto unverschlossen vor. Als auf sein Klopfen keine Antwort ertönte, schob er sie vorsichtig auf.

„Hallo? Ashuria? Hast du die Akten von gestern mitgenommen?“

Niemand antwortete. Die Wohnung war leer.

„Merkwürdig“, murmelte Naruto und sah sich um. Ungewollt runzelte er die Stirn. Wenn seine Assistentin sich gestern bis spät in die Nacht im Labor aufgehalten hatte, dann hätte sie spätestens nun eine Pause einlegen müssen. Dass sie nicht hier war, bedeutete, dass sie noch im Labor war... Langsam machte sich Sorge in ihm breit. Er würde sie sowieso finden müssen, um die Akten zu bekommen, beruhigte er sein Gewissen und machte sich auf den Weg.
 

~*~
 

Hinata wischte sich mit beiden Händen über die Augen.

Müde drehte sie sich samt ihrem Stuhl zum Fenster um und sah hinaus. Es war noch nicht einmal Mittag, und sie fühlte sich bereits, als habe sie eine Doppelschicht hinter sich... Ein Aufblitzen liess sie stutzen und sie sah hinüber zum flachen Gebäudekomplex, in dem die Labore untergebracht waren. Ein Sonnenstrahl hatte sich in den Scheiben gespiegelt und sie geblendet... Etwas lag im Labor auf dem Boden. Hinata stutzte und sah genauer hin. Es dauerte einige Sekunden, bis ihr Gehirn die Verbindung herstellte und den Ausschnit des am Boden liegenden Gegenstandes als menschlichen Kopf klassifiziert hatte.
 

~*~
 

Ashurias Labor war hell erleuchtet, als Naruto eintrat. Der Vorraum bestand aus einem winzigen Raum, mit dem einen Schreibtisch, Stuhl und dem Aktenschrank bereits hoffnungslos überfordert. Ashuria war nicht zu sehen. Sie musste im Labor sein. Einen Schritt über einen heruntergefallenen Aktenordner tätigend, ergriff Naruto den Griff der großen Schwingtür ins Labor und zog sie auf.
 

~*~
 

Die schwarzhaarige Ärztin betrat das Vorzimmer der Assistentin des Hokage und warf nur einen einzigen Blick durch die Glasscheiben der großen Sicherheitstür, bevor sie reagierte. Ihre Hand schoss vor und zerschlug einen kleinen Glaskasten an der Wand. Mit einem hydraulischen Zischen versiegelte sich die Schutztür luftdicht.

Was sie sah, war Folgendes:

Naruto, der wie erstarrt dastand und fassungslos die am Boden liegende Person betrachtete. Der Raum versiegelte sich zwischend und er erwachte aus seiner Starre. Schon kniete er am Boden und suchte nach einem Puls. Die Person regte sich und stöhnte leise. Es hätte ihr klar sein müssen, aber erst, als Naruto den Kopf der Person anhob und Hinata einen Blick auf das Gesicht werfen konnte, wurde ihr bewusst, wer dort lag: Ashuria. Ihr Gesicht war verzerrt, ihre Augen geschlossen. Ihre Brust hob und senkte sich schwach.

Zeitverzögert setzte die Alarmanlage ein. Kontamination. Da ging sie hin, die Kontrolle.
 

Hinata blieb stumm vor der Glastür stehen und sah zu, wie Naruto Ashuria vorsichtig anhob und ans andere Ende des Labors trug, weit weg von dem Körper des toten Boten auf dem Untersuchungstisch. Dann trat er zurück an den Tisch und schloss den Leichensack. Fasziniert sah Hinata zu, wie sein Gesichtsausdruck sich veränderte, als er vom Toten zu Ashuria blickte und dann sie ansah. Seine Augen blitzten eiskalt, und sie erschauerte.
 

Jemand hatte es gewagt, den stärksten Mann des Feuerreiches herauszufordern, in dem er angriff, was diesem am Wichtigsten war: Sein Dorf.
 

Konoha-Gakure, 40h später
 

Ashuria hat sich angesteckt.

Wie hatte das passieren können? Seine Assistentin war intelligent und erfahren – sie hatte mit Sicherheit keinen Fehler gemacht! Irgendetwas stimmt nicht, aber er kam einfach nicht dahinter, was es war...

Naruto fuhr von dem Bett auf, auf dem er beinahe mit offenen Augen eingedöst war, als ein Aufruhr außerhalb seiner weißen Zelle ihn ablenkte.

„Sie können hier nicht hinein! Das ist der Quarantänebereich! Nein, Sie- Haltet ihn auf!“

An der Tür zum Quarantänebereich hatte sich ein Knäuel aus Menschen gebildet, in deren Mitte sich ein hochgewachsener, langhaariger Shinobi befand, der sich offenbar partout nicht davon abhalten lassen wollte, sein Ziel – den Hokage – zu erreichen. Drei Schwestern hatte er kurzerhand mit seinen langen Nadellanzetten an die Wand genagelt, wo sie kreischend und schreiend hingen, als wäre er der Tod persönlich.

„Es ist wichtig“, erklärte Genma Shiranui ruhig und funkelte einen Arzt an, der sich daraufhin ebenfalls zurückzog, allerdings nicht ohne Protest.

„Wir garantieren nicht für Ihre Gesundheit, wenn sie diese Zelle betreten“, keifte er. „Ich werde keinerlei Verantwortung für Ihr verantwortungsloses Handeln..:“

Ohne ihn zu beachten, ging Genma weiter, bis er Naruto am Fenster gegenüberstand. Wie immer spiegelte sich in seinen Augen ein gewisser widerwilliger Respekt, gepaart mit der Gewissheit, dass er in dem Mann, der nun sein Vorgesetzter war, noch immer den Jungen erkennen konnte, den er hatte aufwachsen sehen. Genma zog die Brauen hoch und deutete in einer merkwürdig übertriebenen Geste zuerst auf seine Ohren, dann auf seinen Mund. „Können Sie mich hören?“, fragte er und artikulierte jedes einzelne Wort übertrieben deutlich.

„Ich würde dich hören können, wenn du laut reden würdest!“, explodierte Naruto. Genma verkniff sich ein Grinsen und wurde dann ernst.

„Der Schattenwolf des jungen Nara kam vor einer halben Stunde“, erklärte er und hielt eine Schriftrolle hoch.

„Was schreibt er?“

„Das Team hat das Dorf sicher erreicht und die Untersuchungen begonnen. Ihre Informationen habe ich bereits and ie zuständigen Ärzte und Wissenschaftler weitergeleitet. Weiterhin kam es zu einer Ausnahmesituation, als die Ärztin des Teams während einer Pause...“

Genma sah auf das Papier hinunter und las weiter: „Verschleppt wurde. Der Teamführer lässt ausrichten, dass sie sich nun auf die Suche nach dem vermissten Teammitglied machen werden.“
 

Naruto schloss die Augen. Ino war verschwunden. Immerhin hatte Shikaru die Informationen geschickt, mit denen sollte man etwas anfangen können...

Er öffnete die Augen wieder, und Genma sah zufrieden, dass sie hart und tatendurstig glänzten.

„Ich brauche alle verfügbaren Ärzte und Forscher zu einer Generalversammlung, um die neuen Daten auszuwerten und Gegenmaßnahmen zu planen. Und dann... Schick mir Shikamaru.“

Genmas Miene änderte sich nicht um einen Zoll. „Nun, ehrwürdiger Hokage, das dürfte ein Problem werden.“

Mit einem beunruhigenden Gefühl der Vorahnung sah Naruto ihn an. „Kann es sein, dass der Schattenwolf zunächst nach Hause gelaufen ist?“

Genma verlagerte das Gewicht seines Körpers von einem Fuß auf den anderen, das erste Zeichen seiner inneren Unruhe, das er sehen liess.

„Das kann gut sein.“

„Kann es vielleicht sein, dass mein strategischer Berater und Diplomat ohne jegliche strategische Planung einfach undiplomatisch losgestürzt ist?“

Genma zuckte unbehaglich mit den Achseln. Woher wusste dieser Junge das alles nur immer schon im Voraus?

„Nun, ehrwürdiger Hokage, schliesslich ist es seine Frau...“

Naruto seufzte tief auf. „Ich habe es geahnt. Einer in der Familie wie der andere.“
 

Xefua, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Ino-Sans Entführung: 11h36min
 

Erschrocken fuhr Yuka aus dem Schlaf auf. Automatisch fuhr ihre Hand unter die Kleiderrolle und schloss sich um den schlanken Griff ihres Dolches. Shikaru, der sich lediglich über sie gebeugt hatte, um den Wasserschlauch an sich zu nehmen, gefror, als er den Stahl aufblitzen sah. Aber Yuka hatte sich schnell wieder in der Gewalt.

„2 zu 0 für dich“, sagte er und nahm den Schlauch an sich. Ohne eine Regung liess sie das Messer wieder verschwinden.

„Was ist los?“, fragte sie stattdessen. Ihre goldenen Augen schimmerten im Dunkeln.

„Urchin ist gleich wieder hier. Sobald er sich etwas ausgeruht hat, können wir los. Ich wollte nur die Wasserflaschen auffüllen.“

In einer einzigen, fliessenden Bewegung stand sie auf und nahm ihren Schlauch an sich. „Ich mach das schon“, sagte sie und verschwand lautlos nach draußen. Shikaru sah ihr nach.
 

Zehn Minuten später hörte der Shinobi ein Geräusch, welches beinahe im leisen Regen der Welt vor dem Haus unterging, und stand auf. Die Taschen standen bereits gepackt neben der Tür, im Vorbeigehen nahm er sie auf und schloss die Tür leise. Draußen stand Yuka wie ein dunkler Schatten reglos im Regen. Da setzte ein grauer Schatten in einem Satz über die Mauer, landete mit einem dumpfen Aufprall vor ihr und begann begeistert, sie zu beschüffeln. Yuka lachte leise, ein glockenheller Klang, der Shikaru jedes Mal aufs Neue erstaunte. Dann nahm sie den großen, zottigen Kopf des Wolfes in ihre Hände und beugte sich vor.

„Wir finden sie, ja?“, fragte sie ernsthaft. In ihrer Stimme lag etwas, das Shikaru nicht genau deuten konnte. Mit einem Anflug an Schuldgefühl erinnerte er sich an den gestrigen Tag: Er hätte nicht so wütend reagieren dürfen. Sie hatte weiß Gott genug zu tun gehabt. Aber die Sorge um seine Mutter hatte alles andere ausgeblendet. Wütend auf sich selbst, weil er sich a) ablenken liess, b) Yuka so viel Platz in seinen Gedanken einzunehmen schien und c) er nicht besser auf seine Mutter aufgepasst hatte – Warum bleibt so etwas immer an den Kindern hängen? – schüttelte er den Kopf und sprach sie forscher an als sonst. „Lass uns gehen.“

Sofort war aller Ausdruck von ihrem Gesicht verschwunden. „Okay.“
 

Urchin brauchte eine Weile, um die Spur zu finden. Doch kaum hatte er den Duft in der Nase – Große Menschenfrau Mutter Blumentochter hierlang gegangen geschleppt am Leben – warf er einen Blick über die Schulter und stürmte los. Shikaru setzte ihm nach, Yuka folgte ihm auf dem Fuße.
 

Sie brauchten der Spur nicht lange zu folgen. Der Tag war nicht zur Hälfte um, als sie aus dem Wald auf eine Lichtung kamen. Mehrere kleine Hütten standen sauber und ordentlich nebeneinander. Urchin reckte die Schnauze in die Luft und nahm Witterung auf. Shikaru folgte Yukas Blick, der fest und entschlossen auf den kleinen Hütten ruhte.

Gefunden.
 

Konoha-Gakure, Sechster Tag nach Ankunft der Botschaft, Nachmittag
 

„Hinata-San...“

“Ja?” Die Ärztin sah von Ashuria auf, die sie gerade untersuchte. Vor dem großen Panoramafenster der Quarantänestation trat ein junger Krankenpfleger unruhig von einem Fuß auf den anderen.

„Da ist ein weiterer Patient, der... Nun, er...“

„Ja?“

Beunruhigt wanderte Hinatas Blick zur anderen Seite des Ganges. Hinter der Glasscheibe auf der anderen Seite des Flurs war Naruto aufgestanden und an die Scheibe getreten. In seinem Blick spiegelten sich Verzweiflung und Wut. Mit der selben Vorahnung wandte sie sich wieder an den Pfleger.

„Nun... Er hat die selben Symptome wie die, die Sie uns beschrieben haben und nach denen wir Ausschau halten sollen...“

Sie wartete nicht weiter ab.

„Quarantäne. Sofort.“

„Ja – Jawohl!“, stotterte der Pfleger und hastete davon. Hinata richtete sich auf und trat langsam aus dem gläsernen Raum. Im Gehen zog sie Handschuhe, Schutzanzug und Mundschutz ab und warf alles in einen bereitstehenden Abfallbehälter. Ohne Narutos Blick loszulassen, wandte sie sich an den unsichtbaren Überwacher.

„Sofortige Schutzmaßnahmen einleiten. Das Krankenhaus wird hiermit zum Seuchengebiet erklärt.“ Naruto schloss die Augen. Die Worte waren dennoch nicht auszublenden.
 

„Und ganz Konoha ebenfalls. Ab sofort stehen wir unter Quarantäne.“
 

*

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Ende des Kapitels

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Das Dorf im Wald

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 3h

Ino dämmerte in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen dahin.

Die Erschöpfung der letzten Tage lag noch immer bleischwer auf ihr, aber sie weigerte sich, in einer Situation zu erwachen, in der sie keinerlei Kontrolle über ihre Umgebung hatte. Deshalb lag sie, obwohl wach, mit geschlossenen Augen da und atmete langsam und gleichmäßig. Ihrer inneren Uhr war es zu verdanken, dass sie wusste, dass sie vielleicht für sieben Stunden außer Gefecht gesetzt worden war – und ihre Ohren sagten ihr, dass es sich bei der Tageszeit um die frühe Morgenstunde handeln musste. Durch ein offenes Fenster drangen die Rufe einiger Vögel.

Sie lag in einem Bett und niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie zu fesseln. Ärger unterspülte ihre Konzentration. Ruhig bleiben, ermahnte sie sich. Aber auch wenn sie nicht gefesselt war – sie fühlte sich viel zu schwach, um einen Fluchtversuch zu wagen, jetzt, wo sie ihre Situation noch nicht genauer kannte. Ein dünner Strom an Schmerz zog stetig ihr Rückgrat hinunter, nicht genug, um ernsthaft zu stören, aber genug, um sich seiner bewusst zu sein. Ihre Kehle war staubtrocken und ihre Kleidung klebte ihr am Leib. Sie wünschte sich eine Dusche.
 

Jemand betrat den Raum.

Die Person bewegte sich leise, nicht bemüht leise wie jemand, der versucht seine Anwesenheit zu verbergen, sondern leise wie jemand, der es gewohnt war, sich ruhig zu bewegen. Ein Arzt oder ein Shinobi. Ein sanfter Windhauch zog durch den Raum, als die Tür offen blieb, und ein Geruch nach Kräutern und Tee berührte sie. Die Person trat neben das Bett. Ino stellte sich schlafend. Porzellan klirrte leise, als etwas – ein Tablett – neben ihrem Bett abgestellt wurde. Lavendel, registrierte sie. Anis und Minze. Eine kühle Hand legte sich auf ihre Stirn.

Ino kämpfte gegen zwei Impulse: Die Hand war kühl und angenehm und schien beinahe den Schmerz zu lindern. Aber die Berührung war fremd, und sie wäre am liebsten tiefer in die Kissen geschreckt. Sie verharrte, so lange, bis die Hand sich wieder entfernte. Stattdessen berührte etwas ihr Gesicht sanft, ihre Wangen, und ihre Lippen, mit einer Intensität, die ihr mehr als genug erzählte. Das war zu viel: Instinkt siegte über jahrelang antrainierte Fähigkeiten. Ino fuhr hoch und schlug weg, was auch immer sie gerade berührte. Es klatschte, als sie traf, und sie griff zu.
 

Adrenalin fuhr durch ihre Adern und vertrieb Schmerz und Schwäche: Mit durchdringendem Blick starrte Ino die Person vor ihr an, deren Handgelenk sie noch immer fest umklammert hielt. Amüsierte, dunkle Augen antworteten stumm. Groß, schlank, jung – so jung! – grüne Augen, klar wie ein Bergsee. Augen, die funkelten vor unterdrücktem Humor und etwas, das zu tief lag, als das sie es hätte lesen können. Braunblonde, ordentliche Haare waren kurzgeschnitten und fielen in die Stirn, er trug ein weites, helles Hemd über einer ebenso hellen Hose und beobachtete sie interessiert.

„Es geht Ihnen anscheinend wieder besser“, sagte er mit einer überraschend melodischen Stimme und sah bedeutsam auf sein Handgelenk. Sie liess ihn los.

„Wo bin ich?“

Klischee. Klischee.

„Danke“, sagte der Mann, ohne auf ihre Frage einzugehen, und massierte sich das Handgelenk leicht. Der Humor war nicht gewichen. „Mein Name ist Takeo. Und Sie sind...“

„Ino“, sagte sie kurz angebunden und wiederholte ihre Frage.

„Dies ist mein Haus“, gab er diesmal zur Antwort und machte eine weitausholende Geste in Richtung des Raumes. „Sie sind in Inari, einem kleinen Dorf an der nördlichen Grenze. Sie...“ Er zögerte und zuckte dann die Achseln. „Sie werden es sowieso bald erfahren. Meine Schutzbefohlenen haben Sie hierhergebracht. Sie schienen ihnen...“ Er zögerte kurz und fuhr dann fort „Die richtige Person zu sein. Dafür muss ich mich entschuldigen. Ich hoffe, dass Sie uns dies nicht übel nehmen.“

„Moment.“

Ino hob die Hand. „Wollen Sie mir sagen, dass ich durch eine Verwechslung entführt und hierher verschleppt wurde?“

„Bedauerlicherweise – ja.“

Ino schnaufte. „Natürlich. Das passiert auch nur mir.“ Sie warf einen Blick durch das Zimmer. Es war hell und groß und auf der anderen Seite der Wand konnte sie Betten erkennen, welche genau wie das aussahen, in dem sie nun saß.
 

„Was ist das für ein Ort?“

Sie wusste es bereits, bevor er es aussprach. „Unser Krankenhaus, wenn Sie es so nennen wollen. Wir sind nicht viele hier, vielleicht hatte ich deshalb auch die Zeit, mich einzurichten.“

„Sie sind der Arzt?“

„Zu Ihren Diensten. Arzt und Dorfoberhaupt in der Doppelrolle, die das Schicksal mir zugespielt hat.“

Oberhaupt? Er sah definitiv noch zu jung aus, um das Dorfoberhaupt zu sein. Ino nickte mechanisch und sah sich um. Ihr Blick fiel auf das Tablett mit der Schale neben ihrem Bett. „Was ist das?“

„Eine kleine Spezialmischung meinerseits. Heilkräuter und ein wenig Honig in einem – wie man mir sagt – recht schmackhaften Tee. Hätten Sie gerne etwas?“

Dankbar nahm Ino die warme Schale an und nippte vorsichtig. Der Tee hatte genau die richtige Temperatur und schmeckte würzig und süß.

„Es scheint Ihnen wieder besser zu gehen“, sagte der Arzt nach einiger Zeit des Schweigens. „Sie haben keine Gehirnerschütterung erlitten, Gott Sei Dank. Nur...“ Er zögerte. „Da ist etwas in Ihrem Organismus, etwas, das mit Ihrem Chakrafluss zusammenhängt und Ihr gesamtes Immunsystem beeinflusst. Hätten Sie...“

„Nein“, unterbrach Ino ihn. „Das kommt nicht in Frage.“

Der junge Arzt sah sie erstaunt und ein wenig verletzt an. „Ich wollte nur...“

„Ich verstehe“, sagte sie, ein wenig sanfter, aber ebenso unnachgiebig. „Aber das ist nicht nötig. Ich weiß sehr gut, was mit mir los ist. Eine weitere Untersuchung wird nicht helfen.“

„Dann muss ich das wohl akzeptieren.“

Bevor Ino antworten konnte, ertönten draußen trappelnde Schritte.

„Takeo! Takeo! Ist sie aufgewacht?“

„Ah“, sagte der Arzt und seiner Stimme war nicht anzuhören, was er dachte. „Da sind sie ja.“

Und hinein stürmten Inos Angreifer von der Lichtung. Ino hatte nicht einmal mehr die Kraft, überrascht zu sein.

„Ihr“, sagte sie nur. Schuldbewusst starrten sechs Augenpaare sie an. Takeo baute sich vor ihnen auf und erinnerte Ino absurderweise an ihren Vater, wenn sie und Shikamaru wieder einmal etwas ausgefressen hatten, damals, als sie noch Kinder gewesen waren.

„Björn.“

Seine Stimme war ruhig und ernst.

„Was habt ihr euch dabei gedacht, eine fremde Kunoichi anzugreifen und hierherzubringen?“
 

Der Angesprochene, offensichtlich der Anführer der Truppe, scharrte mit den Füßen.

„Na ja...“, druckste er herum, dann schien er seinen Mut zusammenzunehmen und sah Takeo an. In seinen Augen funkelte Aufregung. „Sie hat ihr Chakra auf die selbe Art benutzt wie du, Takeo! Sie ist auch eine Ärztin – sie kann dir bestimmt helfen! Das weiß ich! Sie kann die Anderen wieder gesund machen!“

Inos Herz machte einen Satz.

Sie hatte es gewusst. Hatte es gespürt, seit sie hierhergekommen war, sogar im Schlaf...

„Sind Menschen hier krank?“, fragte sie leise. Björn wandte sich ihr zu, Traurigkeit ersetzte das Funkeln in seinen Augen. Takeo war es jedoch,der antwortete.

„Ja.“

„Ich war in einem Dorf, nicht weit von hier“, sagte Ino und runzelte die Stirn. „Xefua. Dort gibt es eine seuchenartige Krankheit...Ich gehe davon aus, dass es sich um die selben Symptome handelt.“

„Xefua?“ Takeo runzelte die Stirn. „Wir haben kaum noch Kontakt zur Außenwelt, Sie werden sehen, warum... Was ist es für eine Krankheit? Ich war bisher noch nicht in der Lage, sie genauer zu identifizieren, und wir haben bereits Opfer zu beklagen...“ In seiner Stimme schwang Schmerz.

„Wir konnten das Virus isolieren, aber das ist noch nicht genug. Wir wissen selbst noch nicht genau, was es ist.“

„Vielleicht kann ich mir Ihre Ergebnisse ansehen“, schlug der Arzt vor. „Und Sie könnten – Moment!“
 

Ino hatte die Beine über den Bettrand geschwungen und war im Begriff, aufzustehen. Viel zu schnell setzte die empörte Reaktion ihres geschundenen Körpers ein.

„Aua“, stöhnte sie leise und hielt sich den schmerzenden Kopf. Der fremde Heiler war sofort an ihrer Seite, sah aber diesmal davon ab, sie zu berühren. Wofür sie sehr dankbar war.

„Malin, hol etwas von der Suppe in der Küche“, wies er einen weiteren Ankömmling an, die Ino noch immer unverholen hoffnungsvoll anstarrte. Ino wandte sich ihr zu, aber sie drehte sich um und rannte – hinkte, anscheinend hatte Ino sie beim Kampf erwischt – hinaus. Für eine Sekunde überkam sie ihr schlechtes Gewissen – aber sie hatte sich schliesslich nur verteidigt. Sekunden später kehrte die Person mit einer Schüssel einer dicken Suppe zurück, die reichhaltig duftete. Takeo nahm sie und gab sie an sie weiter.

„Trinken Sie das hier.“

Tatsächlich kehrte die Kraft in ihre Beine zurück, sobald sie die Suppe getrunken hatte. Die Kopfschmerzen wichen ein wenig.

„Dann wollen wir mal“, sagte Ino zu niemand Bestimmten und machte sich auf den Weg zur Tür. Ihre hilfreichen Entführer liefen vor ihr her, Hoffnung im Blick. Zu viel Hoffnung.
 

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 5h29min

„Das ist es“, sagte Shikaru und spähte über die Deckung des Strauchwerkes hinein in die kleine Ansammlung von Hütten auf der Lichtung, zu der Urchin sie geführt hatte. „Dort muss sie sein.“

„Was machen wir jetzt?“, fragte Yuka. Sie zögerte kurz. „Ich sehe keine Wachen – es scheint Xefua sehr ähnlich zu sein. Ein kleines Dorf im Nirgendwo. Soll ich reingehen?“

„Nein.“ Shikaru schüttelte den Kopf. „Wir gehen beide.“

„Was?“ Entsetzt starrte sie ihn an. „Das geht nicht!“

„Warum nicht?“

„Weil du der Teamführer bist und weil...“ Ihr fiel nichts mehr ein. „Weil wir nicht wissen, was uns dort erwartet, deshalb!“

Aber Shikaru hatte sich bereits aufgerichtet und marschierte auf die Hütten zu, ohne sich umzusehen. „Kommst du“, rief er ihr leise über die Schulter hinweg zu. Mit einen Fluch, zu dessen Anwendung Yuka sich nie zuvor gezwungen gesehen hatte, den sie jedoch in weiser Voraussicht im Hinterkopf behalten hatte, folgte sie ihm.
 

Ein Grund dafür, dass Shikaru sich dem Dorf verhältnismäßig unvorsichtig näherte, war die absolute Stille. Nirgendwo regte sich etwas.

Shikaru hatte vor einem Haus Position bezogen, warf einen Blick durch das Fenster und winkte ihr dann zu. Wie, bitte schön, soll ich auf dich aufpassen, wenn du dich so vordrängst?, fragte sie sich selbst wütend, aber leider schienen ihre Gedanken ihn nicht zu erreichen. Also gab sie auf und stellte sich auf seine Strategie ein. Hinter dem Fenster sah sie zuerst wenig und dann eine hochgewachsene Gestalt, die über einer am Boden knienden Frau aufragte. Blondes Haar blitzte kurz auf: Ino-San. Noch immer schien alles ruhig.
 

Dann brach die Hölle los.
 

„Takeo! Takeo! Eindringlinge!“, kreischte eine hohe Stimme. Türen flogen auf, Personen strömten heraus, bewaffnet mit Stöcken und Besen. Das Ganze war so grotesk, dass Yuka und Shikaru dastanden wie angewurzelt.

„Was wollt ihr hier!“, fuhr ein kleiner, vielleicht zehnjähriger Junge sie an. Unruhig schaute Yuka sich um: wohin sie auch sah, sie sah nur Kinder. Keinen einzigen Erwachsenen.

„Verschwindet!“, schrie ein kleines Mädchen, welches sich hinter dem Rücken des Jungen versteckte, nichtsdestotrotz aber einen Besen drohend schwang.

„Kinder!“, sagte Yuka tonlos. „Kinder...“, seufzte Shikaru, ebenso fassungslos.
 

„Kinder“, bestätigte Ino-San lächelnd, als sie aus der Tür heraustrat und ihren Sohn und dessen Partnerin vor sich stehen sah. „Nur Kinder. Aber pass auf. Sie können ganz schön gefährlich werden.“
 

*

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Ende des Kapitels

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Erschöpfung

Konoha-Gakure, Zeit seit Ausbruch der Seuche: 9h19min

„Naruto.“

Hinata sah erschöpft aus. Naruto betrachtete sie vorsichtig, während sie den langen Flur entlang ging. Ihre Schultern wirkten weniger aufrecht, ihre sonst so stolze, gerade Haltung war in sich zusammengesunken. Auch ihr Gesicht war bleicher als gewöhnlich und tiefe Ringe zeigten sich unter ihren Augen. Sie bemerkte seinen musternden Blick nicht, weil sie auf den Aktenordner sah, den sie in der Hand hielt. Kurz vor ihm hielt sie an – einen Meter und eine dünne Glasscheibe trennten sie voneinander.

„Bitte.“

Er hob die Hand und nahm eine Einleitung vorweg. „Bitte nicht noch mehr schlechte Nachrichten.“

Ein schwaches Lächeln blitzte an ihren Mundwinkeln auf. „Spar dir deinen Zynismus für jemand anderen auf.“

Der Hokage seufzte. „Für wen denn? Etwa für Momose, diese Nervensäge, der alle fünfzehn Minuten via Mikrofon hier reinschaut, den ich aber noch nie gesehen habe?“

„So?“ Hinatas Brauen hoben sich. „Tut er das?“

„Ja.“ Narutos Antwort war ein Seufzer. „Und er macht stündlich Meldung über die Anzahl der...“ Er suchte nach Worten. „Der Patienten.“

Hinata zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich denkt er, es würde dich als Hokage interessieren.“

„Tut es auch. Aber hier zu sitzen und nichts tun zu können, das ist...“ Er schwieg. Mitleid spiegelte sich in ihren Augen, aber wie üblich sah er sie nicht an. Also sah sie auf den Ordner in ihren Händen.

„In deinem Blut wurden keinerlei Hinweise auf die Seuche gefunden wurden. Du bist gesund.“

Statt der Erleichterung, die sie gewohnt war, wenn sie Patienten solche Antworten überbrachte, war nur Tatendrang in seinem Gesicht zu lesen. Er rückte sein Stirnband zurecht, eine so Naruto-hafte Geste, dass sie an den kleinen Jungen erinnert wurde und beinahe lächelte.

„Prima – dann lass mich raus. Ich habe zu tun.“

Bedauernd schüttelte sie den Kopf. „Nein.“

„Wie bitte?“ Fassungslos starrte er sie an. Nun war er wieder der Hokage, der genauso hart und unerbittlich sein konnte wie freundlich und verständnisvoll.

„Die Ärztekammer und der Ältestenrat haben beschlossen, dass... Dass der Hokage sicherer ist, wenn er in Quarantäne verbleibt.“
 

Als Außenstehende hätte sie es geliebt, seinen Gesichtsausdruck bei ihrer Eröffnung zu sehen. Als Überbringerin der Nachricht versuchte sie, sich nicht anmerken zu lassen, wie klein und hilflos sie sich gerade fühlte, während ihr Vorgesetzter sie mit einem Blick bedachte, der Wasserdampf zu Eis hätte gefrieren lassen können. Dann verengten sich seine Augen zu Schlitzen, hinter denen es bedrohllich rot glühte.
 

„Ich schätze die Meinung der Ärztekammer und des Ältestenrates“, sagte Naruto gefährlich leise. „Aber wenn sie denken, sie könnten mich hier konservieren wie Trockenobst bis die ärgste Gefahr vorbei ist, dann haben sie niemals falscher gedacht.“
 

Hinata unterdrückte gleichermaßen den Wunsch zu Lachen und zu Fliehen.
 

...
 

Wütend starrte Naruto an der Ärztin vorbei.

22 Menschen in seinem Dorf – seinem Dorf – waren bereits krank, infiziert mit einer Seuche von der sie so gut wie nichts wussten. Und diese Leute wollten, dass er sich in einem gläsernen Kasten einschloss, bis es vorbei war? Er wusste sehr genau, dass es nicht die Schuld der dunkelhaarigen Frau war, die vor ihm stand und der es sichtlich unangenehm war, die Nachricht überbringen zu müssen. Wie auch er wollten diese Leute nur das Beste für Konoha, und leider war es eine Tatsache, dass das Dorf mit seinem Oberhaupt auch seine Führung verlor. Aber wie stellten sie sich das vor? Dass er aus der Quarantänezelle heraus kommunizierte, Berichte auswertete, Befehle erteilte?
 

Bemüht, sich zu beruhigen, schloss er kurz die Augen und atmete tief durch.

„Ich komme jetzt hier raus. Und dann würde ich gerne die Informationen sehen, die das Beobachterteam uns geschickt hat.“
 

Hinata verkniff sich die Bemerkung, dass er bei der Auswertung aufgrund mangelnden Fachwissens keine große Hilfe sein würde, und trat zur Seite. Ein Fingerabdruck ihrerseits auf dem Bildschirm neben der Tür war genug. Die Tür öffnete sich zischend und Naruto glitt wie ein Schatten an ihr vorbei. Das Grinsen auf seinem Gesicht war zufrieden – und im gleichen Moment bitter.

„Vielen Dank.“

„Spar dir endlich den Zynismus“, seufzte sie, drehte ihm den Rücken zu und ging voran. Hinter ihr erklang ein Geräusch, das an ein ersticktes Lachen erinnerte. Aber das konnte nicht sein, rief sich Hinata ins Gedächtnis. Naruto würde in ihrer Gegenwart nicht lachen. Wahrscheinlich hatte er sich geräuspert...
 

In Zeiten wie diesen hatte ein Dorfoberhaupt wahrhaftig nichts zu lachen.
 

...
 

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 12h41min

Endlich erlaubte Yuka es sich, sich ihre Müdigkeit einzugestehen: Sie rollte sich in dem leeren Raum auf ihrer Decke zusammen und schloss die Augen. Sie gab auf, gegen den Schlaf zu kämpfen, und sofort drückte Erschöpfung sie zu Boden. Ino-San war nicht allein, diesmal hatte sie sichergestellt, dass Shikaru bei ihr war und bei ihr bleiben würde. Ihm vertraute sie vorbehaltlos.

Shikaru.

Sie erschauerte wieder, als sie an seinen Blick dachte, mit dem er sie nach der Entführung seiner Mutter angesehen hatte. Ihre Hände, die über ihrem Gesicht lagen, krampften sich zu Fäusten zusammen.

Obwohl es der Ärztin gut ging, obwohl nichts weiter geschehen war, fühlte sie sich schuldig. Sie traute Shikaru – aber würde er ihr jemals wieder vertrauen? Bisher hatte sie kaum die Gelegenheit gehabt, mit ihm zu sprechen, und sie fürchtete das Gespräch. Er hatte – bis auf seinen ersten Schock auf ihre Nachricht – nicht wirklich Gefühle ihr gegenüber gezeigt, die annehmen liessen, dass er sie hasste – aber andersherum hatte er auch nicht besonders deutlich gemacht, dass er ihr noch vertraute. Seine Mutter schien ihm sehr viel zu bedeuten. Yuka, die niemals eine Mutter in diesem Sinne gehabt hatte – zumindest konnte sie sich nicht erinnern – verstand dies vermutlich nur unzureichend. Andererseits wusste sie, wie es war zu glauben, dass man eine wichtige Person verloren hatte...

Sie atmete zittrig aus.

Da war noch Ino-Sans Krankheit, die ihr ein schlechtes Gefühl bereitete, unter der die Frau offensichtlich sehr litt und gleichzeitig – die sie noch immer vor ihrem Sohn versteckte. Sollte sie es ihm sagen? Durfte sie es überhaupt? War es gut, dass sie noch länger hier blieben, oder sollten sie schnellstens nach Konoha-Gakure zurückkehren? Wusste der Hokage von Ino-Sans Entführung? Vermisste man sie in ihrem Heimatdorf bereits? Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen, als sie Camille in Xefua allein zurückgelassen hatten?
 

Tausende von Fragen stürzten auf sie ein und verursachten ihr hämmernde Kopfschmerzen. Zischend zog Yuka die Luft zwischen ihren fest zusammengebissenen Zähnen ein und drückte beide Hände gegen ihre Schläfen, um das Pochen zu mildern. Es misslang. Sie war müde – oh, so müde – vielleicht lag es daran, dass sie bei der Behandung der Kinder dieses kleinen Dorfes so viel Chakra gebraucht hatte. Aber warum lebten in diesem Dorf nur Kinder? Warum griff die Krankheit in einem Dorf nur Erwachsene und im anderen Dorf nur Kinder an? Und was war es, was sie übersah?
 

Ein kühler Luftzug strich über sie hinweg und sie vergrub sich zitternd in ihrer Decke, die Augen fest geschlossen und die Arme um sich selbst geschlungen. Bevor sie in einen Schlaf der Erschöpfung fiel, waren ihre letzten Gedanken: Wo sind Shikaru und Ino-San... Und dann nur noch:

Ich wünschte, wir wären wieder zu Hause.
 

...
 

Erleichtert atmete Ino auf und fuhr sich mit ihren immernoch nassen Händen durch das Gesicht. Die kühle Flüssigkeit wirkte belebend und kühlte angenehm ihre erhitzte Haut. Shikaru betrachtete silberne Tropfen, die sich im letzten Sonnenlicht des Herbsttages auf ihren Händen spiegelten, während die blauen Augen seiner Mutter in die Ferne sahen. Weit geöffnet und klar, als würde sie auf etwas warten. Sie wirkte oft so auf ihn: Als sei sie nicht vollständig dort, als sei ein Teil von ihr an einem weit entfernten Ort.

Aber auf jeden Fall wirkte sie deutlich weniger erschöpft und krank als an dem letzten Abend in Xefua, und dafür war er dankbar.

„Ist alles in Ordnung?“, frage er und sah sie an.
 

Shikarus Augen befanden sich mit den ihren auf einer Höhe bemerkte Ino nicht zum ersten Mal in vielen Jahren und schmunzelte. Stolz erfüllte sie genauso wie Erstaunen: Der kleine Junge, der so oft auf ihrem Schoß gesessen hatte, der Nachts aus seinem Bett verschwunden war, um den Nachthimmel anzuschauen – ihr kleiner Junge war erwachsen geworden.

Das schlechte Gewissen holte sie innerhalb von Sekunden ein. Solange er nichts gesagt hatte, hatte sie sich vorstellen können, es wäre nicht er, sondern jemand anderes, der an ihrer Seite war. Er war ein Abbild seines Vaters – mit seinen dunklen, schulterlangen Haaren, der grünen Weste und den Händen, die in den Hosentaschen vergraben waren. Aber Shikamaru war nicht hier. Sie lächelte.

„Ja“, sagte sie ehrlich. „Ich hatte gestern Nacht unfreiwillig die Gelegenheit, lange zu schlafen, und obwohl sich meine Reserven schon wieder aufbauen hat Yukatsuki es heute nicht zugelassen, dass ich zu viel Chakra verbrauche. Das Kind hat wahrscheinlich ihr eigenes Chakra vollständig aufgebraucht bei dem Versuch, schneller zu sein als ich – wofür bin ich eigentlich da?“
 

Die Wahrheit ihrer Worte war nur zu deutlich in ihrem Gesicht zu sehen. Sie sah tatsächlich besser aus.

„Wo ist Yukatsuki eigentlich?“, fragte seine Mutter, und Shikaru wurde bewusst, dass er seine Partnerin seit einigen Stunden nicht mehr gesehen hatte. Zusammen mit seiner Mutter hatte sie die Patienten des kleinen Dorfes untersucht und so gut es ging behandelt – auch, wenn dies in vielen Fällen nur bedeutete, dass sie ihnen die Schmerzen genommen hatten – und da er wusste, dass die Ärztin mit Yuka sicher war, hatte er sich darauf konzentriert, aus den Daten, die der Dorfarzt Takeo gesammelt hatte, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Irgendwann war er zu den beiden Frauen gestoßen und hatte so gut es ging versucht zu helfen, was Yuka dazu veranlasst hatte, aufzustehen und sich leise zu entschuldigen. Er nahm an, dass sie noch weitere Patienten behandelt und sich dann zurückgezogen hatte – wenn seine Mutter Recht hatte, musste sie sehr erschöpft sein.

Gleichzeitig – gleichzeitig bekam er das Gefühl, dass sie ihn mied. Warum? War sie nicht einverstanden mit seiner Entscheidung, seine Mutter zu suchen anstatt nach Konoha zurückzukehren? Er beschloss, später darüber nachzudenken. Die Seuche hatte Vorrang.
 

„Etwas kommt mir merkwürdig vor“, sagte er nachdenklich und starrte in die wachsenden Schatten um sie. Es würde Abend, und die Temperaturen sanken beinahe spürbar. „In Xefua hat die Krankheit zunächst alle Kinder infiziert und endete in jedem Fall tödlich. Erst dann wurden die Erwachsenen angesteckt. Hier ist es umgekehrt – zunächst starben alle Erwachenen, nun sind die Kinder an der Reihe.“

Ino nickte zustimmend. „Du hast es also auch bemerkt. Um ehrlich zu sein, so etwas habe ich noch nie gesehen geschweige denn davon gehört. Natürlich gibt es Krankheiten, die nur Kinder betreffen, und umgekehrt, aber das hier scheinen Abarten voneinander zu sein, und regional wirken sie sich völlig unterschiedlich aus...“

„Ich frage mich“, grübelte Shikaru, „Warum Takeo-San noch am Leben ist?“

„Natürlich weil er nicht von hier stammt“, sagte seine Mutter erstaunt. „Hast du ihn nicht gefragt?“

„Nein“, gab Shikaru zu. „Ich wollte es noch tun. Er ist also nicht von hier?“

„Er war ein Wanderarzt, der zufällig hier vorbeikam, als die Seuche begann. Er ist geblieben, um auf die Kinder Acht zu geben.“

„Aber warum ist er nicht krank geworden?“

Ino zuckte die Achseln, selbst nicht zufrieden mit ihrer Antwort. „Vielleicht ist er ein Überträger, wie Camille. Oder vielleicht ist es wirklich regional bedingt, regional und genetisch...“

„Ziemlich viele Vielleichts, findest du nicht?“

Ino warf ihrem Sohn einen skeptischen Blick zu. „Woran denkst du?“

Shikaru seufzte. „Das ist ja das Problem: Momentan an nichts. Aber irgendetwas stimmt hier nicht, das weiß ich genau. Wenn ich nur wüsste was...“
 

Schritte hinter ihnen liessen sie aufhören. Takeo trat zu ihnen und liess erschöpft die Schultern hängen.

„Die Kinder schlafen alle, die Patienten sind zumindest schmerzfrei. Das ist mehr, als ich in vielen Wochen erreichen konnte...Vielen Dank!“

Ino schüttelte mitfühlend den Kopf. „Es muss anstrengend gewesen sein für Sie. Die Verantwortung für all die Kinder...“

Der Mann zeigte etwas zwischen einem Lächeln und einer Grimasse. „Zu Anfang war es nur eine lästige Pflicht. Aber dann... Irgendwann sind sie mir ans Herz gewachsen, Björn und Malin und all die anderen. Ich kann sie nicht sterben lassen.“

„Die Kinder sind erst einmal behandelt... Morgen werden wir nicht so viel wie heute zu tun haben. Was halten Sie davon, wenn wir uns noch einmal zusammen setzen und über alle Informationen gehen, die wir haben? Irgendwo muss die Lösung versteckt liegen, ich bin mir sicher.“

Müde Hoffnung zeigte sich in den Augen des Mannes.

„Das wäre schön. Morgen.“

„Also Morgen.“ Ino nickte bestätigend. Auch Shikaru deutete seine Zustimmung an. „Yukatsuki kann sich um die Kinder kümmern. Morgen.“
 

Morgen kam immer schneller als erwartet.
 

...
 

Den gesamten Vormittag, den Mittag und einen Großteil des Nachmittags des nächsten Tages verbrachten sie damit, ihre Ergebnisse zu vergleichen, analysieren und Hypothesen aufzustellen.

Zu dem Zweck hatten sich Takeo-San, Ino und Shikaru in einen leeren Raum des behelfmäßigen Krankenhauses zurückgezogen. Da es bei so vielen Opfern sinnlos was, sie alle in den begrenzten Raum der Station zu verlegen, hatte Takeo die meisten Kinder in ihren entsprechenden Schlafräumen belassen, sodass auf der Krankenstation eine unwirkliche Stille herrschte. Die Köpfe gebeugt über Pergamentrollen, Notizen und anderem Papier, berieten sie sich oder suchten schweigend und legten nur kurz eine Mittagspause ein, als drei Kinder mit drei Tabletts mit dampfendem Essen hereinwankten, ihnen freudestrahlend mitteilten, Yuka-Nee-San hätte sie beim Zubereiten der Mahlzeit helfen lassen und dann wieder juchzend hinausstürmten. Takeo-San betrachtete sie liebevoll.

„Sie waren lange nicht mehr so ausgelassen“, erklärte er auf Shikarus und Inos fragenden Blick hin.

„Yukatsuki“, sagte Ino stirnrunzelnd und brachte ihren Sohn dazu, aufzusehen. „Was ist mit ihr?“

„Wo ist sie eigentlich?“, stellte seine Mutter eine Gegenfrage. „Ich habe sie heute noch gar nicht gesehen.“
 

Das hatte er auch nicht, wurde Shikaru bewusst. Gestern Nacht, als sie zu dem kleinen Häuschen zurückkehrten, welches Takeo ihnen zur Verfügung gestellt hatte, hatte Yuka bereits geschlafen, unruhig und dennoch zusammengerollt wie eine Katze. Ihre Decke war verrutscht und bevor Shikaru seine Mutter vor ihren manchmal recht agressiven Reaktionen auf eine Berührung im Schlaf hinweisen konnte, hatte sie sich gebückt und die Decke beinahe liebevoll wieder hochgezogen. Erstaunt beobachtete der Shinobi, wie seine Partnerin sich unruhig hin- und herwarf, aber dennoch weiterschlief.

Als er am Morgen aufstand – Wachen waren nicht nötig, sie befanden sich in Sicherheit, das wusste er, weil Yuka nicht daran gedacht hatte, Wachen einzuteilen – war sie bereits verschwunden und aus einem anderen Haus ertönte Kinderlachen.
 

„Wir könnten ihre Hilfe gebrauchen“, murmelte er nun, sich selbst nicht ganz sicher ob er sie einfach nur sehen wollte oder ob er es tatsächlich so meinte. Takeo lächelte nur. „Ich bin froh, dass sich endlich einmal jemand ganz um die Kinder kümmert.“
 

...
 

Nach acht Stunden gaben sie auf.

Enttäuschung zeichnete sich auf Shikarus ernsten Zügen ab, spiegelte sich in Takeo-Sans Bewegungen, als er sämtliche Pergamentrollen aufsammelte und vorsichtig in ein Regal zurücklegte, und war schliesslich auf Inos Zügen zu sehen, als sie vorsichtig aufstand und ihre verkrampften Muskeln streckte. Den ganzen Tag in einer kauernden Position auf dem Boden zu verbringen forderte irgendwann seinen Tribut ein. Ihre Augen brannten vor Anstrengung – es war merklich dunkler geworden – und langsam kehrte die Erschöpfung in ihre Glieder zurück, verursachten, gepaart mit der schrecklichen Hoffnungslosigkeit, Erschöpfung und Enttäuschung, einen leichten und dennoch beharrlichen Schmerz in ihrem Hinterkopf. Sie wartete, bis auch Shikaru und Takeo-San aufgestanden waren, und ging langsam zur Tür, die sich in einen regnerischen Abend öffnete.

Es regnete nicht nur. Es schüttete.
 

Takeo runzelte die Stirn.

„Das Wetter ist umgeschlagen. Wie merkwürdig.“

Bereits der kurze Weg von der Krankenstation zum Vordach des nächsten Hauses durchnässte sie völlig.

„Das scheint eine Eigenart dieser Region zu sein“, sagte Yuka leise und trat aus dem Schatten des kleinen Vordachs. Das Wasser lief ihr aus den Haaren und über das Gesicht, und ihr Rock klebte an ihren Beinen. Hinter ihr materialisierten einige Kinder in Regenmänteln und Gummistiefeln, angeführt von Björn, dem dunkelhaarigen Zehnjährigen, und seiner ständigen Begleiterin Malin, dem hellhaarigen, etwa neunjährigen Mädchen. Sie trat vor und fasste nach Yukas Hand. Die anderen drei Shinobi lächelten.

„Gibt es Neuigkeiten?“, fragte Yuka, doch niemand antwortete. Die Stille war schwer vor Enttäuschung. Selbst die Kinder schwiegen, bis der vorlaute Björn Yuka am Rock zupfte.

„Was gibts zum Abendessen?“

Takeo verkniff sich ein Grinsen. „Wenn das, was es heute Mittag gab, Standard in Konoha ist, dann werden die Kinder mich alle verlassen, sobald sie können. Ich bin ein lausiger Koch.“

„Ätsch!“, rief Malin und drehte ihm eine lange Nase. „Yuka-Nee-San kocht viel besser als du!“ Mit einer lachenden Kinderschar verschwanden sie in dem Haus.

Ino lächelte. „Ich werde mich umziehen gehen“, sagte sie und trat vorsichtig aus dem Schutz des Vordaches in den strömenden Regen. Der Weg war aufgeweicht und rutschig von Matsch. Tief atmete sie ein:D er Geruch, dunkel und feucht, des Waldes rief hunderte von Erinnerungen in ihr wach: Ein anderer Wald, andere Menschen... Sie schüttelte den Kopf, um das Bild zu vertreiben. Und übersah einen Stein.

Stolperte.

Fiel.

Der Boden wurde ihr unter den Füßen weggezogen und sie ruderte verzweifelt mit den Armen, um ihr Gleichgewicht zu halten, aber es war zu spät. Instinktiv bereitete sie sich auf den Aufprall vor, das Wissen, wie man richtig fiel, vom ANBU-Training in ihre Muskeln gebrannt –
 

– und zwei Hände schlossen sich um ihre Oberarme, eine Hand packte ihren rechten, eine Hand ihren linken Arm, hielten sie aufrecht und verhinderten ihren Sturz.

Zu ihrer Linken stand Takeo und sah sie besorgt an, und in ihrem Blick stand etwas, das ihr nicht gefiel. Sein Griff brannte sich heiß und eine Spur unangenehm in ihre Haut. Sie schauderte unter der Intensität seines Blickes.
 

Der Griff der Hand zu ihrer Rechten war so fest und vertraut, dass sie ihn zunächst gar nicht bemerkte. Sie wandte sich um.

„Shikamaru!“
 

...
 

Stumm beobachtete Yuka, wie Shikamaru Nara, den Arm seiner Frau noch immer fest umfasst, sie zu sich drehte, um sie besser betrachten zu können. Er musterte sie prüfend, sagte nichts, lächelte nicht. Ohne ein Wort erwiderte Ino-San den Blick. Ihre zuvor noch mit Erstaunen geweiteten Augen nahmen langsam einen völlig anderen Blick an, weich und tief und klar. Nicht ein einziger Laut durchbrach das leise Rauschen des strömenden Regens.
 

Takeo liess den Arm der Ärztin los und sah hilfesuchend zu Shikaru und Yuka hinüber. Als niemand etwas sagte, trat etwas anderes in seine Augen und er verschwand im Regen, als sei er niemals dagewesen.

Noch immer sahen Ino-San und Shikamaru-San sich wortlos an.

Der Blick liess sie erschauern – Shikaru hatte Recht gehabt. Es war, als wären sie völlig allein auf der Welt. Yuka fühlte sich unwohl, aber dennoch starrte sie gebannt weiter. Deshalb entging ihr der Blick, den Shikaru ihr zuwarf.
 

Schließlich seufzte Ino leise auf, überbrückte die letzten Schritte zwischen ihnen und liess sich gegen Shikamaru sinken. Er roch nach Wald und nach Schweiß und nach Shikamaru. Er war genauso nass wie sie, aber das störte sie nicht im Geringsten.

Shikamaru schlang beide Arme um sie, beruhigend und besitzergreifend zugleich, und hob sie in einer einzigen Bewegung hoch.

„Ich hab dich vermisst“, flüsterte sie leise in seine Brust und spürte, wie er ihr Haar küsste. So folgte er seinem Sohn, der die Führung übernommen hatte und sie beide zu ihrem kleinen Haus brachte.
 

...
 

„Was wir brauchen, ist etwas, das uns aufmuntert“, sagte Ino-San nach dem Abendessen und lächelte ihrem Mann zu. „Und ich weiß auch was. Shikaru hat unsere Tradition übernommen, weißt du.“

Shikamaru zog nur die Brauen hoch.

Lächelnd wandte sich Ino an ihren Sohn. „Würdest du uns eine Geschichte erzählen, Shikaru? Eine lustige, wenn möglich. Such dir eine aus.“
 

„Du hast gar nicht geschlafen!“, beschuldige Shikaru sie. Ino zuckte nur lächelnd die Schultern.

„Leg los.“ Hilfesuchend wandte sich Shikaru an Yuka, aber die sah ihn nicht an. Seufzend fragte er sich, was er falsch gemacht hatte, und begann.
 

Er wusste, wer vor der Tür stand, noch bevor er sie geöffnet hatte.

Das Gesicht der Person war nicht mehr das Selbe, nicht mehr so jung und glatt und faltenlos wie einst. Die Augen waren tiefer, ruhiger, aber sie waren immernoch von dem selben Stahlgrau und die rotblonden Haare fielen noch immer schulterlang über ihren Rücken. Die vollen Lippen und der ausdrucksstarke Mund hatte sich nicht verändert.

„Kakashi“, sagte Rin zur Begrüßung, mehr nicht. Der silberhaarige JouNin schluckte alles hinunter, was ihm auf der Zunge lag.

„Rin.“
 

Sie war zurück.

*

*

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Ende des Kapitels

*

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6. Nacht - Nonverbale Kommunikation

„Habt ihr es schon gehört? Rin Hayashino ist zurück!“
 

„Rin Wer?“
 

Rin Hayashino! Die Rin – die dritte Schülerin des Vierten Hokage! Die mit...“

„Ah, die mit Hatake und dem Uchiha in einem Team war? DIE Rin? Ich dachte, die sei tot!“

„Das dachten alle. Aber sie soll gestern einfach so durch das Tor spaziert sein...“

„Wo war die denn die ganzen Jahre? Sie soll eine klasse Ärztin gewesen sein, wir hätten sie sicher brauchen können!“

„Naja, das weiß niemand. Aber sie muss wirklich gut gewesen sein!“
 

-V-
 

Es war, als sei sie nie fort gewesen.

Graue Augen trafen auf Graue.
 

Sie hatten nie Worte gebraucht, um sich zu verständigen, hatten immer gewusst, was der andere sagen wollte, auch ohne es auszusprechen. Immer. Sie hatten ihre eigene Art der Verständigung, und das war gut so. Mit Worten konnte man Lügen. Mit Worten konnte man Verletzen. Mit Worten war es unmöglich, sich der Realität nicht zu stellen. Also schwiegen sie.
 

Für Kakashi war es nie schwer gewesen, zu wissen, was Rin dachte. Es war ihr Gesicht – ihre eindrucksvollen, grauen Augen, ihre Lippen, ihr Ausdruck, sogar ihre Haltung. Aber auch alles, was sie tat, und die Art, wie sie es tat. Wie sie ihn las, wusste er nicht, dazu kam, dass sein Gesicht sowohl von der Maske als auch von seinem Stirnband verdeckt war. Aber sie konnte es. Das war es, was zählte.
 

-V-
 

Irgendwann hatten sie aufgehört, miteinander zu sprechen.

Es war nicht nötig. Sie verstanden sich ohne Worte. Er brauchte keine Angst zu haben, dass sie die Dinge, die in ihm schwelten, sehen würde, denn sie kannte sie und wusste um ihre Anwesenheit. So wie er von ihrer Trauer, ihrem Schmerz und ihren Schuldgefühlen wusste. Aber wissen bedeutete nichts, erst es auszusprechen hätte Stärke erfordert. Und deshalb schwiegen sie und sprachen schweigend.

Es hatte nur zwei Menschen gegeben, in deren Anwesenheit sie auf ihre stumme Kommunikation verzichtet hatten. Der eine war ihr bester Freund, ihr Teamgefährte, vielleicht sogar mehr, gewesen. Obito Uchiha war tot. Der andere war ebenfalls ihr Freund, ihr Mentor, ihr Lehrer – und der Hokage der Vierten Generation. Auch er war tot.

Seitdem gab es keinen Grund, nicht nicht zu reden. Was kümmerten sie die anderen Leute.
 

-V-
 

„Hayashino Rin.“

Die ehrwürdige Hokage der Fünften Generation sah die Frau freundlich über ihren Schreibtisch hinweg an, ihre Ellenbogen auf die Holzplatte des Tisches gestützt, ihre Hände vor dem Kinn verschränkt.

„Ich freue mich aufrichtig, dich wiederzusehen. Dein Weggang war ein großer Verlust für Konoha. Was hat dich dazu bewogen, zurückzukehren, jetzt, wo alle glaubten, du seiest tot?“
 

Tsunade konnte nur wenig von dem Mädchen, welches Jiraiyas Schüler vor so vielen Jahren so erfolgversprechend trainiert hatte, in der Frau vor ihr sehen. Sie war jung gewesen, natürlich, noch nicht völlig geformt, wie ungebrannter Ton. Ein Mädchen, das Großes hätte erreichen können – und das sich entschlossen hatte, ihre Heimat zu verlassen, mit 14 Jahren. Die Frau vor ihr war schlank und durchtrainiert – stolz und hart, in bestimmten Aspekten, aber der Zug um ihre Lippen wirkte noch immer weich und kindlich. Ihre Augen zeigten den Schmerz, den sie in der Welt gesehen hatte – er hatte sich in ihre Seele gebrannt.
 

Interessiert beobachtete sie nun, wie Rin sich versteifte und ihre rechte Schulter leicht vorschob.

Im Laufe ihrer Jahre als Hokage – und bereits zuvor – hatte Tsunade viel über Körpersprache gelernt. Auch nun deutete sie die Geste richtig – Rin hatte sich zu Kakashi umdrehen wollen, der nur wenige Schritte hinter ihr stand, hatte sich aber davon abgehalten. Für eine Sekunde blieb es still. Dann antwortete Rin:

„Ich hatte Sehnsucht nach meiner Heimat, ehrwürdige Hokage.“

„So?“, antwortete Tsunade und zog die Brauen hoch. Rin blickte sie direkt an, doch dan schweiften ihre Augen zu dem großen Fenster hinter ihr.

„Es gibt keine bessere Erklärung.“

„Nun gut“, sagte Tsunade und richtete ihren Blick auf einen Stapel Akten vor ihr auf dem Tisch.

„Da es keinen uns bekannten Grund gibt, aus dem du eine Gefahr für das Dorf darstellen könntest, und weil wir in den letzten 16 Jahren nichts von dir gehört haben und davon ausgehen, dass du wirklich nur auf Reisen warst, wie du darlegst, werden wir deinen Antrag um die Aufnahme in den aktiven Dienst Konohas statt geben. Der Ältestenrat jedoch stellt eine Bedingung.“

Rin und Kakashi zogen beide die Brauen hoch, eine so dermaßen ähnliche Geste, dass sie noch überrascht vom einen zum anderen starrte, während sie fortfuhr:

„Allerdings wirst du nicht sofort wieder als vollwertige Kunoichi aufgenommen, sondern wirst zuvor eine Probezeit absolvieren, bis sich die Ältesten deiner Loyalität vollkommen sicher sein können.“

„Probezeit?“, fuhr Rin auf. „Ich habe immer...“

Sie stockte und wandte sich nun wirklich vollständig zu Kakashi um. Als sie das Gesicht wieder Tsunade zudrehte, wirkte sie resigniert.

„Ich akzeptiere die Bedingungen.“

„Sehr schön.“

Ohne hinzusehen, warf die Hokage der Frau vor ihr eine der Pergamentrollen zu, durch die sie gerade gegraben hatte. Rin fing sie und starrte sie an. „Was...“

„Euer erster Auftrag. C-Ranking – fürs erste.“

„“Euer“?“, echote Rin. Tsunade lächelte freundlich.

„Deiner und Kakashis. Ich erwarte, dass ihr mir beweist, dass ihr die Fähigkeit zur Zusammenarbeit nicht verloren habt. Sucht euch ein drittes Teammitglied aus gerade verfügbaren Shinobi aus und meldet euch bei Shizune ab. Das war es dann.“

Kakashi und Rin beugten die Köpfe und schon befand sich niemand mehr im Raum außer der Fünften Hokage. Die schüttelte den Kopf und ging zurück an die Arbeit.

Diese Beiden... diese Beiden.
 

-V-
 

Das war kurz. – Und schmerzlos. Du hättest es schlimmer treffen können. – C-Ranking. Wie peinlich. Wir sind beide JouNin, sogar trainierte ANBU. – Du bist diejenige, die nach dem Krieg verschwunden ist. Es ist ihre Pflicht, dir zu misstrauen. – Sie hätte uns wenigstens noch einen dritten Mann zuteilen können. – Keine Sorge. Ich kenne jemanden, den wir mitnehmen können.
 

-V-
 

„Naruto!“

Der blonde Shinobi sah von der Suppe auf, die er gerade genüsslich schlüfte, und sah seinen ehemaligen Mentor auf sich zukommen. „Iruka-Sensei!“

Der ältere Mann mit der Narbe liess sich neben seinen Schützling auf einen Hocker fallen. „Gerade zurück von einer Mission?“

Zu seiner Überraschung verdunkelte sich Narutos Gesicht.

„Allen Kages sei Dank.“

„Nanu?“ Iruka unterdrückte ein Lächeln. Naruto sah wirklich so aus, als sei er höchst erleichtert, wieder zurückzusein. „Ist etwas passiert?“

„Es war nur eine C-Ranking Mission, insofern... Begleitschutz für eine Kronzeugin in einem Prozess gegen den korrupten Fürsten von Sonstewie. Einmal Hin und Zurück. Nicht weiter schwer, einige Attentate, sonst keine Vorkommnisse...“

„Wo lag das Problem?“

Narutos Gesicht verdüsterte sich.

„Kakashi- Sensei und Rin-San“, sagte er wortkarg und schaufelte die restlichen Nudeln in sich hinein.

Sein ehemaliger Lehrer schaute verdutzt. „Was soll mit ihnen sein?“

„Du hast sie noch nicht erlebt!“, stöhnte Naruto und stellte die Schüssel klappernd zurück auf die Theke. „Es ist ja noch ganz okay, wenn du sie ein paar Mal am Tag siehst. Einen ganzen Tag mit ihnen zu verbringen ist eine Herausforderung, aber keine Unüberwindbare. Aber 7 Tage am Stück ist eine Hölle!“

Besorgt fragte Iruka sich, was wohl geschehen sein mochte. „Red nicht um den heißen Brei herum – sag es endlich!“

„Sie sprechen nicht miteinander – und auch nicht mit dir. Das ist es. Dabei merkt man, dass sie keine Worte brauchen, um sich zu verstehen, aber es ist die Hölle für Außenstehende!“

„Sie verstehen sich gut“, fasste Iruka zusammen. „Dabei ist doch nichts. Übertreibst du nicht ein bisschen, Naruto?“

„Iruka-Sensei.“

Naruto sah ihn an, und aus seinem Gesicht war der ermüdete und genervte Ausdruck gewichen und nur bitterer Ernst zurückgeblieben.

„Es ist sehr schön, wenn zwei Menschen sich ohne Worte verstehen. Das gebe ich zu. Aber bestimmte Dinge müssen ausgesprochen werden, verstehst du? Mit den beiden zusammenzuarbeiten ist die Hölle, weil alles, was sie sich nicht sagen, zwischen ihnen steht wie eine Wand. Die Atmosphäre ist so angespannt, dass du Angst hast, dich zwischen ihnen zu bewegen, weil sonst alles, was zwischen ihnen ist, explodiert. Und sie wollen das nicht, also kesseln sie sich von dir ab, aber die Mauer bleibt trotzdem. Und dann reden sie nicht miteinander, also auch nicht mit dir, und es ist, als wärst du nur ein Anhängsel, während diese beiden den Auftrag erfüllen... Dieses Mal war es nicht so schlimm, weil diese Zeugin ihre Familie dabei hatte und das für Ausgleich sorgte. Aber wenn sie in einer anderen Mission unterwegs sind... „Sich wortlos verstehen“ – so kann man es nennen. Ich würde eher sagen, sie schweigen sich an!“
 

Sprachlos starrte Iruka seinen erwachsen gewordenen Schüler an.

„Naruto...“

„Ja?“

Du hast es als Einziger gemerkt, wollte er ihm sagen. Du hast als einziger bemerkt, was es wirklich ist. Wir anderen sind nur davon ausgegangen, dass sie einfach keine Worte brauchen...

„Ich bin stolz auf dich“, sagte er stattdessen.

„Was?“

„Komm, ich lade dich ein.“
 

-V-
 

Du willst die Tür nicht öffnen.
 

Erschrocken riss Naruto die Hand von der Klinke zurück, die er gerade hatte drehen wollen, um dem drängenden Klopfen auf der anderen Seite endlich Einhalt zu gebieten. Er schob seine Vorahnung beiseite und öffnete die Tür. Wie er erwartet hatte.

„Kakashi-Sensei... Rin-San“, sagte er und beugte respektvoll den Kopf.

Sein ehemaliger Lehrer schien ihn von unter seiner Maske anzugrinsen. Hinter ihm stand dessen Partnerin und schaute interessiert an ihm vorbei in die Wohnung. Naruto wusste, es gab nicht viel zu sehen. Er besaß quasi nichts.

„Komm schon – wir müssen los!“
 

-V-
 

Zwei Tage später erschien der Gedanke an seine leere, dunkle und stille Wohnung ihm wie ein Paradies. Selbst wenn er zuvor noch seine unangenehme Aufgabe bei Tsunade-Sama würde beenden müssen.
 

-V-
 

„Wie bitte?“

Rin und Kakashi sprachen beide gleichzeitig, beide mit dem selben Ausdruck von Unglaube auf dem Gesicht, beide mit dem selben Maß an Irritation in der Stimme. Zufrieden registrierte die Fünfte Hokage diese Tatsache, die Narutos Vermutungen bestätigte.

„Das Problem liegt in der Zusammenarbeit.“

Rin und Kakashi tauschten einen verständnislosen Blick. „Meines Wissens arbeiten wir sehr gut zusammen“, sagte Rin steif. Kakashi bestätigte seine Partnerin durch Schweigen.

Der Blick der Hokage wurde hart. Sie stützte ihre Hände auf den Schreibtisch, hinter dem sie stand.

„Oh ja. Ihr arbeit hervorragend zusammen, keine Frage.“

Ihre Stimme war kalt und ausdruckslos.

„Ihr seid ein perfekt aufeinander abgestimmtes Team, sogar nach 18 Jahren noch. Ohne offensichtliche Absprache reagiert ihr im Einklang. Ihr ergänzt euch im Kampf. Selbst in einer Überraschungssituation seid ihr in der Lage, diese schnell und wirksam zu euren Gunsten zu wenden – aber eine Sache könnt ihr nicht. Und wie es der Zufall will, ist dies die Eigenschaft, die ich bei meinen Shinobi als am Wichtigsten überhaupt einschätze.“

Ihr Blick wanderte zwischen ihnen hin und her und fand nur Unverständnis.

„Keine Frage“, sagte sie leise. „Ihr wisst es nicht.“ Sie sah Naruto an, der im Schatten hinter seinen Teamkollegen stand und ruhig zusah.

„Rin. Kakashi. Ihr seid einfach nicht in der Lage, einen Dritten in euer Team zu integrieren.“
 

„Das ist absoluter Schwachsinn!“, platzte Rin heraus, während Kakashi nur dastand und seine Vorgesetzte anstarrte. Ebenso entschlossen starrte diese zurück.

„Und dabei ist es das, was der Vierte euch so nahegelegt hat“, sagte Tsunade leise. „Ich schlage vor, dass ihr versucht, dieses Problem möglichst schnell aus der Welt zu schaffen. Bis ihr dazu in der Lage seid, auch mit einem Dritten im Bunde eine Mission anzugehen, seid ihr vom aktiven Dienst entbunden. Ich weiß, du, Kakashi, hast bisher Missionen vorwiegend allein ausgeführt. Aber auch du musst im Team arbeiten können – mit gleichwertigen Mitgliedern, nicht mit GenNin.“

Entsetzen stand in die Gesichter beider JouNin geschrieben. Dass schliesslich Kakashi sprach, zeigte der Hokage, dass ihn diese Eröffnung genauso getroffen haben musste wie seine Teamkollegin.

„Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?“
 

Das Lächeln, welches sie mit Naruto austauschte, zeigte Stolz. Auch er grinste.

„Ich schlage vor, ihr redet einmal miteinander“, sagte sie leicht und wandte ihnen den Rücken zu, um einige Rollen Pergament auf einen anderen Stapel zu verschieben. „Und damit meine ich: richtig reden. Kommunizieren – verbal. Aussprechen, was gedacht wird.“
 

-V-
 

Reden. Was will sie bloß von uns? – Können wir wirklich nicht mit einem dritten Shinobi zusammenarbeiten? – Frag mich was besseres. Ich habe genausowenig bemerkt wie du. – Du hattest ja deine ANBU-Missionen. Da brauchtest du mit niemandem zusammenzuarbeiten. – Und du bist für 18 Jahre allein durch die Weltgeschichte gereist. Auch nicht besser.
 

-V-
 

„Also reden wir“, sagte Kakashi zögernd, als sie die Straße entlanggingen. Egal in welche Richtung, nur weg vom Haupthaus.

„Worüber?“

„Ich weiß nicht.“

Sie blieben stehen und sahen sich kurz an. Kakashi zuckte die Schultern. Rin grinste.

Nachdem der erste Moment der Überraschung vergangen war, fühlten sich beide unwohl. Sie nahmen das Laufen wieder auf.
 

„Und? Was hast du in den letzten Jahren so gemacht?“

Rin schluckte. „Warum interessiert dich das?“

„Einfach so.“

Zu viel Misstrauen. Worte konnten so viel bedeuten. Sie kannten sich nicht aus in dieser Welt.

„Wie gesagt – ich bin durch die Gegend gereist. Habe geholfen, wo man mich brauchte – gute MedicNin waren rar nach dem Krieg, das weißt du.“

Sie zögerte und beschloss, dass sie ihm entgegenkommen musste.

„Und du?“

„Missionen. ANBU. Team 7, Naruto. Das Übliche eben.“

„Wer war noch in deinem Team?“

„Sakura Haruno, Sasuke Uchiha.“

„Was ist mit ihnen...“

Kakashi deutete mit einem Kopf vorwärts. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wohin sie gingen. Im warmen Sommersonnenlicht des Abends leuchtete der Gedenkstein grünlich.
 

Rin zuckte zurück. „Nein. Kakashi.“

„Sieh nach unten“, sagte er und sie gehorchte. Sasuke Uchiha. Sakura Uchiha, geb. Haruno.

“Oh Gott, Kakashi, das… Wie…”

Er schüttelte den Kopf. „Wie es immer passiert. Viele Kämpfen. Einer gewinnt. Die anderen verlieren. Du weißt, wie das abläuft.“
 

Ihre Fingernägel bohrten sich in seinen Arm, wo sie sich an ihm festklammerte.

„Kakashi. Lass uns weiter. Ich will nicht hierbleiben.“

Die Stimme ihres Teamkollegen war plötzlich hart. „Warum, Rin? Willst du wieder weglaufen? So wie damals?“

Rin schlang ihre Arme um sich selbst und verfluchte Worte. So schmerzhaft. So wahr.

„Ich laufe nicht davon.“

Und gleichzeitig – solche Lügen.

Weil Gedanken nicht logen, hatten sie Themen wie dieses immer beiseitegeschoben. Ihr war nie aufgefallen, dass das eine solch hohe Mauer zwischen ihnen errichtet hatte.

„Ach nein?“ Kakashi klang bitter. Mit wenigen Schritten überbrückte er die letzten Schritte zum Monument.

Du bist direkt nach seinem Tod aus Konoha verschwunden. Eigentlich wollte ich es nicht wissen. Niemals. Aber du hast gesehen – es geht nicht anders. Also frage ich dich jetzt: Warum?“
 

Es war dieser Grund gewesen. Dieses Thema war die Ursache dafür, dass sie verschwunden war, dass sie ihn allein zurückgelassen hatte und alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte. Sie hatten Schuld auf sich geladen, große Schuld – und darüber zu sprechen brachte diese letzte Verbindung zwischen ihnen zum Zerreissen. Sie biss die Zähne zusammen und sprach es aus.
 

„Hätten wir es nicht getan, wäre Obito noch am Leben. Diese gesamte verfluchte Sache vom „Sich-ohne-Worte-verstehen-können – Sie hat ihn umgebracht. Es ist unsere Schuld, allein unsere.“
 

Dass es in der Hitze des Gefechts passiert war, war keine Ausrede. Sie hatten niemals – niemals – in Obitos Gegenwart auf ihre Verbindung zurückgegriffen. Niemals – bis auf das eine Mal, bei dem Rin lautlos aufgeschrien hatte, weil der Anblick so überraschend war. Das eine Mal, bei dem Kakashi ihre Hand ergriffen und sie weggezogen hatte, mit einer ebenso lautlosen Warnung an Obito – und er hatte sie nicht gehört. Hatte sie nicht hören können. Er war dem tödlichen Steinhagel nicht entkommen. Sie schon.
 

„Ja“, entgegnete Kakashi ebenso leise. „Ich hätte ihn warnen müssen. Es ist meine Schuld.“

„Es ist nicht nur deine Schuld!“, fuhr sie auf. „Ich hätte auch etwas sagen müssen! Ich hatte die ganze Zeit ein schlechtes Gefühl, und dann stehe ich nur da wie eine Puppe und schaue zu, wie...“ Ihre Stimme brach. „Also komm nicht auf den Gedanken, dir allein die Schuld zu geben, Kakashi Hatake, denn ich trage sie ebenso!“

„Er hat dich geliebt!“

Kakashis Lippen waren ein einziger, dünner Strich, das sah man sogar hinter seiner Maske, und sein sichtbares Auge funkelte wütend.

„Na und?“, schrie sie zurück. „Das macht es doch nicht besser! Das macht es sogar noch schlimmer! Er hat mich geliebt, und ich habe ihn allein gelassen! Und sieh mich gefälligst richtig an, wenn ich mit dir rede!“

Wutentbrannt riss sie ihm sein Stirnband aus dem Gesicht und die Maske hinunter. Das Sharingan blitzte sie rot an. Kakashi packte ihre Hand und drängte sie rückwärts, bis sie mit dem Rücken an einen Baum gelehnt dastand.

„Er hat dich geliebt und mich gehasst – na und? Wir waren ein Team! Von uns dreien ist aber nur er tot!“

„Also hätten wir alle da sterben sollen, oder was?“, kreischte sie fast. Tränen liefen ihr über das Gesicht. „Er hat dich ebenso geliebt – ihr wart Freunde, auch, wenn du zu dickköpfig warst, um das zu verstehen! Wir waren ein Team und wir haben gegen die Regeln verstoßen! Er hätte mich nicht lieben dürfen! Ich hätte dich nicht lieben dürfen, vielleicht hätten wir uns dann so arrangieren können, dass alles perfekt gewesen wäre!“

Wortlos starrte er sie an, zu wütend, um Worte zu finden.

„Er ist tot, sieh es endlich ein, Kakashi! Du kommst jeden Tag hierher und sprichst mit ihm, ich laufe davon, aber das ändert nichts! Wir haben beide Schuld auf uns geladen, vielleicht ist das ja der Grund, warum wir beide unfähig sind, mit irgendwem als uns beiden zu arbeiten! Aber das macht Obito nicht wieder lebendig!“

„Was soll ich sonst tun?“, fragte er, müde und voll Schmerz. „Was soll ich tun, damit es wieder wie früher wird? Du und er und ich?“

Ihre Augen waren schwarz vor Wut. „Wenn du immernoch nicht verstanden hast, dass es keine Möglichkeit gibt, dass alles wieder wie früher wird, dann bist du ein hoffnungssloser Fall! Gott, und ich kann nicht glauben, dass ich einmal in dich ver---“
 

Er küsste sie.
 

Seine Fingernägel gruben sich in ihre Oberarme und er drückte sie fester gegen den Baum hinter ihr als notwendig gewesen wäre. Der Kuss war nicht zärtlich oder weich oder liebevoll – er war hart und fordernd und flehend. Rin gab den Gedanken an eine Ohrfeige auf und erwiderte den Kuss ebenso hungrig. Ihre Lippen öffneten sich ohne Aufforderung und sie brachen erst auseinander, als der Luftmangel zu bedrohlich wurde.
 

Ihr Herz schlug rasend schnell und schmerzhaft in ihrer Brust und ihr Atem kam in Stößen. Kakashi war ebenso atemlos.

„Das...“, sagte er und bewegte sich dabei nicht, seine Lippen noch immer einige Zentimeter von ihren entfernt. „Das war...“

„Das war... nicht schlecht“, sagte Rin leise und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie konnte ihn noch immer schmecken, spüren, wie er sie küsste, wie sein Körper den ihren berührte...

„Genau.“

Eine Zeit lang war nur ihr schwerer Atem zu hören.

„Vielleicht...“ Kakashi zögerte.

„Hm?“, antwortete sie, abgelenkt durch die Art und Weise, wie sich seine Lippen bewegten. Ihr Kopf war leer.

„Vielleicht sollten wir das öfter machen?“

„Was? Reden?“

Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Als er sie diesmal küsste, reagierte ihr Körper sofort, ihre Hände flochten sich in sein silbernes Haar, ihr Körper presste sich so hart an ihn wie nur möglich. Er brach wieder ab, küsste stattdessen ihren Hals. Rin schloss die Augen,.

„Nein. Das hier.“
 

-V-
 

Zwei Tage – und sehr viele Gespräche später – standen sie wieder vor der Hokage, die sie erfreut anlächelte. „Gute Arbeit, ihr zwei. Haltet euch bereit für eure nächste Mission.“
 

Kaum waren die beiden verschwunden, tauchte Shizune aus dem Schatten hinter der Tür auf.

„Scheint so, als hätte sich die Spannung zwischen den beiden schlagartig gelegt“, wunderte sie sich.

Worüber sie wohl gesprochen haben?“

„Liebste Shizune“, sagte die Fünfte Hokage lächelnd und sah aus dem Fenster. „Über manche Dinge kann nicht gesprochen werden.“

„Nein?“, fragte Shizune mit hochgezogener Braue.Tsunade grinste in sich hinein.

„Nein. Manche Dinge muss man demonstrieren.“
 

Arbeit. Meine Fresse.

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Ende des Kapitels

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Infiltration

Konoha-Gakure, Zeit nach Ausbruch der Seuche in Konoha: 45h20min

Müde besah sich Hinata den langen Flur, welcher vor ihr lag.

Überall saßen und lagen mittlerweile Menschen jeden Alters, ein kleiner Junge saß still und mit geschlossenen Augen auf dem Schoß seines Vaters, eine Mutter wiegte mit verzweifeltem Gesichtsausdruck einen schreienden Säugling. Zwei Jugendliche waren auf den Plastikstühlen aneinandergelehnt eingeschlafen oder hatten zumindest die Augen geschlossen. Am liebsten hätte die Ärztin es ihnen nachgetan, aber sie zwang sich, die Situation aufzunehmen. Auf einmal erschien ihr die Luft im Hospital stickig und unatembar.
 

„Irgendwie schwer vorstellbar, dass sich das Virus so schnell ausgebreitet hat“, sagte eine Stimme hinter ihr und Hinata fuhr herum, um die Zwillinge Sakura und Haruka Inuzuka anzusehen, die hinter ihr aus einer Tür getreten waren. Beide waren in weiße Hemden und Hosen gekleidet und hatten ihre langen, glatten Haare zu Zöpfen zusammengebunden.

„Was tut ihr denn hier?“, fragte die Ärztin und runzelte die Stirn, während eine Ahnung in ihr aufstieg. Sakura – oder war es Haruka? Sie konnte sie einfach nicht auseinander halten – beantwortete ihr Frage und lächelte ein wenig. Für eine Inuzuka war das Lächeln tatsächlich sehr knapp ausgefallen.

„Wir haben uns freiwillig als Helfer gemeldet.“ „Was sollen wir tun?“

Hinata nickte knapp. Natürlich. Kurz fragte sie sich, ob Kiba wusste, was seine Töchter vorhatten. Aus zwei Paar braunen Hundeaugen trafen sie fragende Blicke. Es waren die Augen, die sie am meisten an ihren Teamkollegen erinnerten, immer die Augen – dem Aussehen nach schlugen die beiden Frauen eindeutig nach ihrer Mutter.

„Geht herum und verteilt Wasser und Decken“, instruierte sie die Zwillinge. „Bald sollte auch die Suppe fertig sein, dann könnt ihr beim Servieren helfen.“

„Ja, Hinata-San“, sagte diesmal Haruka. Oder Sakura. Beide glitten wie die Shinobi, die sie waren, lautlos in Richtung des anderen Ende des Flures davon. Hinata runzelte erneut die Stirn. Etwas, das die beiden zu Beginn ihrer Unterhaltung gesagt hatte, hatte etwas in ihr geweckt – aber was war es gewesen?

„Haruka, Sakura“, rief sie ihnen hastig hinterher. „Was habt ihr noch einmal vorhin gesagt? Irgendetwas, dass ihr euch nicht vorstellen könnt...“

Beide blieben wie auf Kommando stehen und wandten sich um.

„Wir meinen, dass es schwer vorstellbar ist, dass sich das Virus so schnell ausgebreitet hat“, sagten sie beide im Chor. Und eine von ihnen fügte hinzu: „Beim großen Fest war doch noch alles in Ordnung, und jetzt, eine Woche später...“

Hinata nickte abwesend. „Da habt ihr Recht“, sagte sie. „Wirklich schwer vorstellbar.“

Als nichts weiter kam, verschwanden die Zwillinge schliesslich endgültig und liessen eine nachdenkliche Hinata zurück, die langsam in Richtung ihres Büros wanderte.
 

Eine einzelne Person – der Bote aus dem winzigen Dörfchen Xefua – hatte diese Katastrophe auslösen sollen? Natürlich, er hatte das Virus in sich getragen, aber Ino hatte ihn sofort gefunden und ins Labor gebracht. Wo es eigentlich sicher war. Dann war Ashuria – bei dem Gedanken an die Frau krampfte sich ihr Herz zusammen – erkrankt, und sie hatten das Labor abgeriegelt. Wie waren so viele Menschen an einem Virus erkrankt, den sie, so gut es nur irgends möglich war, eingedämmt hatten? In ihrem Büro angekommen, liess sie sich auf den nächsten Stuhl fallen und sah aus dem Fenster, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Nein, das war unrealistisch.

Oder zumindest fehlte ihr ein Puzzelteil, um die Situation und die Ursache in Einklang zu bringen. Wenn so viele Leute krank waren, dann musste das daran liegen, dass viele Menschen in Kontakt mit dem Virus gekommen waren. Wenn viele Menschen infiziert wurden, dann musste das Virus sehr schnell und effizient angesetzt worden sein, sodass eine möglichst große Zahl an Leuten zugleich damit angesteckt wurden... Was gleichzeitig auch bedeutete, dass die Ursache allein unmöglich der Junge aus Xefua gewesen sein konnte...
 

Also musste jemand das Virus weiter verstreut haben.
 

Sie erstarrte.
 

Jemand hatte das Virus so geschickt angebracht, dass möglichst viele Menschen sich infizieren würden – was nicht weiter schwer war, denn vor einer Woche hatte das große Fest stattgefunden, und die Menschen waren zu Hunderten auf der Straße unterwegs gewesen. Man musste sich nur einschleichen, musste nach Konoha hineinkommen, ohne Verdacht zu erregen. Und man musste ungehindert ins Haupthaus und an alle öffentlichen Plätze gelangen, und da kamen nur einige wenige Menschen in Frage. Wie... Wie Kammerjäger, zum Beispiel.
 

Hinata rannte wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
 

Shinobi hielten sich nicht mit Höflichkeiten auf, wenn Eile geboten war.

Die Geheimpolizei Konohas hielt noch weniger davon, sich ihren Opfern anzukündigen. Der Leiter der Operation winkte ein Mal, und ein maskierter ANBU trat vor und machte sich lautlos am Schloss der Hotelzimmertür zu schaffen. Sekunden später trat er zurück und nickte seinem Teammführer knapp zu. Der blickte in die Runde und stiess die Tür auf.

Die Bewohner des Zimmers hätten, selbst, wenn sie gehört hätten, wie sich die ANBU-Einheit an ihrem Türschloss zu schaffen gemacht hatte, keinen Fluchtversuch machen können, unter dem einzigen Fenster war bereits eine andere ANBU-Einheit positioniert. Aber selbst wenn sie sie gehört hätten, hätten die vermeintlichen Kammerjäger, die vorgegeben hatte, etwas gegen die Wühlmausplage im Park zu unternehmen, keinen Fluchtversuch gemacht.
 

Neji Hyuuga, stellvertretender Leiter der ANBU-Einheiten Konoha-Gakures und Leiter der Spezialeinsätze, sah den Mann zu seiner Linken an. Er war der Einzige, der im Raum keine Tiermaske trug, aber sein Gesicht war eine Maske an sich: wachsbleich und absolut unbewegt. Nur das rote Flackern in seinen Augen verriet dem ANBU, wie wütend der Sechste Hokage war. Vor ihm standen – nein, knieten – zwei Männer, die Augen zu Boden gerichtet, die Hände mit Siegeln hinter ihrem Rücken gefesselt, und wirkten wie zwei Häufchen Elend. Niemand, am wenigsten der Hokage, schien Mitleid zu empfinden.

„Zwei“, bemerkte er eiskalt. „Wo sind die anderen Beiden?“ Neji machte eine Kopfbewegung zum angrenzenden Raum hin. Naruto trat über die Männer hinweg, als seien sie besonders widerlicher Dreck, und warf einen Blick ins Schlafzimmer.

Im Bett lag eine erbärmliche Gestalt, die Augen weit und glasig, und starrte ihn an. „Helfen Sie mir...“ Dann wurde er von einem Fieberschub geschüttelt. Neji, der hinter ihn getreten war, deutete mit einem Finger auf ein Bündel in der Ecke, fest eingeschnürt, von waager menschlicher Gestalt. Blut sickerte durch den Gardinenstoff.
 

Naruto fuhr auf dem Absatz herum und stürmte ins andere Zimmer zurück. Der Mann, den er an seinem braunen Haarschopf packte, zitterte vor Angst, bemühte sich aber, es sich nicht anmerken zu lassen.

„Was habt ihr mit ihm gemacht?“, zischte der Hokage ihn an, seine Augen nun endgültig blutrot. Trotzig starrte der angebliche Kammerjäger ihn an. „Er war schon so gut wie tot“, sagte er und zuckte vor Schmerz zusammen, als Naruto ihn schüttelte. „Er wäre sowieso gestorben.“

„Aha.“

Nun wieder ausdruckslos starrte der Hokage ihn an. „Du weißt also etwas über dieses Virus.“

Stille.

„Ich rate dir zu antworten: Seit ihr für den Ausbruch des Virus in Konoha verantwortlich?“

Trotziges Schweigen. Die anwesenden ANBU lauschten ebenso hasserfüllt wie Neji.

Naruto riss seine linke, freie Hand hoch. Krallen, scharf wie Messer, blitzten vor dem Gesicht des Verbrechers auf. „Ihr habt das Virus freigesetzt“, knurrte er. „Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht sofort in die Hölle schicken soll, wo du hingehörst.“

Der Mann besaß tatsächlich die Stirn, schwach zu grinsen.

„Weil ich Informationen habe, die Ihnen nützlich sein könnten, ehrwürdiger Hokage.“

„Ach.“

Angewiedert liess Naruto den Kopf des Mannes los. Aufstöhnend fiel der auf den Boden zurück.
 

„Neji – hol alle Informationen aus ihm heraus, die er hat. Ich überlasse dir die Methoden. Und halt mich auf dem Laufenden.“

Der dunkelhaarige ANBU nickte stumm. Der Verbrecher lachte. „Nicht einmal das mächtige Konoha ist also gegen alles gefeit.“

„Ich sag dir was.“ Auf einmal waren sie wieder da, die harte Hand in seinem Haar, die scharfen Krallen an seiner Kehle. Eine leise Stimme sprach sanft in sein Ohr. „Ich brauche dich nicht am Leben zu lassen. Ich weiß, dass du nichts über ein Heilmittel weißt, und das ist die einzige Information, die ich haben möchte. Wer hinter all dem steckt, finde ich auch allein heraus. Aber meine Leute sind ebenso wütend wie ich – und ein wenig Ablenkung könnte ihnen nicht schaden... Dafür seid ihr gut.“

Der Mann schluckte. „Das würden Sie nicht tun.“

Ein kalter Blick traf ihn.

„Es gibt sehr wenig, was ich nicht tun würde, um mein Dorf zu beschützen. Das hätte dein Auftraggeber wissen müssen.“
 

„Ruhe“, sagte der Sechste Hokage leise und die aufgeregten Stimmen verklangen. Im Besprechungsraum wurde es so still, dass man eine Stecknadeln fallen hören hätte können.
 

Neji Hyuuga hatte den Bericht vorgetragen, ohne einmal auf das Verhörprotokoll vor sich schauen zu müssen. Dann hatte er schweigend, so wie der Hokage, zugesehen, wie sich der Rat über den Informationen in die Haare geriet.
 

„Was wir also wissen, ist folgendes“, sagte der Hokage schliesslich in die immer drückend werdende Stille, die seinem Aufruf zur Ordnung gefolgt war.

„Diese Männer sind beauftragt und bezahlt worden, um sich als Kammerjäger auszugeben und dabei das Virus hier in Konoha zu verteilen. Sie wurden ausdrücklich darauf hingewiesen, Konoha erst zu verlassen, nachdem der Bote am helllichten Tage hineingestolpert käme und ganz Konoha in Panik verfallen würde, da dieser jedoch bereits vor Tagesanbruch entdeckt wurde, hatten sie keine Gelegenheit mehr zu fliehen. Sie wissen nicht, was es für ein Virus ist, sie wissen nicht, wer ihnen den Auftrag erteilt hat, sie wissen sowieso nicht viel. Ist das richtig?“

„Eine überzeugende Zusammenfassung“, sagte Neji trocken.

„Unglaublich!“, ereiferte sich einer der Ältesten wutschäumend. „Wie haben diese Männer das Virus überhaupt nach Konoha hineinbringen können?“

„Durch das Tor, nehme ich an“, murmelte einer der beiden ANBU, die Neji begleiteten. Der alte Mann warf ihnen einen tödlichen Blick zu. „Wer auch immer zu dieser Zeit Wachdienst hatte, so etwas hätte niemals passieren dürfen! Ich...“

„Ältester Takahashi“, unterbach der Hokage ihn ruhig. „Darf ich Sie daran erinnern, dass weder Sie noch Ich die Qualifikation haben, ein Virus von einem Wühlmausgift zu unterscheiden, vor allem, wenn es sich um ein geruchs- und farbloses Gas handelt. Weiterhin möchte ich Sie erinnern, dass die Souveränität des Rates dort endet, wo Shinobi involviert sind. Ich allein entscheide, wie – und vor allem wann und wofür – ich meine Shinobi bestrafe.“

Der Älteste zuckte zusammen und sank in den Stuhl zurück. Naruto seufzte innerlich. Sein Gegner in diesem Spiel hatte endlich seine Strategie enthüllt. Schade, dass es ihm nicht half, denn die Hälfte seiner Spielfiguren war schon längst geschlagen und aus dem Spiel verbannt worden.

„Was hat diese Versammlung eigentlich gebracht?“, fragte einer der Ältesten genauso müde, wie Naruto sich fühlte.

„Das wird sich bald herausstellen“, sagte Naruto leise.
 

Oh ja. Das wird sich bald herausstellen.
 

Ashuria lag da wie tot.

Nur das leise Heben und Senken ihres Brustkorbes deutete darauf hin, dass sie noch atmete. Langsam trat Naruto an ihr Bett heran. Es war spät, kein Arzt und kein Pfleger weit und breit waren zu sehen. Vorsichtig liess er sich auf die Kante des Bettes nieder und griff nach ihrer Hand.

Sie öffnete die Augen – und auf die Überraschung und die Erleichterung in ihnen folgte Angst. Aber sie versuchte ein schwaches Lächeln – und das brach ihm das Herz. Selbst jetzt, wo es ihr so schlecht ging, freute sie sich, ihn zu sehen.

„Ashuria.“ Ihr Name verliess seinen Mund wie ein Schwur. „Es gibt einen Weg, dich gesund zu machen. Und wir werden ihn finden.“

Sie hatte ihn nicht immer auf diese Weise angelächelt. Wenn er nichts unternahm, würde sie es auch nie wieder tun.

*

*

*

Ende des Kapitels

*

Strohhalme

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 73h
 

Blind starrte Yuka hinaus auf die endlose Grasebene, die sich vor ihrem Augen ausbreitete. Nur kleine Büsche wuchsen hier und dort, ein armseliges Zeugnis an Vegetation. Leise raschelte der Wind im schneidend scharfen Steppengras.

Sie mochte es nicht.

Sie mochte weder die Baum- und trostlose Umgebung der Steppe noch die endlose Weite, die scheinbar unendlichen Grasflächen, die sich bis zum Horizont erstreckten. Ihr fehlten die Vögel. Die Geräusche des Windes in den Baumkronen. Die sanfte Kühle der langen Schatten.
 

„Ist dir kalt?“, fragte Shikaru, als er neben sie trat. Innerlich zuckte sie zusammen. Er musste nicht so tun, als sei alles in Ordnung zwischen ihnen. Aber sie verstand, wenn er vor seinen Eltern schauspielern wollte.

„Nein“, antwortete sie knapp, obwohl sie tatsächlich fror. Es war die Leere, die sie zittern lies.
 

Shikaru trat neben sie und sah auf sie hinab. Was war nur mit Yuka los? Seit Tagen benahm sie sich kalt und abweisend und er wusste nicht, ob er etwas falsch gemacht hatte oder ob sie etwas bedrückte. An ihrem Gesicht konnte er nichts ablesen – und sein Atem verfing sich in seiner Kehle, als ihm erneut bewusst wurde, wie schön sie war.

„Das weckt Erinnerungen“, sagte er trocken.

Sie nickte. Yuka erinnerte sich genauso gut wie er – die Prüfung zum JouNin, mit Shikaru als Partner, die trostlose Steppe, die Flucht quer über die Ebene, ein Rudel Schattenwölfe auf den Fersen...

Rasch stand sie auf und ging an Shikaru vorbei, zurück zum kleinen Lager. Bemüht so zu wirken, als habe sie etwas vor, ging sie auch an Shikamaru- und Ino-San vorbei und blieb erst stehen, als ihr bewusst wurde, dass sie nicht entkommen konnte. Hier gab es keinen Baum, keinen Strauch groß genug, um für einige Zeit außer Sichtweite verschwinden zu können. Also schloss sie die Augen, den Rücken zum Lager, und atmete sie tief ein und aus, aber ihr Herz hörte nicht auf zu rasen. Das Gefühl verflüchtigte sich nicht.

Eine Bewegung hinter ihr liess sie aufschrecken.

„Alles in Ordnung, Yukatsuki?“, fragte Ino-San sanft. Yuka nickte, die Augen noch immer geschlossen. Die Ärztin legte eine kühle Hand auf ihre Stirn. Auf Yukas erhitzter Haut fühlte es sich unglaublich gut an. Komisch, gerade noch hatte sie gefroren.

„Fieber hast du nicht“, murmelte die Frau. „Schmerzen? Schwächegefühl?“

Noch immer wortlos, schüttelte Yuka den Kopf. Sie konnte Ino-Sans Stirnrunzeln beinahe sehen, obwohl die Frau hinter ihr stand und sie noch immer die Augen geschlossen hielt. „Geht es dir gut?“

Jetzt erst öffnete sie die Augen und lächelte schwach. Selbst in ihren Augen war es ein jämmerlicher Versuch.

„Mir geht es gut. Ich werde sehen, ob es in der Umgebung etwas gibt, mit dem wir unsere Vorräte ergänzen können.“

Mit diesen Worten floh sie endgültig. So ging es einfach nicht weiter, dachte sie. Sie war unfähig, mit Shikaru zu reden – ihr Herz raste, sobald sie ihn nur ansah. Das konnte sie sich nicht leisten. Sie musste sich konzentrieren. Dies war der letzte Strohhalm, an den sie sich verzweifelt klammerten. Sie durften nicht versagen.
 

Flashback: Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, ein Tag zuvor, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 56h
 

Yuka hasste es, wenn sich die Dinge verselbstständigten, wenn sie die Kontrolle verlor und die Dinge sich nicht mehr lenken liessen. Zum Beispiel, dass sie sich neuerdings nicht mehr in Shikarus Nähe aufhalten konnte, ohne dass irgendetwas in ihr aufschrie. Oder dass Menschen starben und sie ihnen nicht helfen konnte.
 

„Yuka-Neesan!“ Björn, der kleine, lebhafte Junge, rannte auf sie zu. „Spielst du mit uns Ninja und Verbrecher?“

„Was?“, fragte sie verständnislos. Ein ungläubiger Blick traf sie. „Weißt du nicht, was das ist?“

Ich werde alt, dachte sie amüsiert und lauschte der Jungenstimme, die zu einer langatmigen Erklärung ansetze. Ein schrilles Kreischen ertönte und sie sah auf. Am Himmel kreiste ein dunkler Fleck, zog Kreise über der kleinen Ansammlung von Hütten. Sie beschattete ihre Augen, und auch Björn starrte fasziniert nach oben.

„Was ist das?“

„Das ist ein Botenfalke“, antwortete sie, schob sich zwei Finger in den Mund und stiess einen schrillen Pfiff aus. Zur Antwort kreischte der Falke noch einmal, dann wurden seine Kreise enger und er schwebte langsam hinab.

Scharfe Krallen bohrten sich in ihren Unterarm, als der Falke majestätisch landete und seine Flügel zusammenfaltete, aber sie ignorierte den Schmerz und zog die dünne Pergamentrolle vom Bein des Vogels. Fasziniert betrachteten die Kinder den Vogel.

„Von wem ist der?“, fragte Isha, ein kleines Mädchen von zwölf Jahren. „Eine Botschaft!“, rief Björn. „Ist sie vom Hokage?“ Yuka nickte abwesend, bis ihr bewusst wurde, dass der kleine Lars an ihrem T-Shirt zupfte. Sein ängstlicher Gesichtsausdruck rief sie in die Realität zurück.
 

„Alles in Ordnung“, beruhigte sie die Kinder. „Ich muss nur Shikaru Bescheid sagen. Wartet ihr im Haus auf mich?“

Die Kinder nickten und jubelten, als Yuka dem Falken über das Gefieder strich, ihm etwas zuflüsterte und ihn dann in die Luft warf. Der Vogel breitete die Flügel aus und entschwebte majestätisch.
 

Ino-San sah müde aus, aber besser als zuvor. Shikamaru-San und Shikaru waren beide über einen Tisch gebeugt, als Yuka hereinstürmte. Die Tür knallte gegen die Wand, und alle fuhren erschrocken auf.

„Ich hasse das!“, brach aus ihr hervor, und mit ihrer Heftigkeit überraschte sie sowohl die Anwesenden als auch sich selbst. Ino-San zog die Brauen hoch. Vater und Sohn sahen sie beide mit einem identischen, ausdruckslosen Gesicht an.

„Es bringt ja doch nichts! Wir suchen schon so lange nach der Ursache für diese Krankheit – und wir sind doch keinen Schritt weitergekommen! Die Menschen sterben uns unter den Händen weg – und nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder! Jemand hat Leute beauftragt, Konoha zu infizieren, die sind geschnappt, aber es ist schon zu spät – man hat Konoha offiziell unter Quarantäne gestellt! Warum stellen wir uns nicht einfach der Realität – wir schaffen es nicht!“

Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen. Sie hielt sich mit eiserner Willenskraft zurück. Ein Ausbruch reichte.

Wir schaffen es nicht.
 

Shikamaru-San, Ino-San und Shikaru starrten sie mit aufgerissenen Augen an.

„Was ist mit Konoha?“, fragte Shikaru schließlich, der als erster die Sprache wiederfand.

„Jemand hat das Virus einschleusen lassen“, flüsterte sie. Verzweiflung und Wut schnürten ihr die Luft ab.

„Oh Gott“, sagte Ino-San leise und schlug die Hände vors Gesicht. „Das ist meine Schuld...“

„Das ist nicht Ihre Schuld“, widersprach Yuka, ehe Shikamaru-San etwas sagen konnte. „Niemand hätte etwas machen können. Wir können immernoch nichts machen.“ Bitterkeit klang unverkennbar in ihrer Stimme mit. „Wir können eigentlich nur noch auf ein Wunder hoffen.“
 

Da trat Takeo vor. Er sagte nur zwei Worte: „Hidden Flowers.“

Flashback Ende
 

Yuka war nicht diejenige, die diesen – zugegebenermaßen verzweifelten – Plan unterstützte. Nein, es war eine Ansammlung vieler Dinge, die die vier Reisegefährten dazu brachte, sich auf eine erneute Reise zu begeben. Nun waren sie also unterwegs – auf der Suche nach einem zerstörten Dorf, auf der Suche nach einem legendären Heilmittel.

Es hatte Arbeit gekostet, Ino-San – und besonders Shikamaru-San – davon zu überzeugen, dass Hidden Flowers nicht nur eine Legende war. Zuerst hatten sie es nicht glauben wollen – es schließlich jedoch akzeptiert. Nur, dass dort eine Pflanze wachsen sollte, die jegliche Krankheiten heilen konnte – das wollten sie nicht glauben.
 

„Es existiert!“, fauchte Shikaru. „Und wir finden heraus, wie man das Heilmittel herstellt!“

„Aber es gibt keine Garantie dafür“, widersprach sein Vater ernst. „Wir sind intelligente Menschen, die wissen, wann sie aufgeben müssen – und wir sollten nach Konoha zurückkehren. Vielleicht können wir dort etwas bewirken.“

„Wir mögen intelligent sein, Vater, aber wir sind auch verzweifelt!“

„Aber vielleicht können wir mehr erreichen, wenn wir nach Konoha zurückkehren“, sagte Ino-San. Shikarus Augen blitzten.

„Falls ich mich einmischen dürfte“, sagte die ruhige Stimme des Dorfoberhauptes hinter ihnen. Alle fuhren herum. Sie hatten beinahe vergessen, dass er noch da war.

„Es gibt tatsächlich Berichte von einer Pflanze, die in einem verlassenen Dorf blüht, die in der Lage ist, vielen Giften entgegenzuwirken. Ich habe sie hier, falls Sie es sehen wollen. Und die Rezeptur für das Heilmittel ist seit Jahrhunderten in der Familie der Oberhäupter des Dorfes weitergegeben worden.“

Sowohl sein Blick als auch der von Shikaru gingen automatisch zu Yuka hinüber. Wie überaus praktisch, dachte diese spöttisch. Nur leider wusste sie nichts. Was sie viel mehr interessierte, war, wie Takeo herausgefunden hatte, wer sie war. Sie würde sich später mit ihm beschäftigen müssen.
 

„Worauf warten wir noch?“, fragte Shikaru drängend. „Wir sollten sofort aufbrechen! Wenn wir diese Pflanze rechtzeitig finden, besteht vielleicht die Chance, dass wir ein Heilmittel finden können!“

„Wenn es tatsächlich die Möglichkeit gibt, ein Heilmittel zu finden, dann sollten wir danach suchen“, kam Ino-San ihrem Sohn zu Hilfe. Sie sah ihren Mann an. „Was meinst du?“

Shikamaru-San schüttelte den Kopf. „Es bringt doch nichts“, sagte er. „Wir müssen zurück nach Konoha. Wir werden dort gebraucht.“

„Was wir brauchen ist ein Heilmittel!“, gab Shikaru zurück. Seine Augen gingen zu Yuka, die Frage deutlich in ihnen.

„Ich denke auch, wir sollten zurückkehren“, sagte sie leise. Das Eingeständnis schmeckte bitter. Sie hob ihren Blick nicht, um seinen enttäuschten Ausdruck nicht sehen zu müssen. „Der Hokage hat uns zurückbeordert.“

„Das ist mir gleich“, sagte Shikaru schließlich in die Stille hinein, seine Stimme hart. „Alles ist besser, als zurückzugehen und zuzusehen, wie Menschen sterben. Ich gehe.“

Ino-San zupfte ihren Mann am Ärmel. Als er sich zu ihr herabbeugte, flüsterte sie ihm etwas ins Ohr, und er seufzte. Yuka sah buchstäblich seine Argumente in Luft aufgehen.

„Na gut“, sagte er seufzend. „Umgehen wir die Rückbeorderung und suchen dieses Dorf. Tatsächlich ist alles besser, als tatenlos zusehen zu müssen.“

Als hätte der Entschluss das Signal zum Aufbruch gegeben, wandten sich alle der Tür zu und verließen den Raum. Erst, als sie vor der Tür standen, fiel Ino auf, dass Yuka nicht mitgekommen war. Sie zog die Brauen hoch und sah Shikaru an, der daraufhin ins Haus zurückging. Yuka stand noch immer dort, wo sie zuvor gestanden hatte.
 

Shikaru blieb so dicht vor ihr stehen, dass sie den Kopf heben musste, um ihn anzusehen. Ihr Gesichtsausdruck sagte ihm alles.

„Schon gut“, sagte er sanft. „Ich weiß, dass du dich seinen Befehlen nicht noch einmal widersetzen willst. Ist schon in Ordnung.“

Yuka widerstand dem Wunsch, zurückzuweichen. Wenn er ihr so nah war, konnte sie nicht denken – wie konnte er so verständnisvoll sein, wenn er doch noch immer wütend auf sie war? Vielleicht ist er das ja nicht mehr, sagte die kleine Stimme in ihrem Kopf, und sie schüttelte sie ab. Wütend vielleicht nicht – aber vertrauen tat er ihr auch nicht mehr. Aber vielleicht konnte sie etwas tun, um sein Vertrauen wieder zu gewinnen. Und er hatte Recht – etwas tun war allemal besser als Nichtstun.

„Ich komme mit“, sagte sie leise. „Wie wollt ihr Hidden Flowers denn ohne mich finden?“

Dann schlüpfte sie an ihm vorbei und floh aus der Tür.
 

Ein leises Rufen brachte Yuka dazu, sich umzusehen und erschrocken stellte sie fest, dass es bereits dunkel wurde.

„Am Besten, du legst dich hin, Yukatsuki“, sagte Shikamaru-San und deutete auf Shikaru und Ino, die sich bereits in der Mitte der kleinen Lichtung niedergekauert hatten. „Du solltest dich ausruhen.“

Yuka lächelte ihm zu und trat ebenfalls zu den anderen hinüber. Bemüht, einen Abstand zwischen sich und Shikaru zu bringen, breitete sie ihre Decken aus und legte sich hin. Herbstnächte auf der Ebene waren kühl... Nun, immerhin versorgte der Himmel sie heute nicht mit Wasser von oben.

„Mum – was hast du Vater gesagt, damit er mitkommt?“, hörte sie Shikaru leise flüstern. Ino-Sans melodisches Lachen hallte über die kleine Lichtung.

„Ich habe ihn gefragt, wie offiziell sein Grund ist, jetzt hier zu sein“, sagte sie leise. Ihr leises Lachen verschmolz mit dem Rauschen des Windes in den Gräsern.

Vergessen kam mit dem Schlaf.

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Ende des Kapitels

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Wettlauf gegen die Zeit

Kapitel 18 – Wettlauf gegen die Zeit
 

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Ebene, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 89h
 

„Ungefähr eine Tagesreise“, entschied Yuka und beschattete ihre Augen. Neben ihr bewegte sich Shikamaru-San unruhig.

„Woher weißt du das?“

Das Mädchen zuckte irritiert zusammen. Shikamaru-San mochte wie sein Sohn aussehen – aber das Vertrauen, welches Shikaru in sie hatte – gehabt hatte – hatte er nicht.

„Ich fühle es.“

„Ich glaube nicht, dass wir uns auf ein Gefühl verlassen sollten.“ Seine Stimme klang ebenso irritiert, wie sie sich fühlte. Shikaru kam ihr überraschend zu Hilfe. „Vater. Wenn Yuka sagt, dass sie es fühlt, dann stimmt es.“ Zumindest stellte Shikamaru das nicht in Frage.Oder zumindest hielt er den Mund.
 

Konoha-Gakure, Zeit seit Ausbruch der Seuche: 62h
 

„Schätzchen!“

Die hohe Stimme gehörte Yuki, einer fülligen, kleinen Frau, die Henara mit Vorliebe als „Schätzchen“ bezeichnete, die aber eine ernstzunehmende Persönlichkeit war. „Jemand braucht Hilfe in der medizinischen Fachabteilung – könntest du helfen?“

„Natürlich“, gab Henara zurück und machte sich auf den Weg durch die gewundenen Gänge der Bibliothek.
 

So hatte sie sich ihre Flitterwochen wahrhaftig nicht vorgestellt, dachte sie düster. Aber Shi war ein Clanoberhaupt von Konoha und wenn es eine Krise gab, musste er anwesend sein... Und ehrlich gesagt machte es ihr nicht einmal so viel aus. Solange sie ihn Abends und Morgens sah, kochte das Glück bereits in ihr über... Sie war verheiratet, und sie war mit Shi verheiratet. Sie hatte ihren Traum wahrmachen dürfen und war Bibliothekarin geworden – und sie hatte sich dafür nicht mit ihren Eltern überwerfen müssen.
 

„Henara!“

Die Stimme war ihr bekannter als ihre eigene. „Ma! Was machst du denn hier?“

Glänzend schwarze, lange Haare fielen Hinata Hyuuga über die Schultern. Henara senkte den Kopf und liess zu, dass ihre Mutter sie sanft auf den Scheitel küsste. „Suchst du immernoch nach Hinweisen?“

Hinata seufzte müde. „Ich kann nicht aufgeben, Henara.“

Die nickte. „Was brauchst du?“

Ihre Mutter sagte es ihr, und Henara machte sich auf die Suche.
 

Als sie Abends am Lesesaal vorbei ging, brannte immernoch Licht.

„Ma“, sagte sie, als sie leise den Raum betrat. „Wir schließen gleich. Am Besten, du gehst nach Hause, ja?“

Hinata sah von dem schweren Folianten auf, durch den sie blätterte, und sah in ein Abbild des Gesichts ihres Mannes. Henara hatte Nejis Züge – wenn auch weicher und weniger streng – seine Haare, seine Augen... Erschöpft liess sie ihren Kopf wieder sinken.

„Dein Vater ist krank“, sagte sie zum Buch.
 

In Konoha-Gakure lieferten sich Leben und Tod ein Wettrennen. Manchmal lag das Leben vorne.
 

Langsam tickte die Wanduhr in Rin Hatakes Zimmer.

Die kleine Frau lag im Bett und ihre rotbraunen Haare breiteten sich auf dem Kissen aus wie Seide. Kakashi lag ihr gegenüber, ohne Maske, ohne Stirnband, und spielte mit einer Strähne ihres Haars.

„Warum lässt du dich auch auf einer Mission von einem idiotischen Fürsten und seinem nicht minder idiotischen Assistenten vergiften?“

Rin lächelte.

„Weil ich wusste, dass du in der Nähe bist, um die zwei Idioten zu erledigen und mich zu retten.“
 

Im stillen Haus war kein Laut zu hören.

Inoshia wusste, dass ihre Mutter keine Uhren mochte – der Hokage wusste wieso. Die Stille behagte ihr nicht.

„Gruselig“, murmelte sie leise und fuhr fort, die Pflanzen, die überall standen, zu giessen. Der Spiegel warf nur ihr eigenes Spiegelbild zurück. Ich wollte immer alleine sein, dachte sie. Ich wollte, dass Mutter verschwindet – und mit ihr alles, was mich an sie erinnert. Inoshia. Ich habe den Namen immer gehasst, den sie mir gegeben hat – vielleicht, weil sie selbst so heißt. Aber am liebsten würde ich sie jetzt durch die Tür kommen sehen und meinen Namen aus ihrem Mund hören.

Schweigen und Dunkelheit antworteten ihr.
 

„Was tust du hier?“

Ashurias Stimme klang heiser und schwach. Naruto beugte sich zu ihr hinunter, um sie anzusehen. „Auf dich aufpassen, da du das anscheinend nicht selbst erledigen kannst.“

„Ich habe gegen Dutzende von gefährlichen Mördern gekämpft – und du sagst, ich kann nicht auf mich aufpassen?“

„Anscheinend nicht.“

„Das ist die Krankheit“, flüsterte sie, und das Lächeln verschwand abrupt von seinem Gesicht. Gegen so etwas kann man nicht kämpfen, sagten ihre Augen.

„Wage es ja nicht, so etwas auch nur zu denken“, sagte er leise.

„Ich bin so froh, dass ich nach Konoha kommen konnte.“ Trotz der Anstrengung, die es ihr sichtlich bereitete, lächelte sie. „Ich bin so froh, dass ich dich wiedergetroffen habe. Danke, Naruto.“

Etwas legte sich auf ihre Lippen, weich und warm. Naruto küsste sie – vorsichtig, aber verzweifelt. Ashuria schloss die Augen und liess sich fallen.
 

Leben und Tod gingen in die letzte Runde.

Und das Leben lag hinten.
 

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Ebene, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 98h
 

„Es sieht nach Regen aus“, sagte Ino-San stirnrunzelnd und Yuka musste ihr Recht geben. Es schien, als würde im Laufe der Nacht der Himmel wieder seine Schleusen öffnen... Und Morgen würden die Hidden Flowers erreichen. Sie war sich sicher.

Die ersten Tropfen fielen bereits, als sie das Abendlager aufschlugen. Ein Hecheln lenkte Shikarus Aufmerksamkeit zur Seite. „Urchin“, sagte er leise. Der Schattenwolf war wieder zurück. Er hatte ihn nach Konoha geschickt – und wieder einmal hatte Urchin seine Schnelligkeit unter Beweis gestellt. Aber anstatt auf Shikaru zuzukommen, bewegte sich der Wolf schnurstracks auf Yuka zu.

Yuka warf Shikaru einen fragenden Blick zu, und er nickte. Mit seiner Erlaubnis streckte Yuka die Hand aus und nahm Urchin die Pergamentrolle ab. Die Tropfen fielen härter. Shikamaru-San und Ino-San waren gerade dabei, aus Stöcken und Zeltplane einen einigermaßen trockenen Unterschlupf zu bauen.
 

Eine Zeit lang starrte sie auf die Nachricht, ohne den Sinn zu verstehen. Dann zwang sie sich, die hingekritzelten Worte noch einmal zu lesen. Urchin winselte leise. Die Nachricht landete im vom Regen aufgeweichten Boden.

Und Yuka drehte sich auf dem Absatz um und rannte davon.

„Was...“ Shikaru sprang auf und wollte ihr folgen. Mitten im Lauf änderte er seine Meinung und riss die Nachricht vom Boden hoch. Seine Augen überflogen das Pergament.

„Verdammt!“

„Shikaru!“, rief seine Mutter ihm hinterher, da war er auch schon fort.
 

Yuka rannte.

Und es tat gut.

Regen schlug ihr ins Gesicht – kalt und nass. Der Himmel weinte. Um alle Erwachsenen in Xefua und alle Kinder, die in Takeos Dorf im Sterben lagen. Um Konoha. Um Neji-San und Hinata-San und alle Kranken. Um Ashuria, die gestorben war, und um ihren Vater, der wieder allein war.

Abrupt kam sie zum Halt, als sich plötzlich die Erde vor ihr öffnete: sie schlitterte beinahe zu weit, kam gerade vor dem Abgrund zum stehen, der sich dunkel und tief vor ihren Augen erstreckte. Sie schauderte. Das war knapp gewesen.

Erneut sah sie hinauf zum Himmel – grau auf grau, Regen und Regen, weit und breit, wohin sie sah. Hier brach sie zusammen, wurde zu einem elenden Häufchen aus Schmerz und Tränen.
 

Und dann brach der Boden unter ihr weg. Entsetzt riss Yuka die Arme hoch und verschwand vor Shikarus Augen in der Tiefe.

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Ende des Kapitels

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9. Nacht - Schwert der Akatsuki

Allgemein wird angenommen, dass ein Kind sich nicht an die Dinge erinnert, die es während der ersten Jahre seines Lebens sieht und hört. Allgemein wird angenommen, dass Kinder Erwachsene nicht verstehen, wenn diese ernste Gespräche führen, weil sie schlicht und ergreifend zu jung sind. Und bis zu einem gewissen Grad mag beides stimmen. Bis zu einem gewissen Grad.
 

Ashurias erste Erinnerung war ihr vierter Geburtstag.
 

Ihre Eltern, die sie morgens liebevoll wecken, die ihr ein Geburtstagslied singen und klatschen, als sie die Kerzen ausbläst. Die sie umarmen und liebevoll anlächeln. Sie machen einen Spaziergang im Park und füttern die Enten, sie essen Ashurias Lieblingsessen zu Mittag. Sie spielen und lachen zusammen, und auf der ganzen Welt gibt es kein glücklicheres Kind als Ashuria. Der Duft von Mamas Haaren, das Gefühl von Papas Hand auf ihrem Kopf, der Geschmack der Süßigkeiten... All das hat sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingegraben.
 

Genauso wie der erste Streit, den sie belauscht – kein Streit zwischen ihren Eltern, sondern einen Streit zwischen den Dorfältesten und ihren Eltern. Die alten, faltigen Männer und Frauen mustern sie mit einem merkwürdigen Blick – heute weiß sie, dass es Besorgnis und Ablehnung und Angst war – und sprechen mit leisen, hastigen Stimmen auf ihre Eltern ein.

„Gehört nicht hierher“, hört sie. „Sabriel... Verräterin... Genau wie ihre Mutter... Rache... Prophezeiung...“ Und schließlich: „Schwert der Akatsuki.“ Ashuria sieht ihre Eltern an und spürt, wie diese sich anspannen. Sie verteidigen sie, heiß und wütend, und Ashuria weiß: Ihre Eltern – selbst, wenn es nicht ihre richtigen Eltern sind – lieben sie. Das wird sich niemals ändern.
 

Ihre nächste Erinnerung ist dunkel, gefärbt von Angst und Unwissenheit.
 

„Du bist also Ashuria“, sagt der Mann im schwarzen Mantel. In der Dunkelheit ihres Zimmers ist sein Gesicht nur ein heller, verschwommener Fleck. „Tochter von Sabriel, der Verräterin. Das prophezeite Kind, das den Akatsuki den Untergang bringen oder sie groß machen wird. Das Schwert der Akatsuki.“

Ashuria macht sich so klein wie es nur geht, aber dem stechenden Blick des Mannes kann sie nicht entkommen. Warum stehen ihre Eltern nicht auf? Warum kommt niemand, um sie aufzuwecken? Zitternd ballt sie ihre Fäuste und weigert sich, sich von ihren Eltern zu entfernen. Plötzlich klingt die Stimme des Mannes sanft.

„Nun, wer wird denn Angst haben. Armes, kleines Mädchen... Deine Beschützer sind tot. Jetzt bist du ganz allein.“

Ashurias Unterlippe zittert, aber sie weigert sich zu weinen. Der Mann macht einen Schritt auf sie zu – und hebt sie hoch, ehe sie etwas sagen kann.

„Ich habe einen Vorschlag für dich. Komm mit mir – ich werde von nun an auf dich aufpassen.“
 

Ashuria versteht den Sinn der Worte nicht, die er ihr ins Ohr flüsterte. Aber sie versteht die Gefühle, die hinter den Worten stehen – also schmiegte sie sich zitternd an den Mann, der ernsthaft verspricht, auf sie Acht zu geben, und der es auch so meint.
 

Das waren Ashurias erste Erinnerungen.
 

16 Jahre später

„Ihr seid nicht bei der Sache, Ehrenwerter“, bemerkte sein Assistent und sah das Oberhaupt des Dorfes Versteckt hinter den Blumen an.

Die Sonne schien warm auf den Hof der Akademie von Hidden Flowers, auf dem zahlreiche Shinobi sich im Nahkampf übten. Der Schweiß floss in Strömen.

„Sollen wir morgen fortfahren? Der Großteil der anstehenden Arbeit ist bereits erledigt.“

Das Oberhaupt warf seinem Assistenten einen dankbaren Blick zu. „Danke, To. Es ist einfach nicht das richtige Wetter für Schreibtischarbeit.“

To, ein hochgewachsener, schlanker Mann mit dunklen Augen, nickte zustimmend und begann, die Schreibutensilien zusammenzuräumen. Der Mann hinter dem Schreibtisch drehte sich erneut zu seinem Fenster um. Gerade, als sein alter Assistent den Raum verlassen wollte, winkte er ihn noch einmal zu sich.

„To“, sagte er und deutete hinaus. „Was hälst du davon?“

„Sieht ganz so aus, als ob Ashuria-San wieder einmal alle Gegner in die Flucht schlägt, Rui-Sama.“

Das strenge Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. „So könnte man es wohl nennen.“ Langes, schwarzes Haar, im Nacken zu einem langen Pferdeschwanz zusammengebunden, glänzte im Sonnenlicht. Goldene Augen funkelten.

„Ihre Stärke ist erstaunlich, nicht wahr.“

„Nicht, wenn man bedenkt, wie hart sie trainiert“, widersprach To. Ruis Kopf fuhr herum. „Oder wie hart sie trainiert wurde“, sagte er mit schmalen Lippen. „Mein Vater hat wirklich jede Sekunde seines verbleibenden Lebens darauf verwendet, sie zu einer perfekten Waffe auszubilden.“

„Höre ich da Missfallen?“, fragte To, wohl wissend, dass er einer der wenigen Menschen war, die solch eine Frage überhaupt stellen durfte.

„Pass auf, was du sagst“, antwortete Rui und blitzte ihn gefährlich an. To lächelte.

„Euer verstorbener Vater hat viel Zeit darauf verwendet, Ashuria-San zu trainieren“, sagte er versöhnlich. „Er hat mehr Zeit mit ihr verbracht als mit seinem eigenen Sohn – und hat sie zur perfekten Waffe gemacht, zu einem Shinobi, der Befehlen folgt und für sein Dorf töten würde. Aber er hat sie für das zukünftige Oberhaupt des Dorfes erschaffen. Und das seid Ihr, Rui-Sama.“

„Das ist wohl so“, sagte Rui unwillig und überlegte, ob er seinen Assistenten nur entlassen oder ihm Schlimmeres antun sollte. „Sie ist brilliant“, sagte er stattdessen und sah aus dem Fenster. „Lernt sie noch immer so viel?“

„Sie beherrscht sämtliche überlieferte Nahkampftechniken, hat sie verfeinert und neu kombiniert und so ihre eigene Technik geschaffen. Sie studiert noch immer Sprachen und Naturwissenschaften. Ihr Intelligenzquotient ist erstaunlich hoch, ihre Fähigkeit zur Anpassung, Evaluierung und Reaktion überdurchschnittlich. Kurz: Sie ist brilliant, wie Ihr bereits bemerktet.“

Ashuria auf dem Hof der Akademie liess mit wenigen Schlägen drei Gegner kampfunfähig zu Boden gehen. Rui beobachtete sie, und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

„Nun, wahrscheinlich liegt das in der Familie... Cousine.“
 

Ashuria konnte von diesem Gespräch nichts wissen. Die nächste Erinnerung markierte den nächsten Abschnitt in ihrem Leben.
 

Die große, schlanke Frau sah sich nicht um, als die Tür hinter ihr aufflog und jemand hineingestürzt kam. Ruhig strich sie die Strähnen ihres kurzen, rotblonden Haares beiseite und sprach, ohne sich umzudrehen.

„Du bringst einen Fremden mit ins Dorf, Ashuria.“

Ashuria fiel auf die Knie – eine Ehrbezeugung, die ihr in Fleisch und Blut übergegangen war – und senkte den Kopf.

„Verzeiht mir, Yuuko-Sama“, brachte sie erstickt vor. Sie trug noch immer den dunklen Mantel mit den roten Wolken, der zeigte, dass sie gerade von einer Mission zurückkehrte – oder mitten in einer Mission für ihr Dorf war.

„Und er ist in denkbar schlechtem Zustand“, fuhr Yuuko-Sama fort. „Ansonsten würdest du, die du selbst eine Heilerin bist, nicht auf meine Hilfe zurückgreifen.“

Unter der Sanftheit der Stimme klang stählerne Härte. Ashuria senkte den Kopf tiefer. Hidden Flowers liebte keine Fremden, hatte sie nie geliebt. Selbstschutz war hier das wichtigste Gebot – wenn man zu solchen Missionen aufbrach, wie ihnen zugeteilt wurden, musste man alles tun, um dies im Geheimen zu tun. Innerlich zitternd, wartete sie auf das Urteil des Oberhauptes.

„Ein Risiko“, sagte Yuuko-Sama, wie zu sich selbst. „Wie ist es geschehen?“

„Allen Anzeichen nach ist er in das Gebiet der Hikari eingedrungen.“

Die Anführerin runzelte die Stirn. Die Hikari waren die Erzfeinde der Akatsuki. Ashuria hoffte, dass dies zugunsten des Fremden ausgelegt werden würde.

„Geschäftlich? Beauftragt? Von wem? Hast du Hinweise auf seine Herkunft?“

Ashuria schüttelte stumm den Kopf und hielt dem durchdringenden Blick der Ältesten stand. Die seufzte leise und drehte sich schließlich um.

„Ich werde ihn mir ansehen.“

Kaum erleichtert, folgte Ashuria der hochgewachsenen Frau aus dem Raum. In ihrer Tasche verkrampfte sich ihre Hand um das blaue Stirnband mit dem stilisierten Blattsymbol. Egal, wie feindlich Akatsuki den Hikari gegenüber eingestellt war... KonohaNin zu helfen war unverzeihlich.
 

Als sie einige Tage später erneut in den Raum trat, in dem der Fremde untergebracht war, saß dieser mit baumelnden Beinen und gefurchter Stirn auf dem Bett und betrachtete seine Umgebung. Vor Überraschung – vorgestern noch war dieser Mann dem Tode nahe gewesen – stockte sie im Schritt.

„Ah.“

Er blickte auf. In seinen Augen stand eine merkwürdige Mischung aus Verzweiflung, Misstrauen, Dankbarkeit und Wachsamkeit.

„Sie sind wach.“

Er nahm sie ganz auf, musterte sie von Kopf bis Fuß – und verlegen zog Ashuria die Ärmel ihrer Tunika tiefer, um die Verbände zu verdecken, die ihre Arme bedeckten. Aber es war unmöglich, sie vollkommen zu verstecken. Stumm beäugte er sie, nahm die Narben auf ihren Händen wahr, die schlichte Kleidung, ihr dunkles Haar – und gestattete ihr im Gegenzug, ihn genau anzusehen.

„Wo bin ich? Wer sind Sie?“
 

Sie erklärte es ihm.
 

„Ich habe noch nie etwas von einem Dorf namens Hidden Flowers gehört.“

„Das ist nicht verwunderlich“, sagte sie trocken. „In Anbetracht der Tatsache, dass wir es geheim halten.“

Sie löste die Verbände um seinen Oberkörper. Die Wunden waren verheilt. Stirnrunzelnd betrachtete sie ihn – und er grinste leicht.

„Komisch, nicht wahr?“
 

Nein, er wusste nicht, warum er sich so schnell von seinen tödlichen Wunden erholt hatte. Nein, er hatte keine Beziehung zu den Hikari – und auch keinen Namen und keine Erinnerung an sein Leben zuvor. Sein Blick schweifte in die Ferne, und ein Hauch Angst schlich sich in seine Stimme. Ashuria spürte das Mitleid erneut in sich aufsteigen – und etwas anderes.

„Bleiben Sie hier, bis Sie sich wieder erinnern“, schlug sie leise vor. „Bis dahin – wie soll ich Sie nennen?“

Der Mann zuckte die Schultern und zog eine Grimasse. „Wie Sie wollen.“
 

Sethur.
 

Sie nannte ihn Sethur, „Vergessen“ oder „Fremder“ in der alten Sprache. Er zollte ihr Respekt, dass sie diese beherrschte, und folgte ihr hinaus, das linke Bein leicht nachziehend, wachsam und auf der Hut. Er sagte nicht, dass er bleiben würde, aber er blieb. Und als er sie fragte, wie sie verletzt worden war, wurde sie rot und schüttelte den Kopf.
 

Er war einfach da.
 

Er stellte viele Fragen und beantwortete keine einzige.

Er begann langsam, sich an das Leben in Hidden Flowers anzupassen. Er hatte wenig Ahnung von Naturwissenschaften und noch weniger von Buchhaltung. Er schlief nur leicht und schien keine geschlossenen Räume zu mögen. Er half, wo er konnte, machte Fehler und ärgerte sich darüber. Es gab viele Dinge, die er nicht beherrschte – aber er konnte gut mit Menschen umgehen. Und ganz besonders mit Kindern.

„Du wärst ein guter Vater“, witzelte jemand einmal, während Ashuria daneben stand. Sethur zuckte die Schultern.

„Vielleicht.“

„Fehlt nur noch die passende Frau.“

Sein Blick flog in die Ferne. „Ja“, murmelte er. Ashuria verstand.
 

Und es schmerzte.
 

Als er sie zum ersten Mal in dem nachtschwarzen Mantel sah, der mit kleinen, blutroten Wolken verziert war, erschauderter er. Sein Gesicht versteinerte. Stumm wandte er sich ab.

„Warst du ein Shinobi?“, fragte Ashuria leise. Er gab keine Antwort, aber er bewegte sich nicht. Er war es gewesen, das wusste sie. Und wunderte sich, dass noch niemand es bemerkt hatte. Seine Reflexe, seine Art zu Laufen, seine Fähigkeit, Chakra einzusetzen...

Doch dann drehte er sich zu ihr um und brachte eine schlechte Imitation eines Lächelns hervor.

„Shinobi? Ich? Das wäre mal eine gute Idee.“

Sie brachte es nicht über sich, das Gesicht zu verziehen. Und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob er sich eigentlich überhaupt erinnern wollte.

„Vermisst du überhaupt nichts?“, fragte sie leise. „Freunde? Verwandte oder Familie? Deine Arbeit?“

Seine Schultern versteiften sich noch mehr.

„Ich kann mich nicht erinnern“, sagte er tonlos. „Ich versuche es wieder und wieder... Da war etwas Wichtiges, ich habe etwas versprochen, mehreren Personen, aber...“

Sein Blick verschwamm erneut.

„Ich weiß es einfach nicht“, flüsterte er, mehr zu sich selbst. „Und diese Ebene ist so leer...“
 

„Tot“, presste Rui-Sama zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Alle tot!“

Sämtliche Shinobi um ihn herum spiegelten in ihren Gesichtern den selben Unglauben wider, Unglaube und Wut und Verzweiflung und Trauer. Das Dorf, das ihre Heimat gewesen war, ihr Zufluchtsort, lag in Trümmern. Rauchende Ruinen begrüßten die Heimgekehrten. Kein Leben rührte sich.

„Das werden sie büßen“, zischte er, und es war ein Fluch und ein Versprechen gleichzeitig. Die Shinobi hinter ihm waren starr vor Entsetzen und Wut. Als Gruppe waren sie ausgezogen – beinahe alle Shinobi des Dorfes – um eine Rechnung für einen Landesfürsten zu begleichen. Der Fürst hatte sie betrogen. In der Zwischenzeit war ihre Heimat dem Erdboden gleichgemacht worden.
 

Und dann war es zu Ende.
 

Ashuria bemerkte nicht den beißenden Rauch, der ihr in die Augen stach, oder die Hitze, die an ihrem Umhang leckte, die kleinen Flammen, denen sie keine Beachtung schenkte. Die Asche, die Ruinen und das Blut – sie nahm nichts von alldem wahr. Und sie fand ihn – Sethur, ihren Sethur, aber er war es nicht mehr. Inmitten der Ruinen des zerbrochenen Hauses, welches ihre Wohnung gewesen war, stand er da und starrte ins Leere. Als er ihre hastigen Schritte hörte, drehte er sich zu ihr um. Sein Gesichtsausdruck sagte ihr alles.

„Du erinnerst dich.“

Es war eine Frage, und er beantwortete sie nicht. Aber in seinen Augen brannte Verzweiflung.

„Drei Jahre“, flüsterte er tonlos. „Ich habe drei Jahre hier verbracht.“

Sie antwortete nicht.

„Und die Kleinen – sie haben geschrien, als sie mich gesehen haben... Oh Gott, Ashuria!“

Er vergrub das Gesicht in den Händen.

„Ich habe ein Versprechen gebrochen, ich habe meine Heimat verraten und drei Jahre hier gelebt, ohne mich zu erinnern!“

Sie hatte ihn verloren.

„Geh zurück“, flüsterte sie heiser, ohne ihn anzusehen. „Geh zurück dahin, wo du hingehörst.“

Sie streckte die Hand aus und schob ihm das abgewetzte, blaue Band mit der Platte mit dem ziselierten Blattsymbol in die Hand, welches sie drei Jahre mit sich getragen hatte. Überrascht blickte er auf sein Stirnband, aber als er die Hand ausstreckte und sich ihre Hände berührten, schrak er zurück. Ashuria konnte nicht atmen.

„Sag mir wenigstens, wie du heißt“, brachte sie hervor und wich zurück. Der Fremde lächelte fast.

„Naruto“, sagte er. „Aber du kannst mich auch weiter Sethur nennen.“

„Geh nach Hause, Naruto“, sagte sie und floh aus den Ruinen ihrer Wohnung. Ihres Lebens.
 

Sie lebte weiter, weil sie es musste.
 

Hidden Flowers – das Dorf, das nicht existierte – war angegriffen worden, war verletzlich und musste wieder aufgebaut werden. Aber nicht hier. Irgendwo, irgendwo, wo es sicher war. Die Ebene war weit und leer. Sie wurde gebraucht. Als Schwert der Akatsuki jagte sie mit einigen anderen Shinobi die Fürsten, die den Befehl zur Vernichtung des Dorfes gegeben hatten, und tötete sie. Sieben der Zehn Fürsten verloren ihr Leben durch ihre Hand. Ihre Länder verfielen dem Chaos. Die Hikari zerfleischten sich selbst über der Frage, wer von nun an regieren würde. Die Akatsuki bauten sich im Hintergrund neu auf, erhoben sich aus dem Blut und der Asche und den Trümmern ihres Dorfes neu.Und doch war da wieder etwas, ein Schatten, der sich auf die Seelen Einiger legte, wie auf Rui-Sama und Yuuko-Sama, und auch Ashuria bemerkte es. Ihre Ahnung wurde bestätigt, als eines Tages – auf einer Mission – Naruto vor ihr stand. Naruto, nicht Sethur.

„Ashuria“, sagte er, und das schmerzlich vertraute, halbe Grinsen blitzte auf. Seine Augen waren ernst. „Hör gut zu, was ich nun sage. Ich werde mich nicht wiederholen.“
 

„Jemand macht Jagd auf uns“, flüsterte Yuuko leise. Rui trat zu seiner Frau und schlang die Arme um ihre Hüfte.

„Ist es das Kyuubi?“

„Ja.“

Eine Weile standen sie still, dann seufzte Rui. „Es hat also begonnen.“
 

Sie lebte weiter. Es ging nicht anders.
 

Wie ein Alptraum kehrte die Szene immer wieder zu ihr zurück.

Naruto, der ihr mit versteinerter Miene darlegte, dass Akatsuki Konohas Feind war. Dass er sich dazu verpflichtet hatte, das Dorf und die Menschen, die drei Jahre lang Seite an Seite mit ihm gelebt hatten, zu vernichten. Dass er keine andere Wahl hatte, als zu gehorchen, dass er es jedoch auch tat, weil Ashurias Leute für den Tod seiner Freunde verantwortlich waren. Dass er, wenn nötig, auch gegen sie kämpfen würde. Seine Stimme, sein Ausdruck, als er ihr anbot, mit ihm nach Konoha zu kommen, sein Glaube an sie, dass sie anders sei, dass er ihr vertraue. Er verlangte von ihr, eine Verräterin zu werden, das war ihr bewusst. Die Taubheit in ihren Gliedern, als sie nickte, ihm wortlos versprach, ihm überallhin zu folgen.

Ja, sie würde ihm folgen, würde dafür die Menschen verraten, mit denen sie 20 Jahre lang zusammengelebt hatten, die für den Tod ihrer Eltern verantwortlich waren und sie doch aufgenommen und beschützt hatten... Und Hass auf sich selbst kochte heiß und schmerzlich in ihr.
 

Der Mond beleuchtete die Menschen, die anwesend waren, als sie ihr altes Leben verriet.
 

Yuuko-Samas Gesicht zeigte nicht einmal Überraschung – nur einen leisen Schmerz und beinahe so etwas wie Frieden als die schlanke, lange Klinge ihren Leib durchbohrte. Rui-Sama knurrte, ein grimmiger, entschlossener Laut, als er Naruto erneut angriff, voll konzentriert auf das, was er tun wollte – und deshalb abgelenkt. Und Ashuria tötete auch ihn. Zwei Menschen, denen sie gedient hatte, seit sie vier Jahre alt gewesen war, lagen tot vor ihr, und sie wusste, sie wäre mit Naruto gegangen, so sehr sie sich selbst hasste, so sehr sie sich selbst anwiderte.
 

Doch ein Gedanke hielt sie zurück.

Akatsuki war geschlagen. Die mächtigsten Mitglieder waren vernichtet worden, und dennoch – Yuuko-Sama und Rui-Sama hatten immer für alle Eventualitäten vorgeplant. Akatsuki würde wieder auferstehen. Kyotsuki, ihr Sohn, heute noch ein kleiner Junge, würde eines Tages die Macht übernehmen.

Naruto kehrte zurück nach Konoha.
 

Ashuria blieb.
 

Sie tötete Acht der Vierzehn Akatsuki, die Naruto verfolgten, sodass er es nach Hause zurück schaffen konnte. Nicht, dass er sich nicht selbst verteidigen konnte, aber sie fühlte sich wohler so. Dann blieb sie schwer atmend stehen und sah ihm nach, sah ihn in der Dunkelheit verschwinden und schwor sich still,dass auch sie eines Tages – irgendwann – dorthin gehen würde, wohin Naruto nun ging. Sie würde Konoha ihre Loyalität anbieten – vorausgesetzt, die Hokage würde sie aufnehmen wollen. Sie war Akatsuki, das wusste sie wohl, aber sie weigerte sich darüber nachzudenken, was geschehen würde, wenn sie sie nicht haben wollten.

Naruto würde denken, dass sie gestorben war. Oder dass sie ihn doch verraten hatte, dass sie sich doch entschieden hatte, nicht mit ihm zu gehen. Es war nicht schlimm, wenn er die Wahrheit niemals erfuhr – solange er nur heil ankam.

Ashuria, das Schwert und der Untergang der Akatsuki, wartete ab und hoffte.

*

*

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Ende des Kapitels

*

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Am Abgrund

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Ebene, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 98h
 

Es schüttete wie aus Eimern.

Ungehindert brach die Gewalt der Natur über die Erde herein. Zwei starke, feste Arme schlossen sich um Yukas Taille und bremsten ihren Fall abrupt aus.
 

„Verdammt“, fluchte Shikaru halblaut. Yuka drehte den Kopf und sah hinunter in die bodenlose Schlucht. Vorsichtig tastete sie mit ihren Füßen nach Halt, doch alles, was sie berührte, war loses Geröll und kleine Steine, die abbrachen und in den Abrgund hinunterstürzten.

„Halt still“, knurrte Shikaru und sie machte sich steif und bohrte die Fingernägel in ihre Handfläche.
 

Er zog sie hoch.
 

Langsam und vorsichtig, um den Boden möglichst wenig zu belasten, Stück für Stück – und dann, in einer letzten Kraftanstrengung, war sie oben und er packte sie, zog sie an sich und rollte sich vom Abgrund weg, so weit es ging.

Schließlich lagen sie still da, beide schwer atmend, und bewegten sich nicht. Und dann fing Shikaru an, sie auszuschimpfen – ohne sie loszulassen.
 

„Hast du völlig den Verstand verloren?“, fuhr er sie an. „Was hast du dir dabei gedacht? In der Dunkelheit einfach loszurennen, ohne dich darum zu kümmern, wo du bist – hat dir der Regen das Gehirn aufgeweicht?“

Yuka öffnete den Mund, um zu antworten, und stellte fest, dass das Adrenalin versiegt war und dass sie, wenn sie versuchte, etwas zu erklären, nur zu weinen beginnen würde. Also schloss sie ihn wieder und fing stattdessen an zu zittern. Sofort wurde Shikarus Stimme sanft und er zog sie fester an sich.

„Shhh. Es ist okay. Alles in Ordnung.“
 

Weil eben nichts in Ordnung war, kamen die Tränen.
 

„Du kannst mich loslassen“, flüsterte sie schließlich heiser. Shikaru schüttelte den Kopf, eine Bewegung, die durch sie hindurchvibrierte, weil er sein Gesicht in ihren Haaren vergraben hatte. Als er sich weigerte, versuchte sie, sich selbst zu befreien.

„Kannst du nicht noch ein bisschen stillhalten, damit ich dich etwas fragen kann?“, beschwerte er sich, seine Stimme noch immer gedämpft von ihrem Haar.

Können? Natürlich konnte sie stillhalten. Und gerade, weil sie es wollte – sie wollte ewig so liegenbleiben, sich einfach festhalten lassen, seinen Herzschlag spüren und seine Nähe – versuchte sie, sich loszumachen.
 

„Kannst du mich das nicht fragen, während du mich ansiehst?“

„Nein, denn dann rennst du nur wieder weg. Okay. Was ist los mit dir?“

Sie versteifte sich.

„Was soll los sein?“

„Du gehst mir aus dem Weg, ich merke das doch. Habe ich etwas Falsches getan oder gesagt?“

„Was? Du?“ Unwillkürlich musste sie lachen, aber es war kein fröhlicher Klang.

„Wenn hier irgendwer einen Fehler gemacht hat, bin ich es doch wohl. Durch meine Schuld ist Ino-San entführt worden. Mein Fehler hat dich dazu gezwungen, die Befehle des Hokage zu missachten. Nach allem, was passiert ist, fragst du mich tatsächlich, ob du etwas falsch gemacht hast?“

Er schwieg verdutzt. Sie rührte sich nicht, wartete verzweifelt auf seine Antwort.

„Und du glaubst, ich wäre wütend auf dich deshalb?“

„Wie klug du doch bist. Und Gedanken lesen kannst du auch.“

Er lachte. Ein tiefes, befreites Lachen.

„Spar dir deinen Spott, Yuka. Wie kommst du nur auf so etwas? Jeder macht einmal Fehler, jedem passiert einmal etwas, mit dem er nicht gerechnet hat. Warum sollte ich dir deshalb Vorwürfe machen?“

„Würdest du genauso mit mir reden, wenn deine Mutter tot wäre, weil ich sie habe gehen lassen?“

„Ich...“

„Siehst du?“

„Himmel, Yuka. Es ist aber nichts passiert. Das ist es, was zählt. Aber wenn du noch einmal versuchst, dich eine Klippe hinabzustürzen, dann...“
 

Yuka schluckte und musste feststellen, dass es nun viel leichter ging als zuvor. Und dass ihr Herz immernoch raste, hatte nichts damit zu tun, dass sie Angst vor Shikarus Reaktion hatte. Die Nähe zu Shikaru verursachte ein Schwindelgefühl in ihrem Kopf und ein merkwürdiges Ziehen in ihrer Magengegend, und selbst wenn er sie losgelassen hätte, sie hätte nicht weglaufen können. Ihre Knie waren butterweich.

Irgendwann seufzte Shikaru leise und erhob sich in eine halbwegs sitzende Position. „Wir gehen besser langsam zurück.“

Yuka hockte sich auf ihre Knie und begutachtete, um ihn nicht ansehen zu müssen, den Zustand ihrer Kleidung. Er war nicht erwähnenswert – weil furchtbar nass und schmutzig. Ihr Top klebte ihr am Körper und Wasser lief ihr aus den Haaren. Sie spürte Shikarus Blick auf sich und hob trotzig den Kopf – und errötete so sehr, dass sie den Kopf schnell wieder sinken liess. Aber eine Hand schob sich unter ihr Kinn und zwang sie dazu, ihn anzusehen.
 

Und dann küsste er sie.
 

Am nächsten Tag machten sie sich daran, den Abgrund zu durchqueren.
 

Die Kluft war nicht so tief, wie sie in der Nacht zuvor erschienen war, und dennoch schauderten sowohl Yuka als auch Shikaru bei dem Gedanken daran, was geschehen wäre, hätte Shikaru sie nicht rechtzeitig festgehalten. Ino-San und Shikamaru-San schienen nichts zu bemerken, was Yuka merkwürdig fand, denn es war unmöglich zu übersehen, dass sie jedes Mal, wenn Shikaru sie ansah, rot anlief, oder er sie jedes Mal, wenn es ihm möglich war, kurz berührte. Als müsse er sich davon überzeugen, dass sie noch da war.
 

Doch der Abstieg verlangte vollständige Konzentration von ihnen allen, besonders, weil der Boden noch immer weich und matschig vom nächtlichen Regenguss war und weil immer wieder Geröll und Steine auf sie hinabregneten. Als Shikamaru-San das dritte Mal eine kleine Lawine lostrat, die seiner unter ihm befindlichen Frau auf den Kopf hagelten, liess sie ihn schwören, mit ihr in Urlaub zu fahren – irgendwo hin, wo es weder eine Steppe noch Klippen gab.

„Die Klippe muss durch ein Erdbeben entstanden sein“, überlegte Shikaru leise. „Als wir vor zwei Jahren hier waren, war sie nirgends zu sehen.“

Es schien Ewigkeiten zu dauern, doch irgendwann waren sie unten. Shikamaru-San sah sich stirnrunzelnd um. „Shikaru und ich suchen die beste Stelle für einen Aufstieg“, entschied er. „Ich gehe nach links, du nach Rechts. Ihr beiden...“ Er warf Ino-San und Yuka einen kurzen Blick zu, „Bleibt hier und ruht euch aus.“

„Als ob wir Ruhe bräuchten, die aber nicht“, grummelte Ino-San, liess sich auf einen Stein sinken und sah ihrem Sohn hinterher. Yuka beschattete die Augen und sah nach oben. Die Ränder der Klippe standen scharf gegen das einfallende Sonnenlicht heraus.

Ino legte den Kopf in den Nacken und lehnte sich an die raue Felswand. Merkwürdig. Seit einigen Tagen schien den die Schmerzen und die Übelkeit weitgehend verschwunden zu sein. Sie hatte seit Beginn ihrer Reise nach Hidden Flowers kaum noch Schwächegefühle verspürt, doch nun kroch die Müdigkeit in ihr hoch. Sie versuchte ihre angespannten Schultern zu lockern und erreichte nur, dass ihr schwindlig wurde. „Yukatsuki“, sagte sie leise.
 

Yuka hörte ihren Namen und fuhr herum. Die Ärztin war leichenblass. Eine Sekunde lang starrten sie sich an, dann lächelte Ino-San gequält und kippte zur Seite weg. Hart schlug ihr Körper auf dem matschigen Boden auf.
 

Als sie die Augen wieder aufschlug, starrte sie direkt in Shikamarus Gesicht.
 

Sie versuchte zu lächeln, als sei nichts geschehen. „Guten Morgen.“

Sein Gesicht verzog sich nicht, aber seine Augen waren schwarz. Ein schlechtes Zeichen.

„Alles in Ordnung?“

Noch mehr Fragen als gewöhnlich klangen in dieser schlichten Frage mit.

„Ja. Lass mich los, Shikamaru. Sitzen kann ich alleine.“

Er nahm seinen Arm weg, stand auf, machte ein paar Schritte, kehrte zurück, liess sich neben sie auf den Boden sinken und sah sie durchdringend an.

„Hinata hat mir deine Scans gezeigt, Ino. Warum in Herrgottsnamen hast du dich für diese Mission zur Verfügung gestellt – dich auch noch freiwillig gemeldet? Wolltest du dich umbringen?“

„He“, antwortete sie zurückhaltend. „Du warst doch derjenige mit der nie endenden Loyalität und dem Dienst für das eigene Dorf.“

„Ich versuche, mich nicht umzubringen, denn tot hat niemand etwas von meiner Loyalität und meiner Verantwortung.“

„Ich bin ja auch vorsichtig.“

„Das sehe ich nicht.“

Er fuhr sich durch die Haare, eine Geste, die ihr so vertraut war, dass sie weinen wollte.

„Ino“, sagte er schließlich leise. „Stirb nicht vor mir, ja?“

Sie sah ihn an. „Dann müssen wir schon gleichzeitig sterben, Shika, denn wage es dich, vor mir zu sterben.“

Und dann kam Shikaru zurück und bedeutete ihnen, ihm zu folgen.
 

„Ist es nicht unglaublich?“, fragte Shikaru mit glänzenden Augen.

Unglaublich – das war tatsächlich das beste Wort dafür. Inmitten der Landschaft der rot-grauen Felsenschlucht fand sich ein kleines Paradies: Ein kleiner Wasserfall tröpfelte munter den Hang hinunter, sammelte sich am Fuß in einem kleinen, kreisrunden Trichter und versickerte im Boden. Und ringsherum um den natürlichen Seewuchs grünes Moos – durchsetzt von winzigen, violetten Blüten. Der Duft von Pflanzen und Wasser war überwältigend und süß. Niemand sagte ein Wort. Ino-San kniete sich neben das Wasserbecken und schöpfte eine Handvoll heraus. Es war eiskalt und kristallklar.

„Es ist wunderschön“, sagte Yuka leise. Shikaru stand so dicht hinter ihr, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte.

„Ich dachte mir, dass es dir gefallen würde.“

Shikamaru-San blieb praktisch wie immer: Er betrachtete die Felswand.

„Hier kommt man tatsächlich gut hinauf.“ Er warf einen Blick zurück. „Beginnen wir den Aufstieg.“
 

„Na also“, keuchte Ino Stunden später und streckte eine Hand aus, um Shikamaru das letzte Stück hinaufzuhelfen. Dann band sie sich von dem Seil los und sah sich um: Shikaru und Yukatsuki standen einige Meter hinter ihnen, beide den Blick auf etwas gerichtet, was sie von hier aus nicht erkennen konnte. Shikamaru atmete nicht einmal schwer – wie machte er das?

„Ist es noch weit?“, fragte Ino und begann, das Seil zusammenzurollen.

„Nein“, sagten zwei Stimmen gleichzeitig. Shikamaru trat zu seinem Sohn und sah in die selbe Richtung.

„Aha.“

„Was?“, fragte Ino und ging ebenfalls hinüber. Da sah sie es selbst. „Sagt bloß...“

„Ja“, flüsterte Yukatsuki. In der Stimme des Kindes klangen Freude, Erwartung, Hoffnung und Furcht gleichermaßen mit.
 

„Das ist Hidden Flowers.“
 

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Ende des Kapitels

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Das Erbe des verlorenen Dorfes

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Hidden Flowers, Zeit seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 114h

Angesichts seines analytischen Verstandes und der Fähigkeit des methodischen Beobachtens, die er sich angeeignet hatte und die ihm anerzogen worden waren war es Shikamaru unmöglich, in den vor ihm liegenden Ruinen mehr zu sehen als das, was sie waren – nämlich Ruinen.

Deshalb tat er, was er in solchen Fällen immer tat: Er lieh sich die Augen der Frau, die er liebte.

Für Ino war die Welt so viel mehr als nur Informationen und Indizien. Ino sah die Welt in Farben, Schattierungen und Mustern, die ihm verwehrt blieben. Das Bild, welches sich ihr bot, war durch Empfindungen gefärbt und nicht analytisch korrekt. Aber manchmal war es alles, was er brauchte.
 

Auf dem vor ihnen liegenden Felsplateau raschelte der Wind sanft durch das hüfthohe Gras. Abend senkte sich über die Welt und das Licht der untergehenden Sonne färbte die Umgebung golden. Die Mauer, welche das legendäre Dorf einst umgeben hatte, existierte nicht mehr, ihre Steine waren vom Wind und Wetter glattgeschliffen worden. Nur zwei Steinsäulen, die einstigen Träger des Tores, standen, zwei mahnend in den Himmel gereckte Finger. Zerfallende Häuser säumten den Dorfplatz und die Straßen, die längst von der Natur zurückerobert worden waren. Blinde Fenster, eingefallene Türöffnungen, zerborstene Wände – ein Dorf, nicht nur ohne Bewohner, sondern auch ohne sein Herz. Ein normales Dorf, in dem Menschen gelebt und Kinder gespielt hatten... Inos Emotionen verfärbten sich und verblassten.

Dies war das Dorf der Akatsuki. Ein Dorf von Mördern, Verbrechern und Ausgestoßenen. Aber andererseits war es nur ein Dorf. Shikamaru lächelte, als Ino zu dem Entschluss kam. Und für ihre Heimat hätte sie Schlimmeres in Kauf genommen als eine Legende.
 

Es war wie ein Traum.

Dies war ihre Herkunft, ihr Ursprung – Yuka wusste, dass Hidden Flowers so viel mehr war als nur ein verlassenes Dorf. Jedes Versteckte Dorf hatte seine eigene Magie. Die von Konoha war ein Teil von ihr – die von Hidden Flowers jedoch ebenso... Sie schüttelte den Kopf und versuchte, das Gefühl abzuschütteln, dass etwas sie beobachtete. Jetzt war es wichtig die Mondblumen zu finden, jene legendären Pflanzen, die zu suchen sie hergekommen waren. Die letzte Hoffnung für ihre Heimat. Als sie das letzte Mal hier gewesen war, hatten sie bei Nacht geblüht. Yuka sah zum Himmel hinauf. Langsam erschien der Mond. Unwillkürlich ging sie auf den Weg zurück, durch den sie in das Zentrum des Dorfes gekommen waren, und kehrte zum Tor zurück. Die grünen Ranken leuchteten silbrig.

Ino-San, die ihr gefolgt war, atmete überrascht aus. „Unglaublich“, murmelte sie. „Blumen, die im Mondlicht blühen.“

Shikaru streckte die Hand aus.

„Fass sie nicht an den Blüten an“, riet sein Vater. „Wer weiß, ob sie giftig sind...“

In dem Moment sprang Yuka vor und schlug seine Hand beiseite.

„Nein!“
 

Es war keine rationale Handlung. Schlichter Instinkt ließen sie vorspringen und hatte zur Folge, dass Ino-San, Shikamaru-San und Shikaru sie verständnislos anstarrten – bis eine lange, dornige Ranke peitschend auf sie zukam und sich um ihren Arm wickelten statt um Shikarus. Kleine, spitze Dornen bohrten sich in ihren Unterarm.

Yuka schrie.

Erst kam der Schmerz, rot und glühend. Dann etwas anderes – Wissen. Die Informationen strömten auf sie ein – Geschichte, Informationen, Bilder und Gesichter. Sie sah Kriege, Seuchen, Kämpfe – Menschen, Kinder, Shinobi – und alles wurde überlagert vom Gesicht einer Frau mit schwarzen, langen Haaren und goldenen Augen. Und Yuka wusste ohne Zweifel, dass diese Frau ihre Mutter war. Die Frau lächelte liebevoll und küsste ihre Stirn, eine Berührung so sanft, dass sie sich anfühlte, als strichen Schmetterlingsflügel über ihre Stirn. Der Schmerz verflüchtigte sich. Die Dunkelheit floh.

Willkommen, meine Tochter, sagte die Frau leise, und ihre Stimme wurde noch leiser, als sie sich entfernte. „Du hast dein Erbe empfangen.“

Ihr Lächeln war beinahe spürbar.

„Wir sind stolz auf dich.“
 

Shikaru stieß einen erstickten Laut aus, als sich die Ranken um Yukas Arm schlossen. Dort, wo sich die Dornen in ihre Haut bohrten, traten Blutstropfen hervor und fielen in Zeitlupe zu Boden. Als er endlich seinen Blick von ihrem Arm losreißen konnte, sah er, dass ihre Augen geschlossen waren – und sie wankte und brach zusammen. Er fing sie auf, bevor sie den Boden erreichte.

„Yuka!“

Seine Mutter hatte bereits reagiert.

Sie kniete neben ihm und fühlte nach Yukas Puls. „Zu schnell“, murmelte sie und streckte eine Hand aus, um nach den Ranken zu greifen, die sich langsam – als hätten sie ein Eigenleben – an ihrem Arm hochkrochen.

„Nein!“, rief sein Vater lauf aus und packte ihr Handgelenk, ehe sie die Ranken berühren konnte. Überrascht starrte Ino ihn an und sah die Furcht in seinen Augen. Schnell wandte sie sich wieder dem Mädchen zu.

„Yukatsuki!“, rief sie leise und fühlte ihre Stirn. „Yuka!“

Das Mädchen rührte sich nicht.

„Was ist das?“, fragte Shikaru angsterfüllt und starrte seine Mutter an. „Was passiert hier?“

„Ich weiß es nicht“, sagte die Ärztin grimmig und legte ein Ohr auf Yukas Brust, um ihren Herzschlag zu hören. Ihr Gesicht wurde, wenn möglich, noch besorgter. Shikaru sah gerade rechtzeitig von seiner Mutter auf, um zu sehen, wie Yukas Gesicht sich zu einer Grimasse verzog und schrie.
 

Es war ein wortloser Schrei – ein Schrei ohne Wut, ohne Angst, nur voll Schmerz. Er wurde langsam lauter, schwoll an, und verstummte dann abrupt. Shikaru standen die Haare zu Berge.

„Was ist mit ihr?“, rief er panisch und sah seine Mutter flehend an. „Das Ding tut ihr weh!“ Er versuchte, nach der Ranke zu greifen, aber diesmal hielt seine Mutter seinen Arm fest – und sie war stark.

„Nicht“, sagte sie grimmig. „Das Ding ist voll Gift.“

„Gift?“ Seine Stimme klang zwei Oktaven höher. Die Nacht war unnatürlich still nach Yukas Aufschrei. Wütend packte er das Erste, was ihm in die Hände fiel – Yukas Regenjacke – und umfasste damit die Ranken, biss die Zähne zusammen und riss die Ranke ab. Wieder ertönte ein Schrei – und er starrte fassungslos auf ihren Arm, zerkratzt und blutig von den Dornen, die sich anscheinend in ihre Haut gegraben hatten wie Finger. Einige Dornen steckten noch immer in ihrer Haut wie hässliche Fangzähne.

Inos Hand fiel zurück zum Puls. „Verdammt“, murmelte sie und schloss die Augen, um Chakra zu sammeln.

„Was ist los?“, fragte Shikaru angsterfüllt und starrte seinen Vater an. Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck schüttelte der den Kopf, obwohl er eine recht gute Vorstellung hatte, was seine Frau gerade tat.
 

Yukas Körper bäumte sich auf.

Ino presste eine Hand auf ihr Herz und benutzte die andere, um sie am Boden zu halten.

„Das Gift ist stark“, sagte sie mit geschlossenen Augen und fokussierte ihr Chakra. Sie sah nicht, wie Shikamaru plötzlich nach dem Handgelenk des Kindes griff, aber sie spürte es. Dann fror er ein. „Oh-oh“, sagte er leise.

„Was?“, fragte sie besorgt, als Shikaru sich ebenfalls herüberlehnte und tief Luft holte.

„Mum“, sagte er mit kleiner Stimme. Sie öffnete die Augen: Eine dicke, schwarze Linie zog sich unter der Haut den Arm hinauf, wuchs, während sie hinsah, noch weiter.

„Blutvergiftung?“, fragte sie ungläubig.

„Das kann nicht sein!“, fauchte Shikaru und sah sie an. „Das ist viel zu schnell! Sie hat doch gerade erst...“

„Sei still!“, herrschte sie ihn an und verzog vor Konzentration das Gesicht. „Ich muss mich konzentrieren!“

„Yuka!“, flüsterte er beschwörend. „Halt durch! Ich schwöre dir, wenn du es wagst zu sterben...“

Keine Antwort.

Verzweifelt beugte er sich hinab und küsste sie, aber ihre Lippen blieben so kalt und reglos wie ihr Gesicht. Die blaurote Linie, die sich ihren Arm entlang zog, hatte beinahe ihre Schulter erreicht. Krämpfe schüttelten ihren Körper.

„Du musst etwas tun!“, schrie er seine Mutter an. „Sie hat uns immer geholfen! Jetzt hilf ihr!“

„Beherrsche dich!“, fuhr Shikamaru seinen Sohn an. „Siehst du nicht, dass sie alles tut, was in ihrer Macht steht? Mehr kannst du nicht verlangen!“

Shikaru war der Erste, der den Blick abwandte. Verzweiflung und Angst im Herzen, packte er Yukas Hand und fühlte ihren Puls. Schwach. Immer schwächer. „Nein“, quetschte er hervor. „Nein! So darf es nicht...“
 

Nach endlos langer Zeit öffnete Ino schließlich die Augen und erwiderte Shikamarus besorgten Blick direkt. Tief seufzte sie auf und liess die Schultern fallen. Ihre Hände fielen zu ihren Seiten. „Ich konnte nicht mehr helfen.“

„Was...“, fragte Shikaru und sah sie an, am Rande der Panik. „Nein! Sie ist nicht...“

Ino lächelte.

„Nein. Sie ist nicht tot. Sie hat es selbst geschafft.“
 

Das nächste, was Yuka wahrnahm, war ein warmer Körper an ihrem.

Sie öffnete mühsam die Augen – und erschrak, weil sie nichts sehen konnte. Dann gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht des Mondes und an das Licht der Lampe, die Shikamaru-San hielt, und sah in zwei Augenpaare: Ein leuchtend blaues, amüsiertes, und ein braunes, reserviertes Paar. Ino und Shikamaru sahen wortlos zu, wie Shikaru Yuka umarmte, als hinge sein Leben davon ab.

„Shikaru“, sagte sie heiser. Ihre Kehle war rau und schmerzte.

„Shikaru. Du kannst mich loslassen – ich bin in Ordnung.“

„Beweise das“, knurrte er in ihr Haar. Die Leichtigkeit, die in ihr Aufstieg, war so groß, das sie leise lachte.

Wie denn, wenn du mich beinahe erdrückst?“

Er liess sie los und betrachtete sie von oben bis unten. Sein Blick blieb an ihrem Arm hängen.

„Was...“

Verwundert sah sie auf ihren rechten Oberarm. Shikaru packte ihr Handgelenk und fuhr mit einer Hand vorsichtig über das Muster: Dort, wo die Ranken sich in ihre Haut gekrallt hatten, waren keine Wunden mehr zu sehen – nur rote Narben längst verheilter Schnitte. In Form einer Blume.

„Oh“, sagte Ino-San ehrfürchtig und beugte sich hinüber, um sich das Muster genauer anzusehen. Shikaru und sein Vater schwiegen. Yuka zog den Ärmel ihres T-Shirts so weit herunter, wie es ging – ihr neues „Tatoo“ verdeckte es dennoch nicht – und schloss kurz die Augen. Die Erinnerungen waren da, in ihrem Kopf, weit entfernt, aber da. Wenn sie sie brauchte, würden sie da sein.

„Das Heilmittel“, sagte sie und stand auf. Shikaru liess die Hand auf ihrem Arm, als wolle er sie stützen. Sie sah ihn an, eine Braue hochgezogen – und schuldbewusst liess er seine Hand sinken, nahm stattdessen ihre. Damit war sie einverstanden.

„Was ist damit?“, fragte Ino-San und richtete sich ebenfalls auf.

„Es sind die Blumen.“

„Das wussten wir schon“, sagte Shikamaru-San mit hochgezogenen Brauen. Yuka lächelte.

„Und ich weiß jetzt, wie man es herstellt.“
 

Dieses Mal liessen sich die Blumen ohne Gegenwehr pflücken.

*

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Ende des Kapitels

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Wendungen, Teil I

Konoha-Gakure, Zeitpunkt seit Ausbruch der Seuche: 151h

Ein lauter Donnerschlag. Merkwürdig. Es war gar keine stürmische Nacht...

Hinata tauchte aus den eher flachen Gewässern des Schlafs auf und fand sich am Tisch im Wohnzimmer wieder, nicht in ihrem Bett. Draußen hatte es nicht einmal begonnen, hell zu werden. Ihr Rücken schmerzte. Nach dem Streit mit Henara gestern, bei dem sie sich geweigert hatte, Neji im Krankenhaus zu besuchen, war sie nach Hause geflohen. Sie konnte ihn nicht besuchen gehen. Sie würde es nicht aushalten, ihn in den weißen Laken eines Krankenhausbettes zu sehen – sie durfte nicht einmal daran denken was mit ihm geschehen würde, denn sonst würde sie unweigerlich zusammenbrechen. Deshalb hatte sie weitergesucht, weitergeforscht, hatte Buch um Buch gelesen und... Und dann musste sie eingeschlafen sein.
 

Wieder donnerte es, und Hinata erkannte, dass jemand an der Haustür klopfte.

„Hinata!“, erklang nun auch eine Stimme, leise, aber drängend. Das Hämmern hörte nun nicht mehr auf, bis ein Bediensteter die Tür öffnete. Ein hastiger, leiser Wortwechsel – und schon stürmte der Hokage in den Raum und blieb abrupt stehen, als er sie sah. Überrascht schob sich Hinata mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht und versuchte, sich von einer Sekunde auf die andere in das ehrwürdige Oberhaupt der Hyuuga zu verwandeln – es misslang kläglich, weil es Naruto war, der vor ihr stand. Eine Sekunde lang starrten sie sich an. Was sollte sie ihm sagen – sie, von allen Leuten? Aber er erfasste sofort das Mitleid, welches in ihren Augen schwamm, und ein kurzer, drohend harter Blick brachte all diese Gedanken zum Schweigen.

„Schnell“, sagte er knapp und zog sie hoch. „Wir brauchen dich im Krankenhaus. Wir haben das Heilmittel.“
 

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches, Zeitpunkt seit Ausbruch der Seuche in Konoha: 143h

Sie schliefen.

Die Kinder schliefen tief und ruhig, zum ersten Mal seit Langem war es kein fiebernder, unruhiges Hin-und Herwälzen mehr, sondern tiefer, traumloser Schlaf. Das tiefe, ruhige Ein- und Ausatmen der Kinder versetzte Yuka in eine Art Schwebezustand während sie ruhig dasaß und beobachtete, wie ihre Schutzbefohlenen sich erholten.

Sie hatte kaum zu hoffen gewagt, dass das Heilmittel so schnell anschlagen würde. Aber nun, da sie es mit eigenen Augen sah, wagte sie aufzuatmen.Vor einem Tag waren sie angekommen, Shikaru und sie, und hatten so schnell wie möglich das Heilmittel zubereitet. Ino-San und Shikamaru-San waren nach Xefua weitergereist, die Anweisungen und die Blumen im Gepäck. Und Urchin, Shikarus Schattenwolf, war nach Konoha unterwegs.

Lächelnd strich sie Malin über den Kopf. Das rotgelockte Haar des kleinen Mädchens vermischte sich mit Björns blonden Strähnen – er lag neben ihr und atmete ruhig. Wunderschön. Wie ruhig die Kinder waren, wenn sie schliefen.
 

„Das hätte ich niemals zu hoffen gewagt“, seufzte Takeo, der junge Dorfvorsteher, und wischte sich einige Regentropfen aus dem Gesicht. Shikaru neben ihm nickte.

„Wie kann ich euch nur danken?

„Das müssen Sie nicht“, sagte Shikaru verlegen. „Wir haben das nicht getan, weil wir Dankbarkeit oder eine Belohnung erwarten. Das hätte jeder getan.“

„Nein“, widersprach Takeo. „Nicht jeder. Und nach dem, was ich bereits von eurer Reise gehört habe, hätte es auch nicht jeder geschafft. Vor allen Dingen niemand, der nicht zufällig eine Erbin von Hidden Flowers dabeihatte.“

„Woher...“

Takeo lächelte entschuldigend. „Sie müssen mir vergeben... Ich wusste bereits, dass nur ein Erbe des vergessenen Dorfes diese Prüfung würde bestehen können, aber mein Verdacht hat sich erst dadurch bestätigt.“

„Sie wussten, dass sie sterben würde, wenn sie nicht...“

Shikarus Stimme klang nach einer Mischung aus Drohung und Ungläubigkeit.

„Wenn sie nicht die Erbin gewesen wäre? Ich gebe zu, es bestand eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit...“ Als der Dorfoberste Shikarus erzürntes Gesicht sah, machte er eine beschwichtigende Geste.

„Missverstehen Sie mich nicht, Shikaru. Ich muss für die mir anvertrauten Kinder sorgen, und ich war mir sehr sicher, dass sie es war... Es freut mich für ihre Partnerin, dass sie endlich den Ort gefunden hat, an den sie gehört!“

„Sie gehört nach Konoha“, gab Shikaru kurz angebunden. Takeo lächelte entwaffnend. „Das auch. Bitte, Shikaru – legen Sie ihren Groll beiseite und sehen Sie in die Zukunft. Dank Ihnen und Ihrer Freundin werden viele Menschen diese Krankheit überleben.“
 

Shikaru fand Yuka in dem kleinen Zimmer, welches Takeo ihr zur Verfügung gestellt hatte – diesmal hatte er ihnen getrennte Räume zugewiesen. Er klopfte an und wartete nicht, bis sie ihn hereinrief, sondern platzte durch die Tür – sie war noch angezogen, Gott Sei Dank, wer wusste, was er sonst getan hätte – und ignorierte ihren überraschten Laut. Stattdessen zog er sie an sich, schlang beide Arme um sie und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar.

„Was ist los?“, fragte sie, halb überrascht, halb besorgt, aber er grummelte ein Nichts und schloss die Augen.

„Shikaru!“ Sie wand sich in seinen Armen, bis sie ihn ansehen konnte. „Was ist los?“

„Ich bin froh, dass du am Leben bist“, sagte er ernst und küsste sie. Yuka liess sich gegen ihn fallen und schloss die Augen, und dann fiel sie wirklich – und landete weich auf Shikaru, der sich auf ihr Bett hatte sinken lassen, lag auf ihm und fühlte sein Herz schlagen. Fast genauso schnell wie ihres.

Fast.
 

Mitten in der Nacht riss ein Schluchzen sie aus den Träumen und aus Shikarus Armen, die noch immer warm und fest um sie lagen.

Yuka schreckte hoch, Shikaru folgte ihr im Abstand von Sekunden. Keiner von Beiden verschwendete einen Gedanken daran, dass es gut gewesen war, dass sie sich nicht die Mühe gemacht hatten, sich auszuziehen, als sie gestern eingeschlafen waren – und als das Schluchzen erneut ertönte, waren beide auf den Füßen.
 

Yuka sprintete bereits zur Tür, während Shikaru ein Licht entzündete. Zwei Dinge wurden sichtbar:
 

Die kleine, rothaarige Malin, in ihrem weißen Nachthemd, einen Teddybär im Arm, Tränenspuren im Gesicht.

Und Dorfvorsteher Takeo, ein Glimmen in den dunklen Augen und ein Messer an der Kehle des kleinen Mädchens.
 

Yuka verharrte bewegungslos.

„Was...“

Takeo lächelte, und es war kein freundliches Lächeln mehr,, sondern ein hohles, gefährliches Grinsen.

„Ich wollte eigentlich bis Morgen früh warten, aber es hat mich einfach nicht mehr losgelassen. Die Erbin von Hidden Flowers unter meinem bescheidenen Dach! Endlich! Ich habe schon nicht mehr zu hoffen gewagt, dass ich noch jemanden mit dem Blut der Akatsuki finden würde. Und dann kommt ihr zu mir, statt dass ich zu euch kommen muss! Und bringt mir, was ich mir schon so lange wünsche!“

„Wovon reden Sie?“, rief Yuka fassungslos aus. „Lassen Sie das Kind los!“

Malin wimmerte, ein Laut, ihr ins Herz schnitt.

„Ich lasse sie schon los, keine Sorge“, lachte Takeo. „Ich lasse meine kleine Geisel los. Aber erst, wenn ich bekommen habe, was ich haben will.“

„Und das wäre?“ Wer hatte gesprochen – Yuka oder Shikaru?

Takeo grinste breiter.

„Das ist simpel. Meine neuste Entdeckung – die Erbin von Hidden Flowers, das letzte Blut der Akatsuki – wird mir geben, was ich schon so lange haben will: Unsterblichkeit!“

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Ende des Kapitels

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Wendungen, Teil II

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches
 

„Unsterblichkeit?“

Shikaru schnaubte verächtlich und riss Yuka aus der Starre des Entsetzens, in der sie gefangen war. Unsterblichkeit.

„Was für ein Unsinn! Kein Mensch ist unsterblich. Nicht einmal die Hüter von Hidden Flowers waren es!“

Takeo zuckte die Achseln, grinste und presste das kleine Mädchen fester an sich. „Keine Bewegung, oder sie stirbt“, erinnerte er sie kalt. Die Maske des freundlichen Dorfvorstehers und Arztes war vollkommen verschwunden.

„Und was Unsterblichkeit angeht – ich weiß genau, dass sie existiert. Zumindest in der näheren Bedeutung des Wortes – nicht wahr, Yukatsuki-San?“

Sein Blick liess sie erschaudern. Sie hatte es nicht bemerkt – hatte nichts wahrgenommen als die Maske des freundlichen und kinderliebenden Mannes. Sie hatte nichts gespürt – nicht die Wut oder die Dunkelheit, die hinter dem freundlichen Gesicht schlummerten. Er hatte sie hinters Licht geführt – vollständig.
 

Unsterblichkeit.

Nicht, dass je ein Mitglied ihres Clans selbst unsterblich gewesen war.

Nein – selbst Akatsuki befolgte einen subtilen Kodex, der besagte, dass niemals – niemals! – die Gesetze der Natur missachtet werden durften. Akatsuki mordete, spionierte, verfolgte und tötete – aber sie achteten die Gesetze der Natur.

Zumindest achteten sie darauf, dass Clansmitglieder diesen Kodex beachteten. Wenn ein reicher Fürst ihnen ein Opfer brachte und den Preis zahlte, sprach nichts dagegen, das Ritual für ihn durchzuführen.
 

Hätte man Rui und Yuuko, Yukas Eltern, gefragt, hätten sie ohne Skrupel zugegeben, dass sie gegen die richtige Bezahlung bereits einigen Klienten zu einem beträchtlich verlängerten Leben verholfen hatten. Natürlich war dies – in anbetracht der Höhe des Opfers – eine grausame Tat.

Yukatsuki, die mit den Moralvorstellungen des Dorfes versteckt hinter den Blättern aufgewachsen war, hatte in der Begegnung mit ihren Vorfahren erkannt, dass Akatsuki auf einem Niveau agierten, die dem ihrer Heimat hinter den Blättern nicht unähnlich war. Es ging um Ehre – immer um Ehre, um Anerkennung – auch, wenn es unterschiedliche Arten der Anerkennung waren. Und um den Wunsch, die Heimat zu schützen.

Dies verwirrte sie.

KonohaNin verteidigten ihre Ehre und ihre Heimat mit Zähnen und Klauen. Akatsuki verteidigte ebenfalls etwas – aber dieses Etwas war so geheim, so unbekannt, dass sie es auf eine andere Art verteidigen mussten als Konoha. Was sie in den Augen Außenstehender zu ruchlosen und ohne jedwede Vorstellung von Moral agierenden Mördern machte.

Die als Adoptivtochter des Sechsten Hokage aufgewachsene Erbin von Hidden Flowers konnte nun, da sie davon wusste, den Zwiespalt ihrer Eltern verstehen. Die Oberhäupter des vergessenen Dorfes hatten alles dafür getan, um dieses zu schützen – und waren zuletzt am Verrat aus den eigenen Reihen gescheitert. Aber dank ihrer Erziehung wusste Yuka auch, dass die Angewohnheit, welche die Akatsuki pflegten – Dinge als Lauf des Schiksals oder als unabwendbar anzusehen – eine bloße Ausrede war. Wenn man also Kinder opferte, um mit Hilfe verbotener Techniken und tödlichen Giftes alternde Körperzellen durch Junge zu ersetzen, und es Schicksal nannte, dass die Kinder starben – dann war dies falsch.

Grundlegend falsch.
 

Malin wimmerte.

Große, grüne Augen starrten Yuka flehend an – eine Bitte um Hilfe, voll Vertrauen, voll Angst. Dem kleinen Mädchen war die Wandlung des freundlichen Mannes, der sie aufgenommen hat, unverständlich – und wie sollte sie auch verstehen. Yuka richtete sich auf. Dieses Kind vertraute darauf, dass sie ihr half...

„Shikaru hat Recht“, sagte sie kalt und fixierte Takeo. „Es gibt keine Unsterblichkeit.“

Takeo lächelte und der freundliche Arzt der letzten Tage schien durch das Lächeln hindurch wie ein Totenschädel durch transparente Haut. Erschrocken stellte sie fest, dass es keine Maske gewesen war, was er Tage zuvor gezweigt hatte. Nur ein weiteres seiner Gesichter.

„Ich war mir ziemlich sicher, dass ihr euch wehren würdet, und habe Maßnahmen ergriffen, um mir eure Kooperation zu sichern“, sagte er fröhlich und schnippste. Malin liess er los, und das Mädchen stolperte weg von ihm, auf Yuka zu, die sie schnell an sich zog. Eine dunkle Vorahnung liess sie schlucken.

„Was...“

„Spürt ihr es nicht, KonohaNin? Die kleinen Verräter, in eurem Blut? Nun, bei dir, Yukatsuki, dürften sie nicht wirken, aber bei deinem Partner...“

Genau in diesem Augenblick – wie hatte er es so abpassen können? – wankte Shikaru, machte eine schwache Bewegung und brach auf der Stelle zusammen. Sofort war Yuka neben ihm.

„Shikaru?“

Shikaru rührte sich nicht, nur seine Augen bewegten sich hektisch hin und her, sahen sie an und wieder Takeo, versuchten ihr etwas zu sagen, aber sie verstand es nicht. Schnell fühlte sie nach seinem Puls – schwach und unregelmäßig. Seine Pupillen waren geweitet.

„Was hast du ihm gegeben?“, fauchte Yuka, ohne Takeo anzusehen. Der lachte. „Ein schwaches Nervengift. Es hat lange gebraucht, bis ich die genaue Dosis gefunden habe, aber nun kann ich es perfekt dosieren. Es hat bisher nur seine Muskeln gelähmt – aber wenn er nicht bald das Gegengift verabreicht bekommt, dann wird sein Herz aufhören zu arbeiten. Ihr wart gestern einfach zu abgelenkt – ich konnte ihm das Gift problemlos verabreichen. Und nun, ehrwürdige Hüterin von Hidden Flowers...“

Seine Augen funkelten.

„Nun werdet Ihr mir geben, was ich will, und ich gebe euch das Gegenmittel, damit Ihr euren Geliebten retten könnt. Wie überaus Schicksalshaft!“
 

Und wenn es irgendetwas wie Schicksal gab, dann gehörten sie und Shikaru zusammen. Dann durfte nichts und niemand sie trennen.

Yuka nickte mit zusammengebissenen Zähnen. Sie wusste, was sie in Shikarus Blick würde lesen können: Das Flehen, keine Kinder zu opfern, um ihn am Leben zu erhalten.

Deshalb sah sie ihn nicht an, als sie zustimmte.
 

Der Beschwörungskreis war groß, viel zu groß für die wenigen Personen, die in ihrer Mitte saßen. Yuka hatte ihn gezeichnet. Dinge, die sie nie zuvor getan hatte – Worte, die sie nie zuvor gehört hatte, Wissen welches sie nie erlernt hatte, waren plötzlich da und sie nutzte es, ohne es zu hinterfragen.

„Seid Ihr endlich fertig?“, fragte Takeo, der sie hungrig musterte.

„Bald“, antwortete sie leise. „Geduld.“

„Ich habe Zeit“; sagte Takeo und entspannte sich im Schneidersitz, in dem er saß. „Ich habe bald alle Zeit der Welt. Nur... Euer Geliebter hat sie nicht.“

Yuka biss die Zähne zusammen.

„Wusstet Ihr, dass der Clan der Akatsuki älter war als jeder andere Shinobi-Clan? Wie alt, weiß niemand – nicht einmal die Schriften reichen so weit zurück. Tatsache ist, dass sie die besten Anführer hatten, die besten Shinobi, die besten Wissenschaftler – und dennoch lebten sie zurückgezogen, verfolgt als Verbrecher und Mörder. Seine eigene Arroganz war sein Untergang, seine eigene Unfähigkeit, Splittergruppen wie die des Madara Uchiha oder Orochimaru zu unterdrücken, weil sie sich darauf konzentrierten, eine alte Prophezeiung zu verhindern – oder besser, zu ihren Gunsten zu wenden... Das Schwert der Akatsuki. Wie ironisch!“

Er lachte wieder. Wortlos starrte Yuka ihn an. Ich bin also wirklich die Tochter meiner Eltern, dachte sie stumm. Zum ersten Mal in ihrem Leben entschied sie sich bewusst, nicht die Tochter des Sechsten Hokage von Konoha zu sein, sondern die Tochter von Rui und Yuuko, Erbin von Hidden Flowers. Wenn dies bedeutete, dass der Mann, den sie liebte, für den Rest ihres Lebens bei ihr blieb, dann war dieses Opfer klein.

„Ja, ja, die Liebe“, sagte Takeo spöttisch.

„Wusstet Ihr, dass es eine Legende gibt, nach der jede Tochter der Akatsuki in ihrem Leben genau ein Mann vorbestimmt ist? Bei Euren Eltern war es reines Glück, dass sie beide dem selben Clan angehörten... Die Schwester Eurer Mutter, Sabriel, wurde hingerichtet, weil sie sich in einen Feind verliebte...“

Yukas Hände zitterten.

Schicksal. Das Schicksal, welches sie und Shikaru zusammengebracht hatte, sollte nun der Grund dafür sein, dass dieses Kind durch ihre Hand sterben würden? Shikaru würde es nicht gutheißen, das wusste sie, genauso wenig wie Konoha...
 

Zweifel kamen langsam.

Zuerst war da nur der überwältigende Drang gewesen, Shikaru zu retten, ein Wunsch, der alles andere, an das sie denken konnte, ausgeschaltet hatte. Shikaru würde sich nicht von einem verrückten Arzt und Historiker benutzen lassen, um ein Verbrechen zu begehen. Nein, nicht Shikaru. Selbst dann nicht, wenn...

Yuka schloss die Augen und atmete tief durch.

Würde Shikaru sie opfern?

Würde er sie sterben lassen, wenn es darum ging, ein Verbrechen zu verhindern?

Würde er für sie seine Prinzipien über Bord werfen?

Sie öffnete die Augen wieder, und Entschlossenheit liess ihre Stimme stark klingen. „Ich bin bereit. Aber ich habe eine Bedingung.“ Sie fasste Takeo ins Auge und funkelte ihn an. „Nicht sie. Nicht Malin.“

„Ihr habt ein zu weiches Herz, Yukatsuki-Sama“, lachte Takeo. Seine spöttische Ehrfurcht, gepaart mit Spott, machte sie wütend. Sie liess es sich nicht anmerken, starrte ihn so lange entschlossen an, bis er die Schultern zuckte und aus dem Raum verschwand. Kurze Zeit später kehrte er mit einem anderen Kind wieder, welches er an den Schultern führte. Der Junge sah verwirrt aus, nicht ängstlich. Anscheinend hatte er ihm keine Angst gemacht, ihm nur gesagt, er solle mit ihm kommen.

Yuka warf einen kurzen Blick auf ihn und nickte, und Takeo brachte ihn dazu, sich an den Platz im Bannkreis zusetzen. Interessiert schauten er Yuka zu, die sich ihm gegenüber setzte. Sie sah, dass Takeo sich ebenfalls auf seinen Platz gesetzt hatte, und sah das Kind nun wirklich an. Sie wollte ihn sich einprägen – das Gesicht des Jungen, den er nun töten würde. Sie wollte nichts vergessen: Die blauen Augen und das blonde Haar, das nervöse Zucken seiner Hände, die dünnen Beine, die sich unter ihm falteten, die Art, wie sich seine Stirn kräuselte, während er sich widerum ansah...
 

Sie keuchte erschreckt auf.
 

Der Junge glich dem Jungen, der die Botschaft der Seuche nach Konoha gebracht hatte, so sehr, wie sich Brüder nur ähneln konnten. Und beide sahen dem Sechsten Hokage zum Verwechseln ähnlich. So musste Naruto – so musste ihr Vater ausgesehen haben, als er noch klein war, genau so mussten seine Augen geleuchtet haben, sein Gesicht sich verzogen haben...

Yuka zitterte am ganzen Körper. Und mit dem Wissen, dass es reine Absicht gewesen war, dass man den Jungen nach Konoha geschickt hatte, kam eine andere Gewissheit: Sie konnte das hier nicht tun.

Sie konnte nicht. Sie konnte dieses Kind nicht töten, weder ihn noch irgendein anderes Kind.

„Nein“, sagte sie leise.

Takeo runzelte die Stirn.

„Nein was?“

„Ich werde das hier nicht tun.“

„Aber Ihr wollt Euren Geliebten doch nicht verlieren“; sagte er sanft, und diese sanfte Freundlichkeit war hypnotisch. „Erledigt das hier, schnell, und dann...“

„Nein. Ich werde die Beschwörung nicht durchführen.“

Es war ihr ernst. Takeo sah das und seine Miene versteinerte.

„Ihr scheint nicht mit der Vernunft Eures Clans gesegten zu sein. Muss ich Euch erst überzeugen?“

Ehe Yuka reagieren konnte, hatte er ein Messer gezückt und flog durch den Raum, auf – auf das Kind zu.

Yuka warf sich zwischen ihn und den Jungen, der verständnislos starrte.

„Takeo!“
 

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Ende des Kapitels

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Ein gestohlenes Leben

Irgendwo im Nirgendwo, Norden des Feuerreiches

„Takeo!“
 

Die Stimme gehörte nicht Yuka.
 

Für einen Moment erstarrte der Dorfvorsteher, für einen Moment hielt er inne. Zeit genug für Yuka, ihm die Messer aus der Hand zu schlagen, dann erst warf sie einen Blick zur Tür, die aufgeflogen war. Ihre Augen weiteten sich in Überraschung.

„Camille?“
 

Klein, gebeugt und grauhaarig stand Camille, die Älteste des Dorfes Xefua, in der Tür, die Arme in die Seiten gestützt. Ino-San und Shikamaru-San standen hinter ihr. Der Blick der Ärztin fand Yukas flehenden Blick und nickte beruhigend.

„Es geht ihm gut“, sagte sie und Yuka wusste, Ino-San hatte Shikaru gefunden und ihn behandeln können. Plötzlich war das Gewicht auf ihrem Herzen fort.

„Takeo von Xefua“, wiederholte Camille und trat vollends in den Raum, wobei sie den Bannkreis, die erstarrten Kinder, Yuka und Takeo in einem Blick aufnahm.

„Was in Dreiteufelsnamen tust du hier?“

Ein spöttisches Lächeln blitzte in Takeos Augen auf. Er zeigte kaum Überraschung.

„Tante“, sagte er ruhig. „Dasselbe könnte ich dich fragen.“

„Ich sorge dafür, das alles hier sein Ende findet“, antwortete die alte Frau ruhig, trat in den Beschwörungskreis und wischte mit einem Fuß eines der Symbole aus. Takeo beobachtete sie mit blitzenden Augen. Dann beugte sie sich zu den Kindern hinunter und musterte sie. Die Kinder rutschten zu Yuka hinüber und schmiegten sich an sie.

„Uruki“, sagte Camille. „Ich wusste, dass du etwas mit dem Verschwinden der Kinder aus Xefua zu tun hattest. Der Bote, der Hilfe von Konoha bringen sollte, war auch von dir geschickt?“

„Er sah genauso aus wie der Junge“, unterbrach Ino-San sie. Schuldgefühl lag blank in ihrer Stimme. Camille nickte traurig.

„Tsukuno, Urukis älterer Bruder.“

Dann sah sie erneut ihren Neffen an.

„Und die Männer, die den Auftrag hatten, das Virus in Konoha-Gakure zu verteilen... Kamen die auch von dir?“

Takeo grinste. „Das war ein Teil meines Planes. Dass Konoha sogar Hilfe schicken würde – das hätte ich allerdings nicht erwartet! Ich dachte, wenn sie keine Hoffnung mehr haben, würden sie sich von ganz allein an die Legende von Hidden Flowers erinnern und Leute losschicken... Stattdessen schicken sie mir gleich ihre Prinzessin!“ Er warf den Kopf zurück und funkelte Ino-San, ihren Mann und Camille an.

„Und wenn ihr einige Sekunden später gekommen wärt, hättet ihr beobachten können, wie eure kleine Schutzbefohlene ihr eigenes Dorf verrät und ein Kind opfert! Sie ist und bleibt ein Mitglied von Akatsuki!“ Herausfordernd blickte er die KonohaNin an.

Yuka senkte den Blick. Ihre Wangen waren blutleer.

„Nein“, sagte Ino-San entschieden und trat einen Schritt vor. „Wir kennen Yukatsuki. So etwas würde sie nicht tun.“

Shikamaru-San nickte zustimmend. In seinen Augen stand Vertrauen – Vertrauen zu ihr. Ein warmes Gefühl erfüllte sie auf einmal von Kopf bis Fuß.

„Takeo stammt aus Xefua?“, fragte sie ungläubig. Der schnaubte nur, während Camille in sich zusammensank.

„Er ist nicht bei uns geboren worden. Aber er hat mit uns gelebt, eine ganze Zeit lang.“

„Eine schreckliche Zeit“, warf Takeo dazwischen.

„Meine Schwester, Rafaelle, hatte einen Sohn. Leider war dieser schwach und kränklich und starb früh. Damals fanden wir einen Säugling im Wald, der von seinen Eltern ausgesetzt worden war... Wir glaubten, es würde Rafaelle helfen, wenn sie ihn aufnehmen und großziehen würde. Und sie hat sich um Takeo gekümmert wie um einen eigenen Sohn.“

Takeo schnaubte erneut.

„Ich habe im Zimmer eines Toten gelebt, die Kleidung eines Toten getragen und mit seinen Spielsachen gespielt, ich habe sogar seinen Namen getragen! Das war kein Leben, das war die Hölle!“

Ungläubig musterten ihn drei Paar Augen.

„Was?“, rief er wütend aus. Sein Blick bohrte sich in Yukas Augen. „Glaubt ihr mir nicht? Wie könntet ihr mich verstehen! Ich war ein gutes Kind, wirklich! Ich habe versucht, es allen Recht zu machen – den Dorfbewohnern, die mich nicht akzeptieren wollten, weil ich keiner von ihnen war, meiner Adoptivmutter, die in mir ihren verstorbenen Sohn sah, meinen Adoptivvater, der aus mir einen Krieger machen wollte – aber ich wollte mehr sein als nur ein Ersatz, ein Ausgestoßener und ein Wunschtraum! Ich wollte mein eigener Herr sein! Ich habe ein Leben damit verbracht, jemand anderes zu sein als ich in Wirklichkeit bin – deshalb will ich die Unsterblichkeit!“

Er breitete die Arme aus.

„Ich will ich selbst sein! Ganz und Gar! Ich will die Welt selbst gestalten, die Welt und mein Leben! Und niemand wird mir je vorschreiben können, wie ich sein soll und was ich tun muss!
 

Camille schüttelte traurig den Kopf. „Wenn dich deine Mutter gehört hätte“, sagte sie traurig. „Es hätte ihr das Herz gebrochen.“

„Sie hätte niemals versuchen dürfen, mich zu einem anderen Menschen zu machen als zu dem, der ich bin!“ Takeo sagte die Worte ruhig, gelassen.

„Warum hast du uns das niemals gesagt? Wir hätten das ändern...“

„Ändern! Ha. Ihr habt doch immer alles getan, was Rafaelle wollte... Rafaelle hier, Rafaelle da, die arme, kranke Rafaelle! Sie hat immer bekommen, was sie wollte! Sie...“

„Das ist jetzt vorbei“, sagte Ino-San leise. „Rafaelle ist tot.“

Takeo verstummte und starrte sie an. Unwirkliche, bleierne Stille hing plötzlich über dem ganzen Raum.

„Wie bitte?“, flüsterte er heiser. Zum ersten Mal wirkte er, als könnte er nicht verstehen, was gerade geschah.

„Sie ist tot“, antwortete Camille diesmal. „Sie ist gestorben. An der Krankheit, die du entwickelt hast, Takeo.“

„Wie? Nein, ich... Ich hatte doch...“

Camille sah ihn traurig an. „Du hast gedacht, sie sei immun dagegen. So wie du und ich auch.“

„Sie kann nicht tot sein! Sie hat doch auch...“
 

Und dann hörte er auf zu sprechen. Sein Gesicht verschloss sich und er sank in sich zusammen. Camille trat neben ihn und schlang die Arme um ihn. Aber Takeo sagte kein Wort mehr.
 

Shikaru hatte keine Erinnerung daran, wie er nach Konoha zurückgekehrt war.

Und dann erwachte er in einem Krankenzimmer im Krankenhaus in Konoha.

„Aha“, sagte Hinata-San, die gerade seine Vitalwerte kontrollierte. „Wir sind wieder unter den Lebenden.“

„Wir?“, krächzte Shikaru und sein Gesicht verzog sich. Die Ärztin lächelte. Sie sah müde, aber sehr, sehr glücklich aus.

„Ich sage deiner Mutter Bescheid.“

Und schon war sie aus dem Raum gehuscht.
 

Das Gespräch mit seinen Eltern dauerte eine ganze Weile – weil er nicht glauben konnte, dass er den wichtigsten Teil der gesamten Mission verpasst hatte. Danach lag er noch lange wach und versuchte, sich zu erinnern. Nichts geschah – es blieb ein schwazes Loch, dort, wo eine Konfrontation mit Takeo stattgefunden haben musste. Erst lange nach Mitternacht schlief er ein.
 

Und als er wieder erwachte lag Yuka neben ihm, auf ihren Ellenbogen gestützt. Ihre offenen Haare fielen ihm ins Gesicht, ihre goldenen Augen waren unverwandt auf ihn gerichtet.

„Hey“, sagte sie und lächelte. Statt zu antworten, berührte er ihr Haar und ihr Gesicht. Und küsste sie.
 

„Ahemm“, räusperte sich jemand an der Tür und Shikaru und Yuka fuhren auseinander, Yuka flammend rot, Shikaru leicht verlegen. Der Sechste Hokage stand in der Tür und musterte sie mit einem undeutbaren Ausdruck.

„Shikaru Nara“, sagte der Hokage. „Ich erwarte schon seit drei Tagen den Bericht von der Mission.“

„Ja, Hokage-Sama“, brachte Shikaru heraus, sich trotz der Spannung bewusst, dass, wenn der Sechste von einer Mission sprach er die Tatsache, dass Shikaru ungefähr ein Dutzend Befehle und Regeln gebrochen hatte, stillschweigend akzeptierte. Irgendeine Strafe würde er erhalten, dessen war er sich sicher, aber der Sechste war gerecht. „Er wird morgen fertig sein.“

„Nun, in einer Woche reicht mir auch“, sagte Naruto mit einem Blick auf die flehenden Augen seiner Tochter. Seine strenge Miene löste sich. „Es gibt wirklich noch viel zu tun. Bis dahin kann ich warten.“ Und du erholst dich erst einmal, stand ungesagt im Raum.

Shikaru nickte, während der Mann sich umdrehte und ging. Doch in der Tür blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. Diesmal war sein Blick nur für Shikaru bestimmt. Überrascht nickte der, voller Überzeugung. Er hatte verstanden.

Naruto lächelte ein wenig, müde und abgezehrt.

„Gute Arbeit, ihr beiden“, sagte er und ging endgültig. Aufatmend drehte er sich zu Yuka um und sah voller Entsetzen, dass sie Tränen in den Augen hatte.

„Was ist?“, fragte er besorgt und zog sie zu sich. Yuka lächelte unter Tränen. „Nichts.“

Diesmal küsste sie ihn.
 

Ashuria. Ashuria.

Naruto biss die Zähne zusammen.

Yukas Gesicht ähnelte dem ihrer Großcousine so sehr... Ashuria. Der blaue Herbsthimmel über Konoha war vollkommen wolkenlos. Ashuria. Zunächst würde er Konoha wieder aufbauen. Zum wievielten Mal? Es zählte nicht. Alle würden helfen. Und dann würde auch er einmal seine letzte Reise antreten.

Warte auf mich, Ashuria.

Konoha-Gakure würde in guten Händen sein. Er wusste es. Eine neue Generation löste die Seine ab.
 

Und das war gut so.

*

*

*

Ende des Kapitels

*

*

As the Years Go By

Konoha-Gakure, 42 Jahre zuvor
 

„Deine Schuld!“, murrt Shikamaru und zuckt zurück. „Aua! Pass doch auf!“

Das blonde Mädchen tupft mit einem Taschentuch die Platzwunde auf seinem rechten Knie ab und keift zurück, ohne aufzusehen.

„Du bist da runtergefallen, weil du keine Augen im Kopf hast! Stell dich nicht so an!“

„Hab ich wohl!“ Der Junge hat nicht vor, diese Anschuldigungen auf sich sitzen zu lassen. „Und du bist an allem Schuld – weil du unbedingt hierherkommen wolltest!“

„Und weil du den Weg zurück weißt, haben wir uns verlaufen“, zischt Ino zurück und drückt ein bisschen fester als nötig. Eigentlich tut es ihr sehr leid, dass sie Shikamaru gezwungen hat, mitzukommen – aber sie wollte nicht allein gehen, und er ist der Einzige, der nicht über sie lacht, wenn er auch murrt und meckert.

„Ohne mich wären wir nicht aus dem Sumpf rausgekommen!“, empört Shikamaru sich und fragt sich, wieso er und Ino eigentlich immer streiten müssen. Aber irgendwie geht es nicht anders.

„Und ohne mich würdest du hier verbluten!“

„Mühsam!“

„Heul doch!“

„Du bist das Mädchen – heul du!“

„Du Idiot! Verblute meinetwegen!“
 

*

~***~

*
 

Konoha-Gakure – 38 Jahre zuvor
 

„Sasuke!“

Naruto ist wieder einmal wütend und Sasuke viel zu cool, um irgendeine Reaktion zu zeigen. Sakura versucht, die Wogen zu glätten, aber da sie eindeutig Sasuke favorisiert ist sie nicht ganz die richtige Person dafür. Kakashi kann nur den Kopf schütteln über sein Team und sich sagen, dass es für seinen Sensei genauso gewesen sein muss. Nun, Sasuke ist brilliant, das muss man ihm lassen, aber Sakura und Naruto sind zwei durchschnittliche GenNin die es nur schaffen werden, wenn sie diesen Elan, diese Mühe, die sie in alles investieren, auch weiterhin erhalten können. Aber eigentlich macht er sich keine Sorgen, denn solange Sasuke da ist, wird Naruto alles geben, um ihn zu übertreffen, und Sakura alles tun, um stärker zu werden.

„Jetzt beruhigt euch schon“, sagt er und deutet voraus. „Schaut mal, wer da ist.“
 

Naruto ist sofort abgelenkt.

„Da sind die Anderen! Yeah! Und sie haben den Grill schon angeworfen!“

Tatsächlich steigt Rauch auf von da, wo Kakashi den Grill vermutet. Der junge Akimichi – natürlich, und dann wird Asuma nicht weit sein. Der Rest von Team Zehn – das blonde Yamanaka-Mädchen und der gelangweilte Nara – stehen nicht weit von der Rauchsäule und streiten sich. Kakashi hebt die Hand und Kurenai grinst ihn an. Neben ihr steht die kleine Hyuuga – sie ist zu schüchtern, um sich, wie ihre Teamkollegen, zu den anderen zu gesellen, aber während Kakashi noch hinsieht kommt ein strubbliger Junge mit einem Riesenhund auf sie zugerannt und zieht sie mit sich, ohne ihren Protest zu beachten. In der Gruppe, zu der es geht, steht ein dunkler Junge mit Sonnenbrille, ein weiterer Hyuuga-Sproß (unverkennbar an den weißen Augen), ein Mädchen mit braunen, hochgesteckten Haaren und ein Junge mit Topfschnitt – Kakashi müsste sich seinen Namen merken aber er sieht immer nur Gai in ihm, weshalb ihm dies schwerfällt. Und da ist Gai auch schon, piesackt, nervt, redet und fordert, und Kakashi überlegt bereits, wie er ihn loswerden könnte, wenn er wollte. Oder wie er zumindest um die absurden Herausforderungen herumkommt. Wer hätte je davon gehört, dass zwei erwachsene JouNin darum konkurrieren, wer schneller Rindfleisch grillen kann.
 

Naruto, Sasuke und Sakura haben sich längst zu den anderen gesellt. Wenn es darauf ankommt, sind sie beste Freunde.
 

*

~***~

*
 

Konoha-Gakure – 20 Jahre zuvor
 

„Er ist so groß geworden!“, staunt Hinata und entwindet ihre Hand dem Klammergriff, der ihre Hand festhielt.

„Und Kiju erst“, gibt Sakura vom Sofa her zurück, wo sie mit Hinatas Sohn sitzt und den Kleinen mit einem Lächeln auf den Lippen wiegt. Die beiden Kinder – beide ungefähr sechs Monate alt – sind satt und müde und Henara, Hinatas Tochter, liegt bereits in ihrem Wagen und kaut auf einer Giraffe aus Stoff herum. Die beiden Freundinnen lächeln sich über die Köpfe ihrer Söhne hinweg an. So unterschiedlich sie auch sind – Sakura mit ihren langen, rosafarbenen Haaren und grünen Augen und ihrem temperamentvollen Charakter und Hinata, mit spinnwebfeinen, schwarzen Haaren, silbrigen Augen und scheuem Wesen – sie haben sich angefreundet, vor einigen Jahren, und festgestellt, dass sie sich gut leiden mochten. Sehr gut sogar.
 

Hinata lässt den Blick über das Zimmer gleiten, das einst ein düsteres und dunkles war und nun ein wohnliches, freundliches Wohnzimmer darstellte.

„Du hast gute Arbeit geleistet in dem Haus, Sakura“, sagt sie. „Wer hätte gedacht. Dass das Uchiha Clanhaus jemals wieder bewohnt sein würde!“

Sakura nimmt das Kompliment lächelnd entgegen. „Tatsächlich scheinen all die alten Uchiha-Geister langsam ihren Frieden zu finden.“

„Geister?“ Hinata streicht Shishiro, Sakuras Sohn, über die dunklen Haare zieht die Brauen hoch. „Was meinst du damit?“

Ausweichend antwortet Sakura: „Habe ich Geister gesagt?“ Aber vor dem besorgten Blick ihrer Freundin kann sie nicht lügen.

„Na ja. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es hier spukt, du weißt schon... Hier sind so viele Menschen eines... gewaltsamen Todes gestorben, und jetzt wohnen wir hier und tun so, als sei nie etwas geschehen. Das erscheint mir nicht richtig. Nicht, dass es unfreundliche Geister sind“, fügt sie schnell hinzu, als sie sieht, wie Hinatas Gesicht noch größere Sorge widerspiegelt. „Aber dann denke ich an Orochimaru und Itachi und...“

Sie schluckt und schließt die Augen.

Schnell steht Hinata auf und geht zum Sofa hinüber, lässt sich neben ihre Freundin sinken und nimmt sie in den Arm.

„Du bist hier in Sicherheit, Sakura.“

„Aber Sasuke...“

„Shhhh... Keine Sorge, Sakura. Wir passen auf dich und Sasuke und Shi auf. Naruto wird nicht zulassen, dass euch etwas geschieht.“

„Hinata“, flüstert Sakura erstickt. „Du musst mir eines versprechen. Wenn uns etwas passiert...“

„Euch wird nichts passieren“, widerspricht Hinata vehement, weil sie sich weigert zu glauben, dass jemals etwas geschehen wird.

„Aber wenn uns etwas passiert“, presst Sakura weiter. „Dann musst du Shi adoptieren.“

„Ich?“ Hinata erstarrt vor Überraschung. „Warum ich? Warum nicht Naruto?“

„Nicht Naruto.“ Sakura lächelt. „Du kennst ihn doch.“ Hinata versteift sich, und sie fährt schnell fort. „Nein, er würde sich nur Vorwürfe machen. Du, Hinata – versprich es mir!“

Sie verspricht es. Und hofft, dass dies zu den Versprechen gehört, die man niemals einlösen muss.

Sie liegt falsch.
 

*

~***~

*
 

Hidden Flowers, 20 Jahre zuvor
 

“Rui?”

Die junge Frau streicht sich das lange, pechschwarze Haar aus dem Gesicht und klettert aus dem breiten Bett. Das T-Shirt, welches sie trägt, kann ihre langen Beine nicht verdecken, und Yuuko fröstelt an der kalten Luft im Schlafzimmer. Dennoch geht sie über den kalten Boden zu der dunklen Silhouette hinüber, die ihren Mann ist. Rui steht vor dem Fenster wie eine Statue. Der Mond erhellt kaum sein Gesicht.

„Was ist los?“

Rui dreht sich zu ihr um, und ein geisterhaftes Lächeln erhellt sein Gesicht.

„Kannst du nicht schlafen?“, fragt Yuuko zurück und stellt sich so neben ihn, dass sie sich an ihn lehnen kann.

„Nein“, antwortet er und legt seine Wange an ihr Haar. Eine Weile verharrten sie beide.
 

„Es wird nicht immer so sein, weißt du“, sagt Yuuko schließlich. Rui sieht sie an. „Hast du es wieder geträumt?“ Yuuko nickt, den Kopf an seine Schulter gelehnt. „Es hat bereits begonnen.“

Ihr Blick wandert zur anderen Seite des Zimmers, an deren Wand eine Wiege steht, und Rui, der ihrem Blick folgt, legt eine Hand sanft auf ihren Bauch. Aber Yuuko lächelt nicht, sondern schmiegte sich fröstelnd dichter an ihren Mann.

„Ich habe es so satt.“ Sie atmet aus. „Morden. Töten. Verraten. Immer und immer wieder.“

„Das ist unser Schicksal“, erinnert sie Rui. „Bezahlte Mörder und Verbrecher – das sind wir. Ausgestoßene. Und...“ Er lächelt bitter. „Und wir werden durch die Hand einer Verräterin fallen. Wenn das keine schönen Aussichten sind.“

„Verräter werden durch Verräter gestraft“, sagt Yuuko leise. „Selbst, wenn sie nur ihre eigenen Ideale verraten. Aber dann wird es anders werden. Ich habe es gesehen. Eine neue Generation wird kommen. Wir werden dies nicht mehr miterleben – ebensowenig wie Hidden Flowers. Eine neue Zukunft bahnt sich an, Rui, an der wir nur durch sie teilhaben werden.“

Sie nickt zärtlich zur Wiege hin und streicht sich über ihren Bauch.

„Eine neue Generation, die ihre eigenen Fehler machen wird und ihre eigenen Erfahrungen. Sie ist es, die diese Welt in die Zukunft führen wird. Wir haben unsere Rolle gespielt, haben das unsrige getan. Jetzt ist es Zeit für die Zukunft.“

Sie schmiegt sich wieder an Rui.

„Und sind das nicht gute Aussichten?“
 

*

~***~

*
 

Konoha-Gakure – 13 Jahre zuvor
 

Shikaru kann oft nicht einschlafen, und heute ist es noch schlimmer als sonst.

Normalerweise hilft es, wenn er sich selbst mathematische Probleme zum Lösen stellt. Aber heute strahlt der Mond so hell ins Zimmer, dass es unmöglich ist einzuschlafen.

Also klettert er über die mondhelle Fensterbank hinaus auf den großen Balkon, auf dem seine Mutter alle möglichen Pflanzen züchtet, und von da aus weiter auf das Dach. Die kleine Strickleiter, die sein Vater für ihn angebracht hat, baumelt leise im Wind.
 

Auf dem Dach ist jemand.
 

Erschrocken bleibt Shikaru stehen und versucht zu erkennen, wer da in sein Geheimversteck eingedrungen ist... Es ist ein Mädchen, und weil sie ihn genauso erschrocken ansieht wie er sie und sich an ein Stofftier klammert, fühlt er sich in einem eigenen Haus wie ein Eindringling.

„Tschuldige“, sagte er leise.

Kurze, rote Haare, grüne Augen, ein weißes Nachthemd, eine rotgoldene Katze im Arm.

„Was machst du hier?“

„Ich warte.“

Überraschenderweise hat das Mädchen geantwortet, und ihre Stimme ist leise, aber klar. Ihre Augen lassen sein Gesicht nicht mehr los.

„Worauf denn?“

„Auf meinen Papa.“ Stolz richtet sie sich auf. „Er arbeitet noch.“

„Wie hast du mein Geheimversteck gefunden?“

Sie zuckt unbestimmt die Schultern. „Darf ich hierbleiben?“

Ihm fällt kein Grund ein, warum sie das nicht tun sollte. Eine Zeit lang sitzen sie stumm nebeneinander auf der Dachterrasse, bis Shikaru einschläft, von der stummen Anwesenheit des Mädchens irgendwie beruhigt. Am nächsten Morgen ist sie weg und Shikaru liegt in seinem Bett und wundert sich, ob es nicht ein Traum war. Es dauert eine Weile – mehr als zehn Jahre – bis er sie wiedersieht.
 

*

~***~

*
 

Konoha-Gakure – 9 Jahre zuvor
 

Er steht plötzlich im Zimmer – in diesem hellen, weißen, sterilen Zimmer, in das man sie gelegt hat. Immerhin ist sie nicht gefesselt und nicht eingesperrt – vielleicht ist das ein gutes Zeichen, vielleicht ein schlechtes, aber das wird sie gleich erfahren.

Er sagt nichts, sieht sie einfach nur an. Ashuria starrt zurück und registriert jede kleine Veränderung, die acht Jahre an ihm bewirkt haben: Sein Gesicht ist noch immer freundlich, aber jetzt haben sich winzige Falten um seine Augen und seine Mundwinkel gegraben und seine Augen sind heller, aber sie leuchten noch immer.

Am liebsten möchte sie ihm alles sagen: Wie sehr sie ihn vermisst hat, wie sehr sie sich danach gesehen hat, nach Konoha-Gakure kommen zu können, wie gut es tut, ihn endlich, endlich wiederzusehen.

Stattdessen starrt sie ihn an und der Kloß in ihrem Hals wird dicker und dicker.
 

Und dann lächelt er, ein weites, strahlendes Lächeln. Sie kennt dieses Lächeln. Es ist ihr Lächeln.

„Ich freue mich, dich wiederzusehen“, sagt Naruto Uzumaki, Sechster Hokage von Konoha-Gakure, und tritt einen Schritt näher. „Wie geht es dir?“

Unwillkürlich fliegt ihre Hand hinauf zu ihrem Hals – bis hierhin ist ihr Körper in weiße, sterile Bandagen gewickelt, der Verband bedeckt ihren Brustkorb und ihre Arme vollständig.

„Gut“, lügt sie. Wie zur Strafe brennen ihre Wunden wie Feuer. Er muss es in ihren Augen gesehen haben, denn sein Gesicht verzieht sich besorgt. Schon steht er an der Tür, bereit zum Gehen.

„Ich rufe Hyuuga-San“, sagt er. Ashuria hat die Ärztin bereits kennengelernt – Hinata-San, eine liebenswerte, freundliche Frau mit sanften Händen, aber etwas in der Art, wie Naruto ihren Namen ausspricht, schmerzt noch stärker als ihre Wunden.

„Warte!“, sagt sie hastig und erhebt sich mühsam, schnell, schnell muss es gehen, denn sie weiß nicht, wie lange sie es aushalten wird, und wenn jemand sie so sieht, werden sie denken, sie wolle das Oberhaupt des Dorfes angreifen oder sonst etwas. Sie ist nur eine Verräterin.

Naruto runzelt die Stirn und macht Anstalten, sie aufzuhalten, aber bleibt dann stehen. Sie kniet sich mühsam vor ihm hin. Ihre Wunden schmerzen.
 

„Ich, Ashuria von Hidden Flowers, möchte meine Loyalität und meine Dienste einem neuen Herrn anbieten. Ich entsage meiner Herkunft und unterwerfe mich vollständig der Macht des Sechsten Hokage von Konoha-Gakure, Naruto Uzumaki. Denn meine Heimat ist vernichtet und meine Herren sind tot.“

Wortlos hört er ihren halb traditionellen, halb improvisierten Worten zu. Als auf ihre Worte keine Antwort kommt, sieht Ashuria schweren Herzens auf und sieht – sieht ihn lächeln.

„Ich habe lange auf dich gewartet.“
 

Ich auch, will sie sagen, aber ihre letzten Kräfte versagen. Lächelnd, weil sie weiß, dass sie bleiben darf, dass er sie akzeptiert, schließt sie die Augen und bricht zusammen.

„Na, na“, hört sie Naruto leise murmeln als er sie auffängt und ins Bett zurückträgt. „Nicht so eilig.“ Wärme durchflutet sie als er sie sanft zudeckt, und dann spürt sie seine Lippen auf ihrem Haar. „Werde erst einmal wieder gesund“, sagt er, und dann lauscht sie seinen Schritten, wie sie sich langsam entfernen. Fast an der Tür, dreht er sich noch einmal um.

„Willkommen in Konoha-Gakure, Ashuria.“
 

*

~***~

*
 

Konoha-Gakure – Ein Jahr nach der Seuche, Erster Tag des Herbstes
 

Die Sonne strahlt.

Der Himmel ist blau.

Die ersten Tage des neuen Sommers waren schön wie ein Gemälde. Und trotz der frühen Morgenstunde waren in Konoha-Gakure, dem Dorf versteckt hinter den Blättern, schon eine Menge Menschen auf den Beinen.
 

Drei Kinder kreuzten den Weg von Yukatsuki, als die Tochter des Sechsten Hokagen die Straße hinuntereilte, den Arm voll Blumen.

„Kariha! Pass auf!“, rief sie den Kindern hinterher, die überschwänglich ein volles Kuchentablett vor sich herbalancierten.

„Morgen, Yuka“, grüßten Haruka und Sakura, die Inuzuka-Zwillinge, sie einstimmig, während sie das Geländer zur Hauptplattform des Haupthauses mit Blumengirlanden schmückten. Yuka grüßte zurück und eilte weiter die Treppen hinauf.

„Hier“, sagte sie ein wenig atemlos und legte die Blumen neben Inoshia ab, die dabei war, den Tisch für die Zeremonie zu schmücken. „Gleich kommt noch mehr.“

Die warf einen Blick auf die Blumen und nickte, dann sah sie Yuka an. „Hat mein fauler Bruder sich endlich dazu bequemt, mitzuhelfen?“ Yuka wurde rot. „Soll ich ihm etwas ausrichten?“

„Wenn er Zeit hat, muss er vorbeikommen und mir helfen“, sagte Inoshia, ohne die Miene zu verziehen, und fuhr fort, das komplizierte Geflecht zu vervollständigen. „Ich komme ganz oben nicht heran. Da müssen Männer dran oder Riesen.“

„Brauchst du sonst noch etwas?“

„Nein, danke. Geh ruhig!“
 

Yuka rannte die Treppen wieder hinab. Auf halber Strecke kam ihr Shikaru entgegen, der ihr zulächelte. Ihr Herz machte einen merkwürdigen Satz.

„Inoshia braucht deine Hilfe“, sagte sie, deutete nach oben und drückte sich an die Wand, um ihn vorbeizulassen. Er küsste sie kurz.

„Bis gleich?“

Sie lächelte zurück.

„Bis gleich.“
 

Im Laufe des Tages strömten immer mehr Menschen in Richtung des Haupthauses. Als die Zeremonie der Gedächtnisfeier begann, war die Plattform vollgepackt mit Menschen allen Alters und jedweden Aussehens, die gespannt die Ankunft des Sechsten Hokage erwarteten. Als das Dorfoberhaupt endlich die Plattform betrat, wurde es still.

„Willkommen“, sagte Naruto Uzumaki, und die Zeremonie begann.
 

Die Namen.

Die Liste war länger als die des letzten Jahres – natürlich, ein Jahr war mehr als genug Zeit für den Tod. Yuka hatte das Gefühl, als sei es in diesem Jahr besonders schlimm. Ihr Vater nannte Namen – manchmal nur einen, manchmal mehrere, manchmal einen für mehrere – und er nannte sie mit einer Achtung, die ihr die Tränen in die Augen steigen liessen. Nur bei einem einzigen Namen – beim letzten – stockte er. Besorgt sah Yuka zu ihm hinüber und sah die steinerne Miene – doch plötzlich löste diese sich auf, und Naruto lächelte. Ein sanftes Lächeln, glücklich und zugleich liebevoll. Yuka lehnte sich verwundert an Shikaru, und der verstärkte seinen Griff um sie und sah sie an.

„Alles in Ordnung?“

Yuka sah ihren Vater lächeln und lächelte ebenfalls.

„Ja.“
 

Die Namen der Gefallenen zu verlesen war in diesem Jahr keine Bürde, sondern eine Qual.

Jeder ausgesprochene Name bedeutete einen noch geringeren Abstand zu dem Namen, vor dem er sich am meisten fürchtete... Doch irgendwann war es so weit.

Ashuria von Konoha-Gakure.

Wenigstens das war er ihr schuldig gewesen…
 

Eine Hand strich über sein Gesicht, warm und weich und vertraut. Naruto hielt die Luft an.

„Naruto.“

“Ashuria?“, fragte er lautlos. Eine helle Stimme lachte, unhörbar für alle außer für ihn.

“Du hast mich nie nur Shura genannt, wie alle anderen.“

„Weil Ashuria ein schöner Name ist.“

Und fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder vollständig.
 

Die Zeremonie schritt fort.
 

Hinata Hyuuga beobachtete stolz, wie diesmal nicht nur ihr Mann, sondern auch ihr zweiter Sohn ihren Teil dazu beitrugen.
 

Ino Yamanaka streckte die Hand ein wenig aus und fand Shikamarus. Er drückte ihre kurz und liess sie wieder fallen. Sie lächelte.
 

Das Gedächtnis Konohas.

Die Beschützer aus dem Schatten.

Die Bewahrer der Tradition.

Die Späher und Jäger.

Die Hüter der Felder.

Die Wächter der Luft.

Die Bewahrer des Friedens.
 

Die Menschen hielten den Atem an. Der Sechste Hokage trat vor. Und seine stolze Stimme durchbrach die Stille:
 

„Auf die nächste Generation.“

*

*

*

Ende der Geschichte

*

*
 


 


 


 


 

Hidden Flowers III – Credits

Projekt: Hidden Flowers III – Die letzte Reise

Arbeitszeit: 1. Handschriftlicher Rohentwurf: März 2008-Sept 2009, Überarbeitete PC-Version: März 2009-März 2010, Überarbeitung bis einschließlich:

Status: 25 Kapitel/abgeschlossen

Inhalt: Diesmal ist es kein gewöhnlicher Feind. Nein, mit einem gewöhnlichen Feind könnten Yuka und ihre Freunde es aufnehmen. Aber dies hier ist etwas, gegen das keiner von ihnen kämpfen kann... Und eine gefährliche Suche beginnt.

Hauptcharaktere: Ino Yamanaka, Shikamaru Nara, Naruto Uzumaki, Hinata Hyuuga, eigene Charaktere: Yukatsuki Uzumaki, Shikaru Nara uva.

Chronologie: 37 Jahre nach Sasukes Weggang aus Konoha-Gakure, 20 Jahre nach Yukatsukis Geburt, 9 Jahre nach HF I – Tochter der Akatsuki, 3 Jahre nach HF II – Die Prüfung

Veröffentlicht: bei Animexx zwischen März 2010 – April 2012

Anzahl der Word-Seiten: 167

Anzahl der Worte: 57.472

Widmung: Für Alex.



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Kommentare zu dieser Fanfic (24)
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Von:  BLACKKING
2014-11-19T14:45:40+00:00 19.11.2014 15:45
Super ff Abschluss , nur Naruto hat mir sehr leid getan, Ashuria wäre bestimmt die perfekte Frau für ihn gewesen. .... naja egal , wie immer super geschrieben , * Daumen hoch*
LG Black
Von:  fahnm
2012-04-28T21:39:15+00:00 28.04.2012 23:39
Klasse Abschluss.

Von:  fahnm
2012-04-28T21:34:23+00:00 28.04.2012 23:34
Hammer Kapi^^.
Tja das hat Takeo jetzt davon.
Er hat zu hoch gepokert und verloren.
Von:  fahnm
2012-04-28T21:28:14+00:00 28.04.2012 23:28
Hammer Kapi^^

Von:  fahnm
2012-03-18T22:32:44+00:00 18.03.2012 23:32
Das will er also?
Unsterblich werden?
Oh weh.
Mal sehen wir es weiter geht.
Von:  fahnm
2012-02-19T21:23:55+00:00 19.02.2012 22:23
Hammer Kapi^^
Freue mich schon aufs nächste kapi^^
Von:  fahnm
2012-01-29T20:35:21+00:00 29.01.2012 21:35
Hammer Kapi^^

Von:  fahnm
2012-01-29T20:34:21+00:00 29.01.2012 21:34
Super kapi^^

Von:  fahnm
2011-12-11T20:58:32+00:00 11.12.2011 21:58
Klasse Kapi^^
Freue mich schon sehr aufs nächste Kapi^^
Von:  fahnm
2011-11-27T19:40:21+00:00 27.11.2011 20:40
Klasse Kapi^^


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