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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil 2

Zwischen Gott und Teufel
von

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Deo volente – Mit Gottes Willen

Das erste, was ich im Innern sah, war ein Kreuz.

Es war gegenüber der Tür befestigt wie ein Willkommensgruß und der leidende Jesus hing vor mir, wie ein böses Omen. Seine Arme nach oben genagelt, seine Beine angewinkelt und sein Kopf zur Seite geneigt. Im dämmrigen Licht der einzigen Kerze, die etwa einen Meter unter ihm auf einem Holztisch stand, wirkte er mit seinen hervortretenden Rippen und den eingefallenen Wangenknochen wie eine verlorene Seele. Die Kerze schlug ihre Flammen nach ihm, als würde sie ihn greifen wollen. Es würde nicht viel fehlen, er würde brennen – so wie ich.

Das zweite, das ich sah, war der in gold geschriebene Text direkt unter ihm:

Deo volente.

Ich fragte mich, was genau diese Gilde ‚Mit Gottes Willen’ tat und wurde zusehends nervöser.

Und das dritte, was ich sah, war, dass der Raum direkt nach rechts führte und eine Art Flur bildete. Er hatte keine Fenster und keine Türen, bis auf jene am Ende des Ganges, wohin gehend er immer dunkler wurde. Bei dieser handelte es sich um eine weitere, große, nach oben abgerundete Holztür, die man jedoch beidseitig mit einem schwarzen, großen Eisenring aufziehen konnte. Nevar und ich gingen darauf zu und gelangten von dort aus in einen weiteren Flur, nur größer und mit sehr hoher Decke. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf. In der Mitte war eine Art Kuppel angebracht unter jener der Kronleuchter hing, jedoch war er so niedrig, dass man die Deckenverzierungen nicht erkennen konnte. Enttäuscht gab ich auf und sah mich um. Der Boden war gepflastert und die Wände kahl, so dass alles kühl und unfreundlich wirkte. Von hier gingen drei Türen ab, eine gegenüber, eine rechts und eine links. In der Mitte führte eine steinerne Treppe nach oben, mit altem, verziertem Geländer direkt zu einer fünften Tür, unmittelbar über der linken. Während wir hinauf stiegen über einen roten Teppich, der die Stufen säumte, lauschte ich angespannt. Bis auf unsere fast lautlosen Schritte und mein leises Atmen, war nichts zu hören. Rechts und links neben dem oberen Eingang standen zwei riesige, steinerne Vasen, jedoch ohne Blumen oder ähnliches. Zwischen diesen beiden blieb Nevar stehen und klopfte, dann hörte man die Stimme eines Mannes:

„Herein!“

Ich warf Nevar einen unsicheren Blick zu, doch da er mit dem Rücken zu mir stand, bemerkte er es nicht mal. Ohne zu Zögern öffnete er und trat ein. Der Geruch von frisch erloschenen Kerzen und Wein kam mir entgegen, während ich – genauso wie mein Begleiter – die Kapuze vom Kopf streifte und den hell erleuchteten Raum betrat. Er ließ mich vor und schloss die Tür hinter mir, doch ich hörte, dass er noch da war. Dann sah ich mich um. Wir befanden und in einem Raum, nicht größer als jene Zimmer aus dem schwarzen Kater. Direkt vor der Tür, drei, vier Meter entfernt, stand ein großer, hölzerner Schreibtisch, zu welchem Nevar mich von hinten schob. Diesen fixierte ich als erstes, denn dahinter saß ein alter Mann, der sich nun erhob. Mein Herz machte einen Ruck und ich konnte keinen weiteren Schritt machen. Unterschwellige Panik brach in mir aus und mit einem Mal begann ich zu schwitzen. Ich versuchte ruhig zu bleiben und meine Aufregung nicht zu zeigen, doch meine Vergangenheit lag mir im Nacken und versuchte, sich in eine Schlinge zu verwandeln.

Das Haar des Mannes war bereits weiß und kurz, er trug eine schwarze Robe und um seinen Hals befand sich eine lange, goldene Kette mit einem Kreuz daran. Seinem weißen Kragen nach zu urteilen handelte es sich um einen Geistlichen, aber das verwirrte mich umso mehr. Was machte ein Priester im Gebäude einer Gilde? Und was wollte er von mir, einem Mörder und Gesuchten?!

Ohne Frage war dies wohl sein Zuhause, denn rechts gab es ein Bett und links einen Tisch mit Stuhl. Das Licht wurde jedoch mit Absicht nur auf die Raummitte ausgerichtet, so dass es im ersten Moment den Anschein eines Arbeitszimmers hatte. Ich sah zum offen stehenden Fenster - rechts auf Betthöhe, auf dem äußeren Sims hatte sich Schnee gesammelt. Einzelne Flocken flogen durch den Spalt hinein und lösten sich auf den weißen Leinen auf, als hätten sie nie existiert. Ein kalter Hauch ließ die vier Kerzen auf dem Schreibtisch tanzen. Unbewusst suchte ich nach Fluchtwegen und als es mir auffiel, zwang ich mich, durchzuatmen und dem Fremden entgegen zu sehen.

Der alte Mann lief um den Tisch herum und sagte mit leicht erhobenen Händen, als würde er den Allmächtigen persönlich preisen: „Willkommen in der Stadt Brehms! Es freut mich, Euch kennen zu lernen, Sullivan O’Neil.“, freundschaftlich deutete er auf den Stuhl vor dem Tisch und setzte sich selbst auf jenen dahinter. Die ganze Zeit sah er mir freundlich in die Augen. „Setzt Euch doch, Ihr müsst müde von der Reise hier her sein.“

Weder bedankte ich mich, noch begrüßte ich ihn. Es war lange her gewesen, dass ich mich mit katholischen Dingen befasst hatte, zudem fühlte ich mich als verfolgter Ketzer und angeklagter Mörder nicht sonderlich zur Kirche hingezogen. Die Tatsache, dass Nevar mich nun direkt vor einen Priester geschleppt hatte, verwirrte und beängstigte mich. Ich spürte einen starken Kloß im Hals und ließ mich unsicher vor schieben. Nevar drückte mich sanft auf den Stuhl, dann nahm er irgendwo im Hintergrund seine Position ein.

„Mein Name ist Antonius Domenico.“, stellte der Priester sich lächelnd vor und faltete die Hände auf dem Tisch ineinander. Ich sah an seiner runzligen Haut und den wie Knochen hervorstehenden Adern, wie alt er war und auch seinen goldenen, blitzenden Ring, den er am linken Mittelfinger trug. Ein goldener Siegelring mit roter Platte, umringt von Verzierungen und in der Mitte das goldene Kreuz – das unverkennbare Zeichen der Inquisition. Als ich von seiner Hand wieder hinauf in sein wesentlich jüngeres Gesicht und die tiefbraunen Augen sah, musste sämtliche Farbe aus meinem Gesicht gewichen sein.

Domenico lächelte ausgesprochen gütig. Er fuhrt fort, wie zu einem alten Freund: „Es freut mich ungemein, dass Ihr die Zeit findet, mich zu treffen, O’Neil. Ihr müsst wissen, ich habe viel von Euch gehört und wollte Euch persönlich kennen lernen.“

Unbeholfen richtete ich mich etwas auf und versuchte im Winkelblick herauszufinden wo Nevar sich befand. Aufgrund des Lichtes konnte ich weder ihn, noch die Tür sehen. Ich hatte mich nicht umgedreht, waren noch mehr Menschen im Raum? Gab es Wachen oder war Nevar die Wache? Zögernd blickte ich dem alten Mann entgegen und räusperte mich, bemüht, selbstbewusst zu wirken. Im Hinterkopf versuchte ich panisch einen Fluchtplan zusammenzustellen.

„Nun, ich hörte, Ihr möchtet mir ein Angebot machen.“

Domenico schwieg einige Sekunden, dann nickte er schließlich. „Das ist wahr. Und ich denke, es dürfte Euch interessieren.“

„Wenn ich ehrlich bin…“, sagte ich zögernd. „…möchte ich so schnell wie möglich gehen. Ich bin wirklich sehr erschöpft.“

Ich warf einen winzigen, kaum merkbaren Blick zum Fenster, doch natürlich bekam Domenico es mit, denn seine Augen ließen die meinen nicht eine Sekunde in Ruhe.

Freundlich nickte er abermals. „Keine Sorge, Ihr werdet noch genug Zeit haben, Ruhe zu finden.“

Etwas verzweifelt sah ich auf das Kreuz unmittelbar über ihm an der Wand, dann wieder zu ihm. Auch hier hing eine Jesus-Schnitzerei und diese schien um einiges realistischer zu sein, als die erste. Fast schon beängstigend.

„Ich habe es wirklich eilig.“, begann ich erneut.

„Wer es eilig hat, hat meist Angst vor seiner Vergangenheit.“, lächelte er. Ich starrte ihn an, als wäre er der Teufel und meinte, ein Grinsen zu sehen. „Habt Ihr Angst vor Eurer Vergangenheit, Sullivan O’Neil?“

„Sollte ich?“

„Ihr nennt Euch nun anders, habe ich gehört. Man könnte also meinen, ja.“

„Und was meint Ihr? Ist es angebracht?“

Domenico lächelte nur und griff nach einer schwarzen Flasche und einem silbernen Kelch. Während er sich die süß riechende, rote Flüssigkeit eingoss, fragte er: „Wein?“

„Nein danke.“, ich sah zu, wie er die Flasche zurück stellte und an dem Wein roch, ehe er einen winzigen Schluck davon nahm. Seelenruhig stellte der Priester den Kelch zurück und nahm die gleiche Position ein wie zuvor: Wieder faltete er die Hände ineinander, wieder lächelte er mir unentwegt in die Augen. Die wenigen Sekunden ohne seinen permanenten Blick waren erlösend gewesen, das erneute Starren nun umso quälender. Ich begann mich auf dem Tisch umzusehen und seine Augen zu ignorieren, selbst wenn dort nichts war als ein Tintenfass samt Feder und ein Stapel leerer Blätter. Daneben standen eine Kerze und ein goldenes Kreuz, wie der Ring verziert mit rötlichem Achat. Im Hinterkopf versuchte ich vergeblich mein Herz zu beruhigen. Er war von der Inquisition, vielleicht. Aber hätte er mein Leben beenden wollen, hätte er mich einfach festnehmen und hinrichten lassen können. Doch das hat dieser Mann nicht getan. Wieso?

Nach einigem Schweigen griff Domenico in das Schubfach, das rechts von ihm lag. Er zog es auf, griff blindlings hinein und holte zufällig, ohne hinzusehen, einen Stapel Papier heraus. Dann ließ er eben dieses vor mir fallen. Ich zögerte, ehe ich von ihm zu den Blättern sah. Verwirrt las ich die ersten Worte, dann sah ich wieder hoch und fragte unsinniger Weise: „Was ist das?“

„Eine Aufenthaltsgenehmigung.“, Domenico nippte erneut an seinem Getränk, anschließend sah er mich gelassen an. „Für einen gewissen Falcon O’Connor, hier, in Brehms.“

Ich warf einen erneuten Blick auf die Blätter, ehe ich mich traute, das erste zögernd in die Hand zu nehmen. Es handelte sich um ein Pergament aus dem Brehmser Rathaus, verfasst durch den dortigen Zuständigen, in dem stand, dass ich – beziehungsweise Falcon O’Connor - eine Aufenthaltsgenehmigung für genau ein Jahr hatte. Ich hatte während dieser Zeit das Recht mir Arbeit zu suchen und ein Zimmer anzumieten, gegebenenfalls sogar ein Haus zu kaufen. Sollte ich diese Dinge Ende meiner Frist nachweisen können und keine Straftaten begangen haben, wurde ich als Bürger Brehms’ anerkannt. Gültig wurde dieses Schreiben mit meiner Unterschrift und jener dessen, der für mich bürgte. Dies war in diesem Fall die katholische Kirche, beziehungsweise ihr Stellvertreter: Antonius Domenico.

Nachdem ich alles gelesen hatte, blätterte ich um und erkannte ein weiteres Schreiben. Hierbei handelte es sich nicht um eine Aufenthaltsgenehmigung, sondern um Geburtsurkunde und Nachweis des Geburtsortes von Falcon O’Connor.

Falcon O’Connor war ein Waisenkind aus Annonce, welches – wie viele andere – Unterricht in Lesen und Schreiben durch einen dortigen, sehr fürsorglichen Priester erhalten hatte. Er war geschätzte dreiundzwanzig Jahre und hatte weder Kenntnis über seine Eltern, noch über seinen Geburtsort. Da er sich bei dem Priester als sehr lernfähig herausgestellt hatte, schickte dieser ihn nach Brehms, um dort etwas aus seinem Leben zu machen. Auch dieses Blatt musste unterschrieben werden und zwar von dem Priester, Domenico und mir. Die Unterschrift des Priesters war bereits vorhanden, sein Name war: Pascal Johannes.

Ich betrachtete das Blatt lange und stellte mir vor, was es verändern würde. Mit diesem Schreiben könnte ich neu anfangen und existieren. Ich könnte einen neuen Namen tragen und ein neues Leben beginnen. Fast schon ehrfürchtig blätterte ich zum dritten und letzten Blatt.

Dies war ein Nachweis der Absolution. Mit der Unterschrift von Antonius Domenico wurden mir, Sullivan O’Neil, sämtliche Sündtaten vergeben und ich war weder ein Ketzer, noch ein Mörder, noch ein Verbrecher.

Ohne es zu wollen begann ich etwas zu zittern und sah Domenico entgegen. Er hatte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch gestützt und hielt den Kelch in beiden Händen. Aufmerksam hatte er mir beim Lesen zugesehen und nun schenkte er mir erneut sein gütiges Lächeln. Er erwartete eine Reaktion, aber ich war völlig verwirrt und wusste nicht, was ich sagen sollte. Nach einigem Zögern flüsterte ich heiser:

„Ich weiß nicht, ob ich verstehe, was hier vor sich geht.“

„Das ist verständlich.“, der Geistliche nickte und betrachtete nachdenklich die rote Flüssigkeit in seinen Händen. „Jeder wäre an Eurer Stelle verwirrt, das ist wohl normal.“

„Ich bitte um eine Erklärung.“, flüsterte ich und sah erneut auf das Papier. „Ich bin ein Ketzer, ich habe die Hilfe der Kirche wohl kaum verdient.“

„Laut den Äußerungen von O’Hagan ist dem wohl so.“, gab Domenico zu und stellte den Kelch beiseite. Gedankenverloren schob er die Gegenstände auf seinem Schreibtisch peinlichst genau zurecht, während er erklärte: „Aber ich weiß, dass Ihr unschuldig seid. Und ich mache Euch das Angebot, dies offiziell zu machen.“, er ließ die Worte auf mich wirken. Nach einiger Zeit, als alles ungefähr genauso stand wie zuvor, sah er mich wieder an. „Ihr fragt Euch sicher, für welchen Preis?“, ein knappes Nicken war die einzige Antwort. Ich spürte meinen Puls in meinem Kehlkopf und starrte ihn an, als hätte er mich gebannt. Domenico schenkte mir einen beruhigenden Blick, der mich nur noch mehr beunruhigte. Mit einem Mal war seine Stimme ernst und bedrohlich und seine Augen blitzten kurz auf, als er flüsterte: „Ich möchte, dass Ihr Euch von Euren Sünden rein wascht.“

„Aber Ihr sagtet, ich sei unschuldig.“, entgegnete ich verwirrt.

Domenico beugte sich vor und legte seine knorrigen Finger auf die Tischplatte. Zischend antwortete er: „Kein Mensch ist das, Sullivan O’Neil! Und auch wenn Ihr vielleicht kein Mörder seid, so seid Ihr dennoch ein Sünder. Eure Augen sind die eines Sünders und solch einem werde ich niemals Absolution erteilen…!“, er lehnte sich zurück und versuchte sich zu beruhigen, doch es funktionierte nicht und so stand er auf. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen begann Domenico in aller Ruhe hinter seinem Schreibtisch auf und ab zu laufen. Ich sah ihm schweigend zu, sichtlich unbegeistert und misstrauisch bezüglich seines offensichtlichen Fanatismus’. Irgendwann blieb der Priester stehen und sah nachdenklich hinauf zum Kreuz. „Wie auch immer. Ich habe Euch herrufen lassen, da ich Euch folgendes Angebot zu machen habe:

Ich bürge für Euch, zahle Euch eine gewisse Geldsumme und ermögliche Euch so, ein Jahr lang hier in Brehms zu leben.“, dann sah er mich kühl an. Sämtliche Wärme war aus seinem Blick verschwunden. Er machte mir mit den Augen klar, dass er es ernst meinte und dass es der einzig richtige Weg war. Und wahrscheinlich auch meine einzige Auswahl. „Dafür dient Ihr ein Jahr lang der heiligen Mutter Kirche und wascht Euch rein von Euren Sünden. Ihr beweist mir Eure Reue und führt ein freies Leben, ohne Kontrolle und ohne Verfolger.“, ich schwieg und sah ihm nur entgegen. Domenico kümmerte es nicht annähernd, wie und ob ich überhaupt reagierte. Sein Blick wechselte wieder zum Kreuz, während er fort fuhr: „In diesem Jahr werdet Ihr hier in Brehms neu anfangen. Weder werdet Ihr beobachtet, noch werdet Ihr verfolgt. Dadurch, dass Ihr niemanden kennt und niemand Euch, ist dies eine einzigartige Gelegenheit, ein komplett neues Leben zu beginnen. Ihr werdet Euch unter die Menschen begeben und Ohren und Augen nach Ketzern offen halten, die sich Die Samariter nennen. Ihr sucht Euch eine rechtschaffene Arbeit, lernt ein Handwerk nach Eurem Geschmack und kauft Euch, wenn Ihr genug gespart habt, ein eigenes Haus.“, der Priester wandte sich ab und ließ sich zurück auf seinen Stuhl sinken. Die Kerze flackerte kurz, als er die Hände wieder ruhig faltete und mich anlächelte. Mit honiggleicher Stimme erklärte er mir: „Natürlich steht Ihr unter dem Schutz der heiligen Mutter Kirche und bekommt sämtliche Unterstützung, die Ihr braucht und die in meiner Macht liegt.“, damit endete er. Domenico ließ seine Worte in Ruhe auf mich wirken und wartete geduldig eine Antwort ab. Er leerte seinen Kelch, goss sich nach und fragte erneut mit einem Lächeln, das kleine Fältchen um seine Augen entstehen ließ: „Wein?“

In meinem Kopf drehte sich alles. Weder wusste ich, wer die Samariter waren, noch verstand ich, wieso er gerade mich dafür auserwählt hatte. Nevar war ein Lästerer. Er sprach schlechter über den Allmächtigen, als der Abtrünnige höchstpersönlich, also wieso brachte gerade er mich hier her? War er es nicht gewesen, der mir sagte, dass es nichts brachte, ein Leben auf der Religion aufzubauen? Gut, ich hatte immer wieder gesagt, dass es nicht anders gehen würde.

Aber wieso sollte gerade ich diese Samariter ausspionieren und inwiefern sagte Domenico die Wahrheit? Was sollte ich antworten? Ja, nein? Und hatte ich überhaupt eine Wahl?

Mir wurde schlecht. Wahrscheinlich war dies alles zu viel für meinen geschwächten Körper und meinen fast nüchternen Magen. Keiner kümmerte sich um meine Übelkeit und so blieb ich gebeugt auf dem Stuhl sitzen, starrte auf den hässlichen Teppich und versuchte mich zu beruhigen. Wenn Domenico die ersten beiden Pergamente unterschrieb, hatte ich die ersten Steine, um mir etwas aufzubauen. In einem Jahr gab es sicherlich viele Möglichkeiten. Mit einer Unterschrift von ihm war ich ein neuer Mensch: Falcon O’Connor. Sollte ich in dem Jahr seinen Anforderungen nicht gerecht werden, würde ich die Absolution nicht erhalten, aber was machte das schon? Ich hätte dann eine neue Identität, was interessierte mich mein altes Leben? Ich hatte nicht vor, nach Annonce zurückzukehren. Sullivan war gestorben und so würde es bleiben. Ich müsste nur ein Jahr lang tun, was man von mir verlangte und könnte dann ohne Straftaten leben.

Als mein Mageninhalt sich etwas beruhigt hatte setzte ich mich wieder aufrecht. Domenicos Blicke war fragend, jedoch dennoch geduldig. Nach einigem Zögern fragte ich bemüht ruhig:

„Und wenn ich ablehne?“

Er zuckte mit den Schultern. „Nichts. Ihr könnt gehen und Eure Glück so versuchen, ohne meine Hilfe. Ich werde Euch ziehen lassen. Es ist mir gleich, was Ihr tut und ob Ihr frei herum lauft. Ich weiß, dass Ihr kein Mörder seid, das ist das einzig Wichtige. Für die anderen Sünden wird Gott Euch strafen, das ist nicht meine Angelegenheit. Aber wisset…“, er machte eine kurze Pause und sein Blick wurde wieder sehr ernst. „Wenn Ihr hier her zurückkommt und mich um Gnade anfleht oder nach einer zweiten Chance fragt… Oder wenn Ihr es wagt meinen Namen laut auszusprechen. Dann werde ich wissen, wer Ihr in Wirklichkeit seid und entsprechend handeln. Zu vollster Zufriedenheit von O’Hagan, versteht sich.“

„Und wieso sollte ich das tun?“, wollte ich wissen und warf einen Blick so weit nach hinten, wie es ging, ohne mich zu verdrehen. Nevar war nirgendwo zu entdecken und draußen wurde es bereits dunkel. Das wenige Licht, das durch das Fenster hinein kam, war nun verschwunden und so waren die Ecken des Raumes fast schwarz. Geduldig sah ich Domenico wieder an. „Hier her kommen und um eine zweite Chance bitten?“

„Nun… Ihr habt keine Aufenthaltsgenehmigung. Ohne diese könnt Ihr Euch kein Zimmer leisten und dürft keine Arbeit beginnen. Und ohne Arbeit wiederum könnt Ihr Euch keine Genehmigung kaufen. Was übrig bliebe wäre das Bettelgewerbe, aber auch dafür ist eine Lizenz nötig. Ihr könntet Euch damit Brandmarkungen oder Peitschenhiebe einhandeln, wenn man Euch erwischt, zudem würdet Ihr aus der Stadt geworfen werden, Schnee hin oder her. Oder aber Ihr tretet einer Bettlergilde bei. Diese würden Euch sicher aufnehmen, wenn Ihr Euch Verstümmeln lasst, um bessere Einnahmen zu machen.“

Er nahm seinen Kelch und trank einen Schluck, angewidert sah ich zu. Bitter stellte ich fest:

„Also habe ich keine Wahl.“

„Oh doch.“, freundlich stellte er ihn zurück und sah mir abermals entgegen. „Ihr könntet auch in der Kathedrale um Asyl bitten oder anderes. Ich bin sicher, dass Ihr den einen oder anderen Weg finden würdet. Aber es ist völlig unnötig, denn ich spreche ehrlich und aufrichtig mit Euch. Ich unterschreibe die ersten zwei Papiere, unterzeichne mit dem Siegel der heiligen Inquisition und gebe Euch zehn Goldmünzen in Form von hundert Silberlingen. Davon könnt Ihr, wenn Ihr sparsam seid, eine Woche lang leben und in Ruhe eine Arbeit suchen. Was haltet Ihr davon?“

„Ich habe keine andere Wahl.“, stellte ich abermals etwas zerknirscht fest. „Auch wenn ich gern wüsste, wer die… Samariter sind.“

„Das erfahrt Ihr, wenn Ihr bereit seid, eingeweiht zu werden.“

Ich nickte und sah auf die Papiere. Sie waren so nah, unmittelbar vor mir und dennoch schienen sie weit weg zu sein. Schwer seufzend löste ich mich von ihrem Anblick, nickte und flüsterte heiser:

„Also gut. Ich nehme an.“



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