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Another Side, Another Story

The Traitor's Tale
von

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Aufstieg und Fall

„Der Atreides-Bengel, richtig?“
 

Jowy sah mit leerem Blick auf zu Luca Blight, der ihn von oben herab betrachtete. Der Aristokrat saß an einer Wand seiner Zelle und hatte sich in einem Dämmerzustand befunden, irgendwo zwischen Wachen und Träumen.
 

Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, seit man ihn hier hinein geworfen hatte.
 

„Ein echter Soldat“, fuhr Luca breit grinsend fort, „du hast getan, was man dir befohlen hat.“ Jowy sagte nichts. Einmal abgesehen davon, dass seine Zunge an seinem Gaumen festgewachsen zu sein schien, hasste er diesen Mann so sehr, dass er selbst bei größtem Wunsch nichts hätte sagen können.
 

Er hörte Luca Blight sprechen, hörte ihn Dinge sagen, die er nicht hören wollte. Er biss die Zähne zusammen, während er angestrengt blinzelte, um nicht wieder in Tränen auszubrechen, als der Kronprinz von Highland ihm in allen Details beschrieb, wie Muse gefallen war.
 

„Du bist ein echter Highlander, Atreides“, beendete Luca Blight triumphierend seine Ansprache, von der Jowy nichts mitbekommen hatte. Nichts hatte mitbekommen wollen. „Dem Vaterland treu bis zum Tod.“
 

„… Was wollt Ihr von mir?“ Nur mühsam hob Jowy den Blick, um den Wahnsinnigen in die Augen zu blicken. Die dunklen, fast schwarzen Augen des Prinzen glühten in einem kalten Feuer.
 

„Ich biete dir die Gelegenheit, zu leben“, antwortete Blight und kicherte in dieser krankhaft hohen Stimmlage, von der Jowy schlecht wurde. „Das wollt ihr doch unbedingt, nicht wahr? Klammert euch an euer Leben und fleht um das anderer…“ Abfällig schnaubend schüttelte der Kronprinz den Kopf. „Du hast deine kleinen, dreckigen Staats-Freunde verraten, um das Leben deiner Mutter zu retten. Wen kümmert es, dass es eine Lüge war?“
 

Ihn. Ihn kümmerte es! Es war alles umsonst gewesen! Schlimmer noch, er hatte einen furchtbaren Fehler begangen. Was war er nur für ein Narr!
 

„Du hast Macht, Junge“, sagte Luca Blight weiter. „Ich habe sie gespürt, damals, im Camp. Setz diese Macht für Highland ein! Ich sehe es in deinen Augen, du bist stärker als der Rest dieses Abschaums!“ Jowy antwortete nicht. Er wollte nichts sagen, nichts hören…
 

„Was sagst du?“ Wozu, in aller Runen Namen? Der Gelegenheit, seine Seele zu verkaufen und seinen Freunden noch mehr Schaden zuzufügen, als er es ohnehin schon getan hatte?
 

„Ich… denke darüber nach“, hörte er sich selbst dennoch flüstern und fragte sich, was in ihn gefahren war. Was für einen Schwachsinn gab er denn dort von sich?!
 

„Sehr gut.“ Doch Luca Blight war anscheinend zufrieden. Der Prinz grinste sein blutrünstiges Grinsen und Jowy ballte heimlich eine Faust. „Du hast einen Tag… Vermassle es nicht. Noch habe ich gute Laune…“ Mit wehendem Umhang und lautem, irren Gegacker machte der Kronprinz von Highland kehrt und die Zellentür schlug mit einem Krachen hinter ihm zu.
 

„Lass dich nicht darauf ein!“, rief jemand und Jowy entdeckte zu seinem Entsetzen ein bekanntes Gesicht hinter den Gitterstäben der gegenüberliegenden Zelle – es war Andris, einer der Offiziere von Viktors Söldnerarmee. „Dieser Irre will den Staat auslöschen und uns alle mit dazu! Es ist ihm egal, was mit uns passiert, er will nur die Welt brennen sehen!“
 

„Keine Sorge…“, erwiderte Jowy leise und schluckte. Andris wusste nicht, wer Muse verraten hatte… vielleicht war es besser so.
 

Sie beide erwartete der Tod. Denn Jowy würde auf gar keinen Fall zustimmen, Luca Blight zu helfen.
 


 

Es waren keine Soldaten da, die sie bewachten, aber das war auch nicht nötig. Die paar Gefangenen, die sich hier unten befanden, waren entweder wie Andris schwer verletzt – das Blut war überall und keiner kümmerte sich darum und es stank, stank so furchtbar metallisch – oder befanden sich wie Jowy in einer tiefen Depression. Keiner hier hatte noch das Bestreben, zu fliehen – mit dem Untergang des Herzens des Staatenbunds war auch die Hoffnung seiner Verteidiger auf den Nullpunkt gesunken.
 

In dem Zellentrakt herrschte Stille; seine Mitgefangenen schliefen, waren bewusstlos oder schwebten irgendwo zwischen Jenseits und Diesseits, während ihr Lebenssaft die kalten Steine unter ihnen rot färbten. Und er hatte auch nicht vor, diese Stille zu brechen. Es gab nichts, was er sagen konnte. Oder wollte.
 

Sein Entschluss stand fest – wenn Luca Blight morgen wiederkommen würde, würde Jowy ihm sagen, wie sehr er ihn hasste… und seinem Tod ins Auge blicken.
 

Was blieb ihm auch anderes übrig? Er hatte Riou und Nanami zum Tode verurteilt. Und Pilika! Bei den 27 Wahren Runen, was würde aus Pilika werden?
 

Hätte Jowy die Kraft dazu und die Möglichkeit gehabt, hätte er Luca Blight umgebracht. Runen, wie sehr er diesen Mann hasste! Gab es denn keine Möglichkeit, ihm all das heimzuzahlen, was er getan hatte? Gab es keine Möglichkeit, ihn büßen zu lassen für all das vergossene Blut, all die verlorenen Leben?
 

Mit einem flauen Gefühl im Magen blickte Jowy auf die Schüssel Wasser und das harte Stück Brot hinunter, das ein Wachmann jedem der Gefangenen gebracht hatte. Er hatte es nicht einmal mitbekommen. Das war also seine Henkersmahlzeit… Warum war ihm so schlecht?
 

Er wollte das hier nicht. Er hatte das nie gewollt. Was war passiert, warum war seine Welt so aus den Fugen geraten?
 

Er verstand nichts. Das alles ergab keinen Sinn… hatte es das je? Er wünschte sich plötzlich, bei dem Angriff auf die Einhornbrigade mit all den anderen umgekommen zu sein. Dann würde Anabelle noch leben, Riou und Nanami wären bei den Söldnern in Sicherheit und Pilika…
 

Pilika hätte ihn nie kennen gelernt. Hätte jemand sie gerettet? Wären Hanna und Zamza dort gewesen, um sie in Sicherheit zu bringen? Hätte jemand an sie gedacht, wenn das Söldnerfort gefallen wäre…?
 

Seine Gedanken ergaben keinen Sinn mehr, er bekam Kopfschmerzen. Er war sich im Klaren darüber, dass all das, was er hier überlegte, völlig bedeutungslos war, nun, da er die Entscheidungen getroffen hatte, die ihn hierher in diese Zelle gebracht hatten. Ändern konnte er das alles nicht mehr.
 

Bald – wie lange würde es noch dauern? Wie viel Zeit war vergangen? – würde Luca Blight zurückkehren und ihn umbringen. Weil er seine Entscheidung getroffen hatte. Weil er ohnehin nichts tun konnte…
 

War es so? Konnte er gar nichts tun? War er jetzt dazu verdammt, tatenlos zuzusehen, wie Luca Blight die Welt brennen ließ?
 

Was war, wenn er etwas tun würde? Aber nein, das wäre sinnlos. Nicht wahr?
 

Und was, wenn…?
 

Jowy schob die unangerührte Wasserschüssel und das harte Brot beiseite, ehe er die Beine an die Brust zog und gedankenverloren das Zeichen der Rune des Schwarzen Schwerts betrachtete.
 

Bevor er einen weiteren, wirklich klaren Gedanken fassen konnte, flüsterte er auch schon in die Stille hinein:
 

„Gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Gib mir den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann…“ Er schluckte. „… und die Weisheit das eine vom anderen zu unterscheiden.“
 

Zuerst geschah gar nichts. Er saß nur da, im Halbdunkel der kalten Zelle, die nur spärlich von einer Fackel erleuchtet wurde, und starrte seinen rechten Handrücken an. Jemand hustete, ein anderer Gefangener stöhne unter Schmerzen, noch ein anderer rief leise nach jemandem. Dann jedoch begann sich eine angenehme Wärme in seinem Körper auszubreiten, ausgehend von dem Mal des Schwarzen Schwerts.
 

Ich werde dir helfen, flüsterte die Rune und er fühlte sich mit einem Mal, als würde ihn jemand in eine warme, tröstende Umarmung ziehen, aus der er Kraft schöpfen konnte. Du kannst dich auf mich verlassen.
 

In diesem Moment beschloss Jowy Atreides, dass er Luca Blight umbringen würde… was auch immer es ihn kosten würde.
 


 

„Hast du dich entschieden?“ Jowy erwachte aus dem leichten Schlaf, in den er gefallen war, und war augenblicklich klar im Kopf, als er ihn hob und in Luca Blights kalte Augen blickte.
 

Er fühlte sich ruhig und absolut selbstsicher, ungeachtet all dessen, was in den letzten Tagen und Wochen geschehen war. Fast so, als wäre er plötzlich ein ganz anderer Mensch.
 

Langsam erhob der junge Aristokrat sich, um mit dem Prinzen auf einer Höhe zu sein. Er war es nicht, natürlich nicht, immerhin war Luca Blight größer als jeder Mann, den er kannte, aber nun, da er auf eigenen Beinen stand, fühlte sich Jowy um einiges wohler.
 

„Das habe ich.“ Der Kronprinz hob eine Augenbraue und grinste.
 

„Hast du das. Und wie lautet deine Antwort, Junge?“ Jowy holte tief Luft und schluckte. Dann sah er Luca Blight in die Augen und sagte leise, aber deutlich:
 

„Ich werde Highland dienen.“ Das Grinsen des Prinzen von Highland wurde breiter, dann nickte er zufrieden.
 

„Du weißt, wem deine Loyalität gebührt! Enttäusche mich nicht, Junge, oder du scheidest schneller aus dem Leben, als dir lieb ist.“ Ein zufriedenes Kichern entwich dem Kronprinzen.
 

„Keine Sorge, Sire… Ich werde tun, was Ihr sagt.“
 

„Natürlich wirst du das. Andernfalls hast du die längste Zeit gelebt!“ Luca Blight lachte und verließ die Zelle, Jowy folgte ihm bedeutend langsamer. Als er Andris’ Zelle passierte, schrie der Söldner:
 

„Verräter! Wir haben dir vertraut!!“ Jowy blieb stehen und warf dem Mann einen langen Blick zu.
 

Ja, das hatten sie. Sie hatten ihm vertraut und er hatte sie verraten, doch keiner konnte die Zeit zurückdrehen oder ändern, was geschehen war.
 

„Das war wohl ein Fehler“, bemerkte er schließlich, warf dem Söldner einen letzten Blick zu und folgte dann dem Kronprinzen nach draußen.
 

Ja, er war ein Verräter… aber er würde das Beste daraus machen. Er würde Luca Blights Vertrauen gewinnen und nah genug an ihn herankommen, um ihm alles heimzuzahlen.
 

Und dann würde der Krieg ein Ende haben.
 


 

„Kümmert euch um den Bengel! Und erstattet mir Bericht, wenn ihr diesen Nichtsnutz Jess findet…“ Luca Blight marschierte schnurstracks an den Soldaten vorbei, die vor dem Gefängnis gewartet hatten, bis ihr Befehlshaber wieder nach draußen trat. Nur einer der Männer – ein dünner, drahtiger Soldat mit rotblonden Haaren, einem buschigen Bart und bemerkenswert grünen Augen – blieb neben Jowy stehen, der Rest beeilte sich, dem Kronprinzen zu folgen.
 

Der Aristokrat blinzelte im grellen Sonnenlicht und warf dem Soldaten, der neben ihm stand, einen vorsichtigen Blick zu, registrierte die Sterne auf seiner Uniform, die ihn als Oberst auswiesen.
 

„Wie ist dein Name, Junge?“, fragte der Oberst und zumindest klang er nett. Ob er es wirklich war, würde sich noch herausstellen…
 

„Jowy A… Ich bin Jowy. Einfach nur… Jowy.“
 

„Ich habe viel von dir gehört, Jowy“, sagte der Oberst langsam. „Du bist also derjenige, dem wir den Sieg über Muse verdanken, hm?“ Der Aristokrat schwieg und betrachtete stattdessen gedankenverloren die Abzeichen auf der Brust des Mannes.
 

Es war still in Muse. So furchtbar still. Wahrscheinlich war die Mehrheit der Bewohner von Muse tot und der Rest…
 

Er zwang sich, im Gedankengang inne zu halten. Es reichte. Genug Selbstvorwürfe, genug Selbsthass!
 

„Oberst, ich…“
 

„Mein Name ist Russell“, stellte sich der Soldat plötzlich vor. „Du wirst mir von jetzt an unterstellt sein und deine Berichte werden alle an mich gehen. Ich erwarte Gehorsam meinen Befehlen und Respekt mir gegenüber. Hast du das verstanden?“ Obwohl er in einem strengen Tonfall sprach, fühlte sich Jowy dennoch nicht so, als wollte ihm dieser Mann etwas Böses. Ganz im Gegenteil, Oberst Russell schien eher Mitleid mit ihm zu haben!
 

„Ja, Sir“, gab Jowy nach kurzem Zögern zurück und hob eine Hand an die Stirn. Sein Militärdienst schien Ewigkeiten her zu sein…
 

Und er hatte nicht mehr zum Militär gewollt! Wie seltsam die Welt war.
 

Russell nickte und bedeutete ihm, zu folgen.
 

„Lord Luca hat befohlen, dich in den Rang eines Oberleutnants zu erheben und dir den Befehl über eine Einheit zu geben“, erzählte der Oberst, während er zielstrebig durch die verlassenen Straßen von Muse schritt und auf die Stadtmauern zuhielt. „Er wünscht, dass du in seiner Nähe bleibst… Scheint ganz so, als hättest du Eindruck bei ihm hinterlassen.“ Jowy ballte die rechte Hand zur Faust und brummte undeutlich.
 

Es war natürlich weder sein Verrat noch seine Verbindung zu Anabelle gewesen, wegen der sich Luca Blight sein Gesicht gemerkt hatte – es war schlicht und ergreifend die Tatsache, dass er eine Wahre Rune trug. Der Kronprinz mochte nicht wissen, wie mächtig die Rune tatsächlich war oder was sie ausrichten konnte, aber ihm war wahrscheinlich wohl bewusst, wie nützlich sie für ihn sein konnte.
 

Das und nichts Anderes war der Grund, warum Jowy Russell gerade aus der Stadt folgte und nicht mit Andris und den anderen Gefangenen im Gefängnis war und seine letzten Stunden erlebte...
 

Es gab keinen Zweifel daran, dass auch nur einer der Menschen in den Zellen den heutigen Tag überleben würde. Und Jowy betete inständig zu den 27 Wahren Runen dafür, dass Riou, Nanami und Pilika nicht zu denen gehörten, die bereits aus dem Leben geschieden waren.
 

Russell führte ihn in das riesige Militärcamp, das die Highlander um Muse herum aufgebaut hatten. Es mussten Zehntausende Soldaten sein, die hier zwischen Zelten und auf die Schnelle errichteten Kantinen hin- und herhetzten, und Jowy graute es davor, hier bei ihnen zu bleiben, den Menschen, die eigentlich seine Landsleute waren – und doch irgendwie zu den Bösen geworden waren.
 

„Als Oberleutnant wirst du dir dein Zelt mit einem anderen Leutnant teilen“, erzählte Russell, als sie einen auf die schnelle errichteten Übungsplatz passierten. „In zwei Stunden findet eine Truppenübung statt und du wirst daran teilnehmen. Solltest du Fragen haben…“
 

„Was hat das zu bedeuten, Oberst?!“ Russell hielt in seinem Vortrag inne, blieb stehen und drehte sich milde interessiert um, Jowy tat es ihm gleich – um einem vor Wut schnaubenden Rowd ins Gesicht zu blicken.
 

„Was meint Ihr, Rowd?“, erkundigte Russell sich und hob milde interessiert eine Augenbraue. „Wenn es schon wieder um Eure Beförderung geht, dann…“
 

„Was im Namen aller Runen macht er hier?“, knirschte Rowd mit den Zähnen und zeigte anklagend auf Jowy, der einen halben Schritt zurückwich. „Dieser Bengel ist wegen Hochverrats in Kyaro zum Tode verurteilt worden, warum hängt er nicht vom Galgen wie die anderen Verräter?!“
 

Jowy ballte eine Faust und presste die Lippen aufeinander, blieb jedoch still. Er wusste genau, warum Rowd so wütend war – es gab nur einige wenige Männer, die wussten, was der Jugendbrigade wirklich passiert war und dass Rowd seine Finger im Spiel gehabt hatte. Dass der Aristokrat lebte und Gelegenheit hatte, dieses Wissen weiterzugeben, war ein viel zu großes Risiko für Rowd, als dass er ihn ungeschoren hätte davon kommen lassen.
 

Doch Russell reagierte noch bevor Jowy sich entschieden hatte, was er tun sollte, und entgegnete ruhig:
 

„Jowy mag zwar nur ein Oberleutnant sein, aber Ihr solltet ihm dennoch den nötigen Respekt erweisen. Der Junge ist auf Geheiß von Lord Luca persönlich hier und mir unterstellt – was Ihr im Übrigen auch seid, Rowd!“ Sein ehemaliger Befehlshaber – Jowy hoffte, dass die Ehemaligkeit noch aktuell war, er hatte die Nase gestrichen voll davon, diesem Mann unterstellt zu sein – knurrte und spuckte dem Aristokraten vor die Füße, ehe er zur Überraschung aller Umstehenden sein Schwert zog und damit auf Jowy zeigte.
 

„Also gut“, zischte Rowd, „dann fordere ich ihn zum Duell!“
 

„Es reicht“, gab Russell genervt zurück. „Lasst den Jungen in Ruhe und geht Euren Aufgaben nach. Wenn ich mich nicht irre, solltet Ihr eigentlich die neuen Rekruten ausbilden?“
 

„Ein Duell!“, wiederholte Rowd und fixierte Jowy mit einem derart herablassenden Blick, dass dem Aristokraten ganz unwohl in seiner Haut wurde. „Ich fordere den Oberleutnant zum Duell und Ihr wisst genau so gut wie ich, dass dies nach highlandischer Tradition eine legitimierte Frage der Ehre ist, Oberst!“
 

„Ich habe doch gesagt…!“
 

„… Ich nehme die Herausforderung an.“ Erst, als sich Russels irritierter Blick ihm zuwandte, wurde Jowy klar, was er da gerade gesagt hatte. Aber es war zu spät, die Worte zurückzunehmen, da ein triumphierendes und leicht manisches Grinsen sich auf Rowds Zügen ausbreitete.
 

„Zu schade, dass du keine Waffe hast, Bengel“, zischte er bösartig und machte Anstalten, auf den Aristokraten loszugehen, doch Russell gab den umstehenden Soldaten ein Zeichen, die daraufhin den wildgewordenen Captain an den Schultern ergriffen und ihn zurückhielten.
 

„Das reicht, Rowd!“, raunzte der Oberst, ergriff Rowds Handgelenk und senkte mit sanfter Gewalt dessen Arm samt Schwert. „Ihr könnt Euch mit dem Jungen meinetwegen duellieren, aber wenn Ihr schon in meinem Beisein eine Herausforderung aussprecht, dann wird sie gefälligst auch unter fairen Bedingungen ausgeführt! Habt Ihr das verstanden?!“ Rowd stieß ein Knurren aus, das mehr an ein wildes Tier denn an einen Menschen erinnerte, dann starrte er Jowy so bösartig an, als wollte er ihn mit Blicken erdolchen.
 

„… Ja, Sir…“, antwortete der Captain schließlich sichtlich widerwillig und Jowy sah ihm die Anstrengung, sich zu beruhigen, nur allzu deutlich an.
 

„Ihr werdet Euch also friedlich verhalten?“
 

„… Ja, Sir.“
 

„Das gleiche gilt auch für dich, Junge“, brummte Russell und warf Jowy einen strengen Seitenblick zu, woraufhin dieser sich beeilte zu nicken.
 

Oh, er würde sicher nicht auf Rowd losgehen, da musste sich der Oberst keine Sorgen machen. Eigentlich wusste Jowy nicht einmal, warum er die Herausforderung überhaupt angenommen hatte – es war nicht so, als hätte er sonderlich viel Ehre gehabt, die es zu verlieren galt. Und um sie wieder herzustellen, benötigte es wohl mehr als ein Duell gegen Rowd….
 

Aber etwas in ihm hatte gehandelt, bevor er das Für und Wider hatte abwägen können. Vielleicht war es die Tatsache, dass sein Hass auf Rowd ungefähr genau so groß war wie der auf Luca Blight.
 

Rowd war es gewesen, der die Jugendbrigade verraten hatte, der all die unschuldigen jungen Männer dem Wahnsinn des Kronprinzen ausgeliefert hatte. Rowd war einer derjenigen, wegen denen Jowy so ziemlich alles verloren hatte.
 

Und ein kleiner, jedoch nennenswerter Teil von ihm wollte diesen Mann bloßstellen und ihn tief, tief fallen sehen. Ihn vernichten.
 

Jowy zuckte zusammen, als er den Gedanken beendet hatte, und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Hatte er das gerade wirklich gedacht?
 

„Das Duell wird morgen früh auf dem Trainingsplatz in meinem Beisein stattfinden, vor der Versammlung der Befehlshaber, die seine Lordschaft einberufen hat“, brummte Russell und holte den Aristokraten damit zurück in die Wirklichkeit, zurück zu den hasserfüllten Blicken, die Rowd ihm zuwarf. „Bis dahin will ich Euch nicht mehr sehen, Rowd. Wenn Ihr den Oberleutnant noch einmal belästigt, wird das Konsequenzen für Euch haben!“
 

„Ja, Sir“, knurrte Rowd, salutierte steif und marschierte von dannen. Der Oberst atmete tief durch und scheuchte die umstehenden Soldaten weiter, ehe er sich wieder an Jowy wandte, als wäre nichts gewesen:
 

„Ich werde dir jetzt dein Zelt zeigen – dann hast du bis zur Versammlung zwei Stunden frei.“
 

„Heißt das… heißt das, ich kann noch einmal zurück in die Stadt und… ein paar Sachen holen?“
 

„Solange du dich nicht völlig aus dem Lager entfernst und niemanden bei der Arbeit belästigst, kannst du tun, was du willst“, entgegnete Russell, während er im Marschschritt weiter durch das riesige Militärlager eilte und Jowy ihm mit einiger Mühe folgte. „Allerdings solltest du noch warten, bis ich dir deine Abzeichen gebe, bevor dich noch jemand für einen Rekruten hält.“
 


 

Lange vor Sonnenuntergang war er wach gewesen und hatte dem leisen Schnarchen seines Mitbewohners gelauscht. Er kannte den jungen Mann nicht, mit dem er sich das Zelt teilte, aber das war auch nicht weiter wichtig.
 

Nur ungern war Jowy zurück nach Muse gegangen und hatte dort seine spärlichen Besitztümer aus dem Gasthaus geholt – darunter war auch sein Stab gewesen. Normalerweise hätte er nicht weiter gezögert und die Waffe seines Vertrauens mitgenommen, doch nun… Er traute sich einfach nicht, den Stab wieder aufzunehmen.
 

Der Stab war ein Teil seines alten Selbst gewesen, des Jungen, der mit einem Verstoßenen und dessen Adoptivkindern trainiert hatte, der echte Freunde gehabt hatte, der gewusst hatte, was er eigentlich tat.
 

Seit Muses Fall aber war er all das nicht mehr. Und genau deswegen musste er sich eine neue Waffe suchen, mit der er nicht in einem Duell gegen Rowd kläglich versagte.
 

Sein Blick fiel im Halbdunkel des Zelts auf das Schwert seines tief schlafenden Mitbewohners. Während der Zeit bei der Jugendbrigade hatte man sie im Umgang mit Schwertern, Speeren und Armbrüsten ausgebildet, den Waffen, die von der highlandischen Armee am häufigsten benutzt wurden.
 

Aber es war lange her, zu lange, er würde bestimmt nicht gut damit…
 

Der andere Leutnant schnarchte plötzlich besonders laut auf, drehte sich im Schlaf um und Jowy zuckte so sehr zusammen, dass er fast aus dem Feldbett fiel. Doch es genügte, um ihn eine Entscheidung fällen zu lassen.
 

So leise er konnte, stand er auf, band seine Haare entschlossen zu einem Zopf zusammen und zog sich an; dann ergriff er das Schwert seines Mitbewohners und marschierte entschlossen durch das halberwachte Militärlager zum Trainingsplatz, wo sich die ersten Soldaten bereits versammelt hatten.
 

Doch anstatt zu trainieren, wie eigentlich zu erwarten gewesen war, schienen sie eher auf etwas zu warten. Jowy runzelte die Stirn. Die warteten doch nicht etwa auf das Duell?
 

Wie sich herausstellte, taten sie genau das. Während Jowy unsicher und ein bisschen nervös das Schwert in seinen leicht schwitzenden Händen hielt, trudelten immer mehr Soldaten ein, die sich scheinbar auf ein Schauspiel der besonderen Art freuten.
 

Na toll. Genau das, was er gebraucht hatte.
 

Aber er hatte keine Zeit, sich weiter darüber Gedanken zu machen, dass er im Falle einer Niederlage sicher keine Zuschauer haben wollte, da in eben diesem Moment Rowd auf den Platz gestürmt kam, dicht gefolgt von Russell, der angesichts des Publikums sichtbar die Stirn runzelte.
 

Bevor Rowd Anstalten machen konnte, sein Schwert zu ziehen und ohne Vorwarnung anzugreifen, trat Russell zwischen die Kontrahenten und warf beiden einen warnenden Blick zu, dann rief er gut hörbar für alle:
 

„Es freut mich zu sehen, dass unsere Truppen über ein so ausgeklügeltes Kommunikationssystem verfügen! Dieses Duell scheint mehr Zuschauer zu haben als es Teilnehmer an dem Marsch auf Muse gab… “ Verhaltenes Gelächter in den Reihen der Versammelten folgte, doch Jowy konnte darüber nicht lachen.
 

Seine Aufmerksamkeit galt Rowd, der ihn mit kaltem, hasserfülltem Blick anstarrte. Ganz ohne Zweifel würde ihn der Mann ohne zu zögern umbringen, wenn er die Gelegenheit dazu bekam… Jowy schluckte.
 

Aber er konnte das tun. Er musste es tun.
 

„Es werden keine Runen benutzt, keine Schläge unter die Gürtellinie. Das Schwert ist eure einzige Waffe! Das erste Blut entscheidet“, grollte Russell in diesem Moment und sah Rowd warnend an. „Ich will keine Toten! … Und los.“ Er brachte sich eilig außer Reichweite – und das gerade rechtzeitig, denn Rowd zog sein Schwert schneller als Jowy blinzeln konnte.
 

Die Klinge schoss auf den Aristokraten zu und den Bruchteil einer Sekunde war er völlig gelähmt, doch der fordernde Schrei der Rune in seinen Gedanken – Beweg dich! – löste seine Erstarrung.
 

Jowy duckte sich reflexartig und zog gleichzeitig das Schwert aus der Scheide, dann rollte er sich nach hinten weg und blockte Rowds nächsten Schlag mit der flachen Seite seiner Waffe.
 

Seine Arme erzitterten unter der Anstrengung; ein Schwert zu führen war doch ganz anders als einen Stab in den Händen zu halten – oh Runen, es war ein Fehler gewesen, sich gegen den verdammten Stab zu entscheiden!
 

Aber jetzt war es auch zu spät, darüber zu jammern. Rowd holte aus und Jowy nutzte die Gelegenheit, um die Schwertscheide weit von sich zu schmeißen, dann rollte er sich zur Seite und sprang auf, gerade noch rechtzeitig, um dem Schlag auszuweichen. Doch nun ging er selbst zum Angriff über; sein Schwert schoss direkt auf seinen ehemaligen Befehlshaber zu und Rowd riss die eigene Klinge hoch, um die des Aristokraten abzuwehren.
 

„Ich bringe dich um“, knurrte der Hauptmann und schlug Jowys Schwert weg. Mit einem Seitenhieb holte er nach ihm aus und nur ein reflexartiger Schritt nach hinten rettete den jungen Mann vor einer Skalpierung. Lediglich ein paar Millimeter verhinderten, dass das erste Blut Jowy gehörte.
 

Die Menge um sie herum johlte enttäuscht. Sie wollte Blut sehen.
 

Der Aristokrat biss die Zähne zusammen und wirbelte herum, das Heft des Schwerts so fest in der Hand haltend, dass sein ganzer Arm vor Anstrengung zitterte. Einen Teufel würde er tun und versagen! Sein Blut würde sicher nicht als erstes vergossen werden!
 

„Denkst du, dein kleiner Freund wäre stolz auf dich?“, zischte Rowd hämisch und ein böses Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als seine Klinge erneut auf Jowys traf. „Dass du gegen den Mann kämpfst, der euch beide in diese Bredouille gebracht hat?“
 

Die Wut flammte plötzlich auf, ohne jede Vorwarnung. Von einem Moment auf den anderen übernahm die Rune des Schwarzen Schwertes die Führung, ihre Macht fuhr in ihn und lenkte seine Schritte, seine Bewegungen, seine Waffe.
 

Er sah sich selbst von der Seite und fragte sich zwangsläufig, ob er auf alle anderen auch so unheimlich wirkte. Blutrünstig. Kalt.
 

Und dann hatte er Rowd plötzlich ein Bein gestellt und der Hauptmann fiel mit einem Ächzen zu Boden; im gleichen Moment fuhr Jowy ihm mit einer schnellen Bewegung übers Gesicht, von der Stirn aus schräg nach unten über die Nase bis zum Kiefer. Rowd entfuhr ein Schrei – und langsam sickerte Blut aus dem Schnitt.
 

Zufrieden zog sich die Rune wieder in die hinterste Ecke von Jowys Bewusstsein zurück, ihn mit dem Schreck allein lassend.
 

Wie ein verletzter Stier brüllend sprang Rowd auf und schrie:
 

„Verdammtes Teufelsbalg, ich bringe dich um!“
 

Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte sich der Hauptmann wieder auf den Aristokraten stürzen, doch Russell eilte in Begleitung dreier Soldaten herbei, die Rowd am Boden festhielten.
 

„Ich bringe dich um!!“, kreischte der geschlagene Hauptmann, der tobte und spuckte, erneut, doch gegen die drei Männer war er machtlos.
 

„Das glaube ich nicht“, erwiderte Russell ruhig. „Ihr werdet den Jungen ab jetzt in Ruhe lassen, Rowd, er hat Euch in einem fairen Duell besiegt.“ Dass es nicht ganz fair gewesen war, weil die Rune das meiste für ihn getan hatte, erwähnte Jowy besser nicht. Dafür tat es Rowd:
 

„Der verdammte Bengel trägt eine Rune! Er hat sie benutzt! Er kann mich nicht allein geschlagen haben, ich bin besser als er!! Er ist ein Landes- und Blutsverräter! Er muss hängen, verdammt!“ Russell fuhr genervt zu seinem Untergebenen herum, ergriff ihn am Kragen und zog ihn so plötzlich auf die Beine, dass die drei Männer, die Rowd festhielten, ihn vor Überraschung beinahe losließen.
 

„Wollt Ihr mir Befehle erteilen, Hauptmann?“, raunzte der Oberst wütend. „Ich habe genug von Euch, Rowd, Ihr geht mir schon viel zu lange auf die Nerven – hiermit degradiere ich Euch zum Leutnant! Ihr werdet dem Jungen kein Haar krümmern, Ihr werdet nicht einmal mehr in seine Nähe kommen! Habt Ihr mich verstanden?!“ Rowd antwortete nicht und Russell gab ihm einen unsanften Ruck.
 

„Ob Ihr mich verstanden habt, will ich wissen!“
 

„… Ja, Sir“, presste Rowd zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und der Oberst ließ ihn verächtlich los.
 

„Bringt ihn in die Arrestzelle und lasst ihn sich dort für heute austoben“, befahl er an die drei Soldaten gewandt, die auf das Salutieren verzichteten und lediglich nickten; dann führten sie Rowd, der noch hasserfüllter als vorher Jowy fixierte, ab und Russell wandte sich Jowy zu.
 

„Du hast nicht wirklich eine Rune benutzt, nicht wahr?“
 

„… Nein, Sir. Ich habe keine Rune benutzt.“ Er hatte sie nicht benutzt – sie hatte sich Seiner bemächtigt!
 

„Ich weiß nicht, woher du diese plötzliche Energie genommen hast, Junge“, sprach der Oberst stirnrunzelnd und sah den Aristokraten von oben bis unten an. „Aber dieses Duell hat mir gezeigt, dass du ein ernstzunehmender Kämpfer bist. Du hast dir deinen Platz hier verdient.“
 

„Danke…“ Aber warum fühlte sich Jowy denn dann wie der Verlierer…?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Flordelis
2011-02-20T17:40:07+00:00 20.02.2011 18:40
Mit wehendem Umhang und lautem, irren Gegacker machte der Kronprinz von Highland kehrt
... Toll, jetzt werde ich mir Luca immer wie ein Huhn vorstellen. :,D

„Gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann.
Reinhold Niebuhr wäre entzückt, wenn er wüsste, dass sein Gebet immer noch Verwendung findet. ;)

ls würde ihn jemand in eine warme, tröstende Umarmung ziehen, aus der er Kraft schöpfen konnte.
Das liest sich so schön. ♥

Mein Name ist Russell...
... Crowe. =D
... Ach nein, okay, dann nicht. :,D
(Ich bin wohl der einzige Mensch auf der Welt, der den Namen nur mit einem L schreibt XD)

das riesige Militärcamp, dass
Da sich das Wort nach dem Komma auf das Camp bezieht, schreibt man es nur mit einem s. :3
(Ich tippe aber mal auf Tippfehler, da du das sonst nicht machst.)

Der Kampf hat mir wieder mal gut gefallen, ich wünschte, etwas von deinen Fähigkeiten in dem Bereich würde auf mich abfärben. :,D

Mhm, mehr hab ich nicht anzumerken, war ein interessantes Kapitel. :3
... Ob Rowd wirklich so sehr ausrasten würde? Na ja, wir wissen eher wenig über ihn und das alles wäre jetzt eine nette Erklärung, warum zum Geier er so lange dann nicht mehr im Spiel vorkam... er wurde einfach degradiert. :,D
Ich bin dann mal wieder auf das nächste Kapitel gespannt. :3


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