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Another Side, Another Story

The Traitor's Tale
von

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Neue Freunde

Mit Gengen im Schlepptau, der unbedingt hatte mitkommen wollen, waren die drei Jugendlichen etwas später unterwegs nach Ryube. Sie hatten beschlossen, einen großen Kreis zu machen und nach dem Dorf Ryube auch noch Toto und die Stadt Radat zu besuchen. Wonach – oder vielmehr nach wem – genau sie suchten, wusste keiner von ihnen, aber sie wollten es dennoch probieren.
 

Und schließlich hätten sie alle einiges dafür getan, um nicht mehr putzen zu müssen.
 

Pohl hatte ihnen Geld mitgegeben – für alle Fälle – das er trotz aller Proteste nicht wieder zurückhaben wollte.
 

„Es sind Ersparnisse aus unserem Fundus“, hatte er gesagt, „und es ist ja gerade für solche Gelegenheiten da.“ Dennoch nahm Jowy sich fest vor, ihm das Geld irgendwann zurück zu zahlen. Er fühlte sich einfach nicht wohl dabei, jemandem etwas zu schulden.
 

Außerdem hatte Pohl ihnen Waffen gegeben, da sie ihre ja in Kyaro zurückgelassen hatten, und auch, wenn der Kampfstab, der er nun auf dem Rücken trug, bei weitem nicht so vertraut in seinen Händen lag wie der, den Meister Genkaku ihm geschenkt hatte, so war er doch nicht schlecht und auch Nanami und Riou schienen ganz zufrieden mit dem dreiteiligen Nunchaku und den Tonfa, die sie noch im Waffenlager der Söldner gefunden hatten.
 

Sie erreichten das Dorf gegen Mittag und wie bei ihrem letzten Besuch sprühte die kleine Siedlung nur so vor Leben. Fast erwartete Jowy, erneut auf die Schausteller zu treffen, erinnerte sich dann aber daran, dass sie versuchen wollten, in Highland Fuß zu fassen. Was wohl aus ihnen geworden war? Eilie hatte Riou anscheinend ziemlich gern gehabt…
 

„Sagt mal, hört ihr das auch?“, riss Nanamis Stimme ihn aus seinen Gedanken und er blinzelte verwirrt in ihre Richtung.
 

„Was denn?“
 

„Gengen hört es auch“, schaltete der Kobold sich ein, dessen Ohren aufrecht standen, als würde er genau lauschen, „und Captain Gengen hat gutes Gehör, jaja.“ Die Stirn runzelnd hörte Jowy ebenfalls genauer hin und ein leises Stöhnen drang an seine Ohren.
 

„Ist da jemand…?“, murmelte er verwirrt. Riou hatte ebenfalls die Stirn in Falten gelegt und sah sich etwas irritiert in der Straße um, in der sie standen.
 

„Oooh… Oooh…“ Wieder ertönte das Stöhnen und diesmal war Jowy sich sicher, dass er es sich nicht nur eingebildet hatte. Er wandte sich zu Riou um, doch dieser blickte mit schiefgelegtem Kopf in eine schmale Seitengasse und setzte sich dann plötzlich in Bewegung, auf etwas zu, das verdächtig nach einem Bündel Lumpen aussah.
 

Doch als sein Freund neben dem Etwas in die Knie ging, erkannte Jowy erschrocken, dass dort ein Mann auf dem Boden lag, auf dessen Rücken ein riesiges Schwert geschnallt war.
 

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Riou besorgt und der Mann gab wieder ein Stöhnen von sich:
 

„Mein… mein Bauch…“
 

„Bist du verletzt?“, erkundigte sich Jowy, nun ebenfalls besorgt, und trat zu den beiden. Der Schopf hellbrauner Haare bewegte sich leicht und der Blonde erahnte das Kopfschütteln eher, als dass er es tatsächlich sah.
 

„Bauch… so hungrig…. K-kann… mich nicht bewegen…“, ächzte der Mann und hob den Kopf weit genug, um den Jugendlichen einen flehenden Blick zuzuwerfen, „B-Bitte… gebt mir… etwas zu essen…“
 

„Natürlich“, nickte Riou sofort, „Warte kurz. …Jowy?“ Der Aristokrat musste nicht in die braunen Augen sehen, um zu wissen, dass sie ihn hilfesuchend anblickten. Er seufzte und half dem Jüngeren, den Mann aufzurichten, dann schleppten sie ihn zum nächstgelegenen Gasthaus.
 

Eine Stunde später war Jowy ehrlich erstaunt darüber, wie viel ein einzelner Mensch essen konnte. Neben dem Bettler, den sie in der Seitengasse aufgelesen hatten, stapelten sich bald so viele Teller, Schüsseln und Schalen, dass man hätte meinen können, dass hier zehn Personen gespeist hatten anstatt einer. Der Blonde spürte förmlich, wie seine Augen in Relation zum Geschirrberg immer größer wurden und auch die anderen schienen entsetzt darüber zu sein, wie viel Essen in diesen Mann hineinpasste. Zugegeben, er war fast so groß wie Viktor und auch in etwa so muskulös, aber… wie groß konnte ein Magen sein?
 

„Uff!“, machte der Mann schließlich, stellte die letzte Schüssel Reis und das Besteck beiseite und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
 

„Danke“, sagte er nach einer kurzen Pause und lächelte die Jugendlichen freundlich an, „Vielen Dank. Ich schulde euch etwas.“
 

„Ja“, brummte Gengen kaum hörbar, „Viel, viel gutes Essen.“ Jowy verkniff sich ein Lachen, indem er sich auf die Innenseite seiner Wange biss.
 

„Mein Name ist Rikimaru“, fuhr der Mann fort, „ihr würdet mich einen Reisenden nennen.“
 

„Wie kommt es, dass du so hungrig warst?“, fragte Nanami, „Wenn man auf Reisen geht, hat man doch für gewöhnlich Geld dabei.“ Wenn Jowy sich nicht stark irrte, errötete der Mann leicht und erzählte dann leise:
 

„Es ist wirklich traurig, aber ich habe einen unglaublich festen Schlaf. Das haben unterwegs ein paar Banditen ausgenutzt und mich um all meine Ersparnisse erleichtert…“
 

„Das ist wirklich traurig“, stimmte Nanami ihm etwas verdutzt zu.
 

„Wirklich vielen Dank“, wiederholte Rikimaru und lächelte erneut, „Wirklich, ich werde euch das niemals vergessen.“
 

„Ähm“, meldete sich in diesem Moment die Wirtin hinter ihnen und Jowy wandte verwirrt den Kopf zu ihr, „die Rechnung für das Essen…?“
 

„Oh!“ Rikimaru zuckte zusammen und sah augenblicklich unheimlich schuldbewusst aus.
 

„Wie viel?“, fragte Riou bloß und sah sie Wirtin freundlich an. Diese betrachtete die kleine Gruppe einen Moment lang skeptisch, dann antwortete sie:
 

„Nun, die Gesamtkosten betragen 3000 Potch, aber…“
 

„Tut mir leid“, unterbrach Rikimaru sie mit einem Seufzer, „aber das kann ich unmöglich bezahlen. Kann ich meine Schulden abarbeiten?“ Die Wirtin blinzelte und nickte dann langsam:
 

„Sicher. Wenn du nichts dagegen hast, die nächsten sechs Wochen Geschirr zu spülen?“ Schicksalsergeben nickte der Schwertkämpfer – denn das war er mit diesem riesigen Schwert ja ganz offensichtlich – und wollte bereits antworten, als Riou seine Geldbörse zückte und daraus ein paar der Münzketten zutage förderte, deren geschätzter Wert etwa 3000 Potch betrug.
 

„Schon gut“, sagte er und lächelte breit, als er das Geld in die ausgestreckte Hand der verblüfften Wirtin fallen ließ, „Ich zahle.“
 

„W-Wirklich?“ Jowy war nicht der einzige, der seinen besten Freund etwas irritiert anstarrte.
 

„Sicher“, nickte Riou und grinste Rikimaru an, „Das geht doch in Ordnung, oder?“
 

„Also, ich habe mein Geld“, verkündete die Wirtin achselzuckend und entfernte sich wieder vom Tisch.
 

„Bei den Runen“, atmete Rikimaru auf, „Ich stehe in eurer Schuld! Wie kann ich das jemals wieder gutmachen?“
 

„Komm mit uns“, erwiderte Riou leichthin, „Wir suchen Leute, die sich uns anschließen.“ Der Schwertkämpfer warf ihm einen verwirrten Blick zu und Jowy tauschte einen kurzen Blick mit Nanami, ehe er leise – man konnte nie wissen, wer ihnen gerade zuhörte – erzählte, was sie hergeführt hatte.
 

„So ist das also“, nickte Rikimaru etwa zehn Minuten später nachdenklich. Dann erhellte sich sein unrasiertes, freundliches Gesicht und er grinste:
 

„Dann werde ich mich euch anschließen. Ich werde meine Schuld zurückzahlen oder ich will nicht Rikimaru heißen!“
 

„Wirklich?“, vergewisserte sich Riou erfreut, „Danke!“ Er reichte dem Schwertkämpfer die Hand und Jowy spürte, wie sich ein spontanes Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. Irgendwie beruhigte ihn der Gedanke, diesen Mann dabei zu haben. Er wirkte irgendwie verlässlich, obwohl man ihn beraubt hatte, als er geschlafen hatte.
 

Sie erhoben sich und verließen das Gasthaus in Richtung Dorfplatz.
 

„Diese Söldner sind doch gut ernährt, oder?“, fragte Rikimaru an Gengen gewandt, dessen pelzige Erscheinung ihn anscheinend faszinierte.
 

„Richtig“, schnaufte der Kobold und warf dem deutlich größeren Mann einen seltsamen Blick zu, „Aber Gengen bekommt bestes Essen. Gengen großer Kobold-Krieger!“ Jowy wollte etwas erwidern, doch in diesem Moment fiel sein Blick auf ein Mädchen mit einer großen, weißen Ballonmütze, das ganz in der Nähe des Gasthauses stand und nervös auf und ab zu laufen schien.
 

„Was mach ich nur, was mach ich nur, was mach ich nur, was mach ich nur?“, jammerte sie leise, während sie an der kleinen Gruppe vorbeieilte, „Mein armer, armer Bonaparte…“
 

„Ähm“, machte Jowy verwirrt, „Ist alles in Ordnung?“ Das Mädchen fuhr erschrocken zu ihm herum und starrte ihn einen Moment lang aus großen, braunen Augen an.
 

Sie war jung, kaum älter als Tuta, vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt. Lange, braune Haare fielen in sanften Wellen ihren Rücken hinab und sie trug ein kurzes, hellblaues Kleid; an einem dünnen, weißen Ledergürtel hing ein Bumerang aus hellem Holz.
 

„Mein Haustier, Bonaparte, ist weggelaufen“, erklärte das Mädchen schließlich und blickte augenblicklich wieder unglücklich drein, „Er ist in den Wald hinein und ich kann da unmöglich reingehen!“
 

„Wieso?“, fragte Nanami verwirrt und blickte zu dem Walddickicht, das das Dorf umgab, „So tief ist er nicht. Es ist ein Bergwald, da sollte es nicht allzu schlimm sein.“
 

„Weil es da drin Spinnen gibt!“, jammerte das Mädchen und schluchzte trocken auf, „Und mein armer Bonaparte ist irgendwo da drin! Er hat bestimmt Angst!“ Riou und Jowy wechselten einen Blick, dann bot der Jüngere freundlich an:
 

„Sollen wir vielleicht mit dir kommen und dir helfen?“ Die großen Rehaugen wandten sich nun ihm zu und die Besitzerin eben dieser fragte ungläubig:
 

„Das würdet ihr tun? Obwohl es dort Spinnen gibt?“
 

„Sicher“, antwortete Jowy und verzichtete darauf, sie darauf hinzuweisen, dass es für manche Menschen durchaus schlimmere Dinge als Spinnen gab – Schlangen, zum Beispiel. Er schauderte kurz bei diesem Gedanken und grinste dem Mädchen dann aufmunternd zu.
 

„Oh danke! Danke!“, rief sie aus und fiel dem überraschten Riou spontan um den Hals, „Ich bin übrigens Millie!“ Nachdem sie sich alle vorgestellt hatten, folgten sie Millie durch die Straßen des Dorfes, bis sie den Waldrand erreichten, wo das Mädchen stehen blieb.
 

„Okay, dann lasst uns gehen“, murmelte sie und warf den Bäumen einen unglücklichen Blick zu, „und ihr beschützt mich auch wirklich vor den Spinnen?“
 

„Natürlich“, versicherte Rikimaru ihr mit einem Grinsen, „keine Sorge, junge Dame.“
 


 

Sie waren eine Weile durch den Wald gewandert, während Millie unablässig nach ihrem Haustier gerufen hatte – wobei Jowy ernsthaft bezweifelte, dass das Tier bei dieser Lautstärke zu ihr zurückkehren würde – als Riou plötzlich an einem Baum anhielt und sich bückte.
 

„Was machst du da?“, verlangte Nanami zu wissen, als ihr Bruder etwas vom Boden aufhob und es auf den höchsten Ast setzte, den er erreichen konnte. Jowy runzelte ebenfalls die Stirn, als er erkannte, dass nun ein Nest mit einem kleinen Vogel darin auf dem Ast thronte.
 

„Das Nest war runtergefallen“, erklärte Riou und lächelte dem Vogel zu, eher er zu der Gruppe zurückkehrte und sie ihren Weg fortsetzten, „und wenn es niemand aufgehoben hätte, wäre er sicher gefressen worden.“
 

„Riou guter Mensch“, beschloss Gengen und bleckte die Zähne in einem Grinsen, „Hat gute Augen.“ Riou errötete leicht bei diesem Kompliment und lächelte peinlich berührt, während Jowy überlegte, was genau der Kobold mit diesen Worten meinte. Sprach er davon, dass die gütigen braunen Augen jeden in ihren Bann zogen, der Riou begegnete? Oder meinte er, dass außer Riou niemandem aufgefallen war, dass das Nest vom Baum gefallen war?
 

Seine Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als Millie plötzlich schrie:
 

„Bonaparte! Da vorne ist er!!“ Sie zeigte auf einen Busch, aus dem in diesem Moment ein kleines Tier mit gelblichem Fell und für Jowys Geschmack eindeutig zu vielen Augen hüpfte und einen lauten Fiepston ausstieß. Dann rannte es trotz der kurzen Pfoten – es waren sechs an der Zahl – erstaunlich schnell davon, tiefer in den Wald hinein.
 

„Hinterher!!“, rief Millie und eilte ihrem Haustier nach, ohne auf ihre Gefährten zu warten. Diese zögerten einen Moment noch, dann setzten sie sich ebenfalls in Bewegung, um dem Mädchen zu folgen.
 

Sie holten Millie schnell ein; sie hatte das komische kleine Tier, das an eine absurde Kreuzung zwischen Ferkel und Hund erinnerte, gestellt. Es stand quietschend, mit aufgestelltem Fell gegen eine Felswand gedrängt und funkelte seine Besitzerin aus vier Paaren dunkler Augen böse an.
 

„Du kannst nicht mehr weg laufen!“, erklärte Millie ihrem Haustier ernst, „Jetzt hab ich dich!“ Sie machte einen Schritt auf Bonaparte zu, doch das Tierchen knurrte, entblößte plötzlich zwei Reihen spitzer, kleiner Zähne und schnappte nach ihrer ausgestreckten Hand.
 

„Aaah!“, schrie das Mädchen erschrocken auf und stolperte zurück, bis sie gegen Jowy prallte, „Was machst du denn, Bonaparte?!“ Das Wesen knurrte erneut und schoss dann unerwarteterweise auf die kleine Truppe zu, mit gebleckten Zähnen und weit aufgerissenen Augen.
 

„Vorsicht!“, rief Rikimaru geistesgegenwärtig und schubste Gengen aus dem Weg, auf den Bonaparte direkt zugehalten hatte. Er verfehlte den Kobold um Haaresbreite, der eilig ein Kurzschwert zog und seinen Gegner ebenfalls anknurrte.
 

„Tut ihm nicht weh!“, schrie Millie entsetzt, als Rikimaru ebenfalls sein Schwert zog. Der Schwertkämpfer runzelte die Stirn und wehrte das aggressive Tier, das seine Aufmerksamkeit nun ihm zuwandte, statt mit der Klinge, mit der flachen Seite der Waffe ab. Ein hässliches Knirschen ertönte, als die Zähne auf den Stahl des Schwerts trafen und kopfschüttelnd wich Bonaparte von dem hochgewachsenen Krieger zurück, als wäre er verwirrt. Dann wandte sich der Blick der dunklen, bösartig zusammengekniffenen Augen Nanami zu und das Tier hüpfte mit aufgerissenem Maul auf sie zu.
 

Schreiend stürzte Nanami zur Seite, schlug das pelzigen Wesen in der selben Bewegung mit ihrem Nunchaku und kam dann schlitternd zum Stehen.
 

„Millie?“, rief Jowy, während er seinen Stab benutzte, um Bonaparte ein paar Meter von sich fortzuschleudern, „Bist du dir sicher, dass er zahm ist?!“
 

„Er hat nur Angst!“, rief das Mädchen zurück, „Tut ihm nicht weh!“ Sie zückte ihren Bumerang und warf ihn mit einem Schrei in die Richtung ihrer kämpfenden Gefährten, Riou nur knapp verfehlend.
 

„Spinnst du?!“, schrie Nanami.
 

„Bitte tut meinem armen Bonaparte nicht weh!“, flehte Millie, die den Bumerang wieder einfing und aussah, als wenn sie ihn nach dem nächsten, der seine Waffe gegen ihr geliebtes Haustier erhob, werfen würde.
 

„Und wer sagt ihm, dass er uns nicht weh tun soll?“, knurrte Jowy und brachte sein Bein aus der Reichweite des noch immer knurrenden und fauchenden Tieres, das jetzt ihn als Opfer auserkoren zu haben schien.
 

„Gengen tapferer Kobold-Krieger!“, brüllte Gengen in diesem Moment, schlug Bonaparte resolut mit der dem Heft seines Schwerts zwischen die vielen Augen und wich dann vorsichtshalber zurück. Doch das Tier schwankte nun, als wäre es betrunken – und kippte dann plötzlich auf den Rücken, die kurzen Beinchen in die Luft streckend wie ein umgefallener Käfer.
 

Einen Augenblick lang hielten alle inne, dann ließ Jowy vorsichtig seine Waffe sinken.
 

„Bonaparte!“ Millies erleichterter Ausruf zerriss die Stille des Waldes, als sie auf ihr Haustier zueilte, es hochhob und in die Arme schloss. Zuerst passierte nichts, dann zuckte Bonaparte plötzlich zusammen, blinzelte synchron mit allen acht Augen und fiepste, plötzlich deutlich freundlicher.
 

„Was ist denn los?“, säuselte Millie selbstvergessen, während sie das struppige Tier vor ihr Gesicht hielt, um es genau betrachten zu können, „Hattest du Angst, mein Kleiner? Du hättest nicht weglaufen sollen.“ Jowy und Riou wechselten einen zweifelnden Blick, als das Mädchen gurrte:
 

„Ist schon gut. Guter Junge. Hab keine Angst.“ Nanami stemmte die Hände in die Hüften und sah aus, als wüsste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
 

„Gut gemacht, Gengen“, wandte sich Riou an den Kobold, der – wie alle anderen – die seltsame Szene stirnrunzelnd beobachtet hatte, „Woher wusstest du, dass ihn das aufhalten würde?“
 

„Tiere um Gengens Dorf oft aggressiv, wenn ängstlich“, erklärte dieser und entblößte bei seinem Grinsen die Zähne, „Schlag zwischen Augen oft Wunder!“ Er zuckte die Achseln und wirkte sehr zufrieden mit sich selbst.
 

„Danke für eure Hilfe!“ Millie schien wieder eingefallen zu sein, dass sie nicht allein war und sie strahlte den Rest der Gruppe fröhlich an.
 

„Das ist Bonaparte“, verkündete sie, als wenn ihre Gefährten dies noch nicht begriffen hätten, „Ist er nicht süß?“
 

„Ähm“, machte Nanami und starrte das seltsame Tier an. Jowy runzelte die Stirn und konnte bei aller Mühe nichts Niedliches an Bonaparte ausmachen.
 

„Nicht… unbedingt“, sagte er langsam und beschloss für sich selbst, dass das Wesen einfach zu viele Augen und Beine hatte, um als süß bezeichnet werden zu können.
 

„Was?“, fragte Millie enttäuscht und zog eine Schmolllippe, „Du findest ihn also nicht süß? Dieses niedliche Gesichtchen?“
 

„Doch, sicher“, erwiderte Riou diplomatisch, obwohl sein Gesicht etwas ganz anderes erzählte, „sehr… niedlich.“
 

„Nicht wahr?“, strahlte Millie überglücklich, streichelte Bonaparte dann den Hinterkopf und ergriff dann Rious Hand, „Wirklich vielen Dank, dass ihr mir geholfen habt. Gibt es irgendwas, das ich für euch tun kann?“
 

„Nun, wir… suchen eigentlich Gefährten, die sich uns und den Söldnern anschließen, aber…“, begann Jowy, doch das Mädchen unterbrach ihn mit vor Begeisterung leuchtenden Augen:
 

„Söldner? Klasse! Natürlich helfe ich euch auch.“
 

„Aber…“, begann Jowy wieder, doch erneut ergriff Millie das Wort:
 

„Keine Sorge, ich nehme kein Geld.“
 

„Bist du dir ganz sicher, dass du dich uns anschließen willst?“, fragte Riou vorsichtig, „Was sagen deine Eltern dazu?“ Millie lachte auf und erwiderte:
 

„Ach, die! Schon okay, macht euch da keine Sorgen drum. Also los, suchen wir mehr Freunde!“ Ohne eine Antwort abzuwarten marschierte sie schnurstracks in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, ein fröhliches Liedchen pfeifend – ihre Angst vor Spinnen schien sie völlig vergessen zu haben.
 

„Ich glaube nicht, dass Flik an jemanden wie Millie gedacht hat, als er meinte, wir sollten nach Leuten suchen, die sich uns anschließen…“, murmelte Jowy stirnrunzelnd und Riou seufzte.
 

„Vielleicht… ist sie ja doch ganz nützlich“, meinte er achselzuckend, dann bedeutete er den anderen, ihm zu folgen und setzte sich in Bewegung.

Sie hatten Millie schnell eingeholt – sie hatte eine Spinne entdeckt und weigerte sich in unglaublicher Lautstärke weiterzugehen, bis Rikimaru sich erbarmte und dem großen Arachnoiden in einer Bewegung den pelzigen Körper teilte – und gingen schweigend durch den Wald, zurück zum Dorf, als plötzlich etwas Weißes zwischen den Bäumen hervorkam, auf Riou zusprang und ihn auf den Rücken warf.
 

Das Etwas stellte sich als großer, weißer Wolfshund heraus, um dessen linke Vorderpfote ein blaues Lederband gewickelt war. Der Hund beschnüffelte Rious Gesicht und entfernte sich von dem Jungen gerade rechtzeitig, um nicht von Nanami geschlagen zu werden. Während Riou sich mit Jowys Hilfe aufrappelte und die Gruppe den Hund unsicher fixierte, heulte das Tier auf und nur wenige Augenblicke später tauchte aus dem Wald ein junger Mann in Jowys Alter auf; er hatte halblange, dunkle Haare, die ihm in die Stirn fielen und durch den Lauf leicht durcheinander geraten waren. Er trug eine gelbe, langärmelige Tunika und eine graue Stoffhose, um seinen Hals war ein roter Schal geschlungen und auf seinem Rücken war ein lederner Köcher festgeschnallt, in dem ein Dutzend Pfeile steckten, den dazugehörigen Bogen hielt er in der Hand.
 

„Hat Shiro euch etwas getan?“, fragte der junge Mann mit einer unerwartet sanften Stimme.
 

„Nein“, erwiderte Riou, „er hat mich nur erschreckt. Springt er oft Menschen an?“ Die Augen des Unbekannten wurden groß und er sah den Wolfshund, der inzwischen auf seinen Hinterläufen saß und hechelnd zu seinem Herrchen aufsah, verblüfft an.
 

„Eigentlich nicht“, murmelte der junge Mann, dann sah er wieder zu Riou und fragte:
 

„Wart ihr diejenigen, die das Nest aufgehoben haben?“ Er zeigte auf eine Astgabel, in der das Nest lag, welches Riou auf dem Hinweg entdeckt hatte, wie Jowy erkannte.
 

„Ja“, nickte Riou, „Wieso? War das falsch?“
 

„Nein“, lächelte der Junge, „keine Sorge. Hmm… Shiro hatte also Recht.“ Der Wolfshund bellte, als er seinen Namen hörte, und wandte den Blick seiner intelligenten, gelben Augen der kleinen Gruppe Reisender zu.
 

„Ich bin Kinnison“, stellte der junge Mann sich vor, „ich bin Jäger, Shiro und ich leben hier im Wald. Wir kümmern uns um ihn, wisst ihr?“
 

„Dann musst du ja sehr tierlieb sein“, stellte Nanami fest und lächelte Kinnison an, „Das finde ich toll!“ Der Jäger errötete leicht und schwieg einen Moment, dann fragte er:
 

„Darf ich fragen, was ihr hier macht? Es kommen nicht oft Menschen in den Wald.“
 

„Wir haben meinen Bonaparte gesucht!“, antwortete Millie, „Ist er nicht süß?“ Sie streckte Kinnison das struppige Tier hin, welches ihn mit den acht Augen anstierte. Wenn der junge Jäger angewidert oder erstaunt war, so zeigte er es nicht. Er kraulte Bonaparte unter dem Kinn – was das Tier wohlig ein Geräusch ausstoßen ließ, das sehr nach einem Maunzen klang – und sagte dann:
 

„So ist das. Dann war er es also, den Shiro gerochen hatte… und ich dachte schon, es wären wieder Highland-Soldaten.“ Überrascht hob Jowy die Brauen und fragte:
 

„Kommen die Highlander oft hierher?“ Kinnison nickte betrübt und erklärte:
 

„In letzter Zeit ständig. Sie haben viele Tiere aus ihren Lebensräumen vertrieben und bringen das natürliche Gleichgewicht hier völlig durcheinander…“
 

„Das tut mir leid“, sagte Riou ernst und der Jäger sah ihn dankbar an. Jowy zögerte einen Moment und fragte dann:
 

„Du kämpfst also gegen Highland?“
 

„So würde ich es nicht nennen“, entgegnete Kinnison mit einem Seufzer, „Ich bin nur ein einfacher Jäger. Gegen die Armee von Highland könnte ich bei bestem Willen nichts ausrichten, auch mit Shiros Hilfe nicht.“
 

„Dann komm mit uns“, schlug Riou vor, „wir… kämpfen auch gegen Highland.“ Bei den letzten Worte zögerte er, merkte Jowy, und er fragte sich, ob es den anderen ebenfalls aufgefallen war.
 

Sie waren Highlander. Angeklagt als Hochverräter waren sie in den Staat geflohen… und jetzt kämpften sie gegen ihr Vaterland.
 

Dieses Land hat uns verraten, hatte er der Prinzessin gesagt, und er wusste, dass es stimmte. Aber waren dieses Wissen und der tatsächliche Kampf gegen Highland unweigerlich miteinander verbunden…?
 

„Tatsächlich?“ Kinnisons ruhige Stimme brachte Jowy zurück in die Wirklichkeit und er blinzelte. Der Jäger blickte zu seinem Hund, ging neben ihm in die Hocke und strich dem Tier übers weiße Fell, während er leise murmelte:
 

„Na, Shiro? Was sagst du denn dazu?“ Der Wolfshund blickte sein Herrchen an, dann schleckte er ihm einmal über die Hand und bellte laut. Kinnison nickte leicht, seufzte dann und erhob sich wieder, dann lächelte er Riou zu und sagte:
 

„Wenn wir euch irgendwie behilflich sein können, dann… schließe ich mich euch gerne an. Shiro auch.“ Shiro erhob sich und bellte wieder, während Riou Kinnison die Hand gab.
 

„Willkommen an Bord. Ich bin Riou und das sind…“ Während sie nacheinander vorgestellten wurden, warf Jowy seinen Gefährten einen langen Blick zu.
 

Was für ein seltsamer Haufen hatte sich hier nur versammelt…?
 

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A/N: Ich glaub, ich mag das Kapitel selbst nicht. Doof, das. Trotzdem viel Spaß beim Lesen :)



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Mismar
2010-06-02T17:55:27+00:00 02.06.2010 19:55
Hm, das Kapitel war doch ganz gut, finde ich. Wenn es dir nicht gefällt, würde ich dir doch raten, es noch umzuändern. Es bringt ja nichts, wenn es dir nicht gefällt, aber deinen Lesern nicht.
Also die Rekrutierung war ja ganz schön ordentlich; ich muss sagen, so wie du es gemacht hast, war es goldrichtig. Besonders bei Millie, weil ich sie da noch unerträglicher fand XD aber jetzt, wo ich weiß, wie alt sie ist, ist das kein Wunder.
Allgemein fand ich das Kapitel sehr gut.
Von:  Flordelis
2010-03-02T15:13:42+00:00 02.03.2010 16:13
Gengen kriegst du richtig gut hin~
Und Rikimaru hatte ich beinahe schon wieder vergessen. XD
Ich empfand Millie immer als verrückt (XD), das kommt hier auch wieder hübsch rüber. ^^
Oh und Kinnisons Auftritt~ Er hatte mehr als einen Satz. *glücklich ist*

„Diese Söldner sind doch gut ernährt, oder?“
Eine typische Rikimaru-Frage. XD
... Kommt die aus dem Spiel? o.o
Zumindest meine ich, dass sie mir bekannt vorkommt.

„Weil es da drin Spinnen gibt!“
Und vor allem SEHR große. *schauder*

gelblichem Fell
Ich hab mich immer gefragt, ob das wirklich Fell war. o.o
War es das?
Ich hatte aus irgendeinem Grund immer einen mutierten Nacktmull vor Augen, wenn ich an Bonaparte dachte und ich kriege das nicht mehr weg. XD

schlug Bonaparte resolut mit der dem Heft seines Schwerts
Hier ist ein Wort zu viel. :3

Was für ein seltsamer Haufen hatte sich hier nur versammelt…?
Das denke ich bei jedem Spiel am Ende. XD

Also mir persönlich hat das Kapitel gefallen, liegt vielleicht aber auch daran, weil Gengen, Rikimaru und Kinnison vorkamen. *lach*
Aber besser könnte man die Rekrutierungen nicht beschreiben, wenn man mich fragt. Und Rekrutierungen sind schon ne blöde Sache, besonders wenn man die sich selbst ausdenken muss. ._____.
Gehts im nächsten Kapitel nach Toto? :3
Wenn ja, wird gleich Zamza rekrutiert?


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