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Das Portal

Die Welt in dir
von

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Matthew Hunt

Geistesabwesend saß ich auf dem knirschenden Holzstuhl und starrte aus dem Fenster. Um mich herum war der übliche Pausentrubel. Kleinere Grüppchen von Schülern standen oder saßen beisammen und unterhielten sich angeregt. Nur unbewusst kam mir die neueste Nachricht des Tages zu Ohren.

Wir hatten einen neuen Schüler.

Immer wieder hörte ich, wie Mitschülerinnen aufgeregt ihre Freundinnen fragten, ob sie ihn schon gesehen hätten. Sah er gut aus oder entsprach er doch nur wieder dem Durchschnitt, so wie die meisten an der Schule. Hatte er lediglich unscheinbare Klamotten an oder war er vielleicht reich und trug schicke neue Sachen. Alles Dinge, die mich schlichtweg gar nicht interessierten. Ich will gar nicht sagen, dass mich das sonst nicht auch neugierig gemacht hätte aber der Umstand von Nanuks Verschwinden hatte fast jedwedes Interesse am Schulleben absterben lassen.

Immer wieder kamen und gingen die Leute. Jeder in der Hoffnung den Neuen, irgendwo in dem Getümmel auf dem Flur, mit einem Blick erhaschen zu können. Angeblich schien er recht gut auszusehen, berichtete mir Grace schließlich mit einem übertriebenen Grinsen im Gesicht. Braun gebrannte Haut und muskulös sei über den Flur stolziert, wie ein Löwe in der Steppe. Viel zu erhaben um mit dem niederen Fußvolk ein Wort zu wechseln.

Ich seufzte schwerfällig. Was für eine Farce, schoss es mir durch den Kopf.

„Was ist denn? Willst du ihn nicht auch einmal sehen?“, fragte Grace, als sie sich auf den leeren Stuhl neben mich setzte und an ihrem Brot knabberte. Ein wenig mit dem Stuhl kippelnd, schaute sie mich schief von der Seite an. Wenn sie eine Brille gehabt hätte, wäre es der perfekte skeptische Blick über den Brillenrand hinweg gewesen, dachte ich innerlich und amüsierte mich ein wenig darüber. Meine Contenance verlor ich jedoch keinesfalls.

„Warum denn? Nur wieder einer von diesen Idioten, die der Meinung sind sie könnten die Welt umreißen und alle nach ihrer Nase tanzen lassen.“

„ Du bist nur do garstig wegen Nanuk, nicht wahr. Wie lange willst du ihm denn noch hinterher jammern? Das ist jetzt schon Wochen her. Wenn er gewollt hätte, dann hätte er sich gemeldet. Also komm mal wieder aus deinem Mäuseloch hervor, bevor selbst die Katze keine Lust mehr hat zu warten.“

„Willst du mir jetzt sagen, dass selbst meine Feinde mich bald vergessen würden? Das wäre ja ein Traum, wenn Marie wie von selbst mit den Sticheleien aufhören würde“, witzelte ich.

„Du bist unglaublich. Deinen Zynismus hätte ich gern. Damit würde ich manche Sachen bestimmt nicht mehr so ernst sehen. Aber jetzt mal ohne Spaß Beth. Du scheinst ganz schön abgenommen zu haben, weißt du das? Ich will dir ja nicht zu nahe treten aber nagt die ganze Sache vielleicht doch mehr an dir, als sie sollte?“

Ihre Stimme wurde leiser, so dass nur noch ich sie wirklich verstehen konnte und gleichwohl hatte ich das Gefühl sie hätte es so laut und so vorwurfsvoll ausgesprochen, dass es jeder in der Klasse hätte hören können.

„Was für ein Unsinn.“, raunte ich und fuhr wieder auf. „Was redest du denn da für einen Mist. Mir geht es bestens.“

„Es war ja nur eine Frage. Ich mach mir halt Sorgen um dich.“, sagte sie schließlich und wand den Blick in Gedanken von mir ab. Sie wusste, dass es bei so einem Thema kein Weiterkommen gab. Unmerklich seufzend aß sie ihr Brot weiter und betrachtete in Gedanken die fast menschenleere Klasse.

Insgeheim hatte sie jedoch Recht. Mit allem.

Nanuk war nun seit sieben Wochen spurlos verschwunden. Er hatte nicht angerufen, hatte keinen Brief geschrieben, war nicht bei mir zu Hause aufgetaucht und hatte sich für all das Geschehene entschuldigt. Nichts war passiert und mein Missmut schlug mir nicht nur auf meinen Magen.

Vor zwei Wochen, nach meiner mysteriösen Begegnung auf dem Spielplatz, hatte ich angefangen unregelmäßige Hitzewallungen zu bekommen. Manchmal musste ich mich morgens übergeben und fühlte mich so elend und ausgezehrt, dass es mich die größte Mühe kostete den Weg zur Schule anzutreten. Vier Kilo waren seit dem von meiner Hüfte gepurzelt und ich glaubte meine Wangen seien eingefallen und meine Augen matt und müde geworden. Zuerst hatte ich es auf meine Regel geschoben, da diese zeitgleich eingesetzt hatte doch auch danach verschwand das Unbehagen nicht. Vielleicht brütete ich irgendwas aus und würde bald eine Grippe bekommen, die sich gewaschen hätte.

Es fiel mir schwer es einzugestehen. Wahrscheinlicher als meine Vorüberlegungen war jedoch, dass es an Nanuks Verschwinden lag, welches mir mein Unterbewusstsein mit einer solchen Reaktion nun allzu deutlich machen wollte. Natürlich vermisste ich ihn unheimlich aber andererseits war da auch ein unnachgiebiger Schmerz in mir verankert. Ein Schmerz der tiefer zu sitzen schien, als die Sehnsucht nach ihm.

Wie konnte er mich bloß einfach ohne ein Wort des Erklärens hier zurücklassen? Wo er doch genau wusste, dass ich mit ihm bis ans Ende der Welt gegangen wäre. Ich hätte alles mit ihm durchgestanden, alles in Angriff genommen und ihm stets vertraut. Jetzt jedoch war ich mir noch nicht einmal mehr sicher, ob ich ihm jemals alles hätte verzeihen können, sollte er es wagen sich noch einmal bei mir blicken zu lassen.

An manchen Tagen hatte ich mich noch einmal getraut zu seinem Haus zu gehen und mich zu erkundigen, ob es immer noch leer stand. Es blieb nachwievor gänzlich unberührt und mutierte für mich zu einer buchstäblichen Geistervilla. Je mehr Zeit verstrich desto mehr verblasste die Erinnerung an jenen Tag, an dem ich mir Eintritt in das alte Haus verschafft hatte, zu einem gespenstischen Ausschnitt aus einem meiner Bücher. Was geschehen war konnte einfach nicht der Realität entsprechen, so dass ich für mich beschlossen hatte, dass mich meine Gefühle übermannt haben mussten und mir wirre Dinge vorgegaukelt hatten. Manche Menschen konnten sich in extremen Situationen alles Mögliche einbilden. Warum hätte ich also davor verschont bleiben sollen.

Während meinen Überlegungen stahl sich immer öfter der geheimnisvolle Schatten des jungen Mannes in mein Gedächtnis. Das Gefühl bei unserer Berührung war noch so nah, dass ich glaubte es seien erst Minuten vergangen. Manchmal schüttelte es mich heiß und kalt gleichzeitig und ein merkwürdiges Kribbeln machte sich in meinem Magen breit. Ein weiterer Mann in meinem Leben, der mich mehr verwirrte, als das er mir Klarheit schenkte.
 

„Wie fühlst du dich, wenn du bei Jack bist?“, fragte ich ohne Grace dabei anzuschauen.

Ein paar Sekunden kaute sie weiter und schaute mich rätselnd von der Seite an. Man konnte ihr regelrecht vom Gesicht ablesen, dass sie gerade darüber nachdachte, mich zu Fragen warum ich das wissen wollte. Den letzten Bissen in Ruhe hinunter schluckend, seufzte sie einmal kurz und ließ den Stuhl langsam wieder mit allen vier Beinen den Boden berühren. Den Kopf etwas schief legend, musterte sie mich noch einen Augenblick ehe sie feststellen musste, dass ich nicht gewillt war diesen zu erwidern.

„Weißt du das nicht selbst am besten.“, sagte sie schließlich mit einem Ton, den ich nicht deuten konnte.

Unsicher wagte ich nun doch einen Blick in ihre Richtung. Traurig und mitfühlend schaute sie mich an, als wolle sie mir sagen, dass alles wieder gut werden würde. Das hatte mir gerade noch gefehlt.

„Es geht nicht um Nanuk. Beantworte mir doch einfach meine Frage.“, bat ich etwas patzig und schaute wieder aus dem Fenster. Ich wusste, dass sie mir keineswegs glaubte, egal was ich geantwortet hätte.

„Wie soll man das am besten beschreiben.“, resignierte sie nun leise und zögerlich, suchte innerlich noch nach den passenden Worten. „Es ist einfach so, dass mein ganzer Körper verrückt zu spielen scheint, wenn er da ist. Sobald er mir Aufmerksamkeit schenkt, mich anschaut oder mich gar berührt, fühlt es sich an, als würde jede meiner Fasern elektrisiert auf mehr warten. Alles in mir ist so auf Spannung, dass wenn er weg ist und dieses Gefühl nachlässt, mir teilweise sogar schlecht wird. Er lässt mich einfach nicht los und kann mit nur einem Blick mein ganzes Empfinden so auf den Kopf stellen, dass ich nicht mehr weiß, was ich sagen wollte oder noch einen Augenblick zuvor gedacht habe. Ich kann einfach nichts dagegen tun. Es passiert ohne irgendein zu tun von mir. Kein Bad und keine Wärmflasche könnte mich je innerlich so erhitzen.“

Bei dem letzten Satz musste sie zwangsläufig Schmunzeln. Ihr Blick ruhte auf dem großen braunhaarigen jungen Mann, der sich angeregt mit Ben unterhielt, völlig unwissend welche Macht er mit seiner Anwesenheit auszulösen vermochte.

„Das hatte ich befürchtet.“, sagte ich nach einer kurzen Pause deprimiert.

Grace schaute mich fragend von der Seite an. Eine Augenbraue hochziehend rückte sie mit dem Stuhl etwas näher heran und guckte mich an, als hätte ich etwas völlig undenkbares gesagt.

„Was meinst du damit?“, fragte sie scharf und musterte mich mit einem Blick, der mir klar machte, dass jeder Fluchtversuch nun völlig ergebnislos bleiben würde. Warum musste ich auch fragen, dachte ich, mich in Gedanken selbst ohrfeigend. Ich würde es ihr erzählen müssen aber nicht jetzt. Allein diese Tatsache, dass ich es hinauszögern wollte, würde sie fürchterlich wütend machen, dass wusste ich.

„Die Stunde geht gleich weiter. Kommst du heute Abend auf einen Tee bei mir vorbei, dann erklär ich es dir?“

„Du hast verdammt viel Glück, dass ich heute so gute Laune habe. Fängst hier mit so einer Frage an und lässt mich dann ohne eine Antwort im Regen stehen. Das kann jawohl nicht wahr sein.“, empörte sie sich übertrieben und stand langsam auf. „Und wehe dir, du lässt dir bis heute Abend irgendeine fadenscheinige Ausrede einfallen, dann werde ich zu deinem persönlichen Poltergeist.“

Drohend hob sie den Finger in meine Richtung und stemmte die andere Hand in ihre Hüfte. Ich rang mir ein kurzes müdes Lächeln ab und nickte stumm.

Unzufrieden zog sie ihren braunen Pullover wieder ein wenig zurecht und ging schnellen Schrittes die Stufen zu ihrem Platz zurück. Es war irgendwie lustig mit anzusehen, wie sie den Blick nicht von Jack abwenden konnte, während dieser nichts davon bemerkte.

Ich hatte Grace schon lange nicht mehr gefragt, wie es eigentlich um die beiden stand, war ich doch zusehends mit mir selbst beschäftigt gewesen. Heute Abend musste ich das unbedingt nachholen. Nicht nur weil es meine Pflicht als Freundin war, sondern tatsächlich auch, weil es mich interessierte. Dieses ganze Hin und Her ging schon so lange, dass ich überlegte ob ich da nicht einmal nachhelfen sollte. Wobei man mit solchen Ideen ja generell vorsichtig sein sollte, denn meist gingen sie grundsätzlich nach hinten los.

In einer ruhigen Minute versuchte ich einmal so beiläufig wie möglich Ben auszufragen, wie es um Jacks Gefühle bestellt war. So wie es den Anschein machte war auch er nicht abgeneigt von Grace, aber leider dermaßen verunsichert, dass er sich nicht traute auch nur irgendetwas zu tun.

Immer mehr fand ich, dass es sich das männliche Geschlecht in den letzten Jahren wirklich verdammt einfach gemacht hatte. Ich erlebte es nur noch selten, dass ein Mann auf eine Frau zuging oder sonst irgendwie den ersten Schritt wagte. Emanzipation hin oder her aber wenn diese nur bewirkte, dass die Männer sich nichts mehr zutrauten, weil die Frauen einfach zu selbstsicher rüberkamen, dann wollte ich die alten Zeiten wieder haben.

Auf der anderen Seite waren diejenigen, die das Selbstbewusstsein hatten, was sich Frauen wünschten, zum Teil Proleten oder solche, die es einfach schamlos ausnutzten. Ein gesundes Mittelmaß war gänzlich untergegangen.

„Ist hier noch frei?“, riss mich plötzlich eine Stimme aus meinen Gedanken und es fühlte sich an, als hätte mich jemand geohrfeigt.

Erschrocken fuhr ich herum und blickte in das Gesicht der Person, die mich angesprochen hatte. Tiefblaue fast schon azurfarbende Augen musterten mich, auf eine Antwort wartend. Völlig perplex war ich nicht in der Lage etwas zu erwidern. Während meiner Gedankengänge hatte ich nicht bemerkt, dass es um mich herum in der Klasse still geworden war.

„Ich nehme das jetzt mal als ein Ja hin.“, sagte er schließlich und nahm seine Umhängetasche ab und stellte sie neben den Tisch. Ohne mich weiter zu beachten, nahm er auf dem Stuhl Platz, auf dem bis vor wenigen Minuten noch Grace gesessen hatte.

Auf dem vor wenigen Wochen noch Nanuk gesessen hatte, korrigierte ich mich innerlich.

Mit einem Mal schien ich meine Stimme wiedergefunden zu haben.

„Du kannst da nicht sitzen! Der Platz ist schon vergeben!“, raunte ich und plusterte mich ein wenig auf.

Mir einen fragenden Blick von der Seite zuwerfend, verzog er seine Lippen zu einem schnippischen Grinsen.

„Dann wird sich derjenige wohl einen neuen suchen müssen.“

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen und mein Herz begann zu rasen. Blut schoss mir in den Kopf und pulsierte durch meine Adern wie glühende Lava.

„Du?“, stieß ich entsetzt aus und sprang vom Stuhl auf. Dieses Profil, diese perfekte Nase und diese dunkelblonden Strähnen, die sich quer über seine Stirn und die linke Hälfte seines Gesichts gelegt hatten. Das konnte unmöglich ein Zufall sein.

Die ganze Klasse, allen voran Grace, gafften uns fragend an. Keiner wagte etwas zu sagen. Keiner wollte mich bestätigen, dass es Nanuks Platz war. Hatten sie ihn denn schon alle vergessen? Glaubte keiner mehr, dass er zurückkehren würde?

Ich wurde fürchterlich wütend. Zum einen über die Sache, dass sich dieser Typ erdreistete einfach sitzen zu bleiben und zum anderen über meine völlig unangebrachten Gefühle, die aufkamen als ich ihn wiedererkannte.

Verdammt noch mal Grace hatte genau das gesagt, was ich befürchtet hatte, dachte ich zornig und wollte es nicht wahr haben. Ich konnte mich doch nicht in diesen Kerl verknallt haben? Das war dermaßen grotesk, dass ich mich gegen jede noch so kleine Bestätigung dieses Gefühls sträubte.

„Ah du erinnerst dich. Und? Bist du jetzt gesprächiger?“, fragte er amüsiert und lehnte sich lässig nach hinten. Die kräftigen Arme vor der straffen Brust verschränkend, starrte er mich unter seinem Pony hinweg an. Das Gesicht war kantig und mit ein paar Bartstoppeln versehen. An seinem rechten Ohr sah ich einen rubinroten Stecker, der im fahlen Licht der Deckenlampe funkelte und ich glaubte darunter am Hals den Ansatz einer Narbe erkennen zu können. Seine Haut hatte einen goldigen Braunton, welcher einen ansehnlichen Kontrast zu dem eng sitzenden türkisen T-Shirt bot. Auf den Muskelwölbungen an seinen Armen prangten ebenfalls hier und da Narben, als hätte man ihm regelmäßig Klingen über die Haut gezogen.

Bloß nicht noch einer dieser komischen Emo Typen, dachte ich barsch.

Breitbeinig seine helle Markenjeans präsentierend, starrte er mich weiter süffisant grinsend an.

Trotz meiner schier grenzenlosen Wut, fühlte ich wieder genau das, was ich nicht fühlen wollte. Mein Magen verkrampfte sich zu einem Klumpen und meine Hände schienen ein wenig zu zittern, so dass ich bemüht war irgendetwas zu ergreifen, damit man es nicht sah.

Er wirkte so unendlich reifer und erwachsener als alle anderen in meinem Alter. Meine Wut gemischt mit dem unsäglichen Gefühlschaos einer naiven Verliebtheit, machte mich wahnsinnig und ließ mich keinen klaren Gedanken fassen. Trotz allem musste ich zugeben, dass er so wie er das saß unverschämt gut aussah. Und leider war es schon immer dieser Machotyp von Mann gewesen, den Frauen am begehrenswertesten fanden. Zumindest so lange bis sie, trotz allem guten Zureden, kaltblütig ersetzt wurden und ihm Wochenlang bitterlich nachweinten. Das Schlimme war, dass er genau das nur zu gut wusste.

Meine Unterlippe begann zu beben. Ich wollte etwas sagen, wollte aufbegehren und ihn anschreien, was das alles sollte. Die Hände zu Fäusten geballt ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen. Ich wusste beim besten Willen nicht, was genau ich ihm eigentlich entgegen bringen sollte. So unglaublich zornig war ich schon lange nicht mehr.

Von unten warf mir Grace einen fragenden Blick zu, zuckte kurz mit den Schultern und hob etwas die Hände als wolle sie mich fragen, was mit mir los sei.

„Also immer noch verbissen schweigsam.“, lachte er spöttisch und nahm die Hände hinter den Kopf, den Blick wieder nach vorn gerichtet.

Ich hätte explodieren können und die gesamte Schuleinrichtung durch die Gegend schmeißen können, so wutentbrannt war ich. Mein Herz raste weiter unsichtbar hinter meiner Brust und ließ mich das Rauschen meines Blutes deutlich hören.

„Solltest du dich doch noch einmal um entscheiden, mein Name ist Matthew Hunt. Du kannst mich Matt nennen.“, seine klare tiefe Stimme drang an meine Ohren. Unweigerlich sträubten sich mir meine Nackenhaare. Ich wollte seinen verdammten Namen gar nicht wissen. Gar nichts wollte ich von ihm wissen. Das war Nanuks Platz und niemand anders hatte das Recht dort zu sitzen. Und dann auch noch dieses fast schon schmerzende Pochen in meiner Brust. Am liebsten hätte ich mir mein Herz herausgerissen und wäre darauf herum gesprungen, bis es nicht mehr geschlagen hätte und mir nicht länger sagen konnte, was ich wohl für ihn empfand. Wasser schoss mir in die Augen und ich wünschte mir von Sekunde zu Sekunde mehr, ich könnte einfach im Boden versinken. Doch es war zu spät.

Der Lehrer betrat den Raum, schloss die Tür hinter sich und somit fiel mein einziger Fluchtweg zu. Ich hatte jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder schaffte ich es mich schleunigst wieder zu fangen oder ich musste noch kurz die Frage herauspressen ob ich mal auf die Toilette dürfte. Ich glaubte zwar nicht daran, dass er mich gehen ließ, da gerade erst Pause war, aber die Gewissheit nahm immer mehr zu, dass ich nicht in der Lage war mich wieder zusammenzureißen.

„Mr. Bates? Dürfte ich nochmal kurz auf die Toilette, es wäre dringend.“, sagte ich und versuchte das Brechen meiner Stimme so gut es ging zu verbergen.

Einen kurzen fragenden Blick zu mir hoch werfend, hatte er gerade seine Bücher auf dem Lehrerpult positioniert.

„Wenn es denn sein muss.“, brummte er und holte auch den letzten Rest seiner Arbeitsutensilien aus der ledernen Tasche.

Hastig schob ich meine Hintern vom Stuhl und schlug den Weg zu den Stufen an, als ich noch im Vorbeigehen, das selbstsichere Grinsen von Matthew Hunt sah. Wie gern wäre mir das erste Mal in meinem Leben die Hand ausgerutscht.

Die Klassentür hinter mir zuziehend, blieb ich einen Moment tief einatmend stehen. Das nun folgende Getuschel in der Klasse war mir schrecklich egal. Seit Nanuk fort war spotteten eh schon alle über mich also würden sie nun nichts Neues tun, sondern höchstens ein neues Thema anschlagen.

Auf etwas wackeligen Beinen ging ich den leeren Flur entlang. In meinem Kopf rauschte noch immer das Blut und mein Magen krampfte sich zusehends mehr zusammen. Langsam sammelte sich Speichel in meinem Mund, als ich meine Schritte beschleunigte. Ein merkwürdig beklemmendes Gefühl ließ mich schnell hintereinander Schlucken, als ich das allseits bekannte spannen hinten im Rachen spürte. Nun rannte ich. Mit meiner letzten Kraft die schwere Tür aufschwingend, stürzte ich auf eine Toilette zu und umarmte schleunigst das Porzellan.

Mittlerweile war das Erbrechen nichts Neues mehr für mich aber irgendetwas erschien heute anders. Hitze stieg in mir auf und ich spürte, wie ich zu schwitzen begann und mein Bewusstsein sich langsam verabschiedete. Mein Kreislauf machte mir heute einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Den Mund benommen an meinem Pullover abwischend, stemmte ich mich mit meiner letzten Kraft in die Höhe. Vorsichtig versuchte ich mich ans Waschbecken zu bewegen und war bemüht den Kontakt zur Wand nicht zu verlieren. Gerade als ich nach dem Wasserhahn greifen wollte, verließ mich mein Wille und mir wurde schwarz vor Augen. Ich spürte noch, wie ich mit dem Kopf auf das Becken aufschlug und mir die rote Suppe ein warmes Kissen auf den kalten Fliesen bereitete.
 

„Du machst mich fertig, weißt du das? Willst du dich umbringen, ohne das es so aussieht oder was soll das alles?“, maulte Grace und ihre Gesichtszüge waren müde und schlaff.

„Wie oft soll ich das denn noch sagen. Ich hatte einen Schwächeanfall. Vermutlich werde ich krank. Was weiß denn ich! Glaub mir doch einfach!“, fauchte ich und war unendlich genervt davon, dass sie mir bereits seit über einer Stunde immerzu dieselben Fragen stellte.

Mikosch hatte sich schon lange aus meinem Zimmer gestohlen und der Tee der auf dem Stövchen stand musste bereits kalt sein. Grace erzählte mir, dass ich einfach nicht von der Toilette wiederkam und sie schließlich nachschauen wollte wo ich blieb. Sie fand mich in einer Blutlache liegend und dachte zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ich sei Tod. Langsam fand ich es wirklich lästig.

Ich hatte sonst nie großartig etwas gehabt, war selten krank gewesen und kann mich nicht erinnern, mir je etwas gebrochen zu haben. In letzter Zeit war ständig irgendwas. Ich hatte das Gefühl mein Körper brütete irgendetwas aus. Irgendeine Krankheit die einfach nicht ausbrechen wollte. Richtig akut wurde es jedoch erst, als ich Matt das erste Mal auf dem Spielplatz traf. Vielleicht verstärkten diese pulsierenden Gefühle mein Unwohlsein nur noch mehr. Insgesamt erschien mir jedoch alles so schrecklich schwachsinnig, dass es unmöglich so seine Richtigkeit haben konnte. Ich war wie eine tickende Zeitbombe und völlig unwissend, was passieren würde, wenn sie hochging.

Der dicke Verband um meinen Kopf juckte und ich hatte nichts womit ich kratzen konnte. Schlimm würde die Verletzung nicht sein, sonst hätte mich Grace nach meinem Besuch im Krankenhaus nicht nach Hause gebracht. Ein wenig brummte mir noch der Schädel und ich hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend, was sich genauer betrachtet als Hunger herausstellte.

Nach unsäglich langem Schweigen seufzte Grace leise und lehnte sich etwas nach vorn. Stunden saß sie neben meinem Bett am Boden und hatte sich an den alten Kleiderschrank gelehnt, während ich in meinem Bett lag und aus dem Fenster starrte.

„Es tut mir Leid.“, begann ich flüsternd. „Ich weiß auch nicht was mit mir los ist. Irgendwie überschlägt sich im Moment alles.“

„Ist schon gut. Ich weiß einfach nur nicht wie ich damit umgehen soll. Ich würde dir gern helfen aber habe keinen blassen Schimmer, wie ich das anstellen soll.“

„Ich glaube mir ist nicht zu helfen.“, antwortete ich trocken und zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. Zu oft in letzter Zeit musste ich diese einfache Lippenbewegung herbeizwingen. Ich fragte mich, wie lange das noch anhalten würde.

„Sagst du mir jetzt wenigstens, was es mit dieser Frage heute auf sich hatte?“, wollte sie wissen und schaute mich von unten an.

„Wenn du dich mit aufs Bett setzt?“, antwortete ich, denn ich wollte sie nicht mehr auf dem Boden sitzen sehen.

Mühselig erhob sie sich und rieb sich den Hintern, der ungemein schmerzen musste. Tief ausatmend schob sie sich neben mich unter die Decke und warf mir einen Bist-du-nun-zufrieden-Blick zu.

Da ich nicht all zu viel Kraft hatte, versuchte ich ihr die Geschichte mit Matt so kurz und knapp zu berichten, wie es eben möglich war. Zwischenzeitig runzelte sie etwas die Stirn oder konnte sich ein kurzes Schmunzeln nicht verkneifen, bis sie schließlich verstand warum ich mich so komisch verhalten hatte.

„Du hast dich in ihn verknallt und willst nicht akzeptieren, dass jemand so schnell Nanuks Platz hätte einnehmen können und noch dazu brütest du irgendeine Krankheit aus, von der du keine Ahnung hast was es sein könnte. Trifft es das ungefähr?“, fasste sie mehr für sich als für mich, meinen Monolog zusammen.

„Er nimmt von niemandem den Platz ein und ich hab mich nicht in ihn verknallt.“, brummte ich und schaute sie schief von der Seite an.

Eine Augenbraue hochziehend starrte sie skeptisch zurück.

„Na gut. Ich habe keine Ahnung ob man es als Verknallt bezeichnen kann aber irgendetwas ist da.“, räumte ich ein und zuckte mit den Schultern.

„So Leid es mir tut dir das sagen zu müssen aber der Kerl hat es dir voll und ganz angetan und das du dich so dagegen sträubst, macht es nur noch eindeutiger. Bei mir war das zu Beginn sehr ähnlich. Ich wollte es auch nicht wahrhaben und habe es vor mich her geschoben. Ich hab versucht tausend andere Gründe für meine Gefühle zu finden und redete mir ein, dass es nicht lange anhalten würde. Das es nur eine kurze Phase sei, die sich wieder legen würde. Dem war nicht so. Ich mochte ihn immer mehr und sehnte mich immer stärker nach seiner Nähe. Nimm es einfach hin. Deine Gefühle spielen nicht nach deiner Pfeife. Das macht das Leben doch so interessant, nicht wahr.“, lächelte sie sanft und stupste mich von der Seite an.

„Ich glaube da noch nicht dran. Guck ihn dir doch an. So ein Prolet und Frauenheld. Das kann unmöglich sein!“, empörte ich mich. Eigentlich hatte ich mir doch die Antwort auf all das Übel schon gegeben. Frauen fühlten sich immer von dem größten Macho angezogen, weil er am selbstsichersten und stärksten rüberkam. Was für ein Elend, dachte ich und hätte mich am liebsten unter meiner Decke verkrochen und wäre so schnell nicht wieder hervorgekommen. Dem Schicksal würde ich mich keinesfalls ergeben. Und wenn ich ihn so fürchterlich genau unter die Lupe nehmen müsste, um meinen Gefühlen ein Schnippchen zu schlagen. Ich würde irgendetwas finden, was diese Laune ausmerzen musste.

„Fragt die Liebe je nach einem Grund?“, seufzte Grace und lächelte mir aufmunternd zu.

„Nein. Die Liebe setzt keine Gründe voraus, denn sie ist einfach da und gibt uns Kraft wo keine ist, spendet uns Wärme in den kältesten Momenten und schenkt uns Licht in der tiefsten Dunkelheit.“, antwortete ich und spürte wie meine Stimme zum Ende hin zu zittern begann. Tränen stiegen mir in die Augen und ich wusste noch nicht einmal wirklich warum.

„Siehst du. Liebe ist etwas Vollkommenes. Lass es einfach zu, dass sie dich einnimmt und dir all das Gute einfach überlässt.“, flüsterte sie mir zu als sie mich in den Arm nahm.

„Aber auch Liebe fordert immer ihren Preis, nur ist er uns nicht sofort ersichtlich.“, sagte ich leise.

Grace schwieg und das verriet mir, dass sie durchaus wusste was ich meinte. Schluchzend lag ich in ihren Armen und wollte nichts weiter als meinen Frieden zurück. Nichts war wie zuvor. Das einzige was blieb, waren die Erinnerungen an eine andere Zeit und der Glaube, an eine bessere Zukunft.

Ich drückte sie noch etwas fester, wohlwissend das ein Teil meiner Zukunft sich schon verbessert hatte. Keine Beziehung vermochte es den Wert einer wahren Freundschaft aufzuwiegen. Das wusste ich nun und ich hoffte, ich würde es nie wieder vergessen.

„Das wird schon alles wieder. Auch diese Phase deines Lebens wird vorüber gehen und auch jede Krankheit hat irgendwann ihr Ende. Warte ein wenig ab und lass dir Zeit, die ganze Sache mit Nanuk zu verdauen, bevor du dich in etwas Neues stürzt.“, riet mir Grace mit einem fast mütterlichen Ton.

„Du hast Recht. Das wird wohl das Beste sein.“, nuschelte ich und wischte mir mit der Decke die Tränen aus dem Gesicht. „Wenn es bloß nicht alles so fürchterlich weh tun würde.“

„Gib dir keine Schuld daran. Man neigt gern dazu sich selbst die Schuld zu geben, wenn man das Verhalten eines anderen nicht versteht. Nanuk ist gegangen weil er vermutlich gehen musste. Das er dir nichts sagte, ist nicht zu verzeihen aber auch dafür wird er einen Grund haben und den hat er für sich selbst beschlossen. Du hast ihm keinen Grund eingeredet.“

„Ja. Vermutlich.“, flüsterte ich. Langsam spürte ich, wie ich ruhiger wurde. Unendlich dankbar für ihre Anwesenheit, genoss ich jeden Moment. Die Vertrautheit, die sich in den letzten Wochen zwischen uns aufgebaut hatte war wie Balsam für meinen rastlosen Geist. Erst jetzt merkte ich, wie reifer und empathischer sie stets wurde. Sie hatte einfach einen Draht zu den Menschen um sie herum, warum vermutlich viele mit ihren Problemen zu ihr kamen. Stets hatte sie ein aufmunterndes Wort oder einfach nur eine freie Schulter, an die man sich anlehnen konnte.

„Danke“, sagte ich schlicht. Ein so kleines Wort und dennoch steckte so viel Gefühl dahinter.

Sie lächelte stumm.
 

Ich war für den Rest der Woche krankgeschrieben und man verschrieb mir diverse Medikamente und Proteinpräparate, die mich wieder aufpäppeln sollten. Tatsächlich ging es mir nach und nach ein wenig besser. Mit der Zeit fand ich etwas Ruhe und schaffte es meine Gefühle rasten zu lassen. Nach der Schule besuchte mich Grace jeden Tag und berichtete mir von Matt, der sich wohl schon in den ersten Tagen mit drei Mädchen verabredet hatte.

„Was hab ich dir gesagt. Der absolute Prolet. Und alle fallen drauf rein.“, ärgerte ich mich, als wir am Küchentisch saßen und in unserem Nudelauflauf herumstocherten.

„Trotzdem kann man nichts dagegen sagen, dass er weiß wie er die Frauen rumzukriegen hat. Ich frag mich nur, was er damit bezwecken will. Glaubst er führt Strichliste und will irgendeinen Rekord aufstellen oder sucht er tatsächlich einfach nur nach der Richtigen?“, grübelte Grace und starrte einen Moment in Gedanken aus dem Fenster in den grau verhangenen Himmel hinaus.

„Es ist mir ziemlich egal warum er das tut. Ich weiß nur, dass ich definitiv keiner seiner blöden Striche sein werde. Mal ganz davon ab, dass ich nicht glaube, dass ich seinem Beuteschema entspreche.“, grummelte ich und störte mich keinesfalls an dem Gedanken.

„Wieso bist du dir da so sicher? Du warst ja kaum nach seinem Eintreffen krank. Wie sollte er dich da fragen können?“, grinste sie schelmisch und stopfte sich eine Gabel voll Nudeln in den Mund.

Das war tatsächlich ein Gedankengang, der mir so noch nicht gekommen war.

„So ein Blödsinn.“, blockte ich die Vorstellung sofort ab.

„Wir werden sehen.“, nuschelte Grace und grinste mich verschmitzt von der Seite an.

Für den Bruchteil einer Sekunde und völlig aus dem Zusammenhang gerissen, spielte sich plötzlich dieser Film vor meinem geistigen Auge ab.

Ein einsamer abgelegener Ort, der Mond schien klar und hell, leise surrte die Heizung des Autos, während sich zwei Gestalten im Zwielicht der Nacht ihrer Leidenschaft hingaben.

„Oh mein Gott!“, rief ich aus und sprang vom Stuhl auf. „Was ist bloß los mit mir? Das ist ja schrecklich!“

Erschrocken zuckte Grace unmerklich zusammen und starrte mich irritiert mit ihren nussbraunen Augen an. Einen Moment in ihrer Position innehaltend musterte sie mich still, wie ich nun murrend in der Küche auf und ab Schritt.

„Sollte ich mir jetzt Sorgen machen?“, fragte sie skeptisch.

„Jetzt ist alles aus“, offenbarte ich melodramatisch.

Ich blieb stehen und fuhr mir durch die Haare. „Ich hab Fünf-Sekunden-Fantasien“

„Was hast du?“

„Kennst du das nicht? Einem kommt plötzlich dieser Gedanke, der sich innerhalb von fünf Sekunden in deinem Kopf abspielt aber in dem du Stunden oder gar Wochen vorbei fliegen lässt?“

„Oh nein!“, stieß sie wohlwissend aus und musste herzhaft auflachen. „Was war es? Der schmutzige One-Night-Stand oder das romantische Candle Light Dinner?“

„Frag nicht“

Schwer ausatmend ließ ich mich wieder auf den Stuhl fallen und senkte den Kopf auf die abgelegten Unterarme. „Das ist alles ein Traum. Ein Alptraum.“

„Du übertreibst. Findest du nicht?“ Genüsslich aß sie weiter und blickte mich nun völlig unbeeindruckt von der Seite an. „Betrachte ihn doch als nettes Trostpflaster um über Nanuk hinwegzukommen“

„Da gibt es nichts wo ich drüber hinwegkommen müsste. Er ist fort. Er hat mich allein gelassen. Er hat unsere Freundschaft verraten. Fertig.“

„Du wirst nie vorwärts kommen, wenn du nicht ehrlich zu dir selbst bist. Aber das musst du langsam mal selbst wissen“, sagte sie in einem besserwisserischen Ton und stand auf. Routiniert stellte sie den Teller in die Spülmaschine, nahm sich einen Lappen und wischte den Tisch ab.

Es war ruhig geworden zwischen uns. Minutenlang redete keiner. Sie wusste nur zu gut, dass sie einen empfindlichen Nerv getroffen hatte. Natürlich wusste ich, dass die Behauptungen nichts weiter als dumme Abwehrreaktionen waren. Ich hatte durchaus auch meinen Teil zu der Situation beigetragen aber das machte das Gesamtbild auch nicht angenehmer für mich.

„Ich weiß es doch“, gestand ich letztlich mit einem bissigen Unterton und schob den Teller von mir weg.

Mitfühlend lächelte sie bedrückt und stellte meinen Teller ebenfalls in die Spülmaschine.

„Ich werde dann mal so langsam gehen. Es ist schon spät. Im Gegensatz zu dir muss ich morgen schließlich wieder in die Schule“, stichelte sie und stupste mich etwas in die Seite.

Brummig stand ich auf und geleitete sie zur Tür, wo sie sich in die dicke Daunenjacke einpackte.

„Weißt du schon, wann du wieder in die Schule kommen kannst?“

„Nächste Wochen will der Arzt noch einmal schauen, ob die Aufbaupräparate anschlagen und sich die Naht an meinem Kopf anschauen. Ich denke danach werde ich dann endlich auch wieder unter den normal Sterblichen verweilen dürfen“, entgegnete ich trocken. Diese ganzen Arzttermine hingen mir mittlerweile zum Hals heraus. Zumal sie bislang keinerlei Erfolg versprachen. Eher noch hatte ich fortwährend das Empfinden es würde sich schleichend verschlechtern.

Seufzend wünschte sie mir noch einen einigermaßen angenehmen Sonntag und schlug mir vor, ich könnte ja Matt anrufen sollte es mir langweilig werden.

„Sieh bloß zu das du Land gewinnst!“, schimpfte ich böse grinsend und beobachtete noch einen Moment, wie sie lachend die Straße hinunter ging.

Der nun wieder herrschenden Einsamkeit wegen schwer atmend, schloss ich die Tür hinter mir und starrte die Treppe hinauf. Ich horchte in die Stille, die mich umgab und hoffte darauf irgendetwas zu vernehmen. Etwas was mir wenigstens die Einbildung erleichtern könnte, dass ich nicht wieder alleine war. Vergeblich. Es herrschte Totenstille.

Selbst der Kater schien sich vollends meinem Blickfeld entzogen zu haben, so dass ich mich seufzend die Treppe hoch schleppte. In Gedanken sammelte ich die Wäsche von Fußboden meines Zimmers auf und warf sie in den Korb im Bad. Schweigsam überflog ich den Spiegel und erhaschte einen Blick auf mein fahles ausgezehrtes Gesicht. Ich zuckte erschrocken zusammen und blickte nochmals auf, nun einen genaueres Auge auf meine Erscheinung werfend. Meine Wangen waren eingefallen, dunkle Ringe umrandeten meine müden Augen und meine Lippen schienen spröde und an manchen Stellen aufgerissen.

War das wirklich ich? Was hatten die letzten Wochen bloß aus mir gemacht. Immer noch wartete ich darauf, dass dieser Virus oder was auch immer, in mir ausbrach, ich ein paar Tage ordentlich krank war und dann Ruhe einkehren würde. Aber es geschah einfach nichts. Ich wurde nicht wirklich krank aber fühlte mich auch nicht vollends gesund. Mein Wohlbefinden schwebte in irgendeinem Zustand, zwischen beidem und machte mich wahnsinnig.

Lange würde ich das mit Sicherheit nicht mehr durchhalten. Jeden Tag zehrt es an den Nerven und anscheinend auch auffallend an meinem Körper. Vielleicht sollte ich mich auch einfach nur dazu zwingen mir einzugestehen, dass ich das Verschwinden von Nanuk keinesfalls verwunden hatte. Nur wie lange sollte das noch so weitergehen. Bis er wieder da sein würde? Vielleicht kam er nie mehr zurück.

Langsam schritt ich in mein Zimmer zurück und ließ mich müde auf die Fensterbank fallen. Kaum merklich lehnte ich meinen schweren Kopf gegen das kalte Glas und starrte in den Garten hinaus. Es vergingen einige Augenschläge, bis mir etwas auffiel was nicht ins Bild passte. Er war wieder da. Der Schatten am alten Pass der in den Wald hinauf führte. Ich blinzelte einmal. Der Schatten rührte sich nicht und nahm für mich noch deutlichere Umrisse eines Menschen an. Ich blinzelte ein zweites Mal. Nichts. Es war weg.

Völlig irritiert richtete ich mich auf und fixierte die nähere Umgebung aber auch dort fiel mir nichts weiter auf. Eine Augenbraue hochziehend sackte ich wieder etwas in mich zusammen. Meine Kraft reichte noch nicht einmal mehr wirkliches Erstaunen oder Neugierde zu zeigen.

Das Bild von eben schob sich noch mal unauffällig zwischen meine Selbstmitleid verherrlichenden Gedanken.

Glühte da beim Schatten ein kleiner orangener Punkt auf?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Taroru
2011-06-22T00:27:36+00:00 22.06.2011 02:27
muss ich eigentlich noch irgendwie zu sagen? ;p
meine meinung kennst du ja schon *lach* XD
also schreib weiter weiter weiter weiter weiter und das ganz schnell ;p
ich platze sonst noch vor ungeduld ^^

und ich sage es trotzdem noch mal *lach*
ich finde es super geschrieben ^^ ich mag wie es aus ihrer sicht geschilder wird, ich kann mit ihr richtig mitfühlen ^^ und werde praktisch in den bann der story gezogen XD
meine neugierde ist jedenfalls nach wie vor vorhanden ;p
also lass mich bitte nicht zu lange warten *knuff* ^^


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