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Der Begierde hilflos verfallen

TheGazettE x MUCC
von

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Fast

Diesmal schenke ich mir daheim nach dem langen Arbeitstag nur ein Wasser ein.

Während das Wasser sprudelnd das Glas füllt, schaue ich enttäuscht aus dem Fenster.

Die Sonne ist längst untergegangen und nur das künstliche Licht der Stadt verdrängt die Dunkelheit, die uns zu überwältigen droht.

Ich frage mich…

…wie Tatsuro mich nur fallen lassen kann?
 

Fluchend drehe ich den Wasserhahn zu, als das Wasser schon über meine Hand fließt.

„Idiot!“

Das Schimpfwort war eher an Tatsuro gerichtet.

Wütend trockne ich das Glas mit einem Tuch ab.

Ich nehme einen kräftigen Schluck und entscheide mich noch ein bisschen auf der Coach zu relaxen und den Fernseher anzuschmeißen.

Aber ich bezweifle, dass irgendwas Interessantes läuft…irgendwas, was mich beruhigen könnte.

Im Türrahmen zum Wohnzimmer bleibe ich erschrocken stehen und lasse dabei das Glas zu Boden fallen. Zum Glück beinhaltet es nur Wasser und zum Glück habe ich im Wohnzimmer Teppiche. Scherben bringen schließlich kein Glück.

„Du hast sehr schlechte Reflexe.“

Ich hebe das unversehrte Glas wieder auf und versuche dabei, das freudige Zittern zu unterdrücken…den Drang…auf der Stelle zu springen und zu tanzen.

Ist das nur ein Traum?

„Ich bin eben kein Vampir wie du.“

Dann entschließe ich mich etwas zu tun, was ich Tatsuro als Mensch natürlich nicht zugemutet hätte.

Aufgebracht doch zugleich neugierig schmeiße ich ihm das Glas entgegen.

Mühelos fängt er es kurz vor seinem Gesicht auf und grinst mich dabei an.

Genau das was ich erwartet habe.

„Was ist los? Ich bin doch gekommen, wie du es wolltest.“

Ich schnaufe auf, lasse jedoch einen beeindruckten Blick über ihn schweifen.

„Aber ich dachte, du wolltest erst morgen kommen? Außerdem hast du nicht mehr geantwortet…und stattdessen erschreckst du mich wieder unangekündigt in meiner eigenen Wohnung! Irgendwann bekomme ich wegen dir noch einen Herzinfarkt.“

Meine etwas zu schnellen Sätze verhaspeln sich fast ineinander, aber ich lasse mir nichts anmerken.

Er kann sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue…

Um meinen Sätzen etwas Nachdruck zu verleihen, verschränke ich die Arme.

Unbekümmert bleibt er auf der Coach sitzen.

Wie als würde er bei sich zu Hause sein, hat er sich locker zurückgelehnt und einen Arm über die Coachlehne gelegt.

„Ich hatte kein Geld mehr auf dem Handy. Außerdem ist es sowieso besser wenn du durch einen Herzinfarkt als…durch einen Übergriff stirbst oder?“

Ich rolle mit den Augen.

Er schafft es doch immer wieder dieses alte Thema anzuschneiden und das obwohl ich bisher keinen einzigen Kratzer abbekommen habe. Er hat mich nicht mal ansatzweise verletzt.

Gut…das fast gebrochene Handgelenk kehre ich mal unterm Teppich.

„Naja, ist ja völlig egal wie ich sterbe. Hauptsache letztendlich tot, oder?“

Besserwisserisch grinsend verzieht er nur kurz das Gesicht.

„Es ist deine Entscheidung.“

Ich winke ab und versuche ihm nicht am Ende doch noch einen Grund zur wiederholten Diskussion zu geben.

„Aber du hättest auch einfach Geld auf dein Handy laden und dann antworten können.“

Kurz zuckt er unernst mit den Augenbrauen.

Er wäre nur allzu gern auf eine Diskussion eingegangen.

„Und…wenn ich dir sage, dass der Akku leer war?“

Ich verenge meine Augen zu Schlitzen.

Ich hasse es, wenn er anfängt mit mir zu spielen und auf irgendeinen Wutausbruch wartet.

Vielleicht denkt er, er könnte mich damit vergraulen. Leider weit gefehlt.

Halb wütend, halb zögerlich schaue ich ihn an, während er nur reglos zurückstarrt.

Als sich nichts tut, senkt er ohne Vorwarnung den Blick und steht gezwungen von der Coach auf.

„Aber du hast Recht…Ich hätte mich vorher ankündigen sollen.“

Was??

Sofort setze ich mich in Bewegung.

Denn das er jetzt geht…ist das letzte was ich gewollt habe.

„Warte! Geh nicht!“

Bitte…

Leicht erstaunt schaut er auf meine zittrigen Hände, die seinen Arm gepackt haben.

Peinlich berührt lasse ich ihn wieder los.

Mein Gott, was tue ich da??

Wir verharren noch einige Sekunden, bevor er antwortet.

„Du willst…also wirklich, dass ich bleibe?“

Nichts lieber als das.

Ich schaue zu ihm hoch und nicke zurückhaltend.

Darauf bedacht keine hektischen Bewegungen zu machen…so als würde er wie ein scheues Reh einfach von mir davonlaufen…

„Du bist jederzeit willkommen. Ich war nur etwas aufgebracht…weil du mir nicht mehr geantwortet hast und ich schon…das Schlimmste befürchtet habe…“

Fragend dreht er sich zu mir.

„Das Schlimmste?“

Ich will es nicht ausführen…oder gar länger darüber nachdenken.

Es ist einfach ein schrecklicher Gedanke.

Also zucke ich nur beiläufig mit den Schultern.

„Ach…das du halt wieder versucht, den Kontakt abzubrechen oder sowas.“

Er setzt sich wieder auf die Coach, diesmal aber völlig steif. So als würde er sich bereit halten, jeden Moment aufzuspringen.

„Du willst darüber nicht reden…Ich weiß. Aber…das wäre viel gesünder für dich…wenn-“

Ich schüttele heftig den Kopf.

Um meine Reaktion zu verstärken, würde ich sogar, wenn ich könnte, die Zimmerwand hochlaufen, über die Decke rennen, und auf der anderen Seite wieder abspringen.

„Ich will darüber nicht diskutieren, weil das Thema schon längst abgehakt ist!“

Betonend setze ich mich neben ihm auf das Sofa und umschlinge besitzergreifend seinen Arm. Angestrengt kämpfe ich dagegen an ihn wieder loszulassen.

Sichtlich verwirrt schaut er auf mich herab, dann seufzt er kurz.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, als ich von der Seite her seinen undefinierbaren Blick sehe.

Es tut irgendwie weh…

Seine darauffolgende Stimme klingt irgendwie komisch…so als wollte er eigentlich etwas anderes sagen.

„Ist dir nicht kalt?“

Ich umklammere seinen Arm fester.

„Nö.“

Seine Temperatur ist kühler als meine, aber es ist nicht so, dass ich erfriere.

Und auch wenn? Das Erfrieren nehme ich gerne in Kauf.

Als würde ich nicht schon jetzt in jeder Sekunde mit ihm den Tod herausfordern…

Jetzt klingt seine Stimme wieder leicht ironisch.

„Du…bist wie ein Kind.“

Ich grinse.

„Mir doch egal.“
 

Ding Dong!

Fast flehend versuche ich Tatsuro auf dem Sofa zu halten, doch er steht mühelos auf und reißt mich mit nach oben.

„Du musst aufmachen, Uruha.“

Stur klammere ich mich weiter an seinen Arm.

Denn wann werde ich wieder die Gelegenheit dazu haben seine normalerweise unantastbare Nähe zu genießen?

„Nein!“

Mit Leichtigkeit zerrt er mich von sich weg. Als würde ich freiwillig nachgeben.

Ding Dong!

„Du musst.“

Hartnäckig bleibe ich bei ihm stehen.

Wenn er schon hier ist…dann muss er auch bleiben.

„Ich…ich gehe nur, wenn du nicht abhaust!“

Nach kurzem Überlegen gibt er sich geschlagen.

Was anderes hätte er nicht erwarten können.

„Na gut…Wenn der Besuch weg ist, bin ich wieder hier, ok?“

Begeistert kneife ich die Augen zusammen und unterdrücke einen zu lauten Jubelschrei.

„Yeah!“

Doch als ich wieder die Augen öffne, bin ich allein.

Ich hoffe…er hält sich an die Abmachung…

Ding Dong!

„Mann, was für eine hartnäckige Person!“

Wütend blicke ich auf die Uhr, während ich zur Tür eile.

Welcher Idiot nimmt sich das Recht meine Zweisamkeit mit Tatsuro zu stören?? Und noch zu dieser Uhrzeit…

Mit unnötiger Gewalt reiße ich die Tür auf.

Und mit einer unnötigen Geschwindigkeit schlüpft der Besucher schnell an mir vorbei in meine Wohnung.

„Hey!“

Ich drehe mich um und erblicke Reita, der mich nett anlächelt.

Aber ich erkenne, dass es hinter seiner Fassade mächtig brodelt…

„Hey, wie geht’s so? Ich dachte mir mal, dass ich dich besuche.“

Grummelnd verenge ich die Augen.

Bevor ich antworten kann, eilt er schon von einem Fleck zum Nächsten und sieht sich neugierig in meiner Wohnung um. Zerknirscht laufe ich ihm nach.

Er kennt doch meine Wohnung schon oder erwartet er Tatsuro hier zu finden?

Tss…da kann er aber lange suchen. Vielleicht schafft er es mit einem Vampirradar.

Aber genug damit. Mein gutes Recht ausnutzend zerre ich an sein ärmelloses graues Kapuzenshirt. Dabei muss ich denken, dass es so typisch für ihn ist, dass er seine trainierten Oberarme zeigen muss.

„Hey, jetzt bleib mal stehen. Was willst du hier, Muckiboy?!“

Hat er etwa vergessen, dass wir derzeit Feinde sind? Der Andere kann nicht so einfach in das Terrain des Anderen eindringen und so tun als wäre alles in Ordnung. Das ist ein schwerwiegender Regelverstoß. So…funktioniert Krieg nicht.

Er bleibt tatsächlich stehen und schaut mich wieder übertrieben lächelnd an.

Es ist so falsch, dass mir kurz ein Bild des Trojanischen Pferdes in den Sinn kommt.

Seine Antwort lässt mich stutzen.

„Ich möchte mit dir reden.“

Wenigstens kennt er die Spielregeln: Umgehung des Regelverstoßes durch Hissen der weißen Flagge.

Bevor ich aber agieren und ihm zugleich Glauben schenken kann, geht er schon in Richtung Küche.

Leise fluchend folge ich ihm.

Ist er hierher gekommen, um zu reden oder um Fangen zu spielen?
 

In der Küche setzt er sich schnell an den Tisch und zeigt auf den Platz gegenüber von ihm.

Ich wäre lieber stehen geblieben.

„Ähm…nur aus Höflichkeit, aber willst du irgendwas trinken?“

Ich stelle diese Frage wirklich aus Höflichkeit, aber zugleich auch um die Lage zu überprüfen.

„Ne.“

Gut, das heißt, dass er nicht lange bleiben wird.

Erleichtert gehe ich seiner Aufforderung nach und setze mich stumm hin, wartend darauf, dass er anfängt mir ein Friedensangebot zu machen.

Lange warten muss ich nicht.

„Weißt du…ich habe nachgedacht. Dieser ganze Streit…das muss endlich ein Ende haben, findest du nicht auch?“

Ich merke wie ich leicht ungehalten werde und ihn gereizt fixiere.

Ein Ende des Streites ist genau das was ich will…aber…nicht so.

An seiner Stimme…und an seiner Haltung merke ich, dass er nicht einverstanden ist. Seine Worte sind völlig widersprüchlich zu seinem Denken.

Also wieso sagt er das dann?

„Wenn du es nicht so meinst, dann sage so was nicht.“

Sein Gesicht wird ernst und er lehnt sich leicht vor.

Die gespielte Freude ist wie weggeweht. Sein Zorn aber immer noch gut versteckt.

„Ich tue das für Ruki.“

Ich kann es einfach nicht glauben.

Soll er etwa eine billige Vertretung darstellen??

Das reizt mich so sehr, dass ich gar nicht darauf achte was ich sage.

„Wenn Ruki sich mit mir vertragen will, dann soll er gefälligst persönlich zu mir kommen und nicht irgendein Schoßhündchen schicken!“

Etwas zu angriffslustig.

Aber Reitas Wutgrenze habe ich ohnehin schon längst überschritten.

„Pass auf, was du da sagst! Ruki hat mich nicht geschickt, ich bin selber auf diese verdammt blöde Idee gekommen!“

Er ist von seinem Platz aufgestanden, ich tue es ihm gleich.

„Ja, man merkt wie sehr du an eine Versöhnung interessiert bist! Wieso könnt ihr beide mich nicht endlich in Ruhe lassen?!!“

Ich habe echt keinen Bock auf das Ganze.

Wenn sie schon keinen Frieden haben wollen…dann sollen sie mich wenigstens nicht nerven.

Als hätte er mich überhört, sieht er mich vorwurfsvoll an.

So vorwurfsvoll…als würde er mich eines Mordes beschuldigen.

„Aoi hat mir erzählt, dass du jemand kennen gelernt hast! Wer ist es Uruha?? Wer?“

Aoi, diese Plappertasche. Habe ich ihn nicht angelogen??

Aber er kennt mich wohl zu gut…und Reita schließt daraus leider die falschen…beziehungsweise die richtigen Schlüsse.

Ich will es nicht…aber ich schreie ihn an.

Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr mich der Streit zusetzt.

„Das geht euch ein Scheißdreck an!! Wieso mischt ihr euch da überhaupt ein?? Das ist ja wohl mein Problem!“

Als ob ich nicht schon genug Probleme hätte…

Wütend schlägt Reita lärmend auf den Tisch.

„Ist es also doch Tatsuro?? Bitte sag mir, dass du dich nicht mehr mit ihm triffst!“

Trotzig schnaufe ich auf.

„Tue ich aber.“

„Sag es, Uruha!“

Auffordernd geht er um den Tisch und fixiert mich bedrohlich.

Der Tisch ist nicht mehr zwischen uns. Es gibt keinen Schutz mehr.

Trotz meiner Angst weiche ich keinen Schritt zurück.

Ich habe es satt, Tatsuro zu leugnen.

„Ich treffe mich mit ihm und das so oft wie nur möglich!!“

Aufschreiend schubst er mich und ich knalle schmerzhaft gegen die Theke.

Mindestens ein blauer Fleck ist mir sicher.

„Wie kannst du das nur tun??? Gibt es für dich denn nicht schon genug Männer??! Du kannst doch jeden haben! Wieso gerade ihn?? Wieso??? Du machst alles kaputt und das nur weil du so verdammt notgeil bist!!“

Ich halte das nicht mehr aus.

Ehe ich registriere was ich da tue…ist es schon geschehen.

Und es verblüfft mich.

Und…es tut mir Leid.

„Reita…Ich…Ich wollte das nicht. Es tut mir-“

„Wag es bloß nicht!“

Auf Abstand haltend streckt mir Reita seine Hand entgegen.

Nicht um sich zu schützen…sondern um mich zu schützen.

Seine andere Hand liegt auf seiner spärlich blutenden Nase.

Wenigstens ist sie nicht gebrochen.

„Reita…“

Bedrohlich blitzen seine Augen auf und der Zorn ist ihm ins Gesicht geschrieben.

Diesen Blick kenne ich ganz genau. Reita ist nicht mehr berechenbar.

Ich gehe ein paar Schritte zurück.

„Wenn du…Wenn du nicht zu meinen besten Freunden gehören würdest, Uruha…Ich würde dir jeden Knochen einzeln brechen.“

Ich unterdrücke ein Zittern und blicke seufzend zur Seite.

„Ich weiß.“

Den Windzug spüre ich nur kurz an mir vorbeiwehen dann wird die Tür laut zugeknallt. So laut, dass ich befürchte das diese kaputt gehen würde.

Dann ist Stille.

Die Angst sitzt immer noch tief…aber ich bin so dankbar, dass nichts weiter passiert ist.

Ich vertraue zwar Reita…aber seine Wutausbrüche, die meistens mit Gewalt enden, hat er immer noch nicht perfekt im Griff. Die Jahre der Therapie, die für den Ruf von Gazetto unausweichlich waren…konnten ihn nicht vollständig heilen auch wenn er sich jetzt um einiges besser unter Kontrolle hat.

Die sinnlosen Schlägereien auf den Straßen…die Frauen, die ihn anzeigten…so hätte es niemals weitergehen können.

Doch was mache ich…? Ich provoziere ihn auch noch und fast...

Und das alles nur wegen dieses blöden Streits!

Es hätte richtig schief gehen können.

Kraftlos stutze ich mich am Tisch und verberge mein Gesicht hinter einer Hand…

Reita, Ruki und ich…Wir kennen uns seit unserer Kindheit…wir sind beste Freunde…und jetzt…jetzt scheint alles auseinanderzubrechen…

…und ich weiß nicht mal weshalb.
 

Klirr!

Plötzlich zerbricht etwas hinter mir auf dem Boden und ich drehe mich erschrocken um.

„Tatsuro?“

Angestrengt schaut er in Richtung Tür, während sich eine Hand auf seinen Mund presst.

Die Andere hält sich so stark an der Theke fest, dass die Handknöchel weiß hervor scheinen. Aber nicht so fest, dass etwas kaputt geht. Das hätte ich ihm sowieso übel genommen…

Dann verstehe ich.

„Tatsuro!“

Ohne zu zögern werfe ich mich zwischen ihm und der Tür und klammere mich flehend an ihn.

„Bitte! Bitte verschone ihn, Tatsuro! Er gehört zu meinen besten Freunden!!“

Er hat immer noch die Hand fest auf den Mund gepresst, sodass seine Stimme gedämpft klingt.

„Sein Blut…Dieser Geruch…Die ganze Küche riecht danach!“

Ich spüre wie mir hilflose Tränen entringen.

Ich muss etwas tun! Schnell!

So schnell wie ich kann renne ich zur Schublade und öffne diese.

Doch Tatsuro ist schneller.

Natürlich.

„Was hast du vor???“

Seine Hand schnappt rasant schnell nach Meiner, sodass mir das Messer aus der Hand entgleitet und laut zu Boden scheppert.

Mit verweinten Augen wende ich mich zu ihm.

„Ich muss dich ablenken!“

Seine Augen weiten sich.

„Auf dich?“

Ich muss mir kurz das Schlimmste ausmalen.

„Ich könnte es nicht ertragen, wenn Reita jetzt etwas zustößt! Es…Es wäre dann nämlich meine Schuld.“

Ich könnte es mir niemals verzeihen…Trotz allem wird Reita immer mein Freund sein.

Während ich rede, geht Tatsuro an mir vorbei ans Fenster und öffnet dieses.

Als ich verstumme, hängt er gerade aus dem Fenster.

Das hätte auch gereicht.“

Erstaunt…lasse ich mich zu Boden sinken.

Es hätte so eine viel einfachere Lösung gegeben…und ich…ich hätte…beinahe…

„…beinahe…“

Er lässt von dem Fenster wieder ab und lehnt sich daneben an die Theke, bedacht darauf beim Luftzug zu bleiben.

Die plötzliche Stille und sein prüfender Blick irritieren mich etwas.

Erst Sekunden später bemerke ich, dass meine Wangen ungewöhnlich heiß sind. Mein ganzer Körper brennt.

Ich atme kräftig durch und beruhige mich langsam wieder…warte darauf, dass das Herzrasen aufhört und die Panik verschwindet.

Als meine Atmung wieder regelmäßig ist, spreche ich wieder.

Ich schaue ihn dabei vorwurfsvoll an.

„Denkst du, wenn ich in Panik bin, denke ich groß nach?“

Erst jetzt lässt er den reglosen Blick von mir ab.

„Wieso war er so aufbrausend?“

Die Tränen zurückhaltend schlage ich enttäuscht mit der Faust sachte auf den Boden.

Er?? Ich war doch so dämlich ihm eine zu verpassen…“

Ich erhebe mich zögerlich wieder vom Boden.

„Ich bin so ein Idiot.“

Meine Vorwürfe überhörend, dreht er sich fragend zu mir. Hartnäckig.

„Wieso habt ihr gestritten? War…ich der Grund dafür?“

Ich erwidere seinen Blick und schüttele den Kopf.

„Nein! Aber ist jetzt egal.“

Ich kann ihm nicht sagen, dass meine Bandkollegen nicht wollen, dass ich mit ihm verkehre…Ein Glück, dass er nicht gelauscht hat…

Ausdruckslos fixiert er mich.

„Ihr Menschen…seid so verdammt emotional.“

Verwundert verziehe ich das Gesicht.

Dann breitet sich in mir eine erneute Wut aus.

Mein bester Freund hätte getötet werden können…und er…er sagt ich sei emotional??

Da alle Reserven aufgebracht sind, entkommt mir nur ein lauter Seufzer.

Tatsuro ist ein Vampir…kalt…Er kann es einfach nicht nachvollziehen.

„Ich will einfach nur nicht...dass ein mir nahestehender Mensch stirbt.“

Ich höre, wie er die Beine überkreuzt.

Seine Stimme klingt jetzt nachdenklich.

„Das Leben anderer…ist dir also wichtiger, als dein eigenes?“

Ich suche in seinem Gesicht irgendein Anzeichen für Belustigung…aber er hat diese Frage ernst gemeint.

Verwirrt ziehe ich einen Stuhl zu mir und setze mich.

Meine Beine fühlen sich noch etwas schwach an.

„War dir…Yokos Leben nicht wichtiger als deines?“

Ein ganz kurzes unmerkliches Zucken huscht über sein Gesicht.

Ich will, dass er versteht…

Die Luft im Raum muss nun erträglicher sein, denn er kommt wieder auf mich zu.

Genau wie ich zieht er ein Stuhl zu sich und setzt sich verkehrt herum drauf.

Locker legt er die Unterarme über die Stuhllehne und legt sein Kopf etwas schief.

Ich halte den Atem an, als er eine Hand nach meinem Gesicht ausstreckt und mir eine Träne von der Wange entnimmt, die noch nicht getrocknet ist.

In Gedanken begutachtet er diese und verreibt sie schließlich zwischen seinen Fingern.

„Mir kommt es so vor…als würdet ihr immer weinen. Jedes Mal…wenn ihr denkt, dass ihr das Leben nicht bewältigen könnt oder euch ein anderer Mensch verlässt…weint ihr. Wenn ihr Schmerzen verspürt…weint ihr. Ob nun körperlicher oder seelischer Schmerz. Ihr könnt sogar auf Knopfdruck weinen…ohne den Grund dafür zu wissen.“

Dann blickt er mich an.

„Und…manchmal frage ich mich…wie viel Tränen ein Mensch vergießen kann? Sind sie wirklich so…endlos?“

Ich verstehe das nicht.

„Weinen Vampire nicht?“

Er schüttelt leicht den Kopf.

„Nein, niemals.“

Wirklich nie?

Ratlos blicke ich in seine dunklen wunderschönen Augen…

In Augen, die niemals weinen.

„Aber…du warst doch einmal ein Mensch gewesen? Ich meine…kannst du dich denn kein bisschen daran erinnern, wie es war ein Mensch zu sein?? Wie ein Mensch zu weinen…wie ein Mensch zu fühlen…?“

Wieso kann er meine Sichtweisen nicht annähernd verstehen…?

Sein Blick wirkt auf einmal so leer.

„Das alles ist schon viel zu lange her…Ich…kann mich nicht erinnern. Ich…kann euch Menschen nicht verstehen. Ich kann nicht verstehen…wieso ihr so sehr an Belangloses hängt…an Unwichtiges festhaltet…und…auf alles so stark reagiert.“

Traurig betrachte ich sein Gesicht.

„Aber…kannst du dich denn auch nicht mehr an Yoko erinnern?“

An seine Liebe…muss man sich erinnern können. Wie kann man seine Liebe vergessen??

Er legt seinen Kopf auf seinen Unterarmen ab.

„Yoko…Wenn ich diesen Namen höre…oder ihn selbst sage, spüre ich etwas. Einen ganz kurzen kleinen stechenden Schmerz…ganz tief in mir. Aber das ist auch schon alles. Ich weiß nichtmal mehr wie sie aussah…geschweige denn, was ich für sie gefühlt hatte.“

Ich senke den Blick und schlucke.

Zu gern…würde ich…ihm nahe bringen, wie es ist. Ihn daran erinnern, wie es ist zu fühlen und wie ein Mensch zu sein.

Doch…wäre das wirklich gut? Ist es…vielleicht nicht sogar besser, es nicht zu wissen…? Denn ohne Gefühle…ohne jegliche Wertschätzung…kann man auch nicht leiden oder unglücklich sein…oder etwas verlieren.

Ich reibe mir kurz das Gesicht und stehe auf.

Ich fühle mich irgendwie…leicht schwindelig…so als würde ich gleich umkippen…

War die Küche schon immer so schief?

„Uruha!“

Wow…ich bin wirklich fast umgekippt.

„Tut mir Leid…“

Tatsuro rollt mit den Augen.

„Genau deswegen wollte ich erst morgen kommen…Du brauchst deinen Schlaf.“

„Nein…ich brauche nur einen weiteren Kaffee…“

Ich spüre wie er mich herumdreht, hoch nimmt und ich plötzlich in seinen Armen liege.

Rotanlaufend und erstarrt halte ich mich bei ihm fest.

„Kaffee ersetzt keinen Schlaf.“

Ich schlucke nervös, als er mich in mein Schlafzimmer trägt.

„T…Tatsuro…“

Ich mache mir keine Sorgen darüber, dass mein Zimmer unaufgeräumt sein könnte…das ist es nämlich fast nie...Und ich mache mir auch keine Sorgen wegen ihm …

Worüber ich mir aber Sorgen mache ist, dass…ich etwas Unüberlegtes tun könnte…

„So…“

Sachte legt er mich in mein Bett.

Doch als er sich wieder aufrichten will, halte ich ihn fest.

Natürlich sind meine Arme kein Hindernis für ihn, doch meine Geste irritiert ihn und lässt ihn innehalten.

Er ist mir so nahe…dass mich neben dem Schwindel der Müdigkeit…noch ein anderes Schwindelgefühl überwältigt…

Seine Hand drückt sich leicht gegen meine Brust, aber viel zu zaghaft, als hätte es wirklich eine Aufforderung sein können…

Er weiß gar nicht, wie sehr ich mich nach jede Berührung von ihm verzehre…egal, was sie bedeutet.

Sich beherrschend halte ich die Luft an, um sein betörend duftendes Parfüm nicht weiter einatmen zu müssen.

Laut und rasend spüre ich mein Herz schlagen…und die Halsschlagader an meinem Hals unruhig und unaufhaltsam pulsieren…im Gegensatz zu ihm. Sein Körper reagiert nicht…aber sein regloser Körper sehnt sich nach der Wärme…sehnt sich nach der Lebenskraft.

Seine glatte kühle Haut zieht an meiner Wange sanft vorbei…sanft und fordernd.

Ich keuche leise auf, die Kühle ist so erfrischend.
 

Plötzlich gibt Tatsuro einen überraschten Laut von sich und richtet sich auf. Im nächsten Moment steht er am Bettende.

Ich richte nur meinen Oberkörper auf und kralle meine Hände fest in das Bettlaken. Die Sehnsucht in mir ist noch lange nicht verebbt.

„…Hättest du mich gerade fast…?“

Seine Antwort klingt gefasst…wieder völlig kontrolliert.

„Ja.“

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Der Schmerz bringt mich zurück auf den Boden der Tatsachen.

Wieso…hatte ich diesmal keine Angst??

Nein…ich wollte sogar, dass er es tut…

Wie krank.

„Also…dann bis morgen? Oder bist du endlich zur Besinnung gekommen?“

Erschreckt schaue ich hoch.

„Niemals! Wir sehen uns morgen, wie vereinbart.“

Er nickt mir zu mit einem leichten Grinsen.

„Das war ja klar…Schlaf dich aus.“

Beim nächsten Blinzeln ist er schon verschwunden.

Mein Atem geht noch immer stockend…

Ich wollte eigentlich noch darüber nachdenken, was da gerade fast passiert wäre…doch meine Müdigkeit übermannt mich…

Ich kann nur noch eines denken…bevor ich mich ins Land der Träume begebe….

Noch nie zuvor, habe ich jemanden so sehr begehrt…



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