Zum Inhalt der Seite

Star Seekers

Are you still alive or already dead?
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

  Was wäre, wenn du an deinem zehnten Geburtstag, welcher zufällig auch noch auf Heilig Abend fällt, plötzlich von Alpträumen und angeblichen Halluzinationen verfolgt wirst? Gemeint sind, richtig brutale Alpträume und gar unmögliche Halluzinationen. Redest du mit jemandem darüber? Oder behältst du es für dich, leidest alleine und versinkst immer tiefer in deiner Angst? Was aber, wenn du deinen Eltern davon erzählst, und sie dich für verrückt erklären? Gegen deinen Willen wirst du in eine Psychiatrie eingewiesen, im Alter von zwölf Jahren. Kinderpsychiatrie. Und was ist, wenn dein Psychologe dich ebenso für verrückt erklärt? Es ist recht bedenklich, nicht wahr? Hast du über die Konsequenzen nachgedacht, die auftreten, wenn du für verrückt erklärt wirst? Du wirst ignoriert. Hinter deinem Rücken tuscheln die Leute. Du hast keine Freunde mehr. Alle stellen sich gegen dich. Freunde, Familie, einfach alle. Und das einzige, das möglicherweise noch zu dir hält, ist dein eigener Glauben.

  Vorausgesetzt, dass du ihn noch nicht verloren hast…

Miura - Another Nightmare

  Und wieder wache ich schweißgebadet auf. Das zehnte mal diese Woche und es ist erst Mittwoch. Es ist schon recht seltsam, aber ich kann nichts dagegen tun. Seit ich zehn bin träume ich jede Nacht Alpträume, wache schweißgebadet auf und mein Puls rast wie verrückt. Selbst meine Arme und Beine scheinen schwer wie Blei zu sein, wenn ich aufwache. So schwer, dass ich mindestens fünf Minuten stillschweigend in meinem Bett liege und nach Atem ringend die Zimmerdecke anstarre. So wie auch heute Morgen. Ich liege in meinem Bett und kann mich keinen Zentimeter bewegen. Aus dem Wohnzimmer höre ich, wie das Telefon klingelt. Wer mag das sein? Ich schiele zu meiner Uhr, welche an der Wand hängt. Das einzige, das überhaupt an meiner Wand hängt. Es ist halb vier. Das Telefon klingelt und klingelt. Ich frage mich, wieso niemand hingeht und den Anruf entgegen nimmt. Nach einem weiteren Läuten des Telefons fällt mir wieder ein, dass ich ja alleine wohne. Ich stoße einen schweren Seufzer aus, versuche aufzustehen, kann mich aber noch immer nicht bewegen.

  »Verdammt…«, murre ich.

  Das Telefon schellt noch immer. Ich kneife einen Moment die Augen zu, versuche mich erneut mich zu erheben. Welch ein Glück, dieses Mal funktioniert es sogar. Ich laufe ins Wohnzimmer, mache das Licht an, reibe mir nebenbei die Augen und hebe ab.

  »Fujiwara…«, gebe ich leise von mir.

  »Na endlich geht mal jemand ans Telefon.«, ertönt es plötzlich.

  »Wer zum Teufel ist da…?«, frage ich nach.

  »Ich bin’s doch… Len!«

  Ich schweige einen Moment. Habe ich eben tatsächlich vergessen, dass das Lens Stimme war? Erschrocken schüttle ich den Kopf, reibe mir noch einmal die Augen.

  »Tut mir Leid. Wieso rufst du so früh schon an?«

  »Na toll, danke. Ich warte seit ganzen zweiundzwanzig, nein, jetzt sind es dreiundzwanzig, Minuten darauf, dass du mir die Tür öffnest. Ich habe sechzehnmal geklingelt und du öffnest die Tür nicht!«, jammert er.

  Ich laufe samt Telefon ans Fenster und schaue hinaus. Tatsächlich. Draußen, vor der Haustür, steht Len in seiner schwarzen Lederjacke, mit seinem Handy in der Hand und läuft in Kreisen herum.

  »Tut mir leid, ich mache schon auf.«, sage ich dann, lege auf und verschwinde zur Haustür.

  Es braucht bei mir seine Zeit, bis ich diese bescheuerte Haustür geöffnet habe. Weswegen? Ganz einfach, sie ist dreifachverriegelt. Nein, ich leide nicht unter Verfolgungswahn. Abergläubisch bin ich genauso wenig, auch wenn hunderte von Geisterglöckchen in meiner Wohnung hängen. Fraglich, warum ich mit siebzehn eine eigene Wohnung habe, oder? Das liegt wahrscheinlich daran, dass meine Eltern, vor allem meine Mutter, nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Sie halten mich für verrückt. Ich hab mich damit abgefunden, auch wenn es noch immer schmerzt.

  Nach weiteren fünf Minuten, die ich an der Tür fummle, ist sie endlich offen und Len tritt herein. Er reibt sich die Hände, schüttelt sich kurz.

  »Ziemlich kalt draußen.«, lächelt er.

  »Was bist du so spät auch noch unterwegs? Oder auch so früh…«, frage ich ihn und gehe mit ihm in die Küche.

  »War bei meiner Freundin.«, grinste er, »Sie hat mich rausgeschmissen.«

  »Wahrscheinlich hatte sie recht. Von welcher Freundin sprichst du eigentlich?«

  »Von der Kleinen, die eine Klasse unter uns ist.«

  »Die Blonde?«

  Len nickt grinsend. Das Grinsen von ihm erklärt alles, worauf ich auch nicht weiter eingehe. Womöglich hat sie ihn rausgeschmissen, als sie sein Handy durchsucht hat. Das machen die Mädchen aus unserer Schule. Kriegt man eben mit, wenn der beste Freund alle zwei Wochen ein anderes Mädchen im Schlepptau hat. Ich reiche ihm, noch recht verschlafen ein Glas Wasser. Er sieht es nur schweigend an, als würde es ihn gleich angreifen wollen.

  »Miura… Was soll das?«, fragt er mich.

  »Du kennst mich doch. Ich hab kein Bier da, fertig.«

  »Das ist nicht dein Ernst, oder? Ich dachte das sei ein Witz gewesen.«

  »Sehe ich so aus, als würde ich Witze machen?«, frage ich ihn.

  Er zuckt mit seinen Schultern, sieht mich an. Allmählich bildet sein Mund ein leichtes Schmunzeln auf seinen Lippen.

  »Wenn du die ganze Zeit von deinen Geistern und was weiß ich redest… Da kann es doch gut sein, dass du auch Witze reißt, oder?«

  Ich seufze schwer, sagte aber nichts dazu. Eigentlich fragte ich mich, weshalb der Typ in meiner Küche nicht müde ist.

  »Len… Willst du auf dem Sofa schlafen, oder gehst du nach Hause?«, frage ich also und reibe mir wieder einmal die Augen.

  »Ich nehme das Sofa, danke.«, sagt er und lächelt.

  Ich nicke, strecke mich kurz und teile ihm mit, dass ich mich wieder ins Bett verziehe. Gesagt, getan. Ich liege wieder in meinem Bett, starre einen Moment die Zimmerdecke an und kaum einige Augenblicke später bin ich auch schon wieder eingeschlafen.

  Als ich wieder aufwache starre ich in den leuchtend blauen Himmel. Blinzelt schiele ich neben mich und bemerke nach kurzer Zeit, dass ich auf einer Wiese liege. Ich setze mich langsam auf, fasse mir leicht an den Kopf und schaue mich um. Ich bemerke sofort, dass ich träume, schließlich war ich hier noch nie. Nicht mal in Gedanken, oder so. schweigend erhebe ich mich also und sehe mich erneut um. Irgendwo in der Ferne höre ich eine mir bekannte Stimme. Es ist eindeutig die von Len. Wie sie nach mir ruft, ist mir auf eine Art und Weise schon unangenehm. Ich folge aber der Stimme. Ich folge so lange, bis ich sogar vor ihm stehe.

  »Wo warst du so lange, Miura?«, fragt er mich.

  Ich will antworten, aber ich kann nicht. Stattdessen zücke ich ein großes Küchenmesser. Ab da geht alles so schnell. So schnell, dass ich es noch nicht einmal registrieren kann. Ich sehe nur noch das Blutbespritzte Gesicht Lens. Wie mich seine nun leeren Augen anstarren, als würden sie fragen, „warum hast du mich umgebracht?“, oder „hattest du deinen Spaß daran, mich leiden zu sehen?“. Ich weiche geschockt zurück, sehe zu, wie Lens lebloser Körper zu Boden sinkt und betrachte meine blutüberströmten Hände. Mein Puls rast wie verrückt, alles um mich herum verändert sich. Es wird dunkel, nahezu schwarz. Ich sacke in mich zusammen und schreie. Vor Schmerz. Vor Trauer. Vor Angst.

  »URA! Wach auf, verdammt!!!«

  Diese Worte reißen mich aus meinem Schlaf. Ich öffne schockiert meine Augen und sehe in Lens Gesicht. Völlig schweißgebadet starre ich ihn an.

  »D-du… Du lebst…«, gebe ich keuchend von mir.

  »Klar lebe ich. Weswegen sollte ich nicht mehr leben?«, fragt er und sieht mich an.

  Ich seufze leise. Wieder brauche ich einige Minuten, bis ich mich richtig bewegen kann. Len sieht mich nur schweigen an, beobachtet mich durch dringlich. Vor meinen Augen fliegt mein Traum vorbei, wie ein Film. Ich schüttle ein wenig den Kopf, um auf andere Gedanken zu kommen. Das stellt sich allerdings als äußerst schwierig heraus.

  »Miura? Alles klar?«

  Ich nicke ein wenig, blinzle und sage: »Alles okay. Ich-«

  »Wieder schlecht geschlafen?«, unterbricht er mich dann.

  »Mehr als nur schlecht…«

  »Mhm…«

  Ich versuche ein wenig zu lächeln. Len erwidert es widerwillig. Ich lasse mir noch einmal meinen Traum durch den Kopf gehen, auch, wenn ich diese Bilder am liebsten vergessen würde. Normalerweise würde ich nun zu meiner Großmutter gehen, ihr davon erzählen und mir ein wenig helfen lassen, darüber hinweg zu sehen. Aber, da sie seit drei Jahren nicht mehr lebt, geht das irgendwie schlecht. Auch wenn ich jegliche Geister sehen kann, meine Großmutter habe ich noch nicht erblickt. Ich seufze leise.

  »Hey… Miura. Geh' dich umziehen, wir müssen gleich zur Schule.«

  Ich lausche mit halbem Ohr Lens Aufforderung, nicke schwach und abwesend. Er seufzt leicht, packt meinen Arm und schleift mich ins Badezimmer. Noch immer völlig in Gedanken versunken, mache ich mich für die Schule fertig. Ich trete, fertig umgezogen versteht sich, aus dem Bad.

  »Ich bin fertig.«, sage ich leise.

  Len sieht mich einen Moment schweigend an, geht an mir vorbei ins Badezimmer und kommt mit einem Kamm zurück. Wie er mir die Haare kämmt ist gerade schon gruselig.

  »Miura… So kannst du nicht in die Schule gehen. Was sollen denn die anderen sagen?«

  »Was weiß ich.«, sage ich murrend, »Entweder sagen sie „seht euch den Freak an“ oder sie sagen „schaut mal, der Freak sieht heute wieder lustig aus“«

  Ich frage mich selbst, wieso ich meinen besten Freund volljammere. Schon bescheuert, irgendwie.

  Gegen meinen Willen schleift mich Len auch noch zur Schule. Ich seufze schwer auf dem Weg dorthin. Eigentlich will ich nicht zur Schule. Seit ich diese Wesen sehen kann, um genau zu sein. Seitdem ist es fast wie eine Art Angst, oder so was.

  Ich sitze, wie sonst auch, schweigend in meinem Klassenzimmer. Len sitzt weiter vorne. Er schläft halbwegs. Eigentlich könnte ich nun aufstehen, zur Tür rauslaufen und einfach nach Hause verschwinden. Doch irgendetwas hält mich auf. Leider habe ich gerade vergessen, was es ist. Erst als ich aus dem Fenster blicke, habe ich die Antwort. Die angeblich so leeren Straßen sind voll mit Geistern und anderen Dämonen. Persönlich habe ich ja nichts gegen diese Wesen. Bis jetzt haben sie mir auch noch nicht weh getan, oder Ähnliches. Es ist das Aussehen der Wesen, was mich so unruhig schlafen lässt. Mal haben sie fünf Arme, drei Köpfe, sechs Beine, oder neun Augen. Es läuft mir eiskalt den Buckel runter, als eines dieser Wesen zu mir hochsieht und direkt in meine Augen starrt. Ich stoße wieder einen schweren Seufzer aus und lege meinen Kopf auf die Tischplatte vor mir, schließe einen Moment lang die Augen. Eigentlich recht schön, wenn niemand und nichts mit mir redet.

  »Nanu? Miura, schläfst du etwa noch?«, fragt mich eine sanfte, engelsgleiche Stimme.

  Ich öffne wieder meine Augen und schaue auf. Ein Engel? Wohl kaum, aber beinahe. Es ist Michiyo. Meine Exfreundin. Ich komme damit klar, dass es mit uns nie richtig funktioniert hat. Jetzt verstehen wir uns zumindest besser, als zuvor.

  »Nein… Ich… Ich habe nur etwas nachgedacht.«, sage ich dann leise zu ihr.

  »Aha. Okay… Du siehst nicht gut aus.«

  Ich nicke zustimmend.

  »Ja, ich weiß. Höre ich nicht zum ersten Mal.«

  »Hat Len dir das auch schon gesagt?«

  »Japp, hat er.«

  »Oh… Na dann.«, lächelt sie nur noch, setzt sich auf ihren Platz, genau vor mir.

  Ich betrachte sie ein wenig, recht verträumt, und seufze leise. Zu meinem Glück, das ich mehr oder weniger habe, nimmt mich der Lehrer heute gar nicht dran. Nach der verdammten Englischstunde ist Sport dran. Mein Hassfach, genau nach Religion.

  Schweigend, und fertig umgezogen, betrete ich die Turnhalle. Schon recht deprimierend, der „Schlechteste“ in der Sportklasse zu sein. Nicht, dass ich das ganze Zeug nicht kann, aber da mich sowieso alle für verrückt halten, mache ich mir nicht mehr viel daraus. Wie sonst auch, sitze ich auf der Bank und sehe den anderen zu.

  Plötzlich wird mir eiskalt. Len setzt sich kurz neben mich, schnauft ein wenig herb.

  »Du siehst so blass aus, Miura.«, sagt er leicht keuchend, »Was ist los?«

  »N-nichts. Alles bestens…«, entgegne ich leise und schüttle dabei ein wenig den Kopf.

  »Ganz sicher?«

  Ich nicke, schaue dann zu meinem Lehrer. Auf einmal wird mir übel. Ich kann’s mir nicht erklären, aber ich merke, dass es mir elend geht.

  »I-ich glaube… Mir ist schlecht…«, murmle ich dann.

  »Du siehst auch nicht gesund aus, Miura. Geh‘ lieber nach Hause und ruh‘ dich aus.«, meint mein Lehrer dann.

  Ich nicke wieder nur schweigend, halte mir die Hand vor den Mund und renne aus der Turnhalle. Als ich das Schulgebäude verlasse, geht es mir wesentlich besser. Depressionen, würde meine Großmutter behaupten. Ich drehe mich noch einmal um und verschwinde dann auf die Straße. Wenn sich meine Mutter noch für mich interessieren würde, und sie herausbekäme, dass ich „krank“ geworden bin, wäre ich wahrscheinlich tot. Egal wie krank einer in unserer Familie ist, oder war, er musste seiner Tätigkeit nachgehen. Einer der vielen Gründe, weswegen ich meine Mutter wohl hasse.

  Völlig in Gedanken versunken, laufe ich in die Richtung meiner Wohnung. Eigentlich ist das keine große Kunst, schließlich sind es gerade mal fünf oder sechs Minuten bis dahin. Was soll auf so einer kurzen Strecke passieren? Meiner Meinung nach ziemlich gar nichts. Wohl falsch gedacht. Kaum drei Meter vor meiner Haustür steht eines dieser Wesen und sieht sich um. Wie angewurzelt stehe ich da und starre es an. Dieses Etwas erwidert meinen starren Blick, wodurch mir das Blut in den Adern gefriert. Ich frage mich, ob ich einfach daran vorbeilaufen soll, oder warte, bis es von selbst geht. Die erste Möglichkeit scheint mir einfacher, weswegen ich, recht zitternd, losgehe.

  »Hey!«, gibt das schwarze Wesen dann von sich.

  »Ich bleibe erschrocken stehen, blicke über meine Schulter und bemerke, wie es plötzlich wieder so eiskalt wird, wie in der Turnhalle der Schule. Ob es an diesem Etwas gelegen hat? Ich kneife einen Moment die Augen zu, öffne sie jedoch gleich wieder.

  »Was willst du von mir…?«, frage ich dann leise und mit zittriger Stimme.

  »Du siehst mich?«

  Ich antworte nicht auf die Frage, beiße mir stattdessen auf die Unterlippe. Als ich etwas Kaltes auf meiner Schulter spüre, beiße ich sie mir sogar blutig, weswegen ich noch einmal die Augen zukneife. Grausamer Schmerz, auch wenn ich ihn kaum spüre. Ich blicke zu meiner Schulter und erkenne dort eine Hand.

  »Was zitterst du so?«, fragt es mich.

  Ich reiße sofort die Augen auf.

  »G-gar nicht… I-ich-«

  »Wie heißt du, Kleiner?«

  Ich schweige wieder.

  »Na los, rede!«

  »M-Miura…«, stottere ich dann erschrocken.

  »Also dann, Miura, wir sehen uns.«

  Das gruselige schwarze Etwas nimmt seine kalte Hand von meiner Schulter und geht an mir vorbei.

  »W-warte!«, rufe ich ihm nach, »Wie… Wie heißt du

  Es dreht sich noch einmal zu mir um und sagt dann: »Du kannst mich Long nennen.«

  Plötzlich zieht ein Wind an mir vorbei und Long löst sich urplötzlich auf. Ich starre einen Moment in die leere Straße und bemerke, wie ein Tropfen Blut von meinem Mund zu Boden fällt. Sachte lecke ich mir über die Lippen und hoffe, dass ich bald aufhören würde zu bluten. Wieder schaue ich mich um, nur um sicher zu gehen, dass keines dieser Wesen in der Nähe ist. Als ich mir dann ganz sicher bin, gehe ich zu meiner Haustür, öffne sie und schließe sie sofort wieder hinter mir.

  Irgendwie bin ich erleichtert, denn soviel ich weiß, trauen sich diese Wesen nicht in meine Wohnung. Weswegen? Sie ist ja schon bald ein Tempel! Überfüllt mit Buddha-Statuen, in allen Größen, Geisterglocken, die den „bösen Geistern“ Angst machen sollen und anderem geisterabwehrendem Zeugs. Ich schaue mir schließlich den Traumfänger in meinem Zimmer genauer an. Dieses Ding sollte meine Alpträume doch eigentlich auffangen. Nicht umsonst heißt das Ding Traumfänger. Seufzend kralle ich mir das Ding, gehe ins Wohnzimmer und werfe ihn aus dem Fenster. Ob es ein Fehler gewesen ist, stellt sich erst heute Nacht heraus.

  Seufzend blicke ich dann wieder zur Uhr. Eine Stunde sitze ich jetzt schon daheim. Die Stunde kam mir nur irgendwie wie drei Tage, oder so, vor, weswegen ich mich auch urplötzlich so müde fühle. Ich schaue wieder zur Uhr. Immer wieder. Ich rechne damit, dass kurz vor eins Len in meiner Tür steht. Und wenn man vom Teufel spricht. Um genau 12:55 Uhr klingelt es an der Haustür. Ich erhebe mich vom Sofa und öffne die Tür.

  »Hallo, Miura.«

  Ich blicke auf und erkenne keinen Len.

  »Michi-Chan?«, sage ich dann erstaunt.

  Eigentlich habe ich nicht mit Michiyo gerechnet, aber ich lasse sie trotzdem herein. Auch wenn sie schon eine ganze Weile nicht mehr hier war.

  »Ich war ja schon lange nicht mehr hier.«, sagt sie dann und sieht sich ein wenig in meiner Wohnung um.

  »Seit eineinhalb Jahren.«, entgegne ich ihr leicht lächelnd und bringe sie in die Küche.

  »Mhm… Viel verändert hat sich an der Einrichtung aber nichts.«

  »Nein. Alles gleich geblieben. Nur mehr Zeugs gegen die Geister.«

  »Du siehst deine Geister immer noch? Im Ernst?«

  Ich nicke nur schweigend, reiche ihr ein Glas Wasser und setze mich ihr gegenüber.

  »Interessant… Wie sehen sie denn aus?«, fragt sie auf einmal.

  »Hm… Wie sehen sie aus…«, wiederhole ich leise und nachdenklich, »Die meisten sehen aus wie normale Menschen, nur blasser und man kann durch sie durchschauen. So… Wie durch ein dünnes Seidentuch. Andere sehen aus wie Monster. Fünf Arme, drei Beine, sechs Augen… Es ist immer verschieden.«

  Wäre wohl eine Möglichkeit, weswegen ich so verdammt krasse Alpträume habe. Ich meine, wenn ich so darüber nachdenke… Krass sehen die Dinger schon manchmal aus. Richtig gruselig… Creepy, würde Len sowas nennen. Michiyo sieht mich auf die Erklärung erstaunt an, lächelt aber.

  Ich lecke mir wieder leicht über die Lippen. Die verdammte Kruste, die sich dort gebildet, regt mich aber auch gerade auf.

  »Was hast du denn da gemacht? Etwa auf die Lippen gebissen?«

  Ich nicke ein wenig.

  »Ja.«, sage ich dann, »Aus Versehen.«

  »Aha. Aus Versehen.«

  Wieder nicke ich nur, nehme dann einen Schluck Wasser von meinem Glas und sehe dabei Michiyo weiterhin an. Wie sie mich anlächelt ist fast schon gruselig. Blinzelnd erwidere ich ihren Blick, seufze dann ein wenig.

  »Was ist?«, frage ich dann.

  »Willst du mit mir auf ein Konzert gehen?«

  »Ich?«

  Sie fängt an zu lachen, schüttelt ein wenig den Kopf.

  »Natürlich du!«, sagt sie dann kichernd, »Siehst du sonst noch wen hier drinnen?«

  Ich schaue mich um, blicke durch die Küchentür ins Wohnzimmer, nur um wirklich sicher zu gehen. Dann schüttle ich den Kopf und schaue sie an.

  »Also? Kommst du mit, oder nicht?«, fragt sie erneut.

  »Auf was für eines denn?«

  »Hm… D'espairsRay geben eines. LM.C und An Cafe sollen auch eines geben.«

  »Okay…«

  »Such dir eines aus, oder zwei… Oder alle.«

  Sie lächelt mich glücklich an. Sowas ist ja auf eine Art und Weise schon eine Frechheit. Eigentlich will ich nicht wirklich auf so ein Konzert. Zu laut, zu viele Leute… Und zu viele von diesen Wesen… Wie soll ich so einem engelsgleichen Gesicht nur nein sagen? Ohne, dass ich es wirklich will, stimme ich dem D'espairsRay-Konzert zu. Na das kann ja wirklich mal interessant werden…
 

  Nachdem Michiyo wieder nach Hause gegangen ist, mache ich mir etwas zu essen. Mittlerweile ist es ja schon halb acht, soll ja nicht so gesund sein, den ganzen Tag nichts zu essen… Eigentlich habe ich vorgehabt, Michiyo nach Hause zu bringen, aber sie streitet so etwas ja immer ab. Ganz knall hart. Aber gut, sie ist alt genug, es selbst zu wissen, oder etwa nicht? Vielleicht hat Len ja doch recht und ich sollte aufhören, immer von mir aus zu gehen. Das dreiviertel Jahr, dass Michiyo älter ist, irritiert mich dabei aber ein wenig…

  Da ich keine Lust habe, mir großartig etwas zu kochen und das wieder abzuwaschen, entschließe ich, mir einfach ein Fertigramen zu machen. Als ich es fertig aufgekocht habe, verschwinde ich damit aufs Sofa und schalte den Fernseher ein. Zu meinem Pech habe ich die Stäbchen vergessen. Seufzend erhebe ich mich also wieder, schleiche in die Küche und krame mir die Stäbchen aus der Schublade. Ich laufe zurück ins Wohnzimmer, schaue dabei aus dem Fenster. Eigentlich schaue ich nicht gerne da raus, so schön die Aussicht auch ist. Aber heute Nacht leuchten die Lichter der Stadt so herrlich, dass ich doch hinausschauen muss. Ich bleibe eine ganze Weile da stehen, blicke dann irgendwann zur Straße hinunter. Dort sehe ich ihn wieder. Long. Er steht da mitten auf der Straße, sieht sich nach Etwas um. Nach irgendwem. Dann, ganz plötzlich, sieht er grinsend zu meinem Fenster hoch, winkt mir sogar noch zu. Ich winke zurück. Keine Ahnung warum. Plötzlich zieht schon wieder so ein seltsamer Wind durch die Straße. Woran ich das merke? Es wirbeln einige Blätter an meinem Fenster vorbei. Und Long ist wieder verschwunden. Schon wieder…

  Schon deprimierend, auf eine Art und Weise. Ich weiß nicht weswegen, aber dieser Long macht mir auf Dauer Angst. Freiwillig mit ihm in einem Raum, würde ich niemals sein wollen. Alleine schon, wie er einen ansieht. Gut, bis jetzt habe ich ihn ja erst einmal getroffen, aber das alleine reichte schon. Ich widme mich wieder meinem Ramen. Mittlerweile ist es aber schon recht kalt und da ich zu faul bin, um noch einmal aufzustehen, belasse ich es eben dabei.

  Nachdem ich zu Ende gegessen habe, verschwinde ich ins Badezimmer und mache mich fürs Bett fertig. Jetzt liege ich da so halb leblos in meinem Bett, lausche der Stille, die mich umgibt. Sie hat was beruhigendes, auf eine Art und Weise zumindest. Ein wenig gruselig ist es schon auch, aber vorwiegend beruhigend. Und irgendwann spät in der Nacht, schlafe ich tief und fest ein. Richtig fest. So fest, dass ich wieder in meine Traumwelt einfalle, in die ich schon von Anfang an nicht eintreten wollte. Noch nie.

  Wieder bin ich auf einer wunderschönen, grünen Wiese, mit klarem, blauem Himmel. Einfach atemberaubend, dieser Anblick. Doch dann verdunkelt sich wieder alles. Beinahe schwarz färbt sich der Himmel. Wieder mal. In der Ferne sehe ich jemanden stehen. Es ist ein Mann, zumindest sehe ich das so. Er ruft meinen Namen. Ganz leise höre ich es. Ich gehe los, aber ich komme diesem Mann nicht näher. Es kommt mir eher so vor, als würde er sich immer mehr von mir entfernen. Ich beginne zu rennen, schaue mich um. Der Mann behält auf einmal immer die gleiche Distanz. Bewege ich mich etwa gar nicht? Mein Blick sinkt zu Boden. Doch. Ich renne und bewege mich fort. Wieder schaue ich zu dem Mann. Immer noch so weit entfernt. Plötzlich steht eine zweite Person neben dem Mann. Sie hat Flügel, so viel erkenne ich. Auch erkenne ich, dass es ein Mann ist. Zwei unbekannte… Nein… Ein Unbekannter und ein schwarzer Engel

  Miura…! Miura…!, schallt es mir leise entgegen. Dann sehe ich, wie der schwarze Engel ein Messer oder sowas zückt. Ich bleibe stehen, keuche.

  »Halt!«, rufe ich, »Tu' das nicht!«

  Aber irgendwie scheint es so, als würde kein Ton aus meinem Mund kommen.

  Miura… Aaaaaah!!

  Erst höre ich nur leise meinen Namen und urplötzlich kommt mir ein peinigender Schrei entgegen.

  Nach Luft schnappend wache ich auf. Schweißgebadet, wie immer. Mein Herz pocht wie verrückt, mein ganzer Körper zittert. Und wieder kann ich mich nicht bewegen. Ich warte also, denke über diesen seltsamen Traum nach. Es war definitiv ein Fehler, den Traumfänger aus dem Fenster zu werfen. Ich warte weiter.

  Eine Minute vorbei…

  Zwei Minuten…

  Drei…

  Sieben Minuten sind vergangen. Mein Blick ist starr auf der Uhr gewesen. Sieben Minuten und sechs Sekunden. Toll, wenn man eine digitale Uhr im Zimmer hat und alles abzählen kann. Mehr oder weniger toll… Sieben Minuten und sechs Sekunden. Oder auch Sechs Minuten und sechsundsechzig Sekunden. Drei sechsen hintereinander. Sechshundertsechsundsechzig, die Zahl des Teufels. Mich durchfährt bei diesem Gedanken ein schaudern, was mich eindeutig an Angst erinnert. Ja, ich habe Angst. Angst vor dem Tod. Vor dem Tod und vor dem, was nach dem Tod ist…

  Falls dort etwas ist…

Miura - First Agony

  Mittlerweile sind zwei Wochen vergangen. Und jeden Tag, habe ich denselben Traum geträumt. Nur, dass dieser Mann und dieser Engel von Tag zu Tag näher gekommen sind. So nah, dass ich sie letzte Nacht ziemlich deutlich erkennen konnte. Der schwarze Engel war mit Sicherheit Long. Aber der Mann nebendran… Er sieht Hizumi von D'espairsRay sehr ähnlich. Aber wieso soll ich von dem Typen träumen? Seh' ich schwul aus, oder was!?

  Aber sowas von, würde Len behaupten. Schon ein wenig deprimierend. In der Schule bin ich in den zwei Wochen auch nicht gegangen. Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich mein Haus überhaupt nicht verlassen. Bis jetzt habe ich noch alles da. Essen, Trinken, Waschmaschine und sonstiges Zeugs habe ich.

  Plötzlich klingelt es an meiner Haustür. Ich zucke etwas zusammen, keine Ahnung warum ich mir erschreckt habe. Ich schüttele kurz den Kopf, stehe dann auf und mache mich an die Tür. Schließlich musste ich sie fast eineinhalb Wochen nicht mehr aufmachen. Nur bemerke ich gerade, dass es wirklich bescheuert ist, so viele Schlösser an einer Tür zu haben. Als ich die Tür offen habe, sehe ich, dass Len davor steht. Klar, wer auch sonst? Gut, es hätte Michiyo sein können, ist es aber nicht. Ich lasse ihn natürlich herein.

  »Immer noch keine Lust auf Schule?«, fragt er, als er in der Küche ist und sich ein Glas Wasser nimmt.

  »Lust schon… Aber… Angst hinzugehen.«, murmele ich leise.

  »Angst? Wieso Angst?«

  Ich zucke nur mit den Schultern und schweige dabei. Eigentlich hat es keinen Sinn ihm das erklären zu wollen, er würde es nicht verstehen, geschweige es glauben.

  »Wegen den Geistern…«, sage ich dann trotzdem.

  »Geister…«, wiederholt er ungläubig.

  »Ja… Ach egal, vergiss' es wieder.«

  »Schon klar.«, grinst er, »Du gehst morgen mit Michi-Chan auf das D'espa-Konzert, oder?«

  Ich hebe eine Augenbraue. Recht fraglich woher Len das weiß. Nickend schaue ich ihn an.

  »Woher weißt du das?«, frage ich dann neugierig nach.

  »Michi-Chan hat's gesagt.«, meint er noch immer grinsend, »Ich sag' dir mal was, Michiyo steht noch voll auf dich!«

  Ich hebe noch einmal die Augenbraue, schaue Len einfach nur an.

  »Klar… Sie steht voll auf mich… Sicher…«, murre ich dann.

  Len grinst einfach nur breit. Irgendwie kann ja was dran sein, aber ich bezweifle es. Keine Ahnung warum.

  »Und?«, fragte er.

  »Was und?«, entgegne ich.

  »Und, freust du dich schon?«

  »Ach so… Ja, mehr… Oder weniger…«

  »Weniger trifft's dabei wohl eher, was?«

  Ich nicke wieder schweigend, stehe auf und nehme mir ein Glas Wasser. Nachdem ich einen Schluck getrunken habe, setze ich mich Len wieder gegenüber. Die ganze Zeit über erzählt er mir, wie sehr Michiyo noch lieben würde. Garantiert…
 

  Gegen Abend verschwindet Len dann nach Hause. Zumindest behauptet er das. Wohl eher ist er zu seiner neuen Freundin. Er hat einen neuen Rekord. Vier verschiedene Freundinnen in zwei Wochen, alle gleichzeitig, und keine weiß etwas von der anderen. Eigentlich könnte ich Len bei seinen weiblichen Bekanntschaften verpfeifen, aber mache es nicht. Wozu auch, würde mir ja nichts bringen.

  Kurz vor Mitternacht mache ich mich für das Bett fertig. Ich schaue noch aus dem Fenster, bevor ich in mein Schlafzimmer gehe. Stockdunkel ist es da draußen. Und trotzdem sehe ich diese Wesen auf der Straße laufen. Begeistert bin ich darüber nicht gerade, denn ich sehe ihn schon wieder. Da draußen auf der Straße streift Long herum, sieht hin und wieder auch zu meinem Fenster. Ich glaube, dass der Typ, falls man ihn als Solcher bezeichnen darf, schon seit zwei Wochen, sprich seit ich ihn das erste Mal herumlungern gesehen habe, vor meinem Haus herumstreunt. Meines Erachtens ähnelt das ganz stark dem Stalking! Und dieser Long stalked mich ganz gewaltig. Zumindest empfinde ich es so.

  Ich schaue also weiter aus dem Fenster, beobachte Long ein wenig, winke ihm, als er mir winkt. Schon komisch. Niemand außer mir kann ihn sehen. Und ich winke ihm auch noch. Nach ein paar Minuten, die Long und ich uns anstarren, fährt ein Auto vorbei und mein "Freund" ist wieder verschwunden. Ich schüttle kurz den Kopf und verschwinde dann endlich ins Schlafzimmer.

  Nun liege ich wieder auf meinem Bett, starre die Zimmerdecke an. Kurz schiele ich zu meiner Uhr, 1:25 Uhr. Eine halbe Stunde habe ich Long angestarrt. Und er mich… Gut. Es dauert nicht lange, zehn Minuten vielleicht, und ich schlafe.

  Und wieder, wie schon so oft, erwache ich im Traum auf dieser grünen Wiese. Ich setze mich auf, schaue mich ein wenig um. Eigentlich bin ich ja schon oft hier gewesen. Aber eben nur eigentlich. Irgendwas ist anders. Ich höre plötzlich Schritt hinter mir. Leicht erschrocken schaue ich über meine Schulter und, verdammt. Da kommt doch wirklich Hizumi angerannt. Ich meine wirklich den Hizumi von D'espairsRay. Schon komisch. Ich weiß, dass ich träume. Und das, von einem Typen, den ich noch nicht einmal persönlich kenne. Mir stellt sich die Frage: Wieso!? Andere Leute in meinem Alter träumen von… Keine Ahnung. Die Leute aus meiner Klasse träumen ja angeblich nichts. Was ich nicht glaube. Jeder träumt, kann sich nur am nächsten Morgen nicht mehr daran erinnern. Wie schön für diese Leute… Ich schaue Hizumi also weiterhin an, schweige einfach. Ist wohl sowas wie ein Miura-Standart. Als Hizumi dann plötzlich vor mir steht, schaue ich ihn von unten herauf an.

  »Hey, Miura.«, grinst er und hält mir seine Hand entgegen.

  »Hi…«, gebe ich nur von mir, strecke meine Hand der Seinen entgegen und lasse mir aufhelfen.

  »Und? Hast du gerade einen schönen Traum?«

  »Äh… Ja… Ja, ich denke schon.«

  »Ändert sich gleich.«

  Ich schaue Hizumi nur fragend an. Schon gleich verstehe ich aber, was er damit meinte. Ganz plötzlich taucht nämlich Long auf, wie bei den anderen Träumen auch. Er zieht ein Messer, holt zum Stich aus. Und genau kurz vor Hizumis Brust hält er inne. Sein Handy klingelt. Mit Todschock schaue ich abwechselnd von Hizumi zu Long.

  »Tut mir Leid.«, nuschelt Long und grabscht dabei nach seinem Telefon.

  »Glück gehabt, was?«, grinst Hizumi.

  »Ja… Und was für eins…«, sage ich.

  Schmunzelnd knufft er mir in die Seite.

  »Zeit aufzustehen, Miura.«, meint er dann, »Wir sehen uns noch.«

  Ich blinzle ein wenig, schaue Hizumi einfach nur an und reibe mir etwas die Seite in die er mich gepiekt hat. Longs Handy klingelt im Hintergrund immer noch. Recht nervig…

  Ich wache von diesem ständigem Geklingel auf. Und dieses Mal nicht schweißgebadet. Gott sei Dank. Dennoch klingelt immer noch ein Telefon. Als ich mich wieder bewegen kann, bemerke ich sogar, dass das mein Handy ist. Ich greife auf den Nachtisch und nehme an.

  »Fujiwara…?«, gebe ich leise fragend von mir.

  »Miura, ich bin's. Michiyo!«

  »Oh… Morgen.«, sage ich dann, setze mich auf, »Wartest du etwa vor der Tür?«

  »Mehr oder weniger.«, kichert sie, »Ich bin auf dem Weg zu dir. Sorry, dass ich dich geweckt habe.«

  »Schon gut. War ziemlich passend.«

  »Na dann. Ich bin in zwei Minuten bei dir.«

  »Okay.«

  Ich lege auf, reibe mir kurz die Augen und laufe anschließend zur Haustür. Dauert ja schließlich seine Zeit, bis die Schlösser alle offen sind. Als ich das geschafft habe, steht Michiyo sogar schon vor der Tür. Also… Wenn es einen Preis in Pünktlichkeit gibt, hätte sie sofort den ersten Platz. Ich lasse sie rein, bringe sie ins Wohnzimmer und schalte den Fernseher ein.

  »Willst du was trinken?«, frage ich.

  »Ja, gern.«

  »Wasser?«

  Ist so ziemlich das Einzige, was sie trinkt. Wasser, oder so komisches süßes Zeug. Sie nickt daher lächelnd, setzt sich dann auf's Sofa und sieht in den Fernseher. Ich bringe ihr das Glas Wasser und gehe mich anschließend umziehen. Recht düster, was ich mir da gestern rausgesucht habe. Aber egal, interessiert ja niemanden auf dem Konzert. Nur denke ich wieder an den Traum. Ich meine… Zwei Wochen, jeden Tag, immer von Hizumi! Oh Gott! Ich werde doch Schwul!!!

  Bei diesem Gedanken stoße ich einen nicht gerade leisen Schrei aus. Muss richtig laut gewesen sein, denn kaum zehn Sekunden später steht Michiyo im Badezimmer.

  »Ura, was ist passiert!?«, fragt sie aufgebracht.

  »Ich… Äh…«

  Was soll ich nun sagen? Ich weiß es nicht. Schweigend schaue ich sie an, halte mir dabei ein Handtuch vor die Boxershorts. Muss ja niemand sehen, oder? Trotzdem kann ich genau sehen, wie Michiyos Blick nach unten wandert. Ihr wisst schon, wohin ich meine.

  »Bist du… Nackt?«, fragt sie und blinzelt.

  Ich nehme das Handtuch weg, werfe es mir leicht seufzend über die Schulter und schiebe Michiyo aus dem Badezimmer.

  »Es war nichts.«, sage ich dann, »Ich war nur in Gedanken…«

  »Was laberst du so geschwollen daher?«

  »Keine Ahnung.«, meine ich dann und zucke mit den Schultern.

  »Idiot.«, kichert sie.

  Keine Ahnung warum, aber ich grinse. Außerdem frage ich mich, ob ich von irgendwas eigentlich eine Ahnung habe. Deprimierend.

  Als ich fertig umgezogen bin, komme ich wieder aus dem Badezimmer und schaue mich ein wenig im Spiegel an.

  »Bin fertig.«, äußere ich dann und laufe ins Wohnzimmer.

  Michiyo kommt mir sofort entgegen und mustert mich.

  »Brauchst du die Klamotten noch?«, fragt sie mich aus heiterem Himmel.

  »Äh… Nein, eigentlich nicht.«, antworte ich.

  »Gut. Die Klamotten sind nämlich zu brav.«

  Ich hebe eine Augenbraue und schaue sie an. Ihr Grinsen verheißt nichts Gutes.

  »Michi-Chan… Du- Woah!«

  Ehe ich mich versehe, liege ich schon am Boden. Und mehr als ein dumpfes autsch kann ich auch nicht von mir geben. Dennoch höre ich Michiyos Kichern. Muss ja ziemlich lustig auf mir sein, zumindest ist es ihrem Kichern nach so zu urteilen. Dann, ganz urplötzlich, höre ich etwas reißen. Definitiv ein Stoff.

  »Michiyo? Was machst du da!?«, frage ich und blinzle über meine Schulter.

  »Ich peppe dich ein wenig auf. Muss doch flippig aussehen. Mit sowas, was du da anhast, geht man doch nicht auf die Straße.«, sagt sie dann, »Das hier ist einfach viel zu brav. Passt doch gar nicht zu deinen Haaren!«

  »Aha…«, gebe ich nur noch von mir.

  Nach ungefähr zwanzig Minuten bin ich erlöst. Ich stehe auf und schaue na mir herunter. Toll, sie hat meine Klamotten wortwörtlich zerfetzt.

  »Und so soll ich auf die Straße?«, frage ich und schaue sie an.

  »Japp. Sieht toll aus.«

  Ich zucke mit den Schultern, seufze ein wenig und gehe zum Spiegel. Man(n) muss sich doch schließlich im Spiegel ansehen, schließlich will ich wissen, wie ich aussehe. Ziemlich krass, meiner Meinung nach. Len würde creepy sagen. Ich drehe mich um, schaue Michiyo wieder an. Sie grinst schon wieder so und hat ihre Hände hinterm Rücken. Blinzelt mustere ich sie weiter. Creepy, wie sie mich angrinst.

  »Was hast du jetzt wieder vor?«, frage ich leise.

  »Wir schminken dich jetzt Hizumi-Like!«

  Ich schaue sie an. Hizumi-Like schminken… Ja, toll. Wäre ich ein Mädchen, würde ich jetzt vor Freude herum hüpfen. Leider, mehr oder weniger leider, bin ich kein Mädchen. Und begeistert bin ich auch nicht. Gegen meinen Willen zieht sie mich ins Badezimmer, drück mich auf den Rand der Badewanne und setzt sich dann auch noch ganz frech auf meinen Schoß. Breitbeinig! Hätte sie sowas nur getan, als wir noch zusammen waren. Aber was soll's. Ich blinze sie, wieder mal, an.

  »Wenn du brav bist, passiert dir auch nichts.«, droht sie mir, lächelt dabei trotzdem lieb und tätschelt mir auf den Kopf.

  Was würde Halbamerikaner Len nun sagen? Cute, eindeutig. Er hätte Recht. Ist wirklich süß, creepy aber auch. Wieso macht sie das auch mit mir? Nein… Wieso lasse ich sowas mit mir überhaupt machen? Das ist gemein! Das letzte Stückchen Würde, dass ich mal hatte, ist jetzt auch im Eimer. Aber als sie den Eyeliner aus ihrer Tasche zieht, ist wirklich alles vorbei. Fängt das Mädchen doch tatsächlich an, mich zu schminken. Ich meine… Hallo? Sehe ich aus, wie Hizumi, oder was!?

  »He! Hör auf so zu wackeln!«, protestiert sie.

  »Ja, ja… Schon gut.«, murmle ich.

  Trotzdem, ich verliere nach einigen Minuten, nur ganz kurz, das Gleichgewicht und, tada, Michiyo und ich liegen in der Badewanne.

  »Autsch…«, geben wir exakt synchron von uns.

  Ich spüre schon, dass ich einen fetten, schwarzen Streifen am Mundwinkel habe. Leicht seufzend reibe ich mir den Kopf und schaue Michiyo an.

  »Alles okay bei dir?«, frage ich sie.

  Sie nickt lächelnd, wischt mir etwas über die Wange und den Mundwinkel und kichert dabei.

  »Na dann…«, sage ich schief grinsend, warte, bis Michiyo aufsteht und krabbel dann selbst aus der Wanne.

  Mein Gott, der Flug in die Wanne verschafft mir mit Sicherheit eine knallharte Beule.

  »Ach ja… Du bist fertig.«, lächelt sie dann und hilft mir auf.

  »Bin ich? Okay.«

  Ich gehe wieder zum Spiegel und schaue das Etwas, das mir da gegenübersteht an. Wenn das da ich sein soll, sehe ich jetzt wirklich schlimmer aus, als die Leichen in meinen Träumen. Um einiges schlimmer.

  »Ich sehe aus, wie eine Moorleiche!«, äußere ich dann einfach.

  Michiyo kichert wieder und meint dann: »Aber eine süße Hizumi-Moorleiche.«

  »Autsch… Wirklich sehr… Aufmunternd…«

  »Also dann. Meine Wenigkeit verschwindet nun auch mal ins Badezimmer.«

  Ich schaue sie an, hebe wieder eine Augenbraue.

  »Wieso? Brauchst du doch nicht, oder?«, frage ich nach.

  »Oh doch.«

  So melodisch wie sie auch sonst oft spricht, sagt sie das, verschwindet dann ins Badezimmer und verriegelt die Tür. Noch immer recht baff schaue ich die Badezimmertür an. Nach einer Weile blicke ich wieder in den Spiegel.

  »Creepy…«, murmle ich, als ich mich wieder ansehe.

  Miura featuring zerfetzte Klamotten und Moorleichenschminke. Na dann Prost Mahlzeit… Ich gehe ans Fenster, halte nach Long Ausschau. Aber er ist nirgends zu sehen. Schon seltsam. Wieso will ich eigentlich wissen, ob e hier ist, oder nicht? Hat wohl was mit dem Traum z tun. Mit ziemlicher Sicherheit sogar, denke ich zumindest.

  Ich habe keine Ahnung, wie lange ich an dem Fenster gestanden bin. Als Michiyo fertig geschminkt das Wohnzimmer betritt und nach mir ruft, werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich schüttle kurz den Kopf und blicke dann über meine Schulter zu ihr.

  »Hey! Dein Make-Up sieht viel besser aus, als meins!«, protestiere ich und mustere sie weiter.

  »Ich bin ja auch eine Frau!«, kommentiert sie dann.

  Ich schnaube ein wenig, schließe kurz die Augen.

  »Können wir dann los?«, frage ich, »Oder willst du noch was Essen, Trinken?«

  »Nein, danke. Wir können los.«

  »Also schön.«

  Ich schnappe mir meinen Geldbeutel und meine Schlüssel und gehe dann mit Michiyo hinaus. Die Haustür von außen zu schließen ist wesentlich einfacher, als von innen. Nachdem ich aber auch das geschafft habe, gehen Michiyo und ich los. Zehn Minuten zu Fuß zum Bahnhof und dann weitere zehn Minuten Fahrt bis zu der Haltestelle, wo wir raus müssen. Eigentlich ja nicht schwer. Wären da nicht diese Wesen. Zwanzig Minuten hier draußen sind doch die reinste Hölle! Aber gut. Ich versuche, wie sonst auch, sie zu ignorieren. Klappt eigentlich ganz gut. Nur, dass ich sie immer anstarren muss, ist ein wenig problematisch… Gut, sehr problematisch. Vor allem, wenn sie mein Starren erwidern. Ich seufze lautstark. Michiyo sieht mich fragend an.

  »Was ist?«, fragt sie nach.

  »Nichts, nichts…«, entgegne ich.

  »Sag' schon…«

  »Ich… Äh…«

  »Du, äh?«

  »Ich sehe sie.«

  »Ja? Wo sind sie?«

  Ich schaue sie kurz schweigend an. Ist mir eigentlich ziemlich neu, dass sich Michiyo dafür interessiert, ob ich Geister sehe, oder nicht.

  »Ähm…«, gebe ich dann von mir und zeige auf eins dieser Wesen, »Dort drüben steht einer.«

  Michiyo sieht genau in die Richtung des Wesens.

  »Aha…«, gibt sie nur von sich.

  »Ach… Vergiss', was ich gerade gesagt hab.«

  »Wie-«

  »Wir sind da.«, sage ich, bevor sie noch weiter fragen kann und stehe auf.

  Michiyo sieht mich nur schweigend an, nickt dann und steht dann auch auf. An der Haltestelle schaue ich mich kurz um. Nochmal fünf Minuten laufen und wir sind bei diesem Konzert. Miura, die Moorleiche, geht auf ein Konzert geht von D'espairsRay, hört diese Art von Musik noch nicht einmal wirklich. Wieso lasse ich mich nur zu so etwas überreden? Ich weiß es einfach nicht. Wahrscheinlich weil ich so ein "herzensguter" Mensch bin, haha. Seit zwei Wochen frage ich mich schon, wieso Michiyo mich so einfach dazu überreden konnte. Zwei Wochen! Ich komme aber nie auf eine Antwort…

  Als dann alle die Konzerthalle betreten dürfen, gehen Michiyo und ich ebenfalls los. Wäre ja bescheuert wenn nicht. Auf einmal höre ich, wie jemand lauft pfeift. Ich drehe mich um, blicke hin und her. Und dann sehe ich ihn. Schon wieder Long… Was zum Teufel macht er hier? Wieso verfolgt mich der Typ!? Verfolgt er mich überhaupt? Oder… Hat mein Traum von Hizumi und Long etwas mit diesem Konzert zu tun? Ich schaue Long weiter an, stelle mir nebenbei diese Fragen. Als Long mir dann winkt, werde ich von Michiyo mitgezogen. Ich hebe daraufhin ein wenig die Hand und winke Long nur ein leicht zurück. Natürlich so, dass niemand das mitkriegt. Niemand, außer Long. Nochmal schaue ich über meine Schulter, sehe wie Long grinst und sich langsam auflöst. Michiyo zieht mich einfach weiter hinter sich her. So weit, bis wir in der ersten Reihe stehen. Ist ja jetzt schon ziemlich laut, wie wird es dann, wenn die anfangen zu spielen?

  Die Antwort auf diese Frage werde ich schon bald haben. Denn ganz plötzlich fängt das Licht an zu flackern und die Reihe von Mädchen hinter mir fängt an zu kreischen. Ja, definitiv. Es geht los… Als Hizumi die Bühne, zusammen mit Zero, Tsukasa und Karyu betritt, flackern erneut die Lichter. Ich schaue hoch, beobachte das Flackern und sehe, wie dort irgendetwas herum klettert. Genau über Hizumi, meine ich. So weggetreten wie ich bin und dieses Etwas beobachte, bekomme ich gar nicht richtig mit, was Hizumi da auf der Bühne sagt. Erst, als sie anfangen, ihr erstes Lied zu spielen, werde ich aus meinen Gedanken gerissen und lasse meinen Blick auf die Bühne schweifen. Nachdem Hizumi aber zwei Schritte nach rechts tritt und anfängt zu singen, erkenne ich das Lied sogar. Gut, hat gedauert. Aber ich war erstens: Nicht bei der Sache und zweitens: Kenne ich die meisten Lieder doch gar nicht. Jedenfalls ist MIЯROR das erste Lied, das D'espairsRay spielen. Mir stellt sich gerade, ganz komischerweise, die Frage, was wäre, wenn Hizumi einfach futsch wäre? Ich habe keine Ahnung, wieso ich an sowas denke und schaue wieder zu den Lichtern hoch. Ich meine die Lichter, die genau über Hizumi hängen. Das Ding wiegt doch mindestens fünfhundert Kilo…

  Nach keine Ahnung wie vielen Songs, kommt Redeemer. Gefällt mir irgendwie nicht, dass das Liedchen jetzt kommt. Pausenlos starre ich dieses bescheuerte Gestell über Hizumi schon an. Es kommt mir hin und wieder so vor, als würde das Ding wackeln, oder schwanken. Auch sehe ich hin und wieder dieses Etwas, wie es auf dieser Lichtorgel und dem Spotlight herum klettert. Plötzlich aber, springt dieses Etwas runter, rennt an Hizumi vorbei, grinst mich dabei auch noch so an und ich sehe, wie eine Schraube herunterfällt. Ich denke mir nichts dabei, schaue einfach wieder zur Bühne und sehe neben der Bühne Long stehen. Das bedeutet sicher nichts Gutes…

  Mitten in Tsukasas Drum-Solo kippt die ganze Lichtorgel runter. Ohne, dass ich es wirklich will, springe ich auf die Bühne, stoße Hizumi weg und schaue hoch. Diese verdammte, wortwörtlich verdammte, Lichtorgel fällt doch echt, samt Gestell auf mich. Ganz plötzlich ist alles still.

  »Fuck!«, schreit Hizumi noch, bevor das Ding auf die Bühne prasselt.

  Dieses Geklapper ist das einzige, was ich nach Hizumis Fuck noch höre, bevor alles andere vor meinem Auge schwarz wird.
 

  Als ich wieder zu mir komme, wache ich in einem weißen, verdammt hell belichteten Raum wieder auf.

  »Hey, hey. Der Typ wacht auf!«

  Ja… Ich bin wieder wach und höre eine Stimme. Muss wohl die von Hizumi sein. Zumindest hört sie sich so an. Ich starre die Zimmerdecke an, kneife aber sofort wieder die Augen zu. Mein Gott! Diese Schmerzen sind ja kaum auszuhalten.

  »Verdammt…«, murmle ich, »Wo bin ich…?«

  »Hehe… Du bist im Krankenhaus. Äh… Hast du eine Ahnung, wie du heißt?«, fragt mich Hizumi und sieht mich an.

  Ja, verdammt. Er verdeckt mit seinem Schädel, zu meiner Verwunderung ungeschminkt, meine Sicht zur Zimmerdecke. Klar, ich vernehme Hizumis Frage noch, habe aber echt keinen Plan, wie ich heiße.

  »Nein…«, nuschle ich dann.

  »Hm… Zero, schnapp dir mal die Krankenakte.«

  Ich schiele ein wenig durch den Raum, so gut es geht zumindest, und beobachte dabei, wie Zero meine Krankenakte durchblättert. Wenn es meine ist…

  »Aha! Miura Fujiwara.«, sagte er dann, »Gehirnerschütterung, vier gebrochene Rippen, ein Splitterbruch im linken Arm.«

  »Und dabei noch einen Bänderriss im Rechten.«, fügt Tsukasa hinzu und blickt Zero über die Schulter.

  »So, so… Dann bist du also Miura… Mein Gott. Wegen mir liegst du hier im Krankenhaus. Wie soll ich das wiedergutmachen?«, murmelt Hizumi und sieht mich dabei irgendwie bemitleidend an.

  »Fuck… Also war es doch kein Traum…«, seufze ich.

7 Das ist wirklich das aller erste Mal in meinem Leben, dass ich mir wünsche, das hier nur geträumt zu haben… Wirklich das aller erste Mal! Plötzlich klopft es an der Tür.

  »Miura? Bist du schon wach?«, fragt eine nahezu engelsgleiche Stimme.

  Es liegt mir auf der Zunge, wie sie heißt. Aber ich komme einfach nicht drauf. Ich versuche mich ein wenig aufzusetzen, misslingt mir aber. Gut, dann bleibe ich eben liegen.

  »Hey… Ist da jemand drin? Macht mal wer die Tür auf?«

  Wieder redet das Mädchen da so vor der Tür daher. Ich schiele weiter durch den Raum, sehe wie Karyu an meinem Bett vorbei geht, wohl weiter in Richtung Tür. Er macht sie auf, denke ich zumindest. Wieder mustere ich zu Hizumi, wie er neben mir sitzt und zur Tür schaut.

  »Deine Freundin?«, fragt er dann.

  »Oh Gott!«, kreischt das Mädchen plötzlich und im selben Moment fällt irgendein Topf, oder eine Schüssel mit Wasser zu Boden.

  Ich blinzle Hizumi ein wenig an, schiele dann wieder zur Decke.

  »Keine Ahnung.«, murmle ich, »Ich sehe sie ja nicht.«

  »Oh, warte. Haben wir gleich.«, meint er grinsend und hält mir eine Fernbedienung vor die Nase, »Guck' mal!«

  Er grinst und drückt ein Knöpfchen. Mein Bett fängt an sich zu bewegen. Ja, es bewegt sich. Das Kopfteil des Bettes fährt hoch und ich sitze.

  »Autsch…«, gebe ich dumpf von mir.

  Tat ja auch wirklich Weh… Vor allem in den Rippen… Ich schaue das Mädchen an, es hat eine ganz nasse Bluse. Und! Es war das Selbe, mit dem ich auf dem Konzert war. Nur der Name… Irgendwas mit M… Ich beobachte Karyu ein wenig, wie er dem Mädchen in den Ausschnitt sieht. Mein Gott, er ist ein Mann. Was soll er denn anderes tun?

  »Nasser Ausschnitt.«, grinst er, betont das S in nass ganz gewaltig, schon beinahe wispernd hört es sich an.

  Keine zwei Sekunden nachdem er das sagte, kippt sie auch schon um. Ja, zu ihrem Glück hat Karyu sie noch aufgefangen, bevor Mädchen-meets-Krankenhausboden eintreffen kann.

  »Wie heißt die Kleine?«, fragt Karyu dann und sieht zu mir.

  Eigentlich würde ich jetzt mit den Schultern zucken, geht aber irgendwie nicht. Das tut scheiße Weh!
 

  Am Abend, als das Pink-schwarzhaarige Mädchen wieder zu sich kommt, nehme ich mir vor, sie zu fragen wie sie heißt. Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu sind in der Cafeteria und holen sich und sogar mir was zu Essen. Leicht murrend sieht mich das Mädchen auf einmal an.

  »Miura…? Wie geht's dir?«, fragt sie mich.

  »Ach… Äh… Soweit ganz gut…«

  »Schön.«

  »Eh… Darf ich dich was fragen?«

  »Was denn?«

  »Wie heißt du nochmal? Ich habe deinen Namen vergessen…«, nuschele ich.

  »Autsch… Die Lichtorgel tat richtig weh, oder?«, fragt sie kichernd.

  »Schon möglich. Ich weiß es nicht mehr.«

  »Oh… Okay… Also, dann merk's dir. Meine Wenigkeit heißt immer noch Michiyo Saruwatari.«

  »Ah! Genau! Michiyo war's… Meine Fresse wie peinlich.«

  »Schon irgendwie.«

  »Gott… Ich vergesse den Namen meiner eigenen Freundin…«

  »Freundin? Haha, Miura!«, lacht sie, »Wir sind seit eineinhalb Jahren nicht mehr zusammen.«

  »War ich so lange im Koma und du hast dir einen neuen Freund gesucht?«

  »Nein… Gestern waren wir beide auf dem Konzert.«

  »Oh… Wo ist Len? Er war doch auch dabei, oder?«

  »An mich erinnerst du dich nicht mehr, aber an Len?«

  Ich nicke schweigend, lache schief. Plötzlich klopft es wieder an der Tür. Michiyo und ich, ja, ich habe mir ihren Namen vorerst gemerkt, schauen zur Tür.

  »Miura? Ist die Kleine schon wieder wach?«, fragt Hizumi und schielt zur Tür hinein, »Oh, ja. Ist sie.«

  Michiyo starrt Hizumi und die anderen drei einfach nur an.

  »Wow, Michi-Chan, bevor du umkippst, setzt du dich aufs Bett!«, sage ich und schaue sie an.

  »Ja… Ja, okay…«

  Sie nuschelt. Eindeutig, sie nuschelt. Ich weiß nicht, was ich jetzt noch sagen soll. Sie setzt sich schweigend auf die Bettkante und sieht die Jungs wieder an. Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu betreten wieder mein Zimmer, mit Essen. Ja, das ist mir im Moment am wichtigsten. Auch, wenn ich keinen Plan habe, wie ich mit meinem Armen essen soll. Nun denn… Hizumi sitzt wieder an meinem Bett, die anderen drei ebenso.

  »Ah, warte…«, sagt Hizumi dann und reicht Michiyo die Hand.

  »Hizumi.«, grinst er und zeigt auf die anderen drei, »Tsukasa, Zero und Karyu. Und du?«

  »M-M-Mi…«

  Michiyo stottert so brutal, dass nicht einmal ich verstehe, was sie eigentlich sagen will. Gut, von der Logik her, da Hizumi sie nach ihrem Namen gefragt hat, hätte dieses Gestotter Michiyo bedeuten sollen. Eigentlich würde ich ihr einen kleinen Schubser geben, damit das Wörtchen einfach raus geschossen kommt. Aber mit den verdammten Armen geht das schlecht. Ich schaue kurz zu Tsukasa, gebe ihm mehr oder weniger ein Zeichen Michiyo anzuschubsen. Hehe, er versteht mich sofort und gibt ihr auch sogleich einen Schubser.

  »Michiyo!«, quietscht sie dann, ziemlich laut sogar.

  Blinzelnd sieht Hizumi sie an und grinst schief.

  »Gut… Zu wissen.«, sagt er dann.

  Der Anblick ist so zum schießen, weswegen Tsukasa, Zero, Karyu und ich anfangen zu Lachen. Hizumi lacht auch. Und wieder, ganz plötzlich, klopft es an der Tür.

  »Herein.«, sagt die ganze Lasst-uns-Miura-Besuchen-Gemeinschaft im Chor.

  Die Tür öffnet sich und Len tritt herein. Irgendwie glaube ich, dass das mit meinem Essen heute nix mehr wird… Da bin ich mir sogar ziemlich sicher.

  »Oh my God, D'espairsRay!«, ruft Len und blinzelt ungläubig.

  »Oh Gott, ein Papparazzi…«, nuschelt Tsukasa.

  »Äh… Nein, kein Papparazzi. Das ist Len.«, sage ich und lache ein wenig.

  »Oh… Hupps.«

  »Woah, Ura-Chan, stimmt also wirklich, was da in der Schule rumgeht, oder?«, fragt Len.

  »Was wird da denn erzählt?«, entgegnet Hizumi bevor ich das Selbe nachfragen kann.

  »Na… Miura soll dir das Leben gerettet haben. Stimmt das denn?«

  »Uhm… Jop, stimmt.«, mischt sich Zero ein.

  »Oh, wow. Unser kleiner Miura ist ein Held!«

  Ich lache nur schief. Miura, der Held, sehr schmeichelhaft, wirklich. Spätestens nächste Woche haben es alle vergessen. Alle außer mir. Vielleicht erinnern sich Len und Michiyo dann noch. Bei Hizumi bin ich mir da nicht so sicher. Soweit ich weiß, haben D'espairsRay nächste Woche noch andere Konzerte. Demnach werden die vier keine Zeit haben, nachzudenken, was letzte Woche war.

  Nach einer halben Stunde betritt eine Krankenschwester mein Zimmer.

  »Es tut mir aufrichtig Leid.«, sagt sie und verbeugt sich, »Die Besuchszeit ist vorbei. Wenn ich sie bitten dürfte, sich für heute zu verabschieden.«

  »Mhm, okay.«, murmelt es im Chor, »Bis Morgen. Schlaf' schön, Miura. Und träum' was nettes.«

  Die ganze Versammlung verlässt mein Zimmer, winkt mir noch. Eigentlich würde ich ja auch winken, geht aber nicht und ich belasse es dann einfach bei einem schwachen nicken.

  Und träum' was Nettes, keine Ahnung wer von den ganzen Leuten das gesagt hat, aber es bringt mich ganz krass zum nachdenken. Ich seufze lautstark bei diesem Gedanken, dem Gedanken, der um Träume geht. Nach einer Weile schlafe ich unter gottverdammten Schmerzen ein. Tolles Krankenhaus… Vergessen die erst mein Essen und dann noch tatsächlich die Schmerzmittel. Deprimierend…

  Na ja. Als ich schlafe, spüre ich keine Schmerzen mehr. Zumindest fast keine. Bevor ich wirklich in meine kleine Traumwelt versinke, höre ich dumpf in der Ferne, wie jemand meinen Namen ruft.

  Miura! Wach endlich auf, zum Teufel noch mal!

  Irgendwann reiße ich die Augen auf, schaue mich in dem dunklen Zimmer um. Doch ich sehe niemanden. Wie auch, das Zimmer wird nur von den Sternen am Himmel erleuchtet. Vorsichtig grabsche ich nach dem Lichtschalter. Ich zucke zusammen. Tat richtig weh, aber was soll's. ich schaue mich nochmal um, mehr oder weniger… Eigentlich schaue ich nur zur Tür.

  »Na endlich bist du wach.«, seufzt jemand neben mir.

  »Ah!«, schreie ich erschrocken und schaue den Übeltäter an.

  Da steht Long, wer auch sonst… Und wie durch dringlich er mich anschaut…

  »Wa-was machst du hier?«, frage ich stotternd.

  »Ich beschwere mich jetzt bei dir.«, schnaubt er, »Was fällt dir ein, diese wandelnde Moorleiche von der bescheuerten Band zu retten? Du hast meinen ganzen Job versaut. Aber ganz gewaltig, Freundchen. Weißt du eigentlich, was ich mir von meinem Chef anhören musste? Nein, weißt nicht. Wie auch. Du bist ja nur ein Mensch der Geister sehen kann. Demnach ein etwas interessanterer Mensch, als die anderen. Pah! Zu schade, dass ich für meine Job bezahlt werde. Im Ernst jetzt!«

  Ich schaue Long nur schweigend an. Ich habe keine Ahnung, ob ich Angst habe, oder einfach nur völlig verwirrt bin.

  »Was!?«, fragt Long und sieht mich wieder so brutalst drohend an.

  »N-nichts… A-alles bestens…«, stottere ich.

  Plötzlich packt mich der schwarzhaarige Geist am Kragen, zieht mich zu sich und starrt mich an. Genau in die Augen, meine ich. Ich zittere am ganzen Leib. Wieso weiß ich nicht. Entweder vor Angst vor Long, oder wegen der Schmerzen in meinen Armen und Rippen, die gerade durch den Ruck verursacht wurden.

  »Merk' dir eines, Miura Fujiwara.«, sagt er dann wispernd und mit drohendem Unterton, »Wenn du dich noch einmal einmischst, meinen ganzen Auftrag versaust. Beim Teufel, ich schwöre dir. Nächstes Mal überlebst du garantiert nicht. Ich helfe dir nicht mehr.«

  »S-soll das heißen, d-dass du… Mich gerettet hast?«

  »Mehr oder weniger… Ich wollte ja eigentlich nicht. Aber ich musste!«

  »Wie-wieso das?«

  »Steht so im Gesetzbuch. Es muss der richtige Typ dran glauben. Nicht so ein Vollpfosten wie du.«

  Mittlerweile murrt Long ganz gewaltig, wodurch ich kleinere Probleme habe, ihn zu verstehen. Es ist also kein Zufall, oder Glück, dass ich noch lebe. Gehört alles zum Plan des Gesetzes… Long lässt mich los, wodurch ich zurück aufs Bett falle, verschwindet zur Tür und dreht sich noch einmal zu mir um.

  »Merk' dir gut, was ich gesagt habe.«, schnaubt er und geht wortwörtlich durch die Tür.

  Ich meine, die geschlossene Tür. Wieder liege ich also im Bett und starre erneut die Zimmerdecke an. Schmerzen, Angst, Verwirrung. Alles auf einmal. Wie soll ich da schlafen? Okay, schlafen will ich sowieso nicht, aber trotzdem. Liege ich eben den Erst der Nacht im Bett und starre gedankenverloren umher. Ich mache das solange, bis ich dann doch einschlafe…

Miura - Rings In Water

  Ganze fünf Wochen bin ich nun schon im Krankenhaus. Und, verdammt, ich will nach Hause! Im Ernst mal, ich krieg hier drinnen noch die Krätze! Alles weiß und so hell und dieser Geruch nach Desinfektionsmittel! Widerlich!! Ha… Ich drehe hier wirklich durch. Vor allem, weil das Essen hier zum Kotzen schmeckt. Und noch etwas… Schmerzen und Alpträume sind eine verdammt schlechte Kombination. Ziemlich deprimierend die ganze Sache hier. Na ja. Zu meiner Verwunderung sind Hizumi und der Rest der Band jeden Tag hier. Ich meine… Jeden Tag! Sie haben sogar alle anderen Konzerte abgebrochen, mit der Begründung, Hizumi bräuchte wegen des Vorfalls eine Pause. Peinlich. Alles nur, weil ich im Krankenhaus liege. Nur, wegen der Lichtorgel… Aber im Ernst jetzt. Auf Dauer sind die vier creepy. Creepy und nervig. Echt sowas von nervig. Da sind Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu wirklich öfter in meinem Zimmer, um mich zu besuchen, als Len und Michiyo zusammen. Schockierend, oder nicht? Mir ist aufgefallen, dass Tsukasa es liebt, sich selbst reden zu hören. Und Zero und Karyu schweigen lieber. Außerdem mampft Zero meine Süßigkeiten weg. Okay, ich esse sowas ja nicht, aber trotzdem. Für Michiyo lässt er nichts übrig. Naja, das Motto Wer zuerst kommt, malt zuerst hat gegen Ladies First knallhart gewonnen. Schon lustig irgendwie. Vor allem, wenn das Keks-Gespräch losgeht. Mindestens fünfmal in der Woche muss ich mir diese Diskussion anhören. Und immer dieselben Argumente. Hizumi hält Tsukasa, Zero und Karyu für bescheuert, Tsukasa will die Kekse, die er von Hizumi bekommt nicht mit Karyu teilen und Zero will Süßigkeiten. Total krass.

  Eigentlich sollte ich morgen das Krankenhaus verlassen. Das heißt, dass ich morgen nach Hause darf. Aber die vier sitzen immer noch in meinem Zimmer. Ich meine immer noch. Seit fünf Wochen liege ich im Krankenhaus und ich bin sie noch immer nicht los…

  Heute ist Montag. Das heißt, das heute wieder Hizumis Diskussionsrunde ist. Wie sonst auch sitzen Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu um mein Bett herum. Im ersten Moment schweigen noch alle. Aber dann stützt Hizumi seine Ellenbogen auf den Knien ab. Und wie er uns ansieht, richtig creepy…

  »Also dann, Leute.«, sagt er und seufzt etwas, »Lasst uns mal über ein ernstes Thema sprechen.«

  Tsukasa, Zero, Karyu und ich schauen Hizumi einfach nur schweigend an.

  »…Will keiner was vorschlagen? Also schön. Dann sag' ich eben ein Thema an.«, meint Hizumi dann, »Reden wir über's Spannen.«

  Die anderen und ich schweigen wieder.

  »Los Leute!... Also gut… Dann fange ich eben nochmal an. Ich hab schon gespannt. Sehr oft sogar.«

  »Wetten, dass du mich beim Duschen bespannt hast?«, äußert Tsukasa.

  »Ah, Tsukasa, du bist so intelligent. Komm, kriegst 'n Keks.«

  »Oh ja, ich mag deine Kekse.«

  »Ich weiß, ich mache tolle Kekse.«

  »Muss ich dann wieder zu dir kommen und sie abholen?«

  »Ja, eigentlich schon. Ich sag' dir sogar, wo ich sie versteckt habe.«

  »Ach ja? Wo denn?«

  »In meinem Bett.«

  »Soll das heißen, dass ich in dein Bett krabbeln und die ganzen Kekse zusammen suchen muss?«

  »Ich würde alles tun, um dich ins Bett zu kriegen.«

  »Sehr schmeichelhaft, Hizu-Chan.«

  »Hey, ich will auch was sagen.«, meint Kayu auf einmal.

  »Halt' die Klappe da hinten. Du hast nichts zu melden.«, murmelt Tsukasa.

  »Ich will Süßigkeiten.«, mischt sich Zero dann noch ein.

  Wieder großes Schweigen. Zeros Argument eben war wohl knallhart. Ich lache ein wenig. Ist schon irgendwie geil gewesen grade. Einfach zum Schießen.

  »Hey, hey, Miura. Was ist so lustig?«, fragt Karyu grinsend, »Ich will auch mit lachen.«

  »Nichts, nichts. Es ist nichts.«

  »Ach ja?«

  »Jaha.«

  »Sag' schon.«

  »Gebt dem armen Zero doch seine Süßigkeiten.«, meine ich dann lachend.

  »Finde ich auch.«, sagt Zero zustimmend.

  Karyu schweigt einen Moment, sieht zu Hizumi rüber.

  »Hizumi, ich will auch Kekse.«, jammert er dann.

  »Sieht schlecht aus. Die kriegt alle Tsukasa.«, murmelt Hizumi, »Frag' ihn, ob du welche kriegst.«

  »Tsukasa, krieg ich Kekse?«

  »Nein.«

  »Bitte…?«

  »Nein.«

  »Tsukasa, du kannst Karyu ruhig ein paar Kekse abgeben.«, meint Hizumi dann.

  »Nein! Ich teile nicht! Das sind meine Kekse! Die teile ich mit niemandem!«, murrt Tsukasa.

  »Komm schon, Tsukasa, nur ein ganz Kleiner…«, bettelt Karyu.

  »Nein.«

Zero und ich lauschen nur den anderen dreien, schweigen dabei brav. Kurz schiele ich zu ihm rüber.

  »Eh, Miura.«, sagt er leise, »Hast du noch Süßigkeiten?«

  »Normal schon. Da in der Schublade sind glaube ich noch welche.«

  »Cool.«

  Noch ehe ich irgendetwas anderes sagen kann, kramt Zero schon in meiner Schublade herum. Er wird sogar fündig. Und wieder bleibt wohl nichts für Michiyo übrig. Schon lustig irgendwie.

  Die Diskussionsrunde, ob Karyu nun Kekse von Tsukasa bekommt, geht bis zum Abend. Len und Michiyo haben sich heute noch gar nicht blicken lassen. Ich will aber hoffen, dass Len mich morgen nicht vergisst. Schließlich will ich nach Hause…

  Als später dann wieder die Krankenschwester in mein Zimmer kommt, um die D'espairsRay rauszuwerfen, verabschieden sich die vier von mir, winken ein wenig und verschwinden dann. Manchmal ist sie, also die Krankenschwester, ein richtiger Segen. Wenn sie etwas jünger wäre, dann würde sie ein noch Größerer sein. Aber naja, da kann man nichts dagegen machen. Als ich mich dann auch von den D'espas verabschiedet habe, haue ich mich etwas auf's Ohr. Natürlich nicht wortwörtlich, das würde ich ja niemals überleben.

  Und dann träume ich auch schon wieder. Die grüne Wiese, der blaue Himmel… Doch, wie sonst auch verdunkelt sich der Himmel. Fast schwarz ist er plötzlich. Wieder sehe ich jemanden in der Ferne stehen. Ich kenne ihn aber nicht. Zumindest glaube ich das. Schließlich erkenne ich dort niemanden, außer die Silhouette desjenigen. Aber viel anfangen kann ich damit nicht. Wenigstens ist der Traum um einiges milder, als alle anderen bis jetzt. Tut ja irgendwie gut, finde ich zumindest.

  Am nächsten Morgen, als ich wach werde, starre ich die Zimmerdecke an und warte seufzend darauf, dass ich mich wieder bewegen kann. Dauert natürlich wieder seine Zeit. Wieder so fünf bis acht Minuten. Langsam setze ich mich auf, geht ja mittlerweile wieder. Ist ein wenig umständlich, aber es geht. Ich schaue zum Nachttisch. Da steht ein Glas Wasser. Muss die Krankenschwester wohl hingestellt haben, als ich geschlafen habe. Als ich das Glas in die Hand nehmen will, fallen mir komische Ringe im Wasser auf. Irgendwie kommt mir die Situation bekannt vor. Ich meine, dass ich solche Ringe im Wasser sehe. Ich weiß nur gerade nicht mehr, was damals war. Geschweige denn, wann es war. Ich schaue das Glas weiter an. Sieben Ringe kann ich zählen. Sieben… Was soll mir das bringen?

  Den ganzen Vormittag zerbreche ich mir über diese bescheuerten Ringe den Kopf. Wirklich so lange, bis es an der Tür klopft und Len herein kommt. Er hilft mir mehr oder weniger, meine Sachen zusammen zu packen und meine Jacke anzuziehen. Geht mit Gips eben ein bisschen schwer… Als wir das Krankenhaus dann endlich verlassen, natürlich erst nachdem ich mich bei der netten Krankenschwester verabschiedet habe, seufze ich erleichtert.

  »Endlich bin ich frei!«, sage ich dann glücklich.

  »Deine Arme sind aber immer noch tot.«, lacht Len.

  »Ach verdammt… Versau mir doch nicht alles…«

  »Hehe. Sorry, Shorty.«

  »Es sind nur vier Zentimeter!«

  »Trotzdem bist du kleiner.«

  »Es sind vier Zentimeter!«

  »Ja, ja. Okay… Hast ja gewonnen.«

  »Schön. Das freut mich.«, grinse ich dann.

  »Was ist eigentlich mit deinen Freunden?«

  »Wen meinst du?«

  »D'espa…«

  Oh Gott… Ehe Len D'espa gesagt hat, steigen Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu aus einem Auto aus. Ich hab die vier, in meiner Freude endlich nach Hause zu kommen, total vergessen. Gut, abhauen kann ich ja sowieso nicht. Wie auch.

  »Puh. Da haben wir's gerade noch geschafft.«, meint Hizumi, als er mir entgegen kommt.

  »Ja? Habt ihr mich denn so vermisst?«

  »Aber sowas von.«

  »Hast du Süßigkeiten für mich, Miura?«, fragt Zero und linst an Hizumis Schulter vorbei.

  »Verdammte Scheiße, bist du groß.«, murmelt Tsukasa nebenbei, »Fast so groß wie Karyu…«

  »Ach was…«, entgegne ich ebenfalls murmelnd, »Len ist größer…«

  »Stimmt…«

  Tsukasa sieht von Len zu Karyu und wieder zurück.

  »Sie sind gleichgroß.«, stellt er dann fest.

  Ich nicke dann einfach zustimmend. Eigentlich bin ich mit meinen Gedanken ja schon zu Hause. Plötzlich hält Hizumi mir einen Zettel vor die Nase und Karyu einen Stift. Ich blinzele ein wenig, schiele fragend zu Len, der ja einfach nur schweigt.

  »Was soll ich damit?«, frage ich dann.

  »Du musst uns schon deine Adresse geben. Sonst können wir dich ja nicht mehr besuchen.«, meint Hizumi grinsend.

  »Ach so… Okay… Äh… Len?«

  »Oh ja, klar. Sorry.«, lächelt Len schief, schnappt sich Zettel und Stift und schreibt den vieren meine Adresse auf. Kann ich ja schlecht mit zwei toten Armen. Irgendwie aber erschreckend, dass die Jungs mich noch immer besuchen wollen. Nicht, dass ich was dagegen hätte, aber trotzdem. Len reicht Hizumi den beschrieben Zettel und ich schaue die anderen drei kurz an.

  »Danke. Also dann, Miura. Wir sehen uns.«, meint Hizumi.

  Ich nicke und schaue zu Len.

  »Gehen wir?«, frage ich ihn.

  »Jop. Gehen wir.«, nickt Len und hebt ein wenig die Hand, »Bye, Leute.«

  »Bis dann!«, rufen Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu und winken.

  Ich hebe den linken Arm, winke auch ein wenig. Geht ja mit dem Rechten gar nicht, der ist voll tot… Gottverdammter Bänderriss… Ich steige vorsichtig in Lens Auto, lehne mich sofort in den Sitz und seufze ein wenig. Das Surren des Motors ist schon beinahe Musik in meinen Ohren. Zumindest ein schöneres Geräusch als im Krankenhaus das Geklapper der Instrumente. Schon allein die Vorstellung, dass die mir mit so einem Skalpell die Arme aufgeschnitten haben ist eklig. Im Ernst mal… Sie haben mir im rechten Arm die ganze Elle aufgeschnitten. Was sie beim linken Arm gemacht haben, will ich gar nicht wissen. Ich betrachte kurz den Verband um meinen rechten Arm. Mit ziemlicher Sicherheit gibt das eine voll fette Narbe. Wie soll ich mit sowas noch eine Freundin kriegen!? Tja, ist sehr fraglich, oder? Vor allem, wenn sie so wählerisch wie Michiyo oder andere Mädchen aus der Schule sind. Irgendwie muss ich mir überlegen, wie man sowas verhindern kann. Ich meine… Als Single will ich nicht sterben!

  Deprimierend. Als ich daheim ankomme und Len dabei ist, die Tür zu öffnen, betrachte ich irgendwie ungewollt die ganzen Wesen auf der Straße. Nicht ein einziger normaler Mensch ist dort zu sehen. Nur geisterhafte Geschöpfe.

  »Hast du's bald?«, frage ich leise.

  »Ja, ja. Moment.«

  Ich warte also weiter. Will ich ja eigentlich nicht, denn ich starre die Wesen an, ob ich will oder nicht. Irgendwie scheiße.

  Nach geschlagenen zwanzig Minuten hat Len es geschafft, die Tür aufzuschließen. Glücklich, wie ich nun mal darüber bin, springe ich hinein und schaue mich um.

  »Verdammt… Ist das staubig hier…«, murmle ich.

  »Ist ja krass… Dabei warst du nur fünf Wochen im Krankenhaus… Solange gehen Leute wie ich in den Urlaub.«, meint Len.

  »Schon irgendwie…«

  Ich seufze ein wenig. Wie soll ich das mit meinen Armen putzen? Schon recht deprimierend, wenn ich so darüber nachdenke. Ich könnte Len fragen, will ich aber nicht. Außerdem weiß ich, dass er nicht gerne putzt.

  »Kommst du alleine klar?«, fragt Len und stellt die Tasche ab.

  »Ja. Sicher. Und danke…«, sage ich und nicke.

  »Schon gut. Ich muss dann in die Schule…«, murmelt er, »Ich komm' heute Abend wieder, ja?«

  »Okay.«

  Len geht zur Haustür raus, macht sie hinter sich zu. Gut, zum Einen habe ich keine Lust, die Tür irgendwie abzuschließen. Und zum Anderen kann ich das noch nicht einmal wirklich. Zumindest noch nicht. Seufzend hocke ich mich auf's Sofa und schalte mit Mühe den Fernseher ein. Kommt nicht wirklich was interessantes hier. Naja, irgendwie nicke ich weg. Nicht fest, auch nicht lange, denn es klingelt an der Tür, wodurch ich leicht aufschrecke. Gähnend stehe ich auf und verschwinde an die Tür.

  »Wer ist da?«, frage ich, ohne, dass ich die Tür auch nur anfasse.

  »Huhu! Hier ist Sexy Tsukasa!«

  »Hizumi!«

  »Und Karyu!«

  »Zero, oder so.«

  Oh je. Ohne Worte…

  »Die Tür ist auf.»Die Tür ist auf.«, murmle ich, trete ein wenig zurück.

  »Ich hoffe mal, dass wir dich nicht stören.«, grinst Hizumi.

  »Nein, nein. Passt schon.«, sage ich.

  Zero ist der Letzte der eintritt und macht, zu meinem Glück, die Tür hinter sich zu. Ich deute mit dem Kopf in Richtung des Wohnzimmers.

  »Da drüben müssten irgendwo noch Süßigkeiten sein.«, sage ich und grinse ein wenig.

  »Cool.«, entgegnet Zero und verschwindet im nächsten Moment ins Wohnzimmer.

  Ich schaue ihm noch kurz nach, gehe dann mit den anderen dreien in die Küche.

  »Tut mir leid, dass es hier so aussieht.«, seufze ich, »Eigentlich… Sieht's bei mir nie so aus.«

  »Passt schon.«, meint Hizumi.

  »Staubig ist es trotzdem.«, murmelt Tsukasa.

  Karyu nickt nur schweigend. Ich zucke mit den Schultern. Eigentlich haben sie ja Recht. Wenn meine Arme noch ganz wären, würde es echt nie so bei mir aussehen. Ja, ich bin ein Ordnungsfreak hoch zehn. Aber echt sowas von. Auf einmal kommt Zero auch noch in die Küche, mit den ganzen Süßigkeiten im Schlepptau. Leicht blinzelnd schaue ich ihn an. Recht fraglich, wo die alle her sind.

  »Wollt ihr was trinken?«, frage ich.

  »Ja, gern. Was hast du alles da?«, entgegnet Hizumi.

  »Wasser und Coke.«

  »Große Auswahl.«

  »Ich nehme an, ihr wollt die Coke…«

  Schweigendes Nicken. Ist ja Antwort genug, für mich zumindest. Ich blinzle kurz, ehe mir einfällt, dass sich die Jungs wohl selbst bedienen müssen. Welch grausamer Gastgeber ich doch bin…

  »Ähm…«, gebe ich nachdenklich von mir, »Die Gläser sind in dem Schrank da. Und die Coke ist normalerweise im Kühlschrank.«

  Karyu nickt leicht, erhebt sich vom Stuhl und nimmt die Gläser aus dem Schrank. Tsukasa schnappt sich derweil die Coke aus dem Kühlschrank. Ich schaue den beiden zu, wie sie die Gläser auf den Tisch stellen und die Coke einschenken. Schweigend betrachte ich die Flasche auf dem Tisch an, schaue hin und wieder zu, wie ab und an einer der vieren seine Coke trinkt und sehe in der Flasche wieder solche Ringe. Wieder sieben Stück. Genau wie heute Morgen auch. Schon komisch. Und gruselig…

  »Also schön, Leute. Jeder hatte jetzt was zu trinken. Fangen wir an.«, meint Hizumi plötzlich, stellt sein Glas auf den Tisch und steht auf.

  »Womit sollen wir anfangen?«, fragt Karyu nebenbei.

  »Wir helfen Miura die Wohnung aufzuräumen. Also los! Bewegt euch!«

  »Das muss doch nicht sein…«, murmle ich.

  »Da hörst du's. Es muss nicht sein.«, grinst Karyu.

  »Und wie das sein muss!«, protestiert Hizumi, »Zero, du nimmst das Wohnzimmer. Tsukasa das Schlafzimmer. Karyu… Du nimmst das Badezimmer. Und ich nehme die Küche.«

  »Okay. Wie du meinst. Gerne.«, grinsen Tsukasa und Zero.

  »Wieso muss ich das Bad nehmen?«, fragt Karyu.

  »Weil's eben so ist, fertig!«

  »Ach so, okay… Bin darüber aber nicht erfreut. Nur dass du's weißt.«

  »Du kriegst auch Kekse.«

  Noch ehe Hizumi fertig geredet hat, ist Karyu auch schon ins Badezimmer verschwunden. Was zum Teufel macht er für Kekse!? Naja, irgendwie kann ich mir schlecht darüber den Kopf zerbrechen, denn die vier stellen gerade meine Wohnung auf den Kopf. Und dieser mehr oder weniger vorhandene Enthusiasmus. Gut, Zero mampft nebenbei meine Süßigkeiten alle, Hizumi durchwühlt erst meine Küche, bevor er anfängt sie zu putzen. Karyu hantiert in meinem Badezimmer, zumindest hört es sich danach an. Und was Tsukasa in meinem Zimmer macht… Will ich gar nicht wissen. Ich schaue also schweigend zu, wie Hizumi meine Küche halbwegs auseinander nimmt.

  »Sag mal, Hizumi…«, sage ich dann, »Was ist an deinen Keksen denn so toll?«

  »Haha, weiß ich auch nicht wirklich. Die drei stehen aber voll drauf.«, meint er grinsend.

  Ist schon lustig auf eine Art und Weise.

  »Soll ich dir mal welche vorbeibringen?«, fragt Hizumi und betrachtet das Brotmesser in seiner Hand.

  »Klar, wieso nicht.«, antworte ich und nicke.
 

  Am Abend, spät am Abend, sitzen Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu völlig fertig im Wohnzimmer und pennen tief und fest. Meine Wenigkeit kann und will nicht schlafen. Daher schaue ich mich in der Wohnung um. Schließlich will ich ja auch wissen, was die vier gemacht haben. Was Hizumi mit meiner Küche gemacht hat, weiß ich ja. War ja immerhin dabei. Besteck poliert, Schubladen sortiert, Arbeitsplatte geputzt, und so weiter. War echt interessant, wie er das gemacht hat. Vor allem, wie kompliziert. Aber für gewöhnlich soll man den Meister nicht kritisieren. Tja, ich verschwinde dann also ins Badezimmer, schaue mich da auch noch um. Richtig sauber, für das, dass Karyu gar keine Lust darauf hatte. Nach dem Badezimmer laufe ich wieder durch's Wohnzimmer, weiter in mein Schlafzimmer. Irgendwie ahne ich Schlimmes. Ich schaue mich um, irgendwie hat sich nichts verändert. Äußerlich zumindest nicht. Erst, als ich die Schublade meines Kleiderschranks öffne, haut's mich fast aus dem Fenster. WIESO IN GOTTES NAMEN SORTIERT TSUKASA MEINE UNTERWÄSCHE!?

  Noch immer recht schockiert, setze ich mich, ganz vorsichtig, auf mein Bett und lege mich hin. Ich starre die Decke an, blicke hin und wieder zu meiner Uhr an der Wand. Obwohl ich langsam müde werde, will ich nicht schlafen. Diese Ringe, die ich im Wasser sehe, bringen mich erneut zum nachdenken. Aber so richtig.

  Trotzdem schlafe ich ein. Einfach so. und träume wieder. Aber dieses Mal ist es völlig anders als sonst. Keine grüne Wiese, kein klarer, blauer Himmel. Stattdessen sehe ich Karos am "Himmel", Streifen am "Boden". Richtig abstrakt.

  »Wo zum Teufel bin ich?«, frage ich und schaue mich dabei weiterhin um.

  »Miura!«, ertönt es plötzlich hinter mir, »Was soll das!? Du weißt genau, dass ich nicht will, dass du so redest!«

  Ich drehe mich schweigend um. Was, oder besser wen ich da sehe, will und kann ich nicht glauben.

  »Oma?«, frage ich leise nach.

  »Ja, natürlich. Wer denn sonst? Deine Mutter, oder was?«

  Es ist wirklich meine Großmutter. Creepy…

  »Hätte mich gewundert wenn…«, murmle ich und betrachte meine Großmutter, »Was machst du hier?«

  »Wohl nicht das Selbe wie du, oder?«, lacht sie.

  »Komm schon. Rück's raus.«

  »Ich bin nur hier, um dir einen kleinen Tipp zu geben.«

  »Und der sieht wie aus?«

  Sie lächelt mich nur an, löst sich dabei langsam auf. Wieder verlässt sie mich, ohne mir etwas zu sagen. Gut… Sie kann nichts dafür, dass sie gestorben ist. Trotzdem. Außerdem weiß sie ganz genau, dass ich Rätsel hasse.

  »Das glaub ich jetzt nicht!«, rufe ich, »Oma!! Komm zurück!«

  Ich bekomme keine Antwort. Aber was anderes. Kalte Ohren. Es zieht ein eiskalter Wind an mir vorbei. Ich drehe mich um und ganz plötzlich spüre ich ein Stechen im Bauch. Eigentlich ganz harmlos. Tut nicht weh, oder sonst was. Piekst nur ein wenig. Auf einmal erscheint so ein komischer, schwarzer Schatten, welcher sich langsam zu einem Typen zusammensetzt. Zu einem Typen mit braunen, schulterlangen Haaren.

  »Buh.«, sagt er grinsend und hält ein Messer, welches in meinem Bauch steckt, in der Hand.

  Aaaaaaah!

  Ich weiß nicht wer schreit, wen ich schreien höre. Wahrscheinlich mein eigenes Echo. Das sind ganz plötzlich so höllische Schmerzen in meinem Bauch. Das, was vorher nur ein kleines Pieksen war.

  So vor Schmerzen schreiend, wie ich es träume, wache ich auf. Nur nicht alleine. Als ich wach und schreiend im Bett sitze, schreien Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu auch. Erschrocken und nach Luft ringend sehe ich die vier an.

  »Miura, was ist los?«, fragt Zero und fasst sich an die Brust, »Wegen dir bekomm' ich hier noch einen Herzinfarkt…«

  »Tut mir leid… Ich… Ich hab geträumt…«

  Die vier schauen mich schweigend und fragend an. Ich seufze ein wenig. Völlig verrückt, aber ich erzähle den vieren alles. Was ich sehen kann und was ich träume. Es wundert mich gewaltig, dass sie nicht lachen. Komisch, irgendwie. Ich glaube, es vergehen Stunden, bis ich mit Erzählen fertig bin.

  »Alter… Du bist ein Vollfreak.«, meint Karyu dann.

  »Halt' die Klappe, Karyu!«, sagt Hizumi und schlägt ihm auf den Hinterkopf.

  »Lass' ihn doch. Ich hör' das jeden Tag, da macht Karyu auch nichts mehr.«, meine ich und lache etwas schief.

  »Trotzdem. Das ist nicht nett. Entschuldige dich bei ihm, Karyu!«

  »'tschuldigung, Miura.«

  »Schon gut.«, lache ich.

  »Coole Uhr.«, sagt Tsukasa auf einmal.

  Ich wende meinen Blick zu meiner Uhr an der Wand.

  »Findest du?«, frage ich nach.

  »Schon. Wieso hängt sie so weit oben?«

  »Damit ich sie sehen kann, wenn ich im Bett liege und mich nicht bewegen kann.«

  »Okay…«

  Ich nicke nur noch und lege meine Hand auf meinen Bauch. Schon komisch. Irgendwie verspüre ich eine Art Pieksen, oder sowas. Ich hebe mein Hemd etwas hoch und, verdammt. An derselben Stelle, an der das Messer in meinem Bauch steckte, habe ich nun einen blauen Fleck. Keinen Runden, eher einen länglichen, so… Fünf Zentimeter vielleicht.

  »Wow… Was hast du denn da gemacht?«, fragt Zero und piekt mir auf den Fleck.

  »Au!«

  »Sorry.«

  »Das tat richtig weh…«, murmel ich und lasse mein Hemd wieder runter, »Ich hab keine Ahnung, wo das Ding herkommt.«

  »Interessant.«, meint Tsukasa.

  Die anderen drei nicken nur schweigend.

  »Wollt ihr was Frühstücken?«, frage ich.

  »Nee. Eigentlich nicht.«, sagen sie und grinsen.

  »Ah… Okay.«

  »Willst du etwas essen?«, fragt Zero.

  »Nein. Ich esse morgens nichts. Da muss ich von Kotzen.«

  »Haha, in Ordnung.«

  Wieder nicke ich, seufze ein wenig. Irgendwie fällt mir gerade auf, dass Len gar nicht mehr vorbeigekommen ist. Ich glaube, dass ich bald an Alzheimer leide…

  »Ähm… Nochmal danke für alles…«, lächle ich.

  »Schon gut. Musst dich nicht bedanken.«, meinen die vier und grinsen breit.

  Nach einem tollen Mittagessen von Hizumi, verschwinden die vier wieder. Besser gesagt, musste ich eine Stunde mit ihnen diskutieren, dass ich alleine zurechtkomme. Hat gedauert, aber ich hab's geschafft.

  Als ich mir ein Glas Wasser einschenke, was recht schwierig ist, und über den Traum mit meiner Großmutter nachdenke, sehe ich wieder diese Ringe. Ich zähle sie nach. Sechs Stück. Gestern waren es noch sieben. Komisch. Erst die Ringe, die ich schon früher einmal gesehen habe, dann träume ich von meiner verstorben Großmutter… Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht. Ich gebe es auf, mir darüber den Kopf zu zerbrechen und versuche, wie die Geister die ich sehe, diese Ringe zu ignorieren. Klappt ganz gut. Denke ich zumindest…
 

  Sechs Tage sind jetzt schon vergangen. Jeden Tag sind Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu bei mir und helfen mir, wo es sein muss und auch da, wo es nicht sein muss… Kein Kommentar zu letzterem. Außerdem hat sich Len zigmal dafür entschuldigt, dass er an dem einen Abend nicht mehr vorbeigekommen war. War schwierig, den wieder zu beruhigen… Und noch etwas Interessantes ist passiert. Jeden Tag, wurde es ein Ring weniger, den ich im Wasser sehen konnte. Heute ist gar keiner mehr da. Überhaupt keiner. Irgendwie gruselig. Aber ganz plötzlich erinnere ich mich wieder. Das letzte Mal, als ich diese Ringe gesehen hatte, starb meine Großmutter. Demnach denke ich, dass jemand anderes stirbt. Jemand, der mir nahe liegt… Aber ich kenne niemanden, außer Len, Michiyo und wohl oder übel die D'espas.

  Am nächsten Morgen, als ich mit den Jungs in der Küche sitze und die Zeitung durchforste, besser sie von Hizumi vorlesen lasse, habe ich schon so ein mulmiges Bauchgefühl.

  »Hey, Miura.«, sagt Hizumi plötzlich, wodurch ich ihn ansehe, »Kennst du einen Akihiro Fujiwara?«

  »Äh… Ja, schon. Wieso fragst du?«

  Er hält mir die Zeitung vor die Nase. Schon doof, was ich da lese…

  Fujiwara Akihiro, geboren am 07.Juli 1964, gestorben am 12.Dezember 2009

"Deine Frau, deine beiden Söhne und deine Tochter werden dich ewig lieben und niemals vergessen."

  »Bist du mit dem Fujiwara verwandt?«, fragt Hizumi nach.

  Ich starre den Artikel weiterhin schweigend an. Name und Geburtsdatum stimmen ja. Frau und Tochter könnte auch noch hinhauen. Aber deine beiden Söhne… Ich habe zwei Brüder, demnach sind wir auch drei Söhne, oder nicht? Heute ist der 13. Dezember und, falls das wirklich mein Vater ist, der da gestern verstorben ist, wieso ruft dann niemand an? Grausige Frage. Ich will nicht darüber nachdenken, schüttle daher den Kopf und schniefe leicht.

  »Nein. Nein, ich glaube nicht.«, antworte ich dann.

  »Ach so. Hätte ja sein können.«

  Ich nicke, schaue kurz aus dem Fenster.

  »Sorry Leute, dass ich euch für heute rausschmeiße.«, sage ich dann und schaue wieder zu den Jungs.

  »Wieso schmeißt du uns jetzt schon raus?«, fragt Zero.

  »Eh… Mir geht's nicht gut. Bin müde und so…«

  »Also gut. Dann kommen wir morgen wieder.«, murmelt Tsukasa.

  »In Ordnung.«

  Ich begleite die vier zur Haustür, sehe zu, wie Karyu, als Letzter, die Tür zumacht und bleibe noch einen Moment vor der geschlossenen Tür stehen. Keine Ahnung wieso, aber ich laufe ins Wohnzimmer und schnappe mir das Telefon, so gut es geht zumindest. Ohne wirklich darüber nachzudenken, wähle ich die Nummer meiner Eltern an.

  »Ja, hallo?«, meldet sich wer, leicht schniefend; eindeutig meine Mutter.

  »Wieso hast du nicht angerufen und gesagt, dass Dad gestorben ist?«, frage ich.

  »…Wer ist da?«, entgegnet sie.

  »Das weißt du ganz genau! Sag mir, wieso du nicht angerufen hast!«

  »Würden Sie mir freundlicherweise Ihren Namen nennen?«

  Klar weiß sie, wer ich bin. Aber trotzdem. Spiel ich ihr Ich-Habe-Nur-Zwei-Söhne-Spiel eben mit…

  »Miura… Miura Fujiwara… Dein verrückter Sohn.«

  »Oh… Du…«

  »Ja, ich.

  »Woher weißt du davon?«

  »Ich besitze auch eine Tageszeitung. Sag mir jetzt, wieso du nicht angerufen hast. Aki und Yu wissen es doch bestimmt auch schon…«

  »Ich hatte deine Nummer nicht.«

  »Und wie du sie hast… Sag's mir doch einfach. Sag mir, dass du mich hasst.«

  Sie schweigt. Eigentlich rechne ich damit, dass sie einfach auflegt. Hat sie ja sonst auch schon getan.

  »Die Beerdigung ist morgen.«, sagt sie noch bevor sie wirklich auflegt.

  Obwohl sie mir nicht gesagt hat, wo sie Beerdigung stattfindet, weiß ich es. Denke ich zumindest. Wird wohl dort sein, wo auch meine Großmutter beerdigt wurde, oder eher verbrannt. Anscheinend sieht mich meine Mutter wohl wirklich nicht mehr als einen ihrer Söhne an. Ziemlich… Krank. Ich hocke mich schmollend aufs Sofa und starre auf den Fernseher. Okay, er ist aus. Wenn er aber an wäre, würde das an der Situation auch nichts mehr ändern. Ich schließe die Augen und döse etwas vor mich hin. So lange, bis es plötzlich an der Tür klingelt. Seufzend öffne ich wieder die Augen und gehe an die Tür. Michiyo steht davor. Ihre pinken Haare schimmern durch's Haustürfensterchen. Ich wische mir über die Wangen, als mir eine Träne herabläuft.

  »Die Tür ist auf…«, murmel ich.

  Michiyo kommt zur Tür herein und sieht mich schweigend an.

  »Miura… Was ist los?«

  »Es… Ach, verdammt!«

  Wer hätte gedacht, dass ich wegen jemandem weine, der mich unbedingt loshaben wollte? Ich laufe, ohne ein weiteres Wort zu sagen, in die Küche und stütze mich dort über dem Spülbecken ab. So gut es geht zumindest. Ich kotze mich da regelrecht aus. Wundert mich, dass ich noch kein Blut oder sonst was spucke. Als ich dann Michiyos Hand auf meinem Rücken spüre, beruhige ich mich etwas. Aber eben nur etwas.

  »Miura… Sag schon. Was ist passiert? Das letzte Mal, als du so gekotzt hast, war, als deine Oma gestorben ist…«

  Ich ringe etwas nach Luft, keuche ein wenig und rutsche das Becken entlang nach unten auf den Boden. Es ist recht schockierend, dass Michiyo das noch weiß. Ich weiß es zumindest nicht mehr.

  »Deine Mutter?«, fragt sie leise.

  Ich schüttle den Kopf.

  »Mein… Vater.«

  Alleine als ich dieses Wort sage, könnte ich noch eine Runde kotzen. Zumindest würgt es mich schon. Vorsichtig streicht mir Michiyo durch die Haare.

  »Los, Miura. Steh' auf. Ich mach' dir einen Tee.«, meint sie und hilft mir hoch.

  Ich sträube mich irgendwie ein wenig, aber nur ein wenig. Schweigend setze ich mich, als ich wieder stehe, an den Küchentisch, stütze meinen Kopf auf dem Gips des linken Armes ab. Hin und wieder schaue ich zu, wie Michiyo in der Küche hantiert.

  »Hast du hier so aufgeräumt?«, fragt sie und sieht mich an.

  »Nein. Hizumi hat die Küche aufgeräumt. Tsukasa mein Zimmer, Zero das Wohnzimmer und Karyu das Badezimmer.«

  »D'espa haben dir geholfen?«

  »Ja. Sie kommen jeden Tag vorbei.«

  »Sie… Jeden Tag!?«

  »Hörst du schlecht?«

  »Wo sind sie jetzt?«

  »Wieder weg… Hab sie für heute rausgeschmissen.«

  Schon toll, wie sie auf einmal alles andere vergisst, wenn man Hizumi, Tsukasa, Zero, Karyu oder einfach nur D'espa erwähnt. Ich lache deshalb ein wenig. Leicht in Gedanken versunken, stellt sie mir die Tasse Tee vor die Nase und hockt sich neben mich.

  »Wer hat dich angerufen?«, will sie dann wissen.

  Ich bedanke mich für die Tasse, nippe ein wenig daran und schiele zu ihr.

  »Niemand.«, flüstere ich, »Hizumi hat's gesagt.«

  »Hizumi kennt deinen Vater!?«

  Ich schüttle den Kopf, deute auf die Zeitung. Sie sieht diese an, blättert ein wenig herum.

  »Zwei Söhne? Seid ihr nicht drei Jungs?«

  Manchmal glaube ich, dass Michiyo hyperintelligent ist, oder sowas. Ich meine… Sie hat das Ding so schnell gelesen, als müsste sie es nur ansehen. So… Keine Ahnung… Schwer zu beschreiben. Sie ist manchmal richtig gruselig. Creepy eben.

  »Eigentlich schon… Aber meine Mutter kennt mich ja nicht mehr. Was soll's. Aki, Yuu und Asuka haben mich sicher auch schon vergessen. Ich bin doch "verrückt".«

  »Deine Mutter ist verrückt. Nicht du.«

  »Ach ja? Seit wann bin ich nicht mehr verrückt?«

  »Seit… Ach, egal!«

  Tja… Und manchmal verstehe ich dieses Mädchen einfach nicht. Die Unlogik in Person. Aber eben nur manchmal.

  »Rufst du Len für mich an? Ich brauch' jemanden, der mich morgen zur Beerdigung fährt.«, frage ich dann.

  »Äh… Klar. Mache ich.«

  Sie greift nach dem Telefon und ruft Len an. Ziemlich krasse Gespräche führen die beiden immer. Ich meine… Wenn die beiden sich unterhalten gibt es kein einziges Mal einen netten Satz. Höflichkeit ist bei denen völlig fehl am Platz. Manchmal echt zum schießen die zwei.

  »Also schön. Len holt dich morgen um halb sieben ab.«, lächelt Michiyo.

  »Okay… Danke…«

  Ich lächle schief. Diese Gefühlswandlungen sind auch ziemlich gruselig.

  Bis zum Abend habe ich Michiyo am Hals. Nicht, dass ich sie nicht mehr leiden kann, oder so, aber ich bin ziemlich fertig heute. Alleine schon, weil ich meinen ganzen Mageninhalt dreimal ausgekotzt habe. Als sie dann nach Hause geht, hocke ich mich wieder auf's Sofa und schaue fern. Irgendwann schlafe ich auf dem Sofa ein.
 

  Am nächsten Morgen, halb sechs um genau zu sein, wache ich auf und starre zur Decke. In einer Stunde wird Len auftauchen. Leicht seufzend schaue ich zum Fernseher, welcher die ganze Nacht gelaufen ist. Ich schalte ihn aus und erhebe mich langsam. Wieder habe ich geträumt. War zum Glück ganz harmlos. Okay… Irgendwer wurde schon wieder gekillt, aber solange ich es nicht aus nächster Nähe sehe und nicht selbst das Opfer bin, ist es mir relativ egal. Ich sitze in der Küche und trinke ein Glas Wasser. Eigentlich sollte ich was essen, schließlich habe ich gestern alles ausgekotzt. Aber mir ist immer noch schlecht, daher lasse ich es sein und trinke stattdessen nur etwas.

  Um Punkt halb sieben klingelt es an der Haustür. Ich stehe auf, gehe hin und öffne sie. Len steht davor. Wer auch sonst?

  »Morgen…«, murmel ich und schaue ihn an.

  »Hey.«

Ehe ich ihn zur Tür rein lassen kann, tätschelt er mir auf den Kopf und wuschelt etwas durch meine Haare, so... Großer-Bruder-Like eben. Ich lächle daraufhin ein wenig.

  »Wie geht's dir?«, fragt er dann.

  »Eigentlich ganz gut… Denke ich…«

  »Denkst du… Aha.«

  »Ja…«

  »Ähm… Bist du soweit?«

  Ich nicke, schnappe mir meine Jacke und meine Schlüssel und gehe mit Len zu seinem Auto. Schweigend setze ich mich in den Wagen und schnalle mich an. Ich hoffe nur, dass die D'espa-Jungs nicht vor meiner Haustür sitzen und auf mich warten. Wäre irgendwie… Weiß nicht… Komisch? Als Len dann losfährt und auf die Nationalstraße abbiegt, schaue ich leicht gedankenverloren aus dem Fenster.

  »Soll ich mit, oder willst du alleine hingehen?«, fragt er auf einmal.

  »Ich glaube, ich gehe allein. Trotzdem danke.«

  »Schon gut.«

  Er hält vor einer Treppe an. Mein Blick wandert kurz dieses aus Stein geschlagene Etwas entlang nach oben. Richtig lang das Ding. Wenn ich schätzen müsste, würde ich tausend Treppenstufen oder so behaupten. Da ich aber schlecht im Schätzen bin und weiß, dass es siebenhundert sind, schweige ich.

  »Danke, Len.«

  »Schon gut. Ruf' an, wenn ich dich wieder abholen soll.«

  Ich nicke, lächle ein wenig. Nachdem Len wieder weggefahren ist, mache ich mich auf den Weg diese siebenhundert Stufen zu besteigen. Nennt man das so? Ach was soll's.

  Nach zwei Stunden, mit Pausen und ausatmen und so, habe ich es geschafft und stehe vor dem Tempel. Ich seufze erleichtert. Ein Glück, dass die Beerdigung erst in einer viertel Stunde losgeht. Zumindest steht das auf so einem kleinen Schildchen. Ich schaue mich ein wenig um. Irgendwie fühle ich mich beobachtet, aber ich sehe nichts und niemanden. Mir läuft es eiskalt den Rücken hinab. Nach einer Weile, so kommt es mir vor, kommen die ersten Leute. Ich kenne sie nicht. Wahrscheinlich Arbeitskollegen meines Vaters. Ich stehe etwas abseits der anderen Leute. Weit von den anderen weg. Trotzdem nah genug, um sie noch zu verstehen. Zumindest verstehe ich meine beiden Brüder, meine Schwester und meine Mutter. Gut… Sie schluchzen mehr oder weniger, aber trotzdem. Nach der langen Rede von dem Typ, blicke ich wieder zu dem Teil, der sich mal Familie nannte. Schluchzend, deprimiert, was weiß ich… Im Prinzip ist es mir so egal, wie ich ihnen egal bin. Doch dann, ganz plötzlich, sehe ich, wie mein Vater vor den vieren erscheint. Er versucht sie zu berühren, redet mit ihnen. Zumindest will er das. Aber sie hören und sehen ihn nicht. Weder meine Mutter, noch Aki, Shou oder Chanisa. Niemand von ihnen. Niemand, außer ich. Ich beobachte meinen Vater und seine hoffnungslosen Versuche, mit seiner Familie zu reden. Meine Wenigkeit gehört ja seit sieben Jahren nicht mehr dazu, das habe ich schon bemerkt. Seufzend drehe ich mich um.

  »Miura! Miura! Nein, Miura, bitte! Warte!«, ertönt es ganz plötzlich hinter mir.

  Ich drehe mich um, ganz langsam, als würde ich meinen Vater nicht sehen können. Leicht blinzelnd schaue ich an ihm vorbei, zum Rest der Familie.

  »Miura… Wenn du mich sehen könntest… Mich hören könntest… Was ich dir noch sagen wollte, bevor ich sterbe…«

  Ich hebe meinen blick und schaue ihn an. Wie er den Tränen nahe ist, tut mir ja beinahe schon weh.

  »Dann sag's mir… Ich sehe dich doch…«

  Er sieht mich schweigend und ungläubig zugleich an, legt seine Hand auf meinen Kopf und streicht mir ein wenig durch's Haar.

  »D-du… Siehst mich?«, fragt er vorsichtig.

  »Glaubst du mir jetzt, dass ich Geister sehen kann? Jetzt, wo du tot bist? Musst du denn erst sterben, um deinem Sohn zu glauben? Oh… Verzeih'. Ich bin ja nicht mehr euer Sohn…«

  Wieder schweigt er einen Moment. Womöglich habe ich ihn nun völlig geschockt, interessiert mich aber nicht sonderlich… Ebenso schweigend, wie er, schiebe seine Hand von meinem Kopf.

  »Ich gehe dann wieder. Anscheinend willst du auch nicht mehr-«

  Ich unterbreche meinen Satz, als ich auf dem Dach des Tempels ein wunderschönes Mädchen sitzen sehe. Gut… Ob sie wirklich so wunderschön ist, weiß ich nicht. Aber ein anderes Wort fällt mir leider nicht dazu ein. Recht feminin vielleicht? Nein, das ist bescheuert. Wie kann sie femininer sein, wenn sie schon weiblich ist? Sie sieht eher so aus… Wie ein Engel, solche Flügel hat sie auch, wenn ich genauer hinschaue.

  »Miura? Junge, was ist los?«, fragt mein Vater und unterbricht meine Gedanken dadurch.

  »Äh… N-nichts. Es ist nichts.«, entgegne ich ihm.

  Mein Vater umarmt mich kurz, schluchzt dabei lautstark.

  »Miura… Es tut mir leid, dass ich dir nicht glauben wollte. Vergib' mir…«, murmelt er mir ins Ohr.

  »Schon gut… Daran kann man nichts mehr ändern. Würde ja auch nichts mehr bringen.«, nuschle ich, drücke ihn von mir weg und gehe los.

  »Miura…«

  »Nein! Lass… Lass mich einfach in Ruhe… So wie die letzten sieben Jahre auch.«

  »Warte doch!«

  Ich laufe weiter, einfach so. wenn ich das gewusst hätte, wäre ich gar nicht zur Beerdigung gekommen. Dieses Gejammer hält ja keiner aus. Doch auf einmal hält er mich fest. Schweigend schaue ich ihn an.

  »Au…«, gebe ich leise von mir.

  »Tut… Tut mir leid…«, murmelt er, »Was ist mit deinen Armen passiert?«

  »Nichts besonderes…«

  »Sag' schon.«

  »Das Krankenhaus hatte bei euch angerufen… Also frag' deine Frau!«

  »…Miura… Hasst du uns etwa? Wieso?«

  »Du fragst echt noch wieso!? Ihr wolltet doch alle nichts mehr von mi wissen! Abgeschoben habt ihr mich! Einfach in eine Psychiatrie gesteckt! Ihr… Ihr dachtet doch alle, ich sei verrückt! Und jetzt? Nach sieben Jahren, einfach so. Jetzt wo du tot bist und ich mit dir reden kann, siehst du endlich ein, einen Fehler gemacht zu haben? Wollt ihr mich eigentlich alle verarschen!? Als ob man sieben Jahre einfach so, in einem Bruchteil einer Sekunde vergessen könnte!«

  Ob das wohl zu hart für ihn gewesen ist? Wohl kaum. Es ist schließlich die Wahrheit, aber wer verträgt die schon? Trotzdem sieht er mich schon wieder so schweigend an, irgendwie nervig.

  »Was ist!?«, frage ich nach, so aufgebracht wie ich bin.

  »G-gar nichts… Du… Hast ja Recht, Miura… Verzeih' mir trotzdem, bitte… Ich wollte nie, dass du in die Psychiatrie kommst, oder alleine wohnen musst.«

  »Und trotzdem hast du mich für verrückt gehalten…«

  »Ja… Das… Das tut mir auch wirklich leid. Ich hätte dir von Anfang an glauben sollen…«

  »Sehe ich auch so.«

  Ich seufze ein wenig, gehe dann in Richtung der Siebenhundert-Stufen-Treppe. Im Hintergrund höre ich, wie mir mein Vater nachruft, dass ich doch stehen bleiben soll. Ja klar. Meinetwegen. Bin ich eben ein Sturkopf, wen interessiert's? ich tabse also wieder langsam die Treppenstufen hinab, schaue mich ein wenig um. Ich meine, die Gegend die man so sehen kann, wenn man die Treppen runter läuft, ist wirklich atemberaubend. Kurz strecke ich mich ein wenig, neige den Kopf von einer Seite zur anderen, als ich ganz plötzlich eine leicht melodisch klingende Stimme höre.

  »Findest du nicht, dass du ein wenig zu hart zu deinem Vater warst?«, fragt sie nach.

  Ich blicke nicht auf. Irgendwie kann ich mir denken, dass die Stimme zu irgendeinem dieser Wesen gehört.

  »Kann dir doch egal sein.«, antworte ich dann einfach.

  »Schon irgendwie. Ich will's aber trotzdem wissen.«

  »Wozu?«

  »Weil eben.«

  Ich bleibe stehen, ungefähr die Hälfte der Hälfte der Hälfte der Hälfte der Hälfte der Hälfte habe ich geschafft. Also rein gar nichts. Schweigend drehe ich mich um und erblicke den Engel, der auf dem Tempeldach gesessen hat.

  »Weil eben… Tolle Begründung. Ich wollte noch nicht einmal zur Beerdigung. Ich hab' genau gewusst, dass sowas passieren würde. Dass der Typ endlich kapieren würde, dass ich euch sehen kann…«

  »So ist das also. Du schmollst.«, kichert sie dann.

  Ich schweige, setze meinen Weg weiter fort. Sie verfolgt mich. Definitiv. Ich merke das…

  »Wie heißt du?«, frage ich dann, ohne dabei hinter mich zu schauen.

  »Lovelie. Lovelie My Suzuki.«, antwortet sie, »Und du?«

  »Miura Fujiwara.«

  »Süßer Name.«

  Nun schaue ich sie doch an, hebe dabei eine Augenbraue. Irgendwie ist sie Michiyo ähnlich. Vor allem, da Michiyo das Selbe von meinem Namen hielt. Komisch… Nein, verrückt. Naja, egal. Lovelie tapst neben mir her, sieht mir zu, wie ich mich abracker.

  »Du bist doch der, der Hizumi gerettet hat, oder?«, fragt sie dann.

  »Ja, bin ich…«

  »Tat die Lichtorgel denn sehr weh?«

  »Keine Ahnung. Weiß ich nicht mehr.«

  »Auch cool… Darf ich mit dir mit?«

  Noch einmal schaue ich sie an und schweige kurz.

  »Wohin mit?«, frage ich nach, blinzle ein wenig.

  »Mit zu dir nach Hause.«

  »Ach so… Äh… Keine Ahnung. Wenn du willst.«

  »Toll!«

  Lovelie quietscht förmlich und klebt an meinem Hals. Ich lache nur schief. Fraglich, wieso ich zugestimmt habe. Sowas können schöne Augen einem antun. Nein, ich korrigiere mich: Sowas können schöne Augen Miura antun.

  Als ich meinen Weg fortsetze, zücke ich mein Handy und rufe Len an. Ich sage ihm, dass ich noch ungefähr eine Stunde brauche, um die Treppen runterzukommen. Er lacht dabei auch noch, kann man sich das vorstellen? Ist doch gemein! Jedenfalls holt er mich in einer oder eineinhalb Stunden ab. Also habe ich noch Zeit, die Treppen runter zu laufen… Steigen… Was weiß ich. Ist mir auch egal. Leicht seufzend schaue ich in den Himmel.

  »Siehst du da was interessantes?«, fragt mich Lovelie auf einmal.

  Ich senke meinen Blick wieder und schaue zu ihr.

  »Eigentlich nicht. Nein.«

  »Aha.«

  Wieder kichert sie. Irgendwie süß. So süß, dass ich schmunzeln muss. Komisch eigentlich. Normalerweise würde ich mich ja lieber irgendwo verstecken. Schließlich gehört Lovelie ja auch zu diesen Wesen, oder nicht?

  Nach nicht ganz einer Stunde, komme ich unten an. Viel geredet habe ich mit Lovelie aber nicht. Wozu auch. Ist eben die Ich-Ignoriere-Diese-Wesen-Angewohnheit. Kann ich wohl nichts daran ändern.

  »Hey, hey, Miura!«, quietscht sie dann plötzlich.

  »Ja?«, entgegne ich ihr und setze mich auf die letzte Stufe.

  »Welche Bands hörst du denn so?«

  »Ähm… Eigentlich… Höre ich keine Musik.«

  »Echt nicht!?«

  Ich schüttle nur den Kopf. In meiner ganzen Wohnung ist nicht eine CD zu finden. Nur mein CD-Spieler, oder Radio… Keine Ahnung wie die Scheiße heißt. Den brauche ich aber nur zum Radiohören. Nachrichten und so…

  »Was hörst du denn gern?«, frage ich anschließend nach.

  »Miyavi…«, sagt sie und bekommt auf einmal so glänzende Augen.

  »Echt?«

  »Ja. Der Typ ist einfach toll!«

  »…Und… Wer genau ist das?«

  Gut, ja. Ich schäme mich, dass ich Miyavi nicht kenne. Aber… Gut, dazu fällt mir nun nicht einmal eine Ausrede ein. Verdammt! Wieso frage ich denn dann noch nach!? Bin ich bescheuert oder so!?

  Wie nicht anders zu erwarten, sieht sie mich eine ganze Weile schweigend an. Creepy…

  »Das ist nicht dein Ernst, oder?«, fragt sie dann.

  »Eh…«

  »Uff… Wie soll ich das erklären? Ist… Eben Miyavi! Den kennt man und fertig!«

  Ich nicke nur. Wahrscheinlich hat sie Recht. Ich denke einfach mal, dass sie Recht hat. Michiyo kennt den bestimmt auch und Len… Ja, der auch. Also… Habe ich wohl eine sehr gr0ße Bildungslücke in meinem Hirn entdeckt. Wie doof…

  »Egal jetzt… Miyavi ist toll und den mochte ich schon, als ich noch gelebt habe.«, kichert sie dann.

  Noch so etwas erschreckendes… Unheimlich schnelle Stimmungswechsel… Creepy…

  »Und… Äh… Darf ich dich fragen, seit wann du tot bist?«

  »Oh… Ich glaube… Seit vier oder fünf Jahren… Vielleicht auch ein wenig länger.

  »Aha…«

  »Ja.«

  Wieder kichert sie. Komisch, dass sie über sowas lachen kann, könnte ich mir zumindest nicht vorstellen. Ich kann mir ja noch nicht mal vorstellen, wie ich nach meinem Tod weiterlebe! Trotzdem lächle ich ein wenig, was mich regelrecht schockiert, und schaue zur Straße. Als ich dann sehe, wie Len auf den Parkplatz abbiegt, versuche ich aufzustehen. Geht nur irgendwie nicht.

  »Verdammt…«, murmle ich deswegen.

  »Warte, ich helfe dir.«, meint Lovelie und hilft mir auch schon auf.

  »Danke.«

  »Schon gut.«

  Ich lächle wieder ein wenig, gehe mit ihr zu Lens Wagen.

  »Hey, Len.«

  »Hey, ihr zwei.«, sagt er breit grinsend.

  Ich schaue zu Lovelie und blinzle ein wenig.

  »Hallo.«, lächelt sie ihm entgegen.

  »Äh… Das… Das ist Lovelie. Ja, genau. Lovelie.«, murmle ich.

  »Nice… Will sie denn auch mit?«

  Ich nicke ein wenig, halte Lovelie die Tür auf und warte, bis sie eingestiegen ist. Meine Wenigkeit macht es sich anschließend auf dem Beifahrersitz gemütlich, so gut es geht zumindest.

  »Halt die Klappe, Len.«, sage ich, bevor er was sagen kann, »Sie ist nicht meine Freundin.«

  »Nicht? Ich hätte da aber eine Menge Geld gewettet.«

  »Sie ist… Äh...«

  »Ich bin Miuras Cousine.«, unterbricht mich Lovelie dann.

  »Ehm… Ja, genau… Meine Cousine…«

  »Aha! Gut zu wissen.«, grinst Len.

  Ich nicke, lächle schief. Irgendwie verwirrend. Wieso kann Len Lovelie sehen? Und Long und die anderen Geister sieht er nicht? Da könnte ich mir regelrecht den Kopf zerbrechen. Ich seufze leise.

  »Ura-Chan?«, murmelt Len auf einmal.

  »Ja?«, entgegne ich ebenso murmelnd.

  »Hat deine verrückte Mutter mit dir geredet?«

  »Nein. Sie hat mich nicht mal gesehen.«

  »Na, das ist ja auch toll.«

  Ich nicke zustimmend und schaue, wie sonst auch beim Autofahren, zum Fenster hinaus. Ist irgendwie lustig, die vorbeifahrenden Autos samt Insassen zu beobachten. Viele kommen ja nicht vorbei, denn Len hat richtig Spaß am Fahren. So richtig Spaß am Fahren, meine ich. Den interessiert eine Geschwindigkeitsbegrenzung überhaupt nicht. Egal. Ich muss ja nicht zahlen, oder?

  »So, wir sind da.«, sagt er und hält vor meiner Wohnung an.

  »Danke, Len.«, sagen Lovelie und ich, steigen beide aus.

  »Bis morgen dann. Ich denke, Lovelie macht die Tür auf, oder?«

  Ich nicke ein wenig, winke ihm nach und schaue zu, wie er wegfährt. Anschließend schaue ich Lovelie an.

  »Also dann… Willkommen in meinem kleinen Reich.«, murmel ich und reiche ihr die Hausschlüssel.

  Sie öffnet die Tür, sieht sich im Flur um und blinzelt. Während sie sich umsieht, mache ich die Tür mit meinem rechten Fuß zu und quäle mich aus meiner Jacke.

  »Sieht ja nett aus.«, meint sie dann.

  »Danke.«, grinse ich und nehme den Schlüssel entgegen, »Trinkt ihr Geister auch etwas?«

  »Wie normale Menschen meinst du? Schon, ja. Aber wir brauchen es nicht so dringend, wie ihr.«

  »Ach so… Gut zu wissen.«

  Ich zeige ihr die ganze Wohnung und als ich gerade damit fertig bin, klingelt das Telefon. Dummer Zufall? Ich gehe also ran und frage wer's ist.

  »Ich bin's! Hizumi!«, entgegnet man mir.

  »Und Sexy Tsukasa!«, ertönt es im Hintergrund.

  »Wir sind auch da!«, was definitiv von Zero und Karyu kommt.

  »Ah… Hi… Eh… Wart ihr schon mal bei mir vor der Haustür? Moment… Woher habt ihr meine Telefonnummer!?«

  »Hehe, nein, waren wir noch nicht und die Nummer haben wir aus Len gequetscht!«, meint Hizumi.

  »Vorhin bist du ja nicht ans Telefon gegangen.«, murmelt Tsukasa vom Hintergrund.

  »Äh… Ja… Tut mir leid, dass ich nicht ans Telefon gegangen bin… Ich auf einer Beerdigung.«

  »Oh… Okay…«

  Ich höre im Hintergrund so ein seltsames Genuschel der vier. Aber irgendwie verstehe ich nichts…

  »Dürfen wir wissen wer verstorben ist?«, fragt Zero dann.

  »Nur mein Vater.«, antworte ich.

  »Nur? Was soll das heißen? Ach egal… Bist du heute noch da? Wir kommen vorbei, ob's dir passt, oder nicht!«, sagt Tsukasa plötzlich.

  »O-okay…«

  Nach dieser Drohung lege ich auf und gehe in die Küche. Was ich da sehe, ist schon recht erschreckend. Lovelie kocht irgendwas. Riecht aber echt lecker. Ich stelle mich neben sie, schaue ihr über die Schulter.

  »Was machst du da?«, frage ich.

  »Kochen.«, antwortet sie melodisch.

  »Im Ernst? Hätte ich jetzt nicht gedacht.«, grinse ich.

  »Doch!«, lacht sie, »Ich hoffe, dass du Ramen magst.«

  Ich nicke nur zustimmend. Eigentlich bin ich es ja nicht gewöhnt, dass jemand für mich kocht. Geschweige denn, dass ich hier nur zu zweit bin. Normalerweise wären ja die D'espas hier. Also jede Menge "Partytime". Mehr oder weniger halt.

  »Lovelie?«, frage ich dann.

  »Ja?«

  »Wieso konnte Len dich sehen?«

  »Gehört zu meinem Beruf.«

  »Engel haben auch einen Beruf?«

  »Japp.«

  »Und was ist deiner für ein Beruf?«

  »Äh… Leute beobachten… Einer Person den Job vermiesen… Tja, das wär's auch schon.«

  »Longs Job, wenn man das so nennen kann, ist da wesentlich interessanter.«, murmle ich leise.

  »Du kennst ihn?«

  »Schon, ja…«

  »Interessant…«

  Erneut nicke ich zustimmend. Wird bestimmt was tolles werden, wenn sich Long und Lovelie schon kennen.

  Als es an der Tür klingelt, wird mein Tag perfekt… D'espairsRay are back.

Miura - What Am I Searching For?

  Jetzt ist Lovelie knapp eine Woche bei mir. Eigentlich ziemlich toll. Ich habe, seit sie bei mir ist, nicht einen einzigen Alptraum gehabt. Ein Wunder! So ausgeschlafen, wie in der vergangen Woche, war ich schon ewig nicht mehr. Soll ich da Gott danken, dass ich Lovelie mehr oder weniger getroffen habe? Ach was soll’s, ist ja im Prinzip auch egal. Mir zumindest. Hauptsache ich kann wieder gut schlafen. Ziemlich egoistisch, oder? Aber trotzdem. Meine Gipse habe ich mir gestern von Hizumi abmachen lassen. Tat Weh, aber nach drei Stunden hatte er es geschafft. Lustig ist nur, dass Lovelie unsichtbar ist. Für alle anderen Besucher meiner Wohnung zumindest. Ist echt seltsam. Weder Len, Michiyo, noch Hizumi, Tsukasa, Zero oder Karyu können sie sehen. Obwohl… Len fragt immer nach Lovelie. Notgeiler Sack… Aber was soll’s, bringt ihm ja sowieso nichts.
 

  Als ich aufwache und einen Blick aus meinem Fenster wage, sehe ich, wie es schneit.

  »Wow…«, gebe ich leise von mir.

  Schweigend betrachte ich, wie die Schneeflocken zu Boden fallen: hat was beruhigendes, so auf eine Art und Weise. Nur, was ich dann sehe ist mehr als nur beunruhigend. Da ist Long und der Typ ist tatsächlich auf dem Weg zu meiner Haustür. Ich find’ das nicht okay… Ich laufe in die Küche, schaue dort zum Fenster raus. Von da aus kann ich genau zur Haustür sehen. Keine Ahnung, was der Kerl sich denkt. Womöglich, dass er einfach durch meine Haustür gehen kann. Den Gedanken den ich mir also von ihm denke, setzt er sogar in die Tat um. Und BÄÄÄM! Er rennt voll gegen die Tür. Ich lache mich in diesem Moment krumm und dämlich.

  »Was lachst du denn so?«, fragt Lovelie plötzlich, mit leicht verschlafener Stimme.

  »Long ist gegen meine Haustür gerannt.«, antworte ich ihr, noch ein wenig lachend und wische mir die Tränen aus den Augen.

  Sie sieht zum Fenster raus, nuschelt irgendetwas Unverständliches. Ich blinzle sie ein wenig an, begebe ich zur Haustür und öffne sie.

  »Long.«, sage ich nur.

  »Miura.«, erwidert er, »Was ist mit deiner verdammten Tür los? Wieso kommt jemand wie ich nicht da druch?«

  »Schau’ dich um. Buddha-Statuen, Geisterglöckchen… Die Frage beantwortet sich von selbst, nicht wahr?«

  »Schon… Ja. Darf ich rein?«

  »Muss es sein?«

  Long starrt mich mit diesem Ich-Bringe-Dich-Um-Wenn-Du-Weiter-Fragst-Blick an.

  »O-okay… Tritt ein…«, murmle ich dann, gehe bei Seite.

  »Danke.«, sagt er dann, »Wie geht’s deinen Armen?«

  »Äh… Ganz gut. Danke der Nachfrage…«

  Er nickt nur, sieht sich in meiner Wohnung um. Sie muss ihm irgendwie gefallen. Ich schiebe ihn, mehr oder weniger, in die Küche.

  »Lovelie.«, grinst er breit.

  »Hallo, Long.»Hallo, Long.«, lächelt Lovelie.

  Ich beobachte die beiden kurz.

  »Ihr erinnert mich an Mr. & Mrs. Smith. Irgendwie eben…«, sage ich dann.

  Die beiden werfen mir kurz einen tödlichen Blick zu, der alles sagt. Ich drehe mich schief lächelnd um und verschwinde ins Wohnzimmer. Nebenbei lausche ich, was die beiden so in der Küche reden. Interessante Sätze sind beispielsweise: Du weißt, wie sehr ich dich hasse! oder Was wäre ich nur ohne dich? Zwei verschiedene Sachen und trotzdem das Gleiche. So… Irgendwie eben. Aber was soll’s. ich schweige einfach weiter. So lange, bis es an der Tür klingelt. Mein Blick schweift zur Uhr. Kurz vor zwölf. Das sind mit Sicherheit Hizumi und die Jungs. Ich gehe aufmachen und ja. Es sind die D’espas.

  »Hi, Leute.«, sage ich.

  »Hi, Ura-Chan!«

  Ohne, dass ich es will, werde ich von allen vier durch geknuddelt. So richtig meine ich. Nach der brutalen Knuddelrunde, nehmen sie mich mit in meine Küche. Im Gegensatz zu mir können Hizumi und die anderen Lovelie und Long nicht sehen: Schon deprimierend, irgendwie. Meine Güte, irgendwie warte ich sehnsüchtig darauf, dass Long und Lovelie über Kinder reden. Keine Ahnung wieso, aber es wäre lustig. Zumindest ist das meine Vorstellung. Es ist nur recht schwer, den D'espas in ihrem Gerede, was auch noch völlig durcheinander ist, zuzuhören. Ich drehe bald durch. Zu viele Leute!!

  »Hizumi?«, frage ich dann mal.

  Anscheinend hört mich keiner.

  »Jungs?«, sage ich etwas lauter.

  Immer noch nichts.

  »Hey Leute!?«, schreie ich nun.

  Plötzlich ist alles still. Sogar Long und Lovelie. Ich schnaube ein wenig. Die Stille gerade ist irgendwie richtig schön. Wird aber auf Dauer nicht halten, weswegen ich kurz seufze.

  »Ich wollte nur wissen, ob einer von euch vier Hunger hat.«, setze ich meine Frage von vorhin fort.

  Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu blinzeln mich kurz schweigend an. Long und Lovelie schweigen einfach nur, verschwinden dann endlich aus der Küche.

  »Also?«

  Da mir keiner antwortet, frage ich eben noch einmal nach.

  »Äh… Ja, doch! Klar!«, sagen sie dann, wieder völlig durcheinander.

  Ich lächle schief und suche einige Zutaten zusammen, ehe ich mit dem Kochen beginne. Geht mittlerweile so ziemlich wieder. Manchmal etwas schwer oder schmerzlich, aber es ist auszuhalten. Ich stehe also schweigend am Herd, starre den Topf an und warte, bis das Wasser kocht. Irgendwie bin ich nicht wirklich ansprechbar, weswegen auch immer. Ich starre nur das Wasser an und irgendwo, ganz weit in der Ferne, so kommt’s mir vor, ruft irgendwer nach mir.

  »MIURA!«

  Als ich meinen Namen auf einmal so deutlich höre, schrecke ich auf und fahre etwas zusammen. Das Wasser kocht fast über und ich hab’s nicht gemerkt. Ich schalte den Herd aus, werf’ die Nudeln ins Wasser. Die Jungs müssen sich eben mit einer Ramenpackung zufrieden geben.

  »Ura-Chan… Ist alles klar bei dir?«, fragt Hizumi mich.

  »Ja, ja, alles bestens.«, murmle ich.

  »Wir haben mindestens zwanzigmal nach dir gerufen und du antwortest gar nicht.«, meint Tsukasa nebenbei.

  »Krieg’ ich Süßigkeiten?«

  Alle, einschließlich mir, sehen Zero schweigend an. Irgendwie passte die Äußerung nicht ins Thema. Ich zucke mit den Schultern, zeige ins Wohnzimmer. Ohne auch nur kurz irgendetwas anderes zu tun, oder zu sagen, verschwindet Zero auch schon ins Wohnzimmer.

  »Zero! Friss’ nicht so viel davon! Sonst wird dir noch schlecht. Außerdem gibt’s doch bald Mittagessen.«, ruft Tsukasa durch die Wohnung.

  »Ja, ja.«, kommt es nur vom Wohnzimmer aus zurück.
 

  Nachdem ich es geschafft habe, das Mittagessen auf den Tisch zu bringen und alle gegessen haben, schaue ich zu, wie Karyu und Zero den Abwasch erledigen. Eigentlich habe ich ja versucht, es den beiden auszureden. Aber die sind ja so stur, dass ich da keine Chance dagegen habe. Trotzdem schmunzel’ ich vor mich hin und beobachte weiterhin. Schon lustig irgendwie. Zero spült, Karyu trocknet ab. Und Hizumi und Tsukasa? Die beiden diskutieren über Kekse, wieder mal. Ich schaue kurz in Richtung Wohnzimmer, lausche so gut es geht Long und Lovelie. Ich meine… Long ist schon den ganzen Vormittag da und jetzt immer noch! Irgendwas stimmt da nicht und das gefällt mir gar nicht.

  »Hey, Miura?«, fragt Tsukasa auf einmal.

  »Hm?«

  »Wann hast du eigentlich Geburtstag?«

  »Äh… An Weihnachten.«, murmle ich.

  »Das heißt? Am 24., 25., oder 26. Dezember?«

  Ich grinse ein wenig. Tsukasas fragender Blick sieht richtig interessant aus.

  »Sag’ schon! An welchem Tag? Los, spuck’s aus!«

  »Nein, nein.«, lache ich, »Das kriegst du selber raus.«

  Das Schnauben von ihm ist zwar alles andere als bedrohlich, aber trotzdem creepy. Ich lächle etwas schief, stütze meinen Kopf auf der linken Hand ab. Zieht ein wenig, aber egal. Die Kopfschmerzen, die ich gerade habe, sind irgendwie schlimmer. So schmerzlich, dass ich sehnlichst darauf warte, dass Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu gehen. Wirklich, sehnlichst!

  Als Zero und Karyu dann endlich mit Geschirrspülen fertig sind, ziehen die vier ihre Jacken an.

  »Also dann, Ura-Chan.«, sagt Hizumi und grinst breit, »Wir gehen dann, ja?»Wir gehen dann, ja?«

  »Ja, bis dann. Danke für den Abwasch, Zero, Karyu.«, entgegne ich.

  »Schon okay.«, meint Karyu.

  »Japp.«, grinst Zero und nickt zustimmend, »Krieg’ ich dafür jetzt Süßigkeiten?«

  Ich zeige wieder nur ins Wohnzimmer. Zero weiß ja, wo die Süßigkeiten sind. Mir fällt ein, dass ich vielleicht noch welche für ihn kaufen sollte, ehe der Kerl noch Depressionen wegen Zuckermangel bekommt.

  »Ich krieg’ noch raus, wann du Geburtstag hast.«, murmelt Tsukasa, »Bis dann.«

  »Droh’ ihm nicht, Tsukasa.«, meint Hizumi und zieht ihn mit sich.

  »Ja, ja.«, murrt Tsukasa, winkt mir ein wenig.

  Ich winke zurück, lache ein wenig schief. Karyu läuft den beiden nach, winkt mir ebenfalls.

  »Zero! Die lassen dich gleich alleine… Nimm’ eben ein paar Süßigkeiten mit.«, rufe ich dann ins Wohnzimmer.

  »WAS!? Die lassen mich alleine?«

  Plötzlich kommt Zero aus dem Wohnzimmer gestürmt.

  »Bis dann!«, ruft er noch, ehe er zur Haustür raus verschwindet.

  »Bye…«

  Ich murre ein klein wenig, gehe ins Wohnzimmer. Long ist noch immer da! Meine Güte, ich hab’ verdammte Kopfschmerzen und einen total aggressiven, mich hassenden Geist in der Wohnung. Gott, wieso hasst du mich!?

  »Mr. & Mrs. Smith? Ist euer elend langes Gespräch bald beendet?«, frage ich murrend.

  »Was hast du gesagt?«, fragt Long und sieht mich an.

  »Hast du genau gehört!«, schnaube ich.

  »Bist du mit dem falschen Fuß aufgestanden, oder wieso fährst du mich so an?«

  »Deine Anwesenheit veranlasst mich dazu. Außerdem hab’ ich Kopfweh.«

  Ich verschwinde einfach in mein Zimmer, haue mich auf mein Bett und stoße einen dumpfen Seufzer aus. Komischerweise starre ich auf meine Uhr. Keine Ahnung warum. Es ist fast so, als würde ich auf irgendetwas warten. Aber auf was? Das ich einschlafe, sicher nicht. Auf was aber denn dann? Ich weiß es nicht. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich überhaupt auf irgendetwas warte… schon seltsam irgendwie, oder? Naja, dann warte ich eben… Und das muss ich noch nicht einmal lange. Plötzlich klingelt es an meiner Haustür. Ich blinzle ein wenig, stehe dann auf und laufe an die Tür. Long und Lovelie diskutieren noch immer. Einfach nervig… Ich öffne also die Tür und sehe ihn wieder. Den Typen, der mir vor ein paar Wochen im Traum das Messer in den Bauch gestoßen hat.

  »D-das gibt’s nicht…«, murmle ich.

  »Interessant… Du siehst mich also doch…«, grinst er breit, »Wenn ich mich vorstellen darf. Ich bin Guĭ, rechte Hand Luzifers und… Longs Vorgesetzter.«

  Ich blinzle ihn schweigend an, betrachte die Hand, welche er mir reicht. Irgendwie habe ich bei der Sache ein komisches Gefühl, trotzdem reiche ich diesem Guǐ die Hand.

  »Scheiße!«, ertönt es plötzlich aus dem Wohnzimmer.

  »Nanu… Ich wusste ja nicht, dass Long und du so gut miteinander auskommt.«

  »Tun wir auch nicht.«, murmle ich.

  »Was macht er dann bei dir?«

  Ich zucke mit den Schultern, zeige mit der linken Hand zum Wohnzimmer. Guǐ sieht mich kurz an, geht an mir vorbei. Ich folge sofort, schaue Guǐ über die Schulter. Geht zwar schwer, weil der Typ echt riesig ist. Ich muss mir gerade vorstellen, wie sich Hizumi, Tsukasa oder Zero fühlen würden, wenn sie neben dem Typ ständen.

  »Interessant, du redest mit dem Feind. Nein… Du knutschst mit dem Feind!«, murrt Guǐ.

  »Das… Ist mal richtig geil…«, sage ich und winke Long zu.

  »Halt die Klappe, Miura!«

  Wie im Chor schreien mich die beiden, also Long und Lovelie, an. Creepy.

  »Lasst eure Wut nicht an dem Kurzen aus! Ab mit dir, Long. Oder ich erzähl’ Luzifer, was du in deiner Freizeit treibst.«

  Von Long ist ein deutliches Knurren zu vernehmen, was Guǐ anscheinend nicht gefällt.

  »Bis dann, Love…«, murmelt Long, geht an Guǐ vorbei und schlägt mir dabei in die Schulter.

  Ich verkneife mir das Au und schlucke es einfach hinab. Guǐ verbeugt sich ein wenig vor Lovelie.

  »Lovelie.«, sagt er, »Lang ist’s her.«

  »Ja, schon sehr lange.«, meint sie.

  »Schade, dass es so enden musste.«

  »Beruht wohl auf Einseitigkeit.«

  Guǐ grinst nur breit.

  »Chef… Wollen wir jetzt gehen?«, fragt Long vom Hausgang aus.

  »Ja, ja… Ich komme schon.«, gibt er leicht schmunzelnd von sich und sieht mich an, »Miura… Wir sehen uns noch.«

  Ich nicke schweigend, sehe zu, wie Guǐ und Long das Haus verlassen. Schweigend und ganz breit grinsend schaue ich Lovelie nun an.

  »>Du knutschst mit dem Feind!< Wie darf ich das nun verstehen, Lovelie?«, hake ich nach.

  »Eh…«

  »Da läuft was zwischen Engelchen und Teufelchen.«, lache ich, »Sehr interessant.«

  Ich fange mir sofort den nächsten Schlag in die Schulter, aber ich lache weiter.
 

  Und in der Tat. Da läuft ganz schön viel zwischen Engelchen und Teufelchen. Die Tage vergehen mal so ganz einfach. Nur eines stört mich. Long… Jeden Tag sitzt dieser Möchtegernteufel in meinem Haus und macht was weiß ich mit Lovelie. Gut, er stört mich nicht bei der Hausarbeit, oder so. Aber seine Anwesenheit geht mir tierisch auf den Senkel. Es reicht mir ja schon, dass Lovelie bei mir wohnt. Im Ernst, ich habe nichts gegen sie, aber die redet und redet. Fast wie ein Wasserfall! Echt wahr. Ununterbrochen Long dies, Long das. Guǐ dies, Guǐ das… Als ob mich einer der beiden wirklich interessiert. Gut… Ich will schon wissen, was die beiden so vorhaben und so, aber interessiert es mich wirklich, welcher von beiden besser küssen kann? Wohl kaum. Laut Lovelie sei es ein meilenweiter Unterschied, Long sei ja so viel zärtlicher. Warum auch immer… Das mit Guǐ und Lovelie war nämlich so viel ich weiß so:

  Als Mensch hatte Lovelie in Ihren Träumen Guǐ gesehen und als sie dann wegen ihres schwachen Herzes und den Problemen mit den Nieren starb, hat Guǐ sie abgeholt. Knapp zwei Jahre waren sie zusammen. Dann waren zwei oder drei Jahre Pause und jetzt haben sich Long und Lovelie gefunden. Mal ehrlich… Guǐ ist mir um Ecken sympathischer als Long. Keine Ahnung an was das liegt. Vielleicht irre ich mich auch, aber egal. Naiv sein darf doch jeder.

  Aber wie ich die Situation auch drehe und wende, so lange Lovelie bei mir wohnt, habe ich Long noch mehr am Hals als zuvor. Das heißt, ich, Miura Fujiwara, muss ernste Maßnahmen ergreifen!!!

  »Lovelie?«, frage ich also, nachdem Long endlich gegangen ist.

  »Was denn?«, entgegnet sie mir lächelnd.

  Wie unfair!, denke ich mir bei ihrem Lächeln.

  »Ehm…«, gebe ich dann nachdenklich von mir, »Wie lange hast du noch vor zu bleiben?«

  Jetzt war’s draußen. Irgendwie ein erleichterndes Gefühl. Aber eben nur irgendwie.

  »Wie lange? Hmm… Gute Frage.«, murmelt sie.

  Ich schaue sie kurz schweigend an, blinzle ein wenig und seufzte anschließend etwas.

  »Gehe ich dir etwa auf die Nerven?«

  »Ein wenig…«, murmle ich.

  Sie kichert etwas, tätschelt mir den Kopf.

  »Dann hab ich’s ja bald geschafft.«

  Kichernd huscht sie in die Küche und hantiert da drüben vor sich hin. Ich hasse es immer noch, wenn Leute in Rätseln mit mir reden… Und Rätsel hasse ich sowieso! Aaah! Es ist doch einfach zum Durchdrehen…

  Nach diesem nicht siegreichen Gespräch setze ich mich ins Wohnzimmer, schalte den Fernseher ein und schaue durch die verschiedenen Sender. Irgendwie kommt da nichts Interessantes. Ich schalte also weiter und halte bei so einem Musiksender an. Das nenne ich nun mal echt interessant, da kommt das Musikvideo von Kamikaze. Ich hab mir ja noch nie ein Video von D’espairsRay angesehen, aber mir scheint, das es recht harmlos ist. Und nachdem ich das Video von Gärnet und Redeemer sehe, bin ich mir sicher, dass Kamikaze eines der harmlosesten ist. Wirklich. Und da ich kein Mensch von Gewalt bin… Ha!

  Als mein Blick zufällig auf die Uhr fällt, bemerke ich, dass die D’espas ja noch gar nicht da waren. Irgendwie komisch. Kaum denke ich an die vier, schon klingelt es an der Tür. Ich stehe seufzend auf und gehe aufmachen.

  »Hey, hey, Ura-Chan! Sexy Tsukasa und der Rest ist hier!«

  »Und ich dachte schon, ihr kommt gar nicht mehr.«, sage ich und grinse dabei etwas.

  Hizumi, Tsukasa, Zero und Karyu alachen und gehen in die Küche. Es herrscht ein kurzes Schweigen, weswegen ich ihnen nach nebenan folge.

  »Was kochst du denn, Ura-Chan?«, fragt mich Zero.

  »Äh…«, gebe ich kurz nachdenklich von mir und schaue mich nach Lovelie um.

  »Ramen!«, ruft sie dann aus dem Wohnzimmer.

  Die D'espas können sie ja nicht hören, weswegen ich einfach an den Herd laufe.

  »Ramen… Ja, genau. Ramen.«, murmle ich dann.

  »Echt? Kriegen wir auch was?«, fragt Karyu nach.

  Ich schaue kurz in den Topf, nicke dann und stelle ihn auf den Tisch. Als ich allen was in die Schüssel gemacht habe, klingelt es schon wieder an der Tür. Kurz seufze ich, stelle den Topf wieder auf den Herd und schaue zum Fenster raus. Es ist Len. Irgendwie wusste ich das, keine Ahnung wieso. Ich schaue kurz zu Hizumi.

  »Hizumi? Kannst du Len noch eine Schüssel rausstellen?«

  »Klar.«

  Ich lächel' zufrieden und gehe an die Tür.

  »Hey, Miura und… Wuhu… Riecht ja super!«, sagt Len und geht plötzlich an mir vorbei.

  Ich bleibe, leicht verwirrt, stehen und blinzle die Stelle an, auf welcher Len gerade noch stand.

  »Ja, hi. Ich hoffe du hast Hunger. Geh’ ruhig rein, Essen steht auf dem Tisch.«, murmle ich und drehe mich um.

  Schweigend laufe ich ins Wohnzimmer, schaue kurz zu Lovelie. Will mir jemand erklären, seit wann Geister schlafen? Ich schüttle nur den Kopf, gehe wieder zurück in die Küche und schnappe mir den Rest des Ramen. Wenigstens kriege ich noch etwas ab. Irgendwie ahne ich aber schon, dass die Sitzordnung nichts Gutes beschert. Len sitzt neben Tsukasa.

  »Hey, hey, Len.«, sagt er auf einmal.

  »Hm?«, entgegnet ihm Len.

  »Wann hat Miura Geburtstag?«

  Ich blicke auf. Es ist zwecklos, mit irgendeinem Zeichen Len zu sagen, dass er die Klappe halten soll, weswegen ich dumpf seufze. Len blinzelt mich kurz an, sieht dann zu Tsukasa.

  »Morgen.«, meint er dann, »Genau… Deshalb wollte ich ja zu dir!«

  Mit den Stäbchen im Mund schaue ich in die Runde. Irgendwie gruselig, wenn alle schweigen. Ich blinzle ein wenig, schaue mich kurz unschuldig und nichts wissend um.

  »Ehm… Was ist los?«, frage ich schließlich.

  »Wieso hast du uns nicht gesagt, dass du morgen Geburtstag hast!?«, fragen die D'espas dann.

  »Weil… Ich meinen Geburtstag hasse?«

  »Weswegen?«, harkt Hizumi nun nach.

  Da ich nun wieder mit meinen Schultern zucken kann, tue ich das auch.

  »Eh! Morgen ist doch auch Heilig Abend, oder!?«, bemerkt Zero.

  »Ach ja… Deshalb ist es noch schlimmer…«, murmle ich.

  Ich seufze wieder. Irgendwie glaube ich, dass ich verflucht bin. Nicht, weil ich sehe, was andere nicht können, oder wollen. Eher, weil ich am 24. Dezemer auf die Welt gekommen bin. Verdammt! Ich hab schon wieder meinen Sentimentalen… Ist doch zum kotzen…

  »Ura-Chan… Ura-Chan… Miura!«

  Tsukasa schnippt vor meinem Gesicht herum, sieht mich blinzelnd an.

  »T-tut mir Leid…«, murmle ich leise.

  »Ist dein Geburtstag denn so schlimm?«, fragt Hizumi nun nach.

  Ich blinzle ihn kurz an, schiele zu Len.

  »Ehm… Das liegt wohl daran, dass bis jetzt nur ich den Geburtstag und Weihnachten mit Ura gefeiert habe…«, meint Len, »Meine Eltern sind ja immer auf Achse und Miuras Familie interessiert sich nicht für ihn, weswegen ich ihn immer besuch’.«

  Schweigend höre ich Len zu, nicke dann zustimmend.

  »Genau.«

  »Ach so… Interessant… Und grausam. Aber morgen seid ihr beiden da, ja?«

  »Jaa-«

  »Nein.«, unterbricht mich Len, »Ich nehm' Miura mit nach New York.«

  »WAS!?«

  In dem Moment, als das was durch meine Wohnung hallt, merke ich, dass nicht nur ich von Lens Idee zu Tode geschockt bin.

  »Was denn?«, fragt Len nach langem Schweigen.

  »Len, du willst uns im Ernst unseren Miura mit nach New York nehmen? Du willst uns Ura-Chan klauen?«, fragt Zero nach, »Wo soll ich denn da meine Süßigkeiten herkriegen?«

  »Keine Ahnung, woher du die bekommst. Aber der Junge muss doch auch mal anders hinkommen. Nur Japan ist auf Dauer langweilig.«

  »Stimmt auch wieder… Also ist's beschlossen. Ura-Chan, gib uns deine Schlüssel!«, grinst Tsukasa.

  »Waaas!?«, frage ich erschrocken, »I-ihr wollt mich doch nicht im Ernst nach New York schicken, oder!? Das… Das wollt ihr mir nicht antun… Oder!? Ich… Ich hab' Flugangst!!«

  »Gib' Schlüssel. Sei friedlich, dann passiert dir nichts. Flugzeuge sind außerdem nicht schlimm. Also, los!«

  Gut, mein Gebettel Hizumi und Tsukasa gegenüber hat anscheinend keinen Sinn. Der einzige, der mich nicht loswerden will, ist Zero. Wahrscheinlich nur der Süßigkeiten wegen. Ich seufze dumpf, höre Lovelie im Wohnzimmer lachen, was ziemlich deprimierend ist. Kaum habe ich mein Ramen gegessen, werde ich von len in mein Zimmer geschleift und dazu genötigt, meinen Koffer zu packen. Lovelie sieht mir zu, sagt was ich vergessen habe. Vorausgesetzt Len tut das nicht…
 

  Als ich alles fertig gepackt habe, verabschiede ich mich von den D'espas, drücke sie alle einmal und winke ihnen ewig lang nach. Sogar, als ich in Lens Auto sitze. Kurz schiele ich zur Uhr im Armaturenbrett. Len meint, dass wir um acht Uhr fliegen. Jetzt ist es kurz vor fünf. Ungefähr eine Stunde brauchen wir zum einchecken und nochmal eine Stunde bis wir überhaupt beim Flughafen ankommen. Völlig angespannt sitze ich also in Lens Karre, und die ist wirklich nicht klein oder so… Ich meine… Das Ding ist eine richtige Bonzenkarre. Okay, nicht verwunderlich, schließlich sind Lens Eltern stinkreich. Aber egal… Schweigend balle ich meine Fäuste, starre geradewegs auf die Straße und beiße mir hin und wieder auf die Lippen.

  »Was ist los, Miura?«, fragt Len auf einmal.

  »Naja, weiß nicht… Ich will nicht fliegen.«, murmle ich leise vor mich hin.

  »Ach komm, das glaubst du doch selbst nicht.«, sagt eine Stimme auf einmal, welche sich deutlich nach Long anhört.

  Ich schaue über meine Schulter und erblicke, ratet mal… Ganz genau. Mr. & Mrs. Smith.

  »So schlimm ist das Fliegen doch gar nicht.«, sagt Len dann.

  Ich schaue zu ihm, schweige aber. Blinzelnd schaue ich in den Rückspiegel und beobachte Longe und Lovelie. Wieso kann ich mir nicht erklären, warum es mir nicht gefällt, dass die beiden mit nach Amerika gehen? Hm… Schon doof. Nebenbei frage ich mich auch, wie ich eine Stunde mit Long und Lovelie im Rücken aushalten soll. Und dass, ohne mit ihnen zu reden. Es ist deprimierend…

  »Len… Sind wir schon da?«, frage ich absichtlich und aus langeweile.

  »Nein.«, antwortet er nur.

  Zehn Minuten später

  »Sind wir schon da?«

  »Nein.«

  Weitere zehn Minuten später

  »Sind wir schon da?«

  »Nein.«

  Noch einmal zehn Minuten später

  »Sind wir schon da?«

  »Neiin…«

  Langsam wird's mir zu doof…

  »Sind wir schon da?«

  »Neiiiiiiin…«

  

  »Sind wir schon-»Sind wir schon-«

  »Miura! Halt's Maul!«

  »Okay…«

  Gut, ich gebe es auf, Len weiter zu nerven. Außerdem schenkt er mir ja diesen tollen Urlaub. Nur, ob er wirklich so toll wird, ist fraglich. Ich seufze kurz leise, schließe meine Augen. Irgendwie bin ich auf einmal todmüde, weswegen ich gleich weg döse.

  Dieses Mal wache ich nicht in meinem Traumland auf. Eher in einer Stadt. In New York, wenn ich mich nicht irre. In der Ferne sehe ich das Empire State Building. ich schaue mich ein wenig um. Einen Plan, wo ich bin und was ich hier soll habe ich nicht. Schon scheiße, wenn man so drüber nachdenkt. Naja, was soll's. ich drehe mich um und sehe den Eingang eines richtig fetten, teuren Hotels. Nochmal schaue ich mich um. Erst jetzt fällt mir auf, dass es noch mehr von den Geistern gibt, als in meiner Straße. Und da waren es auch schon viel… Schweigend und wie angewurzelt stehe ich vor dem Hotel, starre die Glastüren an.

  »Miura… Kommst du jetzt endlich?«, fragt mich ein männlich klingender Tonfall.

  Ich kenne die Stimme nicht, dennoch kommt sie mir so vertraut vor.

  »Eh…«, gebe ich leise von mir.

  »Ich will nicht wirklich, aber ich laufe auf die Hoteltür zu. Die Türen sind so sauber, dass man das eigene Spiegelbild darin sehen kann. Die Klamotten, die ich anhabe, schockieren mich aber irgendwie. Schwarze Jeans, ebenso schwarze Chucks und eine schwarze Jacke. Darunter ein weißes Hemd. Zudem habe ich zwei Nietengürtel die unter meinem Hintern hängen. Ich meine… So laufe ich doch sonst nie rum! Obwohl… Ich find's interessant. Sieht cool aus…

  »Miura! Komm endlich!«

  Wieder die unbekannte, dennoch vertraute, Stimme. Ich blinzle kurz, ehe ich schweigend das Hotel betrete. Während mein Blick durch die Eingangshalle schweift, höre ich Schritte hinter mir. Genau neben mir halten die Schritte und schweigend betrachte ich die Schuhe der Person links von mir. Schwarze Chucks, genau wie meine. Mein Blick wandert etwas hoch. Schwarze Hosen, schwarze, herabhängende Hosenträger, weißes Hemd und schwarzes offenstehendes Jackett. Kommt meinem Outfit sehr nahe. Was ich aber dann entdecke, lässt mich es eiskalt den Buckel hinab laufen. Das gleiche Gesicht wie ich. Na gut, fast gleich. Dem Kerl neben mir fehlt ein Muttermal, aber sonst…

  »New York wird toll.«, grinst der Kerl, »Und wehe du kommst ohne schwarze Klamotten!«

  »Äh… Okay…«

  »Was ist?«

  »Wer bist du?«

  »Hideki. Hideki Fujiwara. Dein älterer Zwillingsbruder.«

  Ich schweige. Irgendetwas muss ich in meinem erbärmlichen Leben verpasst haben. Aber ganz gewaltig… Zumindest ist mir neu, dass ich einen älteren Zwillingsbruder habe. Als ich mir meine verwirrende Fragen zu Ende gestellt habe, schaue ich diesen Hideki an.

  »Bist du tot?«, frage ich ihn.

  »Nein. Nicht das ich wüsste.«, entgegnet er mir, »Tja, ich gehe dann wieder… Oder du wachst jetzt einfach auf.«

  Mit einem grinsen im Gesicht löst er sich langsam auf. Irgendwie ist der Kerl crazy. Keine Ahnung, wieso ich das glaube, ist eben so.

  Seufzend werde ich wieder in Lens Auto wach. Gliederschmerzen sind und bleiben grausam… Ich schaue schweigend aus dem Seitenfenster und bemerke, dass der Flughafen schon zu sehen ist. Knappe fünf Minuten noch, denke ich. Der Traum gibt mir aber trotzdem zum denken. Hideki Fujiwara… Mein älterer Zwillingsbruder. So recht will ich das zwar immer noch nicht glaube, aber was soll's…

  Als Len und ich dann am Flughafen ankommen, schaudert's mich übelst. Ja verdammt! Ich hab' scheiße Angst und will nach Hause! Und noch schlimmer… D'espas allein Zuhause! Ich will sterben… Jetzt sofort..! Aber klein Miura hat keine Chance sich gegen Len aufzulehnen. Recht deprimierend… Wie alles hier…  

  Nachdem unsere Koffer abtransportiert werden und wir fertig eingechekt haben, schweift mein Blick zur Uhr. Soviel ich erkennen kann, haben wir noch knapp eine halbe Stunde Zeit, bis wir ins Flugzeit einsteigen. Knapp eine halbe Stunde bleibe ich noch auf diesem geliebten Boden. Zu meinem Entsetzen höre ich neben Lens Geschwafel noch zwei andere, mir sehr bekannte Stimmen.

  »Miura! Wie sieht's aus? Hast du schon Angst?«, fragt mich Long, als er plötzlich mit Lovelie vor mir steht.

  »Ich mach mir fast in die Hose.«, murmle ich, sodass Len das nicht hören kann.

»Ach Miura… Das ist doch nicht schlimm. Wir sind doch auch noch da.«, lächelt Lovelie.

  »Genau das macht mir große Probleme.«, flüstere ich und klammer mich an Lens Arm, »Len! Ich will wieder nach Hause!«

  »Ach was. Das willst du nicht!«

  »Doch… Ganz sicher!«

  »Nein.«

  »Doch.«

  »Nope.«

  »Doch.«

  »I can't hear you.«

  »Len!«

  »No, I'm not here. I'm in NY.«

  »Aah! Len! Du machst mich fertig!«

  »Oh, yes. I know!«, grinst er, »Haha, that's very funny.«

  Schnaubend gebe ich auf. Sobald er wieder anfängt englisch zu reden, habe ich keine Chance mehr. Keine Ahnung, an was das liegt. Wieder sowas deprimierendes. Noch deprimierender ist allerdings die Diskussion von Long und Lovelie. Haben die zwei echt nix besseres zu tun, als über Desserts zu diskutieren. Ich meine… Hallo!? Die zwei sind Geister! Geister! Die schmecken doch gar nichts vom Dessert!!

  Ich schüttle schweigend den Kopf, schaue mich seufzend um. Gerade, als ich denke, dass hier außer Long und Lovelie keine Geister mehr sind, wird mir das Gegenteil bewiesen. Auf einmal sehe ich in jeder Ecke einen von ihnen. Mindestens. Ein weiterer Grund, sterben zu wollen. Aber, weil ich so ein Glückspilz bin, kommt es noch schlimmer. Für mich zumindest… Len schnappt sich meinen Arm und schleift mich hinter sich her.

  »Jetzt geht's los!«, ruft er.

  »Oh Gott, nein…«

  »Doch!«

  »Hilfe…«

  Wie auch schon vorher, bringt mir das natürlich nichts und ich sehe schon ganz groß Gate 6.

  »Da fehlen zwei sechsen!«, protestiert Long.

  Ich schüttle, wiedermal, seufzend den Kopf, ehe ich wieder von Len mitgezogen werde. Weiß der Kerl eigentlich, was für ein Glück er hat? Ich meine, er muss sich nicht dieses dumme Geschwafel von Long anhören. Das ist ein Segen!

  Nach einer viertel Stunde haben es Len und noch so ein paar Typen geschafft, mich ins Flugzeug zu stecken. Ich hab' echt keinen Plan, weswegen ich so ein Drama mache, aber ich kacke echt gleich ab. Jetzt sitze ich da, anz schweigend, in einem Sitz und schaue zum Fenster raus.

  »Len… Ich hab' Angst…«, murmle ich.

  »Geht gleich wieder.«, meint er grinsend, »Wenn wir in der Luft sind, kriegst du 'ne Beruhigungsdroge.«

  »Das macht mir noch mehr Angst…«

  Er lacht herzhaft, worauf ich nur seufzen kann. Aber Len behält Recht. Als wir schon in der Luft sind, oder gerade in diese Richtung, schnallen sich alle, einschließlich mir, ab. Die Stewardess kommt mit dem Getränkewägelchen und sieht Len, sowie mich an.

  »Was darf's für euch sein, Jungs?«, fragt sie lächelnd nach.

  »Für den da eine Coke und die tollen Beruhigungstabletten und für mich… Ein Bierchen.«, entgegnet Len ihr grinsend.

  »Bist du denn schon achtzehn?«

  »Seit elf Monaten und siebzehn Tagen.«

  »Also schon.«

  Ich stuane nicht schlecht, als mir die Lady eine Tablettenschachtel hinhält. Mit einem leisen >danke<, nehme ich die Packung entgegen. Anschließend stellt sie mir die Coke und Len das Bier auf die ausgeklappten Tablettes. Meine Wenigkeit muss recht unbeholfen aussehen, denn ehe ich lesen kann, was auf der Packung steht, hat sie mir Len schon abgenommen und geöffnet. Grinsend hält er mir eine pinke Pille vor die Nase.

  »Sieht doch voll süß aus.«, meint er.

  »Du kennst mich… Ich hasse Süßigkeiten.«, murmle ich und schnappe mir das pinke Ding. Zusammen mit zwei oder drei Schlücken von der Coke haue ich das Ding runter, ich bin echt ein Fan von Tabletten und frage mich, wozu das Zeug gut sein soll. Da ich auch nicht erwarte, die Tablettenpackung von Len zurückzukriegen, mümmel ich mich schweigend in den Sitz. Ganz komischerweise werde ich schläfrig. Aber schlafen will ich jetzt nicht wirklich und gähne leise.

  »Bist du müde?«, fragt Len auf einmal.

  »Ein bisschen…«, murmle ich.

  »Dann schlaf' doch.«

  »Keine Lust…«

  So ganz allmählich werde ich sogar ruhiger. Ist irgendwie lustig. Vor zehn Minuten wäre ich beinahe gestorben und jetzt kommt's mir so vor, als wäre ich High. Schockierend, aber lustig. Außerdem dauert es nicht lange, bis ich einschlafe.

  Es gefällt mir nicht, aber ich bin wieder in meiner kleinen Traumwelt. Nur, sieht sie dieses mal wieder anders aus. Kein blauer Himmel der sich schwarz färbt, keine grüne Wiese. Eher eine Art Aula, in der der Himmel aufgemalt ist. Ich seufze lautstark, sehe mich kurz um. Irgendwie erinnert mich das an den Traum in Lens Auto, mit dem Hotel und diesem Hideki. Ob es wohl an den Tabletten liegt, dass ich die Gegend auskundschafte, oder führt mich meine Neugier? Ich weiß es nicht, aber es ist gruselig.

  Es dauert nicht lange und ich finde eine Tür. Ohne groß darüber nachzudenken, öffne ich sie und gehe hindurch. Es liegt eindeutig an den Tabletten. Als ich in einem anderen Raum ankomme, schaue ich mich erneut um.

  »Miura! Hey! Hier drüben sind wir!«

  Hört sich ganz so wie der Kerl an, der behauptet, mein Zwillingsbruder zu sein. Kurz zucke ich dann mit den Schultern und folge Hidekis Stimme. Wahnsinn, was mich da auf einmal erwartet: Hideki, Maya, Aiji Golf, Mike und sogar Miyavi sitzen an einem Tisch. Ich bin verwirrt. Ich weiß nicht, woher ich auf einmal die ganzen Namen kenne, und wie ich überhaupt diese Namen den Kerlen da zuordnen kann. Und außerdem sitzt da noch so ein Typ, den ich nicht kenne. Ich meine… Ein Wunder, ich erkenne Miyavi! Gehört habe ich ja schon von ihm, alleine von Lovelie. Aber naja, kein weiteres Kommentar dazu. Ich schaue die Jungs also schweigend an. Mir fällt auf, dass ich grundsätzlich von Männern träume. Warum nur!? Irgendetwas stimmt definitiv nicht an mir… Ich will ja noch nicht mal von Frauen träumen…

  »Hey! Miura! Los, komm schon!«, sagt Hideki auf einmal.

  Ich schaue ihn kurz blinzelnd an, ehe ich zu ihnen an den Tisch gehe, schweigend hocke ich mich an diesen, auf den einzig noch freien Platz, zwischen Hideki und dem Typen, dessen Namen ich nicht kenne. Kurz schiele ich zu letzterem, ehe ich meinen Blick wieder Miyavi und dem Rest widme.

  »Hey, Ura-Chan!«, grins Myv auf einmal, »Yuudai und Hideki haben heute … und wollten dich wiedersehen!«

  »Bitte was?«, entgegne ich leise.

  Ich weiß nicht, ob ich langsam schlecht höre, oder ob das gerade wirklich eine Art Mini-Filmriss war. Schön. Keiner wird mir darauf wohl eine Antwort geben können, aber was soll's. kurz schaue ich nochmal neben mich. Miyavi hat >Yuudai< gesagt. Ich nehme als an, der Kerl links neben mir heißt so. Schweigend betrachte ich in kurz. Wer auch immer der Kerl ist, er hat was Faszinierendes an sich. Keine Ahnung, was es ist, aber es ist so einladend, dass ich nur schwer den Blick von ihm entreißen kann.

  »Miura!«

  Als Hideki mich dann ruft, schaffe ich es doch von Yuudai wegzusehen. Nicht lange allerdings. Noch bevor ich Hideki fragen kann, was er will, spüre ich, wie Yuudai seine Hand auf meine rechte Wange legt, mich zu sich zieht und küsst. Das geht so schnell, dass ich das noch nicht mal richtig registriere. Und, das Schlimmste: Der kann verdammt gut küssen!

  Mit dem Gedanken, wache ich schreckhaft auf. Kurz durchbohrt mich wieder so ein stechender Schmerz, der mich recht schwer atmen lässt. Ohne, dass ich es wirklich will, lege ich meine Finger auf die Lippen und schaue aus dem Fenster. Die Sonne geht gerade auf. Hat was Beruhigendes. Irgendwie eben. Ich schiele kurz zu Len. Der pennt wie ein Stein, wenn ich mich aber genauer umsehe, schlafen alle, außer mir. Irgendwie deprimierend. Ich seufze leise. Nach einer Weile sehe ich, wie die Stewardess anfängt, die ganzen Leute, oder Passagiere, wenn man so will, zu wecken. Dem nach schließe ich daraus, dass wir gleich landen werden. Ich schaue noch einmal aus dem Fenster und siehe da: Dort steht die Freiheitsstatue. Das Ding hat mich ja schon immer irgendwie fasziniert. Keine Ahnung, warum. Als ich mich weiter zum Fenster beuge, bemerke ich, dass ich meine Finger noch immer auf meinen Lippen liegen habe. Trotzdem sehe ich irgendwie keinen Grund, sie von da wegzunehmen. Klingt bescheuert, aber dieser Kuss war einfach zu Real für einen Traum…

  Als Len langsam wach wird, und die Stewardess ist noch nicht einmal halbwegs in unserer Nähe, schaue ich ihn kurz schweigend an.

  »Hast du dir wieder auf die Lippen gebissen?«, fragt er auf einmal und säuselt dabei etwas.

  »Äh… Nein.«, sage ich murmelnd und lasse meine Hand schlussendlich doch langsam sinken.

  »Hey, wir sind ja schon da!«, bemerkt er dann.

  Ich nicke kurz zustimmend, seufze ein wenig.

  Nach zwanzig Minuten, die ich wach im Flugzeug sitze und komischerweise an diesen Yuudai denke, betrete ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich frage mich, ob ich nicht gleich vor Freude losheulen soll, was allerdings ziemlich peinlich wäre. Stattdessen, danke ich Long und Lovelie in Gedanken, dass ich sie die ganzen vierzehn Stunden nicht hören musste. Ein Segen!!! Aber kaum habe ich meine Koffer, werde ich von Len schon wieder mitgeschleift. Natürlich waren seine Koffer als erstes da, wie hätte es auch anders sein sollen? Naja, egal. Der Junge zieht mich also hinter sich her, steigt mit mir in eine Luxuslimousine. Ja, er hat Geld wie Dreck, zumindest seine Eltern. Muss ich echt nochmal erwähnen.

  Es dauert keine zehn Minuten, bis wir an unserem Hotel ankommen. Eigentlich ein wunder, sonst bräuchte man halbe Stunde. Aber gut, ich will nicht darüber aufregen, dass ich schneller ankomme, als geplant. Nur, was ich außerhalb der Limo erblicke ist schockierend. Es ist genau das Selbe Hotel, wie das, wovon ich in Lens Auto geträumt hatte. Der Traum, in dem Hideki das erste Mal vorkam. Irgendwie gruselig… Viel Zeit zum nachdenken bleibt mir nicht, da Len mich schon wieder mitzieht. Das geht mir irgendwie langsam aber sicher auf den Sack…

  Nachdem er die Schlüssel für unser Zimmer abgeholt hat, schleift er mich auch dort hin. Ich sage nichts dazu, was womöglich ein Fehler ist, aber egal. Als die Tür hinter mir zugeht, lässt Len mich endlih los und wirft sich aufs Bett.

  »Dai! Beeil dich! Wir sind spät dran!«, ertönt es plötzlich.

  Ich drehe mich schweigend zur geschlossenen Tür. Meine ich es nur, oder hat sich die Stimme, wie die Hidekis angehört?

  »Ja, ja… Ich komm' schon. mach' mal halblang…«

  Gut… Falls mich das jetzt wirklich schocken sollte, hat es das geschafft. Die Stimme des zweiten Typens, habe ich bisher noch nie gehört, aber ich schätze, dass sie… Wie hieß er..? Dass sie Yuudai gehört… Kurz schüttle ich den Kopf, haue meinen Koffer auf meine Bettseite und schnappe mir daraus meine Badehose.

  »Hey, wo willst du jetzt hin?«, fragt Len leicht säuselnd.

  »Ich geh' in den Hotelpool… Ein wenig chillen und so…«, sage ich dann und nicke bei dieser Aussage.

  Kaum habe ich das gesagt, verschwinde ich auch schon aus dem Zimmer. Schweigend gehe ich den Gang entlang, in der Hoffnung, irgendwann den Pool zu erreichen. Das dauert noch nicht einmal so lange. Nach einer Halben Stunde, oder so, habe ich den Pool, samt Umkleidekabine gefunden.

  »Love? Darf ich Miura ein wenig ärgern?«, fragt Long und grinst dabei fies.

  Schweigend sehe ich aus der Kabine zu den beiden und blinzle.

  »Solange er nicht stirbt, von mir aus.«, meint Lovelie dann eiskalt.

  »Das ist nicht euer Ernst…«, murmle ich, »Engelchen und Teufelchen haben eine Beziehung und der unschuldige Miura Fujiwara soll dafür büßen… Ich hasse euch.«

  Das Gelächter der beiden ist nicht auszuhalten. Seufzend, und fertig umgezogen versteht sich, komme ich aus der Umkleide und laufe Richtung Pool. Zu meinem wenigen Glück gibt's kostenlose Handtücher, weswegen ich mir gleich eines schnappe und es mir um den Hals hänge. Nichts Böses ahnend laufe ich an dem Becken entlang. Es würde ja nichts passieren. Wäre da nicht Long… Der Typ stellt mir doch echt den Fuß. Noch bevor ich darauf gefasst bin und ,ich anfangen kann, liege ich schon am Boden.

  »Ah! Fuck!«, schreie ich und drehe mich auf den Rücken, während ich mir meine Hände auf das Gesicht, beziehungsweise die Nase lege.

  »Yo, Dude. What happend? Are you okay?«, fragt mich der Typ und hilft mir mich aufzusetzen, »Oh shit… You're bleeding out of your nose…«

  Japp… Ich blute aus der Nase. Und wie verrückt gleich. Nur schade, dass ich den Kerl neben mir so verschwommen sehe. Irgendwie kommt mir seine Stimme nämlich total bekannt vor. Außerdem… Long gehört windelweich verprügelt… Ich bin so damit beschäftigt, zu überlegen, wie ich ihn verprügel, dass ich noch nicht mal merke, wie mir der Kerl im weißen Hemd ein Taschentuch an die Nase hält. Als ich es dann doch irgendwann bemerke, schaue ich ihn an. Zumindest sein Hemd.

»Verdammt… Ich hab' dein Hemd dreckig gemacht…«, murmle ich.

  »Kein Ding, kann passieren.«, grinst er, »Aber hey… Du bist Japaner. Find' ich voll cool.«

  Ich blinzle ein wenig.

  »Eh… Japaner… Ja.«, murmle ich.

  »Hehe… Ich bin Yuudai. Yuudai Kawasaki.«

  Ich blinzle erneut ein wenig. Yuudai… Oh gottverdammte Scheiße. Schweigend schaue ich in sein Gesicht, so lange, bis es nicht mehr verschwommen ist. Als ich sein Gesicht dann erkennen kann, merke ich, wie ich rot anlaufe. Sitzt da doch derselbe Kerl, der mich in meinem Traum geküsst hat.

  »Äh… Hast du auch 'nen Namen?«, fragt er grinsend.

  Ich merk' schon, wie sich sein Gesichtsausdruck ändert. So, als hätte er mich schon mal gesehen. Irgendwie wird das immer schlimmer.

  »Miura…«, sage ich dann ganz kleinlaut.

  »Miura… Miura Fujiwara?«, hakt er nach.

  Ich nicke nur schweigend und sehe ihn mit großen Augen an. Er lächelt zufrieden, wobei er mir noch immer das Taschentuch an die Nase hält.

  »Eh… Danke… Geht schon, denke ich.«, sage ich dann leise.

  »Bist du sicher?«

  »Ja.«

  Kurz nimmt Yuudai das Taschentuch von meiner Nase, hält es aber sofort wieder hin.

  »Von wegen. Du blutest wie ein Schwein.«, sagt er, »Hoffentlich ist deine Nase nicht angeknackt.«

  »Das würde mir gerade noch fehlen.«

  »Und mir erst… Dein großer Bruder würde mir den Kopf abreißen.«

  »Welcher? Aki, oder Shou?«

  »Hideki.«

  »Hideki?«

  Yuudai nickt nur, lächelt dabei aber immer noch. Es scheint mir, als wüsste Yuudai mehr als ich… Schockierend und erschreckend!

  Erneut nimmt er das Taschentuch von meiner Nase.

  »Tut das weh?«, fragt er, während er mir über die Nase tupft.

  »Geht…«, nuschle ich.

  Wieder lächelt er so. Darf ich sagen, dass mich dieses Lächeln ganz kirre macht? Das letzte Mal, als mich ein Lächelt so verrückt gemacht hat, war, als ich Michiyo das erste Mal gesehen hab. Aber irgendwie verflog das nach einer Weile…

  »Weißt du…«, fängt er auf einmal an, »Hideki hat von dir geträumt. Von dir, wie du in diesem Hotel bist und so. und jetzt haben wir hier kleine Mini-Jobs.«

  »Von mir? Eh… Wow…«

  »Was wow?«

  »Na… Wow… Ich hab' von Hideki geträumt.«

  »Ja? Cool.«

  Ich nicke ein wenig. Noch immer lächelnd hilft mir Yuudai auf.

  »Danke.«, murmle ich.

  »Gern gescheh'n.«

  Schmunzelnd schnappt er sich meine Hand und geht langsam los. Immer noch leicht rosé folge ich ihm.

  »Äh… Du kennst Hideki nicht, stimmt's?«, fragt er nun.

  Ich schüttle nur schweigend den Kopf, folge Yuudai weiter.

  »Hehe… Ist auch cool… Pass auf… Ich denke, er ist das genaue Gegenteil von dir.«, sagt er dann.

  »Ach ja? Also ist er faul, nervig, optimistisch und nur am pennen?«

  »Hm.., Okay, fast dein Gegenteil. Nervig ist er schon manchmal. Und ja, optimistisch ist er auch. Faul… Naja, wie man's nimmt. Pennen… Ziemlich oft. Jede freie Minute.«, meint er grinsend und lacht etwas.

  Irgendwie gruselig. Erst träume ich von Hideki, dann höre ich Hideki… Und jetzt sehe ich ihn wohl gleich. Während ich leicht in Gedanken versunken bin, schaue ich auf meine und Yuudais Hände. Seltsam, aber irgendwie auch schön. So auf eine Art und Weise. Gut… Der Gedanke war gerade erschreckend, aber es ist wohl wahr… Ich hab' mich verknallt. In einen Kerl…

  Nachdem Yuudai mich durchs halbe Hotel gezogen hat, kommen wir im selben Gang an, in dem sich Lens und mein Zimmer befindet.

  Ich gebe ein leises >eh< von mir, blinzle ein wenig. Erneut wirft mir Yuudai ein Lächeln entgegen, ehe er an die Tür gegenüber der meinen klopft. Während ich lausche, wie sich mehrere Schlösser hinter der Tür regen, schaue ich zu der meinen, hinter der Len normalerweise schläft.

  »Dai-Chan? Bist du das?«, fragt der Kerl vor uns und sieht uns an.

  Ich blinzle ein wenig. Weil die Tür nur einen Spalt weit auf ist, kann ich den Kerl nicht wirklich erkennen. Aber eigentlich müsste er uns doch sehen. Oder zumindest Yuudai erkennen.

  »Ja, ich bin's.«, sagt Yuudai und schiebt den Schwarzhaarigen, soviel habe ich erkannt, zurück ins Zimmer, »Ich hab' sogar wen mitgebracht.«

  »Ach ja? Wen denn?«

  »Deinen kleinen Bruder.«

  Ich schweige weiterhin. Hideki hört sich genauso an, wie in meinem Traum. Schon gruselig, wie ich finde. Als ich mich in dem Zimmer, der beiden umsehe, fällt mir auf, dass es hier recht düster ist.

  »Hideki… Wieso hast du's hier so dunkel gemacht? Los, mach' die Rollläden hoch.«, meint Yuudai und zieht mich noch immer hinter sich her.

  Was gleichzeitig heißt, dass er noch immer meine Hand hält. Ich wette, das macht er mit Absicht.

  »Ja, ja… Ich mach' schon.«, murmelt Hideki und verschwindet ans Fenster.

  »Immer wieder schaue ich von Hideki zu Yuudai und wieder zurück. Ich spüre förmlich, dass ich noch immer recht rot im Gesicht bin.

  »Hey, Dai-Chan. Lass Miura los. Der ist doch schon völlig fertig.«, sagt Hideki, als er sich zu Yuudai und mir dreht.

  Kurz sieht Yuudai zu mir, blinzelt kurz und grinst dann breit.

  »Tut mir Leid, Miura.«, meint er dann.

  »Sch-schon gut…«, nuschle ich, während ich leicht zu ihm schiele.

  Auf einmal steht Hideki neben mir. Irgendwie genau wie in meinem Tram: Ich sehe Yuudai an und kann nicht wegschauen.

  Trotzdem werde ich davon unterbrochen. Durch Hideki. Er umarmt mich plötzlich. Blinzelnd schaue ich ihn nun an.

  »Nii… Nii-San…«, murmle ich.

  Nickend und mit einem leisen >mh< entgegnet er mir. Mir entfährt ein lautloses, aber trotzdem vernehmbares, Schluchzen, ehe ich Hidekis Umarmung erwidere.

  »Oh je… Wollt ihr 'n Taschentuch?«, fragt Yuudai beiläufig.

  »Nein, geht schon.«, murmeln Hideki und ich recht synchron.

  »Hehe… Okay. Ich geh' einfach runter in den Esssaal und helf' den Kellnern und so.«

  »Geh' erst dein Hemd wechseln… Das Blut sticht so raus.«, meint Hideki.

  »Das kannst du sehen? Eine Frechheit.«

  Noch ehe ich zu Yuudai blinzeln kann, ist er schon aus der Tür verschwunden. Schweigend umarme ich meinen großen Bruder weiter, schaue dann zu ihm hoch.

  »Hast du auch von mir geträumt?«, fragt er mich.

  Ich nicke nur schweigend, mustere ihn ein wenig. Jetzt, wo ich ihn genauer betrachte, fällt mir auf, dass er hellgraue Augen hat. Hellgrau, fast weiß, aber dennoch ein Hauch von dunkelbraun.

  »Sehen sie so schlimm aus?«, fragt Hideki auf einmal und grinst breit.

  »Eh… Nein! Es… Ist nur weil… Ich habe solche Augen noch nie gesehen.«, antworte ich leise, fast flüsternd.

  »Hast du Angst vor ihnen?«

  Schweigend schüttle ich den Kopf. Ich meine… Zum fürchten sind diese Augen wirklich nicht. Da sind Longs Augen schon furchterregender.

  »Hideki..?«, frage ich leise, »Wieso haben wir uns noch nie gesehen? Ich meine… Wir sind doch Zwillinge, oder?«

  »Ehm… Soviel ich weiß, wollte mich unsere nicht, weil ich fast blind bin. Schon seit unserer Geburt, weißt du?«

  »Und woher wussten die Ärzte und alle anderen das?«

  Kurz zuckt Hideki mit den Schultern. Ehe er weiterredet: »Keine Ahnung. Angeblich hatte unser Mutter an meinen Augen gesehen, dass ich blind bin.«

  »Wieso behauptest du, dass du blind bist? Du siehst doch was, oder?«

  »Schon, aber… Weißt du, das ist schwierig.«, sagt er dann, »Ich sehe keine Farben. Und von dir, Yuudai, anderen Menschen oder Dingen sehe ich nur die Konturen der Figur. Geister sehe ich allerdings stechend scharf und in Farbe.«

  »Du… Siehst nur schwarz und weiß?«

  »Ungefähr, ja.«

  »Also hast du auch keine Ahnung, wie rot aussieht?«

  »Haha.«, lacht er dann auf einmal und lockert die Umarmung, »Doch. Ich kenne alle Farben. Aber, wenn ich hier so stehe, sehe ich sie nicht. Nur, wenn ich träume, kann ich Farben und Menschen richtig sehen. Cool, was?«

  Hideki bringt mich echt zum Staunen. Ich meine… So einen Optimismus kenne ich bislang nur von Len.

  »Okay… Nochmal, sodass ich das nicht falsch verstehe… Du kannst jetzt mein Gesicht nicht sehen, aber wenn du schläfst und träumst, dann schon? Jetzt bin ich nur ein dunkler, schwarzer Schatten?«, frage ich nach.

  »Ja, nur ein Schatten, der sich hin und her bewegt. Schockiert?«

  »Eh… Nur… Ein wenig.«

  »Schon gut. Ich besuch' dich heute Nacht in deinem Traum, okay?«

  »Wie willst du das denn anstellen?«

  »Traumlenkung ist das Zauberwort.«, sagt er und zwinkert grinsend.

  »Aha…«

  »Ja.«

  Ich blinzle ein wenig. Schmunzelnd löst Hideki dann die Umarmung.

  »Los, komm. Ich zeig' dir das Hotel.«

  Noch bevor ich was sagen kann, werde ich kurzerhand mitgezogen. Freaky. Aber sowas liegt wohl in der Familie. Ich meine ja nur, aber soviel ich weiß, ist Shou auch so aufgedreht, wie Hideki.

  »Ich… Hab' noch eine Frage.«, sage ich dann, als wir im Aufzug stehen.

  »Dann frag' einfach.«, entgegnet Hideki lächelnd.

  »Was siehst du sonst noch so?«

  »Wie meinst du das?«

  »Na… Du siehst Menschen nur als schwarze Schatten und Geister ganz normal… Was ist mit Häusern, Räumen oder Wänden? Oder Flüsse?«

  »Hehe… Von denen sehe ich nur was, wenn sie schwarz sind, oder die Sonne dagegen scheint. Sonst sind die Sachen… Schwarz. Die schwarzen Sachen selber, sehe ich aber heller. Und wenn es dämmerungsähnliches Licht im Raum oder so hat, sehe ich gar nichts.«

  »Wow…«

  Hideki lächelt nur und fängt sofort an, mir das Hotel zu zeigen. Wenigstens sehe ich Long und Lovelie vorerst nicht…

Hideki - Wistfull Recollection

  Irgendwie war es deprimierend zu erfahren, dass meine Mutter mich nach der Geburt weggab. Dabei heißt es doch, dass eine Mutter ihre Kinder liebt. stimmt wohl doch nicht so ganz. Ich wurde einfach in ein Waisenhaus gesteckt. Bis ich vierzehn war. Dann war ich abgehauen und habe dann irgendwann in der Schule Yuudai getroffen. Wenn ich so drüber nachdenke, war unser erstes Aufeinandertreffen ziemlich krass. Wir hatten uns wegen irgendwas fast geprügelt. Ich glaube sogar, weil ich versucht hatte, seinen Geldbeutel zu stehlen. Als er meine Augen sah, wollte er wissen, was mit diesen passiert war. Ich hatte es ihm erzählt und gerade, als ich damit fertig war, packte mich plötzlich jemand an den Armen und zog mich mit einem >haben wir dich endlich, du kleiner Ausreißer< mit. Es war definitiv die Polizei, auch, wenn ich sie nicht erkennen konnte.

  »Lasst mich los! Ich will nicht ins Waisenhaus zurück!«, schrie ich, »Yuudai!«

  Ich konnte Yuudais Blick zwar nicht sehen, aber deutlich spüren. Wahrscheinlich fragte er sich, in dem Moment als ich seinen Namen rief, woher ich diesen kannte. Schließlich hatten wir uns einander nicht vorgestellt. Ich hatte keine Ahnung, ob er Mitleid mit mir hatte, oder sich vor meinen Augen fürchtete. Jedenfalls war ich mir sicher, ihn wiederzusehen.
 

  Und ich behielt Recht. Kaum war ich zwei Tage im Waisenhaus, stand Yuudai mit seinen Eltern in der Tür. Ich sah zwar nur deren Umrisse, aber sie waren so einzigartig, dass ich sie sofort wiedererkannt hatte. Alle Kinder des Waisenhauses wurden in die Aula gerufen. Da ich mich dort schon befand, lehnte ich mich schweigend an die Wand und beobachtete dieses seltsame Szenario.

  »Ist er der Typ, mit dem du fast geprügelt hast?«, fragte mich eine Stimme.

  Ich nickte nur ein wenig, sah neben mich und erblickte Rei. Ein Geist, der auch im Waisenhaus war. Im menschlichen Alter von siebzehn hatte er sich in dem nun meinem Zimmer umgebracht. Allerdings war das schon mindestens zwanzig Jahre her. Eigentlich… War Rei mein erster, längster und bester Freund. Vor allem, da er der einzige war, auch wenn er ein Geist gewesen ist, der mich zum Lachen brachte. So gesagt, ist es also Reis Schuld, dass ich so ein Optimist geworden bin. Schon lustig, oder? Naja, jedenfalls erkannte mich Yuudai wieder. Rei und ich beobachtete wie die drei Konturen auf mich zukamen.

  »Hey.«, sagte Yuudai dann.

  Keine Ahnung, ob er grinste. Aber seiner Stimme nach, war er recht glücklich.

  Der Rest ging dann eigentlich ganz schnell. Yuudais Eltern unterschrieben einige Papiere und wurden so meine Vormünder. Und Yuudai mein Bruder. Als ich mit meinen zusammengepackten Sachen zur Haustür des Waisenhauses lief, überkam mich plötzlich ein Gefühl von Einsamkeit.

  Wenn ich jetzt durch diese Tür gehe, dachte ich, dann sehe ich Rei nie wieder.

  »Rei… Kommst du mit mir?«, fragte ich schließlich.

  »Nein, Hideki. Tut mir Leid.«, entgegnete er mir und umarmte mich, »Aber du kannst mich besuchen.«

  »Wie denn? Ich will nicht mehr hierher zurück…«

  »In deinen Träumen, Idiot.«

  Blinzelnd sah ich zu ihm hoch. Keine Ahnung, was er sich da gedacht hatte.

  »Traumlenkung ist das Zauberwort.«, meinte er dann grinsend, »Geh' jetzt. Deine neue Familie wartet.«

  >Traumlenkung<, was war das nur schon wieder… Trotzdem lächelte ich und lief, nach einem Nicken, zur Tür hinaus. Wie gerne hätte ich nun gesagt: »Gott, ist die Sonne grell.«

  Oder zumindest sowas in der Art. Leider konnte ich, wie heute noch, nichts sehen. Zumindest nicht wirklich, weswegen ich es bei einem Schweigen bließ.

  Mein Sichtfeld ist sowieso recht seltsam… Eine Mischung aus Farbenblindheit und irgendwas anderem, dass noch nicht erforscht wurde. Oder einfach niemand erforschen will. Ein Versuchsobjekt will ich aber auch nicht sein, wäre ja grässlich… Jedenfalls, sehe ich wegen letzterem der beiden Dinge, Menschen, Bäume, Tiere und den Rest in meiner Umgebung nur als Schatten, oder Farbenspiel aus schwarz und weiß. Und Geister, wie Rei, sehe ich so, wie normale Menschen sehen. In Farbe, gestochen scharf. Einer, der eben aus den ganzen Schatten hervor sticht. Aber nicht nur Rei. Sondern auch die anderen Geister stechen so heraus.

  Egal. Auf jeden Fall, lebe ich, seit mich Yuudais Eltern adoptiert haben, bei diesen. Irgendwie dauerte es nicht lange, bis ich mich eingelebt hatte. Natürlich musste ich Yuudai erst erklären, woher ich seinen Namen kannte.

  »Ich hatte von dir geträumt.«, sage ich.

  Ich wusste sofort, dass Yuudai es nicht wirklich verstehen wollte, weswegen ich ihm das ganze mindestens fünfmal erklären musste. Damals hatte ich ja keine Ahnung von Traumlenkung. Ist ja auch eine ziemlich krasse Sache. Ich meine, du träumst das, was du träumen willst. Meine ersten Anfänge waren echt miserabel. Es war eigentlich genauso, wie wenn ich wach gewesen bin. Also konnte ich nur Schatten sehen und von Rei war nichts zu entdecken. Aber jede Nacht wurde es besser. Nach knapp zwei, oder drei Monaten hatte ich es dann endlich geschafft. War echt interessant, was ich in meinen Träumen angestellt hatte. Und seit neustem klinge ich mich in die Träume anderer ein.

  So bin ich auch ganz zufällig in Miuras kleiner Traumwelt gelandet. Ziemlich krass, was mein kleiner Bruder so träumt. Vor allem, weil ich dort mit meiner Traumlenkung nichts anfangen konnte. Und es auch noch immer nicht wirklich kann. In Miuras Träumen kann ich mich kein bisschen bewegen. Eigentlich recht deprimierend und dennoch lustig. Außer, wenn man plötzlich von irgendwem abgestochen wird und aufwacht.
 

  Yuudai steht sogar voll auf meiner Seite, was Geister-Sehen betrifft. Zudem ist er der einzige, der es weiß. Woran das liegt, dass Yuudai mir glaubt, dass ich Geister sehen kann, weiß ich nicht so ganz. Aber soviel ich weiß, oder besser kapiert habe, konnte Yuudai früher auch Geister sehen. Das ist allerdings schon ein paar Jahre her.

  Irgendwie ist es erleichternd. Aber eben nur irgendwie. Jedenfalls… Eine Woche vor meinem Geburtstag, hatte ich geträumt, dass Miura nach New York gehen würde. Ich wusste ja, schon vorher, dass an meinen Träumen etwas dran ist. Yuudai war der erste Beweis dafür. Zwar hatte ich auch andere Beweise, aber Yuudai war der größte davon. Jedenfalls war Yuudai sofort dabei, als ich ihm davon erzählt hatte und wollte sofort nach New York.

  Und nun bin ich tatsächlich hier, mit Yuudai in New York. Das wir die Suite nicht zahlen müssen, in der wir wohnen, liegt daran, dass das Hotel Yuudais Onkel gehört. Na gut, ganz umsonst wohnen wir hier nicht. Wir müssen ihm helfen und haben deswegen einige Mini-Jobs hier. Eigentlich recht lustig, auch, wenn die Leute nichts mit mir anfangen können, ist ein wenig deprimierend. Aber nur ein wenig. Von sowas lass ich mich echt nicht runter kriegen. Wäre a gelacht.

  »Hey, Miura. Du bist doch auch nicht alleine hier, oder?«, frage ich meinen kleinen Bruder und löse die Umarmung.

  »Eh… Nein, bin ich nicht. Wieso fragst du?«

  »Ich will deinen Begleiter kennenlernen.«, grinse ich.

  Mit einem Lächeln in der Stimme sagt er: »Ja, okay. Len müsste noch in der Suite sein.«

  Noch ehe ich was zu meiner Begeisterung sagen kann, zieht Miura mich schon mit. Kaum sind wir aus der Suite raus, betreten wir schon die nächste. Praktisch, Türnachbarn zu sein. Ich schaue mich kurz um, so gut es geht zumindest. Recht hell haben's die beiden hier, finde ich.

  »Hey, Len! Ich will dir wen vorstellen!«, ruft Miura auf einmal.

  »Ja, ja. Ich komm' schon…«, murrt eine Stimme.

  »Ist der immer so drauf?«, frage ich nach.

  »Nee… Eigentlich nicht. Er hat nur nicht ausgeschlafen. Weißt du… Er brauch mindestens neun Stunden Schlaf.«

  Recht erstaunlich, wenn ich das Denken darf. Als eine, von meiner Sicht her, dunkle Gestalt auf mich zukommt, vernehme ich ein: »What the fuck… Zwei Miuras!?«

  »Hey! Ich bitte dich Len, beherrsch dich!«, meint Miura dann, »Das ist Hideki. Mein großer Bruder.«

  »Wie? Noch so ein Lackaffe wie Aki und Shou? Ist ja grausam!«

  »Nein! Mein älterer Zwillingsbruder!«

  »Dann gibt's dich zweimal? Au weia.«

  Das nächste, das ich höre, ist Miuras dumpfer Seufzer. Ich lache ein wenig, schaue zu der schwarzen Gestalt.

  »Hi.«, sage ich grinsend und reiche Len die Hand.

  »Hey.«

  Ganz kurz und knapp sagt er das nur, ehe er meine Hand schüttelt. Ich grinse immer noch etwas, wäre jetzt zu schön, Len sehen zu können.

  »Alter… Du hast ja richtig smexy Augen!«, meint er dann auf einmal.

  »Eh…«

  »Ja, so richtig… Weiß.«

  »Weiß? VerWeiß? Verdammt.«, murmle ich und lache etwas.

  »Kontaktlinsen?«

  »Natur.«

  »Im Ernst!? Wie das?«

  »Ich.. Eh… Bin fast blind.«

  Wie ich es mir gedacht habe, schweigt er auf einmal. Irgendwie will ich ihm erklären, wie ich sehe. aber irgendetwas sagt mir, dass er es sowieso nicht verstehen würde. Ich belasse es also bei einem kecken grinsen. Noch immer schweigt Len. Es irritiert mich gewaltig, weswegen ich die Stille unterbreche.

  »Miura, Len. Ihr habt doch sicher Hunger, oder? Los kommt schon mit. Yuudai wartet sicher auch schon.«, sage ich dann.

  »Äh…«

  Ehe ich Yuudais Namen erwähnt habe, merke ich, wie Miura ein wenig zusammenzuckt. Ich schmunzle ein wenig, schnappe mir die Hände der beiden und ziehe sie hinter mir her. Die zwei schweigen weiterhin. Nachdem wir im Speisesaal des Hotels ankommen, ertönt ein leises wow der beiden.

  »Hideki! Endlich. Ich dachte schon, du hättest dich verlaufen.«, meint Yuudai und kommt ebenfalls als dunkler Schatten auf Miura, Len und mich zu.

  »…Yuudai? Eh… Tut mir Leid, ich wollte nur Len noch kennenlernen.«, sage ich unschuldig.

  Ich erkenne nur leicht, wie sich Yuudai den anderen beiden zuwendet.

  »Aha! Dann bist du das wohl, oder?«, sagt er dann, »Miura? Wie geht's deiner Nase?«

  »Ganz… Gut. Tut noch ein bisschen… Weh… Aber es… Es geht schon.«, antwortet Miura dann stotternd.

  Ich denke mir meinen Teil dazu, weswegen er wohl so stottert. Denken kann ich's mir zwar, aber naja…

  Yuudai, so gütig er nun mal ist, bringt Miura und Len an einen freien Tisch, während ich in die Küche verschwinde. Als ich dann dort ankomme, sehe ich sie. Zwei Geister, welche sich das Essen anschauen. Sie haben beide schwarze Haare. Theoretisch würde ich darauf tippen, dass die beiden Geschwister sind. Als sie sich aber küssen, ändert sich meine Meinung. Könnte aber auch eine Geschwisterliebe sein… Ich sollte dringendst aufhören zu denken… Schweigend gehe ich auf die beiden zu.

  »Hey, Miura!«, sagt der eine Geist auf einmal, »Was machst du hier in der Küche?«

  »Long! Das ist doch gar nicht Miura! Der sieht nur so aus wie er!«, meint der andere, wohl zu erkennen ein Mädchen, »Außerdem kann er uns nicht sehen.«

  »Ähm… Oh, doch. Ich sehe euch. Eindeutig.«, murmle ich.

  »Love..? hat er gerade geantwortet?«, fragt nun der eine wieder.

  »Ja, habe ich.«, mische ich mich ein.

  »Verdammt… Bist du ein Miura-Klon?«

  »Bist du ein wenig bescheuert im Kopf?«

  »HEY!«

  »…Mein Gott… Denk doch nach, du ektoplasmatisches Subjekt!«

  »Äh… Love? Hat er mich gerade beleidigt?«

  »Ja, ich glaube schon.«, murmelt das Geistermädchen nun.

  Ich rolle schweigend mit den Augen und schnippe dem Typen gegen die Stirn.

  »Ich bin Miuras Zwillingsbruder, fertig.«

  »Au… Im Ernst?«, fragt er nach und reibt sich die Stirn.

  Es ist seltsam, aber ich kann Geister berühren. Woran das liegt, weiß ich nicht. Und im Prinzip ist es mir auch egal.

  »Ja doch…«, sage ich nun nuschelnd.

  »Wo ist Miura?«, fragt mich das Mädchen auf einmal.

  Ich nehme mir die fertigen Tablettes und laufe los.

  »Er ist beim essen. Und ihr zwei solltet dringendst verschwinden. Im Ernst jetzt. Ihr seid einfach nur nervig.«, sage ich, während ich die Tür zum Speisesaal mit dem Rücken zu dieser Tür aufmache.

  »Hey! Hey, warte doch mal!«, ruft sie mir hinterher.

  Ich achte nicht sonderlich darauf und stelle die Tablettes auf den Buffettisch.

  »Wie heißt du?«, fragt das kleine Geistmädchen, als sie hinter mir steht.

  »Hideki Fujiwara…«, murmle ich, »Und ihr beiden?«

  »Lovelie… Und das ist Long.«, meint sie dann.

  »Aha! Gut zu wissen.«

  Da ich ja nun mit dem Minijob hier fertig bin, setzte ich mich zu Miura, Len und Yuudai. Ich seufze ein wenig und strecke mich etwas. Auch, wenn ich die drei nur als schwarze Gestalten sehe, weiß ich genau, welcher von den dreien wer ist. Vor allem sticht Yuudai mit seinen Haaren völlig heraus. Als er sich eine Zigarette aus seiner Schachtel holt und sich eine in den Mund steckt, strecke ich ihm meine Hand entgegen. Er weiß natürlich sofort, was ich will. Eine Zigarette! Und nein. Ich bin nur Gelegenheitsraucher. Eigentlich rauche ich nur, wenn mich etwas tierisch nervt, oder ich gestresst bin. Oder, wenn ich getrunken habe.

  »Was ist passiert?«, fragt er mich, während er mir eine seiner Mentholzigaretten reicht.

  »Ich hab' schon wieder Geister gesehen.«, sage ich, »Nicht, dass es mir was ausmacht, aber… Seit wann hat ein Teufel mit einem Engel ein Verhältnis?«

  »Äh…«, kommt es leise von Miura.

  »War Luzifer nicht auch ein Engel?«, fragt Yuudai nach.

  »Doch, schon. Hat doch aber mit den beiden rein gar nichts zu tun…«

  »Fangt ihr beiden jetzt auch schon mit Geistern und Alpträumen an..?«, murrt Len, »Und ihr zwei seid wirklich miteinander verwandt.«

  »Alpträume? Miura, was soll das heißen?«, fragt Yuudai.

  Keine Ahnung, was den Kerl heute gebissen hat, aber es ist gruselig. Ich weiß ja, dass sich Yuudai für sowas interessiert. Aber so energisch hab' das noch nicht erlebt. Wahrscheinlich ist Yuudai einfach nur Hals über Kopf in meinen Bruder verknallt. Ich höre nur leise, wie Miura zögernd von seinen Alpträumen erzählt. Langsam, aber sicher, versinke ich in meine eigene, kleine Gedankenwelt. Ich bin regelrecht von der Realität abgeschnitten und starre schweigend auf das schwarz wirkende Glas, zumindest für mich, vor mir.

  Kaum atmend stehe ich plötzlich vor dem Waisenhaus. Vor dem Waisenhaus, in dem ich über vierzehn Jahre gelebt habe.

  »Was zum Teufel…«, frage ich murmelnd.

  Ich sehe alles farbig, was wohl heißt, dass ich träume. Zumindest glaube ich das… Ich habe keine Ahnung wieso, aber ich laufe auf die Tür des Waisenhauses zu. Eigentlich will ich nicht, aber ich bin einfach zu neugierig, was mich da drinnen wohl erwarten wird.

  »Hey! Du hast ja komische Augen!«, ruft auf ein kleiner Junge, woraufhin ich mich nach diesem umsehe.

  »Ist doch gar nicht wahr… Deine Augen sind komisch!«, entgegnet ein anderer.

  Irgendwoher kenne ich diesen letzten Satz. Ich gehe also tiefer ins Waisenhaus hinein. Es ist noch genau alles gleich, wie damals, als ich schon dort war.

  »Hideki… Jetzt wein' doch nicht… Der Typ hat doch keine Ahnung.«

  Eine neue Stimme. Ich kann sie deutlich Rei zuschreiben.

  »Rei!? Bist du das!? sag' doch was!«, rufe ich und renne dessen Stimme nach.

  Als ich dann in meinem ehemaligen Zimmer ankomme, sehe ich Rei und einen kleinen Jungen. Er ist unschwer als mein jüngeres Ich zu erkennen. Ich erinnere mich sogar an diesen Tag. Es war ein Montag und es regnete ohne Ende. Eigentlich wollte das Waisenhaus an diesem Tag einen Ausflug machen, was nur alle zehn Jahre mal vorkommt. Ich war damals sieben. Leider durfte ich, weil ich geprügelt hatte, als Einziger nicht mit. Tja, das war schon echt deprimierend. Schweigend gehe ich zu meinem jüngeren Ich und zu Rei.

  »Hideki… Komm' schon. Beruhig' dich doch wieder.«, sagt Rei.

  »Ich wollte doch so gerne mit… Nur wegen dem Idiot darf ich das nun nicht mehr…«, wimmert mein jüngeres Ich.

  »Wir zwei werden heute mindestens dreimal so viel Spaß haben, wie die anderen, Hideki!«
 

  …Ki...! …Deki..! …Hideki..! HIDEKI!!

  Ich blinzle kurz und sehe Yuudai schweigend an.

  »Eh… T-tut mir leid… Ich… War gerade woanders.«, entgegne ich Yuudais Schweigen.

  »Hab' ich gemerkt, ja.«, murmelt er, »Wo warst du denn?«

  Ich schaue mich kurz im Speisesaal um. Sieht so aus, als wäre ich wieder größtenteils zurück. Mit den Gedanken bin ich trotzdem noch nicht so ganz da.

  »Im Waisenhaus.«, sage ich dann leise.

  Yuudai schweigt erneut. Ich nehme an, dass er eine Augenbraue hebt, zumindest würde ich das tun, wenn ich er wäre.

  »Wachtraum.«, meint Miura nun leise.

  »Eh…«

  »Du hast keinen Plan, was ein Wachtraum ist, oder?«, fragt er weiter und legt seinen Kopf etwas schief.

  Ich weiß nicht, ob er es tut, aber es fühlt sich so an, als würde Miura mich durchdringlich ansehen. Ich schüttle also nur schweigend den Kopf, da ich wirklich keine Ahnung habe, was ein Wachtraum ist.

  »Ähm… Also, ein Wachtraum… Ein Wachtraum ist… Wenn… Wenn du zwar wach bist, aber du vor deinem Auge was anderes siehst, als das, was vor dir steht.«

  »Aha… Ich träume also, während ich wach bin, ja?«

  »Genau.«

  »Ist ja cool.«, murmle ich vor mich hin.
 

  Am Abend, als ich in Yuudais und meiner Suite sitze, blinzle ich schweigend vor mich hin. Keine Ahnung, wo Yuudai sich gerade rumtreibt. Vielleicht ist er mit Len einen Saufen gegangen. Plötzlich klopft es an der Tür.

  »Ich komm' schon…«, rufe ich, erhelle das Zimmer ein wenig und laufe zur Tür.

  Als ich aufblicke und die Konturen der Figur betrachte, denke ich, dass es mein kleiner Zwillingsbruder ist.

  »Miura? Bist du das?«, frage ich sicherheitshalber nach.

  »Ja. Stör' ich dich grade?«, entgegnet er mir.

  »Nein, nein. Komm' ruhig rein.«

  Ich gehe etwas auf die Seite, damit Miura an mir vorbei kann.

  »Du hast's ganz schön dunkel hier drin.«, meint er leise.

  Ich grabsche nach dem Lichtschalter, grinse schief und sage: »Ich hab's nur so dunkel, weil ich mich dann fühlen kann, als wäre ich wirklich blind.«

  Er schweigt. Klar, würde ich auch, wie soll es also anders sein? Ich gehe mit Miura daraufhin ins Wohnzimmer und hocke mich neben ihn auf's Sofa.

  »Also… Was gibt's?«, frage ich ihn nun.

  »Hm… Ich weiß nicht. Alleine in der Suite sitzen ist langweilig. Meinst du nicht auch?«

  »Haha. Ja, stimmt schon. Hast Recht.«

  »Nii-San?«

  »Ja?«

  »Kannst du mir erklären, wie das aussieht, was du siehst?«

  »Das hab' ich doch schon.«

  »Erklärst du's trotzdem nochmal?«

  »Klar… Eh… Warte, wie hab' ich das Yuudai erklärt… Nehmen wir an, du hast ein Fotobearbeitungsprogramm, ja?«, fange ich an und warte auf Miuras Nicken, »Gut. Also… Du hast ein Bild von einer Landschaft. Dann invertierst du die Farben so, dass das Bild aussieht wie auf dem Negativ.«

  »Okay. Und dann?«

  »Dann stellst du das ganze Negativ-Bild auf Schwarz-weiß, malst die Menschen, Tiere Bäume und andere Dinge schwarz aus und fertig ist die Sichtweise Hideki Fujiwaras!«

  »Und Geister?«

  »Die sehe ich so, wie du mich siehst.«

  »Und woher hast du die Erklärung dazu?«

  »Die hab' ich mir in meinem Traum gesucht. Da war auf einmal so ein Computer und da habe ich eben daran rumgetüftelt.«

  »Wow.«

  Ich grinse ein wenig, bei Miuras Begeisterung. Zu gerne würde ich nun sein Gesicht sehen. Irgendwo in der Suite höre ich ein Getuschel.

  »Hey! Raus hier!«, rufe ich.

  »Verdammt. Die Miura-Kopie hat uns gehört.«

  »Das ist deine Schuld! Nur wegen dir!«

  »Was? Wieso ich!?«

  »Deshalb!«

  »Woah! Long, Lovelie! Hört auf zu streiten und kommt hier her!«, schreit Miura auf einmal.

  Keine fünf Sekunden später stehen die zwei vor uns.

  »Meine Fresse… Ihr zwei schon wieder…«, murre ich.

  »Oh… Ihr kennt euch schon?«, fragt Miura.

  »Mehr… Oder weniger…«, antworte ich.

  »Ja… Wie hießt die Kopie noch… Hyde?«, murmelt Lovelie.

  »Hideki!«, knurre ich.

  »Ach ja, genau. Doofer Name.«

  Ich schnaube dumpf und beobachte Long und Lovelie ein wenig. Find' ich jetzt irgendwie toll, dass ich die beiden in Farbe sehen kann. Schließlich sehe ich nicht jeden Tag Geister im Hotel oder daheim. Wäre aber sicherlich interessant.

  »Also… Äh… Long, Lovelie, lasst meinen Bruder in Ruhe und verschwindet in die Suite!«, meint Miura dann.

  »Ja, ja. Sind schon weg. Komm' Lovelie.«, murmelt Long und zieht Lovelie sogleich hinter sich her.

  Ich schaue den beiden nur schweigend nach, ehe ich den schwarzen Umriss meines Bruders wieder betrachte. Eigentlich wollte ich grade noch was sagen, aber ich werde durch so ein Gepolter unterbrochen.

  »Oh oh.«, murmle ich und ahne schon schlimmes.

  »Was war das?«, fragt Miura.

  »Ich glaube, dass sind Yuudai und Len.«

  Miura und ich verschwinden sofort an die Tür und reißen diese auf. Wie ich es mir gedacht habe, liegen Yuudai und Len sturzbesoffen auf dem Boden und lachen wegen irgendetwas.

  »Kriegst du das mit Len alleine hin?«, frage ich Miura und schaue ihn dabei an.

  »Ja, ich denke schon.«, entgegnet er, »Und du schaffst das mit Yuudai auch?«

  »Klar, ich mach das nicht zum ersten Mal.«

  Ich grinse ein wenig, helfe anschließend meinem betrunkenen Freund. Im Hintergrund höre ich noch Miuras >okay< und wie sich langsam eine Tür öffnet. Meine Wenigkeit schleift Yuudai in unsere Suite. Da er ja nicht mehr auf die Idee kommt, selbst zu laufen, ziehe ich ihn eben hinter mir her.

  Als ich es endlich geschafft habe, Yuudai ins Bett zu legen, seufze ich erleichtert und haue mich auf das meine.

  »Hideki..?«, lallt Yuudai auf einmal.

  Ich starre die Decke an, seufze ein wenig und frage dann: »Wieso schläfst du noch nicht?«

  »Ich muss dich noch was fragen…«, murmelt er leise.

  »Ach ja? Was denn?«

  Ich drehe mich langsam in Yuudais Richtung, blinzle ein wenig und sehe die schwarze Gestalt auf dem anderen Bett an. Yuudai tut es mir gleich und stützt seinen Kopf auf seiner Hand ab. Zumindest sehe ich das so.

  »Warst du schon mal verliebt? So richtig, meine ich.«, lallt er wieder und spielt mit einer seiner Haarsträhnen.

  »Eh… Nein. In schwarze Gestalten kann man sich schlecht verlieben.«, murmle ich, »Wieso fragst du mich das?«

  »Hm… Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick

  Ich schweige, ehe ich einen dumpfen Seufzer von mir gebe.

  »Dai… Ich. Sehe. Nichts!«

  »Au ja… Hab' ich vergessen… Aber glaubst du's trotzdem?«

  »Uff… Schon möglich… Sag' schon. Was ist los?«

  »Ich glaub'… Ich glaub' ich hab' mich verliebt…«

  »Und in wen?«

  Er gibt keine Antwort, worauf ich grinse.

  »Warte, warte. Lass' mich raten!«, fange ich an, »Der Glückliche ist… Miura!«

  »Wow… Woher weißt du das?«, entgegnet er leise.

  »Hm… Ist eben sehr offensichtlich.«

  »Oh…«

  Ich lache ein wenig, lege mich wieder normal ins Bett und schließe die Augen.

  »Was glaubst du, wie Miura da drüber denkt?«, fragt Yuudai und lallt noch immer.

  »Bist du denn wieder nüchtern?«, stelle ich erst als Gegenfrage.

  »Nicht ganz, aber fast… Denke ich zumindest…«

  »Aha, okay.«

  »Also?«

  »Was >also<?«

  »Also, was glaubst du..? Hab' ich überhaupt eine Chance bei ihm?«

  »Eh… Ja. Ich glaube schon, ja.«

  »Nacht, Hideki.«, sagt er nun.

  Yuudai scheint völlig zufrieden zu sein. Recht erleichternd, irgendwie. Aber eben nur irgendwie. Ich bin nur recht gespannt darauf, wie Yuudai das nun anstellen will.

  »Gute Nacht.«, sage ich dann noch, ehe ich auf die Digitaluhr sehe.

  Kurz vor elf. In ein bisschen mehr als einer Stunde haben Miura und ich Geburtstag. Wird sicherlich interessant. Es dauert noch nicht einmal lange, bis ich einfach einschlafe…
 

  Am nächsten Morgen, es ist halb sechs in der Früh', werde ich von einem Sturmgeklopfe wach. Schweigend reibe ich mir die Augen, ehe ich mich aufsetze.

  »Guten Morgen, Hideki!!«, schreit Yuudai plötzlich.

  »Morgen…«, murmle ich.

  Ich höre, wie sich die Tür öffnet und wer eintritt.

  »Alles Gute zum Geburtstag!!«, rufen Yuudai und die anderen des Personals.

  Zumindest glaube ich, dass es das Personal ist. Und, wenn ich mich nicht irre, ist sogar Yuudais viel beschäftigter Onkel dabei. Glaube ich jedenfalls. Ich reibe mir noch einmal die Augen und lächle ein wenig.

  »Danke.«

  »Yuudai hat gesagt, dass du heute Geburtstag hast, Hideki. Deshalb habt ihr beide heute frei. Man wird ja nur einmal achtzehn.«, sagt Yuudais Onkel dann.

  »Im Ernst? Danke, echt mal.«

  »Jawohl! Das ist mein Ernst. Aber wir müssen wieder los. Na kommt schon, Leute. In einer Stunde muss das Frühstück im Saal stehen!«

  Mit diesen Worten verlässt Yuudais Onkel unsere Suite und geht mit der ganzen Crew hinaus. Yuudai und ich winken den anderen schweigend hinterher.

  »Wieso bist du denn schon wach?«, frage ich leise.

  »Ich hab' geschaut, was es zum Frühstück geben wird und eine Torte für dich und Miura bestellt.«, antwortet Yuudai.

  »Cool… Und du bist nicht müde?«

  »Irgendwie nicht, nein.«

  Ich lache ein wenig, ehe ich ins Badezimmer verschwinde und mich fertigmache.

  Nachdem ich wieder rauskomme, sehe ich Yuudais schweigende, schwarze Gestalt und blinzle ein wenig. Ich habe keine Ahnung, ob er mich fragend oder bettelnd ansieht, aber irgendwie fühlt es sich so an.

  »Eh… Okay… Gehen wir Miura wecken…«, sage ich schief lächelnd.

  Eifrig nickend zerrt mich Yuudai nun zur Tür. Miuras und Lens Suite ist ja genau unserer gegenüber. Ich klopfe an. Da mir keiner öffnet, klopfe ich wieder. So lange, bis mir jemand aufmacht.

  »Guten Morgen, Otouto-Chan.«, grinse ich, »Alles Gute zum Geburtstag. Ich hoffe, ich habe dich auch viel zu früh geweckt.«

  »Hehe… Danke. Dir auch alles Gute!«, meint Miura und umarmt mich, »Ich muss dich leider enttäuschen, Nii-San. Ich bin schon seit 'ner halben Stunde wach.«

  »Wie schade… Eh… Schläft Len denn noch?«, frage ich ihn leise, fast flüsternd.

  »Nein, der ist auch schon wach.«

  Er nickt mit dem Kopf in Richtung Suite, weswegen ich sofort hinein verschwinde. Ich zerre Len hinter mir heraus und winke Miura ein wenig.

  »Ich nehm' den mal schnell mit, ja?«, sage ich dann und verschwinde an den beiden vorbei.

  »Au ja! Ura-Chan, dein Bruder und ich gehen einen Saufen!«, lacht Len.

  »Jiapp…«, sage ich und schaue zu Yuudai, »Viel Glück.«

  Letzteres habe ich zwar geflüstert, aber muss ja nicht jeder wissen, um was es geht. Oder nicht? Zusammen mit Len gehe ich also in den Speisesaal und sehe zu ihm.

  »Willst du das Bier holen? Ich seh's nicht.«, meine ich schief lächelnd.

  »Äh… Klar, ja. Wieso nicht.«, entgegnet er mir.

  »Ich setz' mich da rüber.«

  Len nickt schweigend und begibt sich an die Bar. Meine Wenigkeit verschwindet an den freien Tisch, lehnt sich in den Stuhl und beobachtet die anderen schwarzen Gestalten im Saal. Solange, bis auf einmal eine Flasche vor mir steht. Ich bedanke mich leise und vernehme fast lautlos das >passt schon< von Len. Nachdem ich einen großen Schluck vom Bier getrunken habe, seufze ich leise. Irgendwie ist Bier auf den leeren Magen nicht gut. Zumindest nicht für mich. Yuudai macht das nichts aus, soviel ich weiß. Nur vertrage ich eben wenig Alkohol, was manchmal echt deprimierend ist.

  »Oh, äh… Hideki war's, oder?«, fragt Len auf einmal.

  »Japp…«, sage ich, »Was ist los?«

  »Warum hast du Yuudai >viel Glück< zugeflüstert?«

  »Du hast das gehört?«

  »Ich hab' gute Ohren, weißt du?«

  »Aha…«

  »Aaalso?«

  »Ehm… Naja… Eh…«

  »Warte, warte, warte. Lass' mich bitte raten, ja?«

  »Eh… Okay, klar. Rate los.«

  »Gut also… Yuudai ist verknallt. In Miura. Und das will er ihm nun sagen, stimmt's?«

  Ich bin recht erstaunt, als Len auf einmal erzählt, was er vermutet. Irgendwie scheint der Kerl mehr im Kopf zu haben, als scheint. War ja irgendwie logisch… Glaube ich zumindest… Blinzelnd betrachte ich seine Kontur, seufze schließlich ein wenig und schließe kurz die Augen.

  »Du bist gut… Ratest du immer so richtig?«, frage ich, »Wenn ja, bescher' mir mal die Lottozahlen.«

  »Hehe… Ich enttäusche dich. Es war nicht geraten.«, gibt er dann zu und lacht etwas, »Miura hat mich gestern Nacht noch vollgelabert.«

  »Im Ernst jetzt?«

  »Ja. Er meint, weil ich betrunken bin, hab' ich am nächsten Tag alles vergessen. Naja, ich tu' auch meistens so.«, grinst er.

  »Na du bist aber gemein.«

  Len lacht wieder ein wenig und reicht mir auf einmal seine Hand. Blinzelnd schaue ich die schwarze Hand vor mir an.

  »Ehm…«, gebe ich leise von mir.

  Er seufzt ein wenig, ehe er sich meine Hand schnappt und ein wenig schüttelt.

  »Alles Gute. Hab' ich ganz vergessen. Obwohl ich Miura schon gratuliert habe.«, lacht er anschließend wieder.

  »Oh… Danke.«, murmle ich.

  Eigentlich bin ich sowas nicht gewohnt. Die einzige, die mir bis jetzt immer gratuliert hatten, waren Yuudai, seine Eltern und rei. Sonst niemand. Irgendwie traurig, aber egal. Noch ehe ich einen neuen Schluck vom Bier nehmen kann, höre ich Yuudais Lachen. Ich blinzle ein wenig, als ich sehe, dass neben seiner schwarzen Gestalt wer steht. Da ich ja nicht sehen kann, ob es Miura ost, oder nicht, lehne ich mich etwas zu Len rüber.

  »Hat Yuudai es nun geschafft, oder nicht?«, frage ich leise nach.

  »Ich glaub' schon.«, murmelt Len, »Ich hab' Miura schon lange nicht mehr so strahlen sehen.«

  »Er strahlt?«

  »Aber sowas von.«

  Ich seufze wieder ein wenig. Wie sehr würde ich Miuras Lächeln sehen wollen? Ihn nur als schwarze Gestalt zu sehen, tut so verdammt weh, dass man sich das wirklich nicht vorstellen kann. Als ich die beiden dann nebeneinander an unserem Tisch sitzen, grinse ich breit. Ob Len das auch tut, weiß ich nicht, aber ich denke es einfach mal. Ich meine… Wer würde das nicht?

  »Na? Alles nach Plan gelaufen?«, frage ich grinsend.

  »Hehe… Schon, ja.«, meint Yuudai.

  Womöglich schmunzelt er, so wie ich ihn kenne. Schließlich grinst er nahezu immer. Ich lächle zufrieden, lehne mich zurück und verschränke meine Arme vor der Brust. Gerade, als die Bedienung, deren Namen ich immer vergesse, den Kuchen bringt, sehe ich, wie drei weitere Personen in den Speisesaal kommen.

  »Ist das Schokokuchen?«, fragt Len.

  Yuudai und ich nicken nur schweigend. Als wir dann anfangen zu essen, steht irgendjemand neben uns.

  »Ist das Schokokuchen?«, fragt die schwarze Gestalt neben mir.

  Schweigend sehe ich zu der Gestalt hoch. Dass ich mich jetzt gerade nicht verschluckt habe, ist wirklich ein Wunder. Ich meine… Ich hätte mich auch täuschen können, aber die Stimme der schwarzen Gestalt passt einfach perfekt zu Miyavi. Kurz herrscht ein Schweigend, was mich doch ein wenig irritiert.

  »Miyavi!?«, ertönt es schließlich von Yuudai und Len.

  Demnach habe ich mich also nicht geirrt, weswegen ich Miyavis schwarze Gestalt weiter anstarre. Mehr oder weniger zumindest.

  »Oh ja, den kenn' ich. Das ist der Typ, den Lovelie so toll findet.«, meint Miura auf einmal.

  »Was ist jetzt?«, fragt Miyavi in die Runde, »Was ist jetzt mit dem Kuchen?«

  »Eh… Klar, nimm' dir was.«, murmelt Len einfach drauf los.

  »Hallo!? Nur, weil der Kerl hier berühmt ist, heißt das noch lange nicht, dass er was von meinem Kuchen bekommt!«, protestiert Miura.

  Schweigend schaue ich ihn an. Ich weiß ja, dass Miura, so wie ich, recht temperamentvoll sein kann. Aber so? Plötzlich fängt Miyavi an zu kichern.

  »Du bist süß.«, meint er melodisch, »Ich möchte doch nur ein Stück Schokokuchen. Bitte…«

  »Mmmh… Ja… Okay…«, murmelt Miura schließlich, knurrt dennoch etwas und reicht Miyavi schlussendlich einen Teller, samt Kuchen.

  »Dankeschön.«

  »Miyavi..! Jetzt komm' endlich, wir warten!«, murrt auf einmal eine andere Stimme.

  »Aha… Aiji und Maya… Von den beiden hab' ich letztens auch geträumt…«, meint Miura leise und dreht seinen Kopf wieder in meine Richtung.

  Eigentlich würde ich nun mit >Im Ernst?< antworten. Doch im Moment schweige ich lieber. Mit einem kurzen >hi< begrüßen uns Maya und Aiji, ehe sie Miyavi mitnehmen und sich mit einem >bis bald mal< verabschieden. Meine Wenigkeit blickt nur völlig perplex auf sein Stück Kuchen, während Yuudai und Len schweigend. Wahrscheinlich sind sie genauso verwirrt wie ich.

  »In meinem Traum waren sie wesentlich amüsanter, die zwei.«, murmelt Miura.

  Ich blinzle schweigend vor mich hin, seufze ein wenig.

  »In deinen Träumen ist doch sicher alles anders, oder?«, frage ich ihn dann.

  »Äh… Nur ein bisschen, aber nicht wirklich viel anders.«, rechtfertig er sich.

  »Aha, okay.«

  »Mhm!«

  Ich betrachte schweigend, wie sich jeweils Yuudai und Len eine Zigarette anzünden und strecke meine Hand Yuudai entgegen. Er reicht mir kurzerhand eine seiner Glimmstängel, welchen ich sofort anzünde und dessen Qualm über meine Zunge, weiter zur Lunge runter gleiten lasse. Hat was beruhigendes, wie ich gerade feststelle.

  »Wieso raucht ihr nun alle..?«, fragt Miura ganz kleinlaut.

  »Weil…«, murmle ich, weiß aber nicht, was ich noch dazu sagen soll.

  »Also…«, gibt Yuudai nur nachdenklich von sich.

  »Was sein muss, muss eben sein, Miura!«, meint Len dann ganz einfach.

  »Genau.«, meinen Yuudai und ich und nicken zustimmend.

  »Aha…«

  Das darauf folgende Schweigen von Miura ist recht irritierend. Finde ich zumindest. Ich seufze ein wenig, melde mich – nach der gerauchten Zigarette – bei den dreien ab und verschwinde nach draußen. Als ich aus dem Ein- beziehungsweise Ausgang hechte, kommt mir ein Windstoß mit Schnee entgegen, welcher mich recht heftig bibbern lässt. Dass es im Winter immer so kalt in New York sein muss… Ich seufze wieder ein wenig, reibe mir kurz über die Arme und seufze noch einmal, steige schließlich in das Taxi, dass gerade anhält kaum bin ich drinnen und fahre ein Stück, woraufhin ich schon den Time Square erkennen kann, klingelt mein Handy.

  »Ja?«, sage ich, als ich annehme.

  »Hideki! Wo zum Teufel bist du hin?«, fragt mich Yuudais Stimme.

  »Am Time Square.«, antworte ich kleinlaut.

  »Was machst du da drüben!?«, faucht er nun, »Du kannst doch nicht alleine im Time Square herum streifen!«

  »Dai… Beruhig' dich… Ich kauf' nur ein Geburtstagsgeschenk für Miura…«

  »Hättest du da nicht irgendwie warten können? Hideki, du hast heute selber Geburtstag, du musst das nicht machen!«

  »Aber er ist mein kleiner Bruder und ich habe Lust dazu.«

  Ich höre mir weiterhin die ganzen Predigten von Yuudai an, steige nebenbei aus dem Taxi, welches ich glücklicherweise zahlen kann und laufe ins nächste Juweliergeschäft. Nach zwanzig Minuten, die mich Yuudai nun vollgeschwafelt hat, lege ich auf und betrachte die schwarzwirkenden Ketten und Ringe. Als ich dann so eine Art Freundschaftskette sehe, blinzle ich schweigend vor mich hin. Vier Kreuze, in einander verhakt, mit jeweils einer Kette. Ich linse kurz in meinen Geldbeutel und siehe da! Ich kann mir das Ding sogar leisten! Also verschwinde ich damit kurzerhand an die Kasse und bezahle. Mit der Kette in der Tasche laufe ich Richtung Hotel zurück. Zu meinem Pech ist das Urlaubsgeld nun alle, weswegen ich mir kein Taxi mehr leisten kann.

  Als ich später, so gegen Abend, im Hotel ankomme, laufe ich aus Versehen gegen einen von drei Typen und sitze kurz darauf auf dem Boden.

  »Autsch… Tut mir echt Leid…«, murmle ich.

  »Schon gut. War mein Fehler.«, sagt der eine und hilft mir auf.

  »Danke.«, nuschle ich, »Irgendwie… Kenne ich Ihre Stimme, Sir… Aber ich kann sie nicht sehen… Helfen Sie mir auf die Sprünge?«

  »Eh…«

  »Miyavi steht doch direkt vor dir.«, meint wieder ein anderer.

  »Miyavi? Oh… Tut mir nochmal Leid.«

  »Blind?«

  »So in etwa…«

  »Und-«

  »Hideki!! Oh Gott, dir geht's gut! Bin ich froh.«, ertönt nun auch noch Yuudais Stimme.

  Leicht verwirrt betrachte ich die Konturen der ganzen Leute hier. Yuudai und Miyavi sind ziemlich groß und haben verschiedene Frisuren. Maya ist ein wenig kleiner als die anderen zwei und Aiji ist demnach der kleinste. Ich lausche dem Stimmegewirr und habe echt keine Ahnung, was die vier laber. Als ich mich umdrehen will, werde ich im nächsten Moment von irgendwem zu Boden gerissen.

  »Aautsch…«, murmeln der Kerl und ich.

  »Oh Mann, Mike..! Kannst du nicht aufpassen, wo du hinläufst?«, meint nun eine weitere Stimme.

  Eindeutig zu viele Stimmen auf einmal für mich. Nur komisch, dass die neuste der vielen Stimmen thailändisch redet. Yuudai, Miyavi, Aiji und Maya können damit also nichts anfangen. Nicht, so wie ich.

  »Schon gut. Ist nichts passiert.«, antworte ich den beiden Thailändern, »Golf und Mike, oder?«

  »Äh… Ja, genau. Und du bist?«, fragt nun Mike nach – denke ich zumindest – und hilft mir auf.

  »Hideki Fujiwara. Vom Personal… Mehr oder weniger… Und das da drüben ist Yuudai Kawasaki.«

  »Du bist Japaner?«, fragt nun – logischerweise – Golf.

  »Eh… Halb, ja. Eigentlich-«

  Bevor ich meinen Satz zu Ende sagen kann, wird vor meinen alles schwarz. Keine Ahnung, was gerade passiert ist. Das einzige, was ich noch merke, bevor ich auf den Boden knalle, ist ein kleiner, stechender Schmerz am Kopf.

  Als ich wieder aufwache, erblicke ich als erstes eine schwarze Decke. Ich nehme an, dass ich in einem Krankenhaus bin, zumindest riecht es hier so. Auf irgendeine Weise… Schmerz mein Kopf wie verrückt. Ich setze mich vorsichtig auf und schiele durch den Raum. Irgendwie kann ich damit aber nichts anfangen. Auf einmal öffnet sich aber die Tür und irgendwer stürmt herein.

  »Oh Gott! Dir geht's gut!«, höre ich dann Miuras Stimme und werde kurz darauf umarmt.

  »Was war passiert?«, frage ich nach.

  »Laut Arzt hattet du einen kleinen Schwächeanfall.«, meint Yuudais Stimme dann.

  »Schwächeanfall, huh… Na toll… Ich bin jetzt achtzehn und werde wirklich alt.«

  »Das wird schon wieder, Hideki.«, meint Len.

  Irgendwie, ich weiß nicht wieso, kotzt mich das ganze hier total an. Während ich so aus dem Fenster starre, öffnet sich ein weiteres Mal die Tür. Dieses Mal ist es eine Frau, wahrscheinlich die Krankenschwester. Ich möchte gar nicht wissen, was die Lady von mir will. Im Ernst jetzt… Die Lady soll wieder gehen…

  »Weißt du denn, wie du heißt?«, fragt sie mich auf einmal.

  »Ja.«

  »Äh… Naja, gut… Was sind das für Farben hier?«, fragt sie nun und zeigt mir so ein komisches Schild.

  »Keine Ahnung…«

  »Eh… Miss… Er kann keine Farben sehen, also machen sie das Ding bitte weg.«, meint Yuudai dann, ehe er sich auf mein Bett setzt.

  Ich blicke schweigend zu ihm. Irgendwie… Bin ich ohne Yuudai wirklich aufgeschmissen.

  Wie damals in der Schule. Keine Ahnung, wie lange das her ist. Ich glaube… Ich war fünfzehn. Demnach war Yuudai schon sechzehn. Zu meinem Glück, oder Unglück, war Yuudai eine Klasse über mir. Klar, er ist auch fast ein Jahr älter als ich. Jedenfalls war er in der dritten Klasse der Mittelstufe. Und ich demnach in der Zweiten. Es war ein Donnerstag, soviel ich noch weiß. Jedenfalls… In der letzten Stunde, oder eher, am Ende der Stunde, packte ich alles zusammen und rannte so schnell ich konnte aus dem Klassenzimmer. Ja, ich musste rennen.

  »Hideki! Verdammte Scheiße, bleib' stehen du kleiner Penner!«, hallte es durch den Gang.

  »Niemals! Ich bin doch nicht lebensmüde! Außerdem hab' ich gar nichts getan!«, schrie ich zurück.

  Wenigstens war ich sportlich… Oder bin ich sportlich… Wie auch immer. Ich rannte also, so schnell ich konnte, aber irgendwie wurde ich draußen auf dem Schulhof trotzdem zu Boden gerissen.

  »Au! Penner! Geh' runter von mir!«, rief ich und versuchte mich irgendwie zu wenden.

  Irgendwie funktionierte das aber nicht und ich fing mir soeben zwei bis drei Fäuste ins Gesicht. In dem Moment wusste ich noch nicht einmal, ob ich aus der Nase, oder aus dem Mund blutete. Und ich hatte keine Ahnung,w ie oft der Typ noch auf mich einschlug. Nach schätzungsweise zehn Minuten – es hätten auch einfach nur zwei Minuten sein können, keine Ahnung – flog der Typ auf einmal von mir runter und recht benebelt sah ich in den schwarzen Himmel. War er wirklich schwarz? Ich wusste es nicht, aber langsam wurde er weiß und es regnete schließlich. Der Regen, den ich sanft auf meiner Haut spüren konnte, tat richtig gut. Irgendwie… Linderte er die Schmerzen in meinem Gesicht. Irgendwie eben. Plötzlich stand wer vor mir und hielt mir die Hand entgegen.

  »Los, Hideki… Geh'n wir heim.«, sagte die schwarze Gestalt, deren Stimme ich Yuudai zuordnete.

  Schweigend griff ich nach Yuudais Hand und ließ mir aufhelfen. Sofort hielt er mir ein Taschentuch an die Nase.

  »Bevor dich der Kerl noch einmal verprügelt, muss er mich erst umbringen.«, sagte er nun.

  »Danke…«, murmelte ich.

  »Schon gut. Daheim legst du dich aber sofort hin!«

  »Mhm…«
 

  Als wir daheim ankamen, legte ich mich sofort aufs Sofa, wie Yuudai es wollte. Kurzerhand legte er mir einen Eisbeutel auf den Mundwinkel. Kimshi, mein kleiner Chihuahua, sprang auf meinen Bauch und kuschelte sich an mich. Yuudai sagte mir, welche Farben Kimshi hatte. Natürlich sah ich auch ihn nur im Traum farbig.

  »Na, Kimshi? War dein Tag heute auch so anstrengend?«, fragte ich ihn und streichelte über sein weiß-karamellbraunes Fell.

  Er zuckte ein wenig mit den Ohren, legte sie hin und wieder leicht an und gab manchmal ein seufzen von sich. Ich liebe diesen kleinen Kerl. Eigentlich… Ist er mein ein und alles. Und das weiß ziemlich jeder…

  Gegen Abend ließ ich Kimshi nach draußen, damit er noch Pinkeln konnte. Normalerweise kam Kimshi selbst zurück. Meistens nach zwei Minuten, oder so. aber heute kam Kimshi irgendwie nicht.

  »Kimshi!? Hey, Kleiner! Wo bist du denn?«, rief ich und ging nach draußen.

  Eigentlich völlig lebensmüde… Ich meine… Ich konnte ja nachts noch nie etwas sehen und nur wegen Kimshi stolzierte ich nun dort draußen, blind wie ein Maulwurf, umher. Ich suchte den kleinen Kerl. Überall. So gut ich konnte zumindest. Im Garten. Am Pool, was ich irgendwie nicht hätte tun sollen. Aber glücklicherweise war nichts passiert. Irgendwann kam ich sogar am Keller an. Er war weg. Einfach weg.

  »Kimshi!«, rief ich erneut.

  Plötzlich hörte ich ein dumpfes Bellen, welches eindeutig meinem kleinen Kimshi gehörte. Ich rannte in die Richtung, aus der das Bellen kam, weiter auf die Straße, wo im Laternenlicht eine schwarze Gestalt mit einer Art Sack stand.

  »Was zum-«

  »Yo, Hideki. Ist das dein Hund?«, fragte mich eine Stimme.

  War glaube ich sogar dieselbe Stimme, wie die des Typen, der mich verprügelt hatte. Ganz schwach sah ich, wie der Kerl etwas über den Sack goss, welcher anschließend anfing zu leuchten. Oh Gott, es war Benzin. Ich hörte noch, dass Kimshi wie ein Irrer anfing zu bellen und heulen.

  »Kimshi!!«, rief ich und rannte auf was weiße Feuer zu.

  Eigentlich war ich mehr als nur lebensmüde. Schließlich war ich nachts blind wie ein Maulwurf. Dennoch kam ich immer näher an den brennenden Sack, welcher aber plötzlich in die Höhe flog und dort blieb.

  »Kimshi!!«, schrie ich nur noch.

  »Was regst du dich so auf? Es ist doch nur ein Hund.«

  »Halt die Klappe! Lass' Kimshi da sofort wieder runter!!«

  »Sicherlich nicht.

  »Hideki!? Was machst du da draußen?«, fragte mich Yuudais Stimme auf einmal.

  Eigentlich wollte ich antworten, aber der Typ hielt mir den Mund zu. Kimshi heulte weiter. Ich rammte, nach kurzem überlegen, dem Kerl meinen Ellenbogen in den Magen, riss mich von ihm los und griff nach dem Sack auf dem Baum, oder was auch immer das war. Das Feuer verbrannte mir die ganzen Ärmel meiner Jacke, bevor ich langsam, aber sicher Brandblasen an meinen Händen und Armen spürte. Dennoch war es mir egal. Schließlich musste ich Kimshi da rausholen. Schlussendlich hatte ich das dann auch geschafft und wie durch ein Wunder, war Kimshi nicht verletzt.

  »Oh Gott, du lebst.«, schniefte ich.

  Es dauerte nun auch nicht lange, bis Yuudai den Typ ein weiteres Mal verprügelt hatte.

  »Wie geht's dem Kerlchen?«, fragte er, während er das Feuer austrat.

  »Gut… Ihm ist nichts passiert… Zumindest macht er einen solchen Eindruck.«, meinte ich leise.

  »Hideki… Deine… Deine Hände…«

  Ich selbst sah meine Hände nicht und verdrängte den Schmerz. Es war grausam, was ich am nächsten Tag sehen konnte. Brandblasen über Brandblasen, die auf meinen Händen weiß leuchteten. Zumindest sah es für mich so aus. Und erst jetzt spürte ich, wie weh das tat.
 

  »Hideki!«

  »Ha?«, gebe ich nur leise von mir.

  Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht mitkriege, wie mich wer ruft.

  »Wir gehen zurück ins Hotel, hab' ich gesagt. Die Besuchszeit ist zu Ende. Wir sind morgen früh wieder da.«, sagt Yuudai nur noch.

  »Oh, ach so… Ja, okay.«, murmle ich und winke allen.

  Sie winken zurück und verschwinden nach draußen. Ich mümmle mich ins Bett und starre aus dem Fenster. Viel sehen kann ich da zwar nicht, aber es beruhigt irgendwie…

  Langsam schlafe ich ein und verfalle in einen seltsamen Traum. Aber… Was zum Teufel ist das für ein Traum? Es ist nicht wie sonst… Ich kann nicht das tun, was ich will… Es ist eher so… Als würde mich jemand lenken…

  Ich stehe im Garten unseres Hauses. Alles ist farbig, was mich also auch daraus schließen lässt, dass es wirklich ein stink normaler Traum ist. Zusammen mit Yuudai laufe ich nun zum Tor. Was ich dort sehe, lässt mich völlig zusammenbrechen. Dort hängt Kimshi an einem Baum, mit einer Kette um den Hals und baumelt im Wind umher.

  Plötzlich reiße ich die Augen auf, liege demnach wach im Krankenzimmer und starre mit Herzrasen die Zimmerdecke an. Kurz durchfährt mich ein stechender Schmerz und mein ganzer Körper lässt sich nicht bewegen. Schwer wie Blei fühlen sich meine Arme und Beine an.

  »Miura… Du scheiß, armes Schwein…«, murmle ich leise vor mich hin.

  Ich habe keine Ahnung, ob ich schon schweißgebadet bin, oder ob mir immer noch der Schweiß an der Stirn entlang läuft. Ich verstehe jetzt, was Miura im Speisesaal gemeint hatt, mit Schmerzen, Glieder schwer wie Blei und Herzrasen. Richtige Angstzustände, wie ich das finde. Einfach nur grausam. Da würde ich echt lieber sterben wollen. Als ich mich wieder einigermaßen bewegen kann, greife ich nach dem Telefon auf dem Nachttisch und blicke anschließend zur Uhr. Da ich nichts erkennen kann, grabsche ich gleich noch nach dem Lichtschalter. Kurz vor zehn Uhr, was heißt, dass es in Japan gegen zwölf Uhr mittags ist. Kurzerhand rufe ich Zuhause an.

  »Mama… Wo ist Kimshi?«, frage ich, als mir meine, beziehungsweise Yuudais Mutter am Telefon antwortet.

  »Äh… Moment, Schätzchen.«, sagt sie leise und ich warte einen Moment, »Er liegt auf deinem Bett und wartet auf dich… Der Kleine vermisst dich wirklich, Hideki.«

  »Ein Glück…«

  »Wie geht es dir denn? Alles klar in New York? Hast du auch schön deinen Geburtstag gefeiert?«

  »Eh… Ja, danke. Alles bestens. Und ja, habe ich. Oh… Ehm… Dai und ich müssen wieder an die Arbeit. Mach's gut, Ma.«

  Ich lege auf, blinzle ein wenig zur Decke. Es ist erleichternd zu hören, dass es Kimshi gut geht… Trotzdem… Grausamer Traum…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (22)
[1] [2] [3]
/ 3

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Lyra-Malfoy
2010-08-09T14:25:30+00:00 09.08.2010 16:25
OMG
Mein herz rast mit >.<
-kriegt so langsam Tränen in Augen-
Albträume sind scheiße, vorallem wenn sie dann auch noch so real erscheinen
-kennt sich damit aus-
-sniff-
Ewww wie gemein... Er kann Geister sehen, aber nicht seine Grußmutter... das fies Q_Q
-kommentiert jetzt nach jedem Abschnitt-
XD
Verständlich, dass er nicht zur Schule will -nick nick-
>.> Iyana
Tzzz Len is böse Q_ Q kann ihn doch nicht einfach zur schule schleifen Q_Q
fünf Arme, drei Köpfe, sechs Beine, oder neun Augen OMG da würde ich durchdrehen wenn ich solche Wesen sehen würde >.< armes tuck tuck -sniff-
Grrr musst du immer vorher die besten Namen haben? In meiner neuen FF habe ich ein Charakter heute morgen Michiyo genannt -.- XD
>.< Was für eine Rabenmutter... Echt jetzt...
OMG OMG OMG -kreisch- Was das? Iwie ist mir das schwarze Wesen sympathisch... ka warum... alta... >.< ewww... es soll nicht gehen...
grrr böser traumfänger -murr- hilft bei mir auch nicht -verbrennen geht- xD
-kreisch- CREEPY mein Lieblingswort *-*
haha geil... schaut der sich tatsächlich um :´D
Long soll nicht verschwinden argh das depriemierend... wer ist das überhaubt???
OMG... Gänsehaut habs... nich umbringen Q_Q böse... -sniff-
Jahahaha Digitaluhren sind was tolles XD
OMG... 666 <--- iyana Q_Q hab angst
-tränen in augen hat-
beschütz mia Q_Q
__________________________________
-hust- genug kommentiert XD
Also... um es kurz zu sagen... Du hast so einen genialen Schreibstil und man kann sich so gut in deinen chara reinversetzen... es ist einfach... atemberaubend -nick nick- -nächstes kapi bald liest-
Von:  Lyra-Malfoy
2010-08-09T13:50:01+00:00 09.08.2010 15:50
Ewww... spannend... spannend SPANNEND
-hibbel-
-lach-
Was meinst du? Sollsch mein Nick ändern? In iwas mit Creepy?
-lach-
-weiter lesen muss-
-hibbel-
Von: abgemeldet
2010-07-24T21:31:09+00:00 24.07.2010 23:31
wow*_____* du hast das echt iwie alles total genial und spannend und so geschrieben. ich war so drinne, dass ich alle kapitel bis jetzt auf einmal lesen musste^^ boah, ich freu mich echt wenn du weiter schreibst :3
Von:  Baka-San
2010-06-27T20:02:09+00:00 27.06.2010 22:02
awwww x3 jetzt will ich aber wissen wie yuudai das angestellt hat mit miura *-*
schon toll mal alles aus hidekis sicht zu lesen =D i-wie wars auch lustig als die krankenschwester kam und nach den farben fragte xDDD
schreib ja schnell weiter *_________________*
Von:  Princechen_Hizu
2010-06-27T16:34:29+00:00 27.06.2010 18:34
ya das war toll *____*
und dann aus der sicht von hideki fand ich shcon recht interesant aber miuras sicht mag ich irgendwie nen bisschen mehr....weiß nich is irgendwie lustiger xD
trozdem wars nen schönes kapi ^^

Von:  Princechen_Hizu
2010-06-21T17:56:38+00:00 21.06.2010 19:56
ich mag hidekis augen~
das weißt du ja schon aber egal xD
ich glaub das nächste kapi wird auch toll...
lass uns Hizumi aufm konzi auch das leben retten *___*
dann kommt er auch zu uns nach hause *droop*
Von:  Kouichi-chan
2010-06-20T20:02:42+00:00 20.06.2010 22:02
wwwwwww~
Hideki *heulflenn*
wwww~ Yuudai :D *rumhüpf*
ach mann, ich krieg gar net genug *___*"
hast du echt super gemacht >////<"
das is doch ne Freude für das Leser-Herzchen *harhar* : D"
*rumspring* *küsschen geb*

btw. MAYA *_______________*
Von:  Gedankenchaotin
2010-06-20T19:47:55+00:00 20.06.2010 21:47
Warum hab ich die letzten Kapitel nicht kommentiert? o.O
*mich selbst in den Hintern beiss*
*imaginär*

Aber das ist wieder wirklich gut geschrieben und ich freu mich auf mehr..
auf mehr vom bösen Long und dem sexy Tsukasa XD~

Rebel
Von:  Baka-San
2010-06-20T19:29:18+00:00 20.06.2010 21:29
AWWWW *________*
Ich liebe das kapi x//D
long isch böse <_< aber er hat damit die Aufmerksamkeit von yuudei auf ihn gelenkt xD
Miura isch so knuffig x3
hach, ich freu mich auf das nächste kapi =3 aber da kannst du dir wohl denken xD
Von:  Princechen_Hizu
2010-05-31T15:24:27+00:00 31.05.2010 17:24
also ich hab mir um 22 uhr gesagt ich les jetzt nur ein kapitel...dann wars 23 uhr und ich sagte mir...ach komm mach doch nichts..und les weiter...dann wars 24 uhr und ich denk mir...ach is doch nur noch ein kapi...und dann wars 1 als ich mit dem letzten fertig war...naja halb so schlimm is ja echt ne schöne geschichte ^^
aber trozdem wahr ich um 1 hyperaraktiv und bis um 3 wach Oo
jetzt fordere das nächste kapitel xD
bitte deine geschichte is wirklich toll un dich will das nächste lesen <3~




Zurück