Ich kaufe nur Brot. Verlasse den Laden und blicke mich um.
Diese Welt. Kalt und grau.
Ist die ganze Welt so? Oder nur die, die ich kenne?
Der Himmel mit Wolken bedeckt. Es wird wahrscheinlich regnen.
Doch einen Sonnenschein gibt es auch hier. Zwischen all dem Dreck und Leid, gibt es ein kleines Licht. Einen unbändigen Sturm…
Ich gehe durch die Straßen und sehe all die Stricher, zu denen auch ich gehöre. Ich sehe all die leeren Augen, all die kalten Seelen. Verzweiflung. Abschaum.
Wertlos.
Dieses Wort hallt unaufhörlich in meinen Gedanken wieder. Immer wieder. Brennt sich in meinen Verstand. In tausend Stimmen.
„Wertlos.“
Bin ich es? Bin ich es nicht? Ich weiß es nicht.
Mein Sturm sagt nein, doch…
Hat mein Leben nicht schon oft genug gezeigt, dass ich es doch bin?
Haben mir nicht genug Fratzen genau das entgegen geschleudert? Haben nicht genug gehässige Grimassen genau so mich genannt? Tun es nicht genug immer noch? Tun es nicht alle?
Bis auf ihn…
Doch sogar er sieht manchmal auf mich herab.
Bin ich mehr als ein Stück Fleisch? Mehr als eine Informationsquelle?
Ich habe doch nichts mehr als meinen Körper und mein Wissen.
Alles andere wurde mir nicht gewährt.
Alles andere wurde mir genommen.
Sogar meine Beherrschung konnte ich nicht behalten, denn meine Hand erhob sich wie von selbst gegen dieses Kind, welches sich mein Bruder nennt.
Nennt? Nannte? Tut er es denn immer noch? In seinen Gedanken… gibt es da nur noch Yami, oder ist da noch Atemu?
Was wünsche ich mir? Was wäre mir lieber?
Ich… weiß es nicht.
Meine Hand… sie hatte es getan. An diesem Abend sehr oft. Ich habe es getan. Und nur die Flucht konnte mich stoppen. Erst als ich gegangen war, konnte ich aufhören. Erst als ich gegangen war, konnte mein Bruder in seine heile Welt zurückkehren.
Ich habe ihn allein gelassen.
Also ist es meine Strafe.
Dich werde ich nicht alleine lassen.
Vielleicht wirst du dann irgendwann nach meinem Namen rufen, wenn ich mich in meinem Labyrinth verirre.
Ich bin da. In meiner leeren Wohnung, die ich mit meinem eigenen Geld bezahle. Geld, das ich mit meinem Körper verdient habe. Das Wertvollste an mir? Was hat mehr Wert in der Welt? Der Körper oder die Seele? In dieser Welt der Körper. Als Stricher oder Schläger – dein Körper ist das Wichtigste. Wenn du weiter aufsteigst, benötigst du noch Verstand. Aber keine Seele. Im Gegenteil – sie stört.
Was ist mit den anderen Welten? Der Welt der mittleren Bürgerschicht und der Welt der hohen Gesellschaft? Dort ist es genau so. Es verändert sich nichts. Was zählt ist Macht. Für Macht braucht man keine Seele.
Die einzige Welt, in der man mein Herz gebrauchen kann, ist deine Welt. Nur du allein suchst nach meinem Inneren. Deswegen liebe ich dich. Ja, ich liebe dich. Es gibt kein besseres Wort dafür.
Ich kann nicht ewig vor mir selbst weglaufen – ich liebe dich.
Doch wir sind beste Freunde und das werden wir auch bleiben.
Bin ich glücklich damit?
Ja, damit schon.
Mit all dem anderen nicht…
Ich spüre das kalte Wasser an meiner Haut entlang hinunter rinnen. Ich habe noch eine halbe Stunde bevor der erste Freier für heute eintrifft.
Das Wasser hat eine beruhigende Wirkung auf mich. Doch manchmal hasse ich es.
So wie jetzt.
Es erinnert mich.
An die Dunkelheit, in die ich alles verbannt habe.
Was lauert tief in meiner Seele? Ist es Liebe? Ist es Hass?
Ich habe Angst nachzusehen.
Deswegen stelle ich das Wasser ab und verlasse das Bad, mich mit einem weichen Handtuch abtrocknend.
Ich blicke aus dem Fenster. Es regnet.
Ist das mein Fluch? Ich will nicht daran denken.
Doch desto mehr ich mich dagegen sträube, desto stärker überkommt er mich. Der Wunsch es rauszulassen. Das, was tief verborgen liegt.
Meine Arme umschließen meinen Oberkörper. Ich wünsche mir ihn hierher.
Doch wird er nicht kommen.
Doch möchte ich ihn nicht rufen.
Mein Freier ist da. Ein neuer. Einer, den ich noch gar nicht kenne.
Wird er mich vergessen lassen?
Für Augenblicke bin ich in einer anderen Welt. Einer Welt, in der es nur schmerzhafte Stöße gibt und Körper zerschmelzen. Das wird sein letztes Mal mit mir.
Es tut weh.
Ich kann es denken so oft ich will.
Doch ich werde es nie aussprechen.
Ich werde es nie zeigen.
Sie alle können mir zuflüstern was sie wollen. Sie alle können so hart zustoßen, wie sie wollen. Mein Blick wird starr auf die Wand gerichtet sein.
Soll das Stärke sein?
Er nennt es so. Mein blonder Engel.
Er sieht in mir viel mehr als da ist.
Er sieht Stärke, die reine Anpassung ist.
Er sieht Freundschaft, die nur Liebe ist.
Doch sieht er nicht die Dunkelheit.
Er sieht nicht, was ich darin vergraben habe. Was mich Nacht für Nacht quält. Etwas, dass niemand verstehen würde. Nicht mal du, Kats.
Was ist da drin?
Schmerz.
Und Einsamkeit.
Der Freier ist schon längst weg.
Doch davon merke ich nichts. Denn längst bin ich in einer anderen Welt.
Schon längst spüre ich Arme, die mich sanft wiegen.
Eine lachende Sonne und ein warmes Lächeln.
Eltern, die mich rufen. Ein Geliebter, der mich nicht loslässt.
Wie wunderschön es hier doch ist.
Doch wieso will ich hier wieder weg?
Wieso wird es auch hier so dunkel und kalt?
Wieso drohe ich zu ersticken?
Wieso holt mich niemand zurück…
Ich möchte schreien. Doch habe ich keine Stimme.
Ich möchte wild um sich schlagen. Doch habe ich keine Kraft.
Ich möchte weinen. Doch sind längst all meine Tränen vertrocknet.
Ich möchte …jemanden, der mich versteht. Der alles sieht. Der es entdeckt… doch kann es so jemanden nicht geben.
Muss ich es wagen? Muss ich was sagen?
Ich will nicht.
Vielleicht irgendwann.
Nun verschließe ich es einfach wieder.
Tief in die Dunkelheit.
In die Finsternis meiner Seele.
Und nur mein Name wird mich daran erinnern.
Yami.
