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Eragon - Kind des Mondes

Murtagh x OC
von

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Dras-Leona

Mein Gott, dieses Kapitel war Arbeit -.-

Die komplette erste Word-Seite zog sich - glaube ich - über drei Stunden hin, weil ich zwei ganze Absätze bestimmt dreimal geschrieben habe ... Es wollte einfach nicht klingen und ich musste auch erstmal ins Schreiben finden und Lust entwickeln - und nach dieser verflixten ersten Seite lief es auf einmal xD

Und dann hatte ich keine Zeit mehr und musste wieder reinfinden ... Es war schon fast ein Krampf, aber nach der anfänglichen Blockade ging es einigermaßen :)

Ich hoffe, man merkt es dem Text nicht so sehr an, wie ich befürchte, und wünsche euch viel Spaß mit dem neusten Kapitel :D
 

PS: Irgendwie scheine ich es immer wieder zu schaffen, meine Kommi-Schreiber zu vergraulen ^^'' Kann mir jemand sagen, woran das liegt o.O Ich kann mich bessern, immer freiheraus damit =)

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Eine Stunde später setzte Dorn unversehens zur Landung an. Er senkte den Körper ein wenig nach vorne und glitt so ohne viel Energieaufwand dem Boden entgegen. Allerdings brauchte er eine Weile, bevor er in dem dichten Wald, über dem sie flogen, eine passende Lichtung gefunden hatte, in der er landen konnte, ohne zu riskieren, sich die Schwingen zu verletzen. Noch bevor der Drache ganz den Boden berührte, sprang Murtagh aus dem Sattel und begann, ihr linkes Bein von den Riemen zu befreien, die sie auf Dorn hielten.

Er hatte es vom Sattel gelöst, als sie gerade gelandet waren und ein kräftiger Ruck durch Arayas gesamten Körper ging. Mit schnellen Schritten umrundete Murtagh Dorn und machte sich nun an ihrem anderen Bein zu schaffen. Während sie ihm untätig dabei zusah, kam Araya sich allmählich wie ein Kind vor, das zur Sicherheit in einem Karren festgebunden worden war und die Riemen nicht anrühren durfte. „Kann ich irgendetwas helfen?“, fragte sie daher, woraufhin Murtagh kurz innehielt. Dann fuhr er damit fort, die Lederriemen zu öffnen.

„In einer der linken Satteltaschen müsste Geld sein.“ Sie nahm das als Aufforderung, danach zu suchen und drehte sich langsam zu den Taschen um. Sie löste eine der drei und zog sie zu sich auf den Schoß. Mit einigen schnellen Handgriffen öffnete sie die Schlaufe, die die Tasche geschlossen hielt, und warf einen Blick hinein, konnte jedoch nur Kleidung erkennen, die Murtagh wohl für den Fall mitgenommen hatte, dass sie länger in Belatona bleiben mussten. Sie befestigte die Tasche wieder an dem ledernden Sattel und zog die zweite zu sich.

Schließlich fand Araya ein kleines Ledersäckchen, das ihrer Erfahrung nach durchaus dazu geeignet gewesen wäre, Münzgeld zu transportieren. Prüfend schüttelte sie es, um sich zu vergewissern, und vernahm tatsächlich das helle Klirren von Metall, das in dem Leder aufeinanderschlug. Vorsichtig schwang sie ihr rechtes Bein über Dorns Rücken und ließ sich langsam gen Boden gleiten, nachdem sie die Tasche ebenfalls wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückgelegt hatte. Erleichtert stieß sie die Luft aus, als ihre Füße den erdigen Boden berührten, verspürte aber sogleich einen gewissen Schmerz in ihren Beinen. Sie war es einfach nicht gewohnt, Stunden auf einem Reittier zu verbringen – selbst, wenn ein Drache nicht gerade als solches bezeichnet werden konnte.

„Geht es?“ Murtagh trat mit einem verständnisvollen Blick zu ihr, einen Bogen um die Brust geschlungen und den Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken. Sie wunderte sich einen Moment, warum er nicht Zar’roc mitnahm, doch dann erinnerte Araya sich, dass sie in eine Handelsstadt gehen würden. Sie kannte sich mit den Gebräuchen Alagaësias nicht aus, doch sie hielt es durchaus für möglich, dass Waffen, die nicht für die Jagd zu gebrauchen waren, in der Stadt nicht geduldet wurden. „Ich werde es wohl überleben“, antwortete sie lächelnd und ging einen Schritt auf Murtagh zu.

Mit einem lauten, berstenden Geräusch ging dabei ein Ast unter ihrem Gewicht zu Bruch und ließ sie erschrocken innehalten. Es war, als hätte ihr jemand einen Eimer kaltes Wasser übergeschüttet; sie erstarrte vollkommen. Langsam senkte sich ihr Augenmerk auf den kleinen Zweig zu ihren Füßen, dann schoss ihr Blick zu ihrer Umgebung; aus den Augenwinkeln sah sie, wie Murtagh seinen Kopf zu Dorn umwandte. Bäume. Nichts als Bäume! Sie hatte völlig verdrängt, dass sie in einem Wald zur Landung angesetzt hatten. „Du bleibst besser hier. Wenn ich Glück habe, erkennt niemand in mir den Drachenreiter des Imperiums.“

Nervös sah Araya sich um, schaute von einem Baum zum anderen, konnte jedoch nichts ausmachen. Im Wald schien sich nichts zu verbergen, doch der erste Blick konnte täuschen, das hatten wohl schon zu viele Menschen erfahren, die sich leichtsinnig in solchen Gefilden aufgehalten hatten. Murtagh wandte ihr wieder seinen Blick zu und fuhr fort: „Wir schlagen uns durch das Dickicht bis zum Leona-See und trennen uns dort.“

„Denkst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?“, vergewisserte sie sich nervös und mit einem unsicheren Lächeln, das ihre Gefühle mehr schlecht als recht verbarg. Sie wandte ihm ihre Aufmerksamkeit nur zögernd zu, da sie es kaum ertrug, die Bäume um sich herum nicht im Blick zu haben. Sie konnte nicht glauben, dass Murtagh Dorn allein in einem Wald zurücklassen wollte. War er sich so sicher, dass dem Drachen nichts zustoßen würde?

Der Drachenreiter schien verwirrt, als er antwortete: „Natürlich. Warum nicht?“ Im Gegensatz zu ihr machte er sich anscheinend überhaupt keine Sorgen um Dorn und war die Ruhe selbst. Das brachte Araya ziemlich aus dem Konzept. Sie hatte noch nie einen Menschen getroffen, der fragte, warum man in Wäldern vorsichtiger sein sollte. Es verunsicherte sie bis zu einem gewissen Maße. „Ja, aber … Ist das denn nicht gefährlich?“, hakte sie sicherheitshalber nach und erhielt dafür einen spöttischen Blick von Dorn. Beruhige dich wieder. Du stinkst fürchterlich! Murtagh wird schon gut auf dich Acht geben, keine Sorge. Du bist ja nicht lange von ihm getrennt, lachte – jedenfalls glaubte sie das – Dorn über ihre für ihn kindische Angst und auch Murtagh schien ihre Beunruhigung nicht zu verstehen. Allerdings reagierte er sehr viel höflicher darauf: „Ich bin nicht weit weg, wenn ich die Stadt betrete. Es würde nur unnötige Fragen verursachen, wenn ich dich mitnehmen würde, deshalb –“

Erst jetzt erkannte sie, dass die beiden sie vollkommen falsch verstanden hatten. Sie glaubten, sie hätte Angst um ihre eigene Sicherheit, wenn Murtagh sie allein vor der Stadtmauer zurücklassen wollte. Und als sie es endlich begriffen hatte, zögerte sie auch nicht und unterbrach Murtagh, bevor er noch versuchte, sie davon zu überzeugen, dass es vollkommen ungefährlich war, vor der Stadtmauer auf ihn zu warten. „Es geht mir doch um Dorn“, rief sie schließlich aus.

Murtagh verstummte sofort und öffnete wohl gerade den Mund, um seine Verwirrung kundzutun, als Dorn ihm zuvorkam. Er knurrte beinahe beleidigt und sein Schweif peitschte wie so oft, wenn er sich ärgerte, über den Boden. Um mich brauchst du dir erst recht keine Sorgen zu machen, dummes Ding. Araya wollte protestieren, brachte aber nur ein „Aber –“ heraus, als der Drache sie sofort wieder unterbrach. Ich bin nicht so schwach und zerbrechlich, wie es die Menschen sind. Einen Drachen wie mich würden wohl die wenigsten Geschöpfe herausfordern. Also hüte deine Zunge!

„Aber in Wäldern gibt es Tiere, die sogar Drachen gefährlich werden könnten!“, beharrte Araya und ratterte den Satz so schnell herunter, dass er schon fast nicht mehr zu verstehen war, Dorn sie aber auch nicht unterbrechen konnte. Es folgte Stille auf ihre Worte, was Araya dazu nötigte, weiterzureden. „Es gibt viele Lebewesen in Wäldern, die nicht nur auf Menschen, sondern auch auf größere Tiere und Geschöpfe Jagd machen können. Deswegen wird uns auch schon als Kind eingebläut, niemals ohne angemessene Begleitung Baumgruppen zu nahe zu kommen. Selbst eine Gruppe aus fünf ausgewachsenen Männern kann gegen manche dieser Tiere nicht bestehen.“

Als sie Murtaghs Blick streifte, sah Araya die Ungläubigkeit in seinen Augen. Schon beinahe weinerlich fügte sie mit geballten Fäusten hinzu: „Das ist die Wahrheit!“ Ein beruhigendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ich glaube dir ja. Es ist für mich nur beinahe unbegreiflich, dass eure Wälder tatsächlich so gefährlich sein sollen“, versuchte er, sie zu besänftigen und hob abwehrend beide Hände mit den Handflächen zu ihr. „Ich kann dir versichern, in Alagaësia gibt es in dieser Gegend ausschließlich Tiere, die überwiegend menschenscheu und ganz und gar ungefährlich für Drachen sind. Du brauchst dir also gar keine Gedanken um Dorn zu machen; der verspeist sie höchstens noch zum Mittag.“

Noch etwas skeptisch argwöhnte Araya kurz, dass Murtagh sie nur um ihretwillen beruhigen wollte, um ihr die Angst vor diesem Ort zu nehmen, doch sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Soweit vertraute sie ihm, um zu glauben, dass er sie in solchen Situationen nicht einmal für ihr eigenes Wohl belügen würde. Trotzdem war die Frage schneller über ihre Lippen gekommen, als sie es hätte verhindern können. „Wirklich?“

„Wirklich“, antwortete Murtagh mit fester Stimme und schaute auffordernd zu Dorn. Anscheinend erwartete er eine Entschuldigung von dem Drachen. Ja, wirklich, äffte dieser seinen Reiter jedoch nur nach und fügte noch hinzu: Als würden wir dich anlügen. Araya hatte einen Moment lang das Gefühl, als hätte er etwas anderes sagen wollen und es sich doch noch anders überlegt, trotzdem beruhigte sie die Tatsache, dass selbst er dieser Meinung war.

„Gut, dann lass uns zum Leona-See gehen. Du hattest dich doch so darauf gefreut, oder?“, erinnerte Murtagh sie wieder an ihr eigentliches Vorhaben und streckte ihr seine linke Hand entgegen. Mit einem erleichterten Lachen ging Araya auf ihn zu und ergriff die ihr dargebotene Hand, woraufhin Murtagh ohne zu zögern einen Weg durch das Dickicht einschlug. Mit einer fließenden Bewegung brachte sie ihre linke Hand vor seinen Körper und öffnete ihre geschlossene Faust, in der sich immer noch das Ledersäckchen mit dem Geld befand. Murtagh nahm es ihr ab und wandte seinen Blick dann wieder nach vorn.

Eine Zeit lang liefen sie schweigend nebeneinander her, ihre Hand immer noch in seiner, doch dann kam Araya wieder in den Sinn, mit welcher Begründung Murtagh Dorn zurückgelassen hatte. Mit etwas Glück, hatte er gesagt, würde er nicht als Reiter erkannt werden. Wurde er nicht schon allein von seiner Bedeutung für den König davor beschützt, Dieben oder Mördern zum Opfer zu fallen. Sie zweifelte nicht daran, dass er sich gegebenenfalls auch selbst verteidigen könnte, doch ihr war auch klar, dass Murtagh eigentlich zur gehobenen Schicht gehörte. Und wenn sich ein Adliger einmal in das Bürger- und Armenviertel verirrte, war ein Überfall fast unvermeidlich – das war selbst bei ihnen so.

Außerdem wäre es unlogisch, einen Drachen deswegen zurückzulassen. Diener oder Sänften, Kutschen – all das wäre ja noch denkbar gewesen –, aber Dorn war an sich ja schon eine einzige große Abschreckung; niemand mit genug gesundem Menschenverstand würde sich jemandem nähern, der einen solch gewaltigen Beschützer bei sich hatte. Und ein Blick auf Murtagh verriet ihr außerdem, dass er sich mehr als unwohl dabei fühlte, Dorn nicht in seiner Nähe zu haben.

„Warum wolltest du Dorn zurücklassen? Dir geht es dabei nicht gut, das sehe ich doch“, überwandte sie sich schließlich, ihn darauf anzusprechen, und entzog ihm ihre Hand. Manchmal befürchtete Araya, Murtagh mit ihren Fragen und vielleicht auch mit ihrer Anwesenheit zu nerven, doch bis auf einmal hatte er das nie durchscheinen lassen. Sie wusste nicht, ob es an ihrer eigenen Ungeduld lag, dass Murtagh ihr so ausgeglichen und geduldig erschien, oder ob er es tatsächlich war. Ihr Vater hatte stoische Ruhe besessen, um ihr ihre Fragen beantworten zu können. Und als Kind war sie entscheidend weniger zurückhaltend damit gewesen, ihre Gedanken auszusprechen …

„Ich wollte nicht als Reiter erkannt werden. Und wer hat sonst schon großartig einen Drachen bei sich?“, wiederholte er und schmunzelte bei seiner Gegenfrage. Es gab nur drei Menschen auf der Welt, die mit einem Drachen reisten, das wusste Araya bereits, doch das war es nicht, was sie eigentlich hatte wissen wollen. „Das weiß ich. Aber warum?“, erwiderte sie und erhielt eine vollkommen unbefriedigende Reaktion von ihm. Murtagh warf ihr einen schelmischen Blick zu: „Das ist deine Lieblingsfrage, nicht wahr?“

„Ist sie. Du lenkst vom Thema ab“, warf sie ihm vor und benutzte so die gleiche Taktik wie er, als er vor einer Woche mehr über Koda erfahren wollte. Allerdings war sie damals ohnmächtig geworden. Diese Chance hatte der Mann vor ihr wohl nicht. Jedoch fand Murtagh einen ebenso eleganten wie ungewollten Weg, sich aus der Frage herauszuwinden: Er blieb mit dem Stoff seines Oberteils an einem der vielen stachelbewehrten Sträucher hängen*.

Murtagh fluchte verhalten und versuchte, den Stoff aus den Fängen des Gewächses zu befreien, während Araya ihm verwundert dabei zusah. War das Zufall oder Absicht gewesen? Doch als er nach ein paar Sekunden des vergeblichen Ziehen und Zerrens immer noch nicht frei war, gab sie es auf, ihm zu unterstellen, sich so aus der Affäre ziehen zu wollen. Während sie zuvor noch seine Geduld ihr gegenüber bewundert hatte, musste sie nun erkennen, dass auch der Drachenreiter nur ein Mensch war. In seiner Eile, möglichst schnell wieder von dem Strauch loszukommen, verfing er sich nur umso mehr darin und hatte bald wohl eine produktivere Idee gefunden.

Mit einem nahezu zornigen Ausdruck in den Augen, hob er seine linke Hand – auf der sich, wie sie wusste, seine Gedwëy Ignasia befand – und schien damit auf den Strauch zu deuten. Araya ahnte mehr, was er im Begriff war, zu tun, als dass sie es wusste, aber die unschuldigste Partei dieser Auseinandersetzung war wohl eindeutig dieses Fleckchen Grün. „Murtagh!“, rief sie mit ungewollt scharfer Stimme, bevor er tatsächlich Magie anwenden konnte, um sich entweder aus dem Strauch zu winden oder diesen sogar zu zerstören. Tatsächlich hielt er inne und warf ihr aus den Augenwinkeln einen Blick zu.

„Was ist?“, fragte er, als hätte dieser eine Strauch ihn seine letzten Nerven gekostet. Daran war sie selbst sicher auch nicht ganz unschuldig, aber das überging Araya bewusst. Beschwichtigend und bedächtig redete sie auf den Drachenreiter ein: „Ich habe Urû‘baen gesehen. Du solltest dich wirklich über jedes Grün freuen, dass du siehst.“ Sie wollte noch etwas hinzufügen, wurde aber von Murtagh mürrisch daran gehindert: „Nicht, wenn es so anhänglich ist.“

Ein tiefer Seufzer entwich ihr, dann trat sie näher zu ihm und schob seine Hände beiseite. „Lass mich mal.“ Konzentriert versuchte sie, die Fäden seines Hemdes von den Stacheln zu lösen, was einiges an Geduld abverlangen würde, wenn sie einen genaueren Blick darauf warf. Murtaghs heftiges Gezerre hatte die Sache nicht verbessert. Hinzu kam, dass der Drachenreiter sich einfach nicht gedulden konnte und ihr immer wieder mit seinen eigenen Händen helfen wollte. Er behinderte sie dabei jedoch eher.

„H-Halt still. Beweg dich nicht!“, befahl Araya ihm schließlich stockend, als sie es nicht mehr ertrug. Durch seine zusätzlichen Hände sah sie nicht einmal mehr, was sie mit ihren eigenen tat. Kurzzeitig behielt Murtagh seine Finger tatsächlich bei sich – aber nicht lange genug, um ihr die Zeit zu geben, sich wieder voll und ganz ihrer Arbeit zu widmen. Anscheinend war sie ihm seiner Meinung nach zu langsam.

Sie bewegte ihre Hände, die den Stoff in ihrer Mitte hielten, einmal ruckartig und löste Murtaghs Finger so für einen kurzen Moment mit Gewalt. Doch auch das hielt nicht lange vor, und als er abermals versuchte, ihr zu Hilfe zu kommen, hielt sie sich nicht mehr zurück. „Murtagh, halt endlich still!“, ließ sie ihrem Ärger freien Lauf, löste eine Hand von dem gefangenen Stoff und schlug ihm auf die Finger. Dieser kleine Ausbruch und der kurze Schmerz schienen ihn endlich geduldiger zu machen. „Du machst alles nur unnötig kompliziert.“

Diese paar Minuten, die er sich nun keinen Millimeter mehr bewegte, reichten ihr, um die Fäden des Baumwollgewebes aus den Stacheln des Strauches zu lösen und sie wieder in ihre ursprüngliche Position zurückzuziehen. Das Oberteil hatte an der Stelle nun zwar ein eher unebenes Bild, allerdings würden die Fäden nicht so bald wieder irgendwo hängen bleiben. Als sie den Stoff losließ, seufzte sie einmal und verkündete schließlich: „Ich bin fertig. Du darfst dich wieder bewegen.“

Missmutig und mit einem murrenden Geräusch entfernte sich der Drachenreiter ein Stück von dem Strauch – als hätte er Angst, die Äste könnten es sich noch einmal anders überlegen – und begutachtete sein Oberteil. Dann brachte er schließlich ein leises, verdrießliches „Danke“ heraus. Araya lächelte, als ihr ein Einfall kam.

„Du kannst mir danken, indem du meine Frage beantwortest.“ Das war ihm gegenüber zwar nicht gerade fair, aber wenn Murtagh so ein verschlossener Charakter war, dann musste sie ihn eben zwingen, ihr ein wenig mehr als bisher zu vertrauen. Er sollte langsam lernen, dass er mit ihr über fast alles reden konnte. Schließlich waren sie Freunde geworden.

Einen Augenblick verzog er das Gesicht, dann antwortete er: „Du willst wissen, warum ich nicht erkannt werden will? Weil ich nicht besonders beliebt bin!“ Mit einem tadelnden Gesichtsausdruck stemmte Araya ihre Fäuste in die Seiten. Er wusste genauso gut wie sie, dass das keine zufriedenstellende Antwort war. Ihr anklagender Blick schien zu wirken, denn er stieß einen kurzen Fluch aus und funkelte sie wütend an.

„Das Volk hält mich für einen »Diener des Königs«; das ist es, was sie tagtäglich in mir sehen. Ich bin einer der Faktoren, die die Herrschaft Galbatorix‘ stärken und erhalten. Allerdings leiden die Menschen unter seiner Tyrannei und dem Krieg, den er gegen die Varden und die Elfen führt. Dementsprechend sympathisieren weite Teile der Bevölkerung mit den Freiheitskämpfern und darunter leidet selbstverständlich auch meine Beliebtheit“, erklärte er ihr schließlich und bestätigte so unwissend Arayas frühere Vermutung. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass ein Mann, der so grausam zu ihrem Volk gewesen war – zu Menschen, die ihm weder geschadet noch ihn gekannt hatten –, zu seiner eigenen Bevölkerung ein innigeres Verhältnis hatte. Leider hatte sie Recht behalten.

Und leider war Murtagh dazu verpflichtet, diese Herrschaft weiter aufrechtzuerhalten. Während sie weiter den Wald durchquerten, wünschte Araya, sie könnte sich diese Beengtheit vorstellen, die er empfinden musste. Und selbst wenn ihr das nie gelingen würde: So, wie Murtagh litt, hätte sie ihm gern all die Schwüre und Verpflichtungen abgenommen. Was würde es ihr schaden, jemandem zu dienen, den sie hasste? Sie hatte nur noch ihn, um den es sich für sie zu kämpfen lohnte; weil er sie aus der Dunkelheit geholt hatte, obwohl er selbst fast darin versank. Aber nicht einmal das konnte sie für ihn tun.

Der Gedanke an ihre Machtlosigkeit trieb ihr die Tränen in die Augen, doch sie unterdrückte sie. Murtagh würde sich verantwortlich fühlen, und das wollte sie nicht. Ihr war nun auch klar, warum er das Schwert seines Vaters zurückgelassen und nur einen Bogen und ein paar Pfeile mitgenommen hatte. Er wollte für eventuelle Angriffe gewappnet sein – Überfälle, die sich auf ein reisendes Paar bezogen und nicht darauf, dass er ein Drachenreiter war –, aber Zar’roc wies ihn schon allein als solcher aus. Das Schwert war, genauso wie Dorn, ein eindeutiges Erkennungsmerkmal.

Über all diese Gedanken bemerkte sie gar nicht, dass sie den Wald verließen und auf die weite und offene Landschaft des Leona-Sees und der Stadt direkt an seinen Ufern traten. Erst das plötzlich ohne jedes Hindernis einfallende Licht ließ sie erwachen und aufblicken, und ihr Blick wurde sofort von der gigantischen glitzernden Fläche des Sees eingefangen. Gedankenverloren ließ sie ihren Blick über das leuchtende Wasser wandern und entdeckte bald die Stadtmauern von Dras-Leona, die sich schon fast an den See schmiegten.

Für eine Stadt, die an einem solch wunderbaren See lag, war Dras-Leona erschreckend dunkel und einschüchternd. Vor allem die riesige Kuppel, die selbst über die Mauern hinweg deutlich zu sehen war und wahrscheinlich zu eine Kathedrale oder ähnlichem gehörte, überschattete die Schönheit, die sonst aufgrund der Architektur vielleicht geherrscht hätte; dass die Stadt größtenteils aus dunklem Gestein und verblichenem Holz aufgebaut worden war, verbesserte ihr Gesamtbild auch nicht.

Murtagh schien die Atmosphäre Dras-Leonas weniger auszumachen, denn sein Blick war gleichgültig, als er ihn über die Mauern und die alles beherrschende Kuppel gleiten ließ. Ohne zu zögern, setzte er seinen Weg fort, als sie aus dem Wald getreten waren und zwang Araya, ebenfalls nachzufolgen, wollte sie die Auswirkungen von Galbatorix‘ Zauber nicht noch einmal spüren. Nur mit Widerwillen kam sie der eigentlichen Stadt näher, doch sie versuchte, sich mit dem wunderbaren Anblick des Leona-Sees abzulenken und zu beruhigen.

Zu ihrer Freude gelang ihr das sogar gewissermaßen, jedenfalls bis das Stadttor groß und schwarz vor ihr aufragte und seinen Schatten auf sie warf. Als sie durch die Pforte sah, erblickte sie nur Scharen von Marktständen, an denen sich allerdings im Vergleich nur wenige Menschen tummelten. Die meisten, die sie sah, waren in Lumpen gekleidet, viele wirkten ihrer Meinung nach sogar krank, und einige trugen um ihren Hals etwas, das für Araya nach einer grotesken Version eines Halsbandes für Menschen aussah. Tatsächlich entdeckte sie nahe diesen speziellen Leuten in meist feine Stoffe gehüllte Personen, die sich von ein paar Männern einen Weg durch die eh dürftigen Massen bahnen ließen. Es schien ihnen zuwider zu sein, mit ihnen in Berührung zu kommen.

In ihren Augen schien Dras-Leona vielleicht eine bekannte Handelsstadt zu sein – darauf ließ schon allein die Anzahl der Stände schließen –, aber trotzdem wurde sie von Krankheit und Leid geplagt. Die Händler, die wirklich an ihren Geschäften in dieser Stadt verdienten, arbeiteten vielleicht hier, doch es war sicher kein Platz, an dem sie sich niederließen. Als Murtagh neben ihr stoßartig die Luft ausatmete, lenkte er ihre Aufmerksamkeit auf sich. „Es hat sich überhaupt nichts verändert“, murmelte er beinahe lautlos, dann wandte er sich ab, ergriff sanft aber bestimmt ihren Oberarm und führte sie so etwas vom Stadttor fort, näher an den See heran.

„Du hältst dich besser vom Stadttor fern; das ist wahrscheinlich sicherer. Das Händlerviertel befindet sich gleich dahinter, es sollte also nahe genug sein, dass uns Unannehmlichkeiten erspart bleiben. Du wartest hier und verhältst dich so unauffällig wie möglich. Ich bin bald zurück“, erklärte Murtagh ihr hastig, als wäre er nervös und wolle die Stadt und deren Umgebung so schnell wie möglich verlassen. Als er, ohne eine Antwort von ihr abzuwarten, einfach ging, fühlte sich Araya in diesem Eindruck nur bestärkt. Irgendetwas schien ihm Sorgen zu machen – Sorgen, die er nicht mit ihr teilen wollte.

Resigniert musste sie sich wohl eingestehen, dass es dabei wahrscheinlich um sie ging und er sie nicht belasten wollte. Vielleicht aber wollte der Drachenreiter sich auch nicht dadurch weiter beunruhigen, dass er seine Ängste allzu realistisch werden ließ, indem er sie aussprach. Sie sah ihm nach, wie er mit großen Schritten zum Tor zurückging, von den dort postierten Soldaten angesprochen wurde und schließlich Einlass bekam. Dann verschwand er aus ihrem Sichtfeld.

Die finsteren Gedanken entschlossen abschüttelnd, wandte sich Araya entschieden den Ufern des Leona-Sees zu. Auch, wenn es ihr unangenehm war, die dunkle Stadt im Rücken zu haben, war das immer noch besser, als sie die gesamte Zeit, bis Murtagh zurückkam, anstarren zu müssen und die beinahe greifbare bedrohliche Atmosphäre allzu nah an sich heranzulassen. Vorsichtig tastete sie sich die Böschung hinunter, darauf bedacht, nicht doch noch auszurutschen und schließlich in den See zu fallen.

Das Wasser des Sees leckte beinahe verführerisch und für Araya eindeutig einladend an den Ufern. Die Wellen waren nicht besonders hoch und auch der Wind war sanftmütig, wodurch sie sich nicht vor wechselnder Brandung zu fürchten brauchte und beruhigt den kleinen Wogen eine Weile zusehen konnte. Sie setzte sich ins Gras des soeben überwundenen Abhangs und lauschte dem leisen Plätschern. Die Luft war zwar nicht so klar, wie sie am Meer gewesen wäre, doch trotzdem fühlte sie nahezu den Unterschied der von Wasser gewaschenen Luft. Das Atmen viel ihr leichter – was aber auch an der geringen Höhe liegen könnte – und ihre lang verloren geglaubte Lebensfreude kehrte langsam wieder zurück.

Der Ritt auf Dorn und die Landschaft Alagaësias hatten ihr bereits gezeigt, was sie so sehr in ihrem Gefängnis vermisst hatte. Nicht nur, als sie ihm Kerker gewesen war, sondern auch noch im Drachenhort des Schlosses. Ihr hatte der Himmel über dem Kopf gefehlt, die echten, warmen Strahlen der Sonne und ein stetiges Geräusch von brandendem Wasser, das sie seit ihrer Kindheit immer gekannt und nie gemisst hatte.

Nachdem sie eine Weile mit offenen Augen in den blauen Himmel gestarrt und den Wolken nachgesehen hatte, erhob sich Araya langsam wieder. Es fiel ihr ein wenig schwerer, als sie gedacht hatte, immerhin musste sie aufpassen, nicht gleich wieder vorne über zu fallen oder sogar vom Gras abzugleiten, doch dann stand sie wieder mit beiden Beinen fest auf dem Boden und näherte sich dem Wasser des Sees. Es umspülte bereits ihre Stiefel, als sie sich auf die Fersen niederließ und eine Hand nach dem kühlen, aber doch nicht kalten Nass ausstreckte und sie hineintauchte.

Das Wasser perlte ein wenig auf ihrer Haut und kühlte sie gleichzeitig. Es war allein schon der Anblick dieser Idylle der Natur, der ihr das Herz leichter werden ließ, doch sie war sich sicher, richtig frei würde sie sich erst fühlen, wenn sie beinahe schwerelos durch die Fluten hier schwimmen könnte. Murtagh hatte ihr zwar geraten, nicht aufzufallen, doch sie glaubte kaum, dass ein Mensch in solch einem riesigen See viel Aufsehen erregen würde – außerdem sehnte sie sich so sehr nach diesem Stückchen Freiheit, dass sie es beinahe schmerzte.

Um sich zu vergewissern, dass der Leona-See auch wirklich aus Süßwasser bestand – in ihrer Heimat gab es einige Salzwasserseen; man vermutete, dass sie früher einmal zum Meer gehört hatten und durch einen Erdrutsch schließlich ihres Zuganges beraubt worden waren –, führte sie zwei ihrer Finger, die mit dem klaren Seewasser benetzt waren, zu ihren Lippen und befeuchtete sie damit. Prüfend fuhr sie schließlich mit ihrer Zunge über diese und stellte schon beinahe entzückt fest, dass es tatsächlich köstlich reines und klares Süßwasser war.

In Salzwasser zu schwimmen, wäre um einiges schwieriger gewesen, weil das Salz auf der Haut und den Haaren Krusten bildete, wenn das Wasser verdunstete. Und das trocknete die Haut furchtbar aus – ganz davon abgesehen, dass es einfach ein schreckliches Gefühl war. Sie hätte sich irgendwo Wasser suchen müssen, um das Salz abzuspülen, was Murtagh sicher Umstände bereitet hätte. Und das wollte sie um keinen Preis. Aber da der See vor ihr nicht besonders salzhaltig war, stand ihrem Vorhaben nichts im Wege.

Eilig zog Araya sich die Mütze vom Kopf, die Murtagh ihr gegeben hatte, damit sie keiner als Frau erkannte, und legte sie in sicherer Entfernung vom Wasser ins trockene Gras. Ihr Haar, nicht mehr vom Stoff zurückgehalten, löste sich aus dem behelfsmäßigen und nicht befestigten Knoten, den sie benutzt hatte, um es zu kürzen, und fiel ihr nun wieder frei über den Rücken. Dann zog sie sich den Mantel über den Kopf und löste die Weste. Schlussendlich zog sie auch ihre Stiefel aus, die ebenfalls unnötig viel Gewicht beim Schwimmen gewesen wären.

Nur noch in Hemd und Hose gekleidet, watete sie langsam in den See hinein, um sich an die kühleren Temperaturen zu gewöhnen. Der nahende Sommer war wohl noch nicht lange fortgeschritten oder er fiel immer so kühl in diesem Land aus; jedenfalls war das Wasser nicht besonders warm, was sie leicht Schaudern ließ. Ungeachtet dessen war Araya nicht bereit aufzugeben und lief stur weiter ins Wasser, bis es ihre Taille umspielte. Noch einmal tief Atem holend, stieß sie sich schließlich vom Grund ab und warf sich nach vorne, um endlich schwimmend voranzukommen und weiter in den See vorzudringen.

Japsend fühlte sie die Kälte, als das Wasser plötzlich ihren ganzen Körper umfing und schauderte abermals, doch sie hatte sich schnell daran gewöhnt. Es war seltsam, dass es einem nach einer Weile immer so vorkam, als würde das Wasser wärmer werden, obwohl es dieselbe Temperatur beibehielt. Gemächlich schwamm sie weiter auf den See hinaus und fühlte das Nass an ihren Wangen vorbeifließen. Araya warf einen Blick zurück und entdeckte das Ufer in nicht allzu weiter Entfernung, wo auch ihre abgelegten Kleidungsstücke auf ihre Rückkehr warteten. Prüfend richtete sie sich auf und tastete nachdem Grund, fand ihn aber schon nicht mehr.

Sie ließ sich einige Male absichtlich fallen, um auch wirklich sicherzugehen, dass der Boden des Sees nicht unmittelbar unter ihr war, dann schloss sie die Augen und tauchte schließlich vollständig unter und entfloh somit auch den Blicken jedes möglichen Beobachters. Sie war erst erstaunt, wie weit sie sich sinken lassen konnte, doch nach ein paar Metern öffnete sie schließlich die Augen und schwamm unter der Wasseroberfläche noch ein Stück weiter in den See hinein, während sie ihren Blick unter sich gleiten ließ.

Erst dadurch bemerkte Araya, wie tief der Leona-See wirklich war. Sie wusste, dass bereits nach einigen hundert Metern der Lichteinfall durch das Wasser stark abnahm. Das hing natürlich auch mit der Klarheit des Wassers zusammen, doch obwohl der See anscheinend sogar zwei Städte beherbergte, war er unnatürlich rein – was in dieser Situation nur noch beeindruckender war. Mit einer gewissen Tiefe wurde es immer finsterer um die Lebewesen herum, die dort lebten, und der Grund dieses Sees war dunkel. Genauer gesagt konnte sie ihn nicht einmal mehr ausmachen, so tief schien das Wasser hier zu sein.

Sie suchte mit den Augen nach Flecken des Grundes, die vielleicht hervorstachen, weil sie Hügel bildeten, doch auch während sie weiterschwamm, konnte Araya nichts entdecken. Jedoch musste sie die Suche nach einiger Zeit auch abbrechen, da ihr die Luft ausging und sie nicht allzu schnell wieder an die Oberfläche wollte. Sie konnte nicht genau abschätzen, wie tief genau sie getaucht war und wollte kein Risiko eingehen, vielleicht krank zu werden, nur weil sie zu schnell auftauchte. Das war schon genügend Seefahrern geschehen, als dass sie diesen Fehler wiederholen wollte.

Trotzdem brauchte sie nicht lange, um an die Oberfläche zurückzukehren und sie mit einem gierigen Atemzug zu durchbrechen. Sie trieb eine Weile umher, während sie wieder zu Atem kam und sorglos die beinahe gerade Fläche des Wassers betrachtete; so lange, bis plötzlich ein Schatten auf sie fiel. Sofort hielt sie in sämtlichen Bewegungen inne und wandte sich langsam zu der Silhouette um, die von der Sonne auf sie reflektiert wurde. Als sie die hochaufragenden Berge des pechschwarzen Granitfelsen sah, der sie stark an die bedrohliche und schwarze Atmosphäre Dras-Leonas erinnerte, erschrak sie bei seinem unerwarteten Anblick so sehr, dass sie selbst das Wassertreten vergaß und mit einem kleinen Aufschrei unterging.

Hastig schwamm sie zurück zur Oberfläche, konnte aber selbst dann nicht die Augen von diesem schwarzen Ungetüm nehmen, als ihr das Wasser aus ihren Haaren über das Gesicht und in die Augen lief, und ihren Blick langsam trübte. Sie wagte nicht einmal, ihre Lider auch nur für eine Sekunde zu schließen. Der Anblick des dunklen Granitfelsens, der beinahe senkrecht in den Himmel ragte, jagte ihr mit seinen steilen Klippen und scharfen Kanten und Spalten eine furchtbare Angst ein, die es ihr nicht erlaubte, ihn aus den Augen zu lassen. Sie wusste nicht warum, aber alle Instinkte in ihrem Körper schrien, diesem Koloss so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen – es war furchteinflößend.

Mit starrem Blick begann Araya, langsam rückwärts zu schwimmen, als befürchte sie, der Granit könnte plötzlich umstürzen oder sie angreifen, wenn sie ihm nicht ihre Aufmerksamkeit schenkte, solange sie noch in seiner Nähe war. Sie war noch immer nicht weit vom Ufer entfernt – der Boden des Sees schien ziemlich steil abzufallen –, doch es kam ihr trotzdem wie eine Ewigkeit vor, bis sie wieder sicheren Boden unter den Füßen spürte. Obwohl die Strecke weder besonders weit noch anstrengend gewesen war – es herrschte immerhin wie zuvor kaum Wellengang –, war sie vollkommen außer Atem, als sie mit ein paar Schritten soweit das Wasser verließ, dass es nur noch ihre Hüften umspülte.

Kühn, zumindest fühlte es sich so für sie an, schloss sie kurz die Augen und atmete einmal tief ein und stieß die Luft langsam und gleichmäßig wieder aus; alles in dem Versuch, sich wieder etwas zu beruhigen. Selbst wenn dieses Gebilde aus schwarzem Granit und Fels unheimlich anmutete und Dras-Leona sicher diese düstere Atmosphäre in Architektur und Gesinnung widerspiegelte, war der Fels doch tot und konnte ihr nichts zuleide tun. Ihre Angst war völlig unbegründet und zutiefst abergläubisch. Das hoffte sie zumindest.

Länger konnte sie darüber jedoch nicht nachdenken, denn sie hörte eine gereizte, wütend klingende Stimme hinter sich, die sie sehr gut kannte. „Araya?“, rief Murtagh drohend zu ihr ins Wasser und brachte sie so dazu, schuldbewusst zusammenzufahren. Er hatte sie also erwischt. Ein nervöses Lachen verließ ihre Lippen, dann drehte sie sich langsam zu ihm um; ebenso langsam, wie sie von den Granitfelsen weggeschwommen war. Sie versuchte sich an einem Lächeln, um ihn vielleicht milder zu stimmen, doch sie befürchtete, dass sich ihre Schuldgefühle klar auf ihrem Gesicht abzeichneten und ihr Gesichtsausdruck deshalb eher einer Grimasse gleichkam.

Mit funkelnden Augen und ungeduldiger Miene stand der Drachenreiter noch vor der Böschung am Ufer des Leona-Sees und stemmte eine Hand in seine Seite. Die andere hielt wohl die Vorräte und Waren, die er den Händlern abgekauft hatte. Anscheinend hatte ihn wenigstens keiner erkannt. Er sah noch genauso aus wie zuvor – mit dem Unterschied, dass er nun wirklich wütend war …

„Hallo, Murtagh“, versuchte sie ihn sorglos anzusprechen, doch es war eher das Eingeständnis ihrer Schuld und klang alles andere als selbstsicher. Sie musste sich wohl mit seiner Wut auseinandersetzen, immerhin hatte er auch allen Grund, zornig auf sie zu sein. Er hatte ihr eine klare Anweisung gegeben, die vermutlich sogar zu ihrer eigenen Sicherheit gewesen war, und sie hatte sie rigoros ignoriert.

„Hallo“, antwortete er trocken auf ihren Gruß, dann fragte er mit stechendem Blick: „Nennst du das etwa unauffällig?“ Sie brauchte ihm darauf nicht zu antworten und er erwartete auch keine Erwiderung, das wusste sie nur zu gut. Mittlerweile erkannte sie rhetorische Fragen seinerseits ziemlich gut. Seufzend machte Araya sich daran, zurück ans Ufer zu gehen, stieg mit einiger Mühe aufgrund ihrer mit Wasser vollgesogenen und damit um einiges schwereren Bekleidung aus dem See, las ihre abgelegten Kleidungsstücke auf und kletterte die Uferböschung hinauf.

Ihr Oberteil klebte schon fast unangenehm an ihrer Haut, ebenso wie ihre Hose und ihr wurde sofort unangenehm kalt. Sie hatte sich an die Temperaturen im Wasser gewöhnt und der leichte Wind kühlte sie aus. Unachtsam ließ sie die Kleidung in ihren Armen auf das Gras fallen, sobald sie in geringem Abstand vor Murtagh stand. Doch als sie ihm ins Gesicht sah, erkannte sie eine auffallende Röte in ihm und fragte sich ängstlich, ob er wirklich so sehr wütend auf sie war. Er räusperte sich und murmelte dann ein paar Worte, die sie nicht verstand, deren Auswirkungen ihr aber sofort klar wurden.

Ein warmer Luftzug wehte um sie herum und trocknete in wenigen Sekunden ihre Kleidung und ihr Haar. Sofort wurde Araya um einiges wärmer und sie rieb sich schnell über die Arme, um die Auswirkungen der Schauder zu vertreiben, die sich deutlich gezeigt hatten. So zornig konnte er nicht sein, wenn er sich sogar jetzt um ihre Gesundheit sorgte. Trotzdem machte er seinem Missfallen Luft. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was dir alles hätte passieren können, wenn du die Aufmerksamkeit der falschen Sorte Männer erregst?“, fuhr er sie grob an, dann beugte er sich nach unten und griff nach der Mütze um sie ihr entgegenzuhalten. Um ihn nicht noch mehr gegen sie aufzubringen, folgte sie seiner Aufforderung und steckte ihr Haar wieder darunter.

„Du hast doch gesehen, wie es in Dras-Leona zugeht! Und das war nur ein kleiner Teil der Gesetzlosigkeit in dieser Stadt. Menschenhändler und Sklavenfänger gehen hier ein und aus und verkaufen unvorsichtige Reisende zu hohen Preisen an die adlige Gesellschaftsschicht. Und ungeschützte Frauen sind ein leichter Fang, für den es sogar ordentlich Zaster gibt, wenn sie noch in einem annehmbaren Alter sind!“ Murtagh wurde nicht wirklich laut, doch er erhob seine Stimme zu einem vorwurfsvollen Ton, den Araya jedoch nicht wirklich nachvollziehen konnte. Wer würde sie schon kaufen wollen?

„Du bist wütend auf mich“, stellte sie letztendlich klar, in der Hoffnung, ihn so vielleicht ein wenig zu beruhigen, indem sie ihm vor Augen führte, dass sie durchaus verstanden hatte, wie er sich gerade fühlte. Allerdings trat nicht ganz der gewünschte Effekt ein. „Natürlich! Ich sage dir etwas und du ignorierst es völlig gedankenlos, ohne die Konsequenzen oder Gefahren deiner Handlung einschätzen zu können. Das hier ist nicht deine Heimat, Araya!“, schalt er sie wie ein kleines Kind, das nicht wusste, seine Kräfte und Möglichkeiten einzuschätzen. Und das war sie in diesem Land; allerdings vergaß sie das oft hinter dem Wunsch, Murtagh eine ebenbürtige Freundin zu sein. Aber dass dies hier nicht ihr Land war, der Boden und die Erde, die ihr vertraut waren und auf denen sie geboren worden war, das würde sie nie vergessen.

„Ich weiß.“ Das schien zu genügen, um Murtagh zu beruhigen. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, als er sich zu erinnern schien, dass er sie in seiner Wut an eine Tatsache erinnert hatte, die weder besonders glückliche Erinnerungen beherbergte, noch wirklich ihre Schuld war. Sie war immerhin nicht freiwillig in einem ihr vollkommen fremden Land. „Zieh dir den Rest deiner Kleidung bitte wieder an“, begann er nach einiger Zeit der Stille schließlich mit sanfter Stimme. „Wir gehen dann zu Dorn zurück und fliegen weiter nach Belatona.“

Araya nickte und hob bereitwillig die Weste und den Mantel auf, während sie mit den Füßen in die Stiefel zurückstieg. Als sie fertig war, schlug Murtagh denselben Weg zurück ein, den sie gekommen waren und kamen ohne weitere Unterbrechungen – er blieb zu ihrer großen Erleichterung nicht noch einmal an einem der Sträucher hängen; dieser hätte das nämlich ganz sicher nicht überlebt – bei Dorn an. Er hatte sich bequem zusammengerollt und ließ sich die Sonne auf die Schuppen scheinen, doch als er Murtagh entdeckte, erhob er sich flink wie eine Katze und schien es gar nicht mehr erwarten zu können, wieder zu fliegen.

Araya verdrängte diesen kleinen Streit zwischen ihnen so gut es ging, immerhin war nicht viel geschehen und sie sah auch weiterhin keinen Grund zur Sorge, dass Menschenhändler sie hätten entführen und verkaufen können. Trotzdem schien Dorn die immer noch etwas angespannte Stimmung zu spüren und sah, entgegen ihrer Erwartung, sie an, als er fragte: Was ist vorgefallen? Da keine Antwort von ihr kam, stellte er dieselbe Frage anscheinend Murtagh, der allerdings nur den Kopf schüttelte und begann, Pfeil und Bogen, den Proviant und das Geld wieder in den Satteltaschen zu verstauen.

Beleidigt, dass er vollkommen ignoriert wurde, wandte er Araya wieder seinen Kopf zu und fixierte sie aus seinen Raubtier-Augen. Was hast du angestellt?, fragte er mittlerweile grollend und duckte den Kopf Richtung Boden. Seufzend entschied sie sich, ihm zu antworten. Dorn würde nicht locker lassen, bis er eine zufriedenstellende Antwort bekommen hatte. Oder das, was eine solche für einen Drachen war. „Ich habe Murtagh unbeabsichtigt Sorgen bereitet.“ Ein Brummen verließ sein leicht geöffnetes Maul, dann schien er mit Murtagh zu reden, denn dessen Kopf ruckte plötzlich hoch. Er hatte gerade die Riemen am Bauch des Drachen kontrolliert.

„Was? Warum?!“, fragte er Dorn empört. Sie war sich nicht sicher, ob er absichtlich laut sprach oder es einfach nicht bemerkte. Er schien wieder mit Murtagh zu reden und als der sich nicht bewegte – scheinbar verlangte er etwas von ihm –, schlug er spielerisch mit dem Schweif nach ihm. Murtagh wich ihm mühelos aus, wobei Araya nicht die geringsten Zweifel hatte, dass er genau wusste, wohin der Drache zielte. Sie glaubte kaum, dass er das Risiko eingehen würde, Murtagh tatsächlich zu treffen. Allerdings bemerkte sie erst jetzt, dass der Drachenreiter nun näher bei ihr stand.

Verwirrt warf sie Dorn einen Blick zu, der den aber nur schnaubend kommentierte, wobei wieder eine kleine Rauchwolke aus seinen Nüstern aufstieg. Das schien bei Drachen normal zu sein, wenn sie etwas stärker ausatmeten. Als Murtagh offenbar immer noch nicht nach Dorns Zufriedenheit handelte, wurde er von dem Drachen mithilfe eines kräftigen Stoßes mit dem Kopf noch zwei Schritte näher zu ihr hin gedrängt. Er grummelte, schien sich dann aber doch dem Willen seines Freundes zu beugen. „Tut mir leid, dass ich so ausfallend geworden bin“, murrte er schließlich mit abgewandtem Blick.

Arayas Blick schoss zu Dorn. Darum war es ihm gegangen? Dass Murtagh sich dafür entschuldigte, sie angefahren zu haben. Sie bezweifelte stark, dass der Drachenreiter ihm in der Kürze der Zeit irgendwie die gesamte Geschichte erklären konnte, und trotzdem schien dem Drachen daran gelegen gewesen zu sein, dass die Sache aus der Welt geschafft wurde. Dankbar lächelte sie Dorn an, bevor sie wieder Murtagh betrachtete. Er sah verlegen aus; das urteilte sie daran, dass seine Nase wieder diesen dezenten Rotschimmer aufwies. „Danke“, antwortete sie ehrlich und ließ es somit auf sich beruhen.

Selbst er, der sich erst geweigert und gesträubt hatte, dem Willen seines Drachen nachzugeben, sah erleichtert aus, nachdem sie seine Entschuldigung angenommen hatte. Wahrscheinlich hatte Dorn die Schuldgefühle Murtagh gespürt, als sie Dorn geantwortet hatte. Anders konnte sie es sich kaum erklären, dass er für sie Partei ergriffen hatte. Das war immerhin selten genug der Fall.

„Gut, dann steige auf. Ich will noch heute Abend in Belatona ankommen“, setzte Murtagh schlussendlich dazu an, ihren kleinen Ausflug fortzusetzen und deutete ihr, zu ihm zu kommen. Araya folgte bereitwillig und wurde auf dieselbe Prozedur auf Dorn hinaufgehoben und im Sattel festgebunden wie schon zuvor. Mit dem Unterschied, dass Dorn sich dieses Mal nicht beschwerte, als er sich niederkauern musste, damit man sie auf ihn heben konnte. Dann setzte er abermals zum Fliegen an, was zur Folge hatte, dass Araya sich wieder krampfhaft an ihrem einzigen Fixpunkt – dem Sattel – festhielt und die Augen schloss. Sie hätte sonst Angst gehabt, sie flögen gegen einen der Bäume um sie herum.

Als das Blätterrascheln um sie herum abklang, wusste sie, dass der Wind, der durch Dorns Flügelschläge hervorgerufen wurde, die Kronen nicht mehr erreichte und sie somit außer Gefahr waren. Der Drache stieg immer noch gen Himmel, allerdings konnte sie von hier aus wieder den See und dieses seltsame Granitgebirge erkennen. Wieder lief ein Schauder über ihren Rücken. Sie hoffte, sie würde ihn nie wieder sehen müssen.
 


 

*Ich habe lange überlegt, ob ich die folgende Szene tatsächlich schreibe, weil sie mir ein wenig … seltsam vorkam, aber das hat sich hier geradezu angeboten. Schreibt mir doch, wie ihr sie fandet :D Ich habe irgendwie das Gefühl, dass es hier einen argen Stilbruch gibt >///<‘



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