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Die Poesie des Pessimismus ist die Lebensfreude.

Ich hatte die Nacht über miserabel geschlafen, da ich immer wieder aufgewacht war und ständig das Gefühl hatte, etwas wichtiges vergessen zu haben, wie zum Beispiel zu kontrollieren, ob meine Oma die Medikamente auch genommen hatte. Als mir dann einfiel, dass das nicht mehr nötig war, machte das nichts besser. Keine gute Nacht und ich hatte verschlafen, gut über eine Stunde. Englisch konnte ich eigentlich knicken, aber da ich mir nicht noch mehr unnötige Fehltage leisten konnte, packte ich trotzdem mein Kram zusammen und ging mit ungekämmten Haaren, ohne Frühstück, dafür aber mit Kopfschmerzen zum Unterricht. War sowieso egal, wie ich in der Schule aussah, ich musste dort ja niemand von meiner Person überzeugen und die Lehrer waren schon froh, wenn ich überhaupt regelmäßig erschien, da konnten sie Verspätung sicher verkraften.

Die Englischlehrerin schaute etwas unerfreut, als ich in den Unterricht reinstolperte, zwanzig Minuten vor Ende der zweiten Stunde, und etwas davon murmelte, dass ich meinen Wecker nicht gehört hatte, was sogar den Tatsachen entsprach.

Ich ließ mich in der dritten Reihe neben Robert nieder, der mir nur ein leises „Hey.“ zur Begrüßung zu kommen ließ. Ich würde zu weit gehen, wenn ich behaupten würde, Robert und ich waren so etwas wie Freunde. Er tat sich nur relativ schwer mit den Leuten aus der Stufe und deswegen war meistens ein Platz neben ihn frei und er mochte mich, weil ich ihm vor einem Jahr mal ein Bild mit zwei lesbischen Mädchen, die miteinander rummachten gezeichnet hatte. Eigentlich hatte ich das eher aus Mitleid gemacht, aber war ja auch egal. Mit Robert kam ich klar, er wollte nichts mit mir nach der Schule unternehmen, er verbrachte seine Pause mit seinem Kumpel, der sitzengeblieben war und er nahm mir Unterrichtsmaterial mit, wenn ich mal wieder nicht da gewesen war.

Dafür zeichnte ich ihm ab und an etwas und er sah etwas weniger armselig aus, weil er neben mir saß, war also fast sowas wie ein faires Geben und Nehmen.

Weil ich so spät gewesen war, hatte mich die Englischlehrerin dazu verdonnert, die restliche Stunde den Text vorzulesen und irgendwelche lustigen Fragen dazu zu beantworten. Nein, mich interessierte es nicht, dass Hilary Clinton ihrem Mann zur Präsidentschaft verholfen hat und ich wollte auch nicht wissen, wie sich die beiden kennen gelernt hatten und schon gar nicht, wollte ich Fragen dazu beantworten. Aber man hatte als gequälter Schüler nicht wirklich eine Wahl.

Ich war allerdings froh, als die zwanzig Minuten vorbei waren. Das war doch pure Folter gewesen. Lehrer, alles Sadistenpack. Das klang zwar unreif und kindisch und ja, Lehrer waren auch nur Menschen, aber manchmal waren sie einfach auch Sadisten.

„Und wie war dein Wochenende so?“, leierte Robert ein Gespräch an, während wir unsere Englischsachen zusammen packten und uns auf den Weg zu dem Raum machten, in dem wir Mathe hatten. Wir hatten nicht genug Klassenzimmer für die Menge an Schüler, die hier rumlungerten, deswegen durften wir für so gut wie jedes Fach quer durchs ganze Schulgebäude laufen. Mittwoch war besonders schlimm, da hatten wir Politik im fünften Stock und es gab natürlich keinen Aufzug. Ich mochte Politik sowieso schon nicht und dafür dann, die vielen Stufen hochhecheln war wirklich kein Genuss.

„Ging, hab an meinen Bewerbungsmappen gearbeitet.“ Ein bisschen, viel weniger, als ich eigentlich wollte, eigentlich so gut wie gar nicht. Aber das ging Robert nichts an. Er hatte sowieso nur gefragt, weil man das eben so machte und nicht, weil es ihn wirklich interessierte.

„Cool und kommst du voran?“ Blablabla, Smalltalk. Ich fühlte mich eigentlich gerade viel zu müde dafür. Ich rang mir aber ein Grinsen ab.

„Ja, läuft ganz gut und was hast du so gemacht?“ Wie gesagt, nicht das es mich wirklich interessieren würde, aber es würde mich auch nicht umbringen, ein bisschen so zu tun. Und anscheinend war das die Frage, die Robert eigentlich hören wollte, da er plötzlich über das ganze Gesicht strahlte.

„Ich war bei meiner Freundin!“, prahlte er. „Sie wohnt ja leider ein bisschen weiter weg, aber ich hab ja jetzt einen Nebenjob im GamesStop und kann es mir jetzt leisten, ab und zu zu ihr zu fahren!“ Faszinierend. Ich hätte nicht erwartet, dass so jemand wie Robert tatsächlich irgendwann mal in seinem Leben Sex haben würde oder eine Freundin, naja, war ja fast dasselbe. Versteht mich nicht falsch, Robert war wirklich ein netter Kerl mit dem Herz am rechten Fleck. Aber er verbrachte seine Zeit eigentlich damit mit seinem Kumpel Alfy vor einer Konsole zu sitzen und zu zocken. Wenn er das nicht machte, schaute er per Livestream Animes mit großbrüstigen Frauen in Latexkostümen und ich wollte gar nicht wissen, was er währenddessen tat. Und ehrlich, er sah so nerdig aus, wie er es auch tatsächlich war. Aber wir wollen ja mal nicht oberflächlich sein, Robert war wirklich in Ordnung.

„Cool, wusste gar nicht das du ne Freundin hast.“ Ich hoffte nur, er hatte mir das nicht schon mal erzählt, so spontan konnte ich mich aber nicht daran erinnern.

„Wir sind auch noch nicht solange zusammen, erst fünf Wochen. Ich hab sie auf ner Con kennen gelernt.“ Robert war leicht rot geworden und gerade fiel es mir schwer, mich für jemand frisch Verliebtes zu begeistern.

„Freut mich für dich.“, log ich ihm ins Gesicht. Es war nicht so, dass ich es ihm nicht gönnte, aber ich wollte davon gerade echt nichts wissen.

„Danke.“ Er grinste mich an. „Übrigens würde Natha gerne wissen, ob du deine Bilder wo hochlädst. Ich hab ihr von dir erzählt, weil sie auch sehr gerne zeichnet und so.“

„Äh, nein, sorry. Ich habs nicht so mit Internet.“ Ich hatte nicht mal einen internetfähigen PC zuhause stehen, auch wenn sich Eddy immer wieder darüber beklagte und fand, dass das kein Zustand war. Ich für meinen Teil hatte kein Problem damit, nicht online aktiv zu sein und wenn ich mal nach was nachschauen musste, konnte ich das immer bei Eddy machen.

„Okay, hätte ja sein können.“ Robert zuckte mit den Schultern und wir schwiegen uns ungemütlich an. Mittlerweile hatten wir auch den Klassenraum erreicht, aber er war noch abgeschlossen und wir mussten warten, bis der Lehrer kam. Die anderen aus dem Kurs lungerten auch auf dem Gang herum und anscheinend waren Robert und ich gerade die einzigen, die nicht ihren Spass hatten. Die Gruppe, die sich immer um Nico scharte, schien sich im Moment köstlich über etwas zu amüsieren. Ich konnte nicht genau sehen was es war, sie standen alle mit dem Rücken zu mir. Allerdings wollte ich mir auch nicht die Blöße geben und allzu interessiert in ihre Richtung sehen. Eigentlich achtete ich nur auf deren Gruppe, weil hier im Gang einfach nichts anderes war und wenn sie so laut lachten, musste man einfach in ihre Richtung sehen. Ich fühlte mich kurz wie ein Loser, weil ich hier mit Robert an der Wand gelehnt stand und nicht mit den anderen redete. Es war nicht so, das ich irgendwie Probleme mit den Leuten aus meinen Kursen hatte. Mit den meisten wechselte ich regelmägßig ein paar Sätze. Aber ich war momentan einfach nicht der Kommunikativste und meistens war ich froh, wenn man mich in Ruhe ließ. Allerdings nicht immer.

Ehrlich gesagt, war ich ziemlich erleichtert, als endlich Herr Heinrichs am Ende des Flurs auftauchte und uns alle in den Klassenraum scheuchte.
 

„Hey, Enni, Großer!“, begrüßte mich Nico begeistert und hatte den Arm um mich gelegt, als würde er mich schon ewig kennen.

„Nenn mich nicht so.“ Ich schüttelte seinen Arm ab und ich hoffte, er bemerkte nicht, dass ich erschrocken zusammen gezuckt bin auf Grund seiner Berührung. Ich hatte selten Körperkontakt zu anderen Menschen, er war mir in der Regel unangenehm, besonders wenn ich die Person nicht kannte oder in Nicos Fall einfach nicht mochte.

„Wie soll ich dich sonst nennen? Ennoah ist so lang.“ Nico ging unbeeindruckt weiter neben mir her. Er hatte mich erwischt, als ich aus dem Schulgebäude gekommen war und mich schon von Robert verabschiedet hatte. Von Nicos Freunden sah ich auch niemand. Die Situation war mir suspekt.

„Lass es einfach, okay?“ Ich hatte zwar nicht das Gefühl, als hätte es viel Sinn, ihm das zu erklären, aber versuchen konnte man es ja. Allerdings wusste ich immer noch nicht, was Nico schon wieder von mir wollte. In letzter Zeit fing er ständig irgendwelchen Smalltalk an und ich fühlte mich wirklich irgendwie belästigt davon. Wahrscheinlich dachte er sich, dass wenn ich ihn mochte, konnte er sich von mir irgendwelche Bilder erschnorren, wäre nicht der Erste... Mensch, ich musste als Mensch wirklich wenig bieten, wenn man mich nur wegen meinem möglichen Zeichentalent mochte. Gespräche mit Nico nervten mich nicht nur, sie deprimierten mich auch noch. Herrlich, das was man wollte.

„Sei nicht so langweilig, Mann. Ich versuch mich doch nur mit dir zu unterhalten.“ Und mir stellte sich nur die Frage, warum gerade ich? Nico hatte mehr als genug Leute, die sich regelrecht darum prügelten etwas von seiner Aufmerksamkeit zu bekommen. Wobei das weder an seinem Aussehen lag, das eigentlich sehr gewöhnlich war, wenn man von den Piercings absah, noch an seinen miesen Charaktereigenschaften. Er konnte einfach nur gut Leute für sich einnehmen und das wusste er ganz genau. Einer der Gründe, warum er so arrogant war.

„Niemand zwingt dich mit mir zu reden.“ Und ich hatte es definitiv nicht nötig, mich für ihn interessant zu machen. Wenn andere das gerne taten, war das ihr Problem.

„Uh, eiskalt abgeblitzt.“ Nico lachte und ich verstand ihn nicht. Was genau wollte er von mir? Wir hatten wirklich nichts von einander. Ich mochte seine ganze Art nicht und er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn nicht leiden konnte. Das hatte so doch gar keinen Sinn. Nico ging trotzdem weiterhin neben mir her, verzichtete aber vorerst darauf, schon wieder ein Gespräch anzufangen. Ich fragte mich, ob der nun bis zu meiner Wohnung mitlaufen wollte. Der Gedanke behagte mir ehrlich gesagt nicht so. Ich wollte nicht, dass er wusste wo ich wohnte. Das ging ihn schlicht weg nichts an.

Allerdings schien er tatsächlich vor zu haben mir zu folgen. Er machte nämlich keinerlei Anstalten sich einfach irgendwann zu verabschieden. Zu meiner Wohnung war es auch nicht mehr wirklich weit und entweder sagte ich ihm jetzt, dass er sich verpissen sollte oder ich ließ mir eine fadenscheinige Ausrede einfallen. Ich wusste nicht mal, ob es funktionierte, wenn ich Nico sagen sollte, er sollte die Fliege machen. Er konnte wirklich penetrant sein... wie eine nervig, surrende Fliege, die ständig um einen herum flog. Hm, wie auch immer.

Ich könnte behaupten, ich müsste noch in den Supermarkt etwas einkaufen. Aber das einzige, was mir spontan einfiel, was ich brauchen könnte, war eine neue Packung Käse. Außerdem hatte ich nicht wirklich so viel Geld übrig, dass ich es für sinnlose, spontan Einkäufe rauswerfen könnte. Am Ende wurde ich so nutzloses Zeug wie Obst und Gemüse kaufen...

Und ziellos durch die Stadt laufen und dabei von Nico verfolgt zu werden, kam mir ehrlich gesagt auch lächerlich vor. Also musste ich ihm sagen, dass ich wirklich keinen Bock hatte, ihm meine Wohnung zu zeigen.

„Joh, Enni, ich muss jetzt hier lang, muss noch was in der Stadt erledigen. War trotzdem cool mit dir zu reden. Ciao, Großer!“ Huch?! Der ging von alleine. Er winkte noch kurz und ich schaute ihm verdattert nach. Naja, sollte mir recht sein. Und irgendwie fühlte ich mich wie ein Idiot, weil ich dachte, er stalkte mir nach. Vielleicht hielt ich auch einfach zu viel von meiner Person und Nico wollte gar nicht mit mir befreundet sein, sondern war einfach an und für sich nett zu mir. Wahrscheinlich aus Mitleid, wie die meisten Leute. Gah... ich sollte mich jetzt einfach freuen, dass er mich nicht weiter verfolgte. Es sollte doch nicht so schwer sein, eine positive Sache richtig zu schätzen, anstatt immer alles schlecht zu machen. Pessismus war was für Leute, die doch einfach zu faul waren, nach den schönen Dingen im Leben zu suchen, oder? Verdammt, ich wollte wirklich kein Pessimist sein...
 

Nico schien von unserem Gespräch immer noch nicht so abgeschreckt gewesen zu sein, wie ich gehofft hatte. Da wir eine ähnliche Wahl bei den Leistungskursen hatten, waren wir beide in relativ vielen gemeinsamen Kursen und irgendwie hatte er wohl eine Begeisterung dafür entwickelt, mich nach der Schule noch ein Stück zu begleiten. Ich wusste nicht, ob es wirklich auf dem Weg für ihn lag oder ob das nicht einfach eine schräge Ausrede war, auch wenn ich nicht wusste, für was das gut sein sollte. Es war mittlerweile Donnerstag und er hatte mich jeden Tag begleitet, auch wenn ich ihn beharrlich angeschwiegen hatte und auch seine Begrüßungen ignorierte. Jedes Mal bog er kurz vor meinem Haus ab, mit der Aussage, dass er noch in die Innenstadt wollte. Einmal hatte er mich sogar mit in den Supermarkt begleitet und sich darüber lustig gemacht, dass ich mir nichts Frisches kaufte, sondern nur Fertigkram. Er meinte, das würde auch erklären, warum ich immer so blaß und kränklich aussah. Wer hatte ihn schon nach seiner Meinung gefragt? Ich aß, was ich essen wollte, das war mein gutes Recht.

Komisch an der Sache war, dass die Innenstadt von der Schule aus näher dran war, als meine Wohnung es war. Wir wussten beide, dass er einen Umweg lief. Aber ich wollte ihn nicht fragen, warum er das machte und was er sich davon versprach. Mich hätte nur seine Antwort wieder genervt. Ich war sowieso froh, dass er meistens nichts sagte, wenn er schon neben mir her lief. Ich fragte mich, was eigentlich mit seinen ganzen Freunden war, die ihn sonst umkreisten wie ein Metroitengürtel den Saturn. Die ärgerten sich bestimmt, dass er nie mit ihnen nach Hause ging. Allerdings wohnte Nico in einem kleinen Vorort. Es konnte sein, dass er generell nicht mit ihnen Heim ging. Ich hatte keine Ahnung, ich würde auch nicht fragen. Ihn einfach ignorieren. Bei Hunden funktionierte es doch auch so, dass man negatives Verhalten keine Beachtung schenken durfte, nur so würde der Hund lernen, dass das nicht funktionierte. Allerdings hatte mir Eddy erklärt, dass es bei Hunden irgendwas mit Liebesentzug zu tun hatte, also könnte es bei Nico eher einen zweifelhaften Erfolg haben.

„Du wohnst in einer ziemlich guten Gegend.“, kam es schließlich von Nico, als wieder eine Weile schweigend neben einander hergelaufen waren. Eigentlich müsste er demnächst wieder abbiegen, deswegen ließ ich mich doch mal zu einer Antwort erhab.

„Kann sein.“ Ich hatte mich nicht so mit den Stadtteilen befasst, ich wusste nur, dass es hier wenig Überfälle gab, hier viele, teure Autos rumstanden und man nachts keine Angst haben musste, alleine auf der Straße unterwegs zu sein. Mehr war mir eigentlich nicht wichtig.

„Haben deine Eltern irgendwie viel Geld? Also weil du es dir leisten kannst, hier zu wohnen und alles.“ Verdammt, ich hätte ihn nicht antworten sollen, das schien ihn nur motiviert zu haben, wieder dumme Fragen zu stellen.

„Das hat nichts mit meinen Eltern zu tun.“ Und eigentlich war das schon mehr Information, als Nico verdient hätte.

„Also ich könnte es mir nicht leisten einfach hier zu wohnen. Ich mein, die Kaltemiete liegt hier bei einer kleinen Einzimmerwohnung bei 350 Euro, wenn man da noch Strom und Heizung dazu rechnet, ist das n ordentlicher Batzen... Wie groß ist deine Wohnung eigentlich?“, fing er schon wieder mit seinem nervigen Verhör an. Meine Wohnung war viel zu groß, soviel wusste ich. Mir würde eine Einzimmerwohnung völlig reichen, aber ich konnte es mir definitiv nicht leisten zur Miete zu wohnen, also musste ich eben nehmen, was ich haben konnte.

„Musst du nicht jetzt irgendwo anders hin?“, fragte ich genervt zurück. Normal bog er an der Kreuzung, an der wir gerade standen immer ab.

„Hm, ich dachte eigentlich, ich schau mir mal an, wie du wohnst. Das würde mich wirklich interessieren.“ Nico lächelte mich an und ich versuchte mir vorzustellen, wie er in meiner trostlosen Wohnung aussehen würde. So unpassend wie der gebräunte, fröhliche Krankenpfleger in der Leichenhalle, wenn nicht sogar krasser. Ich wollte ihn definitiv nicht in meiner Wohnung haben.

„Du kannst dich doch nicht einfach bei mir einladen“, gab ich irritiert zurück. Ich wusste, dass Nico sehr von sich selbst eingenommen war und wahrscheinlich bei anderen Leuten, einfach entscheiden konnte, dass er vorbei kommen wollte, aber bei mir definitiv nicht.

„Sei doch nicht so ein Spielverderber, nur ein kurzer Blick. Bitte!“ Er klimperte mich mit großen Augen an und ich wollte gar nicht wissen, bei was für Leuten so ein Augenaufschlag funktionierte. Ich fand ihn eher gruselig, bevor ich allerdings antworten konnte, kam mir mein ewiger Held zur Rettung.

„Hey, Enni!“ Eddy stand auf der gegenüberliegenden Straßen und winkte mir breit grinsend zu. Stimmt ja, er wollte heute bei mir vorbei kommen. Woah, ich war wirklich froh ihn zu sehen.

„Joh, Eddy“, grüßte ich zurück und ignorierte Nico, der sich immer noch nicht verdünnisiert hatte.

„Oh, du hast jemand mit dabei?“ Eddy schien Nico erst zu bemerken, als er direkt bei mir stand und eigentlich störte es mich, dass er ihn überhaupt kennen lernen musste. Ich mochte Nico nicht einmal.

„Ich bin Nico“, kam es kühl von ihm und ich war überrascht und irgendwo auch verärgert, dass er nicht mal versuchte, nett dabei zu klingen. Mir erst auf die Nerven gehen und dann war er auch noch unhöflich zu Eddy. Das hatten wir ja gerne.

„Ist dir nicht kalt mit dem ganzen Metall im Gesicht?“, fragte Eddy nonchalant und mit einem abschätzenden Blick. Normalerweise war Eddy um einiges umgänglicher, vor allem bei Leuten, die er nicht kannte. Aber er schien von Nico noch weniger zu halten, wie ich.

„Und ich hätte darauf gewettet, dass du mich fragst, ob die Piercings beim Küssen stören. So kann man sich irren.“ Nico schien ziemlich unbeeindruckt von Eddys Art, aber das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. „Naja, Enni, ich werd mal. Man sieht sich, Großer!“

Nico klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter, was er sonst nicht machte und verschwand endlich Richtung Innenstadt.

„Wer war der Knirps?“, fragte Eddy, als Nico außer Sichtweite war.

„Einer aus meiner Schule, is nich so wichtig.“ Ich versuchte das Thema Schule und alles was damit zu tun hatte bei Eddy zu vermeiden. Manchmal hatte ich das Gefühl, als würde es unnötig Distanz zwischen uns schaffen. Auch wenn zwischen Realschule und Gymnasium nicht so ein Unterschied liegen sollte, schien es manche Kluften zu eröffnen, vor allem jetzt wo Eddy eine Ausbildung machte und ich immer noch Schüler war. Vielleicht war das Ganze auch nur Unsinn und ich bildete mir da zu viel darauf ein, ich vermied das Thema trotzdem lieber.

„Hm, wenn du meinst. Sah komisch aus der Kerl.“ Eddy verzog etwas das Gesicht und ich konnte nicht anders als zu lachen. Manchmal konnte Eddy ziemlich spießig sein, gerade was das Aussehen anging. Aber ich musste zu geben, selbst mir war das ganze Metall in Nicos Gesicht zu viel und ich fand eigentlich das meiste tolerierbar.

„Sobald er mich um ne Mark anschnorrt, sag ich dir Bescheid, dann darfst du ihn verprügeln.“

„Boah, ich hasse Punks“, murrte Eddy. Nur um das klar zu stellen, Eddys Aussage hatte nichts mit einer politischen Gesinnung zu tun, er konnte es nur nicht ausstehen, wenn ihn jemand um Geld anbettelte, für das man jeden Tag hart arbeitete. Seit er einen Job hatte, war er auch noch empfindlicher in dieser Hinsicht geworden. Verständlich irgendwo.

„Spießer.“ Ich grinste und er boxte mir gegen die Schulter. „Aber Nico ist eigentlich voll der Streber, Schulsprecher und ich glaub sogar Stufenbester, oder so.“

„Der?“ Eddy schaute etwas skeptisch. Ich zuckte mit den Schultern. Ich mochte Nico nicht so gerne, aber ich wollte auch nicht, dass Eddy dachte, ich würde mit Punks rumhängen. Und ich war wirklich glücklich, dass Eddy doch noch Zeit hatte. Am Dienstag war er noch nicht sicher gewesen, ob er überhaupt heute kommen konnte, deswegen freute ich mich um so mehr. Auch wenn ich nicht wusste, warum er immer öfter keine Zeit hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Tali
2009-12-15T19:53:56+00:00 15.12.2009 20:53
Enni ist wirklich sehr pessimistisch. Natürlich verständlich, aber ich hoffe, dass er wirklich bald aus diesem Loch kommt. Vielleicht holt ihn Eddy ja herraus? oder aber etwas geschiet und Enni fällt noch tiefer.. Niko ist mir ein wenig suspekt. Mal schauen, was sich da noch entwickelt!
Von:  felitastic
2009-12-14T04:19:03+00:00 14.12.2009 05:19
Lol, wenn man von Geschichten auf Autoren schließen könnte, würd ich sagen, du findest bunte Haare und Piercings doof und kannst Punks nicht ausstehen. Zum Glück kann man aber nicht so verallgemeinernd sein...


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