Epilog
Ich hatte gerade die Post von einem halben Jahr bei meiner Mutter in der Wohnung abgeholt und machte es mir damit in meinem neuem WG-Zimmer gemütlich. Seit ihrer Scheidung vor zwei Jahren hatte sich unser Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir deutlich gebessert. Vielleicht, weil ich endlich wieder Respekt vor ihr hatte. Die Scheidung war eine scheußliche Sache gewesen. Mein werter Herr Vater, der auch ein werter Herr Anwalt war, hatte alle Register gezogen, um die Sache so häßlich wie möglich zu machen. Ich war ehrlich gesagt ziemlich beeindruckt und stolz auf meine Mutter gewesen, dass sie sich da durchgebissen hatte. Natürlich mit viel Tränen, aber auch mit dem Geld für eine Eigentumswohnung und einem neuen Freund. Heinrich war ganz okay, auf jeden Fall nicht so ein Arschloch wie mein Vater, also im Grunde eine Verbesserung. Ich freute mich für sie.
Einige meiner Briefe waren bereits geöffnet, aber meine Mutter hatte auch die Erlaubnis dazu gehabt. Immerhin gab es immer auch wieder mal wichtigen Kram, den man nicht einfach ein halbes Jahr liegen lassen konnte, während man in Warschau für die deutsche Botschaft hospitierte. Ja, ich hatte mich, wie mein Vater, für ein Jurastudium entschieden. Ich hatte mittlerweile alle nötigen Voraussetzungen beisammen, um endlich mein Staatsexamen anzugehen. Aber im Moment wollte ich mir darüber keine Gedanken machen.
Im Moment interessierte mich mehr der geschlossene Brief, auf dem handschriftlich “Für Nico” stand. Aber nichts weiter. Wie hatte der Brief das überhaupt zu meiner Mutter geschafft? Ich drehte den Brief, um weitere Hinweise zu finden. Aber ein Absender stand auch nicht drauf. Kurz zuckte ich mit den Schultern und riss ihn einfach auf.
Darin befand sich nur ein dickes, weißes Stück Papier mit einer schnörkeligen Aufschrift “Elisa & Ennoah” und darunter eine Adresse und Datum von nächster Woche. Ich lächelte. Also haben sie es endlich mal gewagt!
... weiter geht es in "Nullpunkt - illustrierter Roman von Mo Kast", erhältlich ab November 2017 bei Memphis.