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Teil von mir

von

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Die Augen in ungläubigem Erstaunen aufgerissen, die Hand auf das pochende, rote Mal gelegt. Nur eine Sekunde vom Schrei entfernt, nur wenige von der Flucht.

Es war genau das, was bei jedem Menschen passierte: Diese absurde, diese falsche Unbegreiflichkeit, dass das, was geschehen war, nicht geschehen sein konnte. Und das Warten, das Warten auf eine Erklärung, die nicht kam-

Sie dachte: Das ist nicht real. Aber genau das war es, und wie zur Bestätigung breitete sich der Schmerz von der Wange in den ganzen Körper aus, durchdrang ihn wie Stacheldraht. Sammelte sich schließlich im Hals zu einem riesigen, dicken Kloß, bis er nicht mehr bloß körperlich war, bis er überall war, sie vergiftete.
 

Wir sitzen uns gegenüber

und du fragst wie es nun weitergeht

wollen wir reden, über Liebe

woran denkst du, wenn du davon sprichst
 

Reden, hatte er gesagt. Tolle Art von Reden, dachte sie und konnte sich ihren Zynismus nicht verkneifen, eine Schwäche, das war ihr nur allzu bewusst. Das Mal pulsierte immer noch, und sie stellte sich einen hässlichen, comichaften Abdruck seiner Hand auf ihrer Wange vor, die genau dort hineinpasste.

Und er? Er stand da, den Arm noch halb ausgestreckt, den Unterärmel hochgekrempelt wegen der Hitze, die seiner Wut entsprang, atmete keuchend wie ein Pferd. Nein, wie ein Schwein, wie das grässliche, stinkende Schwein, das er war.

Jetzt hob das Schwein den Kopf und schaute sie an. Das Braun in seinen Augen war warm, es erinnerte sie an Zeiten, an die sie jetzt nicht erinnert werden wollte.
 

An Kerzenlicht und einen Mond der scheint

Hell, sanft und schön

An Lachen und an Fröhlichkeit

und an Hand in Hand gehen
 

Schon war der Augenblick vorbei. Das Gift in ihr begann zu wirken, die Wut, eben noch vom Schock unterdrückt, kehrte nun mit aller Macht zurück. Flucht oder Schreien waren definitiv ausgeschlossen. Sie wollte Blut sehen, die Zähne fletschen, und zwar sofort. Sie spie ihm alles entgegen, was sie hatte.

"Du Arschloch, du...du Wichser! Es reicht endgültig, ich verlasse dich, du kranker, verdrehter

Idiot!"

Die Wärme in ihm verlosch nicht, sie breitete sich zu einer Hitze aus. Das Schwein wollte etwas sagen, biss sich dann auf die Lippe und sie wünschte sich, es würde bluten.

Es war nicht das erste Mal, verdammt, nicht das erste Mal.

Schon oft hatte es Schläge gegeben zwischen ihnen. Bisse. Sie war hart ihm Nehmen und wusste, wie man sich wehrte. Auch er hatte einiges wegstecken müssen.

Es war nicht das erste Mal.
 

Oder an Schläge, Blutergüsse

aufgeplatzte Lippen und Schläfen

Denkst du an Himmel oder Hölle

An Fliegen oder Fußboden-Kriechen
 

Aber niemals ins Gesicht. Das gab es nicht, das war tabu. Mehr als das, es war eine Markierung, eine Warnung, ein Verbot. Und wer es übertrat, der...der...

Der was? Was war nun, was sollte geschehen? Was würde sie tun? Was würde er tun?

Plötzlich fühlte sie sich klein.

Immer noch blickte er sie unverwandt an, keine Sekunde von einer Regung entfernt, kein Gefühl mehr in den Augen. Irgendetwas geschah mit ihm. Die Hitze war fort.

Stattdessen trat nun eine schrecklich neue Empfindung in seine Augen. Gewissheit.

Jetzt verstand sie, wieso sie sich so winzig fühlte. Sie hatte Angst.

Und er weidete sich daran, das Schwein hatte Vergnügen. Sein Mund öffnete sich in grausamer Langsamkeit, die Worte, die hinaustraten wie Dolchstiche verletzten und schockierten sie sogleich.

"Du gehörst zu mir", sagte er. "Du kannst mich nicht verlassen. Du gehörst zu mir, so wie ich zu dir gehöre. Das wird sich niemals ändern."
 

Ein Teil von mir

bleibt für immer in dir

und ein Teil von dir

steckt für immer in mir
 

Keine weiteren Schläge hätten sie schlimmer treffen können als diese Worte. Ihr ganzer Körper begann zu zittern, mechanisch bewegte sie sich ein Stück zurück, doch er trat auf sie zu und ließ keine Distanz zu.

"Ich behaupte nicht, dass ich damit glücklich bin. Im Gegenteil: Es quält mich."

Näher. Er war viel zu dicht bei ihr. Sie sah ihn an, nahm sein Gesicht wahr, sog es in sich auf. Die Haare, die Augen, die Form der Lippen... Zum ersten Mal entdeckte sie kleine Falten, die die Haut durchzogen wie Risse.

Sie nahm seinen Atem war. Er stockte, stolperte über seine eigenen Worte.

Dann:

"Ich bin kaputt", wisperte er.
 

Ich bin dein Fehltritt und dein Irrtum

Ich bin der mit dem schlechten Ruf und

All den leeren Versprechen

Die immer schon gelogen waren denn

Ich bin das, was übrig bleibt,

Der Stein in deinem Schuh,

Ich bin all die Bitternis, die

Dich so oft heimsucht
 

Sie wollte es nicht hören, sie konnte es nicht. Was sollte dieser melodramatische Auftritt? Um was ging es ihr denn?

Es ist so typisch, dachte sie kalt. Alles dreht sich nur um ihn. Sein ganz großer Auftritt. Selbst eine Situation wie diese, unter der sie mit Sicherheit mehr zu leiden hatte als er, musste er zu seinen Gunsten drehen. Er wollte immer gewinnen. Immer.
 

Aber musste er das?
 

Sollte sie sich ihm noch länger unterordnen?

Irgendwo zwischen seinem siegessicheren Blick und ihren zitternden Händen lag die Antwort

Sie war in allem, was sie tat, eine entschlossene Person.

Und nun? In seiner Wohnung war er der Überlegene. Fühlte sich wie ein König. Sie war der Zierrat.

Auf Schlag folgte Schlag. So ging es nicht weiter.

Sie spürte keine Angst mehr. Nur noch Scham.

Fast hätte er sie weichgeklopft. Fast hätte sie das Spiel verloren. Doch noch blieb ihr die Zeit, Dinge zu ändern.

Es wurde Zeit, dass das Schwein zum Schlachter kam.
 

Ich bin Enttäuschung und Vergangenheit,

all die nicht gelebten Träume,

Der Geruch auf deiner schönen Haut,

Den du nicht abwaschen kannst, denn
 

Alles, was gewesen war. Alles, was sein würde. Nichts konnte sie von ihrem Entschluss abbringen.

Sie hasste ihn. Und sie liebte ihn.

Aber sie konnte es nicht länger mit ihm aushalten.

Er schaute sie an, suchte nicht in ihren Augen nach Liebe, sondern zwang sie ihr auf. Typisch. Er wollte keine Macht verlieren. Typisch. Hass durchflutete ihren Körper, als er sie umarmte, ihr mit der Hand das Haar aus dem Ohr strich und flüsterte: "Du und ich -wir gehören zusammen. Für immer."

Sein Griff war wie ein Schraubstock. Sie ballte die Fäuste in seinem Rücken und holte tief Luft.
 

Ein Teil von mir (Ein Teil von mir)

bleibt für immer in dir

und ein Teil von dir (Ein Teil von dir)

steckt für immer in mir
 

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Sie konnte nun frei atmen, obwohl es mehr einem Keuchen glich. Mit ihrer rechten Hand umklammerte sie das Tuch so fest, dass die Venen hervortraten. Sie konnte es kaum glauben.

Er hatte es jetzt endlich akzeptiert, dass zu viel Nähe die Liebe tötet. Ob er es begriffen hatte, war eine andere Frage, aber was störte sie das. Sie war frei.

In der Küche stand noch eine Schublade offen. Nachdem sie sie geschlossen hatte, setzte endlich die Erschöpfung ein, auf die sie gewartet hatte. Ein Schweißtropfen lief an ihrer Schläfe entlang. Sie ging ins Bad, wusch sich die Hände und das Gesicht und dachte dabei an seine letzten Worte. Allesamt weitere Fehler in einem längst defekten System.
 

Es ist so ein harter Boden,

auf dem wir jetzt gelandet sind

Werden wir uns wiederholen,

Haben wir uns beide verdient?
 

Als sie zurückkehrte, konnte sie es nicht verkneifen, einen Blick auf ihn zu werfen. Seine weit aufgerissenen Augen und der leicht geöffnete Mund. Es schien, als wäre er nur Sekunden davon entfernt, wieder zu reden. Süßholz zu raspeln. Ihr seine Gewalt aufzudrängen.

Doch nun konnte er weder reden noch schlagen. Das Silber in seiner Brust schimmerte metallisch. Sie wusste, wie man sich wehrte. Hätte er sich nur einmal entschuldigt, nur einmal bereut, wäre es vielleicht nie so weit gekommen...

Sie schüttelte den Kopf, vertrieb die Gedanken. Es war gleich. Erst jetzt begriff sie, dass es keine Freiheit für sie gab. Egal, was sie tat, sie würde ihn nie ganz abschütteln können. Obwohl das Mal mit der Zeit verblasste, konnte man die Erinnerung daran nicht auslöschen. Alles, was sie tun konnte, war sich weiterzubewegen. Und einen Teil von ihm dabei mit sich tragen.

Egal, was sie tat, er würde immer präsent sein.

Sie wandte den Blick ab, trat hinaus und schloss die Tür hinter sich.
 

Ein Teil von mir (Ein Teil von mir)

bleibt für immer in dir

und ein Teil von dir (Ein Teil von dir)

steckt für immer in mir
 


 

Ende



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