Zum Inhalt der Seite

Before I Decay

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Before I Decay
 

Regen. Unaufhörlicher Regen. Wie gerne wäre ich jetzt in diesem Zimmer, mit einem warmen Kakao und dieser Hand auf meiner Schulter. Ich vermisste die Wärme, das Gefühl der Geborgenheit, das mir das Lächeln dieser Person gab. Es wäre besser gewesen, ich hätte nichts gesagt. Angeblich sollen diese Worte ja die schönsten der Welt sein, meine Welt haben sie, innerhalb der Sekunden in denen ich sie aussprach, zerstört. Nicht nur das. Nichts würde mehr so sein wie es war, ich hatte mit diesen drei Worten die mir so lange den Atem und den Schlaf geraubt hatten, alles verändert. Wie würde es zwischen uns weitergehen? Was wurde aus der Band? Was würden die Anderen dazu sagen? Konnten wir so weitermachen und „nur“ Freunde bleiben?

Ich wollte es nicht. Ich wollte nicht daran denken, mein Kopf schmerzte und jede Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit tat weh. War es überhaupt „unsere gemeinsame Zeit?“ Hatte ich mir nicht alle Jahre etwas vorgespielt? Hatte ich mir nicht nur eingebildet, das er irgendwann das selbe empfinden würde, wie ich für ihn? Hatte ich nicht nur des wegen den Schritt gewagt und war Sänger dieser Band geworden? Alles, das ich bis zu diesem Regentag getan hatte, war nur um in seiner Nähe zu sein. Doch dann hatte ich es nicht mehr länger aushalten können, der Moment schien mir so perfekt.

Wir hatten uns mit den anderen Bandmitgliedern in seinem Haus verabredet, doch von den Anderen war nur unser Schlagzeuger gekommen. Unsere Gitarristen meinten, sie „hätten zu tun.“ Aus Scherz witzelten wir die ganze Zeit darüber wie die Beiden wohl ihren Abend gemeinsam verbringen würden und malten uns die romantischsten Dinge aus. Gemeinsam mit einem Glas Sekt in der Wanne, umgeben von Kerzenschein, sahen wir die beiden sich vor unserem inneren Auge Zärtlichkeiten ins Ohr hauchen. In meinem Kopf spielte sich allerdings die selbe Szene nur mit ihm ab. Wie sehr wollte ich ihm doch so nah sein und ihn in den Arm nehmen und nie wieder loslassen. Mein Verlangen nach seiner körperlichen Nähe wurde mit jeder Sekunde stärker. Wir redeten den ganzen Abend und tranken sehr viel. Unser Schlagzeuger hatte sich irgendwann übernommen und war dermaßen betrunken, das er wankend aufstand, die Hand zum Abschied hob und an der Wand entlang schleifend Richtung Tür torkelte. Wir konnten ihn Gott sei dank lange genug davon abhalten zu Fuß nach Hause zu gehen, bis das Taxi gekommen war. Jetzt waren wir beide allein, nur ich und er. „Wie sieht es eigentlich derzeit mit dem Texten aus, Taka?, fragte er mich und goss mir Sake nach.

„Momentan habe ich recht viele Ideen, aber keinen richtigen Ansporn.“, antwortete ich und leerte den Becher mit einem Schluck. Vielleicht wollte ich meine Gedanken durch den Alkohol betäuben, meine Gefühle für ihn ausblenden, einfach alles vergessen. „Vielleicht musst du einfach mal ein Wochenende abschalten und Abstand von dem ganzen Musikkram nehmen. Wann bist du das letzte Mal nach Hokkaidō gefahren, Taka?“

„Das ist lange her, ich hab keine Zeit momentan, ich muss Texte schreiben, meine Familie will mich mindestens einmal in der Woche sehen...“

„Sag ich doch, du bist einfach überfordert,“, unterbrach er mich. Ich leerte den nächsten Becher Reiswein. Dann legte er die Hand auf meine Schulter und blickte mir in die Augen: „Wir beide, lass uns nächste Woche wegfahren!“

Mein Atem wurde flach und das Blut schoß mir ins Gesicht. Er missdeutete meine Reaktion und grinste. „Du bist betrunken Taka, oder?“ Ich winkte ab. „Ah, du hast dich betrunken und kannst nicht mehr reden ohne zu lallen, des wegen sagst du nichts?“, triezte er mich weiter. In meinem Kopf war allerdings nur ein Gedanke, ein Gedanke, den der Alkohol nicht hatte abstumpfen können.

Mit einer Bewegung legte ich meinen rechten Arm auf seine Schulter. Erneut deutete er meine Gestik falsch und sagte: „Also abgemacht?“, und schaute mich dabei an. In diesem Moment zog ich ihn an seiner Schulter an mich und küsste ihn auf den Mund. Hastig stieß er mich weg und starrte mich an. „Was sollte das? Bist du bescheuert?“, schrie er entgeistert. Verlegen starrte ich zu Boden. „Du hast echt zu viel getrunken, man.“, fügte er wütend hinzu und griff nach dem Sake um ihn zurück in den Schrank zu stellen. Ich starrte immer noch wie betäubt auf meine Beine und wusste nicht, was ich sagen sollte. Mit einem lauten Knall ging die Schranktür zu und er kam zurück ins Zimmer gerannt. „Es ist jetzt wohl besser, wenn du gehst.“, sagte er und seufzte. „Wenn du schon so betrunken bist, das du Typen knutschst, solltest du besser ab ins Bett, ich ruf dir ein Taxi.“, mit diesen Worten wollte er an mir vorbei zum Telefon, doch ich hielt seinen Arm fest. „Was soll das? Lass mich los!“, raunzte er mich an. Ich blickte ihm erneut in die Augen und stammelte: „A-A-Akira... ich liebe dich.“

Entsetzliche Stille. Ich wollte seine Antwort nicht hören.

Ohne im Zeit zu antworten zu lassen sprang ich auf, griff nach meiner Jacke und rannte ohne ein weiteres Wort in die stürmische, kalte Nacht. Der Regen prasselte auf meine Haut und der Wind stach wie tausend Nadeln. Alles war jedoch nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den ich in meiner Brust spürte. Es brauchte ein Leben lang um eine Freundschaft aufzubauen. Und es brauchte drei Worte um sie wieder zu zerstören.

Kapitel I

Kapitel 1
 

Wo sollte ich nur hin? Wo konnte ich nur hin? Ich war nass, angetrunken und mit den Nerven vollkommen am Ende. Ich kam mir erbärmlich vor und fühlte mich so schlecht, wie schon lange nicht mehr. Ich konnte jetzt nicht einfach nach Hause gehen, mich umziehen und ins Bett gehen. Ich würde sowieso nicht schlafen können. Ich würde die ganze Zeit sein Gesicht vor Augen haben, seine Lippen auf den meinen spüren, mir seinen Atem in meiner Nähe wünschen. Wo konnte ich nur hin? Ein schriller Ton riss mich aus meiner Gedankenwelt zurück in die harte, nass-kalte Realität. Es war mein Handy, das immer lauter werdend einen Anruf anzeigte. Wer sollte mich um diese Uhrzeit noch anrufen wollen? War es vielleicht Akira, der nochmal über die Situation nachgedacht hatte und mir gestehen wollte, das er das selbe fühlt? An diese unwahrscheinliche Hoffnung klammernd, schaute ich auf das Display. Es war Yuu's Nummer. Überrascht nahm ich den Anruf entgegen und versuchte meine Niedergeschlagenheit und meinen Alkoholpegel so gut wie möglich zu kaschieren.

„Ja? Taka hier, was gibt’s?“, antwortete ich mit gekünsteltem Lächeln auf den Lippen. Der Regen wurde stärker. „Hi Taka, ich bin's Yuu. Ist spät, ich weiß, aber hast du heute noch was vor?“

„Ich dachte, du hättest keine Zeit, weil du an neuen Liedern schreibst?“, antwortete ich überrascht.

„Na, inzwischen bin ich damit auch fertig, man muss ja auch irgendwann mal Pause machen, ne? Also, wie schaut's aus? Lust vorbei zu kommen?“, fragte mich der Gitarrist erneut. Ich zögerte.

„Irgendwas passiert, oder warum klingst du so down?“, kam die erneute Nachfrage. Ich konnte vor Yuu einfach nicht verstecken, was ich fühlte. Ich hatte es immer versucht, aber er besaß diese unheimliche Gabe selbst durch den Telefonhörer hindurch ganz genau zu wissen, das mit mir etwas nicht stimmte. Ich holte tief Luft und seufzte. „Ach, ich weiß nicht. Ich bin in recht schlechter Verfassung, nass und stinke nach Sake. Ich will dir nicht unnötig zur Last fallen...“, setzte ich an um in einem Schwall aus Ausreden zu versuchen sein Angebot abzulehnen. „Du hast dich betrunken und läufst bei dem Wetter auch noch munter draußen herum? Wo bist du gerade überhaupt?“

„Ich bin in der Nähe vom Hachōbori-Bahnhof, glaube ich.“, antwortete ich und schaute mich um. „Hachōbori? Ach, du warst bei Akira, oder? Tut mir übrigens leid, dass ich nicht kommen konnte, dafür habe ich aber einige coole Melodien geschrieben. Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du noch vorbeikommen wolltest um dir das Zeug mal anzuhören. Vielleicht hast du ja auch direkt schon eine Textidee, was meinst du?“ Yuu schien es ernst zu meinen, er klang so voller Tatendrang und es kam mir vor, als wolle er unbedingt meine Meinung hören. Was sollte ich anderes tun? Ich war vom Regen durchnässt, roch immer noch schrecklich nach Alkohol und in meinem Kopf herrschte das reine Chaos. Zudem wohnte Yuu in Ginza, das war ganz in der Nähe. Es war irgendwie typisch, das er dort hin gezogen war. Das passte zu seiner leicht-dekadenten, prunkvollen Ader. Irgendwie hatte ich bei diesem Gedanken einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Früher hatten wir als Band noch zusammen gewohnt. Wir standen ganz am Anfang, keiner kannte uns und alles was wir hatten waren unsere Instrumente und ein gemeinsamer Traum. Heute war alles anders, wir waren bei einem angesehenen Plattenlabel unter Vertrag, die Fans strömten in Scharen zu unseren Konzerten. Wir hatten einige der größten Hallen bereits mehrere Male ausverkauft. Und doch irgendwie fühlte sich alles anders an. Was würde nun aus uns aus uns werden, nach dem ich unserem Bassisten geküsst hatte? Würden wir je so weiter machen können wie bisher? In meinen Existenzängsten versunken, ignorierte ich Yuu's Stimme mittlerweile lauter gewordene Stimme, die mich durch den Telefonhörer anbrüllte. „TAKA!! TAKA!! BAKA!!“, krakeelte es aus dem Lautsprecher. Ich seufzte laut und antwortete: „Okay, ich bin ja in der Nähe, also komme ich jetzt gleich vorbei.“, nuschelte ich in den Hörer. „Jo, okay, das ist doch ein Wort. Ich lass dir Wasser ein, so nass und stinkend spiel' ich dir nichts vor.“, lachte Yuu. „Bis gleich“, antwortete ich und erstickte Yuu's freudiges „Bis gleich“ indem ich einfach auflegte. Obwohl der Regen immer noch wie Glassplitter auf mich nieder prasselte, verweilte ich einen Moment um in den Himmel zu schauen.

Über mir war alles durch dunkle, bedrohlich-wirkende Regenwolken verdeckt. Heute war eine, trotz aller mich umgebenden Leuchtreklame, ungewöhnlich tiefschwarze Nacht. Wie ironisch war es doch, wie dieses Wetter meine Stimmung wider zu spiegeln vermochte. Ich wendete meinen Blick von der Schwärze über mir und suchte die nächste U-Bahn Station. Immer noch leicht torkelnd wankte ich, mich mit jedem Schritt am Geländer fest klammernd, die steinernen Stufen hinunter zum Gleis. Ich löste ein Ticket, ignorierte den pikierten Blick des patrouillierenden Bahnangestellten und lehnte mich erschöpft gegen eine der gefliesten Bahnhofswände.

Als mein Zug kam, verschwamm urplötzlich alles um mich herum und wie ein Schlafwandler musste ich mich die ersten drei Sekunden tastend vorwärts bewegen. Die Blicke der Leute waren mir egal, ihre Gesichter würden diese Nacht hoffentlich, wie die Erinnerungen an diesen Abend auch, verschwunden sein.
 

Wenn man auf etwas wartete, das einem wirklich etwas bedeutete, dann schien es so als wäre Zeit wie eine zähflüssige, graue Masse, statisch und niemals so schnell, wie man es sich wünschte.

Die acht Minuten, die ich in der Bahn verbrachte kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Acht Minuten in denen ich in der persönlichen Hölle meiner Gedanken unterging. Ich musste, so sehr ich mich auch dagegen wehrte, immer wieder an Akira und seine weichen Lippen denken. Ich versuchte mich vor mir selbst zu ekeln um die Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen, doch je mehr ich es versuchte, desto stärker wurde das Verlangen ihn erneut zu sehen, ihn erneut zu küssen.

Ginza roch anders, es fühlte sich anders an. Hachōbori beruhigte mich und verleitete zur Tagträumerei, Ginza allerdings war die pure Dekadenz. Ich schritt an den blinkenden und blitzenden Läden großer internationaler Modeketten vorbei und fühlte den Drang in mir, alles zu vergessen, mich zu vergessen und mein Leben in den gierigen Schlund dieses Ortes zu werfen.

Auf Kopfhöhe flackerte eine Leuchtreklame mit der Aufschrift „Live fast, die young.“ Meine Umwelt schien immer wieder auf's Neue bereit zu sein, meine Gedankenwelt subtil vor mir entstehen zu lassen. Ich war allerdings zu müde, zu nass und noch zu angetrunken um mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Zu Yuu's Apartment waren es von der Station, an der ich ausgestiegen war nur knapp 5 Minuten Fußweg. Das Haus in dem er wohnte war unscheinbar und wurde von der Flut an Leuchtreklame fast vollständig verschluckt. Wer nicht wusste, wo es stand, der fand es meistens nicht. Obwohl immer noch Restalkohol in meinem Blut vorhanden war, sah ich es jedoch auf Anhieb, wie es in seinem aschfahlem Grau mit den Neonröhren der umliegenden Geschäfte kontrastierte. Ich suchte nach Yuu's Namen auf den Klingelschildern, fand ihn nach einem kurzen Moment und hielt ihn mindestens 10 Sekunden gedrückt. Die Gegensprechanlage antwortete mir: „Hi Taka, bist du es?“, fragte Yuu's durch den Außenlautsprecher verzerrte Stimme.

„Ja.“, antwortet ich und kam mir dabei vor, als würde ich krächzen.

„Warte, ich mach dir die Tür auf, zweiter Stock, du weißt ja. Nimm am besten den Aufzug.“, riet mir Yuu und klang dabei, als würde er mir nicht mehr zutrauen zwei Treppen hinaufgehen zu können. Als der Ton ertönte, drückte ich gegen die Tür, die sich mit einem knackenden Geräusch öffnete, dafür umso lauter wieder zurück ins Schloss fiel. Schon in der ersten Etage musste ich mir bitter eingestehen, dass Yuu Recht gehabt hatte. Alles drehte sich und ich fühlte mich als würde ich jeden Moment zusammenbrechen. Ich lehnte mich gegen die Wand um eine Pause zu machen und keuchte schnappend nach Luft. Nach einiger Zeit hörte ich Schritte, also richtete ich mich auf um möglichst unauffällig zu wirken. „Taka?“, klang eine Stimme durch den Flur. Yuu schien so besorgt um ich gewesen zu sein, das er mich scheinbar suchen wollte. „Hier.“, antwortete ich gequält und stütze mich dabei wieder gegen die Wand. Yuu's Kopf schaute hinter einer Ecke hervor. „Ich wusste, dass du den Aufzug nicht nimmst. Falscher Stolz, Taka.“, mahnte mich der Gitarrist grinsend an.

„Jaja, ich weiß.“, nuschelte ich in mich hinein. „Verzeihung.“

„Wie ich sehe, schaffst du den Weg bis in meine Wohnung nicht mehr, was?“, fragte Yuu und musterte mich dabei von oben bis unten. Ich kam mir erbärmlich vor. „Kein Problem, dann muss ich dich halt tragen.“, sagte er und grinste dabei wieder von Ohr zu Ohr. Ehe ich mich versah, hatte er seinen Arm auch schon hinter meinen Rücken auf meine Schulter gelegt und geleitete mich stützend in sein Appartement. Dort angekommen ging ich die letzten paar Schritte allein und ließ mich auf Yuu's großen schwarzen Ledersessel fallen. Der Gitarrist war währenddessen bereits in der Küche verschwunden und rief, während er Wasser aufsetzte: „Ich mach' dir erstmal was zum Ausnüchtern, damit du mir nicht beim Baden wegstirbst.“

Ich lächelte und musterte sein Wohnzimmer. In der Ecke standen zwei Gitarren und ein Verstärker. Auf dem Boden verstreut lagen Kabel und Effektgeräte, zusammengeknülltes Papier und verschiedene Musikmagazine. Er schien tatsächlich hart gearbeitet zu haben. „Wie sieht es nun mit den Melodien, die du geschrieben hast...“, setzte ich an doch irgendwie fehlte mir tatsächlich die Kraft um zu sprechen. „Was meinst du?“, fragte Yuu und kam mit einer dampfenden Schüssel Okayu ins Zimmer zurück. Überrascht schaute ich ihn an: „Okayu?“

„Ja, ich weiß, das nimmt man bei Magenproblemen, aber das hilft auch wenn man zu viel getrunken hat, Erfahrungssache.“, antwortete er grinsend und stellte mir die dampfende Schüssel Reisbrei auf dem eine Umeboshi lag auf meinen Schoß. „Ich hasse Umeboshi.“, entgegnete ich scherzhaft und verzog das Gesicht vor Ekel. „Es hilft aber, um aus dir wieder einen Menschen zu machen.“, konterte Yuu lächelnd und streckte mir die Zunge heraus. „Iss. Ich lass dir dann schon mal Badewasser ein.“, fügte er hinzu und verschwand auch schon wieder im Bad. Sorgfältig aß ich den Reis um die Umeboshi herum, bemüht sie nicht aus Versehen mit zu verspeisen. In meinem Inneren breitete sich eine wohlige Wärme aus und auch mein Kopf schien mir freier und klarer als vorher.

Als ich den letzten Rest Reis aus der Schüssel gelöffelt hatte, die Umeboshi hatte ich geschickt umgangen, stellte ich die leere Schüssel auf einen kleinen Glastisch neben dem Sessel. Gestärkt stand ich auf und schritt auf die Gitarren-Ecke zu. Hinter mir ging die Badezimmertür auf und Yuu kam heraus. „Du brauchst unbedingt was sauberes, trockenes an zu ziehen. Ich guck' mal ob ich was passendes habe.“, sagte er im Vorbeigehen und verschwand erneut. Ich blickte mich wieder zu den Gitarren um und schaute wie gebannt auf das zerknüllte Papier am Boden. Neugierig war ich ja schon, was er da an Ideen verworfen hatte, warum also nicht einen Blick riskieren? Ich bückte mich um einen Papierball aufzuheben und ihn sorgfältig zu entknittern. Statt Noten sah ich jedoch nur Schriftzeichen. Yuu hatte „anata no koto ga daisuki“ und „kimi dake ni kokoro wo“ auf den Zettel geschrieben. Sollten das Songtitel sein? Klang alles recht kitschig und passte irgendwie nicht zu dem Gitarristen. Ich zerknüllte den Zettel wieder, warf ihn zurück auf den Boden und griff nach dem nächsten, da fühlte ich eine Hand um meine Hüfte, die mich davon abhielt. Erstaunt drehte ich mich um um in Yuu's grinsendes Gesicht zu blicken. „Na, das geht aber nicht.“, sagte er grinsend und zog mich von den Zetteln weg. „Einfach in meinen verworfenen Ideen herum stöbern um ich dann damit auf zu ziehen, wie schlecht die Melodien sind.“, sagte er lächelnd und klopfte mir auf die Schulter. „Ich hab nur... ich wollte nur....“, setzte ich an, aber Yuu unterbrach mich: „Ist in Ordnung, nächstes Mal fragst du aber bitte.“

„O-okay“, stammelte ich verlegen und fühlte mich wie ein Kind das beim Bonbonklauen erwischt wurde. „Fühlst du dich fit genug um ein Bad zu nehmen?“, fragte der schwarzhaarige Gitarrist mich. „Ich denke schon, ja.“, nuschelte ich immer noch etwas peinlich berührt in mich hinein.

„Okay, dann ab dafür, ich hab dir frische Klamotten ins Bad gelegt.“, sagte er und stieß mich scherzhaft in Richtung Bad. Über meine Schulter konnte ich sehen, wie er alle Papierbälle schnell aufsammelte und in den Müll schmiss. Wahrscheinlich war es ihm genauso peinlich wie mir, das ich seine Notizen gelesen hatte.

Im Vorraum des Badezimmers herrschte ein angenehm feucht-warmes Klima. Ich entledigte mich schnell meiner Klamotten und ging in den anderen Raum, in dem die Wanne und der Waschplatz mit einem kleinen Hocker, einem erstaunlicherweise pinkfarbenen Eimer und einem Haufen an Duschgels und Shampoos, standen. Ich setzte mich auf den Hocker und war für die nächsten vierzig Minuten von allen Sorgen befreit und nur damit beschäftigt, meinen Körper wie in einem Ritual zu reinigen. Ich erinnerte mich an ein Konzert, das wir Übersee gespielt hatten. Ich und alle anderen waren sehr überrascht wie europäische Badekultur funktionierte, es war mir immer noch nicht klar, wie man verschwitzt und dreckig baden konnte. Nach dem ich mich nun mehrere Male geschrubbt und mir die Haare gewaschen hatte, stieg ich in den dampfenden Badezuber. Ich spürte ein leichtes angenehmes Kribbeln auf meiner Haut als mich das 40°C heiße Wasser meinen Körper umschloss.

Wie zu mir selbst seufzte ich: „Aaaah, kimochi“* und ließ die Gedanken kreisen.

Nach einer gefühlten Stunde stieg ich erfrischt und von allem Ballast befreit aus der Wanne und trocknete mich ab. Yuu hatte mir im Vorraum ein paar seiner Sachen ausgelegt. Natürlich passten sie mir nicht, er war knapp zehn Zentimeter größer als ich. Dem entsprechend hingen seine Klamotten an meinem Körper etwas, aber sie waren frisch, sauber und dufteten angenehm nach Lavendel. Angezogen ging ich nun wieder in Yuu's Wohnzimmer in dem der er mit einer seiner Gitarren auf dem Sofa saß und vor sich hin spielte. Als er mich sah, lächelte er. „Ah, da bist du ja. Chic, siehst du aus.“, sagte er und wies mich an, sich zu ihm zu setzen. „Bist du bereit dir ein bissl von meinem Zeug anzuhören?“, fragte er mich neugierig. „Ja, ich denke schon“, antwortete ich grinsend und nahm neben ihm Platz. Yuu fing an zu spielen, es war ein recht harter Riff mit vielen Powerchords und als ich die Melodie hörte, kam es mir so vor als ob der Text den ich dazu schreiben könnte ziemlich brutal werden würde. Als Yuu geendet hatte, schaute er mich fragend an. „Und?“

„Ich finde, das der Anfang recht gut klingt, recht aggressiv und sicherlich gut auf einem Live-Konzert, aber die Bridge ist mir ein bisschen zu soft im Vergleich zum Rest. Ich meine, ich kann mir vorstellen, das du zwei Melodielinien irgendwie kontrastieren wolltest, aber das passt meiner Meinung nach nicht so ganz.“, antwortete ich ihm ausführlich. Er schaute mich danach noch circa drei Sekunden an und sagte dann: „Hm, okay. Ich verstehe. Ich hab noch was mit einem harten Riff, soll ich dir's mal vorspielen?“, kam die erneute Anfrage. „Ja, leg mal los.“, erwiderte ich. Yuu begann und es kam über mich wie eine Bombe. Hatte das andere Lied wenigstens eine Melodie, so war dieses Lied fast lupenreiner Thrash und klang mit jedem Akkord wie ein Schlag ins Gesicht. Der Text dazu würde sehr aggressiv und wütend werden. Ich malte mir aus wie wir ein Lied mit diesem Riff live performten und konnte die die ganze Menge vor mir springen sehen. Das war ein wunderbares Gefühl. Während Yuu allerdings spielte, klopfte es ziemlich laut an der Tür und an der Decke. Der Gitarrist unterbrach sein Spiel um zu hören was los war. „Wissen Sie eigentlich wie spät es ist?!“, schrie eine Stimme erbost. „Machen Sie den Krach aus oder ich ruf die Polizei!“, drohte eine andere. Yuu schaute mich verlegen an und sagte: „Entschuldigung, aber ich glaube, ich kann dir heute nichts mehr zeigen.“ Ich nickte. „Das ist in Ordnung. Lass uns lieber aufhören, bevor du noch Ärger bekommst.“, antwortete ich beschwichtigend. „Okay.“, sagte Yuu, stellte seine Gitarre auf den Ständer zurück und schaltete den Verstärker aus. Dann drehte er sich zu mir um und fragte: „Du willst heute wahrscheinlich nicht mehr nach Hause fahren, oder? Hm, du kannst auch bei mir über Nacht bleiben, wenn das okay ist.“, bot er mir an. Ich nickte erneut. „Das wäre gut. Ich fühle mich nicht so gut und Lust nach Hause zu fahren habe ich auch nicht.“, stimmte ich zu.

„Da gibt es allerdings ein Problem...“, setzte Yuu an und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Hm? Was denn?“, fragte ich verdutzt. „Ich habe leider nur ein Bett, das heißt wir müssten...“, begann er und grinste peinlich berührt. Ich überlegte kurz und lächelte dann. „Kein Problem.“ Der Gitarrist atmete erleichtert auf. „Okay, ich dachte nur, du hättest vielleicht was dagegen.“, erklärte er und kratzte sich erneut verlegen am Hinterkopf. „Ich zieh mir dann mal was gemütlicheres an und suche eine Zahnbürste für dich raus, okay?“, fragte Yuu. „Mach dir keinen Stress, ich kann auch eine Nacht ohne Zähne putzen auskommen.“, winkte ich lachend ab musste aber gähnen. „Du legst dich am besten schon mal hin.“, erwiderte Yuu und zeigte auf seine Schlafzimmertür. „Ich komm dann nach.“, sprach er und verschwand im Bad. Leicht müde erhob ich mich und torkelte in Richtung der Tür. Yuu's Bett war groß und wie eine Art Futon fast auf dem ganzen Boden ausgebreitet. Er besaß eine erstaunliche Menge an Kissen, die alle zu einem Berg am Kopfende gestapelt waren. Ich schlüpfte unter die Decke und zog sie mir bis an meine Nasenspitze hoch. Es war angenehm warm hier und es roch, wie scheinbar überall in Yuu's Wohnung, frisch und gut. Ich drehte mich ein paar Mal hin und her und genoss die wohlige Wärme, als auch schon Yuu ins Zimmer gehuscht kam

„Mein Bett ist toll, oder?“, fragte er mich grinsend und legte sich neben mir unter die Decke.

Sein Körper war fast noch wärmer und weicher als die Decke unter der wir beide lagen, ich fühle mich unheimlich wohl. Yuu dämmte das Licht und fragte, den Rücken zu mir: „Was ist heute eigentlich passiert, das du dich betrunken hast und im Regen spazieren gegangen bist?“, fragte er mich und ich konnte sowohl Neugier als auch einen besorgten Unterton aus seiner Stimme heraus hören. Ich winkte ab. „Ach, es war einfach sehr lustig und feucht-fröhlich und wir haben viele Scherze gemacht. Ich hab mich einfach ein bisschen übernommen. Akira hat mir ja auch immer nach geschenkt, der Blödmann.“, sagte ich und versuchte sorglos zu klingen. „Ja, aber wieso hast du dir Akira denn kein Taxi gerufen? Immerhin hat es in Strömen geregnet und du warst ja ganz klar betrunken.“, fragte der Gitarrist erneut. „Ach, weißt du. Ich hab darauf bestanden, dass ich das alleine schaffe. Du weißt ja, falscher Stolz und so.“, antwortete ich und war überrascht wie einfach mir diese Lüge über die Lippen gekommen war. „Mhm.“, antwortete Yuu nur. „Dein Stolz ist ein kleines Problem von dir Taka, weißt du das?

„Jaja, nächstes Mal lass' ich mir ein Taxi rufen.“, erwiderte ich und war mir unsicher ob es je ein nächstes Mal geben würde. „Okay, aber versprich's mir.“, forderte Yuu mich auf. „Jaja, okay, ich versprech's. Nächstes Mal bin ich nicht so stolz sondern lasse mich fahren, okay?“, antwortete ich erneut. „Okay, dann mach ich das Licht jetzt mal aus, ja“, fragte Yuu's Stimme mich. „Ja, mach das. Gute Nacht.“, entgegnete ich und kuschelte mich an Yuu und unter die Decke. Ich hörte noch seinen schweren Atem, dann sagte er: „Dir auch eine gute Nacht.“ Und das Licht ging aus.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

*Ich hatte mir zwar geschworen, keine unnötigen japanischen Worte in diese Geschichte einzubauen, aber findet mal eine passende deutsche Übersetzung für obigen Satz. „Kimochi“ bedeutet übersetzt Gefühl und kann sowohl als dieses verwendet werden aber auch in diesem Ausruf wenn man sich in das heiße Badewasser nieder lässt.

Kapitel II

Kapitel II
 

Was in aller Welt war nur passiert? Es hatte doch so gut angefangen. Niemand hätte doch ahnen können, das so etwas geschehen würde. Warum waren wir so weit gegangen? Warum hatten wir uns darauf eingelassen? War es meine Schuld?

Das Licht ging aus. Yuu's Atem ging ungleichmäßig und flach, gerade so als ob er eine schwere Last zu tragen hatte. „Alles okay?“, flüsterte ich in sein Ohr. Er zuckte zusammen. „Ja ja, alles in Ordnung.“, keuchte er und rollte sich etwas von mir weg. „Okay, wenn du das sagst.“, erwiderte ich verwundert. Dann herrschte Stille.

Draußen konnte man die Autos der Geschäftigen vorbeifahren hören. Das Zimmer war nie richtig dunkel, die Leuchtreklame der umliegenden Gebäude erhellte es immer bis in die kleinste Ecke. Ich drehte mich nun ebenfalls von Yuu weg, wenn er etwas verbergen wollte, dann sollte er das tun. Schlafen konnte ich nicht. Auch Yuu schien einfach nur wach da zu liegen aber ich ließ mir nicht anmerken, das ich ihn hin und wieder beobachtete. „Mir ist kalt.“, sprach der Gitarrist auf einmal und drehte sich mit dem Gesicht zu mir. Seine Augen waren im Neonlicht, das durch das Fenster schien fast klar auszumachen, sie schimmerten mir als tiefschwarze Abgründe entgegen, in denen ich mich erstaunlicherweise direkt verlor. „Kalt.“, wiederholte er und zitterte dabei gespielt.

Wie in Trance strich meine Hand über sein Gesicht. „Mir ist auch kalt.“, erwiderte ich und spürte seine Hand an meiner Hüfte. Wir rückten dicht aneinander bis unsere Gesichter so nah waren, dass wir den Atem des Anderen spüren konnten. Ich strich mit meiner Hand erneut über sein Gesicht, langsam, über die Haare, bis hinunter in seinen warmen Nacken. Yuu's Atem wurde flacher, die Anspannung zwischen uns war auf ihrem Höhepunkt. Mit einem sanften Ruck zog ich seinen Kopf an mein Gesicht und küsste ihn. Erst einmal, dann zweimal, dann immer wieder. Wir ließen nur voneinander ab um Luft zu holen, es war jedoch nie genug davon vorhanden. Ich atmete schwer, Yuu keuchte und immer wieder trafen sich unsere Lippen in der Mitte um die Wärme, die Worte niemals auszudrücken vermochten und die wir beide so verzweifelt zu suchen schienen, auszutauschen. Erneut ließen wir voneinander ab, aber nur kurz um nach der kostbaren Luft zu schnappen, die diesen Moment am Leben erhielt, und wieder trafen sich unsere Gesichter und ich auf seine weichen Lippen. Ich griff nun stark um seine Hüfte und zog ihn auch unter der Decke näher an mich heran, er hingegen versuchte mit seiner Zunge tief in meinen Mund zu dringen. Ich ließ es geschehen und die allgegenwärtige Wärme wurde zu rasender Hitze. Mit einem Ruck richtete ich mich auf, er drehte sich auf seinen Rücken und ich kniete nun über ihm. Unsere Lippen, unsere Zungen alles war nun eng verschlungen in diesem Augenblick. Meine Hand ließ von seiner Hüfte ab und wanderte langsam auf seine Brust. Yuu seufzte laut auf, als ich mein Ziel erreicht hatte, immer noch waren unsere Münder ein untrennbares Ganzes, das sich mit jeder Sekunde aufs Neue anfeuerte. Meine rechte Hand ließ von seiner Brust ab, nur um ein Stück weiter unten die Wärme seiner zarten, nackten Haut zu spüren. Behutsam strich sie über seinen Bauch, die Rippenknochen bis hin zu seinen Brustwarzen hoch. Yuu stöhnte und ich schnappte erneut nach Luft. Die Luft die wir brauchten um weiter machen zu können, die Luft, die uns durch unser Spiel geraubt wurde. Ich ließ meine Fingerspitzen langsam kreisen, ließ die Hitze steigen. Seine Hände krallten sich in meinen Haaren fest, wir mussten uns nur aneinander festhalten und uns würde nichts geschehen. Für einen kurzen Moment, holten wir beide erneut Luft und schauten uns in die Augen. Yuu lächelte, ich atmete schwer und versuchte zu grinsen. Dann trafen sich unsere Zungen erneut.

Seine Hände wanderten zu meiner Hüfte, meine Hände wanderten von seinem Hals hinunter bis zu seinen Lenden. Ein kurzer Moment der Scheu, eine Überwindung und meine Hand wanderte noch ein Stückchen tiefer. Yuu holte tief Luft und stöhnte leise, während ich langsam und in kreisenden Bewegungen meine rechte Hand hin und her bewegte. Sein Atem ging nun schneller. Unsere Küsse wurden tiefer, hektischer, alles schien sich um uns zu drehen, die ganze Welt war eine einzige Achterbahn aus der man nie wieder aussteigen mochte. Und dann geschah es.

Ich nutzte eine kleine Pause unserer Münder und hauchte: „Wie weit?“ Yuu's Blick wurde traurig.

Sofort fielen seine Hände von meinen Hüften ab. Ich stoppte ebenfalls, verwundert und verwirrt. „Ich... ich weiß es nicht.“, stammelte er dann endlich leise. „Heute nicht... ich... ich bin nicht bereit.“, kam die ernüchternde Antwort. „Ah.“, erwiderte ich nur kurz. Und gab ihm einen letzten Kuss. Danach legte ich mich neben ihn und wir schauten uns eine ganze Weile schweigend an. Yuu sprach zu erst: „Entschuldigung.“, sagte er nur und sah dabei aus, als hätte er eine wertvolle Vase zerbrochen. Ich lächelte gequält. „Hm, ist schon okay.“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen und küsste ihn erneut. Ich war schon viel zu weit gegangen. Der Rest unseres Gespräches war grauenhafter Smalltalk, wir versuchten so gut es ging dem Thema auszuweichen, versuchten krampfhaft nicht darüber zu reden was zwischen uns geschehen war. Irgendwann drehte Yuu sich wieder mit dem Rücken zu mir und auch ich vermied jeden weiteren Körperkontakt und rückte an den Bettrand, darum bemüht ihm ebenfalls meinen Rücken zu zu wenden. Ich lag eine Ewigkeit still da und wälzte mich hin und her bis irgendwann endlich der lang ersehnte Schlaf kam.

Meine Träume waren unruhig und wirr, es schien als ob mein Kopf alles Erlebte vermischt hatte und es mit Gewalt durch ein Guckloch zu drücken versuchte:
 

Ich saß auf Yuu's Sessel in Akira's Wohnung und hielt ein Mikrofon in der Hand. Anstelle der Wand konnte ich wie durch eine Glasscheibe eine Szene beobachten, die mich nicht nur verwirrte sondern auch zutiefst verunsicherte. Ich sah Yuu wie er auf einer Wiese stand und in den Himmel blickte. Als er den Blick von mir abwendete und sich dann mir wieder zudrehte, hatte er sich in Akira verwandelt, der fassungslos und angewidert in meine Richtung blickte. Dann wurde der Himmel schwarz und Akiras Gesicht wandelte sich zu einer Grimasse der Unsicherheit und Angst. Aus der Ferne drang urplötzlich eines unserer Lieder und urplötzlich sah ich mich mit dem Rest auf einer Bühne wieder und ohne Kontrolle über meine Bewegungen zu haben stürzte ich auf Akira zu. Ich riss ihn zu Boden, krallte mich fest in seine Brust und biss in seinen Hals hinein. Von hinten spürte ich zwei Hände an meiner Hüfte, die mich gewaltsam von unserem Bassisten weg zogen. Blut tropfte aus meinem Mund und als ich mich umdrehte um zu sehen, wer mich gepackt hatte, starrte ich in mein eigenes totes Gesicht, mit leeren Augenhöhlen und einem Mund aus dem Käfer ans Tageslicht quollen. In meinem Kopf klang meine eigene Stimme und jemand flüsterte in mein Ohr: „Wer bist du?“

Schweißgebadet wachte ich auf und griff an meine Brust. Hektisch blickte ich mich um und bemerkte, das ich immer noch in Yuu's Zimmer lag, der Gitarrist friedlich schlafend, leise schnarchend neben mir. Ich fasste an meine Stirn um den Angstschweiß den dieser schreckliche Albtraum verursacht hatte, weg zu wischen und stand, darum bemüht Yuu nicht auf zu wecken, langsam auf. Mein Puls, immer noch unregelmäßig, sorgte dafür, das ich beim Aufstehen fast das Bewusstsein verlor und mit einem flauen Gefühl im Magen und einem psychedelischen Flimmern vor den Augen torkelte ich der Schlafzimmertür entgegen. Ich öffnete sie leise und behutsam und wankte in Yuu's Wohnzimmer. Ohne mich umzusehen und mich nur auf meine Füße und mein Gleichgewicht konzentrierend kämpfte ich mich bis zur Eingangstür voran. Ich umklammerte mit meiner zitternden rechten Hand die Klinke und drückte sie hinunter. Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel und ich in Yuu's Sachen im Hausflur stand, bemerkte ich, dass ich meine Jacke sowie meine Brieftasche in der Wohnung vergessen hatte. Hinein konnte ich nun nicht mehr, die Tür war bereits geschlossen. Klopfen oder Klingeln konnte ich allerdings auch nicht, sonst würde Yuu merken, das ich davon lief. Ich atmete tief ein und ging seufzend die Treppen hinunter bis zur Haustüre.

Es war ein schöner, angenehm-kühler sonniger Morgen und obwohl ich mir wie der schlimmste Mensch der Welt vor kam, musste ich erleichtert aufatmen. Wohin sollte ich jetzt jedoch gehen?

In einem kalten Schauer der Erkenntnis bemerkte ich erst jetzt, dass ich auch meinen Wohnungsschlüssel in Yuu's Zimmer gelassen hatte. Ich hatte keine Wahl: Ich musste zurück um den Gitarristen auf zu wecken, ich musste zurück in die Wohnung um meine Sachen zu holen. Wie sollte ich mich erklären? Was sollte ich sagen? Welche Ausrede würde ich benutzen müssen?

Während ich fieberhaft nachdachte, wie ich die Situation am besten erklären konnte ohne Yuu zu verletzen, wehte eine Kirschblüte an mir vorbei. Für einen Momente hielt ich inne und schaute dem zarten Rosarot der Blüte hinterher. Auch in einer vom Moloch der Elektronik und Leuchtreklame zerfressenden Metropole wie Ginza gab es tief liegende Schönheit. Eine Schönheit, die man sein ganzes Leben lang vielleicht nicht bemerkt hatte, weil man zu versteift versucht hatte, diese wo anders zu finden. Ich wurde unendlich traurig und meine Brust schmerzte, denn wieder bezog ich diese banale Naturerscheinung auf meine Situation und konnte mich der Parallelen, die sie mit sich brachte, nicht verwehren. Gedankenverloren starrte ich die Verkehrsstraße entlang, die Kirschblüte war längst meinem Blick entschwunden, als sich hinter mir die Tür öffnete. Eine alte Frau kam hinaus, auf ihrer Schulter trug sie einen großen Müllsack. „Kann ich ihnen helfen?“, fragte ich mehr aus Anstand denn aus Willen. „Oh, aber sicher junger Mann.“, antwortete die zittrige Stimme der Alten. „Wissen Sie, heutzutage hat man das ja nicht mehr oft, dass die jungen Leute so zuvorkommend sind wie Sie. Früher, ja früher, da wurde man noch anständig behandelt, da hatten wir auch noch einen richtigen Staat mit einem richtigen Kaiser und nicht so ein verweichlichtes Wischi-waschi wie das heutzutage der Fall ist.“, brabbelte sie vor sich hin. Ich stellte den Müll an den mir angewiesenen Ort und folgte der Frau zurück zur Tür. Sie bedankte sich erneut, verbeugte sich mehrere Male und verschwand wieder ins Innere des Hauses. Ich reagierte schnell und ehe die Tür zurück ins Schloss fallen konnte hielt ich sie von außen offen und wartete, bis ich im Inneren die Schritte der Alten nicht mehr hören konnte. Leise schlüpfte ich erneut in den Hausflur, huschte die Treppe hinauf und kam etwas außer Atem vor Yuu's Tür zu stehen. Wenigstens war ich jetzt schon mal hier. In seine Wohnung würde ich nicht kommen können ohne ihn nicht aufzuwecken.

Mein Herz pochte stark und drückte sich gegen meine Rippen, als wolle es bersten. Ich klopfte leise an die Tür. Ein Moment der Stille. Nichts passierte. Ich klopfte erneut, etwas lauter. Nichts geschah.

Ich atmete tief ein. Meine Hände zitterten vor Aufregung, aber ich hatte erst richtig begriffen was ich getan hatte, als das schrille Läuten der Klingel in meinen Ohren widerhallte. Drinnen schien Bewegung aufzukommen, ich meinte auf jeden Fall etwas hören zu können. Wie überraschend und vielleicht auch enttäuschend es für Yuu sein musste mich vor seiner Tür stehen zu haben, wo er doch sicherlich damit gerechnet hatte, das ich an seiner Seite erwachte. Minuten vergingen. Ich wurde immer ungeduldiger, Yuu musste aber wach sein, ich hörte seine Schritte auf dem Teppich.

Wieder einige Minuten später öffnete er mir die Tür, in seinen Händen hielt er meine Jacke und einen Beutel. Ich öffnete meinen Mund, doch er unterbrach mich ziemlich schnell. Mit leiser Stimme sagte er: „Ich muss mir eingestehen, dass ich dich viel zu gut kenne. Das macht die ganze Sache unangenehm, aber nicht falsch.“ Ich schwieg. Ich habe deine nassen Sachen gefaltet und in den Beutel gepackt.“, sprach er und hielt ihn mir vor mein Gesicht. „Hier ist deine Jacke.“, fügte er hinzu und seufzte. Ich nahm beides entgegen und schaute verlegen nach unten. „Ich muss jetzt duschen und danach weiter an neuen Melodien schreiben.“, begann er. „Du fährst besser nach Hause und nimmst ein bisschen Medizin, damit du keine Erkältung bekommst, wir wollen ja nicht, das du krank wirst und deine Stimme verlierst, oder?“, fragte er und grinste mich an. „Bis demnächst.“, lächelte er und schloss die Tür vor meiner Nase. Ich hob die Hand und wollte etwas erwidern doch die Tür war bereits zu. Dort stand ich nun. Ein Mensch mit einem Beutel nasser Kleidung und einem zerstörten Traum, in einem Hausflur, der plötzlich so bedrohlich wirkte, das es mich schauderte.

Kapitel III

Der Himmel war in ein strahlendes Blau getaucht. Die Wolken schwammen flauschig durch die Luft und um mich herum roch es angenehm nach gemähtem Gras und Sonnenschein. Ich pflückte eine der Blumen und hielt sie vor mein Gesicht. Die Idylle wurde durch einen heftigen Windstoß, der die Sporen der Blume in alle Himmelsrichtungen verteilte, zerstört. Ich war doch genau so wie diese Blume, dachte ich so bei mir und blickte verträumt. Unbeständig, unentschlossen und schwach. Bei der kleinsten Erschütterung verwehte ich, in der Hoffnung mit einer meiner Sporen festen Grund zum Wachsen zu finden. Ich war so unendlich glücklich und so unendlich verzweifelt und traurig, dass ich gar nicht so recht wusste, was ich denn nun fühlen sollte. Wo sollte ich hin? Was war der richtige Weg? Wen würde ich alles verletzen? Der Himmel verdunkelte sich.

Ich wachte mit einem öligen Film auf der Haut auf. Ich lag in meinem Bett, neben mir ein leerer Pizzakarton, auf dem Boden Kleidung verstreut, der Tisch unaufgeräumt, hier und da stand eine geöffnete Kiste mit Büchern und dergleichen. Mein Zimmer war ein Chaos. Gewissermaßen spiegelte es meine Gedanken wieder. Das kam mir so merkwürdig vertraut vor. Ich erinnerte mich was geschehen war:

Ich stand in einem kalten Hausflur, hinter jeder Ecke erwartete ich Monster, die mich aus zu lachen und zu fressen drohten. Die abweisende, kühle Haltung meines Gitarristen machte mich nicht nur niedergeschlagen, sie machte mich auch zunehmend depressiver. Ich gab mir die Schuld an allem das passiert war. Ich hatte nicht nur Akira zutiefst verunsichert und unserer Freundschaft möglicherweise den tödlichen Stoß versetzt, ich hätte zudem auch noch beinahe mit Yuu geschlafen, der viel mehr Gefühle für mich zu haben schien als das bei mir der Fall war. Allerdings...

Irgendwie hatte ich diese Nähe die mir Yuu gab, dieses intime Gefühl und alles was dazu gehörte, das hatte ich genossen. Gewissermaßen gab mir Yuu eine Sicherheit und einen Rückhalt, den ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Allerdings schmerzte meine Brust bei jedem Gedanken an Akira. Yuu würde mich lieben können, bildete ich mir ein. Würde auch ich ihm dieses Gefühl geben können? Was würde dann aus Akira werden? Vielleicht war Akira der Typ Mensch, der auf Geständnisse erst einmal schroff reagierte. Vielleicht, so spann ich mir meine eigene kleine Lüge, die ich Hoffnung nannte, vielleicht fühlte Akira insgeheim doch etwas für mich und war nur nicht bereit es zeigen. Oder er fürchtete um unsere Freundschaft und das mehr als nur Freunde sein nur schaden könnte. Mein Kopf schwirrte vor lauter konfuser Gedanken, doch der Schwall an neuen Erinnerungen, Hoffnungen, Träumen und Lügen schien nicht verebben zu wollen. Es machte mich gerade zu wahnsinnig immer und immer wieder dasselbe Muster in meinem Kopf zu haben. Akira liebte mich, er musste mich einfach lieben. Wieso sollte er mich nicht lieben? Yuu liebte mich allem Anschein nach ja auch. Wieso Yuu und nicht Akira? Irgendwas konnte da nicht stimmen. Was ich machen sollte geschweige denn musste, wusste ich schon längst nicht mehr. Es drehte sich alles um dieses beinahe krankhafte Gefühl, das Akira niemals mein sein konnte und das ich Yuu seelisch sehr schwer verletzt hatte.

Das Geräusch meines Telefons riss mich aus dem Sog meiner Gedanken gewaltsam zurück in die Realität. Es dauerte allerdings noch einen weiteren Moment, bis ich realisierte, das ich ans Telefon zu gehen hatte. Ich räusperte mich und hob den Hörer ab. „Hallo, Taka hier.“, sprach ich in den Hörer. Ein leises Atmen. „Hallo Taka, ich bin's. Wir müssen reden.“, antwortete mir Yuu's Stimme leise. Für einen Moment war es totenstill. Was sollte ich entgegnen? Ich musste doch irgendwas sagen, ich zwang mich selber in Gedanken zu reden, aber es drangen keine Laute aus meinem Mund. „Ich weiß, das kommt vielleicht etwas überstürzt, aber ich würde gerne, das du jetzt zu mir kommst.“, fügte der Gitarrist hinzu. Ich schnappte leicht hörbar nach Luft. „Ich erwarte dich.“, schloß Yuu und nur das Klicken des Hörers und das Tuten des Freizeichens blieben von diesem Moment. Es dauerte ungefähr eine Minute bis ich realisierte, das ich immer noch den Hörer in der Hand hielt obwohl der Gitarrist schon längst aufgelegt hatte. Er wollte reden? Ich sollte sofort zu ihm kommen? Er würde warten? Ich hatte absolut keine Lust und keine Kraft mich zu bewegen. Doch irgend etwas in mir sagte mir, das ich musste. Ich musste mich dieser Aufgabe stellen, ich musste sofort zu Yuu und mit ihm reden. Insgeheim erhoffte ich mir, dass das Gespräch mit Yuu unweigerlich dazu führen würde, das ich mich voll und ganz auf Akira konzentrieren konnte.

Die Leute in der Bahn schauten mich wie jedes Mal komisch an und redeten über mich. Oder vielleicht bildete ich mir nur ein, das sie es taten. Immer wenn zwei Leute miteinander tuschelten und dann lachten, kam es mir immer so vor, als hätte man einen Witz oder eine abfällige Bemerkung über mich gemacht. Sie lachten, weil sie mich nicht begriffen und weil ich ihnen komisch vor kam. Ich versuchte mir in solchen Momenten einzureden, das ich besonders war und alle anderen nur zu dumm um das anzuerkennen. Indem ich mich über sie hob, wollte ich mich in meinem eigenen Weg bestätigt fühlen. Es klappte nicht immer, ich war ein sehr unzufriedener Mensch, unheimlich selbst kritisch und sehr darauf bedacht, wie ich auf andere wirke. Wenn mich „die Anderen“ aber nun auslachten oder verständnislos anblickten, so fühlte ich mich unwohl.

Wieder hörte ich hinter mir ein Tuscheln und dann ein lautes Lachen, ich drehte mich um blickte den Verursacher wütend an. Man bemerkte mich nicht.

Beleidigt schaute ich aus dem Fenster und ließ meine Gedanken kreisen. Die Landschaft war wunderschön, die Kirschbäume hatten erst vor kurzem ihre Blüte erreicht und alle hatten das Hanami gefeiert, außer uns. Uns, als Musiker einer bekannten Band, wurde von unserem Management streng davon abgeraten sich auf solchen großen sozialen Veranstaltungen wie dem Kirschblütenfest sehen zu lassen. In anderen Worten: Wir durften kein Hanami feiern um nicht aufzufallen. Mir war diese Entscheidung sehr nahe gegangen, ich war mit dem Fest als festen Bestandteil meines Lebens aufgewachsen. Jedes Jahr redete ich mir ein, dass es das Opfer war, das ich für den Erfolg zu bringen hatte. Jedes Jahr schluckte ich die Erinnerung an eine wunderschöne Zeit herunter. Die anderen Bandmitglieder gingen mit dem Verbot kreativ um und organisierten jedes Jahr ein Gazette-Ersatz-Hanami, ausschließlich für die Band. Weder die Produzenten noch unser Management waren eingeladen. „Sie würden sonst zu viel Aufsehen erregen.“, stichelte Akira, als er die Idee erklärte. Das Ersatz-Fest kam zwar nicht an das „echte“ Hanami heran, aber es ließ wenigstens das Gefühl, das ich mit so vielen schönen Dingen verband, wieder aufleben. Was würde aber jetzt sein? Ich hatte Probleme mit dem Bassisten und dem Gitarristen und beides würde wohl dazu führen, das ich nicht mehr am bandinternen Hanami teilnehmen durfte. Das war meine größte Befürchtung, ich hatte Angst ein Stück schöne Kindheitserinnerung und Unschuld für immer zu verlieren. Gefangen in Ängsten, Träumen und Hoffnungen, vermischt mit dem azurblauen Himmel schlief ich langsam ein. In meinem Schlaf musste ich die Szene, in der ich Akira das Geständnis machte, dieses Mal als Betrachter, erneut erleben. Ich musste mir selber dabei zu sehen wie ich ihn küsste, wie ich ihn festhielt und wie ich ihm beinahe flehend sagte: „Ich liebe dich.“

Akiras fassungsloser Blick wurde zu Yuu's lustverzerrtem Gesicht als ich mich über ihm kniend beobachtete und meine Hand immer tiefer wanderte. Es war abstrus mir selbst dabei zu zu sehen was ich mit meinem Gitarristen machte, aber irgendwie half es mir dabei eine gewisse Distanz zu wahren. Aufmerksam beobachtete ich das Geschehen und versuchte mich zu erinnern, was ich als nächstes getan hatte. Jetzt gleich würde ich in sein Ohr hauchen:“Wie weit?“, und die ganze Anspannung würde in sich zusammenbrechen wie ein Kartenhaus. In meinem Traum redete ich jedoch nicht und statt eines Kartenhauses, das zusammenbrach, sah ich einen stöhnenden Gitarristen, der sich auf dem Höhepunkt kurz auf bäumte und dann erschöpft auf die Matratze zurück sank. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, die mich im nächsten Moment herum riss. Ich blickte in Akiras entsetztes Gesicht, im nächsten Moment spürte ich wie der Bassist seine Zähne in meinen Hals versenkte. Während das Blut aus meiner Wunde sprudelte, ging ich auf die Knie, starrte Akira fassungslos an, lächelte und fiel ins Dunkel.

Wie aus einem Schock erwachte ich in der Bahn, sah, das ich bereits in Ginza war und stürzte hektisch und noch schlaftrunken den sich schließenden Türen entgegen. Mit einem Hechtsprung schaffte ich es gerade noch unter tadelnden Blicken der Bahnmitarbeiter aus dem Zug heraus. Ich richtete meine Kleidung, räusperte kurz und schritt dann Richtung Ausgang entgegen. Nach wenigen Minuten und Atemzügen, die aufgrund meines Traumes immer noch sehr ungleichmäßig waren, stand ich wieder vor der Tür, die mich zu Yuu's Wohnung führte. Ich klingelte und die Gegensprechanlage antwortete mir. „Ja, bitte?“, hörte ich die Stimme des Gitarristen. „Ähm, ich bin's. Taka.“, antwortete ich verlegen nuschelnd. „Ah, okay.“, entgegnete Yuu und die Tür ging auf.

Der Hausflur war trotz allem Lichts, das draußen herrschte extrem dunkel und wirkte auf mich immer noch sehr unangenehm. Ich stieg daher in den Aufzug und erfreute mich am fahlen Licht der Lampe. Nach wenigen Sekunden öffnete sich die Aufzugtür und ich schritt in den dunklen Gang, Yuu's Tür entgegen. Ich klingelte erneut und ein grinsender Gitarrist öffnete.

„Hi, komm rein.“, begrüßte er mich und bat mich einzutreten. In Yuu's Wohnung roch es angenehm nach Reis und Ingwer. Ich atmete kräftig ein um diesen Geruch in seiner Fülle zu erfassen, es machte mich etwas trunken, so überwältigend und stark war er. „Achja, ich koche gerade.“, entgegnete der Gitarrist der mich beobachtet hatte. „Ich nehme an, du willst mit essen, hm?“, fragte er mich. Ich blickte ihn an. „Ich koche Curryreis und mache dazu Nan-Brot.“, fügte Yuu hinzu.

„Öh, okay, gerne.“, erwiderte ich kurz angebunden und etwas verwirrt. Hatte Yuu mich nicht angerufen, weil er mit mir reden wollte? Warum sollte ich jetzt Curryreis essen? Mein Magen gab mir laut knurrend die Antwort. Auch Yuu bemerkte es. „Ich beeile mich.“, sagte er grinsend und huschte in die Küche zurück. „Setz' dich irgendwo hin.“, rief er mir nebenbei zu.

Ich trat in das Wohnzimmer des Gitarristen und blickte mich um. Die Unordnung, die ich beim letzten Besuch vorgefunden hatte, war verschwunden. Die Gitarre hatte schon Staub angesetzt, er musste also eine Zeit lang nicht gespielt haben. Ich strich mit einem Finger über sie und zerkrümelte den Staub zwischen Mittelfinger und Daumen. Danach ließ ich mich gespielt erschöpft rücklings auf das Sofa fallen. Ich streckte die Arme aus und gähnte, die Augen geschlossen. Ich spannte meinen Körper einen Moment lang an und seufzte. Ich öffnete die Augen und blickte an die Decke. Weiß. Das war eine passende Farbe, Weiß. Weiß mochte vielleicht das Gegenteil von Schwarz sein, aber weniger schlimm war es auf keinen Fall. Weiß war genau so hässlich, genau so deprimierend wie Schwarz.

„Hast du Hunger?“, riss mich Yuu's Stimme aus meinen Gedanken. Auf dem Kopf sah ich den Gitarristen, der mit einer Schürze da stand und zwei Teller Curryreis festhielt. Was für ein abstruser Anblick. Ich hatte ihn noch nie in einer Schürze gesehen. Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen.

„Was hast du?“, fragte er mich und grinste zurück. „Ach nichts.“, entgegnete ich und setze mich aufrecht hin. „Chic siehst du aus.“, fügte ich hinzu und streckte ihm die Zunge entgegen.

„Oh, danke. Du aber auch“, konterte Yuu und lächelte dabei entwaffnend. Ich entgegnete nichts und lächelte einfach nur gehässig. „Ob böse Menschen wie du meinen Curryreis verdient haben?“, fragte Yuu ebenfalls hämisch grinsend. Gespielt verzweifelt schaute ich ihn an: „Oh, nein! Das war doch nicht ernst gemeint. Ich mag dein Outfit wirklich, gib das Essen schon her.“, flehte ich ihn an.

Für einen Moment schauten wir beide uns stumm an. Dann brachen wir in schallendes Gelächter aus. „Okay, ausnahmsweise mal.“, sagte Yuu und stellte den dampfenden Curryreis vor mich auf den Tisch. „Itadakimasu“, riefen wir beide fast wie im Einklang und ich begann damit, hastig so viel wie möglich in mich hinein zu stopfen. Ich hatte tatsächlich einen Riesenhunger, mein Magen knurrte unaufhörlich. Ich verbrannte mich mehrere Male am Curry und verschluckte mich noch viel öfter am Reis, aber das war mir egal. Und Yuu schien es auch nichts auszumachen, er grinste mich nur an. Vier Teller Curryreis, sechs kleine Nanbrote und viele Gläser Wasser später, war ich nicht nur unheimlich zufrieden, sondern auch unheimlich satt. „Gochisousama“, nuschelte ich in mich hinein und ließ mich in die weiche Couch sinken. Yuu lächelte weiterhin und räumte das Geschirr zurück in die Küche.

„Soll ich dir spülen helfen?“, bat ich im an und wollte aufstehen. „Ach, was. Ich hab eine Spülmaschine, die macht das für uns.“, antwortete er und wies mich an sitzen zu bleiben.

Ich blickte erneut gegen die Decke und fühlte mich, trotz der wohligen Wärme in meinem Bauch, schrecklich leer und kalt. Was folgen würde, war bestimmt unangenehm.

Yuu kam grinsend aus der Küche zurück und setzte sich mir gegenüber auf einen Sessel. „So.“, setzte er an und stemmte die Hände gespielt auf seine Hüften. „Was machen wir jetzt?“, fragte er nach einer Pause und grinste erneut. Etwas fassungslos starrte ich ihn an. Hatte er mich nicht gerufen um mit mir etwas zu besprechen? Was sollte dieses Verhalten? „Also, weißt du.“, fing ich an, bemüht nicht so zu klingen wie ich mich fühlte. „Das von letztens, also das vor ein paar Tagen...“, stammelte ich. „Ich weiß ja nicht, wie du darüber denkst...“, fügte ich an und merkte wie mein Atem schwer wurde. „Aber?“, entgegnete Yuu fragend und sah mir dabei tief in die Augen.

Irgendwie schien er verunsichert, andererseits gefasst, als ob er wüsste was ich sagen wollte.

„Ja, ich weiß ja nicht.“, begann ich erneut. Yuu hob die Hand und ich verstummte. „Ich finde, das es sehr schön war, aber irgendwie fühlt sich das nicht richtig an. Ich meine wir sind in einer Band, richtig?“, erklärte der Gitarrist. „Ja, was machen wir denn jetzt?“, erwiderte ich nach einer kurzen Pause. Yuu blickte mir erneut tief in die Augen. „Lass es uns dabei belassen.“, seufzte er. „Ich hoffe, ich hab dich damit nicht verletzt, aber wir sollten besser jetzt aufhören.“

Yuu hatte nicht nur das Gespräch komplett an sich gerissen, tief in meinem Inneren hatte er auch das gesagt, was ich nicht auszusprechen wagte. Ich war zwar erleichtert, aber aus Rücksicht vor den Gefühlen des Gitarristen gab ich mich zuvorkommend und besorgt. „Und... und das macht dir wirklich nichts aus?“, fragte ich ihn. „Ich dachte schon, dass ich dich vielleicht...“ Yuu winkte ab und lächelte. „Nein, ist schon okay. Ich mag unsere Freundschaft und ich mag dich auch in meiner Nähe haben, aber ich will dich nicht als guten Kumpel verlieren, verstehst du?“, entgegnete er und schaute mich an. „Hmm, ja. Okay, dann... dann ist ja alles in Ordnung.“, stammelte ich vor mich hin. „Du musst nicht immer so viel Rücksicht auf andere nehmen. Sag' ruhig auch mal was du willst und nicht was die anderen hören wollen.“, ermahnte mich mein Gitarrist scherzhaft und hob dazu den Zeigefinger. Als er bemerkte, wie lustig er dabei aussehen musste und als er mich sah, wie ich schmerzhaft versuchte ein Lachen zu unterdrücken, gab es für uns beide kein Halten mehr und wir brachen in schallendes Gelächter aus und hörten nicht eher auf, bis wir unter Tränen uns den Bauch haltend nach Luft rangen. Als wir wieder atmen konnten, sagte Yuu: „Wenn du jetzt schon mal hier bist, dann kann ich dir auch direkt den neuen Riff zeigen, den ich letztens wegen meiner Nachbarn nicht spielen konnte. Es passt ja jetzt von der Uhrzeit besser.“ Während wir auf dem Weg in Yuu's Wohnzimmer waren mussten wir erneut anfangen zu lachen. Wir lachten und lachten und lachten und lachten. Es kam mir so surreal vor, das wir die ganze Zeit lachen mussten. Es war so offensichtlich, Yuu musste es bestimmt auch bemerken. Das Lachen an sich wurde mir immer unsympathischer. Es war falsch. Wir lachten nicht, weil wir erleichtert waren. Jeder von uns lachte um etwas zu verbergen. Wir zwangen uns zu lachen, damit es nicht so aussah, das wir Probleme hatten, das es uns vielleicht nicht so gut ging wie wir uns gegenseitig vortäuschten. Irgendwie schien es mir, als wäre unser Lachen nur ein Ersatz für die Tränen, die wir nicht mehr weinen wollten.

Kapitel IV

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (17)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2010-04-24T09:21:46+00:00 24.04.2010 11:21
woah was geht?

akira ey! so´n arsch.
taka tut mir grad sowas von leid,ich möcht ihn am liebsten umarmen :(
ich könnt mir glaub ich jetzt stundenlang über akira aufregen und hier alles voll schreiben,aber ich lasse es xD

ich hoffe,das du bald weiterschreibst ^^ möchte zu gern wissen,was jetzt passiert~

lg keigu
Von:  Chiruki
2010-04-16T21:58:19+00:00 16.04.2010 23:58
wie kannst du hier bitte aufhören zu schreiben mit der aussicht das es wieder jahre dauert bis es weiterght ?! ALTER XD SCHREIB DAS WEITER ODER DU STIRBST XD

mir ist eine sache aufgefallen:
"Ich fühlte mich sehr, sehr unangenehm." klingt komisch. man fühlt sich doch nicht unangenehm...XD eher unbehaglich oder sowas...ka das kam mir komisch vor.

ansonsten eins a aber derbe böse das du da aufhörst. und akira istn arsch wenn er das ernst meinte xD
Von:  InspiredOfMusic
2010-01-01T01:14:54+00:00 01.01.2010 02:14
Mhhh...ich les das iwie die ganze Zeit mit gemischten Gefühlen...
Ich liebe nun einmal reituki...und ich fände es iwie doof wenn das jetzt doch eine aoixruki ff wird... aber naja... mal schauen xDD
Ich finde deinen schreibstil sehr schön...
könnte ich bei einem neuen kapitel eine ENS bekommen? :D
Von: abgemeldet
2009-11-19T20:48:08+00:00 19.11.2009 21:48
Ich weiß garnicht wie ich mich in Worte fassen soll.

Deine Art zu schreiben ist einfach unglaublich!
Selten kann man sich so in die Charaktere versetzen. Du kannst so etwas super schreiben. Da gibt es nix zu meckern, ehrlich!!
*hatte sich gerade alles aufeinmal durchgelesen und ist sprachlos*

Ich bin ja gespannt, wie es wohl weitergehen wird. Ich würde ja vermuten, das Reita immernoch total angeekelt von Ruki ist. Die Reaktion war ja wohl ein bisschen.. eindeutig.xD Na wer weiß wie es dann mit Aoi weitergeht. *blöd grins*

Allerliebste Grüße vom Pappteller xD
Schreib schnell weiter o_o
Von: abgemeldet
2009-11-19T19:50:21+00:00 19.11.2009 20:50
wwwww toll!!!!

ruki kann einem schon leid tun am anfang und irgendwie kam mir die beschreibung mit dem chaos sehr bekannt vor xD
ich mag deinen ruki auch!!!
und das mit lachen ist irgendwie traurig zu lesen,also das sie lachen um ihre trauer zu verbergen...kenn ich zu gut,nur das ich dann gezwungen lächel.
wirklich wieder ein sehr schönes kap!

lg kei
Von:  Chiruki
2009-11-18T16:40:56+00:00 18.11.2009 17:40
ach man du bist so ein alter poet XD
Ich liebe es wieder arg sehr und muss dich tadeln weil du so lange gebraucht hast und loben weil es wieder unglaublich toll ist XD
Es ist immernoch befremdlich sowas von einem kerl zu lesen, aber du machst deine Sache echt gut also hör bitte, bitte nicht auf, auch wenn du selbst nicht so zufieden damit bist >_<
ich finde das ende wieder am besten. Und den anfang XD Kleiner poet XD
Sehr sehr schön *_* go on please <3
Von: abgemeldet
2009-11-18T16:14:58+00:00 18.11.2009 17:14
du hast wirklich ein großes talent zu schreiben.
selten lese ich so gute ff's bei denen so interessant und ausführlich auf jede kleine emotion eingegangen wird. es ist wirklich toll *.*
ich mochte das kapitel und mag deinen ruki auch sehr gerne. er kommt mir weiterhin äußerst realistisch vor.
hätte mich nur gefreut wenn rei vorgekommen wäre, aber das ist ja nicht schlimm...

liebe grüße und keks dalass
taka
Von: abgemeldet
2009-10-23T22:55:53+00:00 24.10.2009 00:55
ja ich finde auch das das verhalten sehr zu dem ruki passt den ich mir in der realität vorstelle^^
toll weitergeschrieben. bin begeistert. irgendwie ist nciht viel passier, aber irgendwie auch trotzdem sehr wichtige dinge. man kann jetzt noch besser nachvollziehen was ruki empfindet und das, wie ein vorgänger schon kommentiert hat, er ein wenig wirr ist. gefällt mir. aois reaktion ist wirklich irgendwie wie ein leichter schlag ins gesicht. ruki schien wohl echt jetzt erstmal überfordert zu sein.
freu mich schon wenns weitergeht

liebe grüße
t.k.
Von:  Chiruki
2009-10-22T20:36:56+00:00 22.10.2009 22:36
1. Du hast ein talent für schlussätze.

Ein Mensch mit einem Beutel nasser Kleidung und einem zerstörten Traum, in einem Hausflur, der plötzlich so bedrohlich wirkte, das es mich schauderte.

Unglaublich toll *_*


Eine Schönheit, die man sein ganzes Leben lang vielleicht nicht bemerkt hatte, weil man zu versteift versucht hatte, diese wo anders zu finden.

gawd. get out of my mind damn it. XD Könnte echt aus meinem kopf stammen XD So mental XD ka. me likes xD


Mit leiser Stimme sagte er: „Ich muss mir eingestehen, dass ich dich viel zu gut kenne. Das macht die ganze Sache unangenehm, aber nicht falsch.“

*+*
aoi wa porno desu. XD
alles in allem ein tolles kapitel. autobiografisch. (ja. kein fragezeichen. XD)
weiter, schnell bitte *_*
Von:  Inabella
2009-10-21T19:46:01+00:00 21.10.2009 21:46
Holla, das ging jetzt aber fix XD Und wieder bin ich schockiert, wie du sowas schreiben kannst XD Es.. ist... Porn... Geiler Porn XD Und wie schnell so ein Augenblick durch wenige Worte zerstört werden kann. Ich finds klasse, das Ruki nicht so ein monotoner Charakter ist, sondern genauso wirre Dinge tut, wie er es wohl auch in der Realität an den Tag legt, wenn man nach den Auftritten geht... Aois Reaktion ist ziemlich krass, aber auch das ist irgendwie passend für ihn. Haach, ich bin so gespannt, wie es weiter geht X3 *rum hibbel*


Zurück