Zum Inhalt der Seite

Wo sich Herz zum Herzen find’t

Kapitel 17
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 17

Gegen Nachmittag ritt Leopold nach dem Eierhäuschen um sich zu besinnen und die Gedanken um Corinna einige Stunden zu vergessen.

Er ritt entlang des Spreeufers, als er schon sehr nahe seinem Zielort war, hörte er eine laute Stimme und Hufgetrappel und als er näher ritt, wurde ihm gewahr, dass es ein weißer Schimmel war der stieg und seinen Reiter am Aufsteigen hinderte.

Leopold stieg von seinem eigenen Pferd ab und nahm die Zügel des Schimmels in beide Hände und zog so dessen Kopf kraftvoll nach unten, dass es nicht mehr in der Lage war zu steigen.

„Haben sie vielen Dank.“, meinte der Reiter, welcher nun seine Kappe vom Kopf nahm seine roten Locken im Sonnenschein schüttelte.

„Kann ich mich irgendwie erkenntlich zeigen?“

Leopold vermochte für eine Kurze Zeit nichts erwidern, denn sein Blick blieb an dem sommersprossenübersäten und freundlich-lächelnden Gesicht seines Gegenübers hängen. Als sie ihn erneut ansprach, erwachte er aus seiner Starre.

„Schon gut, das habe ich gerne getan.“

Er gab der jungen Dame die Zügel in die Hand und erwartete scheinbar von ihr eine Reaktion, die er auch sogleich bekam.

„Ich lade Sie auf einen Kaffee ein. Oder auch zwei.“

Sie lächelte und band ihr Pferd an der Mauer des kleinen Hauses an und betrat mit Leopold die Terrasse.

„Zwei Kaffees bitte, aber meiner ohne Zucker. Wie viel Zucker wollen Sie?“

„Zwei bitte.“

„Kommt sofort.“

Sie hatten sich unter einer Kastanie niedergelassen, deren Zweige weit über die Terrasse des Eierhäuschens hingen.

„Sie sind mein Retter, ich muss mich doch irgendwie erkenntlich zeigen...“

„Bitte, das war doch nichts.“

Eine Weile herrschte Schweigen, dann wurde der Kaffee gebracht und Leopold hielt es für nötig, etwas zu sagen.

„Ich habe Sie hier noch nie gesehen, darf ich fragen, wo Sie herkommen?“

„Ich bin mit meiner Familie gerade nach Berlin gezogen. Wir kommen ursprünglich aus Brandenburg.“

„Interessant.“

„Sie mögen vielleicht unseren Familiennamen kennen. ‚von Fahrenholz’“, meinte sie fast stolz und sprach diesen Satz mit einer beträchtlichen Würde aus.

„Das Adelsgeschlecht?“

„Ganz recht. Leider erblüht unser Name nicht mehr in altem Glanze. Meine Familie ist verarmt, wir besitzen nur noch unseren guten Namen und ein kleines Häuschen. Unsere Villa in Brandenburg mussten wir verkaufen.“

„Ja, davon habe ich schon gehört. Gefällt es Ihnen denn an der Spree?“

„Sehr. Und jetzt wo ich Sie getroffen habe, bin ich fast nicht mehr traurig über den raschen Umzug.“

Sie lächelte ihm wieder zu und Leopold errötete etwas, seinen Kopf wegdrehend und nahm einen neuen Schluck des Kaffees.

„Woher kommen Sie?“, erkundigte sich das junge Mädchen dann.

„Ich bin in Berlin geboren...“

„Oh, bitte verzeihen Sie, ich habe mich noch gar nicht nach Ihrem Namen erkundigt!“, unterbrach sie ihn dann.

„Leopold Treibel.“

„Der Kommerzienrat Treibel?“

„Mein Vater.“

„Berliner Blau habe ich gehört.“

„Das ist wahr.“

Sie nahm einen weiteren Schluck und spreizte dabei ihren kleinen Finger ab, während ihre Haltung so perfekt war, wie sie von einer Adligen nur sein konnte.

„Mein Name ist Anna von Fahrenholz“, meinte sie unaufgefordert, „Erfreut.“

Sie setzte die Tasse ab und strich sich durch ihre roten Locken. Dann beugte sie sich etwas vor und studierte Leopolds Gesicht.

„Verzeihen Sie wenn ich so dreist frage, aber Sie wirken so verstimmt.“

„Eine elende Geschichte.“

„Ich möchte sie gerne hören.“

Leopold, der jetzt sichtlich etwas nervös wurde, schaute zu Boden.

„Eine geplatzte Verlobung. Die Hochzeit findet gerade statt... mit einem anderen.“

„Schrecklich.“

Sie nahm seine Hand und der junge Mann schreckte auf.

„Erzählen Sie weiter.“

Leopold, in dem jetzt in dieser merkwürdigen Situation die Tränen in die Augen stiegen, fuhr fort: „Meine Mama möchte mich mit einem Mädchen aus Hamburg vermählen. Aus dem Hause Munk. Ich kann ihr nichts entgegensetzten.“

„Reden Sie nicht so.“

„Doch. Ich habe die Frau, die ich über alles geliebt habe verloren, weil ich mich gegen die Mama nicht durchsetzten konnte...“

„’Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung’, sagte unser Hausmädchen immer.“

„Vielleicht...“

„Nicht vielleicht, ganz bestimmt sogar. Sehen Sie, ‚Liebe’ ist so ein hohes Wort. Nehmen Sie es nur in den Mund, wenn sie wirklich und wahrhaftig so empfinden.“

„Woher wollen Sie wissen, dass es nicht so ist?“

„Wenn es so wäre, würden sie jetzt am Boden zerstört sein. Doch sie sitzen hier mit mir und trinken Kaffee.“

Leopold wollte seine Hände zurückziehen, wagte es aber nicht. Diese junge Frau schien tief in sein Inneres blicken zu können.

„Darf ich Ihnen noch etwas bringen?“

Der Kellner kam und wischte den Nebentisch sauber.

„Vielen Dank, ich muss jetzt los.“ Damit erhob er sich und gab der jungen Frau die Hand. „Leben Sie wohl.“

„Sie auch.“

Damit stieg Leopold auf sein Pferd und ritt von dannen.
 

*
 

In der Villa Treibel ging es die nächsten Tage ziemlich geschäftig zu. Hildegard, die nun nach der Hochzeit Corinnas durch Jenny und Helene die Kraft fand Leopold zu bezirzen, fand noch genug Zeit ihren lieben Schwiegervater auf seinen morgendlichen Spaziergängen zu begleiten, während die Honig vor Eifersucht im Anblick der schönen, jungen Hildegard fast gelb vor Neid wurde.

Dies bezog wohl auf die Tatsache, dass sie ihren Platz eingenommen hatte, doch Treibel kümmerte dies wenig, da er viel lieber mit seiner hübschen, zukünftigen Schwiegertochter eine Konversation pflegte und über Lizzi sprach, als mit der Honig über Gott und die Welt, von denen sie doch gar nichts verstand, zu sprechen.

Leopold saß derweil wieder auf seinem Zimmer und las Goethe, während Jenny eifrig damit beschäftigt war mit Helene, die auch anwesend war die Tage, über die Zukunft von Leopold und Hildegard ausführlich zu philosophieren, doch Leopold schien andere Pläne zu haben, denn er führte nur die notwendigsten Konversationen mit Hildegard.

Er ritt jeden Tag wie gewohnt aus, doch in letzter Zeit tat er dies immer mit seiner rotgelockten Bekanntschaft, die ihn stets am Eierhäuschen erwartete.
 

„Herr Kommerzienrat, hier ist eine junge Dame, die gerne Leopold gesprochen hätte“ Ein Diener war herbeigeeilt und klopfte ans Arbeitszimmer Treibels.

Dieer erhob sich und öffnete die Tür. Er wollte diese „junge Dame“ selbst in Empfang nehmen, der war sehr neugierig, was dies zu heißen hatte.
 

„Guten Tag“, sagte er, als er am Eingangstor seiner Villa stand, „mit wem habe ich die Ehre?“

„Frau Anna von Fahrenholz.“

„Fahrenholz?“ Er wiederholte den Namen, als hätte er dessen Bedeutung nicht verstanden und öffnete dann geistesgegenwärtig die Tür, um der Dame ins Gesicht blicken zu können.

„Herr Treibel?“

„Der bin ich.“

„Verzeihen sie die Störung, aber ich hätte gerne Leopold gesprochen. Er ist heute Morgen nicht wie gewohnt ausgeritten, da habe ich gedacht mich zu erdreisten und ihm einen Besuch abzustatten, bei dem schönen Wetter.“

‚Von Fahrenholz’, das wusste er, war eine angesehene Adelsfamilie mit Kontakt zum Kaiser, zumindest in früheren Generationen und so beschloss er, dass Mädchen einzulassen.

„Kommen Sie.“

Er führte sie in den Salon und bot ihr einen Platz an, doch da hatte er die Rechnung ohne seine Frau gemacht, die gerade mit Hildegard auf den Weg in den garten war.

„Wer ist das?“

„Frau Anna von Fahrenholz.“

Jennys Gesichtsausdruck änderte sich sofort und sie kam süß lächelnd auf die junge Frau zu. „Was beehrt uns der Besuch einer so hohen Dame?“

„Ihr Sohn, Kommerzienräten. Verzeihen Sie, dass ich einfach vorbei komme, aber ich wollte Leopold gerne sehen.“

„Leopold?“, wiederholte sie völlig ungläubig und rief dann sofort einen Diener herbei, der ihren Sohn holen sollte.

Jenny schickte Hildegard sogleich in den Garten und bot Anna in der Zwischenzeit einen Tee an. Ihre ganze Haltung verriet, dass sie hoch entzückt war, ein echtes Mitglied des Adels begrüßen zu dürfen.

Als Leopold kam und kurz eine Verbeugung andeutete und sich zu Anna setzte, zog Jenny ihren Mann bei Seite.

„Ich habe es dir immer gesagt, der Junge ist zu etwas Größerem geboren, dass ist eine Fügung Gottes, das ist es.“

Treibel wollte etwas erwidern, doch er ließ es bleiben. Jenny schien sofort von diesem Mädchen hellauf begeistert zu sein. Hildegard Munk hatte sich zu eben in ihren Gedanken durch Anna von Fahrenholz ersetzt. Dabei schien sie in keinster Weise deren Finanzlage zu interessieren, Jenny reichte es, dass dieses Mädchen scheinbar zum Adel gehörte. Wenn ihr Sohn einen Adelstitel annehmen würde, würde auch ihre Familie damit geadelt werden und ihre größten Träume würden sich erfüllen.
 

*
 

Leopold lächelte warm und schien erfreut sein mal ein anderes Gesicht als das seiner Eltern, Hildegard oder der Honig zu erblicken.

„Ich musste dich sehen, du bist heute nicht ausgeritten. Hier, ich habe dir etwas mitgebracht.“ Sie wickelte aus einem seidenen Rüschentaschentuch ein kleines Holzschildchen aus, auf dem in großen schwarzen Buchstaben „Salve“ geschrieben stand.

„Das ist für dich. Du kannst es an deine Tür hängen.“ Als Leopold das Geschenk entgegen nahm und etwas verwirrt guckte, lächelte sie sanft.

„Du liest doch so gerne Goethe. Ich habe dieses Schildchen aus Weimar mitgebracht. Goethe hat genau das selbe Schild an seiner Haustür in den Holzboden verankert. Dort steht direkt zu Füßen der Tür ‚Salve’ um seine Gäste gebührend zu empfangen. Zu Lebzeiten wie heute noch hat diese Begrüßung ihren Reiz nicht verloren. Nimm es, ich möchte, dass du es behältst.“

„Vielen Dank“, meinte Leopold und wandte den Kopf etwas ab. „Ich werde es mir an die Tür hängen.“

Eine Weile herrschte Ruhe. „Möchtest du vielleicht einen Spaziergang durch den Garten machen?“, fragte er etwas verlegen und lächelte, als Anna zustimmte.

Unter den wachen Augen von Jenny schritten die beiden dann nach draußen und machte eine Runde um den Springbrunnen. Dabei sah sie, wie vergnügt Leopold zu sein schien. Offen und frei, wie sie es nur selten oder gar noch nie gesehen hatte.

Sie betrachtete das Mädchen. Ein grünes weitausladendes Kleid, Spitzenhandschuhe und ein eleganter Sonnenhut, alles Ton in Ton und dazu dieses fröhliche Lächeln.

Hildegard schaute Leopold und der Fremden nach, während sie zusammen mit Helene ins Haus ging.

„Eine sehr elegante Dame, Jenny, nicht wahr?“, meinte Treibel, der sich zu seiner Frau auf die Terrasse gesellt hatte.

„Das ist sie. Leopold scheint sich ja sehr schnell über Corinna weggetröstet zu haben. Sie ist sehr anmutig, aber ihre Größe scheint in keinster Weise im Bezug auf ihren Titel zu stehen. Schau, sie geht Leopold gerade zur Schulter.“

„Da gebe ich dir recht, aber schau, wie glücklich unser Sohn in ihrer Gesellschaft scheint.“

„Das sehe ich und ich bin wirklich sehr erfreut darüber. Ein blindes Huhn findet scheinbar auch mal ein Korn. Das kommt absolut passend. Gott muss sich über unser Haus erbarmt haben nach dieser schrecklichen Affäre. Hildegard wahr so oder so nur der Notnagel um Corinna loszuwerden, aber um ehrlich zu sein kann ich nicht noch etwas hamburgerisches ertragen. ‚Munk’ oder ‚von Fahrenholz’, Treibel?“

Dieser seufzte. Er überlegte ob er Jenny, die scheinbar völlig in Entzückung war darüber auszuklären, dass dieses Adelsgeschlecht verarmt war, doch er ließ es bleiben um Jenny nicht auf dumme Gedanken zu bringen.

„Herr Kommerzienrat?“, sprach dann Anna, die mit Leopold an der Teerasse angekommen war, doch Jenny kam ihrem Mann zuvor. „Setzt euch doch.“

„Vielen Dank.“ Während Anna sich setzte, erklärte Leopold, dass er schnell das Holzschildchen anbringen wollte und eilte durch die Tür zu seinem Zimmer. Die Ideale Gelegenheit die junge Frau etwas näher unter die Lupe zu nehmen.

„Treibel, sei so gut und sage dem Diener bescheid, er soll uns einen Tee bringen.“ Der Kommerzienrat folgte, denn er wusste genau, dass seine Frau ihn jetzt loswerden wollte. Seufzend ging er dann ins Haus.

„Meine Dame, ich würde zu gerne wissen, was sie an meinem Sohn haben. Eine Frau ihres Ranges.“

Anna lachte. „Die Dinge stehen etwas schlechter, als sie glauben und ich versichere Ihnen, dass ich sehr viel an Leopold finde.“
 

„Liebe?“

„Das kann ich nicht genau sagen. Aber es ist auf jeden Fall viel Gefühl dabei. Leopold fühlt im übrigen mit mir.“

„Das kommt von Gott, mein Kind. Er selbst hat euch zusammengeführt.“

„Das bestreite ich nicht.“

Jenny war immer noch verblüfft, zeigte es aber nicht, dennoch. Der Gedanke, dass gerade eine von Fahrenholz, eine Adlige sich führen unbedeutenden, schläfrigen Sohn interessierte, ließ sie nicht los.

„Was finden sie noch an ihm, wenn eine Mutter sich erkundigen dürfte?“ Sie sah, was Anna für ein Mensch sein musste. Ihre Gesicht verriet es. Sie war klug, fürsorglich und besaß ein heiteres Wesen. Anna lächelte.

„Leopold ist ein unglaublicher Mensch. Er ist unterhaltsam, führsorglich, lieb. Er strahlt eine unglaubliche Ruhe aus. Etwas unbeholfen, doch immer darauf bedacht die Frau die ihm etwas bedeutet auf Händen zu tragen, ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.

Wenn ich in seiner Nähe bin, habe ich immer das Gefühl gebraucht zu werden. Ich möchte für ihn da sein, ihn stärken und in seiner Nähe sein. Ja, das wäre das höchste Glück für mich.“

„Das höchste Glück?“

„Ja. Ich möchte ihn glücklich machen.“

Jenny konnte mit diesen Worten nicht wirklich viel anfangen und bezog sie sofort auf eine höhere, sentimentale Ebene.

„Ja, das sehe ich auch so. Das höchste Glück, dass ist es, einen Menschen glücklich zu machen. Ihr habt meinen Segen.“ Sie sprach diese Worte, aber für Anna waren diese Worte wahr, tief und wirklich.

„Mein liebes Kind, wo sich Herz zum Herzen find’t, zeigt uns Gott das Wahre, das Höhere. Die Liebe, mein Kind, ist das stärkste Band des Lebens.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück