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100 Themen Herausforderung

von

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#067 - Assoziationskette

Während er sich zu ihr hinüber beugte, merkte sie, wie sie zitterte. Ob vor Kälte, Nervosität oder Aufregung, sie war sich nicht sicher. Alles war so surreal, so ... sie konnte es nicht beschreiben. Sein Gesicht kam immer näher, während ihr auffiel, dass er bereits einzelne graue Haare hatte. Mit Mitte zwanzig? Gut, dass ihre eigenen Haare so hell waren, da fiel so etwas nicht auf.

Sein Schal lag ihr immernoch um den Hals, warm, weich und schwer. Es war angenehm. Sie liebte Schals, hatte sie immer schon geliebt, schade, dass es im Sommer zu warm für sie war. Es war ein handgestrickter Schal, blau-schwarz, mit großen, weiten Maschen aus einer dicken Wolle, deren Aussehen sie maximal noch als "flauschig" beschreiben konnte.

Vielleicht hätte sie vorher schon misstrauisch werden sollen. Sie hatte bereits geargwöhnt, dass es nicht einfach nur Freundlichkeit seinerseits gewesen sein könnte, die ihn dazu gebracht hatte, ihr seinen Schal um den Hals zu legen. Aber irgend etwas in ihr hatte abgewägt, hatte ihr erklärt, dass das gar nicht sein könne, wie denn bitte, immerhin war sie es, nicht irgendjemand anderes. Angegraben zu werden gehörte alles andere als zu ihrer Tagesordnung. Warum hätte es sich ausgerechnet heute ändern sollen?

Doch offenbar war es gerade dabei, genau das zu tun - sich zu ändern. Sie nahm alles seltsam genau wahr, den Geruch nach Rauch, der ihn nach der Kneipennacht noch umgab, obwohl er selbst nicht geraucht hatte. Sein Mund roch nicht nach Qualm. Seine dunklen Wimpern, die ungewöhnlich geschwungen waren. Die einzelnen grauen Haare. Die Art, wie er mit geschlossenen Augen seinen Kopf schief legte.

Überhaupt, wie er da saß. Er hatte sich quer über den Tisch gelehnt, um in ihre Nähe zu kommen, sein Kopf war merkwürdig abgeknickt. Es musste unglaublich unbequem sein, so halb zu stehen. Wie lange er wohl durchhalten würde? In der Küche hing keine Uhr. Schade eigentlich. Seine Armbanduhr tickte zu leise, als dass sie sie hätte hören können.

Sie konnte direkt in seinen Kragen schauen, während seine Nase sie regelrecht in die Wange stach. Was er genau mit seinen Lippen tat, wusste sie nicht, aber seine Zunge fühlte sich interessant an. Ob sich ein Penis genauso anfühlen würde? Wie ein roher Muskel, der nur noch schnell mit Haut überzogen worden war? Vielleicht nur etwas trockener? "Munddusche", fuhr es ihr durch den Kopf. Mit vierzehn hatte eine Freundin sie davor gewarnt, aber die Sorgen darüber hätte sie sich sparen können. Sie merkte eher, wie ihr die Kehle etwas trocken wurde und überlegte, ob sie ganz frech einfach noch was trinken sollte. Würde es ihm auffallen?

Dumme Frage.
 

Er zog seinen Stuhl näher und sie merkte, dass das Muster der Küchenfliesen noch viel unregelmäßiger war, als sie bis jetzt gedacht hatte. So genau hatte sie noch nie auf die einzelnen Platten geachtet. Im Nachhinein wunderte sie das ein wenig. Immerhin sah es schon hübsch aus. Was hatte ihre Vermieterin gesagt? Dass ihr Mann einen Großteil der handwerklichen Arbeiten in ihrem gemeinsamen Haus selbst erledigt hatte? Ob er wohl auch in den Mietwohnungen selbst Hand angelegt hatte?

Die Formulierung ließ ihre linke Augenbraue nach oben zucken, bevor sie sich wieder gefangen hatte.

Die Hand des Kerls vor ihr wanderte an ihrem Gesicht entlang, während sein Atem schneller ging. Interessant, schoss es ihr durch den Kopf. Ob er eine Erektion hatte? Sie traute sich nicht, nachzusehen. Außerdem saß er ungünstig. Sie hätte ihn erst ein Stück von sich schieben müssen, das wäre zu auffällig geworden. Stattdessen schob sie unauffällig ihre Zunge im Mund ein Stück weit nach vorne, um seine Zunge, die sich forsch vorantastete, ein wenig abzuwehren. Es war nicht unangenehm, mit ihm hier zu sitzen. Die Tatsache, dass der Kuss sie nicht genug ablenkte, als dass sie den kreisrunden Pfefferfleck nicht bemerkt hätte, der auf seiner Wange thronte, einen kleinen hellen Punkt in der Mitte, irritierte sie.
 


 

"Darf ich dich nochmal küssen?"

Sie schob ihn vorsichtig von sich. "Tut mir leid", sagte sie und meinte es genau so.

"Bitte?"

Sie schüttelte den Kopf.

Als die Tür sich hinter ihm schloss, merkte sie, dass er sich gar nicht verabschiedet hatte. Oder hatte sein Schal die Worte geschluckt, weil er seinen Kopf so traurig hängen ließ?
 

So war es also, geküsst zu werden, dachte sie sich.

Sie war eingeschlafen, noch bevor ihr Kopf das Kissen berührt hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-11-05T12:12:09+00:00 05.11.2011 13:12
Moin,
Yay, was neues zu lesen. <3
Uh, der Schal klingt toll.

Außerdem saß er ungünstig. Sie hätte ihn erst ein Stück von sich schieben müssen, das wäre zu auffällig geworden.
Nein, überhaupt nicht, wie kommt sie nur darauf?

Als die Tür sich hinter ihm schloss, merkte sie, dass er sich gar nicht verabschiedet hatte. Oder hatte sein Schal die Worte geschluckt, weil er seinen Kopf so traurig hängen ließ?
Also hat sie ihm den Schal wieder umgelegt?

Das hier ist eine kleine nette Episode. Ohne großartige Handlung, eine Momentaufnahme. Meiner Ansicht nach genau das richtige für die 100 Themen Herausforderung!
Ich mag es, dass ich selbst vom Thema her gar nicht darauf gekommen wäre, einfach einen vor sich hin denkenden Charakter da hin zu setzen, und, dass deine beiden Charaktere realistisch wirken und handeln.
Nicht so wie Charaktere, eher wie Personen.
Und deine Beschreibungen passen perfekt zum Ausmaß der Geschichte, du beschreibst recht viel, ohne, dass alles in den Beschreibungen ersäuft.
Davon hätte ich auf Dauer gern mehr, wenn du es einrichten kannst.
Liebe Schreibziehergrüße, Polaris


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