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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil

Das Tagebuch eines Gesuchten
von

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DAS weiß nur der Allmächtige selbst...

Ich hatte den Richter angestarrt, als wäre er ein völliger Idiot und alle anderen taten es mir gleich. Doch keiner wagte es, etwas zu sagen. Es war offensichtlich, dass er dieses Urteil nur sprach, da O’Hagan sich abermals eingemischt, ihn sogar ignoriert hatte. Fulligan hatte nicht viel Macht, aber genug, um seiner Meinung Ausdruck zu verleihen. Und so wurde das Gottesurteil über mich gesprochen.

Man packte Black, Robert und mich und ehe wir uns versahen, wurden wir hinaus geschliffen. Ich konnte noch sehen, wie O’Hagan aufgebracht zum Pult schritt, doch der Richter schenkte ihm keine Aufmerksamkeit mehr. Fulligan war wütend und beleidigt wie ein kleines Kind. Dann fegte O’Hagan an seinen Männern vorbei und holte uns ein. Er riss sich unterwegs die Perücke vom Kopf und entblößte sein dunkles, pechschwarzes Haar. Wütend blieb er stehen, fuhr herum und packte mich am Kragen. Ich schlug mit dem Rücken gegen die Wand und starrte in seine Augen. Sie waren fast blind vor Hass. Diese Demütigung, genauso wie jene davor, wirst du bereuen…!, schienen sie mir sagen zu wollen.

Ich starrte ihn hasserfüllt an, dann begann ich zu grinsen. Ich fühlte mich wie damals, als ich, naiv wie ich war, damit angegeben hatte, der Mörder von Kai zu sein. Ich hatte nicht vor, vor diesem Mann zu kriechen und immerhin war ich nicht schuldig gesprochen worden – nur halb.

Wie so oft stieg mir der kleine Sieg zu Kopf und ich wurde übermütig.

O’Hagans Augen sahen von meinem linken in mein rechtes und zurück. Immer wieder hin und her, wie ein unruhiges, aggressives Tier. Ich spürte, wie ihn mein Blick aufregte, wie er seine Wut steigerte. Er wollte mich weinen sehen, betteln oder wenigstens eine Entschuldigung. Stattdessen brachte ich ihm Hohn entgegen, auch wenn ich ihn nicht aussprach.

„Ich werde nicht zulassen, dass Ihr ungeschoren davon kommt, Sullivan O’Neil.“, zischte er wütend und sehr leise. „Ich habe noch nie einen Fehler gemacht.“

Ich lächelte höflich. „Es gibt für alles ein erstes Mal.“

„Ihr seid kein Mönch und das werde ich beweisen.“

Ein wenig finster zischte ich: „Ihr könnt Menschen nicht hängen, wenn sie nichts verbrochen haben, also lasst mich in Ruhe.“

„Oh doch, das kann ich.“, dann ließ er mich mit Nachdruck los. Langsam richtete der Mann sich auf und erhob den Kopf, fast ein wenig arrogant. O’Hagan war ein winziges Stück größer als ich, beeindrucken tat es mich jedoch nicht. „Ich werde Euch an den Galgen bringen… Ihr seid Pirat. Ich mache keine Fehler!“

„Ihr wiederholt Euch.“, merkte ich ungerührt an. Er bedachte mich abermals mit einem tödlichen Blick, dann verschränkte er die Arme hinter dem Rücken und sprach, ohne den Augenkontakt zu mir zu unterbrechen: „Sperrt ihn weg. Allein. Dieser Mann ist allem Anschein nach Mönch und kein Pirat. Er hat eine Einzelzelle verdient. Wir wollen doch nicht, dass er sich mit den falschen Menschen anfreundet und auf Abwege gerät.“, dann sah er zu Black. Seine Augen waren eiskalt. „Und was diesen Verbrecher angeht… Hängt ihn, in drei Tagen, zusammen mit den anderen.“, O’Hagans Blick wechselte wieder zu mir und in seinen kühlen Augen war eine Spur Grinsen zu sehen.

Ich starrte ihn hasserfüllt an. Dieser Bastard…, dachte ich, wagte es aber nicht, es laut auszusprechen. Selbst wenn ich es gewollt hätte, es hätte nicht funktioniert. Die Wut schnürte mir die Kehle zu. Die zwei Wachen neben mir hielten meine Oberarme fest, da sie vermuteten, ich würde jeden Moment auf ihn losgehen. Der Hass in meinen Augen schenkte O’Hagan etwas Befriedigung und er lächelte mir freundlich entgegen. „Selbstverständlich werdet Ihr der Hinrichtung beiwohnen, Sullivan. Ihr wart so lange auf See und davor umso länger im Kloster… Ich denke, eine solche Veranstaltung ist eine recht gesunde Abwechslung. Besonders nach den Strapazen eines Gottesurteils. Möge Gott alle jene schützen, welche fromm und gottesfürchtig sind.“, und dann ging er, ohne eine Antwort abzuwarten.

Man ließ mir keine Chance, mich von Black zu verabschieden. Noch ehe ich mich umgedreht hatte, packten die Rotröcke mich abermals und zerrten mich in die entgegengesetzte Richtung. Sie hatten Angst, ich würde den Kopf verlieren und das tat ich auch, jedoch weitaus schwächer als erwartet. Ich begann an den Armen zu zerren, so stark ich konnte, jedoch gab ich sofort wieder auf. Es brachte nichts, nun herum zu schreien, zu wüten und mich zu wehren. Das wollte O’Hagan. Er wollte mich vorführen. Zeigen, wie rebellisch ich war und meine Schuld beweisen. Mehrmals drehte ich mich um. Black ging wortlos mit den Wachen mit. Er gab sich nicht die Mühe, mich noch einmal anzusehen. Ich tat es ihm irgendwann gleich.

Ich weiß nicht, ob er mir Probleme ersparen wollte oder ob er sich mit seinem Schicksal längst abgefunden hatte. Aber das Letzte, was ich von ihm sah, war sein Rücken und wie er schweigend mit den Uniformierten mithinkte.

Das sollte ich O’Hagan niemals verzeihen… Niemals…
 

Man sperrte mich in eine einfache Zelle. So aufgebaut, wie man sie sich wohl am ehesten vorstellte. Ein kleiner Raum unter der Erde, kühl, feucht, mit Ratten, Fliegen und einem Fenster. Es war sehr hoch und winzig. Ich könnte mich auf die Pritsche stellen und vorsichtig hinaus sehen. Wahrscheinlich hätte ich dann den Marktplatz entdeckt, die Galgen und etliche Menschen. Doch die Tatsache, dass sie zusammenbrach, nur als ich mich hinaufsetzen wollte, verwehrte mir diesen unwahrscheinlich wunderschönen Ausblick, ironisch gemeint.

Die Rotröcke hatten mich hinein gestoßen und sich nicht die Mühe gemacht, mir die Fesseln abzunehmen und so stürzte ich hilflos auf mein Steißbein, als die beiden Ketten sich aus der Wand lösten und das Holzbrett unter mir nachgab. Zu allem Überfluss hatte man den Blechtopf für die Erleichterung unter die Liege gestellt und so knallte das Holz hinein und verschüttete sämtlichen Inhalt auf dem Boden. Ich seufzte schwer und etwas übertrieben, murmelte: „Da fühlt man sich gleich wieder, wie Zuhause…“, und blieb sitzen. Schlafen würde ich nicht können und das lag erstaunlicherweise nicht einmal an dem Gestank – an den hatte ich mich dank Tollhaus bereits gewöhnt. Es lag viel mehr an dem Gedanken daran, dass man Black hängen wollte. Es war mir klar gewesen, sogar unvermeidlich… Aber ich hatte nie vorgehabt es mit anzusehen. Zudem hatte ich mein Wort gegeben, ich würde ihn retten, würde ich für unschuldig erklärt werden.

Und da kam gleich das nächste Problem auf mich zu: Ich hatte ein Gottesurteil vor mir. Eine Probe, bei der der Allmächtige entschied, ob ich schuldig oder unschuldig war. Und je nachdem wie sie ausging, würde ich hängen oder eben nicht hängen.

Und damit gleich zu Punkt drei:

Selbst wenn ich für unschuldig erklärt werde, würde O’Hagan mich wohl nicht einfach davon kommen lassen. Dieser Mann hasste mich. Es war gegen seine Ehre, mich laufen zu lassen.

Am nächsten Morgen dann, ich war im Sitzen eingeschlafen, kamen erneut zwei Rotröcke herein. Es herrschte Dämmerlicht, scheinbar war die Sonne nicht einmal richtig aufgegangen. Sie zeigten sich nicht verwundert über das Chaos. Ich stand auf und noch ehe ich richtig aufrecht war, zerrten sie mich grob nach draußen.

Meine Verhandlung begann...
 

Auf dem Marktplatz waren mehr Menschen versammelt, als ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Ich versuchte sie zu ignorieren, aber es fiel mir sehr schwer. Sie alle waren gekommen, um dem Ordal beizuwohnen, dem Gottesurteil.

Jede Klasse war vertreten. Arm und reich, Mittelstand und Mittellos. Doch diesmal nahm ich nicht den Geruch dieser Menschen wahr. Ihren Schweiß, ihre Ausdünstungen.

In mir stieg Angst hoch und erst jetzt wurde mir bewusst, wie nahe ich dem Tode stand. Man brachte mich in meinen alten Fesseln bis zu einem Podest aus Holz und dann auf jenes hinauf. Für ein paar Sekunden fürchtete ich, dort oben einen Strick zu erkennen, aber es war kein Galgen. Viel mehr gab es zehn große, lange Holfpfähle, an den oberen Enden mit Pech bestrichen. Zwei Reihen, parallel zueinander stehend, auf jeder Seite fünf.

Sie reichten mir bis zur Brust und ich schluckte schwer, vage vermutend, was mir bevor stand.

Ich sollte durch diese zwei Reihen hindurch laufen, auf die andere Seite, während die Hölzer brannten. Ich kannte solcherlei Veranstaltungen aus meinen Kindertagen. Zwischen den Hölzern waren Ketten angebracht, eine auf Brusthöhe, eine weitere auf Kniehöhe, damit man keine Wahl hatte als vor- oder rückwärts zu gehen. Insgesamt war dieser Gang etwa sechs Meter lang. Ich hatte viele Menschen gesehen, die noch vor den Flammen zusammen gebrochen waren und es sich nicht über sich gebracht haben, hindurch zu rennen. Sie wurden dann entweder gezwungen oder erhängt. Das schlimmste war: Selbst wenn man es geschafft hatte hindurch zu rennen, so war das noch keine Sicherheit, dass man leben durfte. Es ging um die Wunden, die durch die heiligen Flammen entstanden sind. Würden sie problemlos heilen, war dies ein Zeichen für die Unschuld des Angeklagten. Würden sie eitern und sich entzünden, war das Gottes Zeichen für die Schuld und man wurde gehängt.

Ich erinnerte mich an einen Mann, welcher einst wie ich hier oben gestanden hatte. Auch er hatte die Feuerprobe abschließen müssen, jedoch war er weder zum Ende vorgedrungen, noch vor dem Eingang des Höllentunnels zusammen gebrochen. Er war hinein gerannt, hatte Panik bekommen und versucht seitwärts auszubrechen. Die Ketten haben ihn behindert und keiner hatte ihm helfen können. Binnen weniger Sekunden brannte er lichterloh und hilflos war er von einer Feuerseite in die nächste gestürzt.

Ohne es zu wollen begannen meine Knie zu zittern und ich spürte, wie Schweiß meinen Rücken hinunter lief. Er war außergewöhnlich kalt im Vergleich zu meinem restlichen Körper. In meinem Innern zog sich alles zusammen, mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Ich hörte seine Schreie. Sie waren so schmerzhaft gewesen, dass es nicht mehr menschlich war.

Ein Priester kam den Podest hinauf und legte mir freundlich seine Hand auf die Schulter.

„Mein Sohn, möchtest du Beichte tun, ehe der Herr dich auf die Probe stellt? Damit er dir auch wirklich beisteht?“

Ich starrte ihn an, ohne zu begreifen, was er von mir wollte. Unbewusst löste ich meine Schulter aus seinem Griff und er erschien mir unheimlich penetrant. Ich stand kurz vor meinem Lebensende, was brachte mir da die Beichte?! Sie würde vielleicht meine Seele retten, aber mein Leben war gerade weitaus wichtiger! Panische Angst stieg in mir hoch, als dann ein Soldat mit Fackel hinauf kam. Er sollte die Flammen entfachen.

Der Priester begann zu murmeln und schenkte mir beruhigende Worte, immer wieder seine Hand auf meine Schulter legend, aber ich hörte ihm nicht einmal zu und nach dem dritten Mal gab ich es auf, seinen Händen auszuweichen. Wie gebannt starrte ich auf die tanzende Flamme, dann zu der bebenden Menge. Die Menschen schienen es kaum erwarten zu können, dass die Fackel zum Einsatz kam. Manche riefen Schimpfwörter hinauf, andere, dass man endlich beginnen sollte. Ich glaubte, die wenigsten wussten überhaupt, was genau mir vorgeworfen wurde oder von wem. So sehr ich auch suchte, O’Hagan fand ich nicht. Einige Rotröcke waren um das Podest herum postiert und hielten die Menschen auf Abstand. Andere bereiteten bereits alles für meine Behandlung nach der Feuerprobe vor. Man stellte einen Eimer geweihtes Wasser bereit. Dann schliff man mich zum Rand des Podestes, wo man mir die Fesseln abnahm und mich grob aus dem Hemd zerrte, um mich dann in ein neues zu stecken. Es war extrem kühl und fest. Ich roch und spürte, dass man es in Wachs getränkt hatte. Der Stoff war dadurch so hart, er lag nicht ansatzweise. Etwas von dem Wachs bröckelte ab. Nun packte mich die Panik ganz und gar.

„Faltet die Hände.“, bat der Priester mich freundlich und legte mir einen Rosenkranz um den Hals. Ich war völlig verwirrt und starrte ihn nur an.

„Ich soll was-…?!“, krächzte ich.

Lächelnd half er mir die Gebetshaltung einzunehmen, dann band man meine Hände ebenso zusammen. „Der Herr ist mit all jenen, die ehrlich sind, treu und gehorsam… Also habt keine Angst, wenn Ihr ein reines Gewissen habt.“, das war alles was er sagte. Für ihn war der Fall klar:

Wenn ich unschuldig war, konnte mir nichts passieren.

Aber ich glaubte daran nicht – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich schuldig war!

Zwei Rotröcke nahmen mich an den Oberarmen und führten mich zu den Hölzern. Man stellte mich – mich nicht los lassend – vor die zwei Reihen und ich konnte zusehen, wie der Mann mit der Fackel jeden Holzpfahl langsam in Brand steckte. Ich spürte die Hitze, die von den Flammen ausging und wollte zurück weichen, aber man ließ mich nicht.

„Nein!“, flüsterte ich. „Hört auf, das ist Wahnsinn!“

Doch es gab niemanden, der mir zuhörte. Ein Tunnel aus Flammen tat sich vor mir auf. Die Flammen züngelten in alle Richtungen, als würden sie einen Wettkampf ausfechten, wer die meiste Luft verschlang. Als würden sie versuchen so viel zu verspeisen, wie nur möglich. Und als könnten sie es kaum erwarten, auch mich zu fassen zu bekommen. Es knisterte und knackte. Nicht mehr lange und die oberen Ketten müssen glühend heiß sein. Der Priester hatte sich abgewendet und begann zum Volk zu sprechen, mit einer Stimme, die an Honig erinnerte, voller Wohlwollen und Liebe. Ich hörte ihm nicht zu. Das Feuer hatte mich gebannt und lähmte mich.

Ich will nicht sterben…, dachte ich immer und immer wieder. Ich will nicht sterben…!

„Wir haben uns heute hier versammelt um Oliver Sullivan O’Neil beizustehen, bei dieser schweren Probe, seine Unschuld zu beweisen – wenn er denn unschuldig ist! Unser aller Vater wird das Recht schützen, denn er selbst ist das Recht… Möge er diesem Mann beistehen in dieser schweren Stunde und all jene drei Tage darauf, auf dass seine Unschuld bewiesen wird. Oder aber soll er diesen Sünder und Verbrecher strafen und peinigen für all seine Vergehen! Soll er ihn lehren, nie wieder in Ungnade zu fallen und das Böse in ihm zeigen!“

Mir wurde kurz schwarz vor Augen, als er mich Sünder nannte. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, für einen Moment flimmerte es und alles in mir setzte aus. Ich begann zu zittern und wollte stürzen, aber die zwei Männer ließen mich nicht los. Das Atmen fiel mir immer schwerer und ich spürte, wie das Hemd an meiner Brust zu kleben begann. Es wurde weicher, es schmiegte sich an meinen Körper wie flüssiger Teer. Am liebsten hätte ich geschrieen. Am liebsten wäre ich davon gelaufen. Hätte gerufen: „Ja, Ihr habt Recht! Ich bin ein Sünder, lasst mich gehen! Hängt mich, bitte hängt mich!“, aber ich konnte einfach nicht. Mir wurde unwahrscheinlich heiß und ich bekam immer schwerer Luft. Keiner bekam es mit.

Im Augenwinkel sah ich, dass die Menge einer kleinen Eskorte Platz machte. O’Hagan.

Er stellte sich in die erste Reihe, in sein teuerstes Gewand gekleidet und auf seiner Brust ein großes, goldenes Kreuz. Es blitzte, als würde es brennen wollen, ebenso wie ich brennen sollte. Ich vermied sämtlichen Augenkontakt mit ihm. Ich wollte diesem Mann auf keinen Fall zeigen, dass ich Angst hatte. Zwar war es offensichtlich, aber dennoch wollte ich auf keinen Fall noch mehr Schwäche zeigen. Der Priester fuhr fort:

„Wie auch bei dem heiligen Johannes einst werden wir heute die Feuerprobe an diesem Angeklagten vollziehen um Zeugen der Offenbarung, des göttlichen Zeichens, dem Urteil des Herrn, dem Wissen des Allmächtigen zu werden! Lasst Euch dies eine Lehre sein. Eine Lehre und eine Warnung! Als erstes wisset: Der Herr ist stets bei uns, uns allen. Er sieht all unser Handeln und Denken. Er urteilt niemals schlecht über uns. Seine Hand ist hart, aber gerecht! Also lasset euch niemals verleiten zu unsittlichen Taten, zu nicht christlichen Dingen. Jene Dinge, zu denen der Abtrünnige selbst uns verleitet und verführt. Zu all jedem, was er uns leise zuflüstert, uns schön spricht. Vertraut stets der Macht des Herrn, er wird uns führen und leiten, durch jede Hürde, durch jede Probe!

Und als zweites lasst euch dies eine Warnung sein… Beichtet und seid fromm. Gesteht Eure Vergehen und büßt für Eure Taten. Gott wird alles ans Licht führen, der allmächtige Herr weiß und sieht alles und wird jedem seine rechte Strafe erteilen. Verwickelt euch nicht, wie dieser Mann in Widersprüche und Ängste, lasst es nicht zu solch einem Test kommen! Wir alle sind Kinder Gottes… Seid dankbar dafür und tut niemandem Leid an!“

Er sprach noch lange weiter, aber ich konnte nichts davon verstehen. Ich sah nur die Flammen und spürte unwahrscheinliche Übelkeit in mir aufsteigen. Mir schossen Tränen in die Augen. Einmal, da mich das Licht unwahrscheinlich blendete und als zweites durch meine Angst. Hätten die Rotröcke mich nicht gehalten, wäre ich gestürzt. Ich bekam im Hinterkopf mit, wie die Menge mit jedem der Worte, welche der Priester sprach, ruhiger wurde. Jedoch auch angespannter. Das Spektakel sollte endlich anfangen. Sie wollten Spannung und keine vorgezogene Sonntagsmesse.

Doch die Worte des Gottesdieners zeigten auch bei mir langsam ihre Wirkung. In meinem Kopf war nicht nur Angst vor dem Verbrennen, nein, auch Angst vor dem Allmächtigen drang immer mehr zu mir ins Bewusstsein. Mit einem Mal wurde mir bewusst, wie sündhaft ich gewesen war. Ich wünschte mich zurück zum Priester, ich wollte beichten. Ich wollte um Vergebung flehen, freiwillig Buße tun. Seit Monaten hatte ich keinen Gedanken mehr an den Herrn verschwendet und nun stand ich direkt vor seiner Strafe. Verzweifelt kniff ich die Augen zusammen und begann zu flüstern. Ich flüsterte wirres Zeug, aber auch ehrlich gemeinte, verzweifelte Worte. Begonnen beim Vater Unser bis hin zum Anflehen um Gnade und Hilfe. Ich war schuldig, da führte kein Weg drum herum. Und nun würde ich mich in den Flammen verlaufen und daran zugrunde gehen. Langsam verbrennen, bei lebendigem Leibe. Die wahrhaftige Hölle. Und desto mehr ich sprach, desto banger wurde mir. Ich wurde immer schneller, immer verzweifelter und mit jedem Satz unverständlicher. Immer mehr stieg mir das Wasser in die Augen.

Als der Gottesdiener endlich geendet hatte, kam er zu mir, legte mir abermals die Hand auf die Schulter und sagte freundlich:

„Möge der Herr mit dir sein.“

Ich sah auf. Ich sah ihn, sein langes, bleiches Gesicht und das tanzende Feuer in seinen mitfühlenden Augen. Und noch ehe ich antworten konnte stießen die Rotröcke mich vor.

Ich schrie auf. Und das, noch ehe ich die Flammen überhaupt spürte. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss war: Ich falle! Unbeholfen stolperte ich mitten zwischen die zwei Reihen. Die Menge begann mit einem Mal zu toben und zu jubeln. Tosende Rufe, Schreie, Anfeuern und anderes vermischte sich zu einem riesigen Ansturm aus menschlichen Lauten. Ich rannte los. Verzweifelt wollte ich vor mich sehen, doch außer Feuer und Rauch war da nichts und ich konnte die Augen nicht öffnen. Musste ich vorwärts gehen? Oder hatte ich mich durch den Stoß gedreht? Aber ich hatte nicht einmal eine Sekunde nachzudenken. Genauer gesagt dachte ich nicht einmal annähernd nach. Ich rannte einfach los, so schmerzerfüllt, dass mir die Stimme versagte. Auch Luft holen tat ich nicht.

Ich spürte, wie der Wachs mit einem Mal schmolz und wie manche Teile des Hemdes in Flammen aufgingen. Nicht große, aber spürbare an Rücken und linker Brust. Sofort dachte ich, ich brenne lichterloh. Mir wurde bewusst, wie wenig Überblick ich über meinen Körper hatte und meine Beine wollten mir den Dienst versagen. Die ganze Zeit hatte ich mir geschworen, nicht in den Flammen zu stürzen und nun verlor ich fast sämtliche Kraft. Die Flammen züngelten an meinem Gesicht vorbei, ich roch versenktes Haar. Fast wäre ich herum gefahren, als eines der Feuer mir das Ohr verbrannte. Doch ich zuckte nur und stolperte vorwärts.

Und dann war es vorbei. Noch ehe ich das Ende wirklich erreichte riss ich die Augen auf und stürzte vor. Ich krachte zu Boden und begann zu schreien. Irgendwie hatte ich das andere Ende erreicht. Ein Schwall Wasser klatschte mir ins Gesicht, eine Decke wurde über mich geworfen und drei Männer begannen die Flammen an mir auszuklopfen. Ich schrie weiter, bis mein Schrei in Wimmern erstickte. Ich muss ausgesehen haben, als sei ich aus der Hölle geflohen. Ich war schwarz und voller Ruß, hustete, weinte und jammerte und wollte mich winden vor unerträglichen Schmerzen. Es hörte einfach nicht auf und nahm mir die Fähigkeit zu Denken. Das heiße Wachs war wesentlich schlimmer als die Flammen, es wollte einfach nicht aufhören zu brennen und schien sich in meiner Haut zu versenken. Zwei Wachen rissen mich immer wieder aufs Neue nach oben, um mich dem Volk zu präsentieren, doch immer wieder krachte ich zurück. Ich schaffte es nicht zu stehen. Meine Beine zitterten und gaben nach. „Ich lebe…!“, keuchte ich nur. „Ich lebe…!“. Ich konnte nicht denken, nicht sehen. Nur husten und flüstern, unfassbar, völlig geschockt. Jemand klopfte mir anerkennend auf den Rücken, ich glaube, es war der Priester.

Als die Vorführung vorbei war, brachte man mich zurück. Die Männer mussten mich schleifen, meine Beine verwehrten mir den Dienst und mein Herz nahm mir jeden noch so kleinen Rest an Kraft. Ich hörte, wie der Priester seine Rede begann, um die Veranstaltung zu beenden und im Winkelblick sah ich O’Hagan. Er schien frustriert und wütend, aber mein Zustand schien ihm Befriedigung zu schenken. Er hatte wahrscheinlich einen höhnischen Blick, ein gehässiges Grinsen erwartet, aber dazu fehlte mir die Kraft. Das stimmte ihn fröhlicher. Mir war das egal. Ich hatte in diesem Moment kein Interesse daran, stärker zu sein, als er. Ich wollte nur weg von den Flammen. Weg für immer. Den ganzen Weg über zur Zelle zurück war ich ein nervliches Wrack. Ich heulte wie ein kleines Kind und erst als das Wachs aufhörte zu brennen, beruhigte ich mich ein wenig. Dennoch fürchtete ich aus einer sinnlosen Angst heraus, sie würden mich zu anderen Flammen bringen. Zudem spürte, dass die Hose zwischen meinen Beinen durchnässt war und das kratzte meinen Stolz enorm an. Ich wollte nicht schwach sein, aber ich war es.

In der Zelle ließ man mich allein. Zu meiner Erleichterung ließen sie die Fackeln an den Wänden aus und gaben mir eine Decke, um mich darin einzuwickeln. Ich tat es und verbarg meinen beschämenden Unfall. Man setzte mich auf einen Holzschemel und so ließ man mich allein, wenn auch nicht lange. Ich hockte nur da und zitterte, mich zur Ruhe zwingend. Es war vorbei, ich war am Leben. Jedoch war ich so nahe am Tode gewesen, ich konnte es nicht einfach schlucken. Allein der Gedanke an eine Kerze oder eine Fackel verstärkte meinen Schock und ich konnte meinen Körper vor Angst kaum noch kontrollieren, so sehr bebte er.

Nach einiger Zeit kam der Priester herein. Fast wie apathisch saß ich da und starrte vor mich. Nur kurz warf ich ihm einen Blick zu. Ich war nicht begeistert über sein Erscheinen, ich wollte meine Ruhe. Ich wollte diesen Schock verarbeiten und vergessen, so schnell wie möglich. Die Panik saß mir noch immer im Nacken. Ich war am Leben, ich war noch am Leben… Dieser Gedanke quälte mich unwahrscheinlich, denn – wie lange noch?

„Ich werde Euch das Hemd ausziehen und Eure Wunden verbinden.“, erklärte mir der Geistliche freundlich mit seiner Singsang-Stimme, während er die Tür schloss. In der Hand trug er eine Schüssel mit Wasser, über seinen Arm hatte er ein Hemd und eine Hose gehangen „In drei Tagen dann erfahren wir, ob Ihr die Wahrheit gesprochen habt.“, ich nickte nur. Und so kam der zweite, schmerzhafte Teil. Das Wachs war geschmolzen und nun wieder hart geworden. Es klebte an meiner Haut und an meinen Haaren. An meinen Wunden von der Prügelei mit dem Zuchtmeister und auch an meiner Kleidung. Es war eine unheimliche Prozedur, den Stoff von mir zu lösen. Zudem war ein wenig meine Hosenbeine hinuntergelaufen und klebte auch dort. Noch nie zuvor hatte ich die Haare an meinen Beinen so sehr verflucht. Einige Hautstellen waren verbrannt, besonders in meinem Nacken, aber zu meiner Erleichterung wirklich nur sehr gering.

Er wusch mir den Ruß ab und verband mich sorgsam und freundlich, jedoch ohne die Wunden zu säubern. Etwas zu freundlich, wie ich fand. Er machte keinen Hehl daraus, dass mein Körper ihn…interessierte. Zwar sprach er es nicht direkt an, aber die Zeichen waren offensichtlich. Ganz gleich, ob es um die eine oder andere hoch gezogene Augenbraue ging, wenn er mich berührte oder ein schmunzelndes Grinsen, als er sich vor mich kniete, um das Wachs aus meinen Haaren zu ziehen. Es widerte mich an und demütigte mich umso mehr. Ich wich ihm weitestgehend aus. Als der Priester fertig war, zog ich mich in die hinterste Ecke zurück, auf meinem Schemel hockend und mit dem Rücken zu ihm. Langsam hatte ich mich beruhigt, aber der Husten wollte nicht aufhören.

„In drei Tagen werde ich Eure Wunden untersuchen.“, erklärte er mir lächelnd. „Dann werden wir sehen, ob sie mit Gottes Kraft heilen oder ob das Abtrünnige zum Vorschein kommt.“

„Und was meint Ihr?“, flüsterte ich heiser. „Wie wird das Urteil aussehen?“

„Bereits vor dem Urteil sah ich viel Hoffnung für Euch.“, der Priester kam zu mir und beugte sich zu mir herunter. Ich sah ihn nicht an, er stand hinter mir. Freundschaftlich legte er mir seine Hände auf die Schultern und drückte mich herzlich. „Das werden wir sehen, wenn es so weit ist. Ich werde morgen wieder nach Euch sehen. Vielleicht lässt sich ja etwas machen, was denkt Ihr?“, ich meinte in seiner Honigstimme ein verruchtes Lächeln zu hören.

Angeekelt zog ich meine Schultern weg. „Ich bezweifele es.“

Der Priester schwieg. Er blieb noch einige Sekunden hinter mir stehen, ehe er die Schüssel nahm, die verbrannte Kleidung und dann hinausging. Und während er die Zelle verließ sprach er gut gelaunt, fast wie ein guter Freund: „Nun, angenehme Nachtruhe, Erholt Euch gut. Und seid gottesfürchtig, vergesst nicht zu beten.“, er schloss die Tür und fügte lächelnd hinzu: „Macht einen guten Eindruck auf mich. Vergesst nicht. Ich entscheide, ob Ihr schuldig oder unschuldig seid.“, dann fiel sie ins Schloss.

Ich seufzte schwer und schloss meine brennenden und tränenden Augen. Alles schmerzte und ich war müde. Unheimlich müde… Konnte dieser Kerl mich nicht einfach in Ruhe lassen?

Ich wartete einige Zeit, ehe ich vorsichtig die Verbände löste und begann, den Dreck aus meinen Wunden zu pulen. Die meisten erreichte ich nicht. Doch jene, die ich erreichte, kratzte ich blutig, um auch wirklich alles los zu werden. Ich war nicht sicher, ob es half, ich kannte mich damit nicht aus, aber auf keinen Fall durften sie entzünden. Als ich mich wieder verband, waren meine Fingernägel schwarzrötlich. Ich entfernte die Spuren mit den Zähnen, keiner durfte etwas von dem Betrugsversuch merken, dann starrte ich seufzend zum Fenster hinauf. Ich hatte mich an die Zellentür gelehnt, auf dem Boden sitzend, so weit von den ausgekippten Flüssigkeiten entfernt wie möglich. Den ganzen Tag über war ich allein. Egal wann ich einschlief, weckten mich Albträume von Feuer und Flammen. Bis zum Abend hin fand ich keine Ruhe. Ich lauschte dem Lied des Lampenanzünders, der singend durch die Straßen ging und die Uhrzeit verkündete, als Hinweis auf die Ausgangssperre. Wie ging es Black? Hatte er Angst vor dem Tod? So wie ich?

Und wie ging es Mary-Ann? War sie noch immer krank? War sie noch am leben?

Und auch diese Nacht ereilte mich kaum der Schlaf. Alles, was ich fühlte, waren Verzweiflung, Schmerz und Ekel.

Und Hass.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Momachita
2013-07-24T10:31:05+00:00 24.07.2013 12:31
Ich mache so etwas ja wirklich ungern, aber an dieser Stelle muss ich doch noch mal auf eine Textstelle hinweisen, die mir aufgefallen ist:
"Doch die Tatsache, dass sie zusammenbrach, nur als ich mich hinaufsetzen wollte, verwehrte mir diesen unwahrscheinlich wunderschönen Ausblick, ironisch gemeint."
Dieses ironisch gemeint passt nicht, bzw. ist völlig überflüssig, wie ich finde. Hat mich stark im Lesefluss gehindert.
Aber der Rest war wieder einmalig.
Von so einer Feuerprobe hab ich generell schon mal gehört, wusste aber nie wirklich, was damit gemeint war. Das hast du wirklich gut beschrieben. Angsteinflößend gut. Ich werde es mir die nächsten Tage 2 mal überlegen, ob ich meine Kerzen anzünden möchte.
Und dieser ekelhafte Priester... Erpresser. Dreckiger, mieser Erpresser.

Eins möchte ich dich noch wissen lassen, ehe es mich weiter zum nächsten Kapitel zieht: mir fällt es schwer - insbesondere zurzeit, da ich viel Umzugsstress hatte und in meiner Wohnung noch kein Internet ist - die Zeit zu finden, deine Geschichte zu lesen. Aber hiermit weißt du, dass ich immer mal wieder dran denke und reinschaue :)
Außerdem bin ich kein Freund von Texten auf Computerbildschirmen lesen. Bekomme teilweise Kopfschmerzen davon & lese lieber direkt gedrucktes. Wenn du dieses Buch also tatsächlich einmal rausbringen solltest - sag sofort Bescheid! :>


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